Die Stadt und die Sterne - Arthur C. Clarke - E-Book
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Die Stadt und die Sterne E-Book

Arthur C. Clarke

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Beschreibung

Jenseits der Stadtgrenze

In ferner Zukunft hat sich das Antlitz der menschlichen Gesellschaft radikal verändert. In Diasper, der riesigen, durch eine Kuppel hermetisch abgeriegelten letzten Stadt auf der Erde, leben die Menschen tausend Jahre, speichern ihre Erinnerungen und werden danach wiedererweckt. Doch als ein Kind ohne Erinnerungen geboren wird und alles hinterfragt, gerät eine scheinbar perfekte Gesellschaft ins Wanken…

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Über das Buch

Das Buch

Dies ist die Geschichte Diaspars – die Geschichte der letzten Stadt auf dem Planeten Erde. In Diaspar führen die Menschen ein Leben in Luxus und Unbeschwertheit, ein Leben, das dank technischer Mittel praktisch nie zu Ende geht. Doch das Wissen darum, was sich außerhalb der Stadt befindet und warum Diaspar einst erschaffen wurde, ist im Laufe der Jahrtausende verloren gegangen. Bis sich der junge Alvin zu einem unerhörten und mehr als riskanten Schritt entschließt: Er will Diaspar verlassen …

In vollständig überarbeiteter und erstmals ungekürzter Neuausgabe – der Roman, mit dem Arthur C. Clarke seinen Ruhm als Visionär und einflussreichster Science-Fiction-Autor des 20. Jahrhunderts begründete.

Über den Autor

Der Autor

Arthur C. Clarke war über Jahrzehnte einer der bedeutendsten Autoren der internationalen Science Fiction. Geboren 1917 in Minehead, Somerset, studierte er nach dem Zweiten Weltkrieg Physik und Mathematik am King’s College in London. Zugleich legte er mit seinen Kurzgeschichten und Romanen den Grundstein für eine beispiellose Schriftsteller-Laufbahn. Neben zahllosen Sachbüchern zählen zu seinen größten Werken die Romane »Die letzte Generation« und »2001 – Odyssee im Weltraum«, nach dem Stanley Kubrick seinen legendären Film drehte. Clarke starb im März 2008 in seiner Wahlheimat Sri Lanka.

Die Stadt und die Sterne

Arthur C. Clarke

Die Stadtund die Sterne

Roman

Mit einem Vorwort vonGary Gibson

Überarbeitete Neuausgabe

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

Impressum

Titel der amerikanischen OriginalausgabeTHE CITY AND THE STARSDeutsche Übersetzung von Tony WestermayrDeutsche Übersetzung des Vorworts von Jakob Schmidt

Überarbeitete Neuausgabe 8/2011Redaktion: Angela HerrmannCopyright © 1956 by Arthur C. ClarkeCopyright © 2011 des Vorworts von Gary GibsonCopyright © 2011 der deutschen Ausgabe und der Übersetzungby Wilhelm Heyne Verlag, München,in der Verlagsgruppe Random House GmbHUmschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, ZürichSatz: C. Schaber Datentechnik, WelsISBN: 978-3-641-06084-8www.heyne-magische-bestseller.de

Vorwort

Vorwort

von Gary Gibson

Als ich jung war, hat Arthur C. Clarke für ein ziemliches Durcheinander in meinem Kopf gesorgt.

Ich glaube, es war das Jahr 1978, als ich von einem Schulfreund hörte, dass unser Englischlehrer einer Klasse ein paar Jahrgänge über uns Teile eines Aufsatzes vorgelesen hatte, den ich als Hausaufgabe geschrieben hatte. Ich hatte keine Ahnung, ob er den Aufsatz – in dem es um die Bücher von Arthur C. Clarke ging – für brillant hielt oder ob er der Meinung war, dass es sich um das mieseste Machwerk handelte, das ihm jemals untergekommen war. Ich stellte mir jedenfalls einen Haufen Fünfzehn- und Sechzehnjähriger vor, die in ihrem Klassenzimmer saßen und über meinen peinlichen, abstrusen Text lachten. Ich stählte mich innerlich, rechnete mit dem Schlimmsten und dachte mir: Ich kann immer noch davonlaufen und zur See fahren. Oder in einem Zirkus arbeiten. Ich hätte alles getan, um mir die Schmach zu ersparen, die ich erleben würde, sobald sich die Geschichte in der Schule herumsprach.

