Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie ist Denise überall im Einsatz. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Doch auf Denise ist Verlass. In der Reihe Sophienlust Extra werden die schönsten Romane dieser wundervollen Erfolgsserie veröffentlicht. Warmherzig, zu Tränen rührend erzählt von der großen Schriftstellerin Patricia Vandenberg. Im Freigehege des Tierheims Waldi & Co. stellte Andrea von Lehn ihren kleinen Sohn auf die Füße. Sie hielt ihn unter den Armen fest. Nicht nur, weil er noch recht wackelig auf den Beinen war, sondern auch, weil er seine Händchen brauchte. Er wollte das Bambi streicheln. Das tat er immer mit besonderer Liebe, aber auch mit sehr viel Freude. Diese drückte er meistens durch ein vergnügtes lautes Krähen aus. Das Bambi erschrak darüber, machte einen Satz – und Peterle streckte die Händchen vergeblich aus. Andrea blieb dann nichts anderes übrig, als ihren Sohn dorthin zu tragen, wo das Bambi stehen geblieben war. »So kommen wir allmählich durch das ganze Freigehege, Peterle«, sagte sie lachend und gab dem Jungen einen Kuss. »Wie wäre es, wenn du Waldi einmal mit deiner Liebe beglücken würdest? Schau, er sitzt am Tor und sieht ganz traurig zu dir her.« Als Waldi seinen Namen hörte, kam er schon angerannt. Aber leider folgte ihm auch die Dogge Severin. Und das war ihm gar nicht so recht. Immerhin konnte sich Peterle, wenn er auf den Füßen stand, an den großen Severin anlehnen. Zu ihm, dem kleinen Dackel, musste der Kleine sich aber bücken. Dabei fiel Peterle meist sehr schnell auf die Nase, wenn ihn seine Mutter nicht festhielt. Und ein weinendes Peterle machte Waldi sehr traurig.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 150
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Im Freigehege des Tierheims Waldi & Co. stellte Andrea von Lehn ihren kleinen Sohn auf die Füße. Sie hielt ihn unter den Armen fest. Nicht nur, weil er noch recht wackelig auf den Beinen war, sondern auch, weil er seine Händchen brauchte. Er wollte das Bambi streicheln. Das tat er immer mit besonderer Liebe, aber auch mit sehr viel Freude. Diese drückte er meistens durch ein vergnügtes lautes Krähen aus. Das Bambi erschrak darüber, machte einen Satz – und Peterle streckte die Händchen vergeblich aus. Andrea blieb dann nichts anderes übrig, als ihren Sohn dorthin zu tragen, wo das Bambi stehen geblieben war.
»So kommen wir allmählich durch das ganze Freigehege, Peterle«, sagte sie lachend und gab dem Jungen einen Kuss. »Wie wäre es, wenn du Waldi einmal mit deiner Liebe beglücken würdest? Schau, er sitzt am Tor und sieht ganz traurig zu dir her.«
Als Waldi seinen Namen hörte, kam er schon angerannt. Aber leider folgte ihm auch die Dogge Severin. Und das war ihm gar nicht so recht. Immerhin konnte sich Peterle, wenn er auf den Füßen stand, an den großen Severin anlehnen. Zu ihm, dem kleinen Dackel, musste der Kleine sich aber bücken. Dabei fiel Peterle meist sehr schnell auf die Nase, wenn ihn seine Mutter nicht festhielt.
Und ein weinendes Peterle machte Waldi sehr traurig. Er sah dann immer aus, als würden seine Augen ebenfalls tränen.
An diesem Tag war Severin besonders aufdringlich. Er drängte sich zwischen den kleinen Jungen und Waldi und blieb dort wie eine Statue stehen.
Aber Severin hatte nicht mit der Findigkeit der Dackeline Hexe gerechnet. Obwohl sie faul in der Sonne lag, hatte sie beobachtet, wie ihr Mann Waldi von der Dogge wieder einmal verdrängt worden war. Sie stand auf, schlich sich an Waldi heran, stupste ihn an und kroch unter Severins Bauch durch.
