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Im ausgehenden 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat die italienische Lyrik eine außergewöhnliche Blütezeit erlebt. Hierzu vermittelt der vorliegende Band in zehn Kapiteln exemplarische Einblicke. Auf Nachdichtungen einzelner Gedichte folgen jeweils literaturhistorische Einordnungen und Deutungen vor dem Hintergrund von Leben und Werk der betreffenden Lyrikerinnen und Lyriker.
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Dieter Hoffmann
Italienische Lyrik 1885 – 1950
Giosuè Carducci – Giovanni Pascoli – Ada Negri – Eugenio Montale – Giuseppe Ungaretti – Salvatore Quasimodo – Mario Luzi – Antonia Pozzi – Cesare Pavese – Elsa Morante
Literaturplanet
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Über dieses Buch: Im ausgehenden 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat die italienische Lyrik eine außergewöhnliche Blütezeit erlebt. Hierzu vermittelt der vorliegende Band in zehn Kapiteln exemplarische Einblicke. Auf Nachdichtungen einzelner Gedichte folgen jeweils literaturhistorische Einordnungen und Deutungen vor dem Hintergrund von Leben und Werk der betreffenden Lyrikerinnen und Lyriker.
Informationen über den Autor finden sich auf Wikipediaund auf seinem Blog rotherbaron. Auf LiteraturPlanet sind zu den meisten Kapiteln gekürzte Hörfassungen abrufbar.
Cover-Bild: Georgios Margaritis (1814 – 1884): Euterpe (die Muse der lyrischen Dichtung); Wikimedia commons
Die italienische Lyrik hat im ausgehenden 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine außergewöhnliche Blütezeit erlebt. Dies spiegelt sich auch darin wider, dass mit Giosuè Carducci, Salvatore Quasimodo und Eugenio Montale drei der in diesem Zeitraum aktiven Dichter den Literaturnobelpreis erhalten haben und weitere italienische Lyriker lange als Kandidaten für die Zuerkennung des Preises galten.
Vor diesem Hintergrund wirft die vorliegende Studie in zehn Kapiteln Schlaglichter auf die italienische Lyrik des genannten Zeitraums. Ausgehend von exemplarischen Gedichten wird das Werk der betreffenden Lyrikerinnen und Lyriker unter Berücksichtigung biographischer, poetologischer und zeithistorischer Aspekte beleuchtet.
Die Auswahl ist natürlich nicht willkürlich getroffen. Die jeweiligen literarischen Persönlichkeiten haben mit ihren poetischen und poetologischen Ansätzen die italienische Lyrik entscheidend geprägt. Auf diese Weise kann die Studie zugleich einen Einblick in literaturhistorische Entwicklungstendenzen vermitteln.
Ein Einblick ist allerdings kein Überblick. In einem solchen dürften Autoren wie Gabriele D'Annunzio (1863 – 1938) und Filippo Tommaso Marinetti (1876 – 1944), von deren Schaffen die italienische Literatur in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ebenfalls maßgeblich beeinflusst worden ist, natürlich nicht fehlen. Auf beide wird hier jedoch aufgrund ihrer Nähe zum italienischen Faschismus verzichtet.
Gabriele D'Annunzio zählte 1914 zu den wichtigsten Unterstützern der Interventionisten, die einen Kriegseintritt Italiens befürworteten, weil sie sich davon Vorteile für ihr Land versprachen. Dabei beschränkte er sich nicht auf eine Rolle im Hintergrund, sondern setzte sich in glühenden Reden für die Kriegsteilnahme ein.
Während des Krieges, an dem D'Annunzio sich auch selbst beteiligte, verfasste er die Canti della guerra latina, in denen er in pathetischen Versen die Liebe zum Vaterland, den Ruhm der gefallenen Soldaten oder auch die einende Hand des Königs besang [1].
Nach Kriegsende verurteilte D'Annunzio den aus seiner Sicht Italien gegenüber ungerechten Ausgang der Friedensverhandlungen mit dem Schlagwort der "vittoria mutilata", des "verstümmelten Sieges". Es blieb allerdings nicht bei Unmutsäußerungen. Stattdessen besetzte D'Annunzio mit ein paar Getreuen die an der Adria gelegene Stadt Fiume, das heute kroatische Rijeka, und errichtete dort eine operettenhafte Herrschaft, die mit Führerkult, Massenaufmärschen und einer an antiken Vorbildern angelehnten Symbolik eine Art Blaupause für das spätere Mussolini-Regime lieferte.