Wie sich jedoch herausstellte, gefiel mein Aufsatz dem Lehrer – der lustigerweise Mr. English hieß – wirklich, wirklich gut; so gut, dass er mir dafür die Bestnote gab. Er stellte mir Fragen zu einigen der von mir benutzten Begriffe wie »geosynchrone Umlaufbahn« und »Dreikörper-Librationspunkt«, und ich erklärte ihm, dass Arthur C. Clarke als Erster den Vorschlag gemacht hatte, Telekommunikationssatelliten zu konstruieren, die an festen Punkten über der Erdoberfläche eine stabile Umlaufbahn hielten, und dass es sich bei Dreikörper-Librationspunkten um bestimmte Stellen in Bezug auf Erd- und Mondumlaufbahn handelte, an denen man große Orbitalkolonien errichten könnte, eine Idee, die Clarke 1961 in seinem Roman »Im Mondstaub versunken« verwendete.

Ich weiß noch, dass ich den Aufsatz damals mit demselben Überschwang geschrieben hatte, mit dem ein junger Hund zu Frühlingsbeginn Kaninchen hinterher jagt. Bis dahin hatten uns die Lehrer im Englischunterricht die Aufsatzthemen immer vorgegeben – die Freiheit, mir selbst einen Autor auszusuchen, über den ich schreiben wollte, war daher in etwa mit einem Streichholz zu vergleichen, das man auf ein Stück trockenes Zeitungspapier wirft.

Und ich erinnere mich, dass ich kurz zuvor sämtliche Arthur-C.-Clarke-Romane, die ich in der Schulbücherei finden konnte, gelesen hatte, einschließlich »Die Stadt und die Sterne«. Gut möglich, dass dies sogar der allererste Roman Clarkes war, den ich jemals gelesen habe. Jedenfalls war dieses Buch mit nichts vergleichbar, was ich bis dahin kennengelernt hatte. Es brachte einen dazu, das Universum auf eine Art und Weise zu betrachten, die sich in seinem Erscheinungsjahr 1956 deutlich vom Großteil der übrigen Science Fiction unterschied.

Damals wie heute handelte es sich bei Science Fiction in erster Linie um ein US-amerikanisches Genre, das seine Boom-Phasen jeweils während der Jahre vor und nach den Weltkriegen erlebte, in Pulp-Magazinen mit Namen wie Astounding Science Fiction und Amazing Stories. Die meisten der in diesen Magazinen erschienenen Geschichten hatten etwas typisch Amerikanisches, in ihnen gab es kaum Hindernisse, die sich nicht mit Schneid und Einfallsreichtum überwinden ließen: Mit einem Rechenschieber in der einen Hand und einem Laser-Blaster in der anderen machten sich die Männer in diesen Geschichten auf, um die Sterne zu erobern – so wie ihre Vorfahren einst die weiten, grasbewachsenen Ebenen des amerikanischen Kontinents erobert hatten.

Autoren fantastischer Geschichten aus anderen Ländern jedoch haben die Dinge oft in einem anderen Licht gesehen, insbesondere die aus England. Dort gab es Autoren wie John Wyndham und Arthur C. Clarke und vor ihnen H. G. Wells, die das Produkt einer pessimistischeren Literaturtradition waren, entstanden im verblühenden British Empire. Ihre Geschichten und Romane zeigten eher ein Universum, das der menschlichen Spezies nicht nur gleichgültig, sondern geradezu feindselig gegenüberstand und in dem keineswegs ausgemacht war, dass man gewinnen würde – oder auch nur gewinnen konnte.

Während Wells’ Marsianer das Viktorianische England gnadenlos einäschern und Wyndhams Krake die Erde überschwemmt, ehe es sie erobert, zeigt uns Clarke in dem Buch, das Sie gerade in Händen halten, ein gefallenes Großreich in den langen Dämmerjahren seiner kollektiven Vergreisung. Die sich immer wieder selbst reparierende Stadt Diaspar siecht Millionen Jahre in der Zukunft unter unserer Sonne dahin und treibt durch eine Trümmerwüste, die Straßen und Parks voller so uralter wie altersloser Bewohner, die den längst gestorbenen Träumen ihrer abenteuerlustigeren Vorfahren nachlaufen; das Einzige, was von ihrem weltenumspannenden Reich geblieben ist, sind die Erinnerungen in den Schaltkreisen der riesigen Computeranlagen ihrer Stadt. Auf den ersten Blick scheint es sich hier um die trostlose Vision eines sterbenden Volkes zu handeln, doch tatsächlich ist es der Beginn einer optimistischen Geschichte über die Fähigkeit des menschlichen Geistes, alle Arten von Hindernissen zu überwinden, um seinen brennenden Wissenshunger zu stillen.

