back to past: zurück zu dir - Sigrid Lenz - E-Book

back to past: zurück zu dir E-Book

Sigrid Lenz

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Beschreibung

Als er nach Jahren in seine Heimatstadt zurückkehrt, trifft Gabriel ausgerechnet auf Christian, einen Freund aus seiner Jugendzeit. Nach einer stürmischen ersten Begegnung drängen sich Erinnerungen an ungelöste Fragen und verwirrende, verleugnete Gefühle in den Vordergrund. Die Situation spitzt sich zu, bis Unerwartetes geschieht. plus erotische Bonus-Story: "Instinkt - eine Alpha/ Omega Geschichte"

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Sigrid Lenz

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2012

http://www.deadsoft.de

© the author

Cover: M. Hanke

Motiv: © Felix Mizioznikov – fotolia.com

1. Auflage

ISBN 978-3-943678-41-3 (print)

ISBN 978-3-943678-42-0 (epub)

Gabriel war nicht unbedingt ein Mann rascher Entschlüsse. Für gewöhnlich überlegte er lange und gründlich, bevor er eine Entscheidung traf. Er dachte nach, bevor er sich mit jemandem einließ, bevor er seinen Wohnort wechselte. Doch nicht in diesem Fall, nicht seit der Sache mit Matthias.

Sobald ihm klar wurde, dass er die Stadt verlassen musste, dass sein Leben reif war für eine Veränderung, für einen klaren Schnitt, handelte er ungewohnt spontan. Er kündigte seine Wohnung, seinen Job und schrieb Bewerbungen. Nicht von ungefähr konzentrierte sich ein großer Teil von ihnen auf einen speziellen Landkreis. Aus diesem Grund wählte er die erste Praxis, die seine Bewerbung akzeptierte.

Viel nahm er nicht mit. Zu viele dunkle Erinnerungen belasteten seine Habseligkeiten. Zudem hatte er ernsthaft vor, keinen Gedanken mehr an Matthias zu verschwenden. Nicht, nachdem der ihn enttäuscht und verletzt hatte. Nicht nur, dass Matthias ihn offen hinterging, ihn belog und ihm dafür noch Vorwürfe machte, hatte er in den letzten Wochen ihres Zusammenseins damit begonnen, ihn zusätzlich zu bedrohen. Hatte seine Faust gegen ihn erhoben und den Schlag erst im letzten Augenblick gegen die Wand gerichtet. Wenigstens hatte Matthias ihn auf diese Weise endgültig von dem naiven Vertrauen kuriert, das Gabriel gewohnt war, in die Menschen zu setzen. Vor allem in diejenigen, die er zu lieben glaubte.

Von nun an würde er vorsichtiger sein, es langsamer angehen, sich Zeit lassen. Er würde Männer meiden, von denen er wusste, dass sie nicht gut für ihn waren. Und vor allem würde er darauf verzichten, sich gleich mit Haut und Haaren in eine Beziehung zu stürzen. Er war zu jung, nicht einmal dreißig. Sich festzulegen war ein Fehler, immer einer gewesen. Matthias war nicht der Erste, der ihm vorgeworfen hatte, zu anhänglich zu sein, zu viel zu erwarten. Und doch lag es in Gabriels Natur, oder hatte in dieser gelegen, zumindest bis jetzt.

Dass er sich immer nach einer Bindung, Sicherheit, der Aussicht auf eine Zukunft gesehnt hatte, war vorbei. Jetzt brauchte er Zeit, um über alles nachzudenken, um mit Veränderungen zurecht und zur Ruhe zu kommen. Zeit und Abstand.

Vielleicht war es dumm zurückzukehren, aber Gabriel fand keinen rationalen Grund, der dagegen sprach. Auch wenn seine Familie längst nicht mehr hier lebte, so hatte er doch seine Kindheit und den größten Teil seiner Jugend an diesem Ort verbracht. Zurückzukehren bot ihm gerade das Maß an Vertrautheit, das er zu benötigen glaubte, um sich wohlzufühlen. Vielleicht wünschte sich auch jeder insgeheim, am Ort seiner Kindheit zu beweisen, dass er sein Leben im Griff hatte.

Gabriel sah sich in der fast noch vollkommen kargen Wohnung um und mit einem Mal wurde ihm deren Trostlosigkeit mit der Intensität bewusst, mit der er gezwungen war zu erkennen, dass die Stadt – seine Stadt – sich bis zur Unkenntlichkeit verändert hatte. Der Frust brach hervor, die Decke drohte, ihm auf den Kopf zu stürzen, und Gabriel ergriff kurz entschlossen Jacke und Schlüssel, bevor er die Tür hinter sich zuschlug.

Draußen regnete es, war dunkel, und dennoch atmete er auf, als er die Wohnung verlassen hatte und frische Luft atmete.

Die Gegend, in der er sich befand, war ihm fremd. Damals, vor langer und doch nicht allzu langer Zeit hatte er in einem anderen Viertel gewohnt, in einem, das kleine Gärten aufwies. Egal wie schlecht die gepflegt wurden, suggerierten sie doch einen Anflug von Familienleben, Nachbarschaft, vielleicht sogar Gemeinschaften. Nun lebte er nahe der Praxis, in einem Apartmentkomplex, der von anderen Apartmentkomplexen umgeben war. Trostlos, doch frei von Erinnerungen, sogar von denen, die er nicht aussperrte.

Er lief und begann sich freier zu fühlen. Sein Atem ging leichter, je nasser sein Haar im Gesicht klebte, je schwerer er die Lederjacke auf seinen Schultern fühlte.

