Demokratie auf dem Prüfstand - Dieter Hoffmann - E-Book

Demokratie auf dem Prüfstand E-Book

Dieter Hoffmann

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Beschreibung

Wenn wir unsere Demokratie mit den Autokratien unterschiedlicher Couleur vergleichen, scheinen wir auf einer Insel der Seligen zu leben. Bei einem Vergleich mit dem Idealbild einer vollkommenen Demokratie fallen aber doch einige Mängel auf. Wie wäre es also einmal mit einer umfassenden Inventur, als Fundament für eine noch demokratischere Demokratie?

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Dieter Hoffmann:

 

 

Demokratie auf dem Prüfstand

Wo unsere Demokratie undemokratisch ist

und wie wir sie demokratischer machen können

 

 

 

 

 

 

 

Literaturplanet

Impressum

 

 

© LiteraturPlanet, 2024

Im Borresch 14

66606 St. Wendel

 

 

http://www.literaturplanet.de

 

 

Über dieses Buch:

Wenn wir unsere Demokratie mit den Autokratien unterschiedlicher Couleur vergleichen, scheinen wir auf einer Insel der Seligen zu leben. Bei einem Vergleich mit dem Idealbild einer vollkommenen Demokratie fallen aber doch einige Mängel auf. Wie wäre es also einmal mit einer umfassenden Inventur, als Fundament für eine noch demokratischere Demokratie?

 

Informationen über den Autor finden sich auf seinem Blog (rotherbaron.com) und auf Wikipedia.

 

Cover-Bild: Steve Bidmead: Frau mit Waage (Pixabay)

Einführung

 

"L'État, c'est moi" – der Staat bin ich! Das war die Parole, unter der Ludwig XIV. Frankreich bis 1715 regierte. Vielleicht war diese absolutistische Überhöhung royaler Machtausübung gerade der Stachel, der die großen französischen Aufklärer dazu anregte, ihre Reformmodelle für einen Staat, in dem alle Macht vom Volk ausgeht, zu entwickeln.

Dennoch ist es im Rückblick erstaunlich, dass sie die Kraft für die Ausformulierung ihrer Staatstheorien gefunden haben. Denn hierfür brauchten sie ja nicht nur ein gehöriges Maß an visionärer Phantasie, sondern auch den Glauben, dass die unüberwindbar scheinende Herrschaftsmauer ihrer Zeit irgendwann doch eingerissen werden könnte.

Ich hebe dies deshalb hervor, weil es heute kaum denkbar erscheint, Utopien für ein verändertes, demokratischeres Staatswesen zu entwickeln und dann auch noch daran zu glauben, dass diese Utopien eines Tages Wirklichkeit werden könnten. Dabei müsste es theoretisch doch gerade umgekehrt sein. Wir leben in einem demokratischen Rechtsstaat, der uns Meinungsfreiheit garantiert und uns folglich auch dazu ermutigen sollte, Ideen zu entwickeln, die seine Grundidee einer vom Volk ausgehenden Herrschaft verbessern könnten.

Vielleicht ist aber auch exakt das Gegenteil der Fall: Die verfassungsmäßige Demokratie, in der wir leben, hindert uns daran, entdemokratisierend wirkende Strukturen zu erkennen und Utopien für deren Überwindung zu entwickeln.

Womöglich ist gerade die fehlende Repression, der stete Verweis auf die demokratische Hülle unseres Staatswesens, der Grund dafür, dass das staatsutopische Denken heute weniger ausgeprägt ist als zur Zeit des Absolutismus. Die gegebene staatliche Realität wird als die beste aller möglichen hingestellt, was den Gedanken an radikale Veränderungen im Keim erstickt. In der Folge verfestigen die gegebenen Verhältnisse sich immer weiter, so dass der Glaube an die Möglichkeit von Strukturreformen immer mehr abnimmt.

Dessen ungeachtet – bzw. gerade deshalb – sollte immer wieder klargestellt werden: Wir leben zwar in einem demokratischen Staat, der uns etliche Freiheiten bietet, auf die Menschen in autoritären Regimen verzichten müssen. Dennoch gibt es in unserem Staatswesen eine Reihe von Mängeln, die nur durch radikale Umstrukturierungen zu beheben wären. Der Analyse dieser Mängel und der Diskussion von Wegen zu ihrer Überwindung soll die hier vorgelegte Checkliste dienen.

Strukturelle Mängel der deutschen Demokratie

 

 

 

 

Alexander Gresbek: Reichstag (Pixabay)

 

Unvollständige Gewaltenteilung

 

Verflechtungen zwischen Exekutive und Judikative

 

Die Gewaltenteilung war das zentrale Element in den Demokratiemodellen der Aufklärung. Denn nur mit ihr konnte verhindert werden, dass sich ein Teil der staatlichen Entscheidungsinstanzen auf Kosten der anderen verabsolutiert und so eine neue Form autokratischer Herrschaft etabliert.

