Berühmt, aber nicht glücklich - Gert Rothberg - E-Book

Berühmt, aber nicht glücklich E-Book

Gert Rothberg

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Beschreibung

In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie ist Denise überall im Einsatz. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Doch auf Denise ist Verlass. In der Reihe Sophienlust Extra werden die schönsten Romane dieser wundervollen Erfolgsserie veröffentlicht. Warmherzig, zu Tränen rührend erzählt von der großen Schriftstellerin Patricia Vandenberg. »Mutti, Mutti!« Mit einem Jubelschrei lief die kleine Gisela auf die hübsche junge Frau zu, die sie lachend in ihren Armen auffing und sie zärtlich an sich presste. »Schau nur, Mutti, was wir heute im Kindergarten gemacht haben! Ich habe ein Bild gemalt. Ist es nicht sehr schön geworden?« Aufgeregt und voller Stolz hielt das kleine Mädchen eine Bogen Zeichenpapier hoch. »Das hast du aber wirklich schön gemacht«, lobte Vicky Tormann. »Das sollen doch sicher dein Teddy und deine Puppe sein?« Gisela oder Gisi, wie sie liebevoll von Vicky Tormann gerufen wurde, nickte stolz. »Ja, das sind Bursche und die Schöne. Tante Hilde hat gesagt, wir sollen zeichnen und malen, was unser liebstes Spielzeug ist. Und der Teddy Bursche und meine Puppe, die Schöne, sind mein liebstes Spielzeug. Ich finde, die Schöne sieht genauso aus, wie ich sie gemalt habe.« »Das finde ich auch«, bestätigte Vicky. »Wir werden das Bild in deinem Zimmer an die Wand hängen.« Gisi strahlte und sah glücklich zu ihrer Mutti empor. »Fein, dann werden sich Bursche und die Schöne aber sicher freuen.« Das Kind hüpfte fröhlich neben der Mutti her.

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Sophienlust Extra – 75 –

Berühmt, aber nicht glücklich

Gert Rothberg

»Mutti, Mutti!« Mit einem Jubelschrei lief die kleine Gisela auf die hübsche junge Frau zu, die sie lachend in ihren Armen auffing und sie zärtlich an sich presste.

»Schau nur, Mutti, was wir heute im Kindergarten gemacht haben! Ich habe ein Bild gemalt. Ist es nicht sehr schön geworden?« Aufgeregt und voller Stolz hielt das kleine Mädchen eine Bogen Zeichenpapier hoch.

»Das hast du aber wirklich schön gemacht«, lobte Vicky Tormann.

»Das sollen doch sicher dein Teddy und deine Puppe sein?«

Gisela oder Gisi, wie sie liebevoll von Vicky Tormann gerufen wurde, nickte stolz. »Ja, das sind Bursche und die Schöne. Tante Hilde hat gesagt, wir sollen zeichnen und malen, was unser liebstes Spielzeug ist. Und der Teddy Bursche und meine Puppe, die Schöne, sind mein liebstes Spielzeug. Ich finde, die Schöne sieht genauso aus, wie ich sie gemalt habe.«

»Das finde ich auch«, bestätigte Vicky. »Wir werden das Bild in deinem Zimmer an die Wand hängen.«

Gisi strahlte und sah glücklich zu ihrer Mutti empor. »Fein, dann werden sich Bursche und die Schöne aber sicher freuen.«

Das Kind hüpfte fröhlich neben der Mutti her. Das dunkle lockige Haar, das an jeder Seite mit einer bunten Zopfspange zusammengehalten wurde, hopste dabei lustig mit.

»Ich habe auch noch eine Überraschung für dich«, sagte Vicky, die mit beschwingten Schritten neben dem kleinen Mädchen ging. Man sah ihr an, dass sie am liebsten genauso wie das Kind gehüpft wäre. In den modischen Jeans und der bunten Bluse sah sie unwahrscheinlich jung und hübsch aus. Niemand hätte ihr angesehen, dass sie bereits sechsundzwanzig Jahre alt war. Das blonde Haar trug sie kurz geschnitten, was ihr etwas Bubenhaftes gab. Das Gesicht war leicht gebräunt, und darin leuchteten zwei tiefblaue Augen. Ein hübsches feines Gesicht, das man so leicht nicht vergaß, wenn man es einmal gesehen hatte. Die Figur der jungen Frau war tadellos. Vicky war schlank und grazil. Kein Wunder also, dass ihr so mancher bewundernder Blick zuflog.