Feine Regentropfen spiegelten das Licht der altmodisch schmiedeeisern geformten Straßenlaternen und eine Welle von Nostalgie durchflutete ihn, als er stehen blieb und zusah, wie glänzende Funken zur Erde fielen und in Dunkelheit versanken.

‚Sternenstaub‘, dachte er und war sich nicht sicher, woher die Erinnerung stammte. Er sah in die Höhe, ließ den Regen in sein Gesicht fallen, fing die Tropfen mit Lippen und Zunge, als wäre er noch einmal ein Kind. Hörte die warnende Stimme seiner Mutter, die ihm all die Gifte aufzählte, die der Mensch in den Kreislauf aus Grundwasser, Wolken und Regen gepumpt hatte.

Gabriel lachte heiser, bevor er die Augen aufschlug und ihm überraschend klar wurde, dass er keine Ahnung hatte, wo er sich befand.

Immer noch lachend drehte er sich um sich selbst. Das war typisch für ihn. Sobald er sich für Spontanität entschied, seine gewohnte Vorausplanung zu den Akten legte, mündete sein Leben in einem Chaos.

Er kniff die Augen zusammen, betrachtete die gleichförmigen, leeren Straßen, lauschte auf das Rauschen des Regens.

Es half nicht, sich auf die Zehenspitzen zu erheben. So groß er auch war, er konnte in der Dunkelheit und mit den hochragenden Häuserfronten, die ihn umgaben und von allen Seiten einschlossen, nicht weit sehen. Erst recht nicht die Klinik ausspähen, die das Viertel dominierte.

Gabriel drehte sich erneut um sich selbst, doch keine der Richtungen, in die sein Blick wanderte, schien ihm vertraut.

Auf gut Glück ging er weiter, versuchte, sich an Auffälligkeiten zu orientieren, doch mit der fortgeschrittenen Stunde fiel es zunehmend schwerer, Unterschiede zu registrieren. Die meisten Schaufenster waren verdunkelt, vereinzelte Leuchtreklamen oder erhellte Schilder halfen Fremden nicht weiter.

Und fremd fühlte Gabriel sich, trotz besseren Wissens, trotz der Sicherheit, dass er vor vielen Jahren auf seinen Rollerblades über die Straßen dieser Stadt geglitten war. Vielleicht gerade über die, auf die er jetzt seine Füße setzte. Doch vermutlich eher nicht, wie er bei genauerer Betrachtung feststellte. Zu neu erschien ihm der Asphalt, zu glatt. Die Straßen seiner Kindheit waren holprig gewesen, das Pflaster aufgesprungen, die Oberfläche uneben. Eine Herausforderung für Fahrräder, Skateboards und Blades. Doch keine, die nicht zu bewältigen gewesen wäre.

Gabriel zitterte leicht, bemerkte erst jetzt, dass er nass bis auf die Haut war. Die Luft war kälter, als er um die Jahreszeit vermutet hätte und für einen Augenblick glaubte er seinen Atem zu sehen. Auch wenn er sich nicht wirklich danach sehnte, in seine leere Wohnung zurückzukehren, so war die Aussicht, weiter zu frieren, doch die unangenehmere Alternative.

Er beschleunigte seinen Schritt, doch die Gegend wurde nicht vertrauter. Im Gegenteil, auch die Läden und Banken tauchten vereinzelter auf, je intensiver er nach einem Anzeichen von Leben suchte. Es lag nicht nur am Regen oder an der späten Stunde, dass die Gegend derart ausgestorben wirkte.

Vielleicht war er auch einfach nur das Großstadtleben gewohnt, die ständigen, nie völlig verstummenden Laute, Schritte und Stimmen. Das Quietschen der Bremsen und Starten der Motoren, das unabhängig von der Tageszeit das Leben dort begleitete.

Als er das helle Fenster mit dem abblätternden Schriftzug sah und die Gestalt, die den Raum des Jugendtreffs durchquerte, atmete er erleichtert auf und versuchte die Tür zu öffnen. Doch vergeblich, obwohl er rüttelte, blieb sie verschlossen.

Gabriel fluchte stumm, trat einen Schritt zurück und sah seitlich durch das Fenster. Sah zu, wie der Mann in seiner Bewegung erstarrte und sich umdrehte, bevor er auf ihn zukam. Seine Augen weiteten sich sichtlich, als er Gabriel wahrnahm. Das Gesicht wirkte blass hinter der Scheibe, sein Ausdruck vermittelte Erstaunen und Ungläubigkeit. Und plötzlich erschien ihm die Gestalt seltsam vertraut, ein steter Begleiter, eingeschlossen in seine Gedankenwelt, den er zu lange nicht mehr gesehen, dessen Anwesenheit er dennoch immer gespürt hatte.

Gabriel lächelte dem Fremden zu und beobachtete, wie der hinter der Tür verschwand, um diese aufzuschließen.

„Gabriel?“

Er zuckte ungewollt zusammen, als er den weichen Ton in der Stimme seines Gegenübers vernahm, den sanften, dunklen Klang, den er manchmal in seinen Träumen zu hören glaubte, ohne ihn einordnen zu können.

Gabriel blinzelte, und sein Mund öffnete sich überrascht.

„Richtig. Woher kennen Sie meinen Namen?“ Er stockte, starrte stumm auf den Mann, während Erinnerungen auf ihn einstürmten, ihn zu überwältigen drohten. Das konnte nicht sein, das war unmöglich. Und doch wisperte eine leise Stimme in ihm, flüsterte ihm zu, dass er es geahnt hatte, dass dieser Moment alleine der Grund für seine Rückkehr wäre.

