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Naomi lässt sich trotz der Zweifel, die sie wegen ihres Alters hegt, überreden, eine Convention zu besuchen. Dort begegnet sie der schönen Magdalena und ist von ihr fasziniert. Noch ahnt sie nicht, welche Geheimnisse die Frau verbirgt. Doch je mehr sie sich ihr nähert, je mehr sie ihr Leben auf den Kopf stellt, um der Angebeteten nahe zu sein, desto mehr Bedrohungen sieht sie sich ausgesetzt. Doch sind die Gefahren wirklich real? Denn Magdalena scheint ihre Stimmungen so leicht zu ändern, wie ihr Verfolgungswahn sie in Atem hält. Auch als Naomis Bruder und eine Freundin involviert werden, auch als sie ihr Ziel aus den Augen verliert und sich in die Arme anderer Frauen flüchtet, gelingt es ihr nie vollständig, die Faszination abzuschütteln, die Magdalena auf sie ausübt. Wird sie sich letztendlich für die Suche nach der Wahrheit entscheiden?
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Seitenzahl: 730
Von Zombies und DrachenLesbisch-erotischer Liebesroman
Sigrid Lenz
Ihr Haar war lang und glatt. Es schimmerte in einem dunklen Rot, von dem Naomi sich nicht sicher war, ob es der Natur entsprang oder einer Tube, einem Becher, einem Pulver oder einer anderen Quelle, von der sie noch nie gehört hatte. Vielleicht bildete sie es sich ein, aber die Regale mit Haarfärbemitteln schienen stetig anzuwachsen. Manchmal kam es ihr vor, als planten derartige Produkte, die Drogerie-Märkte früher oder später zu übernehmen.
Nicht dass sie ein Problem damit hatte. Jeder konnte sich sein Haar tönen, wie es ihm oder ihr gefiel. Und dass die Bemühungen, diese Prozedur zu erleichtern und zu verkürzen, nicht nachließen, kam ihr ebenfalls entgegen.
Auch wenn sie sich ein wenig im Zweifel darüber befand, dass die klassischen, kräftigen Farben dominierten, aber für sie und ihre speziellen Ansprüche, die Auswahl gering bis nicht vorhanden war. Dabei konnte sie doch unmöglich die Einzige sein, die nicht nur vor der Zeit ergraute, sondern die sich auch entschieden hatte, diese Veränderung zu respektieren und lediglich ein wenig Glanz in die stumpfe Mischung aus weißen und aschblonden Strähnen zu bringen.
Letztendlich und wie bei vielen anderen Bedürfnissen des täglichen Lebens, die Naomi nicht mit der Mehrheit der Bevölkerung teilte, griff sie auf Bestellungen über das Internet zurück. Mit dem Ergebnis, dass ihr Haar nun einen silbernen Schimmer aufwies und in kaum wahrnehmbaren Wellen ihr Gesicht umschmeichelte. Der Mittelscheitel - so wollte sie es sich einreden - verkündete der Allgemeinheit, dass sie nicht bereit war, sich dem Diktat der perfekt sitzenden, wenn nicht gar zementierten Kurzhaarfrisuren zu beugen, das allzu häufig auch noch mit einer aufgezwungenen, radikalen Farbänderung einherging. Nach wie vor trug sie es lang, bis über die Schultern, und befand, dass das Grau ihren blauen Augen schmeichelte. An Eitelkeit war nichts verkehrt. Schon gar nicht in ihrem Alter. Von der großen Vierzig war sie noch ein klein wenig entfernt und die verschiedenen Variationen davon, wie frau sich kindisch und albern verhalten konnte, hatte sie ohnehin noch nicht vollständig ausgetestet.
Der Ort, an dem sie sich befand, war der beste Beweis für diese Absicht. Und noch fantastischer auf ihre Stimmung wirkte sich die Erkenntnis aus, dass sie beileibe nicht alleine in ihrer Altersgruppe und mit ihrem speziellen Hobby auftauchte.
Lange hatte sie mit sich gerungen, aber das Leben war zu kurz, um sich von im Grunde genommen dämlichen Vorbehalten ablenken zu lassen. Und die Realität gab ihr Recht.
Zwar fanden sich viele Teenager unter den Gästen, mit Sicherheit mehr noch in den Zwanzigern, doch auch Dreißiger und Vierziger waren vertreten. Nicht selten auch solche, die mit einiger Wahrscheinlichkeit bereits seit geraumer Zeit die 50 überschritten hatten. Nicht dass Naomi darauf achtete, nicht wirklich. Alter sollte eine Frage der persönlichen Empfindung bleiben. Oder der Einstellung. Oder der Fähigkeit zur Akzeptanz.
Nichtsdestotrotz veränderte sich ihre Wahrnehmung mit dem ersten Blick, den sie auf die Rothaarige warf. Gefärbt oder nicht, der Ton war perfekt. Das Haar war perfekt und die Haut buchstäblich so weiß wie Schnee.
Glas klirrte, zersprang in unzählige Scherben und Naomi erwachte aus ihrer Erstarrung, dankbar für das kleine Missgeschick eines der anderen Besucher. Rasch senkte sie ihren Blick, hoffte nur, dass es nicht zu spät war, dass die Fremde ihr unhöfliches Starren nicht bemerkt hatte. Auch wenn jemand, der so aussah, geweitete Blicke und offene Münder gewohnt sein sollte.
Schließlich war sie nicht hier, um jemanden anzubaggern. Beileibe nicht. Sie war hier, um Seelenverwandte zu treffen, Menschen, die sie bislang nur aus dem Internet kannte. Und natürlich, um das Neueste über ihre Serie zu erfahren, um Spoiler zu ergattern und um die beiden Stars hautnah zu erleben.
In ihrer Hand hielt sie den Zeitplan, hatte sich dick angestrichen, zu welchen Terminen sie sich in die Schlange gesellen wollte, und natürlich, welche der Termine, die eine Buchung erforderten, auf sie warteten. Kein billiges Vergnügen, aber eines, das ihr mehr entgegenkam, als ein Urlaub an Strand, der von einem verlangte, in der Sonne zu braten, stundenlange Fahrten auf sich zu nehmen, oder schlimmer noch - ein Flugzeug zu besteigen.
Ja, sie war ein Nerd, immer gewesen, und inzwischen in der Lage, stolz darauf zu sein.
Schließlich existierten viele ihrer Art, über die ganze Welt verteilt. Und es wurden mehr. Naomi war sich sicher, dass es sehr bald salonfähig sein werde, sich einer Serie, einem Film oder einem Buch derart zu verschreiben, dass sich niemand mehr darüber wunderte, wenn jemand Stunden oder Tage damit zubrachte, ein Kostüm zu nähen, ein Bild zu malen oder eine Geschichte von 900 Seiten zu verfassen. Selbst wenn dieser jemand den ursprünglichen Auslöser des Kreativitätschubs nach dem persönlichen Geschmack abänderte, vielleicht aus einem tragischen ein Happy End zauberte, vielleicht zwei Figuren in Liebe zueinander entbrennen ließ, die sich in Film, Serie oder Buch kaum grüßten.
Die Wahrheit war, dass jede noch so winzige Veränderung der vorgegebenen Geschichte, ihre eigenen Anhänger fand, andere Schöpfungen auslöste und vielleicht sogar das Fandom beeinflusste. Wie auch immer, darum ging es nicht. Es ging bei dieser Convention um den Spaß und sie hatte sich fest vorgenommen, den auszukosten. Nichts und niemand sollte sie davon abhalten, auch keine bildschöne Frau, die sie in Gefahr brachte zu vergessen, dass sie und alle ihre eingeschworenen Mitstreiterinnen beschlossen hatten, das Wochenende Damir und Rabah zu widmen. Und nicht nur das. Mochten andere mit den Augen rollen, mochte sie selbst sich noch weit entfernt davon fühlen, eine Erklärung für dieses Phänomen zu entdecken, der Wahrheit tat es keinen Abbruch. Warum sollte man nicht die Helden einer fiktiven, gelegentlich - und auch wenn niemand der wahren Fans es zugäbe - auch ein wenig absurden Fernsehserie bewundern, anbeten, von ganzem Herzen lieben und sie mit Verehrung überschütten? Und das unabhängig der eigenen Sexualität. Es ging um mehr als das. Aber das waren Diskussionen, die sie und andere, sich für die Netzwerke oder ihr Forum aufhoben. Jetzt lag der Fokus auf der gegenseitigen Unterstützung und Anerkennung. Immerhin konnte es sich nicht schlecht auf die Darsteller auswirken, wenn sie mit der Liebe konfrontiert wurden, die ihnen seitens ihrer Anhänger entgegengebracht wurde. Vielleicht überlegten sie sich mögliche Kündigungsgedanken noch einmal. Schließlich schwebte über jeder Serie nicht nur die Gefahr, dass sie eines Tages eingestellt werde, sondern auch die, dass einer der Mitarbeiter die Lust daran verlor. Allerdings nicht, solange Naomi und ihre Seelenverwandten sie etwas Besseren belehren konnten. Und wenn nur durch zahlreiches Erscheinen, Klatschen, Jubeln und durch die Finger pfeifen.
Nicht dass sie sich dazu zwingen musste. Schon allein, was der Produzent beim ersten kurzen Auftritt hatte verlauten lassen, reichte aus, um vollkommen unpassende und ihrem Alter gewiss nicht entsprechende Luftsprünge zu vollführen. Aber sie konnte unmöglich anders reagieren. Nicht nach der Offenbarung, dass die kommende Staffel endlich zu der heißersehnten Begegnung zwischen Damir, Rabah und dem finsteren Zombie-Mogul führen sollte. Bislang hatte der nur im Hintergrund die Strippen gezogen, den heldenhaften Zombiekillern das Leben und ihren Kampf aus der Ferne erschwert. Doch mit jedem Jahr, das die Serie verlängert worden war, hatte sie sich weiter von der Darstellung untoter Fressmaschinen entfernt. Inzwischen reichten die Umweltgifte, die freigesetzte Radioaktivität und das mit jedem Finale einsetzende Feuerwerk aus explodierenden Chemie-Fabriken aus, um jedwede Mutation zu erklären, die den Drehbuchautoren in den Sinn kam. Welche definitiv genial waren, darüber war man sich allerorts einig.