Aber auch die kleine Gisi erregte Bewunderung bei den Passanten, denn Gisi war ein ungewöhnlich niedliches Kind. Gisi hatte dunkles lockiges Haar und dunkle Augen, die so fröhlich und zufrieden in die Welt blickten, dass jeder, der in das runde Kindergesicht sah, unwillkürlich von dieser Fröhlichkeit und Zufriedenheit angesteckt wurde. Es gab kaum einen Menschen, der Gisi nicht gernhatte. Das war so in dem alten großen Mietshaus, indem Vicky mit Gisi wohnte, das war in Vickys kleinem Bekanntenkreis so und das war auch in dem Kindergarten so, in den Vicky die Kleine jeden Morgen brachte und sie Punkt zwölf Uhr dort wieder abholte.

Nur die wenigsten Menschen wussten, dass Vicky nicht Gisis richtige Mutter war. Das Kind wusste es allerdings längst, denn Vicky hatte auf dem Standpunkt gestanden, dass es besser sei, dem Kind möglichst früh zu sagen, dass seine richtige Mutter im Himmel sei und sie jetzt die Mutti sei – eine Mutti, die ihr Kind sehr lieb hatte. Am allerliebsten auf der ganzen Welt. Gisi hatte daran nichts Besonderes gefunden. Es war für sie einfach eine Selbstverständlichkeit.

»Was ist es denn für eine Überraschung?«, fragte Gisi nun erwartungsvoll. »Eine tolle Überraschung?«

Vicky nickte und blieb vor dem Bäckerladen an der Ecke stehen. »Wir müssen Kuchen kaufen.« Ihr Blick ging prüfend über die Auslagen.

»Wir bekommen Besuch«, jubelte Gisi und machte einen Luftsprung. »Kommt Tante Isi?«

Vicky nickte lachend. »Sie hat heute bei mir angerufen. Sie hat in Stuttgart zu tun, und da besucht sie uns natürlich.«

»Kommt Heidi auch mit?«

»Ich glaube schon. Frau von Schoenecker will wahrscheinlich mit Heidi noch einmal zu einem Hals-Nasen-Ohren-Arzt gehen. Du weißt doch, sie war so stark erkältet.«

»Arme Heidi«, sagte Gisi bedauernd. Eine Sekunde lang war ihr kleines rundes Gesicht ernst und traurig, aber gleich darauf lachte sie schon wieder fröhlich. »Da müssen wir für Heidi etwas Gutes aussuchen. Ich glaube, Mohrenköpfe mag sie sehr. Und dann vielleicht noch Apfelkuchen mit Schlagsahne. Und die gefüllten Hörnchen sehen auch lecker aus. Findest du nicht auch? Aber vielleicht sind sie zu teuer, Mutti?« Gisi sah nachdenklich zu ihrer Mutti auf. »Haben wir noch so viel Geld?«

Vicky lachte und zog dabei ihr hübsches Näschen ein wenig kraus. »Weißt du, Schatz, heute wollen wir einmal leichtsinnig sein.«

»Fein! Dann gibst du mir eben morgen nur einen Apfel in den Kindergarten mit und bringst mir in den nächsten Tagen keinen Lutscher vom Kaufmann mit.«

»Was bist du doch für ein Schätzchen«, sagte Vicky liebevoll und legte den Arm zärtlich um die Schultern der Kleinen.

Als Vicky und Gisi ein paar Minuten später die Bäckerei wieder verließen, balancierte Vicky vorsichtig ein großes Kuchenpaket auf der flachen Hand. Weit hatten sie es nicht mehr, denn zwei Häuser weiter befand sich bereits das alte Mietshaus, in dem sie oben im vierten Stock wohnte. Vicky war damals, als ihr Mann Bernd so ganz unerwartet an einem Herzversagen gestorben war, sehr froh und glücklich gewesen, dass sie die kleine, verhältnismäßig billige Wohnung bekommen hatte. Ebenso lag die Anwaltspraxis, in der Vicky seit dem Tod ihres Mannes am Vormittag arbeitete, ganz in der Nähe der Wohnung.

Aber auch sonst hatte die Wohnung große Vorzüge. Sie war sonnig und hell, und obwohl sie nur zwei Räume, ein kleines Bad und eine noch kleinere Küche umfasste, gab es viel Platz. Beide Zimmer waren groß. Vicky hatte das vordere Zimmer für sich als Wohn- und Schlafraum eingerichtet. Das hintere Zimmer, das einen schönen Ausblick auf einen alten Garten hatte, war Gisis Zimmer, in dem die Kleine schalten und walten konnte, wie sie wollte.