Alvin, seit ewiger Zeit das erste neue Kind, das in Diaspar geboren wird, ist ein typischer Clarke-Protagonist, denn er wird von eben jener drängenden Neugier getrieben: Was mag wohl jenseits der Wüste liegen, die Diaspar umgibt? Das Echo dieses Wunsches, die Grenzen unseres Wissens buchstäblich zu erweitern, ist auch in Clarkes Roman »Rendezvous mit Rama« von 1973 zu hören, in dem die Besatzung der Endeavour ein lange verlassenes außerirdisches Raumschiff von gewaltigen Ausmaßen erforscht, und ebenso bei Dave Bowmans Begegnung mit dem mysteriösen Monolithen in »2001 – Odyssee im Weltraum«. In all diesen Büchern wird ein Mensch mit dem scheinbar Göttlichen konfrontiert, das sich letztlich als Produkt der Wissenschaft erweist – der Wissenschaft einer weit fortgeschrittenen Zivilisation. Eben dieses Thema der Begegnung mit einer Zivilisation, die über derart machtvolle Technologien gebietet, dass sie ihr einen quasi gottgleichen Status verleihen, findet sich auch in »Die letzte Generation«, dem Roman, den viele als Clarkes Meisterwerk betrachten. Seinen Ansatz hat der Autor 1962 in seinem Sachbuch »Profile der Zukunft« mit den berühmten Worten formuliert: »Jede hinreichend fortschrittliche Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden.« Anders ausgedrückt: Wenn wir uns irgendwann zu den Sternen aufmachen, treffen wir womöglich auf Wesen, die unser Vorstellungsvermögen in jeder Hinsicht übersteigen.

Kaum ein anderer Autor begriff so gut wie Clarke, dass jedwede andere Zivilisation, die unsere Spezies vielleicht eines Tages entdecken wird, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ihren Aufstieg und Fall schon längst hinter sich haben und ihr Vermächtnis nur aus verstaubten Ruinen und uns unverständlichen Artefakten bestehen wird. Was »Die Stadt und die Sterne« in dieser Beziehung von Clarkes anderen Werken allerdings unterscheidet, ist, dass die unverständlichen Technologien, von denen Alvin umgeben ist, die Schöpfungen seiner eigenen Vorfahren sein müssen und nicht die von fremden Intelligenzen.

Alvins Suche ist deutlich von Olaf Stapledon beeinflusst, einem weiteren englischen Autor, den Clarke sehr verehrte. In Romanen wie »Die letzten und die ersten Menschen« oder »Der Sternenschöpfer«, die in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg erschienen, entwarf Stapledon ganze »Future Histories«, umfangreiche Geschichten der Zukunft, nicht nur der Menschheit, sondern des gesamten Universums, und präsentierte dabei eine ziemlich schwindelerregende Aussicht, von der Clarke bei seiner Beschreibung der langen Geschichte Diaspars ausgiebig Gebrauch machte.

Andere, nicht-literarische Einflüsse auf Clarkes Schreiben sind ebenfalls erkennbar. Er war sein ganzes Leben lang erklärter Atheist und hat bekanntermaßen einmal gesagt, es sei »eine der großen Tragödien der Menschheit, dass die Moral von der Religion übernommen wurde«. Dieses Thema untersucht er hier ebenso sorgfältig wie seinen Glauben daran, dass jede außerirdische Zivilisation, die hinreichend fortschrittlich ist, um durch das Weltall zu reisen, definitionsgemäß wohlgesonnen sein muss, da eine feindselige Spezies mit fortschrittlicher Technologie sich aller Wahrscheinlichkeit nach selbst auslöschen würde, lange bevor sie Gelegenheit hätte, zu anderen Sternen aufzubrechen. Als Alvin also ein alptraumhaftes Geschöpf entdeckt, bemerkt sein Freund Hilvar: »Nichts ist gefährlich, was Verstand besitzt.« Die Menschheit hätte »längst ihren kindlichen Schrecken vor einem fremdartigen Aussehen verloren«.