Nebenbei - was gab es Besseres als intelligente, bösartige Zombies, die nur noch an unwesentlichen Stellen auseinanderfielen. Die eine apokalyptische Version der Erde bevölkerten und sich damit amüsierten, ihre Killer zu manipulieren und zu verführen.
Ja, Naomi hatte jeden Grund, um Luftsprünge zu vollführen.
Auch wenn einer dieser Luftsprünge unter den Augen der schönen Rothaarigen stattfand, die sie zwischenzeitlich aus ihrem Bewusstsein verdrängt zu haben glaubte. Vergeblich, denn nun stand genau die ein Stück vor ihr, hatte sich gerade rechtzeitig umgedreht, um Naomis Freudentaumel zu bemerken. Gut, sie strahlte ebenfalls über das ganze Gesicht und wer täte das nicht, nach einer solchen Nachricht.
Nichtsdestotrotz duckte Naomi sich instinktiv und versteckte sich gleichzeitig hinter dem ausladenden Körper ihrer Nachbarin in der Menge. Die deutete ihre Bewegung, indem sie ihre Arme um Naomi schlang und sie hochriss. „Ist das nicht genial“, schrie sie über den Lärm hinweg. „Der Mogul. Und hast du gehört, dass es einen düsteren Handlungsstrang geben soll? Ich wette, er entführt Damir. Ich hätte nichts dagegen, wenn er ihn ein wenig an die Wand kettet und ihm das Hemd in Streifen vom Leib schneidet.“
„Was?“, quietschte Naomi und rang nach Luft, während sie erneut dem amüsierten Blick der Rothaarigen begegnete. Verdammt. Und warum sah die sie überhaupt an? Und das gerade jetzt. An ihr war nun wirklich nichts, das einer Beachtung wert wäre.
Naomi befreite sich aus den umstrickenden Armen und konzentrierte sich ausschließlich auf ihr freudestrahlendes Gegenüber, das unablässig weiter schwatzte. Inzwischen von der Befreiung Damirs phantasierte und davon wie Rabah über mehrere Folgen hinweg, Damir wieder gesund pflegte, ihn herzte und küsste, bis sich die beiden ewige Freundschaft schworen.
Naomi nickte an den passenden Stellen. Keine Frage, der Gedanke gefiele ihr ebenso gut wie Mogullover21 alias ihrer Mailfreundin Dagmar, aber sie wusste es besser, als sich Hoffnungen hinzugeben, die doch nie erfüllt würden. Ausgenommen, sie oder jemand anderes schrieb die Handlung nach eigenem Geschmack um. Und die Entführung Damirs, das war auf jeden Fall eine Inspiration, der man nachgehen sollte.
Dagmar schüttelte sie inzwischen aufgeregt. „Hast du gehört?“, schrie sie. „Frank Littville kommt zurück. Ich liebe ihn. Er ist der Einzige, der den Mogul besiegen kann.“
„Ich dachte, du liebst den Mogul?“, bemerkte Naomi.
„Und ob“, rief Dagmar. „Aber mein Herz ist groß genug für beide. Und am meisten liebe ich den Mogul, wenn er Schwierigkeiten bekommt. Erinnerst du dich, wie haarscharf das im letzten Frühjahr war? Und wie gemein, uns mit einem solchen offenen Schluss dasitzen zu lassen.“
„Da hast du allerdings Recht.“
Naomi befreite sich erneut und starrte direkt in die Augen der Rothaarigen. Grün waren die, vielleicht auch braun. Auf jeden Fall so warm, dass Naomi den Blick nicht wenden konnte.
Und da Naomi sich nicht rühren konnte, stand die Rothaarige mit einem Mal vor ihr. Sie hatte nicht verhindert, dass die sich durch die Menge geschoben hatte. Was gar nicht nötig gewesen war, vielmehr hatte die sich vor ihr geöffnet, ihr Raum gegeben, als habe sie gespürt, dass nichts und niemand ein Zusammentreffen zwischen ihnen beiden verhindern konnte. Als sei es Schicksal, nein, Bestimmung, dass sie sich kennen lernten.
Aber das war extrem albern. Naomi kam wieder zu sich und schluckte den Gedanken herunter, wich dem Blick aus und bemühte sich, ihre Umgebung als das, was sie war, auch wahrzunehmen. Keine Störung, sondern der Grund ihres Hierseins.
„Hi“, sagte eine Stimme, die so bezaubernd klang, dass Naomi gleich mehrere Schauer über den Rücken liefen. Sanft und dunkel, doch zugleich so klar wie ein Bergbach. Sie schüttelte den Kopf und damit die vollkommen unpassenden und übertriebenen Vergleiche ab. Die Fremde sah sie merkwürdig an und hatte allen Grund dazu. Naomi benahm sich, als sei sie verrückt geworden. Schlimmer noch, als könne sie die Rothaarige nicht leiden.
„Ja, hi“, antwortete sie und räusperte sich verlegen.
Die Rothaarige wand sich eine Strähne um ihren Finger und wenn das nicht das niedlichste Anzeichen von Nervosität war, das Naomi je gesehen hatte, dann wusste sie auch nicht weiter.
Sie blinzelte und Naomi verschluckte sich fast. Diese dunklen Wimpern konnten unmöglich echt sein. Wenigstens war mit Farbe nachgeholfen worden. Und verdammt, sie hätte ihren Tuschkasten auch mitnehmen sollen. War es denn wirklich zu viel verlangt, ein wenig Puder und Lippenstift aufzulegen? Sie musste schließlich nicht wirklich befürchten, dass die Serienstars von einer Sekunde auf die andere, Frauen und Kinder verließen, um sich ihr zu Füßen zu werfen.
Wieder räusperte sie sich und als sie vorsichtig aufsah, blickte die Fremde sie mit unschuldiger Neugierde an, die ihr das Herz in der Brust zu schmelzen drohte.
„Entschuldige“, sagte sie dann leise. „Ich dachte nur ...“ Sie brach ab, unternahm Anstalten sich umzudrehen und Naomi, bevor sie nachdenken konnte, lehnte sich nach vorne und packte sie am Arm. Vermutlich etwas zu grob, denn die Fremde zuckte zurück und Naomi ließ abrupt los, so schnell, als habe sie sich an ihr verbrannt.
„Nein, nein“, sagte sie rasch. „Ich entschuldige mich. Tut mir leid. Ich heiße Naomi.“
Das kam jetzt sehr unbeholfen heraus und Naomi würde nicht rot werden, ganz sicher nicht.
„Magdalena“, sagte die Rothaarige und ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus, ließ sie vollkommen und vor allem vollkommen unwiderstehlich erscheinen.
„Ähm. Freut mich.“ Naomi spielte mit den Rändern ihrer Jeansjacke. „Du bist also auch ein Fan.“
Magdalena lachte und nickte und Naomi verfluchte ihr Ungeschick.
„Dann habe ich mich nicht geirrt“, sagte Magdalena und Naomi hielt vorsorglich ihren Mund, bevor ihm noch mehr Unsinn entkam.“
„Deine Blicke“, fuhr Magdalena fort. „Ich hab mich doch nicht geirrt?“
Und da war er wieder, der Hauch von Unsicherheit, der so gar nicht zu einer traumhaften Erscheinung wie der Magdalenas passen wollte.
„Was?“, fragte Naomi, bevor sie sich bremsen konnte und spürte, wie ihr Gesicht zu glühen begann. Natürlich - wie sollte es auch anders sein?
„Du bist süß“, sagte Magdalena. „Ich dachte, wir befänden und vielleicht auf einer Wellenlänge.“
„Bestimmt“, nickte Naomi schnell. „Ganz bestimmt. Ich meine, da bin ich sicher. Oder?“
Die Verwirrung siegte und sie ertappte sich erneut dabei, die andere ratlos anzustarren.
„Naomi“, fuhr die fort. „Ich mag deinen Namen. Was denkst du - sehen wir uns nachher? Zur Cocktailstunde?“
Naomi nickte automatisch. „Wo - wo wohnst du?“, fragte sie, ohne nachzudenken. Ganz klar, dass es ihr wieder gelungen war, mit der Tür ins Haus zu fallen.
„Zweiter Stock“, antwortete Magdalena, als sei das die natürlichste Frage der Welt. „Zimmer 21“, fuhr sie fort und lächelte. „Und ich hab mir sagen lassen, dass man von unserem Fenster aus die Fenster des Teams sehen könnte. Auch wenn die bis jetzt immer verdunkelt waren.“ Ihre Stirn legte sich in Falten. „Was allerdings auch als Beweis zählen könnte.“
Naomi kicherte, kicherte wirklich, brach in dem Moment ab, in dem sie es bemerkte. Himmel noch einmal, sie benahm sich wie ein Teenager und nicht wie die doch irgendwo erfahrene und hoffentlich abgebrühte Frau, die sie war. Auf der anderen Seite hegte sie den Verdacht, dass jede noch so abgebrühte Frau, konfrontiert mit einer Märchenprinzessin, ihre in langen Jahren perfektionierte Fassade bröckeln sähe. Ihr Mund klappte auf, doch konnte sie nur noch beobachten, wie ein paar lachende Frauen sich aus dem Nebel, zu dem die Menge geworden war, lösten, Naomi ergriffen und mit sich zogen. Die drehte sich noch einmal um, warf Naomi einen Blick über die Schulter zu, der sie buchstäblich erzittern ließ, und verschwand.
