Paul Verlaine im Spiegel seiner Gedichte - Dieter Hoffmann - E-Book

Paul Verlaine im Spiegel seiner Gedichte E-Book

Dieter Hoffmann

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Beschreibung

Das vorliegende Buch gibt, ausgehend von ausgewählten Gedichten Paul Verlaines, einen Überblick über zentrale Aspekte von Leben und Werk des Dichters. Jedes Kapitel beginnt mit einer Nachdichtung von Ilona Lay. Auf dieser Grundlage wird dann jeweils der Blick auf Elemente von Verlaines Poetologie und auf für seine Dichtung wichtige Etappen seines Lebens¬wegs gelenkt.

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Dieter Hoffmann / Ilona Lay

 

 

Paul Verlaine im Spiegel seiner Gedichte

Ein Blick auf Leben und Werk des Dichters

Mit Nachdichtungen von Ilona Lay

 

 

 

 

 

 

 

Literaturplanet

Impressum

 

 

© Verlag LiteraturPlanet, 2024

Im Borresch 14

66606 St. Wendel

 

 

http://www.literaturplanet.de

 

 

Über dieses Buch: Das Leben des französischen Dichters Paul Verlaine (1844 – 1896) war geprägt von innerer Zerrissenheit und der vergeblichen Suche nach einem Platz im Leben. Dies spiegelt sich auch in seinen Gedichten wider. Ihr Klang strahlt jedoch eben jene Harmonie aus, die dem Dichter im Alltag versagt blieb.

 

Über Ilona Lay: Ilona Lay lebt so zurückgezogen, wie es der Titel ihres ersten, 2008 erschienenen Gedichtbandes (Versunken) vermuten lässt. Nachdem sie sich in der Frühphase ihres Schaffens an klassischen Formen orientiert hat, ist sie in ihren neueren Werken stärker zu freirhythmischen Dichtungsformen übergewechselt. Dies zeigte sich schon bei ihren "Meditationen über das Glück" (erschienen 2021 unter dem Titel Oktober in den Bergen). Auch die Texte ihrer 2023 veröffentlichten "Meditationen über die dunkle Seite des Lebens" (Gesichter des Todes) zeichnen sich hierdurch aus.

 

Informationen zu Dieter Hoffmann finden sich auf seinem Blog (rotherbaron.com) und auf Wikipedia.

 

Cover-Bild: Frédéric Bazille (1841 – 1870): Porträt von Paul Verlaine; Zürich, Galerie Chichio Haller (Wikimedia commons)

Vorwort

 

Zu diesem Buch

 

Das vorliegende Buch gibt, ausgehend von ausgewählten Gedichten Paul Verlaines, einen Überblick über zentrale Aspekte von Leben und Werk des Dichters. Jedes Kapitel beginnt mit einer Nachdichtung von Ilona Lay. Auf dieser Grundlage wird dann jeweils der Blick auf Elemente von Verlaines Poetologie und auf für seine Dichtung wichtige Etappen seines Lebenswegs gelenkt.

 

Zu den Nachdichtungen

 

Dass Gedichte im Grunde unübersetzbar sind, ist schon oft angemerkt worden. Schließlich geht es in diesem Fall ja nicht darum, den konkreten Sinn der Worte in eine andere Sprache zu übertragen – was sich ebenfalls oft genug als problematisch erweist.

Durch das Jonglieren mit den Wortbedeutungen und das Zusammenspiel von Worten, Rhythmus und Reim entfaltet ein lyrisches Werk oft ein ganzes Geflecht von Assoziationen, das sich in einer fremden Sprache kaum adäquat wiedergeben lässt. Dies gilt in besonderem Maße für eine Dichtung wie die Paul Verlaines, die explizit von der konkreten Bedeutungsebene der Worte abstrahiert, um über deren Zusammenklingen einen neuen Bedeutungsraum zu eröffnen.

Entscheidend ist in diesem Fall daher nicht die wort- oder auch nur bildgetreue Übertragung der Verse, sondern vielmehr eine Annäherung an die Stimmung, die das jeweilige Gedicht evoziert. Angestrebt wird also jeweils keine klassische Übersetzung, sondern eine "Ein-stimmung" in die Gestimmtheit eines fremden Ichs, ausgedrückt in einer anderen Sprache.

Die Fremdheit der Welt. Paul Verlaines Kaspar-Hauser-Dichtung

 

In seinem Kaspar-Hauser-Gedicht spiegelt Verlaine im Schicksal des berühmten Findelkindes seine eigene innere Zerrissenheit und das Gefühl, keinen Platz zu haben auf dieser Welt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Władysław Ślewiński (1856 – 1918): Waisenkind

Warschau, Nationalmuseum (Wikimedia commons)

 

Gaspard Hauser chante (Kaspar Hauser singt)

 

Ein stummes Waisenkind, erhellt

nur von dem Leuchten meines stillen Blicks,

so kam ich in der Städte fremde Welt.

Doch niemand las die stumme Schrift meines Geschicks.

 

Zum Mann gereift, das Herz erfasst

von unbestimmtem Liebesflehen,

zog es mich zu der Frauen duftendem Palast.

Doch keine wollt' den Glanz in meinen Augen sehen.

 

Ohne Heimat, ohne König, ohne Mut,

beschloss ich, mich dem Tod zu weihen,

und sprang mitten in des Krieges Glut.

Doch auch dieser wollt' mich nicht befreien.

 

Bin nur Treibgut ich im Meer der Zeit?

Wo findet meine Seele einen Hafen?

Welches Gebet versöhnt dies stumme Leid,

dies Herz, das früh die Pfeile der Verzweiflung trafen?