Gisi war sehr stolz auf ihr schönes großes Zimmer. Sie räumte es stets auf, ohne dass Vicky sie dazu ermahnen musste. Ihr ganzer Stolz war die Puppenecke, in der es Bettchen für die Puppen gab, einen Schrank mit herrlichen Puppenkleidern, die Vicky alle selbst genäht hatte, und einen kleinen runden Tisch, an dem die Puppenkinder in kleinen Stühlchen saßen. Musste Gisi ihre Lieben für ein paar Stunden allein lassen, dann konnte sie es kaum erwarten, wieder nach Hause zu kommen.

Auch jetzt, als sie neben ihrer Mutti die Treppe emporsprang, sprach sie von ihren Puppen und dem Teddy. »Hoffentlich waren sie artig«, sagte sie als besorgte kleine Puppenmutter. »Sie langweilen sich immer schrecklich, wenn ich nicht da bin. Das hat mir die Schöne erst heute früh erzählt. Wenn Heidi heute Nachmittag kommt, dann werde ich der Schönen das neue rosa Kleid anziehen. Das kennt Heidi noch gar nicht. Wir dürfen doch bei mir im Zimmer Kaffee trinken, Mutti? Ich decke den Tisch auch ganz allein, und nachher helfe ich dir auch, das Geschirr abzuwaschen.«

»Natürlich dürft ihr in deinem Zimmer Kaffee trinken. Du darfst auch das Kindergeschirr mit den Blümchen nehmen. Und wenn du mir dann später beim Abwasch helfen willst, wäre das wirklich lieb von dir. Dann bin ich schnell fertig, und wir haben danach noch ein bisschen Zeit. Wie wäre es heute mit einer kleinen Geschichte?«

Gisi sah ihre Mutti mit strahlenden Augen an. »Fein, Mutti, so wollen wir es machen!«

Sie waren jetzt im vierten Stock angekommen, und Vicky gab Gisi das Kuchenpaket. »Lass es nicht fallen, Schatz.« Sie kramte aus ihrer Umhängetasche die Wohnungsschlüssel hervor und schloss auf.

Heller Sonnenschein flutete den beiden entgegen. Wie immer, wenn Vicky ihre Wohnung betrat, überfiel sie ein Glücksgefühl. Ich habe es doch gut, dachte sie befriedigt. Gewiss, ich könnte ein bisschen mehr Geld haben, aber wir sind gesund, wir haben uns lieb, und diese kleine Wohnung ist für uns ein wirkliches Zuhause. Hier fühlen wir uns geborgen.

Gisi schien etwas Ähnliches zu empfinden. Ihr Gesicht drückte Zufriedenheit aus. Leise vor sich hinsummend, sprang sie durch die kleine Diele.

»Ich räume rasch noch ein bisschen auf«, sagte sie eifrig, »damit alles recht schön ist, wenn Heidi kommt. Und die Puppen muss ich noch alle umziehen.«

»Gut! Ich mache rasch etwas zu essen für uns.«

Damit verschwand Vicky in der Küche. Wie immer hatte sie bereits am Vortag das Essen vorbereitet, damit es schnell ging, wenn sie nach Hause kam. Oft wunderte sie sich selbst, wie gut alles klappte, dass alles wie am Schnürchen lief. Dabei hatte sie zuerst gedacht, dass sie ohne Bernd gar nicht zurechtkommen würde. Damals war Gisi noch keine zwei Jahre alt gewesen, und sie hatten das Kind erst ein halbes Jahr zuvor adoptiert.

Wie gut, dass sie das Kind gehabt hatte, gerade in der ersten Zeit nach dem Tod von Bernd! Jetzt konnte sie sich ein Leben ohne Gisi einfach nicht mehr vorstellen.

Gisi war ein Jahr alt gewesen, als Schwester Regine, die als Kinderschwester im Kinderheim Sophienlust arbeitete, bei Vicky angerufen hatte, um ihr mitzuteilen, dass seit ein paar Tagen ein Kind in Sophienlust sei, für das Adoptiveltern gesucht würden. Vicky, die nach einem Sportunfall keine Kinder bekommen konnte, war sofort interessiert gewesen. Bereits am nächsten Tag war sie mit ihrem Mann nach Sophienlust gefahren. So war Gisi zu ihnen gekommen, und noch jetzt war Vicky Schwester Regine, aber auch Denise von Schoenecker unsagbar dankbar, denn sie hatte sich immer ein Kind gewünscht. Nie hatte sie die Verbindung zu dem Kinderheim abreißen lassen.