„Verdammt“, murmelte sie in sich hinein, zuckte zusammen, als sie Dagmars Hand auf ihrer Schulter spürte. „He Naomi“, sagte die. „Erde an Naomi - die sind schon lange fertig. Da oben auf der Bühne ist nichts als gähnende Leere.“ Als Naomi sich immer noch verdutzt zu ihr umdrehte, zwinkerte Dagmar ihr vertraulich zu. „Weißt du, wer das war?“
„Wer was war?“, wiederholte Naomi dümmlich.
„Die Rothaarige natürlich“, lachte Dagmar. „Die du angestarrt hast wie ein Weltwunder. Und genau das war sie auch. Ist sie. Sozusagen berühmt. Man kennt sie aus der Fanfiction.“ Dagmar zog die Nase kraus.
„Wie hieß das doch gleich? Schwingen der Unsterblichkeit.“
In Naomi blitzte eine Erinnerung auf. „Die Vampir-AU“, murmelte sie gedankenverloren, schüttelte den Kopf. „War wirklich gut geschrieben.“
„Gut geschrieben?“, lachte Dagmar. „War genial. Ich hab es mindestens 5x gelesen. Allein schon wie Rabah Damir in einen Vampir verwandelt. Sie ihre Seelenverwandtschaft entdecken und ihr Band besiegeln.“
„Schon“, murmelte Naomi. „Aber trotzdem. Zombies und Vampire in einem Universum. Das will mir irgendwie nicht in den Kopf. Und dann noch diese wundersame Fügung, dass einmal in einen Vampir verwandelt, die Leute immun gegen das Zombievirus sind - finde ich etwas schräg.“
Dagmar begutachtete sie von der Seite. „Schräg? Weil eine mehrstaffelige Serie über Zombiejäger so realistisch ist.“
„Meine ich doch gar nicht“, wehrte sich Naomi.
„Ich weiß schon“, fiel Dagmar ein und Naomi erinnerte sich dankbar an das Schlichtungstalent, dass die bereits bei Auseinandersetzungen in Netzwerken gezeigt hatte. Dagmar klopfte ihr auf die Schulter. „Ich weiß doch, dass du von der alten Schule bist. So nahe an der Serie wie möglich. Und du hast ja auch recht. Die bietet eigentlich genug Stoff. Nichtsdestotrotz finde ich die Ausflüge in alternative Universen einfach spannend. Das wirst du mir doch nicht nehmen wollen.“
Sie lächelte entwaffnend und Naomi zwinkerte ihr zu. „Wo werd ich denn. Kennst mich doch. Und solange Zombies nicht mit Werwölfen zusammenkommen, bleibt alles im Rahmen.“
„Hm. Also was das angeht.“ Dagmar verstummte und Naomi hob die Augenbrauen, ahnte Schlimmes. Doch in diesem Moment wurden Stimmen laut. Eine Gruppe als Zombies verkleideter und geschminkter Mädchen rannte durch den Raum. „Schnell“, schrien sie durcheinander. „Sie sind in Saal 9. Und sie haben Gitarren. Mit etwas Glück spielen sie was.“
„Oh mein Gott“, kreischte Dagmar auf. Ihre Augen leuchteten. „Ich hatte so darauf gehofft.“ Sie zerrte Naomi mit sich und die vergaß für die kommende Stunde und über eine Musikeinlage, sowie über die folgende Gelegenheit, dem Erfinder der Serie ein paar Fragen zu stellen, die Begegnung mit Magdalena. Wenngleich nicht völlig. Es blieb bei einem leisen, unterschwelligen Strahlen, das in ihr leuchtete, jedes Ereignis, jede Show bunter und lebendiger gestaltete, als sie es sich je ausgemalt hätte.
Auch aus diesem Grund vergaß sie nicht, darauf zu achten, wann die Cocktailstunde begann.
Dagmar stellte sie anderen aus ihrem Forum vor und die letzte Scheu schmolz, als Begeisterung übernahm. Nicht einmal die Notwendigkeit, Schlange zu stehen, um an Karten für die Abendveranstaltung zu kommen, trübte die Stimmung.
Mit diesen gut in ihrer Tasche verwahrt, drängte Naomi sich durch den Saal, der als Cocktailbar umfunktioniert worden war. Überall waren Tische und Sofas aufgestellt und in jeder Ecke stand ein Zombie und mixte Getränke.
Naomi hielt Ausschau, doch Magdalena wollte sich nicht zeigen. Beinahe war sie soweit, die Hoffnung aufzugeben, da winkte ihr ein weißer Arm. Der türkisfarbene Ärmel war herab gerutscht und für einen Augenblick konnte Naomi nicht anders als bewundern, wie sehr der warme, grünliche Farbton Magdalenas beinahe ungesund bleichen Haut schmeichelte.
Sie winkte zurück und Magdalena lächelte. Ihre Augen wirkten grün in dem milden Licht und Naomi konnte schwören, dass sie zuvor einen anderen Pullover getragen hatte. Nicht dass sie für gewöhnlich besonders darauf achtete, aber die Art, wie der Stoff Magdalenas Augen spiegelte oder umgekehrt, sie nebenbei zum Leuchten brachte, nahm ihr den Atem.
Magdalena rutschte zur Seite. „Ich hab dir was freigehalten“, rief sie und Naomi ließ sich neben ihr auf ein Sofa sinken. „Das ist nett, danke.“ Und dankbar war sie wirklich, hatte doch gerade noch befürchtet, dass ihre Knie nachgäben. Unglaublich und im Grunde vollkommen unverständlich, was allein die Nähe Magdalenas anrichtete.
Magdalena winkte wieder und als Naomi ihrem Blick folgte, sah sie eine der Frauen, von denen sie schwören konnte, dass sie zuvor bei denen gewesen waren, die Magdalena von ihr weggezerrt hatten. Sie balancierte ein Tablett mit mindestens sieben Drinks darauf und begann emsig dieselben zu verteilen.
„Magst du?“, fragte Magdalena, als sie bei ihnen ankam. „Ich hab für dich mitbestellt. Wusste nicht, was du magst.“
„Das ist perfekt“, murmelte Naomi und legte wie die Anderen Geld auf das Tablett.
„Hella ist Kellnerin“, erklärte Magdalena. „Sie könnte doppelt so viele Drinks tragen, ohne auch nur einen zu verschütten.“
„Fantastisch“, erwiderte Naomi und das mit aufrichtiger Bewunderung. Sie starrte auf die rote Flüssigkeit, schnupperte prüfend. „Was hättest du gemacht, wenn ich nicht aufgetaucht wäre. Hätte ja sein können, dass ich den Raum nicht finde. Das wäre nicht das erste Mal.“
Magdalena lachte, als habe sie einen Witz gemacht. „Ich hätte ihn natürlich selbst getrunken“, verkündete sie und lachte wieder. Hella, die ihr Tablett geleert hatte, beugte sich zu Naomi. „Das solltest du nicht zulassen“, sagte sie und kniff die Augen zusammen. „Nach dem dritten Glas wird sie komisch.“
„Gut zu wissen“, murmelte Naomi, schnupperte erneut. „Kommt auch gar nicht in Frage, riecht lecker.“
„Kirsche“, sagte Magdalena. „Schön süß“, und nippte an ihrem eigenen Getränk. Und konnte es sein, dass ihre Lippen, die Farbe der Kirschen annahmen? Davon abgesehen, dass sie nun verlockend glänzten.
Naomi schluckte, blinzelte und wandte verlegen den Blick ab, bevor sie sich räusperte. Zombies und Vampire, dachte sie, als könnten die Vorlieben Magdalenas sie davon abbringen, sich von ihr angezogen zu fühlen.
„Ich habe gehört, dass du Fanfiction schreibst“, murmelte sie. Magdalena lachte. „Tatsächlich? Wer hat mich verraten?“
„Dagmar“, gab Naomi zu. „Wenn es um das Fandom geht, weiß sie alles.“
„Aha.“ Magdalena beäugte sie interessiert. „Dann muss ich mich an Dagmar wenden, um Informationen über Dich zu erhalten.“
Naomi schüttelte den Kopf. „Du kannst auch mich fragen“, antwortete sie und wies beiläufig über die Menge, die sich durch den Raum drängte. „Ich nehme an, dass die meisten hier schreiben, zeichnen oder sich Kostüme basteln.“
„Vergiss nicht die Musik.“ Magdalena wies auf eine kleine Gruppe Verkleideter ihnen gegenüber, die ihre Bongo-Trommeln bearbeiteten. „Zombies und Percussion. Eindeutig ein Verdienst unserer Serie. Wie so vieles andere.“
Naomi nickte und verdammt, sie konnte sich nicht darauf konzentrieren, dass sie etwas gegen die merkwürdige und vollkommen unpassende Kombination von Vampiren oder Zombies einzuwenden hatte. Wenn Magdalena ein Faible dafür besaß, was für einen Grund sollte sie haben, dagegen Einwände zu erheben?
„Also schreibst du auch?“, führte Magdalena das Gespräch fort. Naomi nickte. Sie saßen eng genug nebeneinander, um sich trotz des Lärms verstehen zu können. Die Nähe wärmte Naomi. Ihre Finger wurden feucht und ihr Atem ging schneller.
„Aber nur kleinere Geschichten. Sozusagen das, was sie uns zwischen den Szenen nicht zeigen.“
Magdalena hob die Augenbrauen. „Wen schreibst du?“
Naomi lachte. „Unsere beiden Jungs, versteht sich von selbst.“
Magdalena stimmte ein. „Man sieht einfach, dass sie zusammengehören. Wenn sie nicht dauernd diesen Ärger mit Untoten hätten, wären sie längst zusammengezogen, hätten zwei Kinder adoptiert und sich einen Hund angeschafft.“
„Heutzutage funktioniert das über Leihmütter und Eizellenspende“, belehrte sie Naomi. „Den Hund allerdings müssten sie sich wohl noch auf altmodische Art und Weise besorgen.“
„Igitt.“ Magdalena verzog den Mund. „Was hast du für Ideen?“
Naomi nahm rasch einen Schluck. „Nicht so schlimm, wie Vampire mit Zombies zu paaren“, konnte sie nicht anders, als sich zu wehren.