Auch Filippo Tommaso Marinetti war in mancherlei Hinsicht ein geistiger Wegbereiter des Faschismus.
Dass sein 1909 erschienenes Futuristisches Manifest "die vibrierende nächtliche Glut der Arsenale und Werften, die von gewaltigen elektrischen Monden erleuchtet werden", feiert, dass es "die Brücken, die wie gigantische Turner die Flüsse überspannen", besingt und die nimmersatten "Bahnhöfe, die rauchende Schlangen verschlingen" [2], lässt sich noch als übersteigerter Ausdruck der Technik- und Fortschrittsgläubigkeit der Zeit verstehen. Hieraus sind durchaus künstlerische Ansätze hervorgegangen, die sich später auch über den Futurismus hinaus als produktiv erwiesen haben.
Marinetti verbindet jedoch seine Feier der das Alte überwölbenden und verdrängenden Technik mit einer Verinnerlichung der dieser innewohnenden Kraft. Hieraus ergibt sich für ihn eine offene Befürwortung von Gewalt und Aggression. Sie fußt auf einem Bild von Männlichkeit, das diese mit kompromissloser Härte assoziiert und alles Weibliche als Ausdruck einer unnötigen Empathie und Fürsorglichkeit und damit als auf dem Weg in die glorreiche Zukunft hinderliche Schwäche ablehnt:
"Wir wollen den Krieg verherrlichen – die einzige Hygiene der Welt –, den Militarismus, den Patriotismus, die zerstörerische Geste der Libertären, die schönen Ideen, für die man stirbt, und die Verachtung der Frau."[3]
Diese Haltung möchte Marinetti auch in der Kunst zum Ausdruck bringen:
"Es gibt keine Schönheit außer im Kampf. Ein Werk, das keinen aggressiven Charakter hat, kann kein Meisterwerk sein." [4]
Marinetti wollte seine Überzeugungen allerdings keineswegs nur im künstlerischen Bereich wirksam werden lassen. Als überzeugter Vertreter der den Kriegseintritt Italiens propagierenden Interventionisten stand er bereits 1914 an der Seite Mussolinis. Später wollte er seine Ansichten durch die Gründung einer Futuristischen Partei in praktische Politik umsetzen. Das Programm dieser politischen Gruppierung wies eine solche Nähe zum Faschismus auf, dass Mussolini sie 1919 nahtlos in seine eigene Partei integrieren konnte.
Dass D'Annunzio und Marinetti nicht zu zentralen Protagonisten des faschistischen Italiens wurden, liegt in erster Linie an ihrem übergroßen Ego. Beide wären am liebsten selbst Duce geworden und krittelten deshalb aus gekränkter Eitelkeit an Mussolini herum. Dabei waren sie allerdings opportunistisch genug, sich im Palast des faschistischen Staates häuslich einzurichten, nachdem dieser einmal errichtet worden war.
D'Annunzio ließ es sich gefallen, im faschistischen Italien als Nationaldichter verehrt und entsprechend alimentiert zu werden. Er lebte in einer noblen Villa am Gardasee, wurde vom König geadelt und feierte den faschistischen Imperialismus als Ausdruck der Stärke des italienischen Volkes.
Marinetti hatte, nachdem Mussolini ihn ins zweite Glied verwiesen hatte, zunächst auf öffentlicher Bühne einen theatralischen Bruch mit dem Faschismus vollzogen. Kurz darauf, als Mussolinis Macht sich etabliert hatte, ging er jedoch wieder auf diesen zu und sicherte sich auf diese Weise eine führende Rolle in der italienischen Kulturpolitik jener Jahre.
Die nationalistische, gewaltverherrlichende Ideologie Marinettis konnte so zu einer zweiten Säule der offiziellen Kunstdoktrin des faschistischen Italiens werden. Während Marinettis futuristische Kunst den Krieg als Ausdruck des dynamisch vorwärtsstrebenden modernen Menschen propagierte, lieferte die rückwärtsgewandte Stilrichtung des Novecento die geistige Legitimation dafür, indem sie Italien als Geburtsland der in der Renaissance begründeten neuen Weltordnung feierte.
Das Absehen von Dichtern mit einer allzu großen Nähe zum Faschismus bedeutet allerdings nicht, dass dieser für die hier versammelten Gedichte keine Rolle spielen würde.