„Ich glaub, ich spinne. Christian, bist du es wirklich?“ Gabriel lachte leicht.

Der Mann öffnete die Tür und winkte ihn herein. Die Bewegung wirkte unsicher, ähnlich wie Gabriel sich fühlte.

„Wir haben eigentlich geschlossen. Aber für alte Bekannte mache ich doch gerne eine Ausnahme.“

„Alte Bekannte, ja?“ Gabriel schüttelte den Kopf, bis das Wasser aus seinen Haaren spritzte. Er nutzte den Moment, versuchte sich zusammenzureißen, seine Haltung zu wahren. Er hätte damit rechnen müssen, Christian zu begegnen, hatte damit gerechnet, und sich dennoch nicht erlaubt über den anderen nachzudenken. Zu lange war es her, zu viel war passiert. Zu viel hatte er in sich begraben.

„Was würdest du sagen?“, fragte Christian und warf ihm ein Handtuch zu, das er unter der Theke hervorholte.

„Dass wir zumindest nicht alt sind“, meinte Gabriel und trocknete sich dankbar seine nassen Strähnen. „Und dass wir damals jung und unschuldig waren. Nur zu unserer Verteidigung.“

Christian lachte ebenfalls und blickte ihn an. „Jung bist du wirklich noch immer. Und das ‚unschuldig‘ traf wenigstens auf mich nie zu.“

Den Anflug von Ernst, der mit den Worten durch den Raum wehte, ignorierte Gabriel und sah sich stattdessen interessiert um.

„Schöner Laden“, meinte er anerkennend, „ist das deiner?“

Christian deutete ein Kopfschütteln an. „Ich führe ihn nur.“ Er zuckte mit den Schultern. „Ist ein Job.“

„Und kein schlechter.“ Gabriel nickte. „Was tust du hier, wenn eigentlich geschlossen ist?“

Christians Blick wanderte zu dem bläulichen Schein, der von dem Computer in der Nische ausging. Gabriel erkannte lange Zahlenreihen und verschieden hohe Stapel von Ordnern und Papieren.

„Abrechnung, Inventur, Berichte“, antwortete Christian und winkte Gabriel, sich an einen der kleinen Tische zu setzen, rutschte dann auf den Platz ihm gegenüber.

„Ich kann es nicht fassen, dass du hier bist“, sagte er und eine seiner Augenbrauen zuckte, bevor er Gabriels Blick auswich und seinen auf die Tischplatte konzentrierte. Für einen Moment lenkte Gabriel die Bewegung ab, mit der Christian seine Lider senkte, irritierend langsam, zögernd. Fast als scheue er sich, wieder zu Gabriel aufzusehen.

Doch das gewohnte schmale Lächeln strafte den Ausdruck Lügen und brachte eine Ahnung des großspurigen Jungen zurück. Gabriels Herz schlug schneller, als er sich daran erinnerte, dass Christian gewohnt gewesen war, seine Selbstsicherheit wie einen Schild vor sich herzutragen.

Kaum zu glauben, wie leicht er vergessen oder vielmehr verdrängt hatte, dass ihn Christians Mimik, dessen Gesichtszüge unzählige Nächte beschäftigt und wach gehalten hatten. Auch in späteren Jahren lernte er niemanden mehr kennen, der dazu imstande war, gleichermaßen verwegen und arrogant zu wirken. Ob es daran lag, wie Christian seine für einen Mann oder damals für einen Jungen auffällig vollen Lippen zu einer Linie zusammenpresste oder daran, dass er immer denselben linken Mundwinkel anhob, vermochte Gabriel auch jetzt nicht zu bestimmen.

Stattdessen räusperte er sich, lenkte seinen Blick ebenfalls auf die Tischplatte und auf seine Hände, die er langsam ineinander faltete. Er würde nicht daran denken, was dieses Lächeln, was dieser Blick oder das immer ein wenig zu lange, sich stets im Nacken kräuselnde und in unterschiedliche Richtungen abstehende Haar, in einsamen Momenten für eine Bedeutung gehabt hatte.

„Warum sollte ich nicht hier sein?“, fragte Gabriel und schlüpfte aus der feuchten Jacke.

Christian sprang sofort auf, nahm sie ihm aus der Hand und hängte das Kleidungsstück über die Heizung.

Seine Augen blieben an Gabriels Schultern hängen, wanderten über dessen Brust, bevor er sie rasch abwandte. Er griff in ein Regal und stellte mit geübter Bewegung zwei Gläser und eine Flasche Wasser auf den Tisch.

„Das Letzte, was ich gehört habe, war, dass du in der Großstadt Fuß gefasst hast. Nach dem Stadtleben kann es hier draußen doch nur langweilig sein.“

Gabriel schenkte sich ein und trank. „Du bist auch hier“, bemerkte er über den Rand seines Glases hinweg.