Doch zu ihrer Verwunderung lachte Magdalena. „Du bist ja süß“, sagte sie. „Aber du musst nicht lesen, was dir nicht gefällt.“
„Tue ich nicht“, murmelte Naomi. „Es ist wirklich gut. Ich konnte nicht aufhören.“ Sie schüttelte den Kopf. „Trotzdem. Vampire sind Vampire und Zombies sind Zombies. Fantasy und Sci-Fi. Komplett unterschiedliche Universen.“
„Schon gut.“ Magdalena sah sie auffordernd an. „Dann bin ich froh, dass du noch nichts von meinem neuen Mehrteiler weißt.“
„Nein. Oh nein.“ Naomi spielte nicht nur die Entsetzte. „Du willst doch nicht sagen? Du hast doch nicht?“
„Oh doch.“ Magdalena nickte. „Zombies und Werwölfe. Das hat sowas von gefehlt.“
„Hat es nicht.“ Naomi leerte ihr Glas, begann den Alkohol auf erfreuliche Weise zu spüren. „Was ist dagegen einzuwenden, wenn sich zwei Menschen ineinander verlieben? Ich weiß ja, dass es altmodisch erscheint. Aber ist denn das allein nicht schwierig genug?“
„Sozusagen unmöglich“, stimmte Magdalena zu. „Deshalb ist es so viel einfacher auf das Übernatürliche auszuweichen. Unter Voraussetzungen wie Seelenverwandtschaft, Vorherbestimmung, Schicksal läuft das mit der Liebe praktisch von selbst.“
„Na ich weiß nicht.“ Naomi blieb bei ihrer Skepsis, akzeptierte mit Freude und Dankbarkeit das zweite Glas, das Hella vorbeibrachte.
„Ist einfach viel zu wenig drin“, verkündete Magdalena, als sie ebenfalls zugriff. „Und für eine bedeutende Diskussion wie diese brauche ich unbedingt noch Treibstoff.“
„Wo sind deine Freunde?“ Naomi drehte sich um, erkannte doch nun keine der Frauen mehr, die Magdalena zuvor begleitet hatten.
„Sind auf zum Panel von Julietta und der Produzentin. Ich hab ihnen gesagt, dass ich da nicht hin muss. Oder wolltest du?“ Sie wirkte auf einmal verwirrt.
„Nein.“ Naomi schüttelte den Kopf. „Sicher nicht.“
Magdalena betrachtete sie prüfend. „Merkwürdig, nicht wahr?“
„Was?“ Naomi vermochte ihr nicht zu folgen.
„Na wir beide.“ Magdalena näherte sich ihr so weit, dass Naomi ihren Atem wie einen Hauch spürte. Der roch nach Kirschen und sie schloss kurz die Augen.
„Wir sind offensichtlich beide lesbisch“, raunte Magdalena ihr ins Ohr. „Aber wir laufen nicht jeder verantwortlichen Frau unserer Serie hinterher. Und wir schreiben Geschichten über die männlichen Protagonisten. Kommt dir das vielleicht nicht merkwürdig vor?“
„Und ob.“ Naomi schluckte, nickte dann schnell. „Aber bis jetzt habe ich noch keine zufriedenstellende Erklärung gefunden. Zumindest für den zweiten Punkt.“
Sie kicherte, befand sich selbst für albern und hielt inne.
„Oh, es gibt auch keine“, bemerkte Magdalena. „Ist einfach witzig. Und zum ersten Punkt - die sind beide nicht mein Typ.“
Naomi senkte ihre Stimme. „Und wer ist dein Typ?“
„Vielleicht bist du es“, flüsterte Magdalena. „Was würdest du dazu sagen?“
„Ich - also - ich weiß nicht.“ Naomi räusperte sich, lachte nervös. Nahm ihren Mut zusammen, neigte sich ihrerseits zu Magdalena, bis ihre Lippen fast deren Ohr berührten. „Ich würde sagen, dass du auf jeden Fall meiner bist.“
„Ich weiß.“ Magdalena drehte nur ein wenig den Kopf, gerade weit genug, um ihre Lippen auf Naomis pressen zu können.
„Was denkst du?“, wisperte Magdalena und senkte die Lider in einem Blick, den Naomi nur als verführerisch bezeichnen könnte, besäße sie denn die Geistesgegenwart oder auch nur das geringste Interesse daran, nach Worten zu suchen. „Sollten wir nicht irgendwohin gehen, wo es ruhiger ist?“
Naomi schluckte, beobachtete, wie Magdalenas Zunge über die roten Lippen fuhr. Sie räusperte sich. Das alles war verrückt, unwirklich. Ihr Blick flackerte. Anders war nicht zu erklären, dass sich auf einmal helle und dunkle Lichter zu einem verwirrenden Muster zusammenfanden. Genau dieses Muster flirrte nun vor ihren Augen und verursachte genügend Unruhe, bis ihr - obwohl sie fest auf ihren vier Buchstaben sitzen sollte - schwindelig wurde. Dennoch schaffte sie es, irgendwie zu nicken. Es gelang ihr sogar, die Lippen zu einem Lächeln zu verziehen, welches, wie sie hoffte, nicht allzu hilflos oder gar aufgeregt erschien. Denn exakt in dem Moment, in dem ihr dieser Gedanke kam, registrierte sie ihre Aufregung ebenso wie die Hitze, die ihr nun, fraglos sichtbar, ins Gesicht stieg.
Magdalena neigte sich zu ihr vor und Naomi erstarrte, wartete ab, bis deren Lippen sich in unmittelbarer Nähe ihres Ohrs bewegten. „Du bist süß“, hörte sie ein Flüstern und nun sah sie die roten Flecken praktisch vor sich, die auf ihren Wangen brannten, ihren Körper mit zu viel Wärme überzogen. Schweiß brach ihr aus und sie wusste nicht, ob sie im Boden versinken oder vor Freude tanzen sollte.
„Nein, du bist süß“, vernahm sie ihre eigene Stimme und gratulierte sich zu der Geistesgegenwart, die sie das Kompliment erwidern ließ. Magdalena lehnte sich jedoch urplötzlich zurück und sah sie an. War das ein strenger Zug um die glänzend roten Lippen? War sie zu weit gegangen? Wenn Naomi gerade eben noch geglaubt hatte zu spüren, wie flammende Hitze ihre Haut versengte, so war das nichts gegen die lodernde Scham, die ihr nun ins Gesicht stieg.
Noch dazu sah Magdalena sie nicht an, als sie aufstand, wandte sich dann beinahe abrupt ab und verließ die Ecke, die Naomi auf einmal unangenehm kalt, geradezu unfreundlich, wenn nicht gar abweisend erschien. Wie ein Häufchen Elend blieb sie zurück, konnte dennoch nicht anders, als den leicht schwingenden Gang Magdalenas zu bewundern, die hübsche Rundung, die sich über den langen Beinen trotz der weiten Hosen abzeichnete. Einmal nur so gehen können und Naomi fragte sich, ob Magdalena wusste, was sie ihr gerade antat.
Genau in diesem Moment drehte Magdalena den Kopf, sah sie über die Schulter an. „Kommst du?“, fragte sie und ihr Lächeln sah aus, als verberge es nur unzulänglich das fast schadenfrohe Vergnügen, das sie empfand, indem sie Naomi neckte.
Die stolperte fast über die eigenen Beine, als sie sich hochrappelte und hinter Magdalena her stürzte. Gerade noch rechtzeitig gelang es ihr, sich zu bremsen. Wenigstens rechtzeitig genug, um kein unangenehmes Aufsehen zu erregen. Das hoffte Naomi zumindest, während sie mit Magdalenas Schritt in einen Rhythmus fiel, ihr verstohlene Blicke von der Seite her zuwarf. Die lächelte immer noch oder schon wieder, aber nun konnte Naomi keinerlei Schadenfreude mehr in ihren Zügen erkennen. Das Lächeln wandte sich nach innen, sah aus, als erhellte es ihr Gesicht, gab der blassen Haut einen warmen Schimmer, der Naomi wünschen ließ, es wäre ihr erlaubt, sie mit ihrer Zunge zu kosten, über die zarte Wange zu lecken.
Beim besten Willen fiel ihr nichts ein, was sie sagen konnte, nichts, was nicht peinlich, unpassend oder gar unangenehm wäre. Schon gar nichts, was die Situation auflockern oder gar erhellen könnte.
Sie verließen den Raum und bogen in einen Gang ein, der zu einer Reihe Zimmer fühlte, die mit verschiedenen Ausstellungs- und Verkaufsständen gefüllt waren. In einem wurden Magazine angeboten und Naomi glaubte, aus den Augenwinkeln das Coverbild zu Magdalenas Vampir-Zombie-Romanze erkennen zu können. Doch die hielt nicht inne und bald befanden sie sich auf der ausladenden Treppe, die hinauf in die Hotelzimmer der Gäste führte.
Ihr Herz schlug schneller und die rechte Hand fand ihre linke und begann die nervös zu kneten. Erst im zweiten Stock angekommen, hielt Magdalena inne und wandte sich ihr zu, legte prüfend den Kopf schief. „Weißt du die Nummer noch?“, fragte sie und ihr Lächeln war so zuckersüß, dass es Diabetes verursachen könnte.