An Sophienlust und die lieben Menschen, die dort lebten, musste Vicky denken, als sie das Essen wärmte und schon alles für den Kaffeebesuch vorbereitete. Sophienlust war auch für sie, die ohne Eltern aufgewachsen war, so etwas wie ein Stück Heimat geworden. Schon oft hatte sie in Wildmoos mit Gisi Urlaub gemacht. Sie hatten dann in dem gemütlichen Landgasthaus ›Zum grünen Krug‹ gewohnt und waren oft in dem Kinderheim gewesen, wo sich Gisi wie zu Hause fühlte. Nach dem plötzlichen Tod von Bernd hatte Denise von Schoenecker Vicky mit Rat und Tat zur Seite gestanden. Sie war es auch gewesen, die Vicky die Halbtagsstelle in der Anwaltskanzlei verschafft hatte. Ja, Vicky war Denise, die sie sehr bewunderte, von Herzen dankbar und freute sich jedes Mal auf deren Besuch. Diesmal aber ganz besonders, denn sie hatte die Absicht, Denise eine Frage zu stellen, die ihr schon lange am Herzen lag. Sie wusste, dass Gisi eine ältere Schwester hatte, und sie hätte zu gern erfahren, was aus diesem Kind geworden war. Ob Denise darauf eine Antwort wusste?

*

Pünktlich um vier Uhr schlug die Flurglocke an, und Gisi stürmte zur Tür, die sie bereits geöffnet hatte, bevor Vicky die Diele erreicht hatte.

»Tante Isi, Heidi«, jubelte Gisi und stürzte sich in Denises Arme.

»Du zerdrückst die schönen Blumen, die wir mitgebracht haben«, jammerte Heidi. »Für dich haben wir Schokolade und ein Buch.«

»Am schönsten ist es, dass ihr da seid«, sagte Gisi mit einem tiefen glücklichen Seufzer und nahm strahlend die Schokolade und das Buch in Empfang. Dann zog sie Heidi in ihr Zimmer.

»Es gibt Mohrenköpfe und Schlagsahne«, vertraute sie ihrer Freundin Heidi an. »Den Kaffeetisch habe ich ganz allein gedeckt. Wenn wir Kaffee getrunken haben, spielen wir mit den Puppen, nicht wahr? Du darfst auch die Schöne aus- und anziehen. Aber zuerst musst du mir erzählen, was die Kinder in Sophienlust machen und wie es den Tieren geht.«

Die beiden Kinder verschwanden im Kinderzimmer, und Denise und Vicky sahen sich lachend an.

»Ich glaube, wir werden sie in den nächsten zwei Stunden nicht mehr zu Gesicht bekommen«, sagte Denise.

»Das ist nicht schlecht, dann können wir in aller Ruhe unseren Kaffee trinken und dabei plaudern«, sagte Vicky. »Bitte, nehmen Sie schön immer Platz. Ich will nur rasch die wunderschönen Blumen versorgen.«

Denise nahm an dem runden Tisch Platz und sah sich bewundernd um. »Immer wieder muss ich dieses wirklich schöne Zimmer bewundern«, sagte sie. »Es ist so wunderbar gemütlich und dabei so harmonisch, jedes Stück verrät großen Geschmack. Es ist gut, dass Sie die schönsten Möbelstücke behalten haben.«

»Darüber bin ich auch immer wieder von Neuem froh. Bernd verstand sehr viel von alten Möbeln. Er liebte Antiquitäten über alles. Deshalb war es sehr schwer für mich, dass ich mich von einigen Stücken trennen musste.«

Vicky hatte die Blumen in eine weiße Porzellanvase geordnet. »Noch einmal vielen Dank für die Blumen. Ist in Sophienlust alles gesund und munter?«

»Gottlob, ja. Zuerst einmal viele liebe Grüße von Schwester Regine. Sie fragt an, ob Sie nicht bald wieder einmal in Wildmoos Urlaub machen wollen. Wir alle würden uns sehr freuen, wenn Sie und Gisi recht oft bei uns in Sophienlust wären.«

»Ich habe noch ein paar Tage Urlaub, aber im Augenblick geht es noch nicht. Vielleicht haben wir einen schönen Herbst. Wie es aussieht, scheint es lange warm und schön zu bleiben. Wir haben bereits Anfang September, aber es ist noch so warm und sonnig wie im Hochsommer.«