Christian atmete aus. „Als ob ich ein Maßstab wäre.“

Gabriel stellte das Glas ab. „Ich hatte genug von der Stadt. Vielleicht ging mir all das auf die Nerven. Der Lärm, die Hektik, das Chaos.“

Erneut hob sich Christians Augenbraue. „Daran merkt man, dass du lange nicht mehr hier warst. Der Ort ist gewachsen und gerade im Klinikviertel geht es regelmäßig drunter und drüber.“

Da gestikulierte Gabriel in Richtung des Fensters und der Finsternis, die dahinter lag. „Hier? Mir scheint eher, als würden die Bürgersteige bei Einbruch der Dunkelheit hochgeklappt.“ Er schüttelte den Kopf. „Nein, die Ruhe ist angenehm.“

„Hm.“ Christian verzog den Mund. „Deshalb wanderst du nachts durch den Regen?“

„Nur weil in meiner Wohnung kein Platz mehr für mich bleibt, neben den Pappkartons.“

Christian lachte und sah wieder auf. Diesmal hielt er den Blick, und Gabriel bemerkte wie Christians Vorderzähne sich nur für den Bruchteil einer Sekunde in dessen Unterlippe gruben. „Mir ist schon aufgefallen, dass du gewachsen bist.“

Gabriel irrte sich nicht, da lag ein Hauch von Bewunderung in der Stimme seines Gegenübers und sorgte umgehend dafür, dass ihm Röte ins Gesicht stieg. „Du meinst, dass ich nicht mehr der schlaksige Junge bin, der dir überallhin nachläuft.“

Christian legte den Kopf schief. „Du bist mir nicht nachgelaufen. Wenn ich mich richtig erinnere, hielten deine Eltern es für eine gute Idee, wenn ich dich zum Fußball fahre.“

Gabriel stöhnte. „Erinnere mich nicht daran. Wie habe ich das Training gehasst.“

„Weshalb du nicht mehr hingegangen bist.“ Christian lachte wieder. „Deine Eltern waren wirklich sauer.“

„Immer, wenn ich nicht nach ihren Vorstellungen funktionierte. Sie sahen das wohl als Teil ihres Jobs an.“

„Nichtsdestotrotz haben sie eindeutig etwas richtig gemacht.“

Gabriel erhaschte einen weiteren Blick, der ihn offensichtlich einer genaueren Prüfung unterzog. Offensichtlich einer, die er bestand.

„Sie haben sich dir gegenüber unfair verhalten“, beeilte er sich einzuwerfen und strich eine Strähne hinter sein Ohr. Wann war er nervös geworden? Und vor allem warum?

„Du hast nichts falsch gemacht. Und sie haben dir von einem Tag auf den anderen die kalte Schulter gezeigt, dich praktisch aus dem Haus geworfen.“

„Ich habe eine Menge falsch gemacht“, widersprach Christian. Sein Lächeln wirkte nun gezwungen, bevor er sein Kinn hob und eine Spur alter Arroganz sehen ließ. „Unterm Strich – sie angelogen. Immerhin verließen sie sich darauf, dass du zum Sport gehst, dass ich dafür sorge.“ Er zuckte mit den Schultern. „Aber mir war es egal – damals. Du wolltest nicht, und ich sah keine Veranlassung, ihr Geld nicht zu nehmen.“

„Du hast uns dafür alles besorgt, was Spaß gemacht hat. Ich kam ja sonst nicht raus. Wann hätte ich je eine Spielhalle von innen sehen sollen?“ Gabriel lehnte sich ein Stück nach vorne, seine Stimme eindringlich. Er hatte darüber nachgedacht, nicht nur, als es geschehen war, sondern später, viel später. Die Welt, die Christian ihm gezeigt, in die er ihn hatte hineinschnuppern lassen, wäre ihm für immer fremd geblieben. Er konnte sich nicht vorstellen, auf diese Erfahrung verzichtet zu haben, ebenso wenig, wie er sich damals auch nur einen weiteren Tag auf dem Fußballplatz hatte vorstellen können.

„Trotzdem hatten sie recht.“ Christian lächelte und Gabriel suchte vergeblich nach einem Anflug von Bitterkeit. „Ich war kein guter Umgang.“

Gabriel lehnte sich zurück. „Aber jetzt bist du einer.“ Es klang mehr wie eine Feststellung, als die neckende Frage, die er beabsichtigt hatte.

Doch Christian schien zu begreifen, so rasch, wie er auf die Bemerkung ansprang. „Ich bin phänomenal“, sagte er. „Ordentlicher Job, ordentlicher Lebenswandel, keine Auffälligkeiten in der Polizeiakte und ich hab sogar den Schulabschluss nachgeholt.“

„Ich wusste, dass du das schaffst.“ Gabriels Lächeln wurde warm, und Christian wich seinem Blick rasch aus.

„Das hattest du gesagt“, murmelte er.

„Und ich lag richtig. Ebenso wie mit der Feststellung, dass manche Menschen einem Ball nicht zu nahe kommen sollten.“

Christian leckte sich die Lippen. „Erzähl mir nicht, dass du keinen Sport treibst. So wie du aussiehst.“

Gabriel zwinkerte ihm zu. „Glaub es oder nicht, aber ich bin jetzt ausgebildeter Physiotherapeut. Unser Credo beinhaltet, dass jeder Muskel es wert ist, trainiert zu werden.“

War das tatsächlich ein rötlicher Schimmer, der Christians Haut überzog? Gabriels Augen weiteten sich. Zugleich stellte er fest, dass es ihm diebisches Vergnügen bereitete, Christian in Verlegenheit zu bringen. Mehr noch, nachdem der jahrelang sein Dasein als Held, vielmehr als Anti-Held in Gabriels Unterbewusstsein gefristet hatte. Auch wenn Gabriel versucht hatte, nicht an ihn zu denken, sich zudem angewöhnt, jede Erinnerung zu verbannen, so hatte das Bild des unangepassten Rebellen ihn durch die vergangenen Jahre begleitet, mehr als eine seiner Entscheidungen beeinflusst.