Wenn ich auf die dreißig Jahre zurückblicke, die zwischen meinem Schulaufsatz und der Gegenwart liegen, wird mir klar, wie sehr Clarkes Philosophie mein eigenes Denken geprägt hat. In den von ihm erschaffenen Zukunftswelten gibt es kaum eine größere Tugend als das menschliche Streben nach Wissen, und fortschrittliche außerirdische Lebensformen sind nicht feindlich und auf unsere Unterwerfung oder Vernichtung aus, sondern wollen die Menschheit fördern, schützen und anleiten. Während seine Zeitgenossen damit beschäftigt waren, düstere Visionen einer von Atomwaffen verwüsteten Erde zu erschaffen, schien Clarke anzudeuten, dass die Zukunft nicht nur besser sein würde als die Gegenwart, sondern dass wir diese bessere Zukunft sogar aktiv gestalten können.

Aus Clarke’scher Perspektive ist die Menschheit eine Spezies, die gerade erst aus einer langen, dunklen Kindheit erwacht, noch immer von Aberglaube und Unwissen geplagt, aber bereit, nach einer strahlenden, ruhmreichen Zukunft zu greifen, in der es keine Grenzen zwischen Völkern oder Religionen geben wird. Auf seine Art war er also das, was in der Science Fiction einem echten Propheten am nächsten kommt: Er wies uns den Weg in eine Zukunft, die dann real und greifbar erscheint, wenn wir den Mut haben, sie als die unsere anzuerkennen.

Heute – während ich an meinem Computer sitze und mit einer gewaltigen, weltumspannenden Informationsbibliothek verbunden bin, die sich nicht so sehr von dem unterscheidet, was Clarke selbst einmal vorschwebte – ist leicht zu erkennen, dass wir in einer Welt leben, die er zu einem kleinen Teil mit erschaffen hat. Nicht nur schlug er, wie erwähnt, als Erster vor, Satelliten zur Übertragung von Telekommunikationssignalen zu verwenden, er wurde auch alt genug, um Entwicklungen in der Weltraumforschung mitzuerleben, die als abstruse Fantasien abgetan worden waren, als seine ersten Geschichten erschienen.

Als Arthur C. Clarke im Jahre 2008 starb, hinterließ er ein Werk, das nach wie vor eine große Inspiration für zukünftige Generationen ist. Er war ein Mann, der jede neue wissenschaftliche Entdeckung mit unstillbarem Hunger begrüßte – und der gerne im Meer tauchte, weil das dem Gefühl von Schwerelosigkeit am nächsten kam. Alvin, der Held dieses Romans, eingeschlossen in einer glänzenden Stadt der weit entfernten Zukunft, ist in jeder Hinsicht die Verkörperung von Clarkes Überzeugungen über den menschlichen Geist.

Gary Gibson ist einer der bekanntesten britischen Science-Fiction-Autoren der Gegenwart. Im Wilhelm Heyne Verlag sind seine Romane »Lichtkrieg«, »Lichtzeit« und »Lichtraum« erschienen.

Die Stadt und die Sterne

DIE STADT UNDDIE STERNE

Prolog

Prolog

Wie ein glitzerndes Juwel lag die Stadt inmitten der Wüste. Einst hatte sie Veränderung und Wechsel erfahren, seit langem jedoch ging die Zeit an ihr vorüber. Tag und Nacht flogen über die Wüste dahin, aber in den Straßen Diaspars war es immer Nachmittag, und niemals brach die Dunkelheit herein. Die langen Winternächte mochten die Wüste mit Reif überziehen, wenn die in der dünnen Luft der Erde enthaltene Feuchtigkeit erstarrte – doch die Stadt kannte weder Hitze noch Kälte. Sie hatte keine Berührung mit der Außenwelt; sie war ihr eigenes Universum.

Auch früher hatten die Menschen Städte gebaut, aber nie eine Stadt wie diese. Manche überdauerten Jahrhunderte, einige sogar Jahrtausende, ehe die Zeit auch ihre Namen verschlang. Allein Diaspar hatte die Ewigkeit herausgefordert, sich und all diejenigen, denen sie Schutz gewährte, gegen die langsame Abnutzung der Zeit, die Verheerung der Fäulnis und die Zerstörung des Rostes verteidigt.