Die Verteilung der Machtbefugnisse auf verschiedene, voneinander unabhängige Akteure und Bereiche sollte ein System gegenseitiger Kontrolle ermöglichen, ein Gleichgewicht der Kräfte, in dem jede unzulässige Machtanmaßung sofort von einem anderen demokratischen Entscheidungsgremium zurückgewiesen wird.

Nun sind Exekutive, Legislative und Judikative in Deutschland formal zweifellos voneinander getrennt. Es gibt eine Regierung, ein aus zwei Kammern bestehendes Parlament und ein breit gefächertes System von Gerichten. Allerdings existieren de facto zahlreiche Überschneidungen zwischen den einzelnen Bereichen.

So sind die Bundesrichter zwar in ihren Entscheidungen nicht von der Politik abhängig. Da sie jedoch von einem Richterwahlausschuss ernannt werden, der sich aus den Justizministern der Länder und 16 Bundestagsabgeordneten zusammensetzt, kann die Politik durch eine entsprechende Personalauswahl zumindest auf die Entscheidungstendenzen Einfluss nehmen.

Dies gilt auch für die Richter am für die Gewaltenteilung besonders wichtigen Bundesverfassungsgericht, die je zur Hälfte von Bundestag und Bundesrat mit Zweidrittelmehrheit gewählt werden. Insbesondere die gängige Praxis, das Vorschlagsrecht für die zu besetzenden Richterposten gemäß den jeweiligen Mehrheitsverhältnissen unter den Parteien aufzuteilen und so die Rechtsprechung gemäß deren Interessen zu beeinflussen, widerspricht dabei dem Geist der Verfassung.

Ein Gespür hierfür existiert bei den großen deutschen Parteien offensichtlich nicht. Eher ist das Gegenteil der Fall. So soll die aktuelle Gesetzesnovelle zum Bundesverfassungsgericht die politische Einflussnahme gerade im Grundgesetz verankern, anstatt Exekutive und Judikative sauberer voneinander zu trennen. Das Vorhaben, das bisherige Procedere bei der Richterwahl in der Verfassung festzuschreiben, so dass künftige Änderungen nur noch mit einer Zweidrittelmehrheit möglich sind, soll lediglich den Einfluss kleinerer Parteien bei der Besetzung der Richterstellen begrenzen.

 

Verflechtungen zwischen Exekutive und Legislative

 

Auch zwischen Exekutive und Legislative gibt es enge Verbindungen. Das Bindeglied sind auch hier die Parteien, die mit ihren Parlamentsmehrheiten sowohl die Zusammensetzung der Regierung als auch den Gesetzgebungsprozess bestimmen. De facto besorgt sich damit die Exekutive die nötigen Mehrheiten bei dem für die Legislative zuständigen Organ. Beide sind damit so eng miteinander verflochten, dass von einer echten Gewaltenteilung keine Rede sein kann.

In Deutschland hat die unsaubere Trennung der demokratischen Entscheidungsinstanzen fraglos noch nicht zu autoritären Verhältnissen geführt. Die Tatsache, dass die Parteien in allen drei Bereichen über entscheidenden Einfluss verfügen, hat jedoch immer wieder ein Agieren in einem verfassungsrechtlichen Graubereich zur Folge.

Außerdem ist auch Deutschland nicht frei von populistischen und autokratischen Tendenzen. So sind auch hier Entwicklungen denkbar, die in anderen Ländern bereits zu beobachten sind. Dort hatten populistische Führer keine Bedenken, die lückenhafte Gewaltenteilung für die Etablierung autoritärer Herrschaftsstrukturen zu nutzen.

 

Nötige Reformen für eine konsequente Gewaltenteilung

 

Im Interesse einer funktionierenden Demokratie sollte jeder Anschein von politischer Einflussnahme auf die Justiz vermieden werden. Bundesrichter sollten deshalb von einem eigenen juristischen Berufungsgremium auf ihre Posten berufen werden.

Diesem Gremium können Fachleute aus den jeweiligen Gebieten sowie aus dem Dienst ausgeschiedene Bundesrichter angehören. Um Interessenkollisionen und Kungeleien zu vermeiden, dürften Mitglieder des Gremiums sich weder während noch nach ihrer Mitwirkung in demselben um eine Bundesrichterstelle bewerben. Die Mitgliedschaft sollte auf vier Jahre, mit einer Möglichkeit der Verlängerung auf acht Jahre, begrenzt sein.