Nicht nur war Christian unglaublich cool, er war sich auch nie zu schade gewesen, wenigstens gelegentlich mit Gabriel zu reden, sogar mit ihm abzuhängen. Aus der Ferne hatte der ihn bewundert als ‚den Jungen aus seiner Straße‘, gleichermaßen nah und unerreichbar fern. Bis das Schicksal oder auch seine Eltern sich entschieden, Christians Fahrdienste in Anspruch zu nehmen, sich selbst ein wenig Ruhe und Gabriel eine Transportmöglichkeit zu kaufen.

Gabriel grinste breiter, spürte sein Herz erneut rascher und stärker schlagen. So viel Zeit war seitdem vergangen. Er glaubte, darüber hinweg zu sein. Und doch reagierte sein Körper. Gerade so als erinnerte der sich unabhängig von Gabriels Verstand oder Absicht an die Wirkung, die Christian auf ihn ausgeübt hatte. Die er immer noch auf ihn ausübte und die mehr bedeutete als bloße Bewunderung.

Mit einem Atemzug riss er sich zusammen. Das war nicht die Zeit, sich albern zu verhalten, davon hatte er während seiner Schulzeit genug ausprobiert. Ganz zu schweigen von Studium und Ausbildung, all den Experimenten und Versuchen, sich selbst zu finden und jemanden, der ihm einen Anflug davon schenkte, was er sich ersehnte. Ohne dass Gabriel sich je sicher gewesen war, was dies sein könnte. Oder wer.

Dass Christian nie vollständig aus seinen Gedanken verschwunden war, zweifelte er nicht wirklich an. Rasch hatte er sich daran gewöhnt, Zufälligkeiten wie das weiche, wirre Haar, die geschwungenen Lippen des ersten Jungen, mit dem er eine Nacht verbracht hatte, zu ignorieren. Er hatte ihn nicht ausgesucht, weil er Christian ähnelte. Oder andere, die folgten. Egal ob äußerlich oder innerlich, Gabriel hielt nichts von Theorien zur Bedeutung der ersten Liebe. Wobei Schwärmerei für Christian eher zutraf, auch wenn eine solche im Laufe der Jahre ihre Bedeutung verlieren sollte. Wie auch immer – sie beide waren längst ihrer Teenagerzeit entwachsen. Dass sie sich nun zufällig begegnet waren, ließ auf keinerlei wie auch immer geartete Zukunftsaussichten schließen.

Gabriel ertappte sich bei einem Lächeln, so breit, dass es in seinen Mundwinkeln schmerzte. Und wenn ihn nicht alles täuschte, dann erwiderte Christian das Lächeln mit ähnlichem Enthusiasmus.

„Dass du etwas aus dir machst, stand für mich immer fest“, bemerkte Christian, und Gabriel nahm verlegen einen Schluck Wasser.

„Meine Eltern hätten mir was erzählt, wenn ich mich nicht am Riemen gerissen hätte. Aber leicht war es nicht.“

Christian nickte. „Das ist es nie.“ Ein Schatten flog über sein Gesicht, und Gabriel zog unwillkürlich seine Augenbrauen zusammen.

„Wie ist es dir ergangen?“

Lachfalten bildeten sich in Christians Augenwinkeln, zeugten von den Zeiten, die vergangen waren, ließen Gabriel hoffen, dass auch gute dabei gewesen waren.

„Das siehst du hier“, sagte er. „Ich hatte ein paar schwierige Starts, inklusive der notwendigen Abstürze, aber irgendwann konnte ich mich fangen. Nicht zuletzt, da der Chef – Felix – mich hier untergebracht, mir einen Job und eine Aufgabe gegeben hat.“

„Ist das nicht dasselbe?“

Unerwartet ernst hielt Christian Gabriels Blick. „Das hier ist mehr als ein Jugendtreffpunkt und ein Internetcafé. Wir kümmern uns, stehen in Kontakt mit Sozialarbeitern, Ärzten, Bewährungshelfern. Es gibt Gesprächsrunden und Beratungsangebote.“

Seine Hände umschlossen das Glas auf dem Tisch und er starrte auf die Flüssigkeit. „Keinen Alkohol. Ein Bier musst du dir woanders organisieren.“

Gabriel ließ sein eigenes Glas los und hob die Hände. „Ich trinke selten. Physiotherapeut – du erinnerst dich? Gesunde Lebensweise zu predigen erfordert auch zu wissen, wovon man spricht. Wenigstens halte ich mich daran.“ Christian senkte die Lider. „Dass du dich daran hältst, ist nicht zu übersehen.“ Sein Lächeln richtete sich auf die Tischplatte, auch als Gabriel ihn verwirrt ansah. „Sollte das ein Kompliment sein?“

Christian räusperte sich. „Nimm es mir nicht übel, aber du siehst aus wie ein Athlet. Nicht dass ich viel erkennen kann, aber das, was ich sehe, lässt keine Wünsche offen.“

„Du machst dich lustig“, bemerkte Gabriel, lachte nichtsdestotrotz. Dass er gut aussah, wusste er. Dass er groß war und breitschultrig schadete ebenso wenig. Sein Haar trug er länger. Was sich wieder einmal auszahlte, denn als Christian aufsah, blieb dessen Blick auffällig an Gabriels Fingern hängen, die langsam und betont eine der bis ans Kinn reichenden Strähnen hinter sein Ohr strichen.

„Ganz und gar nicht.“ Irrte Gabriel sich, oder klang Christians Stimme ein wenig heiser? Der schien es auch zu merken, denn er räusperte sich erneut. „Du bist mit Sicherheit das Heißeste, was je hier hereinspaziert ist.“

„He“, lachte Gabriel, „behandle mich nicht wie ein Objekt.“

„Nur, wenn du es willst“, erwiderte Christian, und plötzlich war Gabriel sprachlos.