Waldi brauchte nicht lange, um zu begreifen, was ihm seine schlaue Frau hatte vormachen wollen. Schon war auch er unter Severins Bauch durchgekrochen und stand nun vor Peterle.
Der jubelte über diesen Trick und meinte sicher, er sei eigens zu seinem Vergnügen ersonnen worden.
»Jetzt schaust du dumm, Severin, was?« Andrea lachte laut. »Ja, nicht immer sind die Größten die Sieger. Wer was im Köpfchen hat, kann auch Lorbeeren ernten.«
Andrea setzte Peterle auf den Rasen. Damit war er Waldi näher und zugleich die Gefahr ausgeschaltet, dass er auf die Nase fiel.
Am Tor des Freigeheges stand schon die ganze Zeit der junge Tierarzt Dr. Hans-Joachim von Lehn und beobachtete diese Idylle. Seine Augen strahlten vor Glück. Gab es einen Mann, der zufriedener sein konnte als er? Ihm gehörten die schöne schlanke Frau dort und der kleine Junge. Alle drei zusammen waren sie eine wunschlos glückliche Familie.
Diese Feststellung schloss aber nicht aus, dass Hans-Joachim seine Frau necken musste. Er ging langsam auf sie zu. Eigentlich wollte er ihr von hinten die Hände über die Augen legen, aber das verdarb ihm sein Sohn. Peterle schlug mit beiden Händchen durch die Luft und verriet Andrea mit seinem »Dadada«, dass diese Freude nicht nur dem Dackel Waldi galt.
Andrea drehte sich um. »Warum schleichst du dich wie ein Indianer heran, Hans-Joachim?«, fragte sie lachend.
»Weil ich gehofft habe, auf diese Weise noch ein paar so lebenskluge Reden zu hören wie eben.«
»Was habe ich denn gesagt?«
»Na, von den Kleinen hast du doch geredet, die auch Lorbeeren ernten können, wenn sie etwas im Köpfchen haben.«
»Stimmt das vielleicht nicht?«, fragte Andrea angriffslustig. »Aber natürlich, wenn ich schon einmal etwas Gescheites sage, machst du mich lächerlich.«
Hans-Joachim legte den Arm um ihre Schultern. »Das würde ich nie wagen, mein Schatz. Ich gehe nur bei dir in die Schule. Mir fällt so etwas Philosophisches nie ein. Ist das ein Wunder, nachdem ich meistens nur mit Kühen und Pferden zu tun habe?«
»Tiere sind auch gescheit, Hans-Joachim. Besonders …«
» … Kühe.« Hans-Joachim verkniff sich das Lachen.
»Du bist wieder einmal unausstehlich heute. Hast du eigentlich nichts Besseres zu tun, als hier die Zeit totzuschlagen?«
»Ich wüsste nichts Besseres, als dich und unser Peterle anzusehen und zu bewundern.«
»Ich glaube, das war auch ein gescheites Wort.« Andrea gab ihrem Mann einen Kuss. »Trotzdem solltest du dich jetzt auf den Weg zu den Bauern machen, sonst kommst du am Abend wieder so spät nach Hause.«
Hans-Joachim sah auf Andreas Jeans. »Du hast wirklich bei uns die Hosen an, Andrea. Es ist fürchterlich, wie du mich herumkommandierst.«
»Schließlich bist du der Ernährer der Familie. Es ist deine heilige Pflicht, zu arbeiten und Geld zu verdienen.« Andrea nahm Peterle auf den Arm. »Aber damit dir das nicht zu schwer wird, werden wir dich bis zum Wagen begleiten.«
Peterle strebte zu seinem Vater.
»Siehst du, Andrea, er liebt mich mehr als du.« Hans-Joachim drückte den Jungen fest an sich.
»Na ja, ich kann ja auch nicht von dir verlangen, dass du mich über den Hof trägst.« Andrea lachte verschmitzt.
»Warum nicht?«
Blitzschnell setzte Hans-Joachim seinen Sohn wieder auf den Rasen und nahm Andrea auf die Arme. So trug er sie über den Hof, obwohl sie strampelte und rief: »Du bist ein Rabenvater. Peterle wird sich auf dem Rasen erkälten.«
Hans-Joachim stellte seine Frau vor dem Auto auf die Füße. »Bei uns wird immer mit zweierlei Maß gemessen. Wenn du Peterle auf den Rasen setzt, erkältet er sich nicht.« Er lief zurück und holte den Jungen.