Im Bereich von Legislative und Exekutive könnte die verstärkte Einbindung nicht im Parlament vertretener Fachleute in die Entscheidungsprozesse ein Baustein für die bessere Trennung der beiden demokratischen Gewalten sein. Die Fachleute müssten dabei allerdings durch entsprechende Expertengremien entsandt werden und dürften keinesfalls die Interessen einzelner Lobbygruppen verfolgen.

 

 

Mittelalterlicher Föderalismus

 

Historische Hintergründe des deutschen Föderalismus

 

Die Ursprünge des deutschen Föderalismus reichen bis ins frühe Mittelalter zurück – bis in die Zeit der "Reisekaiser", die über ihr Reich nicht von einem festen Regierungssitz aus herrschten, sondern es über ein Netz von Pfalzen verwalteten. Während die Kaiser in diesen Pfalzen nur von Zeit zu Zeit nach dem Rechten sahen (und dort auch Recht sprachen), wurden ihre Residenzen dauerhaft von einem Pfalzgrafen bewohnt und bewacht, der auf diese Weise allmählich einen regionalen Herrschaftsanspruch etablieren konnte.

Eine dezentralisierende Wirkung hatte auch das Lehnswesen, bei dem der König als oberster Lehnsherr ausgewählten Gefolgsleuten Land zur Nutzung überließ ("zu Lehen gab") und dafür gewisse Treue- und Dienstpflichten einforderte. Auch hierauf ließ sich eine eigene Machtbasis aufbauen, die den Hoheitsanspruch des Königs mit der Zeit zurückdrängte.

Im späten Mittelalter waren so eine Reihe von Territorialherrschaften entstanden. Ihre Macht demonstrierten die Regionalherrscher eindrucksvoll in der Goldenen Bulle, der Reichsverfassung von 1356. Darin musste Kaiser Karl IV. den Kurfürsten neben dem Königswahlrecht auch umfassende Hoheitsrechte (u.a. eigene Gerichtsbarkeit, Zoll- und Münzrecht) zugestehen.

Nun gab es das Phänomen der Reisekönige und das Lehnswesen auch in anderen mittelalterlichen Reichen. Die Macht der Regionalherrscher hat sich jedoch kaum irgendwo so stark erhalten wie in Deutschland.

Der Grund dafür ist wohl insbesondere, dass die deutschen Kaiser sich nie allein als Territorialherrscher verstanden haben, sondern als Herrscher "von Gottes Gnaden", die neben dem Papst die Einheit der Christenheit zu garantieren hatten. So konnten sie ihre Machtansprüche in ihrem angestammten Reich nicht so konsequent durchsetzen wie andere europäische Herrscher, die sich nur auf die Absicherung der Macht in ihrem eigenen Reich konzentrieren mussten. Hierdurch konnten sich in Deutschland machtvolle Territorialfürstentümer herausbilden, während in anderen europäischen Staaten absolutistische Herrscher die Zentralisierung der Macht in den von ihnen beherrschten Territorien vorantrieben.

 

Bundesländer als Provinzfürstentümer

 

Dezentralisierung ist an sich nichts Schlechtes. Stark zentralisierte Staaten tendieren regelmäßig zu einer Vernachlässigung der Provinz und sind in ihren Entscheidungsstrukturen schwerfällig, weil alle Macht im Zentrum des Landes verankert ist. Dem wirken föderale Strukturen entgegen.

Das Problem ist allerdings, dass die deutschen Provinzfürsten bis heute so agieren, als müssten sie den Machthunger des Kaisers in die Schranken weisen. Dadurch wirken die föderalen Strukturen nicht im Sinne einer stärkeren Berücksichtigung regionaler Besonderheiten. Sie dienen vielmehr vor allem als Machtdemonstration der 16 deutschen Nebenkönige und -königinnen.

Das Ergebnis ist im besten Fall – wie bei den unterschiedlichen Vorschriften zu den Ladenöffnungszeiten – ein Flickenteppich an regionalen Regelungen, deren Logik sich auch den gutwilligsten Beobachtern nicht erschließt. Bedenklicher sind Entwicklungen, bei denen der Machtanspruch der Provinzfürsten auf dem Rücken und zum Nachteil anderer ausgelebt wird.

Letzteres ist vor allem im Bildungsbereich der Fall, wo jede neue Landesregierung ihr Steckenpferd reitet, ohne sich um die einschlägigen Untersuchungen zu optimalen Lernbedingungen und Schulstrukturen für die Heranwachsenden zu kümmern. De facto hängt die geistige Entwicklung eines Kindes damit von der Gnade des richtigen Wohnortes und der richtigen Regierung ab.

Selbst dort, wo es dem Bund gnädigst gestattet wird, sich an der Finanzierung von Bildungsprogrammen zu beteiligen, dürfen die Länder weitgehend autonom über die Verwendung der Gelder entscheiden.

---ENDE DER LESEPROBE---