Auf sein Schweigen reagierte Christian, indem er die Augen niederschlug. „Ist das ein Problem?“

Gabriel schüttelte den Kopf, als nervöses Lachen in ihm aufstieg. „Das willst du sicher nicht hören, aber damals hätte ich wer weiß was dafür gegeben, wenn du mich als Objekt gesehen hättest.“ Er schlug sich beide Hände vor den Mund. „Hab ich nicht so gemeint, das weißt du. Aber als Teenager kommt man auf merkwürdige Ideen.“

Christian legte den Kopf schief und betrachtete ihn nachdenklich, bevor er sprach. „Du hattest nur Augen für Cornelia. Besser gesagt, nur Worte für sie übrig. Weshalb ich ein wenig überrascht bin, was die Signale betrifft, die ich hier empfange.“

Gabriel lachte. „Und du warst berüchtigt.“

Christian zuckte mit den Schultern. „Ich hatte einen Ruf zu wahren.“

Gabriel sah ihn an, biss sich auf die Unterlippe. „Und wann hast du das Lager gewechselt?“

Christian wich seinem Blick aus. „Als ich Zeit bekam, um nachzudenken, Dinge zu ordnen, eine Perspektive zu entwickeln.“

Nachdenklich nickte Gabriel. „So kann das wohl laufen. Irgendwann lässt es sich nicht mehr leugnen, oder?“

Er erntete ein Zwinkern. „Sicher nicht, wenn du mir gegenübersitzt.“

Gabriel spürte die Hitze in seine Wangen zurückkehren. „Machst du mich tatsächlich an?“

Seine Augen hingen an Christians Fingern, an deren Griff, der das Glas umschloss. Er schluckte und hob zögernd den Blick, fand Christians, fand darin einen Funken Vertrautheit und ein Glimmen der Hoffnung, die sich in seinem Inneren widerspiegelte. Christians Hände hatten sich verändert, waren rauer, stärker. Gabriel sah, dass sie zupacken konnten, sah die Schwielen, die kurzen Nägel, die Sehnen und Adern, die sich unter der Haut abzeichneten. Für einen Moment nur glaubte er, Christians Hände auf seiner Haut zu spüren, stellte sich vor, wie es sich anfühlte, wenn der ihn festhielt. Das Bild katapultierte ihn zurück in eine Zeit, in der seine Fantasien ihn fast schmerzhaft verwirrt hatten. Weshalb er nicht ausschließlich unglücklich gewesen war, als seine Eltern entschieden hatten, den Ort zu verlassen. Wie damals beeinflusste Christians alleinige Anwesenheit Gabriels Atmung, beschleunigte der bloße Gedanke an irritierend hellbraune Augen seinen Herzschlag. Wie damals schienen diese beim richtigen Einfall des Lichtes, ob es von der Sonne ausgeschickt wurde, von einer Glühbirne oder Neonröhre, zu leuchten. Er leckte sich wieder die Lippe, und als er aufsah, hing Christians Blick an der Stelle, die seine Zungenspitze eben noch benetzt hatte.

„Ich war völlig vernarrt in dich – früher“, gab er zu, versuchte seine Nervosität zu überspielen.

Christians Augenbrauen wanderten in die Höhe, doch sein Lächeln blieb. „Du warst ein Kind“, bemerkte er. „Ganz zu schweigen von Cornelia.“

„Ich war kein Kind“, wehrte sich Gabriel. „Bevor wir weggingen, war ich sechzehn.“

„Sag ich doch – ein Kind.“

„He.“ Gabriel erhaschte ein belustigtes Zucken um Christians Mundwinkel und entließ einen Seufzer anstelle eines Atemzugs. „Pass bloß auf“, drohte er. „Inzwischen bin ich erwachsen und weiß mich zu wehren. So leicht kannst du dich nicht mehr über mich lustig machen. Nicht, ohne dass dir Rache droht zumindest.“

„Da werde ich mich wohl vorsehen müssen.“

Als Gabriel nickte, brach Christian in Lachen aus, bevor er sich nach vorne beugte.

„Immer noch so empfindlich, wenn es um dein Alter geht“, stellte er fest.

„Nur wenn du dich weigerst zuzugeben, dass ich erwachsen bin.“

Christians Iris erschien golden. Winzige, hellgraue Tupfen unterbrachen den warmen Ton, und Gabriels Atem stockte. Die Lippen seines Gegenübers bewegten sich, doch der Sinn der Worte erreichte Gabriel verspätet. Zu fesselnd wölbten sich die sanften Bögen, glänzte Speichel auf der empfindlichen Haut.

Gabriel sah auf, sah in Christians Augen. „Was hast du gesagt?“

Christian hielt seinem Blick stand. „Ich sagte, du bist wie alt? Fünfundzwanzig?“

„Sechsundzwanzig“, korrigierte ihn Gabriel ohne den Blick zu lösen. „Es ist zehn Jahre her, dass wir uns gesehen haben.“

„Das ist lange genug“, erwiderte Christian. Seine Wimpern zitterten und Gabriels Blick fand ein neues Ziel seiner Aufmerksamkeit.

„Lange genug wofür?“, fragte er abwesend, bemerkte am Rande seines unteren Blickfeldes die Bewegung von Christians Adamsapfel.