Naomi nickte hastig, hatte nicht bemerkt, dass sie stehengeblieben war, dass Magdalena sich bereits von ihr entfernt hatte. Rasch holte sie auf, hoffte, dass ihr Blick nicht zu selig, nicht zu dankbar, nicht zu erbärmlich rüberkäme. Doch als Magdalena ihr die Hand an die Wange legte und sich zu ihr neigte, vergaß sie jeden Zweifel, jede unnötige Scham. Da pochte nur noch ihr Herz, da glühte ihr Gesicht, und das Strahlen, das sie in sich spürte, erleuchtete die Dunkelheit eines Flurs, der zu einer anderen Zeit belanglos, beinahe trist gewirkt hätte. Doch der nun funkelte wie tausend Sonnen, heller schien als auf einer Veranstaltung, in der Übertreibungen und Gefühlsausbrüche, Seligkeitsbezeugungen an der Tagesordnung waren, die Regel sein sollte.
Ihre Lippen trafen sich und Naomi schmeckte Kirschen und Likör und noch etwas Herbes darunter. Sie schloss die Augen, fühlte den Kuss noch nach, als Magdalenas Mund ihren längst verlassen hatte. Doch behielt sie die Lider geschlossen, ließ es zu, dass der Duft der anderen sie umfing. Sie roch, wie sie schmeckte und Naomi lächelte.
„Was?“, hörte sie Magdalena fragen, deren Stimme dunkel, ein wenig heiser, vielleicht erregt in ihrem Kopf nachhallte, und widerstrebend hob sie die Lider. Bereute es jedoch nicht, als sie Magdalenas Blick fand, deren Iris aus der Nähe so irritierend türkisfarben erschien, als jage sie die Farbe ihrer Kleidung. Winzige kleine Fältchen bildeten sich in den Winkeln der Augen, hauchzart, kaum wahrnehmbar inmitten der glatten, klaren Haut. Und doch betrachtete Naomi sie mit Staunen, wollte sie mit ihren Fingern berühren, kleine Beweise dafür, dass Magdalena ein Mensch war wie sie und keine Figur aus einem Traum. Dass Spuren der vorbeiziehenden Jahre auch an ihr hängen geblieben waren, ihren Zügen das Besondere verliehen, das die Zeit jedem Gesicht schenkte. Sie hob die Hand, doch Magdalena nahm sie in ihre, lachte ein helles, klingendes Lachen, bevor sie sich abwandte, um die Tür zu öffnen.
Nur einen Moment später standen sie in dem Raum, der bis ins Detail dem glich, den Naomi mit Dagmar teilte. Die Vorhänge waren geschlossen und Magdalena hatte wohl eine der Lampen, die hinter den an der Wand befestigten Schirmen angebracht waren, aktiviert, denn ein sanfter Schimmer erhellte die Konturen. Nur nebenbei nahm Naomi die beiden Betten wahr, registrierte mit Erleichterung, dass sie beide leer waren. Da presste Magdalena bereits erneut ihre Lippen gegen ihre und Naomi öffnete bereitwillig ihren Mund, erlaubte einer vorwitzigen Zunge über ihre Vorderzähne zu gleiten. Sie lächelte in den Kuss. Doch als Magdalena plötzlich zurückwich, dachte sie für einen Augenblick und mit plötzlichem Erschrecken, dass ihr womöglich der notwendige Ernst abging, dass sie womöglich Gefahr lief, die andere zu enttäuschen. Zugleich meldete eine verbohrte, eigensinnige Stimme ihr eine Warnung. Denn nicht zum ersten Mal hinterfragte sie zu viel, zerpflückte den Moment, noch bevor sie ihn genießen konnte, und ihr Lächeln erstarb.
Magdalenas Lippen lösten sich, doch als Naomi vorsichtig ihre Augen öffnete, zwinkerte die ihr zu, neckisch genug, um im deutlichen Widerspruch zu dem fast unwirklich ätherischen Gesicht zu erscheinen. „Lass mich nur die Tür schließen“, sagte die und griff nach dem Schild, das sich am Griff befand und befestigte es an der Außenseite, bevor sie den Schlüssel herumdrehte. Danach lehnte sie sich gegen den eben noch offenstehenden Türspalt. „Besser als eine Socke“, sagte sie und Naomi lachte, nervös geworden.
Magdalena runzelte die Stirn, zuckte dann mit den Schultern. „Auch wenn eine Socke vielleicht besser zu der Ausstattung hier passen würde“, gab sie zu bedenken, bewegte ihre Hüften in Richtung des Türgriffes. „Ernsthaft. Wer hat heutzutage noch Schlüssel? Wo doch alles mit Karten so viel besser läuft.“
„Außer wenn der Strom ausfällt“, bemerkte ein Teil von Naomi, der wie die Schlüssel im vorigen Jahrhundert steckengeblieben war.
Magdalena blinzelte. „Dafür gibt es Notfallgeneratoren“, vermutete sie und Naomi kicherte zu ihrem eigenen Entsetzen. Sie kicherte wirklich und um ihre Verlegenheit zu überspielen, war sie es nun, die nach Magdalenas Hand griff, sich zu ihrem Ohr neigte. „Ist das süß. Du bist wirklich jung genug, um dich an keinen Stromausfall erinnern zu können.“
Magdalena spitzte ihre Lippen. „Tatsächlich? Und ich wette, du willst mir gleich erzählen, dass ihr euch zu deiner Zeit am offenen Feuer gewärmt habt.“
„Wir hatten einen Kamin“, erwiderte Naomi und neigte den Kopf. Magdalena strich ihr über die Schläfe, befestigte ihr Haar hinter ihrem Ohr, bevor sie zurückwich und ihr in die Augen sah.
„Dann werde ich dir mal zeigen, wie man heutzutage Hitze erzeugt.“
Naomi schloss die Augen und gab sich den Lippen hin, die nun erneut ihre öffneten, der Zunge, die vorsichtig in ihren Mund glitt und das Innere streifte. Langsam, vorsichtig bewegte sie ihre Zunge gegen Magdalenas, seufzte in den sanften Tanz hinein, der sie trug und schaukelte, langsam, sehr langsam höher beförderte, hinauf in einen Schwebezustand, der sie sacht umfing. Erst jetzt bemerkte sie, dass Magdalena sie langsam weiter drängte, rückwärts und von der Tür weg. Sie entspannte sich und folgte der Richtung, die Magdalena vorgab, bis sie mit den Innenseiten ihrer Knie gegen das näher stehende Bett stieß. Auf einmal, unvermittelt gab ihr Magdalena einen Stoß und sie verlor das Gleichgewicht, sank rückwärts auf die Matratze.
Magdalena lachte und als Naomi aufsah, blickte die auf sie herab, leckte sich ihre Lippen und legte den Kopf schief. „So habe ich mir das vorgestellt“, sagte sie leise, ein wenig heiser und Naomis Atem beschleunigte sich. Magdalena stand zwischen ihren Knien und Naomi hob die Beine und schlang sie um Magdalenas, zog sie näher.
„Hey“, wehrte die sich, jedoch nur kurz. Kippte dann nach vorne und landete über Naomi auf der Matratze, stützte sich mit Händen und Knien. Ihr Haar fiel neben ihrem Gesicht herab, als sie auf Naomi sah und lächelte.
Dann ließ sie sich langsam tiefer sinken, bis Naomi ihr gesamtes Gewicht auf sich spürte, den warmen Körper, die Weichheit ihrer Rundungen, die Konturen ihrer Hüftknochen, die Magdalena nun gegen ihr Becken presste. Erneut lagen die kirschroten Lippen nun auf ihren und Naomi seufzte leise in den Kuss, ließ ihre Hände an Magdalenas Seiten hinauf und wieder hinunter gleiten bis sie glaubte zu hören, wie die ihren Seufzer erwiderte. Nur kurz lösten ihre Lippen sich voneinander und bevor Naomi protestieren konnte, fand Magdalenas Mund ihren Hals. Gerade als ob sie ahnte, wie empfindlich Naomi sich gerade an dieser Stelle ihres Körpers fühlte, wie sehr sie es genoss, dort berührt zu werden. Dankbar neigte sie ihren Kopf zur Seite, dehnte den Nacken und offenbarte die Länge ihres Halses. Magdalena küsste und leckte und Naomi spürte, wie sie feucht wurde. Ihr Seufzen wurde tiefer, kehlig, und sie hörte Magdalenas leises Lachen. Lange, schlanke Finger fanden den Saum ihrer Bluse, wanderten über ihre Hüften, streiften ihre Rippen. Und dann, plötzlich, befand Magdalena sich wieder auf den Knien, hatte ihren Kontakt gelöst. Doch bevor Naomi den Verlust bereuen konnte, wanderten Finger höher hinauf, kitzelten die Unterseite ihres BHs, während der Mund seine Liebkosung des Nackens wieder aufnahm. Naomi stöhnte nun. Ihre Beine sanken auseinander, öffneten sich automatisch und wenn Magdalena nun lachte, dann war es ihr gleich. Denn deren Fingerspitzen schlüpften unter den feinen Stoff, drückten und pressten das weiche Gewebe darunter, fanden schließlich ihre Nippel. Naomis Hüften zuckten hoch, und Magdalena rieb schneller über ihre Brustwarzen, die sich plötzlich heiß und hart anfühlten. Und dann waren ihre Finger verschwunden und ehe Naomi sich versah, befanden die sich im Bund ihrer Jeans, öffneten geschickt Knopf um Knopf und wanderten schließlich in ihren Slip.
„So feucht für mich“, flüsterte Magdalena und Naomi spürte, dass sie erneut rot wurde. „Nur für dich“, gab sie zurück und hob ihr Becken an. Magdalena küsste sie und nun wagte sich ein langer Finger vor, suchte und fand sein Ziel. Naomi öffnete ihre Beine und stöhnte erneut, keuchte dann, als der Finger ihre Klitoris erreichte, die umkreiste, sanft und zart, kaum wahrnehmbar. Doch dann schneller und fester, bevor die Hand sich weiterschob, ihre Lippen spreizte und einer der Finger, der längste, mittlere, sich den Eingang suchte, langsam eindrang, in ihr kreiste, während es nun der Daumen war, der ihre empfindliche Perle massierte. Es war fast peinlich, wie schnell und wie heftig sie kam. Fast so peinlich wie die Tatsache, dass es ihr erst jetzt auffiel, wie einseitig ihr Erlebnis bislang abgelaufen war. Doch damit war nun Schluss und Naomi zwang ihre erschöpften Glieder zu reagieren, zwang ihre Hände, die sich an Magdalenas schönen Körper klammerten, als wollten sie ihn nie wieder loslassen, in geschicktere Manöver. Es war an der Zeit, dieser Göttin zu zeigen, was sie vermochte.