»Wenn du uns schon bis zum Wagen schleppst, kannst du uns auch gleich mitnehmen. Nur bis nach Sophienlust. Dort darfst du uns absetzen.« Andrea nahm ihrem Mann den Jungen ab und saß gleich darauf mit ihm im Wagen.
»Der Junge ist nicht einmal gewaschen«, maulte Hans-Joachim. »Er sieht wie ein Dreckspatz aus. Sonst bist du immer so etepetete, wenn es um Peterle geht, aber jetzt soll ich so mit ihm durchs Dorf fahren.«
»In Sophienlust gibt es auch Wasser. Wusstest du das nicht?«
Hans-Joachim seufzte. »Dir ist nicht beizukommen, Andrea. Also, fahren wir. Meinetwegen könnt ihr mich auf der ganzen Strecke begleiten. Halt! Ich wollte dir ja etwas geben.« Er griff in seine Rocktasche und zog einen Briefumschlag heraus.
»Was ist damit?«, fragte Andrea.
Jetzt wurde Hans-Joachim ein wenig verlegen. »Der ist heute Morgen mit der Post gekommen und …«
»Heute Morgen?«, unterbrach Andrea ihn entrüstet. »Jetzt ist später Nachmittag.«
»Hast du nicht auch schon einmal etwas vergessen?« Hans-Joachim startete den Wagen und fuhr zum Tor hinaus.
»Aber ganz bestimmt nicht etwas so Wichtiges.« Andrea hatte den Absender gelesen. »Dieser Brief ist von Nina.«
»Wer ist Nina?«, fragte Hans-Joachim. Seine Stimme klang nicht sonderlich interessiert.
»Das wirst du doch wohl noch wissen. Nina Nasall ist eine meiner Freundinnen von früher.«
Hans-Joachim seufzte sehr laut. »Eine deiner vielen Freundinnen.«
»Darüber, dass ich viele Freundinnen habe, kannst du dich aber nicht aufregen. Ich komme kaum noch mit ihnen zusammen.«
»Aber irgendwann kreuzt wieder eine auf. Meistens zum ungelegensten Zeitpunkt. Ich bitte dich, Andrea, sage ab, wenn uns diese Nina besuchen will. Du weißt, ich bin am liebsten mit dir und Peterle allein.«
Andrea hatte den Brief aufgerissen. Jetzt sah sie zum Fenster hinaus. Sie waren schon in Wildmoos. »Bitte, fahre doch nicht nach Sophienlust, Hans-Joachim. Wir begleiten dich. Ich möchte Ninas Brief lesen und gleich mit dir über das sprechen, was sie will. Sie muss ja etwas von mir wollen, sonst würde sie mir nicht schreiben. Wir haben schon lange nichts mehr voneinander gehört.«
Andrea drückte mit dem einen Arm den Jungen an sich. Den anderen musste sie ausstrecken, um den Brief lesen zu können. Peterle machte es sehr große Freude, mit der Hand auf den Briefbogen zu schlagen. Das raschelte so schön.
»Leider kann ich beim Chauffieren Peterle nicht auf meinen Schoß setzen, Andrea. Ich würde ihn dir sonst abnehmen. Aber ich werde ganz langsam fahren, damit du lesen kannst.«
Andrea hätte zu jeder anderen Zeit darauf sicher etwas zu sagen gewusst, aber jetzt las sie sehr gespannt. »Ich habe es doch gewusst. Oh, mein Gott, solch ein Unglück. Die arme Nina. Das kommt davon, wenn man so jung heiratet.«
»Was ist passiert, Andrea? Jung geheiratet haben wir auch.«
»Bei uns ist das aber etwas ganz anderes.«
Andrea steckte den Briefbogen wieder in den Umschlag.