„Lange genug, dass es sich nicht mehr komisch anhört, wenn ich dir verrate, dass sich im Nebenzimmer eine Couch befindet.“ Bildete Gabriel es sich ein oder klang Christians Stimme heiser?

„Und dass ich daran denke, diese einer neuen Bestimmung zuzuführen.“

„Du meinst doch nicht …“ Gabriels Blut rauschte in seinen Ohren. ‚Zu schnell‘, warnte es. ‚Zu gefährlich.‘

Christian verdrehte die Augen. „Soll ich es für dich buchstabieren?“ Er seufzte, richtete dann von Neuem seinen Blick auf Gabriel. „Du stolperst in einer kühlen, zu trostlosen Nacht in mein Leben, siehst heißer aus als die personifizierte Versuchung und erwartest, dass ich nicht versuche, dich flachzulegen?“

„Ähm.“ Gabriel hustete, verwünschte die Hitze, die sein Gesicht zum Glühen brachte. „Ich bin nicht … ich meine …“

Christian lehnte sich zurück, legte die Arme über die Lehnen der Bank und ein Bein auf sein Knie, wirkte ruhig und selbstsicher. Nur das kleine Zucken seines Kiefers, das kurze Hervortreten des Wangenknochens, verursacht durch das Zusammenbeißen der Zähne, strafte den Eindruck Lügen. Oh ja, Gabriel war erheblich besser darin geworden, in Menschen zu lesen.

„Was denkst du von mir?“, fuhr Christian fort. „Ich rede nur von Sex. Keine Verpflichtung, keine Fragen. Wer weiß – vielleicht sehen wir uns nie wieder.“

Gabriel atmete ein, hielt die Luft an, sog den Anblick der auf ihn gerichteten Augen, der Hände, die locker auf der Lehne auflagen, des weichen Haares und der Schultern, die sich unter T-Shirt und Jacke abzeichneten, auf, bevor er nickte. „Ja, okay.“

Christians Kopf hob sich nur ein wenig und er starrte Gabriel an. Sein Gesichtsausdruck vermittelte Verblüffung und schließlich Zweifel.

Doch nur einen Moment später hatte er sich gefasst, befand sich auf den Füßen und hatte die Seite des Tischs rascher gewechselt, als Gabriel ihm folgen konnte.

Christians Hände lagen auf Gabriels Wangen, und sein Mund presste sich auf den des Jüngeren, bevor der Atem holen oder begreifen konnte.

Seine Lippen wanderten zu Gabriels Ohr. „Keine Verpflichtung“, flüsterte er. „Nur ein wenig Spaß.“

Gabriel fühlte, wie sich der Mund des anderen zu einem Lächeln verzog und er erwiderte dieses, als Christian über sein Ohr leckte. Geschmeidig stand er auf und schob Christian zurück, sorgte jedoch dafür, dass der sein Gleichgewicht behielt, indem er ihn mit Leichtigkeit umfasste. Er nutzte seine Größe aus und drängte Christian weiter rückwärts. Auf den Nebenraum zu, den er durchaus wahrgenommen hatte, deutlicher noch, nachdem er nun wusste, welche Versprechungen dort warteten.

Der letzte Rest Unsicherheit wich, als Christian die Kontrolle zurückgewann und mit wenigen, zielsicheren Schritten bewies, wie gut er die Einrichtung kannte. Während Gabriel Christians Hals über dem Saum des Shirts küsste, ließ der ihn los, tastete nach dem Griff, und die Tür öffnete sich mit leisem Quietschen.

„Das sollte geölt werden“, murmelte Gabriel gegen Christians Haut, atmete den Duft ein. „Du riechst gut. Was ist das?“

Christian lachte leise, bevor er Gabriel zu sich auf das Sofa zog. „Deine Gedanken springen“, sagte er, und Gabriel bemerkte, wie der Atem des anderen sich beschleunigte.

Er stieß Christian zurück gegen die Lehne und stieg ohne Umschweife auf dessen Schoß, kniete mit einem Bein links, dem anderen rechts von dessen Körper und verschloss ihm erneut den Mund mit seinen Lippen.

Christian rang nach Luft, als Gabriel ihn entließ. „Nicht nur deine Gedanken springen“, fuhr er fort. „Nicht, dass ich mich beschwere. Aber das ist nur mein Shampoo.“

Gabriel ließ seine Hände durch das ungebändigte Haar gleiten. „Das wollte ich schon den ganzen Abend tun“, flüsterte er und wurde durch Christians Lächeln belohnt, das sich bis in dessen Augenwinkel fortsetzte.

„Ich weiß, was du meinst“, erwiderte der und strich Gabriel die langen Strähnen aus dem Gesicht. „Hast du sie schon immer so lang getragen?“

Gabriel legte den Kopf schief, sodass ihm sein Haar wieder ins Gesicht fiel. „Nicht ganz so lang. Damals waren sie ein paar Zentimeter kürzer.“ Er zuckte mit den Schultern. „Aber so kann ich sie – wenn ich will – zusammenbinden. Ist manchmal beim Training praktisch.“

„Training“, wiederholte Christian und leckte sich die Lippen. „Ich würde gerne herausfinden, welche Auswirkungen der Sport auf dich hatte.“

Gabriel lachte und rutschte ein wenig zurück, um mit einer raschen Bewegung sein Shirt über den Kopf zu ziehen und achtlos auf den Boden zu werfen.

Dass Christians Augen sich weiteten, der Glanz in ihnen sich verstärkte, veranlasste Gabriel dazu, sein Haar übermütig zurückzuschütteln.