 

Paul Verlaine: Gaspard Hauser chante

aus: Sagesse (Weisheit; 1880)

Oeuvres complètes (Sämtliche Werke), Bd. 1, S. 269 f.

Paris 1902: Vanier

Paul Verlaine: ein gewalttätiger Feingeist

 

Paul Verlaine (1844 – 1896) persönlich kennenzulernen, wäre wahrscheinlich nicht sehr reizvoll gewesen. Nach allem, was wir über ihn wissen, war er ein äußerst launischer, impulsiver Mensch, der immer wieder bis zum Exzess soff und unter Alkoholeinfluss zudem ausgesprochen gewalttätig wurde.

Seine Gedichte freilich sprechen eine andere Sprache. Sie zeichnen das Bild einer sensiblen, zerbrechlichen Seele, eines Menschen, der sich nichts sehnlicher wünscht, als mit sich selbst und seiner Umwelt im Einklang  zu  leben.

Ein Leben in Widersprüchen … Vielleicht lässt sich der Riss, der sich durch Verlaines Leben zog, dieses unverbundene Nebeneinander von rohem Alltagsleben und feinfühliger Dichtung, am besten unter Zuhilfenahme der Psychoanalyse erklären.

 

Ein psychoanalytischer Blick auf Verlaine

 

Verlaine litt in seiner Kindheit unter einem autoritären Vater, der als Offizier alles daransetzte, seinen Sohn in das Korsett eines bürgerlichen Lebens zu zwängen. Wohl als eine Art Schutzreflex hiergegen entwickelte Verlaine eine sehr enge Beziehung zu seiner Mutter.

Dies erschwerte es ihm später, seine Libido anderen Frauen zuzuwenden: Verlaine hatte offensichtlich homosexuelle Neigungen. Ein Beleg dafür ist nicht nur seine leidenschaftliche Dichterfreundschaft mit Arthur Rimbaud, sondern auch die spätere Beziehung zu Lucien Létinois, einem Schüler, den Verlaine als Lehrer an einer englischen Schule kennengelernt hatte.

Heutzutage wäre eine solche homoerotische Neigung nicht weiter problematisch. Zu Verlaines Zeiten war es – zumal mit dem internalisierten Über-Ich eines pflichtversessenen Vaters – hingegen kaum möglich, sich hierzu zu bekennen. So gelang es Verlaine nicht, sich selbst als denjenigen anzunehmen, der er war.

 

Gebrochenes Verhältnis zur eigenen Homosexualität

 

Anstatt Halt in einer stabilen homoerotischen Beziehung zu suchen, bemühte Verlaine sich daher, den Anschein eines bürgerlichen Lebens aufrechtzuerhalten. Er ging sogar eine Ehe ein – bezeichnenderweise mit einer Frau, die noch ein Kind war, als er sie kennenlernte, also wohl eher geschwisterliche Gefühle in ihm geweckt haben dürfte (was ihn allerdings nicht daran hinderte, einen Sohn mit ihr zu zeugen).

Da er sich selbst und seine Homosexualität ablehnte, ja sich noch nicht einmal bewusst eingestehen konnte, die gleichgeschlechtliche Liebe zu bevorzugen, nahm Verlaine das, was er an sich selbst zurückwies, als Projektion auf anderen wahr. Anstatt sich mit sich selbst auseinanderzusetzen, attackierte er all jene, in denen sich sein innerer Zwiespalt widerspiegelte: Er schlug seine Frau, schoss im Streit auf Rimbaud und griff seine Mutter tätlich an.

Für die Schüsse auf Rimbaud wurde Verlaine zu einer mehrmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt. Die in diesem Zusammenhang entstandenen Gedichte fasste Verlaine 1880 in dem Band Sagesse (Weisheit) zusammen. Darunter befinden sich auch die Kaspar Hauser in den Mund gelegten Verse.

 

Kaspar Hauser als Spiegelbild Verlaines

 

Für Verlaine war die Geschichte des Jugendlichen, der nach einem Leben in der Dunkelheit eines Kellerverlieses mit 16 Jahren in die Zivilisation hinausgeworfen wurde, wie ein Spiegelbild seines eigenen Lebens. Sie diente ihm dazu, den seiner Existenz zugrunde liegenden inneren Konflikt dichterisch darzustellen – den Konflikt eines Menschen, der in seiner inneren Zerrissenheit nicht weiß, wo sein Platz ist auf der Welt.

Auf der anderen Seite könnte Verlaine in dem von aller Zivilisation und Kultur unberührten Knaben aber auch ein Bild für den geistigen Neuanfang gesehen haben, den er sich während seiner Haftzeit erträumte. Wie der "Reichtum" des Waisenknaben aus nichts als dem reinen, unverbildeten Staunen seiner "stillen Augen" besteht, sehnte auch er sich wohl danach, sich selbst und die Welt noch einmal mit neuen Augen zu sehen.

 

Innere Dissonanz, äußerer Wohlklang

 

Verlaines Kaspar-Hauser-Gedicht steht damit sinnbildlich für sein Gefühl, wie ein Fremder durch das eigene Leben zu irren. Die Dissonanz zwischen dem eigenen, unvollkommenen Leben und der Utopie eines vollständig mit sich selbst im Einklang befindlichen Lebens spiegelt sich dabei auch auf der Ebene des Gedichts wider – nämlich in dem Kontrast zwischen der dissonanten inhaltlichen Ebene und der auf Harmonie und formale Vollkommenheit abzielenden formalen Gestaltung der Verse.

Hieran setzt auch die Vertonung des Gedichts durch Georges Moustaki an. Die "melodische Melancholie", die das Chanson grundiert, hat, wie der Wohlklang der Verse Verlaines, eine tröstende Wirkung.

---ENDE DER LESEPROBE---