Als Magdalena sich wieder tiefer neigte, erneut ihre Lippen mit ihrem Mund umschloss, da vergaß Naomi das Bedauern, das sie empfand, als der Finger ihrem Inneren entglitt. Streifte der doch an der Innenseite ihrer Schenkel entlang, ließ sich leicht von ihrer Hand fangen. Sie verschränkte ihre Finger mit Magdalenas, legte die andere Hand auf deren Hüfte und rollte sich zur Seite, wohl darauf bedacht, dass sie nicht beide aus dem Bett fielen. Magdalena kicherte trotzdem in den Kuss und ihre Lippen lösten sich. „Lass mich“, flüsterte Naomi und bewunderte das bereits verwirrt wirkende, gerade doch noch so glatt anliegende Haar, die hellroten Flecken auf den blassen Wangen, die Magdalena fiebrig und erregt erscheinen ließen. Und so lebendig wie deren Gesichtsfarbe im Grunde kaum erlaubte. Magdalenas Augen glänzten und nun war es leicht, sie in die Mitte der Matratze zu dirigieren, rutschte Magdalena doch aus eigenem Antrieb höher und sank mit einem Seufzen auf ihren Rücken. Nicht nur das, sie öffnete ihre Hose, zog die mit bemerkenswertem Geschick und Anmut - denn Naomi wüsste kein anderes Wort für eine Bewegung wie die von ihr vollführte, über Knie und Knöchel, bevor sie sie achtlos seitlich des Bettes zu Boden fallen ließ. Ein hellgrauer Slip mit rosa Spitze schmeichelte den perfekten Beinen, doch als Naomi ihn abstreifte, erfreute der Anblick umso mehr. Rasch hob sie die Augen zu Magdalenas Gesicht, zu den hübschen Brüsten, die sich unter dem Shirt wölbten. Die lächelte und leckte sich die Lippen, stellte auffordernd ihre Füße auf und bewegte ihr Becken. Naomi verlor keine Zeit, fasste Magdalenas Schenkel, öffnete diese und leckte über den Spalt, der sich verlockend unter ihr öffnete.
„Oh ja“, stieß Magdalena unter schnellen Atemzügen hervor und angespornt leckte Naomi erneut, schmeckte die Essenz der Weiblichkeit, die ihre Sinne betäuben wollte, ihre eigene Erregung wieder ansteigen ließ. Die Klitoris, eben noch geschützt und gut versteckt, offenbarte sich vor ihren Augen und sie belohnte die geschwollene Perle mit kleinen Stößen einer gespitzten Zunge. „Ja“, wiederholte Magdalena und Naomi spürte deren Hände in ihrem Haar, die Kraft der Finger, die sie tiefer zog. Also presste sie ihre Lippen auf das zarte Gewebe, leckte schnell, sanft und kitzelnd, während Magdalenas Becken zuckte. Als sie kam, schrie Magdalena auf und Naomi konnte nicht anders, als zwei ihrer Finger in die aufklaffende Öffnung zu schieben, aus der feuchter Honig tropfte. Magdalena schloss ihre Beine, presste die Finger zusammen und Naomi schob sie tiefer, bewegte sie gegen den Widerstand, beobachtete wie Magdalena ihre Hand ritt und sich zu einem weiteren Höhepunkt empor schaukelte.
Die Zeit verschwamm mit Küssen und dem Rascheln weiterer Kleidungsstücke, die zu Boden fielen. Der Anblick von Magdalenas kleinen, festen Brüsten, der schlanken und doch definierten, nackten Arme, die sich um Naomi schlangen, deren Linie sie mit ihren Lippen folgte, prägte sich in Naomis Bewusstsein, ebenso wie der Ausdruck in ihrem schönen Gesicht, die gesenkten Lider, der geöffnete Mund, die feuchten Lippen, die einen stummen Laut formten, als sie zum dritten Mal kam. Erschöpft sank Naomi schließlich neben ihr auf die Matratze, nicht ohne dass auch sie unter Magdalenas kundiger Führung weitere Erfüllung gefunden hatte.
„Fantastisch“, seufzte sie und lauschte auf Magdalenas leises Lachen, das ihr inzwischen vertraut geworden war. „Sollten wir nicht zurückgehen?“, murmelte sie schließlich, dachte fast wehmütig an das Treiben nur zwei Stockwerke unter ihnen. Und doch erschien ihr der Trubel im Vergleich nichtssagend und bedeutungslos. Magdalena zu spüren, zu atmen, zu schmecken, fühlte sich um so vieles echter an als alles, was sie dort unten erwarten konnte. Sie sah nicht hin, als Magdalena sich zu ihr drehte, stellte sich vor, wie die ihre Lippen leckte, während sie Naomi betrachtete. „Heute findet nichts wirklich Interessantes mehr statt“, murmelte Magdalena. „Wenigstens nicht, was mich angeht.“ Sie schwieg einen Augenblick. „Und so wie ich dich einschätze, geht es dir ähnlich“, fuhr sie fort. „Rabar und Damir sehen wir erst morgen wieder. Wenn sie ihr großes, gemeinsames Panel absolvieren.“
„Ach ja – das.“ Naomi lächelte. Das Leben konnte unmöglich besser sein. Niemand sollte sich mehr wünschen, niemand dürfte mehr erhalten. Definitiv nicht mehr als ihr gerade eben geschenkt worden war. Mit diesem Gedanken schlief sie ein, Magdalenas Hand in ihrer, der perfekte Körper ihr zugewandt, Atem, Körperwärme teilend.
Als sie erwachte, war es kalt, war ihr kalt und sie blinzelte suchend in die Dunkelheit. Für einen Moment verwirrt, tastete sie die Matratze entlang, bevor die Erinnerung zurückkehrte. Und damit die Erkenntnis, dass sie alleine war. Abrupt setzte sie sich auf, lauschte. Entfernte Geräusche vermochte sie nur mühsam auszumachen, und sie stellte sich vor, wie wenige Treppen tiefer der Abend der Veranstaltung ausklang. Ihr Kopf brummte und begann zu schmerzen, als sie die Füße über die Bettkante streckte. Was hatte sie nur getrunken? Irgendetwas Süßes. Kein Wunder, dass sie es nun bereute, dass ihr der Schädel wehtat. Im Grunde müsste sie es besser wissen. In ihrem Alter. Aber nein, hatte sie sich nicht verboten an diesem Wochenende mit ihrem Alter, ihrer Erfahrung, ihrer Vernunft zu argumentieren? Wenn auch nur sich selbst gegenüber. Und war nicht das soeben erlebte Abenteuer der beste Beweis dafür, wie problemlos sie sich wieder in einen albernen, verantwortungslosen, leichtsinnigen Teenager verwandelte? Sie zuckte mit den Schultern, lächelte schief. Und wenn schon. Das war der Plan gewesen. Vielleicht hätte sie ahnen sollen, dass flüchtiger Sex im Paket mit inbegriffen war.
Dennoch nagte eine Stimme nicht nur an ihrem Gewissen, sondern auch an ihrem Herz. Wie sie es auch drehte und wendete, genau das, gerade dass es sich mit Magdalena um ein flüchtiges Abenteuer handelte, wollte dieses dumme Herz nicht wahrhaben. So dämlich es auch sein mochte, sich etwas anderes zu erwarten, so verlockend schien doch die Aussicht, von der Leichtigkeit des Augenblicks ein Stück in die Realität mit hinübernehmen zu können.
Sie stand auf, schwankte und griff sich an die Stirn. Was für ein Unsinn. Die Begeisterung all der anderen Fans und ihre eigene Aufregung waren ihr wohl zu Kopf gestiegen. Sie sollte sich freuen an dem, was vor ihr lag. Und vor allem so rasch wie möglich aus Magdalenas Zimmer verschwinden. Immerhin bewohnte die es nicht alleine, wovon halb ausgepackte Koffer in der Ecke Zeugnis ablegten. Keinesfalls hatte Naomi vor zu riskieren, Magdalenas Mitbewohnerin in die Arme zu laufen. Ganz davon abgesehen, dass sie nicht darüber nachdenken wollte, ob Magdalena und die Unbekannte, die vermutlich ähnlich jung und schön und außerhalb von Naomis Liga spielte wie Magdalena, unter Umständen mehr verband als die Liebe zu einer Fernsehserie.
Das war mehr, als sie sich im Augenblick vorstellen wollte oder konnte. Wie so gut wie jeden Aspekt des normalen, durchschnittlichen Lebens, das Magdalena ebenso führte wie jeder andere Besucher. Auch die buntesten Vögel, sogar die als Zombies, als Jäger oder als absurde Nebenrollen verkleideten Besucher, lebten eine mehr oder weniger unauffällige Existenz, gingen ihren Jobs nach, lebten ihr Familienleben. Sie alle trugen Verantwortung und hatten sich - ebenso wie Naomi selbst - lediglich für zwei Tage von der Normalität geflüchtet, indem sie mit Haut und Haaren in eine absurde Fantasiewelt eintauchten, mit Anderen, Gleichgesinnten lachten und spekulierten, kurz gesagt, eine gute Zeit erlebten, die es ihnen erlaubte, Kraft zu schöpfen für die reale Welt mit ihren Ansprüchen.