Hörbar atmete Christian ein. „Himmel – was bist du? Definitiv mindestens ein Halbgott.“

„Spinner.“ Gabriel lachte, rutschte zur Seite, doch nur, um Christian nun auf seinen Schoß zu ziehen, bis ihre Positionen vertauscht waren. „Ich achte nur auf mich.“

„Oh Mann, das will ich hoffen.“ Christian neigte den Kopf und leckte über Gabriels Kinn. „Ich will mir gar nicht vorstellen, wie du dich vor Trainingskollegen in Sicherheit bringst. Dein Fitnessstudio bietet hoffentlich einen Fluchtweg.“

Seine Hände wanderten über breite Schultern, glitten die ausgeprägte Brustmuskulatur hinab. Christian sog die Luft ein, als seine Finger die sich vorwölbenden Bauchmuskeln erreichten, sich tiefer wagten.

„Ist ein wenig unfair, findest du nicht?“, bemerkte Gabriel. Es benötigte nicht mehr an Überredungskunst. Er schälte Christian aus dessen Shirt und ging prompt mit seinen Lippen zum Angriff auf die freigelegten Brustwarzen über. Überrascht wehrte Christian ab, doch Gabriels Arme packten ihn fester, zogen ihn näher an sich. Er saugte an dem Nippel, kitzelte die sich rasch erhärtende Brustwarze mit seiner Zunge, bis Christian den Kopf zurücklehnte und heiser stöhnte. Erst danach widmete Gabriel sich der anderen Seite, presste schließlich einen Kuss gerade in die Mitte, auf das Brustbein, bevor er mit einem Zwinkern aufsah.

„Ich kann mich allerdings auch nicht beschweren“, sagte er und begegnete Christians Blick. Heiß und verlangend verschmolz der mit seinem Eigenen, erhöhte das Brennen unter seiner Haut, zwischen seinen Lenden.

Unter gesenkten Wimpern sah Christian auf ihn hinunter. Nackte Haut schimmerte golden im schwachen Licht, das aus dem anderen Raum in das Nebenzimmer drang. Christians Haar nahm einen warmen Bronzeton an. Spätestens in diesem Moment war Gabriel sicher, dass Christian in den vergangenen Jahren noch schöner geworden war, als er ihn in Erinnerung behalten hatte. Wahrscheinlich hatte er jeden, insgeheim sogar Matthias mit ihm verglichen. Da kein Einziger dem Vergleich standhalten konnte, schien ihm dies unmöglich und gleichermaßen überwältigend.

Wohlweislich biss Gabriel sich auf die Zunge, um nichts zu äußern. Sie hatten eine Abmachung. Eine Bedeutung in das zu legen, was geschah, kam ebenso wenig infrage, wie seine Empfindungen in Worte zu kleiden. Er kannte sich zu gut, jedenfalls gut genug, um wenigstens zu versuchen, seine Fehler nicht zu wiederholen. Sich mit Haut und Haaren einem anderen zu verschreiben, im Rausch der ersten Gefühle, sein Leben zu verändern und auf den Betreffenden auszurichten, war ihm nie bekommen. Er wusste es besser. Nur Spaß, keine Verpflichtung – darauf hatten sie sich geeinigt. Seine ungesunde Tendenz nach Endgültigkeit zu streben, sollte ihn nicht mehr dominieren. Sicherheit existierte nicht, die Zukunft wurde ungewisser, je detaillierter man sie zu planen suchte.

Er presste seine Lippen fast hart auf die des anderen, vergrub seine Hände zwischen dessen Schulterblättern, schluckte das leise Stöhnen, das Christians Kehle entwich. Seine Hände wanderten tiefer, umfassten den Po, der die helle Jeans perfekt ausfüllte, gerade genug Rundungen offenbarte, um den Appetit anzuregen.

Christian barg sein Gesicht an Gabriels starkem Hals und begann seine Hüften zu bewegen, wieder und wieder gegen den Schoß des anderen zu drängen, der ihn ermutigte, indem er den trockenen Stößen begegnete.

Beide waren hart und beide keuchten, als Gabriel stoppte, Christians Lippen einen Protestlaut entlockte.

„Hast du …?“, fragte er rau.

Christian hob den Kopf und nickte.

Gabriel sah reglos zu, wie er aufstand, und beobachtete ihn, wie er in einem Rucksack wühlte. Als sein Verstand wieder einsetzte, öffnete er seine Jeans, hob das Becken und streifte sie mit den Shorts, die er darunter trug, über die Beine, um sie zu den Shirts auf den Boden fallen zu lassen. Gerade rechtzeitig um die Packung Kondome und das Gleitgel zu fangen.

Blind öffnete er die Verpackung, presste seine Handwurzel gegen seine Erektion, die sich weiter aufrichtete, als er zusah, wie Christian mit einer Bewegung Jeans und Boxershorts abstreifte, von einem Moment auf den anderen nackt vor ihm stand.

Gabriels Blick blieb an seinem Lächeln hängen, das ein wenig schief, ein wenig zu selbstbewusst wirkte. Er atmete ein, als Christian einen Schritt auf ihn zuging und gleichzeitig auf die Knie sank, Gabriels Beine auseinanderschob. Christians Hand drängte höher und seine Lippen schlossen sich um die Spitze von Gabriels Penis.

Gabriels Kopf fiel auf die Lehne der Couch und er stöhnte, als Christian ihn in seinen Hals gleiten ließ und saugte. Nur einen Augenblick, danach zog er sich zurück, nahm Gabriel das Kondom aus der Hand und rollte es über dessen feuchten Penis.