Wer auch immer in Italien in den zwei Jahrzehnten der faschistischen Herrschaft – dem so genannten "Ventennio fascista" – literarisch aktiv sein wollte, musste sich in irgendeiner Weise gegenüber dem Faschismus verhalten. Dies galt erst recht, wenn die entstandenen Werke auch veröffentlicht werden sollten.
Das Spektrum der Reaktionen reicht dabei in der literarischen Szene – wie in der italienischen Gesellschaft im Allgemeinen – von offener Unterstützung des Faschismus über Mitläufertum, stillschweigende Duldung und innere Emigration bis hin zur aktiven Mitarbeit in der Resistenza, dem Widerstandskampf gegen den Staat Mussolinis und die spätere deutsche Besatzung. Dies spiegelt sich auch in den Gedichten dieses Bandes wieder.
Eine besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem "ermetismo" zu. Dabei sollte man sich über zweierlei im Klaren sein:
1. Der italienische ermetismo ist nicht deckungsgleich mit der hermetischen Dichtung in anderen Ländern.
2. Der ermetismo ist keine einheitliche Bewegung. Er vereinigt in sich ein Spektrum von Umgangsweisen mit dem Faschismus, das fast so vielfältig ist wie in der italienischen Literatur der Zeit im Allgemeinen.
Der Hermetismus des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts war – wie etwa im Werk Stéphane Mallarmés – vorwiegend sprachskeptischer Natur. Hier ging es darum, der im Alltag abgenutzten Sprache eine unverbrauchte sprachliche Welt gegenüberzustellen, die einen neuen Zugang zur Welt eröffnet.
In Deutschland war die hermetische Lyrik der Nachkriegszeit eine Reaktion auf die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs, insbesondere den Holocaust. Die sprachliche Grenzziehung bezog sich hier – wie etwa in der Dichtung Paul Celans – auf die Bemühung, durch eine Erneuerung der Sprache eine Lyrik jenseits von Auschwitz zu ermöglichen.
In Italien erscheint der Hermetismus dagegen als Versuch, sich unabhängig von der faschistischen Staatsmacht literarisch zu betätigen. "Unabhängig" ist dabei allerdings nicht gleichbedeutend mit "oppositionell". So stand etwa Giuseppe Ungaretti dem Faschismus positiv gegenüber, obwohl seine zum Enigmatischen tendierende Lyrik alles andere als deckungsgleich war mit der offiziellen Kunstauffassung.
Demgegenüber verband der Florentiner Hermetismus, für den etwa Mario Luzi steht, mit hermetischen Schreibweisen den Gedanken einer Grenzziehung gegenüber der propagandistischen Sprache des Regimes. Dem ermetismo kam daher hier eine kathartische Funktion zu.
In anderen Fällen – wie etwa bei Eugenio Montale – markierten die hermetischen Schreibweisen eine bewusste Abkehr vom Alltag in der faschistischen Gesellschaft. Die Dichtung hatte daher hier auch eskapistische Tendenzen. Dies mag mit ein Grund dafür sein, warum ein Dichter wie Salvatore Quasimodo sich später vom ermetismo abgewandt und engagierteren Formen von Dichtung zugewandt hat.
Jede Sprache hat ihre eigene Logik. In jeder Sprache hat das dichte Geflecht von Assoziationen, das die einzelnen Begriffe miteinander verknüpft, eine andere Struktur.
Dies macht jede Übersetzung zu einem Abenteuer. Außersprachliche Dinge, für die es in einer Sprache nur eine einzige Bezeichnung gibt, können in einer anderen Sprache mit einem differenzierenden Mosaik unterschiedlicher Begriffe bezeichnet werden. Scheinbar eindeutige Übersetzungen rufen in einer anderen Sprache Assoziationen hervor, die nur diejenigen verstehen, die in dieser Sprache zu Hause sind. Neutral wirkende Worte können in einer anderen Sprache eine pejorative oder emphatische Konnotation aufweisen.
Schließlich unterscheiden sich auch die Klangfarben der für außersprachliche Gegebenheiten gewählten Bezeichnungen in den jeweiligen Sprachen voneinander. Dadurch differieren auch die unmittelbaren emotionalen Wirkungen der jeweiligen Begriffe und deren Kombinationsmöglichkeiten mit anderen Worten.