Andererseits, dass Magdalena eine von ihnen sein sollte, war schwer vorstellbar und kam Naomi fast vor wie ein Sakrileg. Weitaus besser, die als Facette eines Wochenendes in Erinnerung zu behalten, das als Urlaub von der Wirklichkeit gedacht und erlebt worden war. Dennoch erfüllte Naomi bei dem Gedanken eine gewisse Wehmut, blieb bestehen, während sie hastig ihre Sachen zusammensuchte, sich mit einem Auge in Richtung Tür ankleidete und dann mit angehaltenem Atem aus dem Raum stahl. Der Gang war ebenso leer wie das Zimmer und mit steigender Erleichterung huschte sie zur Treppe. Tatsächlich schien von unten Licht und im ersten Stock wurde auch das Murmeln aus der Tiefe deutlicher. Sie zog ihre Bluse gerade und versuchte mit so viel Haltung wie irgend möglich das Erdgeschoss des Hotels und damit die Räume, die für die Convention gebucht waren, zu durchqueren. Es musste spät sein, denn die Lichter waren zwar angeschaltet, jedoch gedämpft und der große Trubel vorbei. Nur ein paar hartgesottene Fans hatten sich in Ecken versammelt, lungerten um Tische herum, diskutierten, kicherten und schenkten ihr keinen Blick, als sie vorbeilief. Sie atmete auf, als sie feststellte, niemanden von ihnen zu erkennen, und gelangte rasch in den Seitenflügel, der zu ihrem Zimmer abging. Auch Magdalena war nirgendwo zu entdecken gewesen und Naomi verbot sich die Frage, was die zu derart nachtschlafender Zeit noch trieb. Das ging sie wahrhaftig nichts an.
Ein Mann mit rotbraunem Ziegenbart und im Anzug verschwand am Ende des Ganges. Dass er für eine Convention erstaunlich förmlich gekleidet war, interessierte Naomi in diesem Augenblick herzlich wenig.
Sie kramte nach ihrem Schlüssel und sandte ein Dankgebet zum Himmel, als sie ihn fand, und in ihr Zimmer schlüpfte. Von Dagmar war nicht mehr zu sehen als eine Beule unter einer Decke. Während Naomi die Tür schloss, ließ die ein Brummen hören und die Matratze knarzte, als sie sich von einer Seite auf die andere drehte, ohne die Augen zu öffnen.
Später lag Naomi im Bett und starrte mit weit geöffneten Augen an die Decke. Es war ihre Schuld, alleine ihre Schuld, dass sie keine Ruhe fand. Dass ihr die Leichtigkeit fehlte, die notwendig war, um einen vollkommen bedeutungslosen One-Night-Stand zu vergessen. Oder wenigstens als angenehme Begleiterscheinung eines verrückten Wochenendes zu den Akten zu legen. Sie drehte sich zur Seite, kniff die Augen zusammen, spürte Magdalenas Hände auf ihrem Körper, ihre Lippen. Sie seufzte und erstarrte, als Dagmar sich regte. Doch die brummte lediglich erneut, drehte sich dann ihrerseits um.
Nicht zum ersten Mal verwünschte Naomi ihre Neigung dazu, alles zu zerpflücken, nicht in der Lage zu sein, die Dinge so zu nehmen, wie sie auf sie zu kamen. Schon immer hatte ihr diese Eigenschaft das Leben erschwert. Nur einer von vielen Gründen, warum sie sich so dankbar in fiktive Welten flüchtete. Keine unerwünschten Nebeneffekte, keine unvorhersehbaren Komplikationen - stattdessen ein sicherer, geschützter Aufenthaltsort. Hauptsächlich, da man, um ihn aufzusuchen, das eigene Zuhause meist nicht einmal verlassen musste. Sich besser gesagt, überhaupt nicht zu bewegen brauchte. Und keinesfalls in Kontakt mit anderen Menschen treten. Wenigstens nicht in derart engen - ungewohnt engen Kontakt wie mit Magdalena. Das war etwas anderes als das Geplänkel in Foren und Blogs. In denen es gelegentlich durchaus heiß herging, Handlungsstränge sehr emotional diskutiert wurden. Aber aus denen man sich doch jederzeit mit einem Mausklick verabschieden konnte.
Ihr momentanes Dilemma rührte lediglich daher, dass sie ihre Sicherheitszone verlassen und sich zu diesem Ausflug hatte überreden lassen. Ihr eigener Mut war ihr zu Kopf gestiegen, hatte sie übermütig werden lassen, vergessen, dass sie, ließ sie erst einmal einen Menschen an sich heran, diesen auch nicht so leicht wieder aus ihrem Gedächtnis verbannen konnte. Schon gar nicht, wenn es sich um einen derart hinreißenden Menschen handelte. Dessen Gesicht ihr, sobald sie die Augen schloss, in reinster Schönheit erschien, so überirdisch perfekt, dass es sie erschreckte. Bis sie einerseits bereute, Magdalena kennengelernt zu haben, sich aber andererseits auch außerstande fühlte, die Begegnung als das einzuordnen, was sie war.
Der Seufzer, der ihr entkam, entlockte Dagmar ein weiteres Ächzen und Naomi gab den Versuch auf, noch einmal in dieser Nacht einzuschlafen. Ohnehin graute bereits der Morgen. Und zudem war sie wohl kaum die Einzige, die übernächtigt zum Frühstück erschien.
Sie versuchte, es zu vermeiden, und konnte doch nicht anders als überall, wohin sie sich auch wand, nach Magdalena Ausschau zu halten. Dagmar plapperte indes ununterbrochen neben ihr. Sprach über Musik Sessions, veranstaltet von ausnehmend begabten Schauspielern und Produzenten. Legte nicht zum ersten Mal ihre Theorie darüber dar, wie eng verknüpft jede Art künstlerischen Ausdrucks sich mit jeglicher anderen erwies. Bevor sie jedoch zur Malerei und der Ausstellung von Zeichnungen überging, die Szenen aus der Serie wiedergaben und für einen guten Zweck am Mittag versteigert werden sollten, schaltete Naomi ihre Aufmerksamkeit komplett ab und konzentrierte sich stattdessen auf ihren Kaffee. Konnte jedoch die neuen Fragen nicht verhindern, die ihr durch den Kopf schossen. Fragen danach, wie Magdalena ihren Kaffee bevorzugte. Ob sie ihn mit Milch und Zucker trank. Ob sie überhaupt frühstückte. Und wo um alles in der Welt sie in der Nacht zuvor so plötzlich abgeblieben war. Ob sie ähnliches Muffensausen erlebte wie Naomi selbst. Ob sie sich vor ihr versteckte? Sich genierte? Nicht wollte, dass irgendjemand, der sie kannte, davon erfuhr, wozu und zu wem sie sich hatte hinreißen lassen?
Naomi erstickte die Selbstzweifel im Keim. Egal was ihre Umgebung auch suggerieren mochte, sie war kein Teenager mehr. Und sich selbst fertig zu machen, wegen ihrer Frisur, Klamotten, ihres Alters, das war einfach nicht mehr zeitgemäß. Entsprach ihr nicht und überhaupt - war sie längst darüber hinaus. Sich selbst kleinzumachen, hatte noch nie und niemandem jemals weitergeholfen. Magdalena mochte ein wunderschöner Engel sein, vom Himmel herabgestiegen und hoffnungslos über ihrem Niveau. Aber nichtsdestotrotz hatte sie Naomi ausgewählt. Vielleicht im trunkenen Zustand, unter Drogen oder im Zusammenhang mit anderen Fehleinschätzungen, doch das war nicht ihr Problem. Sie sollte sich glücklich schätzen, auf einen solchen Moment zurückblicken zu können. Vielleicht davon zehren, immerhin war es nicht so, als betriebe sie ein sonderlich aktives Sex-Leben. Mit diesem Entschluss blickte Naomi von ihrem Kaffee auf und erhaschte den Blick auf dunkelrotes Haar. Lang und glatt schwang es mit der Bewegung, mit der Magdalena sich von ihr wegdrehte, ohne dass Naomi eine Gelegenheit bekam zu erkennen, ob die sie bemerkt hatte oder nicht. Nur einen Anflug von zarten Wellen, die durch die Luft schwebten, benötigte es und Naomis Herz schlug schneller, schmerzte fast in ihrer Brust. Ein wenig Wehmut schwang mit. Das Gefühl von Abschied drängte sich auf, von Abweisung.
Sie hat mich nicht gesehen, versuchte sie, sich einzureden. Es war kein Abwenden, kein Ausweichen. Keine Flucht aus einem Hotelbett, nachdem Magdalena nüchtern geworden und einen besseren Blick auf Naomi erhascht hatte. Nein, es befanden sich einfach zu viele Menschen in diesem Raum. Zu viele, als dass man erwarten könnte, dass einem ein Einziger, dazu noch jemand, der so unauffällig war wie Naomi, in die Augen stach. Sie ignorierte geflissentlich, dass es ihr selbst keinerlei Probleme bereitet hatte, Magdalena in der Menge auszumachen. Nicht einmal deren Haarfarbe konnte der Grund sein, murmelte ihr Unterbewusstsein. Waren doch eine Vielzahl von verrückten, auch durchaus leuchtenden Frisuren vertreten. Die Veranstaltung an sich für viele fast schon eine Einladung sich so verrückt und auffällig wie nur möglich zurechtzumachen.
Naomi erkannte Hella, die an Magdalenas Arm hing und der Anblick versetzte ihr einen Stich, ohne dass sie ihn zulassen wollte.
Der Stich in ihrem Herzen wurde zu einem Schmerz, wurde zu dem längst vergessen geglaubten Gefühl aus einer fernen Vergangenheit, an das sie seit Jahren nicht mehr hatte denken wollen. Zu dem Verdacht, dem starken Gefühl, abgelehnt zu werden, abgelehnt zu sein. Sich in Luft verwandelt zu haben, bedeutungsloser als diese. Wenigstens für Magdalena, für die Frau, mit der sie gerade eben erst eine Nacht verbracht hatte.