»Zu lange würde ich aber nicht mehr warten. Das Wetter kann schnell umschlagen. Und wie wäre es, wenn Sie das Weihnachtsfest wieder einmal bei uns verleben würden? Sie und Gisi sind hiermit bereits herzlichst eingeladen«, sagte Denise, in Vickys Augen leuchtete es freudig auf. »Vielen, vielen Dank«, entgegnete sie bewegt. »Das Weihnachtsfest, das ich nach dem Tod meines Mannes bei Ihnen verleben durfte, werde ich niemals vergessen. Es war wunderschön. Die Atmosphäre vor dem Fest war unbeschreiblich anheimelnd und gemütlich. Die Weihnachtsfeste, die ich dann später hier mit Gisi verlebte, waren zwar auch wunderschön, denn es macht mir sehr viel Freude, alles festlich zu schmücken, aber durch die Kinder in Sophienlust bekommt das Fest eine ganz besondere Atmosphäre. Weihnachten ist nun mal ein Fest der Kinder. Für die Einladung also vielen Dank. Wenn ich es einrichten kann, komme ich gern.«

Bei seiner Tasse Kaffee plauderten die beiden Frauen nun über das, was sie in der letzten Zeit erlebt hatten. Sie ließen sich den guten Kuchen schmecken, den sie ohne Gewissensbisse genießen konnten, denn sie hatten beide eine vorzügliche Figur und brauchten keine Angst zu haben, dick zu werden. Aus dem Kinderzimmer kam das fröhliche Lachen und Geplauder von Gisi und Heidi, die sich wie immer prächtig zu verstehen schienen. Denise und Vicky unterbrachen für einen Augenblick ihr Gespräch, um dem Lachen der Kinder zu lauschen.

»Ich bin immer wieder erstaunt, wie fröhlich und unbeschwert Heidi ist«, sagte Vicky schließlich nachdenklich. »Dabei weiß ich von Schwester Regine, was für ein schweres Schicksal sie bereits hinter sich hat. In Sophienlust hat sie eine wirkliche Heimat gefunden. Sie wird doch sicher auch weiterhin in Sophienlust bleiben?«

Denise nickte. »Wir haben ja mehrere Kinder, die für immer in Sophienlust ein Zuhause gefunden haben, und sie haben sich bis jetzt alle prächtig entwickelt. Heidi wird in Sophienlust bleiben, Sie würde sich bei Adoptiveltern nicht einleben. Für sie ist Sophienlust das Zuhause. Wir versuchen ja, für die Kinder möglichst Adoptiveltern zu finden, aber nicht immer gelingt uns das. Vor allen Dingen ist es oft schwer für die Kinder, ein wirkliches Zuhause zu finden. Viele, die gern ein Kind adoptieren möchten, denken nicht daran, dass jedes Kind eine kleine Persönlichkeit ist. Es gibt dann nicht nur Gutes und Schönes, sondern auch Enttäuschungen und vielleicht sogar Sorgen. Oft entwickeln sich die Kinder nicht so, wie man es sich erträumt hat. Das kommt natürlich auch bei eigenen Kindern vor, aber das wird leider sehr oft vergessen.« Denise rührte gedankenvoll mit dem Löffel in ihrem Kaffee. »Wir haben in dieser Hinsicht schon mancherlei erlebt.«

»Ich liebe Gisi, als wäre sie mein eigenes Kind«, sagte Vicky mit einem verträumten Lächeln um den Mund. »Ein eigenes Kind könnte ich ganz gewiss nicht mehr lieben. Eigentlich habe ich völlig vergessen, dass Gisi ein Adoptivkind ist. Sie war ein Jahr alt, als wir sie von Sophienlust abholten. Nun ist sie bereits fünf. Sie hat keine Erinnerungen an ihre richtigen Eltern. Ich habe ihr aber erzählt, dass ihre richtige Mutter jetzt im Himmel ist. Sie hat das akzeptiert und vergisst in ihrem Abendgebet nie, ihre Mutter zu erwähnen. Oft muss ich daran denken, dass Sie mir erzählt haben, dass Gisi eine etwas ältere Schwester hat. Was ist aus dem Kind geworden?« Vicky sah gespannt zu Denise hinüber. Sie war froh, dass diese Frage nun ausgesprochen war.