Die sich aus alledem für eine Übersetzung ergebenden Fallstricke gelten in besonderem Maße für den Bereich der Dichtung. Denn hier kommt zu der allgemeinen Fremdartigkeit des anders strukturierten sprachlichen Kosmos noch die Tatsache hinzu, dass mit der Sprache gespielt wird. Die vorgegebenen Strukturen werden in der Dichtung eben nicht einfach als solche hingenommen und reproduziert, sondern so umgestaltet, dass mit den veränderten sprachlichen Strukturen auch eine neuartige Sicht der Wirklichkeit und ihrer dichterischen Wahrnehmung ermöglicht wird.
Im Falle einer hermetischen Dichtung, die sich bewusst von der Alltagssprache und -wahrnehmung abgrenzt, verstärken sich diese Tendenzen noch einmal. Bei einer Übertragung in eine andere Sprache ist eine wortgetreue Wiedergabe des Originaltextes daher noch weniger möglich und sinnvoll als in anderen Fällen.
So ist jede Nachdichtung hier in gewisser Weise eine Neudichtung – eine Neudichtung freilich, die das Ziel hat, die Eigenart des jeweiligen dichterischen Ausdrucks und der zugrundeliegenden Gedanken- und Gefühlskomplexe in einer anderen Sprache wiederzugeben.
So gesehen, ist eine Nachdichtung eben doch auch eine Übersetzung. Nur folgt diese der dichterischen Logik, für die andere Gesetze gelten als für den Bereich der Alltagssprache.
Nachweise
[1] D'Annunzio, Gabriele: Canti della guerra latina (1914 – 1918). Rom 1939: Il vittoriale degli italiani (in Buchform zuerst Verona 1933: Mondadori).
[2] Marinetti, Filippo Tommaso: Il manifesto del futurismo (1909). In: Ders. u.a.: I manifesti del futurismo, S. 3 – 10 (hier S. 7: Punkt 11). Florenz 1914: Lacerba
[3] Ebd., S. 6, Punkt 9.
[4] Ebd., Punkt 7.
Das Frühwerk Giosuè Carduccis (1835 – 1907) zeichnet sich durch eine engagierte, sozial- und kirchenkritische Haltung aus. In seinen späteren Jahren schlug er jedoch leisere, naturlyrische Töne an – wovon auch sein Gedicht San Martino zeugt.
Henri Duhem (1860 – 1941): Rückkehr des Hirten (spätes 19. Jahrhundert) Douai/Nordfrankreich, Musée de la Chartreuse (Kartäusermuseum)
R. Borghi: Giosuè Carducci (um 1870)
Wikimedia commons
Über die wogenden Hügel
streut der Nebel seine feuchten Funken.
Schäumend bäumt sich das Meer
unter der Peitsche des Mistrals.
Lockend lacht durch das Dorf
der bittere Geruch des Weines,
rauschhaftes Vergessen säend
in den ankerlosen Seelen.
Pfeifend legt auf die Scheite
der Jäger das blutende Wild.
Knisternd funkelt das Fleisch
im Dornenbusch des Feuers.
Durch den Rosensee der Wolken
ziehen schwarze Rabenschwärme,
flüchtige Gedankenflotten
auf dem Geistermeer des Abends
Giosuè Carducci: San Martino (1883)
aus: Rime nuove (1887).
Das Gedicht San Martino ist ein Beispiel für die Naturpoesie des späteren Carducci. Es trug ursprünglich den Titel Autonno (Herbst), was vielleicht auch besser zu der allgemeinen Beschwörung einer herbstlichen Stimmung passt. Der neue Titel dient wohl vor allem dazu, stärker auf den Spätherbst hinzudeuten – der Namenstag von Sankt Martin ist der 11. November.
Carduccis Verse beschwören den herbstlichen Raubzug der Vergänglichkeit durch eine Reihe von Gegensatzpaaren. Dem Rosensee der Wolken – als letztem Nachhall des Lebens – werden die todestrunkenen Gedanken des Winters gegenübergestellt. Ebenso werden das Leichentuch des Nebels und das heulende Meer werden mit den Gaben des Herbstes kontrastiert – dem Wein und dem vom Jäger geschossene Wild.
In beiden Fällen sind die Geschenke allerdings janusköpfiger Natur, deuten sie doch entweder direkt – durch das getötete Tier – oder indirekt – durch den abgeschlossenen Lebensyzklus des Weines – auf die Vergänglichkeit hin.