Seit der Gründung der Stadt waren die Meere ausgetrocknet, und die Wüste hatte sich über den ganzen Erdball ausgebreitet. Die letzten Berge waren von Wind und Regen zu Staub zermahlen worden, und die Welt fühlte sich zu müde, um neue Berge hervorzubringen. Die Stadt kümmerte sich nicht darum. Und sollte die Erde selbst zerbröckeln – Diaspar würde die Kinder ihrer Schöpfer schützen und sie sicher den Strom der Zeit hinuntertragen.

Sie hatten vieles vergessen, aber das wussten sie nicht. Sie waren an ihre Umwelt so vollkommen angepasst, wie diese an sie – denn sie waren gleichzeitig entworfen worden. Was jenseits der Stadtmauern lag, berührte sie nicht. Diaspar war alles, was existierte, alles, was sie brauchten, alles, was sie sich vorstellen konnten. Es war ihnen gleichgültig, dass der Mensch einst die Sterne erobert hatte.

Und doch erhoben sich manchmal die alten Mythen und verfolgten sie; sie wurden unruhig, wenn sie sich an die Größe des Imperiums erinnerten, als Diaspar noch jung war und vom Handel mit vielen Sonnen lebte. Dennoch wollten sie die alten Tage nicht wiederhaben; sie waren mit dem ewigen Herbst zufrieden. Der Ruhm des Imperiums gehörte der Vergangenheit an, und dort sollte er bleiben – denn sie erinnerten sich auch an das Ende des Imperiums. Wenn sie an die Invasoren dachten, kroch ihnen die Eiseskälte des Weltraums durch die Adern.

Da wandten sie sich wieder dem Leben und der Wärme der Stadt zu, dem fortdauernden goldenen Zeitalter, dessen Anfang bereits im Nebel der Vergangenheit verloren und dessen Ende noch weiter entfernt war. Andere Menschen hatten von einem solchen Zeitalter geträumt, doch nur sie allein hatten es erreicht.

Denn sie hatten immer in derselben Stadt gelebt, waren dieselben, wunderbar unveränderten Straßen entlanggegangen, während mehr als tausend Millionen Jahre vorbeigezogen waren.

Eins

Eins

Sie hatten viele Stunden gebraucht, um sich aus der Höhle der weißen Drachen freizukämpfen. Doch sie wussten immer noch nicht genau, ob sie den Ungeheuern entkommen waren – und die Leistungskraft ihrer Waffen war beinahe erschöpft. Sie folgten dem schwebenden Lichtpfeil, ihrem geheimnisvollen Führer im Labyrinth des Kristallberges, der ihnen den Weg wies. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich ihm anzuvertrauen, obwohl er sie in noch schrecklichere Gefahren locken konnte.

Alvin sah sich nach seinen Begleitern um. Dicht hinter ihm ging Alystra; sie trug die Kugel aus kaltem, unauslöschlichem Licht, die seit Beginn ihres Abenteuers so viele Schrecken und so viele Schönheiten enthüllt hatte. Der blasse, weiße Glanz überflutete den schmalen Gang und fiel von den glitzernden Wänden zurück. Solange die Kugel schimmerte, konnten sie ihren Weg erkennen und jede sichtbare Gefahr sofort entdecken. Aber die größten Gefahren in diesen Höhlen, das wusste Alvin nur allzu gut, waren keineswegs die sichtbaren.

Hinter Alystra schleppten sich Narillian und Floranus mit den schweren Projektoren ab. Alvin fragte sich, warum die Projektoren so schwer waren; es wäre so einfach gewesen, sie mit Schwerkraftneutralisatoren zu versehen. Er dachte immer an solche Dinge, selbst mitten in den aufregendsten Abenteuern. Wenn solche Gedanken in seinem Kopf auftauchten, schien es, als erzittere für einen Augenblick die Struktur der Wirklichkeit und er erhasche hinter der Welt der Sinne einen Blick auf ein anderes Universum …

Der Gang endete vor einer nackten Felswand. Hatte sie der Pfeil wieder betrogen? Nein – als sie näher kamen, zerbröckelte der Fels und wurde zu Staub. Durch die Mauer drang ein wirbelnder Metallspeer, der sich schnell zu einer riesigen Schraube verbreiterte. Alvin und seine Freunde zogen sich zurück und warteten, bis die Maschine den Felsen durchstoßen hatte. Mit ohrenbetäubendem Kreischen brach das Fahrzeug durch die Wand und kam neben ihnen zum Stehen. Eine massive Stahltür öffnete sich, und Callistron rief ihnen zu, sie sollten sich beeilen. Warum Callistron?, dachte Alvin. Was macht er hier? Einen Augenblick später waren sie in Sicherheit; die Maschine schwankte, als sie ihre Fahrt in die Tiefen der Erde antrat.