»Unsere Ehe ist ja bis jetzt noch nicht schiefgegangen.«
»Nein?«, fragte Hans-Joachim. »Bist du dessen ganz sicher?«
»Jetzt bin ich nicht mehr zum Scherzen aufgelegt, Hans-Joachim. Du solltest auch ernst sein.«
»Ich werde mich sehr bemühen.« Hans-Joachim machte ein todernstes Gesicht. »Ist es so richtig?«
Andrea stieß ihn an. Nun musste sie doch wieder lachen. Aber gleich darauf wurde sie ernst. »Ninas Ehe ist gescheitert. Sie versteht sich mit ihrem Mann nicht mehr und will sich von ihm trennen. Weißt du, Nina ist Journalistin. Sie war aber nicht lange berufstätig, weil sie schon mit zwanzig Jahren geheiratet hat. Dann kam ihr kleines Mädchen, und sie musste zu Hause bleiben. Ihr Mann ist Ingenieur.«
»Und warum schüttet Nina gerade dir ihr Herz aus, Andrea?«
»Weil sie nicht weiß, was sie mit ihrer fünfjährigen Maxi tun soll, wenn sie sich von ihrem Mann trennt. Nina muss dann wieder arbeiten. Das will sie allem Anschein nach gern tun.«
»Ich ahne schon, worauf das alles hinausgeht. Nina sucht für ihr Kind einen Platz in Sophienlust. Du, Andrea, jetzt sind wir beim Bauer Mertens. Da wird es eine Weile dauern. Willst du im Wagen warten?« Hans-Joachim fuhr auf einen Bauernhof.
»Ja, ich warte mit Peterle, sonst kriege ich ihn nicht aus dem Kuhstall heraus. Ist es nicht merkwürdig, Hans-Joachim, dass unser Junge gar keine Angst vor so großen Tieren hat?«
»Das finde ich gar nicht merkwürdig. Etwas muss er schließlich auch von mir geerbt haben. Und mein Vater erzählt doch immer, dass ich als kleines Kind nur einen einzigen Wunsch hatte, nämlich den, auf einem Elefanten zu reiten.«
Hans-Joachim wollte aussteigen, doch Andrea hielt ihn am Rockschoß fest. »Du bist ein Angeber.« Ihre Stimme wurde kleinlaut. »Hans-Joachim, sollen wir wirklich so lange im Wagen sitzen bleiben und auf dich warten? Wenn du aus diesem Hof herauskommst, fährst du gewiss noch zu drei anderen Bauern.«
Hans-Joachim ließ sich wieder auf den Sitz fallen. »Sag doch gleich, was du willst. Ich soll dich nach Sophienlust fahren.«
»Ja, jetzt ist es sehr nötig geworden. Wegen Nina und ihrer kleinen Maxi. Ich muss unbedingt noch heute mit Mutti sprechen. Das wusste ich ja vorhin noch nicht. Du hast mir eben den Brief zu spät gegeben.«
Hans-Joachim wendete schon den Wagen. »Welch ein Glück, dass ich nun wieder daran schuld bin. Trotzdem werde ich meinen Lohn als dein Chauffeur fordern.«
»Das brauchst du gar nicht.« Andrea beugte sich zu ihrem Mann vor und drückte ihm einen Kuss auf die Wange.
»So billig willst du davonkommen? Daraus wird nichts.«
»Das war ja nur ein Vorschuss, Hans-Joachim. Bitte, hole uns auf dem Rückweg in Sophienlust ab. Es macht mir nichts aus, wenn es etwas später werden sollte. Peterle hat ein Nachmittagsschläfchen gemacht.«
Es dauerte nicht lange, bis Andrea mit ihrem Jungen vor dem Kinderheim Sophienlust ausstieg. Auf der Freitreppe stand ihr kleiner Bruder Henrik. Als er sie sah, riss er die Haustür auf und schrie wie ein Herold: »Andrea und Peterle kommen!«
»Vergiss nicht, Peterle zu waschen«, rief Hans-Joachim seiner Frau nach. »Das steht in all deinen vielen Büchern, dass eine junge Mutter eigentlich immer einen nassen Waschlappen bei sich haben sollte und …«
Andrea kam die paar Schritte zurück. »Ich sollte dir die Zunge herausstrecken.«
»Ich bin überzeugt, dass du das unserem Sohn bald beibringen wirst, da es sich ja mit deiner Würde als Mutter nicht mehr vereinbart, es selbst zu tun. Hallo, Andrea!«
Andrea war bereits ein paar Schritte vom Wagen weggegangen. »Noch etwas?«, fragte sie.
