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Wer den Populismus wählt, holt sich auch seinen Zwilling, den Autoritarismus, ins Haus. Es erscheint deshalb wichtig, für den Rattenfängercharakter populistischer Bewegungen und für den propagandistischen Werkzeugkasten autoritärer Regime zu sensibilisieren. Die vorliegende Studie bietet hierzu neben einer ausführlichen Einführung in die Thematik ein Glossar zu Handlungsmustern und rhetorischen Mitteln des populistischen Autoritarismus.
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Dieter Hoffmann:
Autoritärer Populismus
und populistischer Autoritarismus
Wie Populismus und Autoritarismus sich gegenseitig mästen
Literaturplanet
Impressum
© Verlag LiteraturPlanet, 2024
Im Borresch 14
66606 St. Wendel
http://www.literaturplanet.de
Über dieses Buch:
Wer den Populismus wählt, holt sich auch seinen Zwilling, den Autoritarismus, ins Haus. Es erscheint deshalb wichtig, für den Rattenfängercharakter populistischer Bewegungen und für den propagandistischen Werkzeugkasten autoritärer Regime zu sensibilisieren. Die vorliegende Studie bietet hierzu neben einer ausführlichen Einführung in die Thematik ein Glossar zu Handlungsmustern und rhetorischen Mitteln des populistischen Autoritarismus.
Informationen über den Autor finden sich auf seinem Blog (rotherbaron.com) und auf Wikipedia.
Cover-Bild: Arthur Segal (1875 – 1944): Der Redner (1912); Kunsthalle Emden (Wikimedia commons)
Bei einem Blick in die jüngere Vergangenheit stellt sich irgendwie der Eindruck ein, dass die Welt sich in die falsche Richtung dreht. Dies gilt gerade dann, wenn man die weltweite Entwicklung aus der Perspektive populistischer und autoritaristischer Tendenzen betrachtet.
Nur in wenigen Ländern besteht, wie etwa in Polen, Hoffnung auf einen Rückbau autokratischer Strukturen. In zahlreichen anderen Ländern haben sich dagegen autoritäre Tendenzen verstärkt. Mancherorts hat es sogar ein kaum für möglich gehaltenes Rollback hin zu überwunden geglaubten antidemokratischen Entwicklungen gegeben, so etwa in der Slowakei und womöglich demnächst auch in den USA.
Was in den USA droht, ist in Russland bereits Realität. Aus scheindemokratischen Strukturen hat sich schleichend ein autokratisches und schließlich ein totalitäres Regime herausgebildet, das sowohl nach innen als auch nach außen hin offen aggressiv auftritt. Parallel dazu haben sich auch in China die big-brotherhafte Überwachung des Volkes und das imperial-aggressive Auftreten nach außen hin verstärkt, in Verbindung mit einem zunehmenden Führerkult.
Auch in Europa beschränkt sich die Tendenz zu einer fortschreitenden Entdemokratisierung keineswegs auf die bekannten Sündenböcke in Mittelosteuropa. Die Kernstaaten der Europäischen Union sind längst ebenfalls vom Virus des Autoritarismus befallen. Dessen toxische Verbindung mit dem Populismus ist dabei heute noch augenfälliger als vor fünf Jahren.
Deutlich wird dies vor allem dort, wo populistische Parteien in die Machtzentren der entsprechenden Länder vordringen. Dabei müssen sie nicht notwendigerweise – wie etwa in Finnland – unmittelbar an der Regierung beteiligt sein oder diese gar – wie in Italien – führen. Noch folgenreicher ist womöglich die Neigung der etablierten Parteien, sich im Interesse des Machterhalts selbst an populistische Positionen anzunähern.
Dies wirkt sich sowohl auf den Politikstil als auch auf die politischen Inhalte aus. Führerkult, Fremdenfeindlichkeit und Law-and-Order-Parolen sind weltweit auf dem Vormarsch. Durch den allmählichen Aufstieg populistischer Parteien und Positionen in den politischen Mainstream vollzieht sich diese Entwicklung jedoch schleichend, so dass die zunehmend autoritären Tendenzen oft nur bei einem Auftauchen aus dem Polit-Sumpf der Gegenwart und der Einnahme einer Längsschnitt-Perspektive ins Auge fallen.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Rattenfänger-Parteien ihre populistischen Parolen auch nach dem Vordringen in Schlüsselpositionen des Staates beibehalten, um ihren autokratischen Regierungsstil zu verschleiern. Letzteres gilt auch für autoritäre Regime, die ohne den Umweg demokratischer Wahlen an die Macht gelangt sind. Autoritärer Populismus und populistischer Autoritarismus beeinflussen sich auf diese Weise gegenseitig. In beiden Fällen fungieren populistische Parolen als eine Art von Massensuggestion, die über die autoritären Ziele der Politik hinwegtäuscht.