Das Abenteuer war vorüber. Wie immer, würden sie bald zu Hause sein, und das ganze Wunder, der Schrecken und die Aufregung würden hinter ihnen liegen. Sie waren müde und zufrieden.

Alvin erkannte an der Neigung des Bodens, dass das unterirdische Fahrzeug sich auf den Weg in die Erde hinein machte. Vermutlich wusste Callistron, was er tat, und dieser Weg führte tatsächlich nach Hause. Dennoch schien es bedauerlich …

»Callistron«, sagte er plötzlich, »warum fahren wir nicht nach oben? Niemand weiß, wie der Kristallberg wirklich aussieht. Wie herrlich wäre es, irgendwo an seinen Hängen hinauszukommen, den Himmel und das Land ringsumher zu sehen. Wir waren lange genug hier unten.«

Schon während er diese Worte aussprach, wusste er irgendwie, dass sie unrecht waren. Alystra schrie auf, das Innere des Untergrundfahrzeugs flimmerte wie ein Bild im Wasser, und jenseits der Metallwände, von denen sie umgeben waren, bemerkte Alvin wieder dieses andere Universum. Die zwei Welten schienen miteinander in Widerstreit zu liegen, wobei erst die eine, dann die andere das Übergewicht gewann. Dann war alles ganz plötzlich vorbei. Ein knackendes, reißendes Gefühl – und der Traum war zu Ende. Alvin befand sich wieder in Diaspar, in seinem eigenen, vertrauten Raum, einen halben Meter über dem Boden schwebend, da ihn das Schwerkraftfeld vor der Berührung mit der groben Materie schützte.

Er war wieder er selbst. Das war die Realität – und er wusste genau, was nun geschehen würde.

Alystra erschien als Erste. Sie war eher verwirrt als ärgerlich, denn sie liebte Alvin sehr.

»Ach, Alvin!«, jammerte sie, als sie von der Wand auf ihn heruntersah, in der sie sich ganz offensichtlich materialisiert hatte. »Das Abenteuer war so aufregend! Warum musstest du alles verderben?«

»Es tut mir leid! Das wollte ich natürlich nicht – ich dachte nur, es wäre eine gute Idee …«

Er wurde vom gleichzeitigen Erscheinen Callistrons und Floranus’ unterbrochen.

»Jetzt hör mal zu, Alvin«, begann Callistron. »Das ist nun das dritte Mal, dass du ein Abenteuer unterbrichst. Du hast gestern mitten in der Szene abgebrochen, als du aus dem Tal der Regenbogen hochzusteigen versuchtest. Und am Tag vorher brachtest du alles durcheinander, als du die Zeitspur bis zum Ursprung zurückverfolgen wolltest. Wenn du die Regeln nicht einhältst, musst du in Zukunft alleine gehen.«

Zornig verschwand er mit Floranus. Narillian erschien überhaupt nicht; wahrscheinlich hatte er die ganze Sache satt. Nur das Bild Alystras blieb übrig und schaute traurig auf Alvin herab.

Alvin kippte das Schwerkraftfeld, stand auf und ging zu dem Tisch, den er materialisiert hatte. Eine Schale mit exotischen Früchten erschien darauf – nicht die Speisen, die er eigentlich gewollt hatte; in der Verwirrung waren seine Gedanken abgeirrt. Er wollte sich seinen Fehler nicht eingestehen, nahm die am wenigsten gefährlich aussehende Frucht und begann vorsichtig, an ihr zu saugen.

»Nun«, sagte Alystra schließlich, »was willst du tun?«

»Ich kann’s nicht ändern«, erwiderte er mürrisch. »Ich halte die Regeln für Unsinn. Außerdem, wie soll ich mich an sie erinnern, wenn ich ein Abenteuer erlebe? Ich benehme mich ganz natürlich. Wolltest du denn den Berg nicht sehen?«

Alystras Augen weiteten sich entsetzt. »Das hätte doch bedeutet, nach draußen zu gehen!«, stieß sie hervor.