»Ja. Ich liebe dich.«
Andrea seufzte. »Ich dich auch, Hans-Joachim. Auch wenn du manchmal nicht zu ertragen bist.« Sie ging weiter auf die Freitreppe zu. Mehrere Kinder kamen jetzt aus dem Haus gestürmt. Peterle krähte und schlug mit den Händchen durch die Luft.
»Ja, Peterle, sie freuen sich alle, dass du kommst. Auch wenn du heute ausnahmsweise einmal nicht ganz sauber bist.«
Andrea hatte recht. Es entbrannte beinah ein Streit darum, wer Peterle zuerst auf den Arm nehmen durfte. Henrik, der es sonst gar nicht so gernhatte, wenn man ihn Peterles Onkel nannte, berief sich plötzlich auf seinen Status als Onkel. Die kleine Heidi stand ihm bei. »Das ist wahr, zuerst müssen sich immer die Verwandten um ein Kind kümmern. Peterle versteht bestimmt schon, dass Nick und Henrik seine Onkels sind.« Dabei drückte sich Heidi sehr eng an Henrik. Sie hatte die Hoffnung, er werde ihr Peterle zum Dank dafür, dass sie jetzt so für ihn eingetreten war, bald überlassen.
Andrea beruhigte die erhitzten Gemüter. »Ich muss zu eurer Tante Isi. Es wird ein Weilchen dauern, bis ich wieder zurückkomme. Währenddessen setzt ihr Peterle im Wintergarten auf den Boden und spielt alle mit ihm. Er mag es am liebsten, wenn recht viele Kinder um ihn herum sind.«
Die Kinder zogen mit dem kleinen Jungen in den Wintergarten. Dabei machte Peterle so viel vergnügten Lärm, dass Denise von Schoenecker aus ihrem Zimmer im ersten Stock herbeigelockt wurde. Sie kam die Treppe herunter und begrüßte Andrea erfreut.
Wenig später saßen die beiden Frauen zusammen im Biedermeierzimmer und berieten, wie man Nina Nasall und ihrer kleinen Maxi helfen könnte. Das Kinderheim Sophienlust war zwar voll besetzt, aber Denise von Schoenecker fand immer einen Weg, wenn es darum ging, einem Kind Geborgenheit zu geben.
*
Die kleine Maxi stand im Flur der Mansardenwohnung, in der sie mit den Eltern in Lindau am Bodensee lebte. Sie wusste nicht, was sie tun sollte. Der Vater hatte ihr versprochen, mit ihr an den See zu gehen, wenn er nach Hause kommen würde. Jetzt war er schon längere Zeit hier, aber er kümmerte sich nicht um sie. Er stritt schon wieder mit ihrer Mutti im Wohnzimmer.
Das war für die kleine Maxi nichts Neues. In den letzten Wochen hatte es zwischen ihren Eltern viel Streit gegeben. Meistens war sie dann aus dem Zimmer geschickt worden. Manchmal war sie auch am späten Abend aufgewacht und hatte laute Stimmen gehört. Sie konnte nicht verstehen, warum das so sein musste. Sie hatte Vati und Mutti gleich lieb und verstand sich mit beiden sehr gut.
Jetzt ging Maxi bis zur Garderobe. Dort sah sie in den Spiegel. Sie gefiel sich sehr gut in dem Kleid, das sie vorhin selbst angezogen hatte, um fertig zu sein, wenn der Vater nach Hause kommen würde. Es war ein ganz neues Kleid. Ihre Mutti hatte es ihr erst vorgestern gekauft. Auf dem blauen Grund des Stoffes war ein lustiges buntes Muster. Einen Gürtel hatte dieses Kleid auch. Das gefiel Maxi besonders gut. In den Hängerchen sah sie immer sehr klein aus, aber jetzt kam sie sich schon wie ein großes Mädchen vor. Das war sehr wichtig, denn ihre Mutti hatte erst vor Kurzem zu einer Bekannten gesagt: »Wenn Maxi wenigstens schon größer wäre.«
Das kleine Mädchen nahm jetzt einen Kamm und fuhr sich damit durch das lange hellbraune Haar. Es hing ihr in einem Pony in die Stirn und fiel hinten bis auf den Rücken. Jetzt steckte sie ein paar Strähnen in eine glitzernde Spange. Das konnte sie zwar nicht so gut wie Mutti, aber sie freute sich über diesen Schmuck.