Autoritärer Populismus und populistischer Autoritarismus lassen sich nicht klar voneinander trennen. Beide gehen nahtlos ineinander über. Dennoch können sie aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden. Zum einen kann der Blick auf die autoritären Tendenzen gerichtet werden, die den populistischen Bewegungen inhärent sind oder ihren Erfolg als gesellschaftliche Trends begünstigen. Zum anderen kann nach den populistischen Handlungsmustern und rhetorischen Mitteln gefragt werden, die autoritäre Regime nutzen, um ihre Herrschaft zu festigen.
Dem entsprechen die zwei Teile, in die sich die vorliegende Studie untergliedert. Den Fragestellungen des ersten Teils liegt die Perspektive der Entstehungs- und Entwicklungslogik populistischer Bewegungen zugrunde. Dieser Teil fragt grundsätzlich nach Wesen und Geistesverwandtschaft von Populismus und Autoritarismus, bietet einen Überblick über die weltweite Ausbreitung populistischer und autoritaristischer Tendenzen und spürt den Gründen für diese Entwicklung nach. Dabei werden sozioökonomische, soziopolitische und sozialpsychologische Erklärungsansätze miteinander verknüpft.
Angestrebt wird jeweils eine kurze Einführung in den Problemkreis. Zur Vertiefung dienen Links und Literaturhinweise, die direkt im Anschluss an die einzelnen Punkte aufgelistet werden.
Der zweite Teil dieser Arbeit folgt dagegen eher der Perspektive autoritärer Regime, die populistische Methoden zur Absicherung ihrer Herrschaft einsetzen. Er ist in der Art eines Glossars aufgebaut und listet zentrale Handlungsmuster und rhetorische Mittel des populistischen Autoritarismus auf. Im Anschluss an kurze Erläuterungen zu den einzelnen Stichworten folgen auch hier jeweils Links und Literaturhinweise, die der Exemplifizierung der aufgeführten Punkte und der Vertiefung in die Thematik dienen sollen.
Für die Neufassung dieses zuerst 2017 erschienenen Glossars sind bewusst nicht alle älteren Links entfernt worden. In manchen Fällen ist gerade der Vergleich zwischen früheren und aktuellen Entwicklungen aufschlussreich, da so die sukzessive Ausprägung autoritärer Strukturen deutlicher vor Augen tritt.
Bei allen aufgeführten Links ist allerdings grundsätzlich zweierlei zu beachten. Zum einen handelt es sich dabei jeweils nur um Beispiele für die aufgeführten Aspekte. Wenn einzelne Länder unerwähnt bleiben, bedeutet dies also nicht, dass es dort keine populistischen oder autoritaristischen Tendenzen gäbe.
Zum anderen gilt für alle Links, dass Eigenleben und Eigensinn der Netzstrukturen berücksichtigt werden müssen. Manche Inhalte verschwinden einfach, in anderen Fällen führen dieselben Links auf andere Inhalte, in wieder anderen Fällen funktioniert nur der Pfad nicht mehr, die Inhalte können jedoch durch die Eingabe der entsprechenden Stichworte noch aufgefunden werden. Bei der hohen Anzahl der hier aufgeführten Links wird man sich also darauf einstellen müssen, hier und da leider nicht mit "one click" ans Ziel seiner Wünsche zu gelangen.
Die Absicht dieser Studie ist heute keine andere als bei ihrem ersten Erscheinen: Es geht darum, für den Rattenfängercharakter populistischer Bewegungen und für den propagandistischen Werkzeugkasten autoritärer Regime zu sensibilisieren.
Beides hängt eng miteinander zusammen: Das Wünschdirwas-Konzert populistischer Bewegungen bereitet den Boden für autokratische Verhältnisse, die auch und gerade den Interessen jener, die den Bewegungen zur Macht verhelfen, in fundamentaler Weise widersprechen. Deshalb ist es wichtig, rechtzeitig den autoritären Kerncode der populistischen Programmatiken zu entschlüsseln und ihre Nähe zur Propaganda autokratischer Regime zu erkennen.