Alvin wusste, dass es zwecklos war, weiterzudiskutieren. Hier war der Graben, der ihn von allen Menschen seiner Welt trennte und ihn zu einem Leben voller Enttäuschungen verurteilen würde. Er wünschte sich immer, nach draußen zu gehen, in Wirklichkeit wie im Traum. Und dabei war »draußen« für jeden Menschen in Diaspar ein Alptraum, den keiner ertragen konnte. Wenn es sich vermeiden ließ, wurde nicht darüber gesprochen; es war etwas Unreines und Böses. Nicht einmal Jeserac, sein Hauslehrer, wollte ihm den Grund dafür verraten …

Alystra beobachtete ihn immer noch besorgt und zärtlich zugleich. »Du bist unglücklich, Alvin«, sagte sie. »In Diaspar sollte niemand unglücklich sein. Lass mich hinüberkommen und mit dir sprechen.«

Alvin schüttelte unhöflich den Kopf. Er wusste, wohin das führen würde. Im Augenblick wollte er allein sein. Alystra verschwand enttäuscht.

In einer Stadt von zehn Millionen Menschen, dachte Alvin, gab es nicht einen einzigen, mit dem er wirklich reden konnte. Eriston und Etania hatten ihn auf ihre Weise gern, aber jetzt, da ihre Vormundschaft zu Ende ging, waren sie froh, ihn eigenständig seinen Vergnügungen und der Gestaltung seines weiteren Lebens überlassen zu können. Als in den letzten Jahren seine Abweichung von der üblichen Art immer deutlicher zutage getreten war, hatte er oft den Groll seiner Eltern gefühlt. Nicht ihm persönlich gegenüber – damit hätte er wahrscheinlich leichter umgehen können –, sondern gegen den unglücklichen Zufall, der ausgerechnet sie aus den Millionen Menschen der Stadt ausersehen hatte, ihm zu begegnen, als er vor zwanzig Jahren aus der Halle der Schöpfung getreten war.

Zwanzig Jahre. Er konnte sich an den ersten Augenblick erinnern und an die allerersten Worte, die je an seine Ohren gedrungen waren: »Willkommen, Alvin. Ich bin Eriston, dein ausgewählter Vater. Das ist Etania, deine Mutter.« Die Worte hatten ihm damals nichts gesagt, aber sein Verstand zeichnete sie mit fehlerloser Genauigkeit auf. Er erinnerte sich daran, wie er an seinem Körper hinuntergesehen hatte; er war jetzt ein paar Zentimeter größer, hatte sich aber seit seiner Geburt kaum verändert. Er war fast völlig erwachsen auf die Welt gekommen und würde sich auch wenig verändert haben, wenn es in tausend Jahren Zeit war, sie wieder zu verlassen.

Vor jener ersten Erinnerung lag nichts. Eines Tages vielleicht würde dieses Nichts wiederkehren, aber schon die Vorstellung war zu entlegen, um seine Gefühle in irgendeiner Weise berühren zu können.

Er wandte seine Gedanken wieder dem Geheimnis seiner Geburt zu. Es schien ihm nicht seltsam, dass er in einem einzigen Augenblick von den Mächten und Kräften geschaffen worden war, die auch alle anderen Dinge seines Alltagslebens erzeugten. Nein, das war nicht das Geheimnis. Das Rätsel, das er nie zu lösen vermochte und für das auch niemand sonst eine Erklärung hatte, war seine Einzigartigkeit.

Einzigartig. Es war ein seltsames, trauriges Wort – genau so seltsam und traurig, wie es zu sein. Wenn es auf ihn angewendet wurde – er hatte es oft gehört, wenn ihn niemand in der Nähe vermutete –, schienen unheimliche Untertöne mitzuschwingen, die mehr als nur sein eigenes Glücklichsein bedrohten.

Seine Eltern, sein Lehrer – jeder, den er kannte – hatten versucht, ihn vor der Wahrheit zu beschützen, als wollten sie unbedingt die kindliche Unschuld seiner lang andauernden Jugend bewahren. Doch wenn diese Begründung stimmte, würde sie bald nicht mehr zählen; in wenigen Tagen würde er ein vollberechtigter Bürger Diaspars sein, und dann durfte ihm nichts mehr vorenthalten werden, was er zu wissen begehrte.