Das tat weh. Was war es, was Hella zu ihr gesagt hatte? Eine Warnung? Naomi schüttelte den Kopf, versuchte vergeblich, Dagmars Erzählungen zu folgen. Die sich immer noch oder schon wieder mit der musikalischen Performance des Vorabends auseinandersetzte. Doch egal in welch leuchtenden Farben sie auch die Gesangskünste der Darsteller schilderte, Naomi gelang es nicht, sich zu konzentrieren. Zu weh tat die vermeintliche Ablehnung.
Es wurde nicht besser, als die ersten Convention Panels begannen, als beim Durchqueren der Gänge Teile der Crew und des Stabes getrennt und zusammen, mit oder ohne mitgebrachte Familienmitglieder gesichtet wurde. Die Aufregung stieg, waren doch die gemeinsamen Auftritte Rabahs und Damirs am beliebtesten und am besten besucht.
Auch Naomi suchte sich ihren Platz. Doch die Begeisterung, die Vorfreude, die sie noch am Tag zuvor hatte am ganzen Körper vibrieren lassen, war verschwunden. Wieder bereute sie es, zugelassen zu haben, dass ihre Realität Einzug in den Traum gehalten hatte. Es hatte nicht länger Sinn zu leugnen, dass sie die Convention nicht mehr als den Urlaub von der Normalität empfand, als der sie angedacht worden war. So bemühte sie sich, zu akzeptieren, dass sie ihre eigenen Blicke, die Richtung, in die ihre Augen wanderten, nicht mehr unter Kontrolle hatte. Auch als Rabah und Damir auftraten, ihre Scherze machten, Andeutungen fallen ließen, Fragen beantworteten, blieb Naomi unkonzentriert, beobachtete gleichermaßen Magdalena, die sich am anderen Ende des Raumes, näher an der provisorisch aufgestellten Bühne aufhielt. Nur mit einem halben Ohr hörte sie zu, wenn von dem Mogul die Rede war, zuckte lediglich zusammen, schrie Dagmar ihr vor Begeisterung ins Ohr, lachten die Zuhörer laut und schrill, als beide zugaben, gelegentlich von ihrer Produzentin Juliette eine Nachhilfestunde über das Fandom zu erhalten.
Stattdessen sah sie Magdalenas Gesicht, wenngleich nur in Fragmenten und undeutlich aufblitzen. Doch deren Lächeln hätte sie überall wiedererkannt und es kam ihr vor, als überstrahle es in stummer Schönheit all den Trubel, der diesen Raum regierte.
Magdalena stand ruhig an der Wand, hörte zu, stellte keine Fragen, beobachtete nur, ebenso wie Naomi selbst. Doch der Unterschied lag darin, dass sie ihrerseits Naomi nicht wahrnahm, kein Anzeichen erkennen ließ, als besäße sie eine Erinnerung an die vergangene Nacht. Oder als habe sie vor, selbst wenn sie die besäße, auf eine solche einzugehen oder zu reagieren.
Das Panel ging zu Ende und als Naomi einen Blick auf sich fühlte, da war es nicht Magdalenas. Sie blinzelte verwirrt, begegnete nur kurz Hellas geweiteten Augen, bemerkte deren zusammengekniffenen Mund. Hella sah zu Magdalena und Naomi beobachtete, wie Magdalenas Lippen sich bewegten, wie die mit ihren Schultern zuckte. Ihr Herz sank ein Stockwerk tiefer. Als die beiden lächelten, gar lachten, da intensivierte sich der Schmerz, den sie doch vergessen wollte. Abrupt drehte sie sich um und verließ schnell genug den Raum, dass Dagmar ihr kaum folgen konnte.
„Was ist denn los?“, keuchte die, als sie Naomi eingeholt hatte, in der Hand ein Bündel Papiere. Naomi deutete darauf. „Wir haben uns noch eine Menge vorgenommen.“ Sie lächelte gekünstelt. „Da sollten wir uns wohl ranhalten. Immerhin ist bald Abfahrt.“
„Heute Abend erst“, merkte Dagmar stirnrunzelnd an. „Und wir wollten uns dieses Wochenende nicht hetzen.“
Sie beäugte Naomi misstrauisch. „Irgendetwas stimmt doch nicht mit dir.“ Ihre Stirn legte sich in Falten und Naomi beobachtete, wie sie nach Worten suchte. Schließlich räusperte Dagmar sich, warf ihr einen nervösen Blick zu. „Ich weiß ja, wir kennen uns nur durch das Fandom und brauchen für gewöhnlich auch nicht viel andere Gesprächsthemen. Aber wenn dir etwas auf der Seele liegt, dann nur raus damit.“
Naomi schüttelte den Kopf. „Es ist nichts“, antwortete sie ausweichend. „Ich bin nur übermüdet.“
„Wie wir alle“, konterte Dagmar und stupste sie an. „Das gehört dazu. Aber sag nicht, du wärst nicht aufgeregt, wo uns doch die Foto-Session mit Rabah unmittelbar bevorsteht.“
Naomi lachte nun doch. „Das sollte der Höhepunkt sein“, gab sie zu.
„Genau wie das Convention Panel eben. Oder Damir, der in die Tasten gehauen hat, als hinge sein Leben davon ab. Hast du eine Ahnung, warum Schauspieler immer wieder so gerne anfangen zu singen? Davon abgesehen, dass Fans wie ich dabei vollkommen ausflippen?“
„Bestimmt nicht.“ Wieder schüttelte Naomi den Kopf. „Und auf die Gefahr hin, dass du mich gleich erschlägst, ich finde, dass keiner von ihnen eine besondere Stimme besitzt.“
Dagmars Mund klappte auf. „Das nimmst du zurück.“ Sie legte den Kopf schief. „Oder ich hatte recht, was dein seltsames Benehmen angeht, und diese Bemerkung besiegelt deinen Todeswunsch.“
Naomi nickte ernsthaft. „So ist es. Und ich sterbe frohen Herzens für die Ehre all der Musiker und Sänger, die eine jahrelange, klassische Ausbildung überstanden haben, bevor sie eine Bühne betraten.“
Dagmar schnappte gespielt nach Luft. „Ich glaub es einfach nicht. Du willst nicht nur sterben. Du willst von einer Horde Zombies in der Luft zerrissen werden.“ Sie drohte mit dem Finger. „Das werde ich Damir sagen, ist dir doch klar?“
Naomi hob die Augenbrauen. „Wie denn? Wir haben nur noch Karten für ein Foto mit Rabah bekommen und selbst das müssen wir uns teilen.“
Dagmar blinzelte schnippisch. „Du weißt genau, dass Rabah und Damir die engsten aller Freunde sind. Will sagen - Aziz und Chalid. Entgegen allgemeiner Annahmen kann ich Realität von Fantasie unterscheiden, und kenne die Namen meiner Lieblingsschauspieler.“ Sie räusperte sich bedeutungsvoll. Selbstverständlich erzählt Aziz das weiter und damit brichst du Chalid sein empfindsames Herz. Und dann kann er nicht weiterdrehen.“
„Hm.“ Naomi spitzte die Lippen. „Du meinst wirklich, dass deine Helden derart wenig aushalten?“ Sie lächelte verschmitzt und Dagmar hielt inne, betrachtete sie skeptisch, zeigte dann mit dem Finger auf sie. „Da liegt der Hase im Pfeffer. Du willst nur ablenken. Ich habe dich durchschaut.“
„Ablenken? Wovon?“ Naomi gab sich unwissend, doch Dagmar lachte leise. „Ich weiß, es geht mich nichts an, und es liegt mir fern, dir hinterher zu spionieren. Aber du warst gestern auffallend schnell verschwunden.“ Sie verzog den Mund. „Ich weiß schon, ist meine Schuld. Ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen, geschweige denn aufpassen, dass du nicht in Schwierigkeiten gerätst, als ich von der musikalischen Darbietung gehört habe.“
Naomi verschränkte die Arme vor der Brust. Das unschuldige Geplänkel gab ihr wieder Auftrieb. „Niemand muss auf mich aufpassen und ich gerate nicht in Schwierigkeiten“, behauptete sie.
„Tatsächlich?“ Dagmar kniff die Augenlider zusammen. „Sind es nicht gerade die stillen Wasser? Diejenigen, welche gar so unschuldig aus der Wäsche schauen, die am ehesten in clever ausgelegte Fallen tappen? Zum Beispiel in solche, ausgelegt von rothaarigen Hexen?“
„Wie bitte?“ Naomi erstarrte und Dagmar lachte. „Ich wollte natürlich sagen, von rothaarigen Schönheiten. Schließlich bin ich doch nicht blind.“
Naomi sah sie immer noch verdutzt an und Dagmar lachte wieder. „Natürlich ist die mir aufgefallen. Oder besser deine Blicke. Ganz ehrlich, wenn ich nicht ziemlich eindeutig hetero wäre und mein Herz ohnehin dem Mogul gehörte, dann könnte ich deinen Geschmack fast verstehen.“
Naomi löste ihre Arme voneinander, hob beide Hände. „Ich gebe nichts zu.“
„Ist auch nicht nötig.“ Dagmar lächelte verschmitzt. „Du hast sie gesehen und warst verloren. Selbst für mich, die ich nicht in der Lage bin, romantische Fanfiction zu verfassen, war das offensichtlich.“
„Hört sich dafür reichlich romantisch an“, konterte Naomi trocken. Dagmar kicherte. „Nicht umsonst lese ich gelegentlich die tragischen Liebesgeschichten zwischen Vampiren und Zombies. Unsterbliche Liebe überall.“
„Na, vielen Dank“, murmelte Naomi, bevor sie sich bremsen konnte.
Dagmars Lächeln erstarb. „So schlimm?“, erkundigte sie sich, auf einmal mitfühlender, als Naomi es ihr zugetraut hatte, und sie wand sich unangenehm berührt.
„Ach was“, winkte sie ab.