Ob sie jetzt doch ins Wohnzimmer gehen und den Vater an den Spaziergang erinnern sollte?
Maxi kam nur bis zur Tür. Dann wurden die Stimmen dahinter so laut, dass sie erschrak und stehen blieb.
»Meinethalben, dann lassen wir uns scheiden, Nina«, sagte der Vater. »Es hat keinen Sinn mehr, beisammen zu bleiben, wenn einen schon die Fliege an der Wand ärgert.«
Maxi konnte das nicht begreifen. Warum sollte sich jemand über eine Fliege ärgern? Die stach ja nicht einmal wie eine Biene oder eine Wespe. Die Großen waren wirklich manchmal zu komisch.
»Aber wenn du meinst, dass der Existenzkampf so einfach ist, wie du dir das vorstellst, so irrst du dich. Ich konnte nicht schneller vorwärtskommen. Andere Ingenieure sind mit zweiunddreißig Jahren auch noch nicht weiter als ich.« Die Stirn me des Vaters klang jetzt wieder etwas ruhiger. Maxi musste sehr aufpassen, damit sie alles verstehen konnte.
Jetzt sagte ihre Mutti: »Mein Gott, Harry, was konnten wir uns schon leisten? Wir sind noch immer in der kleinen Mansardenwohnung. Ein Wunder, dass wir einen Wagen haben. Wenn ich jetzt allein anfangen muss, wird es freilich schwer für mich werden. Ich habe da gar keine Illusionen. Ich war noch sehr jung, als ich meinen Beruf schon wieder aufgeben musste. Vielleicht behandelt man mich wie eine Anfängerin. Aber ich werde mich schon durchboxen. Einem entrinne ich auf jeden Fall. Diesen endlos langen Tagen zu Hause.«
»Du hattest Maxi. War dir das wirklich nicht genug, Nina?«
»Ich war nicht ausgelastet. Mit fünfundzwanzig Jahren kann eine Frau mehr leisten, als jeden Tag dieselbe Kommode abzuwischen und ein Kind aufzuziehen. Du solltest mich verstehen, Harry.«
»Beweise ich dir dieses Verständnis nicht dadurch, dass ich mit der Scheidung einverstanden bin? Mehr kannst du von mir nicht verlangen. Für mich heißt das, allein zu sein, ohne das Kind auskommen zu müssen. Ich kann jetzt nicht länger darüber sprechen, Nina.«
Maxi hörte Schritte im Wohnzimmer. Sie wollte in ihr Zimmer flüchten, aber das gelang ihr nicht mehr. Die Tür wurde geöffnet, und ihr Vati kam heraus.
»Hast du gelauscht, Maxi?«, fragte er erschrocken.
Maxi sah ängstlich aus. »Ich habe nur auf dich gewartet, Vati. Wir wollten doch an den See gehen. Schau, ich habe mich schon so fein gemacht.«
»Wir gehen jetzt, Maxi.« Die Stimme. Harry Nasalls klang belegt. Er strich sich über das dichte braune Haar. »Ja, wir gehen«, sagte er gedankenverloren.
Maxi schmiegte schon ihre Hand in die seine. Ihre sonst so lustigen dunkelgrauen Augen sahen zu ihm empor. »Aber wir müssen Mutti noch auf Wiedersehen sagen, Vati.«
»Ich habe das schon getan, Maxi.«
»Davon habe ich aber nichts gehört.« Maxi erschrak. Nun hatte sie sich doch verraten. Sie lief schnell ins Wohnzimmer. Dort saß ihre Mutti im Sessel und starrte auf ihre Hände.