Nur so kann einer Entwicklung vorgebeugt werden, bei der das Spiel mit Wünschen und Nöten breiter Bevölkerungsschichten am Ende in ein "Game over" für das gesamte Volk mündet.
"Populismus" … Wenn wir alles, was wir mit dem Konzept verbinden, von der Festplatte unseres Gehirns löschen könnten, würde der Begriff vielleicht folgende Assoziationskette bei uns auslösen: Populismus – lateinisch "populus": das Volk, griechisch "demos" – Demokratie – griechisch "Herrschaft des Volkes". Demnach wäre dann also der Populismus lediglich ein anderes Wort für "Volksherrschaft".
Wir wissen natürlich, dass diese Assoziationskette in die Irre führt. Richtig ist allerdings, dass sowohl "Demokratie" als auch "Populismus" auf das Volk als maßgebliche Instanz für die Machtausübung in einem Gemeinwesen hindeuten.
Ist der Populismus also schlicht die ungezähmte Schwester der Demokratie? Bezeichnet er – analog zur Unterscheidung zwischen "wildem" und "organsiertem" Streik – die Selbstermächtigung des Volkes, im Unterschied zur durch ausgeklügelte Wahlverfahren, Volksvertretungen und Gewaltenteilung geregelten Volksherrschaft in jenem Konstrukt, das wir als "Demokratie" bezeichnen?
Zwar kommen wir mit dieser Unterscheidung den mit den Begriffen bezeichneten Phänomenen schon etwas näher. Dennoch fehlt bei dem spontanen Bestimmungsversuch noch etwas ganz Entscheidendes – nämlich der Aspekt von Führung und Verführung, der mit dem Konzept des Populismus untrennbar verbunden ist.
Das zentrale Element des Populismus ist eben gerade nicht die Selbstermächtigung des Volkes. Die populistische Machtergreifung beruht vielmehr umgekehrt darauf, dass das Volk – oder genauer: ein Komplex aus spezifischen Wünschen und Nöten eines Teils der Bevölkerung – von Einzelnen missbraucht wird, um die Macht in einem Gemeinwesen zu erlangen.
Dabei offenbart bereits die emphatisch-undifferenzierte Bezugnahme auf "das" Volk den totalitären Charakter dieses Herrschaftsanspruchs. Indem die Vielgestaltigkeit der Bevölkerung negiert wird, kreieren populistische Bewegungen de facto selbst das Konstrukt, auf das sie ihre Herrschaft gründen. Die Behauptung eines einheitlichen "Volkskörpers" verleiht den Machthabenden dabei eine quasi-religiöse Legitimation: Wer sie kritisiert, stellt sich damit quasi außerhalb des Volkskörpers und wird folglich als "entartet" gebrandmarkt.
So betrachtet, stehen "Populismus" und "Demokratie" nicht für verwandte Formen von Volksherrschaft, sondern für entgegengesetzte Formen des politischen Umgangs mit dem Volk. Die Demokratie ist implizit stets mit Idealen wie Aufklärung und Mündigkeit verbunden, da anders eine reflektierte Mitbestimmung über die Belange des Gemeinwesens undenkbar wäre. Die populistische Verführung der Massen setzt dagegen gerade darauf, Emotionen und Ressentiments unter Umgehung der Bewusstseinsschranke anzusprechen.
Auf diese Weise ergibt sich eine organische Verbindung von Populismus und Autoritarismus. Die in der populistischen Verführung der Massen angelegte Missachtung der eigentlichen Interessen des Volkes schlägt logischerweise in offene Verachtung und Unterdrückung des Volkes um, sobald die populistischen Bewegungen ihr Ziel des Machterwerbs erreicht haben.
Die populistische Maske fällt dann und gibt den Blick frei auf die dahinter verborgenen autoritär-diktatorischen Züge. Das Volk wird damit hier zum Steigbügelhalter einer Herrschaft, die seine Interessen mit Füßen tritt.
Dem entspricht auch, dass die selbst ernannten Volkstribunen zwar gerne gegen "die da oben" wettern, oft aber selbst ein Teil des von ihnen kritisierten politischen Establishments sind. Dies war schon bei jenen so, auf die der Begriff des "Volkstribuns" zurückgeht.