Warum, zum Beispiel, passte er nicht zu den Abenteuern? Von den vielen tausend Formen der Unterhaltung in dieser Stadt waren sie die populärste. Wer in ein Abenteuer eintrat, war nicht nur passiver Beobachter wie bei den rohen Vergnügen primitiver Zeiten, die Alvin gelegentlich ausprobiert hatte. Jeder war aktiv daran beteiligt und besaß – oder so schien es jedenfalls – einen freien Willen. Die Ereignisse und Szenen der Abenteuer waren zwar von inzwischen längst vergessenen Künstlern vorbereitet worden, aber sie hatten einen beachtlichen Spielraum. Man konnte sich mit seinen Freunden in diese Fantasiewelten begeben, jene Spannung suchen, die es in Diaspar nicht gab – und solange der Traum andauerte, war er nicht von der Wirklichkeit zu unterscheiden. In der Tat, wer hätte schon mit Sicherheit sagen können, dass Diaspar nicht selbst der Traum war?

Niemand konnte jemals alle Abenteuer bis zur Neige kosten, die seit dem Beginn der Stadt erdacht und aufgezeichnet worden waren. Sie wirkten auf alle Gefühle und waren von einer unendlich mannigfaltigen Raffiniertheit. Einige, vor allem bei den ganz Jungen sehr beliebt, waren unkomplizierte Entdecker- und Abenteuerromane. Andere stellten sich als Erforschungen psychologischer Zustände dar, während wieder andere Übungen der Logik oder Mathematik waren, die fortgeschritteneren Geistern Vergnügen bereiteten.

Aber obwohl die Abenteuer seine Freunde zu befriedigen schienen, ließen sie Alvin stets mit einem Gefühl der Schalheit zurück. Trotz all ihrer Farbigkeit und Spannung, ihrer ständig wechselnden Örtlichkeiten und Themen – es fehlte etwas.

Jetzt wusste er, was es war: Die Abenteuer verharrten immer auf der Stelle. Die Leinwand, auf die sie gemalt waren, war immer viel zu schmal. Es gab keine großen Ausblicke, keine der hügeligen Landschaften, nach denen sich seine Seele sehnte. Und vor allem, es gab auch nicht die geringste Andeutung der Unermesslichkeit, in der die Heldentaten der Menschen tatsächlich stattgefunden hatten – der leuchtenden Leere zwischen den Sternen und Planeten. Die Schöpfer der Abenteuer waren von derselben merkwürdigen Angst befallen gewesen, die alle Bürger Diaspars beherrschte. Selbst ihre Abenteuer mussten sich im tiefen Innern abspielen, in unterirdischen Höhlen oder in hübschen schmalen Tälern, umgeben von riesigen Bergen, die alles andere ihren Blicken entzogen.

Es gab nur eine einzige Erklärung: Vor längst vergangenen Zeiten, vielleicht sogar vor der Gründung Diaspars, war etwas geschehen, das nicht nur die Neugier und den Ehrgeiz des Menschen zunichtemachte, sondern ihn auch von den Sternen nach Hause trieb, wo er sich in der winzigen, geschlossenen Welt der letzten Stadt der Erde verbarg. Er hatte dem Universum entsagt und war in den künstlichen Mutterleib Diaspars zurückgekehrt. Der flammende, unbesiegbare Drang, der ihn einst über die Milchstraße hinaus zu den nebligen Inseln jenseits von ihr getrieben hatte, war völlig zum Erliegen gekommen. Seit unzähligen Jahrtausenden hatte kein Raumschiff mehr das Sonnensystem angesteuert; dort draußen, mitten unter den Sternen, mochten die Nachfahren des Menschen immer noch Imperien errichten und Sonnen zerstören – die Erde wusste es weder, noch wollte sie es wissen.

Die Erde nicht. Aber Alvin.

Zwei

Zwei

Der Raum war dunkel, bis auf eine leuchtende Wand, auf der die Farben fluteten und verebbten, während Alvin mit seinen Träumen rang. Ein Teil des Musters erfüllte ihn mit Zufriedenheit; er hatte sich in die gewaltigen Linien der Berge verliebt, die aus dem Meer emporragten. Diese hochsteigenden Kurven verrieten Kraft und Stolz; er hatte sich lange Zeit mit ihnen beschäftigt und sie dann in der Gedächtnisanlage des Visiogerätes aufbewahrt, während er mit den anderen Teilen des Bildes experimentierte. Irgendetwas entzog sich ihm, obwohl er es nicht zu bestimmen vermochte. Immer wieder versuchte er die leeren Stellen auszufüllen, während das Instrument die wechselnden Muster in seinen Gedanken las und sie auf der Wand ma

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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