Eine Weile war es still zwischen den beiden Frauen, dann legte Denise lächelnd ihre Hand auf Vickys Hand. »Auf diese Frage habe ich schon lange gewartet. Ich wusste, dass Sie mich eines Tages danach fragen würden. Nicht aus Neugier, sondern deshalb, weil für Sie alles wichtig und von Bedeutung ist, was mit Gisi zusammenhängt. Wir sprechen nicht gern darüber, woher unsere Kinder kommen und wohin sie das Schicksal verschlagen hat, aber Gisi hat eine ältere Schwester. Sie war damals, als ihre Eltern bei dem Flugzeugunglück ums Leben kamen, fast vier Jahre alt. Sie wissen ja, dass die Eltern dieser beiden Kinder einem berühmten Tanzensemble angehörten, das sich auf Tournee befand. Sie waren auf dem Rückflug von Australien nach Europa. Sybille und Lutz Evental galten als sehr begabt. Man sagte ihnen eine große Karriere voraus. Beide waren jung, als sie starben, sodass die Zukunft ihrer Kinder nicht gesichert war. Sie hatten auch keine Verwandten, und so kamen die damals dreijährige Marion und die einjährige Gisela in ein Waisenhaus. Für die Kinder war der Tod der Eltern kein Schock, denn beide befanden sich während der Abwesenheit der Eltern in eine Kinderheim. Im Waisenhaus blieben sie nur ganz kurze Zeit. Ich wurde auf die beiden Kinder aufmerksam gemacht, aber bevor ich sie nach Sophienlust holen konnte, wurde das ältere Kind, die kleine Marion, adoptiert, und ich nahm nur die einjährige Gisela zu mir nach Sophienlust, die dann bald darauf von Ihnen adoptiert wurde. Marion war ein sehr hübsches und niedliches Kind. Im Gegensatz zu Ihrer Gisi ist sie blond und hat blaue Augen. Die berühmte Filmschauspielerin Stella Horn hat sie adoptiert.«

Denise schwieg, und Vicky bekam vor Überraschung für einen Augenblick den Mund nicht zu. »Stella Horn?«, fragte sie schließlich gedehnt, um dann lebhaft fortzufahren: »Wollen Sie damit sagen, dass Stella Horns kleine Tochter, mit der man sie so oft in Illustrierten abgebildet sieht, Gisis Schwester ist? Das darf doch wohl nicht wahr sein.«

»Es ist aber wahr. Sie können es mir glauben. Stella Horn hat Marion damals adoptiert. Sie kannte Sybille und Lutz Evental. In einem ihrer Filme wirkte das Tanzpaar mit. Vielleicht tat ihr das Kind leid, vielleicht wünschte sie sich ein Kind. Sie war ja damals noch mit dem Rechtsanwalt Phil Doringer verheiratet. Die Ehe wurde bald nach der Adoption geschieden. Marion ist heute acht Jahre alt, und es sieht so aus, als hätte sie das große Los gezogen. Wie ich gehört habe, soll sie sehr begabt sein und das Talent ihrer Eltern geerbt haben. Sie tanzt und soll auch ganz reizend singen. Es wurde bereits ein Film mit ihr gedreht, der jetzt im Herbst herauskommen soll.«

»Und davon wusste ich gar nichts«, sagte Vicky kopfschüttelnd. »Gisis Schwester das Adoptivtöchterchen der berühmten Stella Horn und jetzt bald selbst ein kleiner Star. Sie hat wohl wirklich das große Los gezogen. Was kann ich dagegen für Gisi tun?«

»Halt«, sagte Denise mit ernstem Gesicht. »Solche Worte möchte ich nicht noch einmal hören. Besser, als es Gisi bei Ihnen getroffen hat, kann es kaum ein Kind haben. Sie haben doch eben selbst gesagt, dass Sie Gisi wie Ihr eigenes Kind lieben. Ist das nicht die Hauptsache? Gisi ist ein so fröhliches und ausgeglichenes Kind, wie man es ganz selten in unserer hektischen Zeit antrifft. Obwohl Sie halbtags beschäftigt sind, wächst Gisi behütet und geborgen auf. Glauben Sie mir, gerade bei einem Kind sind die materiellen Werte nicht ausschlaggebend. Gisi wird sich zu einem prächtigen Menschen entwickeln, der mit beiden Beinen im Leben steht. Ich glaube ganz sicher, dass sie Ihnen noch viel Freude bereiten wird. Sicher wird es auch einmal Sorgen und Schatten geben. Das gehört einfach zum Leben und zu den Menschen.«

Denise hatte sehr ernst und eindringlich gesprochen. Ihre Worte verfehlten ihre Wirkung nicht.