Im antiken Rom handelte es sich bei den Volkstribunen anfangs zwar um Vertreter der Plebejer, die für einen Interessenausgleich mit der patrizischen Führungsschicht sorgen sollten. In der Spätzeit der Republik wurde das Amt jedoch auch von Angehörigen der Oberschicht genutzt, um mit Hilfe des Volkes Entscheidungen des Senats im eigenen Interesse zu beeinflussen.
Auch in späteren Jahrhunderten lagen Führung und Verführung der Massen eng beieinander. Insbesondere in revolutionären Bewegungen war und ist dies ein wichtiger Aspekt. Allzu oft treten jene, die dem Volk als Anführer der revolutionären Massen die Freiheit zu bringen versprechen, diese Freiheit mit Füßen, sobald sie die Macht errungen haben. Der Unterschied zwischen populistischen und revolutionären Bewegungen ist dann lediglich, dass in letzterem Fall der Glaube an die freiheitlichen Ziele vor dem Erringen der Macht echt ist, während diese Ziele in populistischen Bewegungen von Anfang an nur in zynischer Weise vorgetäuscht werden.
Ein Revolutionär kann sich also, einmal an der Macht, in einen populistischen Autokraten verwandeln. Dem populistischen Verführer der Massen ist der Hang zum autoritären Führertum dagegen schon vor dem Erwerb der Macht inhärent.
Im Unterschied zum revolutionären Anführer folgt der populistische Verführer auch nicht einer bestimmten Ideologie, sondern richtet sein politisches Programm in opportunistischer Weise an Umfragen und tagesaktuellen Bedürfnislagen aus. Die Kritik an den Machthabenden gründet zudem typischerweise nicht auf konstruktiven Alternativen, sondern ist mit Heilsversprechen verbunden, die mit der Realität zumeist herzlich wenig zu tun haben.
Literatur
Akel, Alexander: Strukturmerkmale extremistischer und populistischer Ideologien. Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Baden-Baden 2021: Nomos.
Beigel, Thorsten / Eckert, Georg (Hgg.): Populismus. Varianten von Volksherrschaft in Geschichte und Gegenwart. Münster 2017: Aschendorff.
Dingeldey, Philip: A People's Tribunate in a Populist Democracy? A Thought Experiment between Republicanism and Populism Re-visited. In: Mayr, Stefan / Orator, Andreas (Hgg.): Populism, Popular Sovereignty, and Public Reason, S. 71 – 84. Berlin et al. 2021. Lang (Central and Eastern European Forum for Legal, Political, and Social Theory Yearbook; 10).
Faber, Richard / Unger, Frank: Populismus in Geschichte und Gegenwart. Würzburg 2008: Königshausen & Neumann.
March, Luke: From Vanguard of the Proletariat to Vox Populi: Left-Populism as a "Shadow" of Contemporary Socialism. In: SAIS Review of International Affairs 27 (2007), no. 1, S. 63–77.
Möller, Kolja: Volksaufstand & Katzenjammer. Zur Geschichte des Populismus. Berlin 2020: Wagenbach.
Thommen, Lukas: Populus, plebs und populares in der römischen Republik. In: Faber/Unger (2008), S. 31 – 41.
Die Trennlinien zwischen Links- und Rechtspopulismus sind nicht immer leicht zu ziehen. Idealtypisch gesprochen, ist bei Rechtspopulisten der Aspekt der Fremdenfeindlichkeit stärker ausgeprägt, wohingegen Linkspopulisten den Akzent tendenziell eher auf inklusive Ansätze und das Empowerment sozial Benachteiligter legen.
Während Rechtspopulisten eher für eine libertäre Wirtschaftspolitik und das freie Spiel der Marktkräfte eintreten, neigen Linkspopulisten dirigistischen Wirtschaftsformen zu. Bei osteuropäischen Parteien kann dies auch mit einer Form von Ostblock-Nostalgie einhergehen, die dann zuweilen auf eine entsprechend positive Einstellung gegenüber dem aktuellen totalitären Regime in Russland abstrahlt. Darin treffen sich linkspopulistische wiederum mit rechtspopulistischen Bewegungen, die ohnehin einen starken Hang zum Führerkult haben.
Dass sich Links- und Rechtspopulismus näher sind, als es zunächst den Anschein hat, zeigt sich auch bei einem Blick auf die populistischen Parteien in Europa. So gilt das im Januar 2024 gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht zwar als linkspopulistisch, zündelt mit dem Eintreten für eine Begrenzung der Zuwanderung aber auch in der fremdenfeindlichen Ecke.