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In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie ist Denise überall im Einsatz. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Doch auf Denise ist Verlass. In der Reihe Sophienlust Extra werden die schönsten Romane dieser wundervollen Erfolgsserie veröffentlicht. Warmherzig, zu Tränen rührend erzählt von der großen Schriftstellerin Patricia Vandenberg. Am zwölften November standen viele Menschen noch nach Mitternacht an den Fenstern und schauten zum Firmament empor. Die Zeitungen hatten für diese Zeit einen besonders prächtigen Sternschnuppenfall der Leoniden prophezeit. Kein Nebel, keine Wolke verhüllte das himmlische Feuerwerk. Denise und Alexander von Schoenecker standen mit ihren Söhnen Nick und Henrik am Fenster des Wintergartens von Gut Schoeneich und genossen den Anblick. Nick, der Fünfzehnjährige, wollte sich nicht anmerken lassen, wie sehr er beeindruckt war. Er sagte: »Es heißt doch, dass man sich bei jeder Sternschnuppe etwas wünschen soll, Mutti. Die fallen aber so rasend schnell, dass man nicht mitkommt.« Der kleine Henrik zeigte dagegen seine Begeisterung. »Ich schaue mir nur eine einzige Sternschnuppe an und wünsche mir ganz schnell etwas zu Weihnachten.« Denise lächelte ihre Söhne an und schmiegte sich enger an ihren Mann. Ihr Wunsch war, dass ihr Familienglück erhalten bleibe und dass die ihr anvertrauten Kinder in Sophienlust weiterhin glücklich seien. Einige hundert Kilometer von Sophienlust entfernt stand ein schlanker braunhaariger Junge am Fenster des Elternhauses und schaute zum Gipfel der Zugspitze empor. Er drückte beide Daumen in die Handflächen. Wenn eine Sternschnuppe aufglühte, flüsterte er: »Mami und Papi sollen sich vertragen.« Und bei der nächsten: »Mami soll mich weiter lieb haben.« Dann: »Mami soll bei uns bleiben.« Immer wieder flüsterte Michael Torre diese Wünsche. Dann weinte er, denn seine bisher so heile Welt war am Zusammenbrechen, und mit seinen zehn Jahren war er noch zu unerfahren, um zu begreifen, warum das so war. Im Wohnzimmer nebenan entschlossen sich an diesem zwölften November Philipp Torre und seine Frau Hella zur Scheidung. Über ein Jahr lang hatten sie immer wieder versucht, ihre Ehe zu retten.
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Am zwölften November standen viele Menschen noch nach Mitternacht an den Fenstern und schauten zum Firmament empor. Die Zeitungen hatten für diese Zeit einen besonders prächtigen Sternschnuppenfall der Leoniden prophezeit. Kein Nebel, keine Wolke verhüllte das himmlische Feuerwerk.
Denise und Alexander von Schoenecker standen mit ihren Söhnen Nick und Henrik am Fenster des Wintergartens von Gut Schoeneich und genossen den Anblick. Nick, der Fünfzehnjährige, wollte sich nicht anmerken lassen, wie sehr er beeindruckt war. Er sagte: »Es heißt doch, dass man sich bei jeder Sternschnuppe etwas wünschen soll, Mutti. Die fallen aber so rasend schnell, dass man nicht mitkommt.«
Der kleine Henrik zeigte dagegen seine Begeisterung. »Ich schaue mir nur eine einzige Sternschnuppe an und wünsche mir ganz schnell etwas zu Weihnachten.«
Denise lächelte ihre Söhne an und schmiegte sich enger an ihren Mann. Ihr Wunsch war, dass ihr Familienglück erhalten bleibe und dass die ihr anvertrauten Kinder in Sophienlust weiterhin glücklich seien.
*
Einige hundert Kilometer von Sophienlust entfernt stand ein schlanker braunhaariger Junge am Fenster des Elternhauses und schaute zum Gipfel der Zugspitze empor. Er drückte beide Daumen in die Handflächen. Wenn eine Sternschnuppe aufglühte, flüsterte er: »Mami und Papi sollen sich vertragen.« Und bei der nächsten: »Mami soll mich weiter lieb haben.« Dann: »Mami soll bei uns bleiben.«
Immer wieder flüsterte Michael Torre diese Wünsche. Dann weinte er, denn seine bisher so heile Welt war am Zusammenbrechen, und mit seinen zehn Jahren war er noch zu unerfahren, um zu begreifen, warum das so war.
Im Wohnzimmer nebenan entschlossen sich an diesem zwölften November Philipp Torre und seine Frau Hella zur Scheidung. Über ein Jahr lang hatten sie immer wieder versucht, ihre Ehe zu retten. Vergeblich. Nun waren sie seelisch zermürbt, denn sie liebten ihren zehnjährigen Sohn.
Weil sie ihm wehtun mussten, hatten sie die Scheidung so lange hinausgeschoben. Monatelang hatten sie gestritten. Hella wollte ihren Sohn mitnehmen in ihre zukünftige zweite Ehe. Phil aber wollte ihn nicht hergeben, denn Michi war wohl äußerlich Hellas Ebenbild, im Wesen aber ganz Phils Sohn.
In einem waren sich die beiden einig. Das Vertrauen des Jungen in Vater und Mutter sollte nicht zerstört werden. Michi sollte selbst entscheiden, bei welchem Elternteil er bleiben wollte.
»Sagen wir es ihm also morgen, Phil?«, fragte Hella.
Er nickte stumm.
»Wie bringen wir es ihm bei?« Hella seufzte.
Phil sog nervös an seiner Zigarette. Mit langen Schritten umkreiste er den Esstisch. »Wie wir es besprochen haben. Wir wollen ihm kein Märchen auftischen, denn er ist ein kluger Junge. Wir müssen es ihm behutsam erklären, damit er es mit seinen zehn Jahren begreifen kann, ohne dass er sich von einem von uns verraten fühlt.«
Hella wurde blass, verkrampfte die Hände im Schoß. »Dann muss ich ihm also sagen, dass ich zu einem anderen Mann gehe?«
»Wenn er sich für dich entscheidet und mit dir geht, muss er es sowieso erfahren, Hella.«
Die Stimme versagte ihm. Minutenlang herrschte Schweigen zwischen ihnen. Wie viel Seelenkraft Phil seine folgenden Worte kosteten, sah Hella an seiner leidvollen Miene. Sie litt mit ihm. Ihre Liebe zu Dieter Mass aber war stärker als ihr Mitleid mit Phil.
»Sollte Michi bei mir bleiben wollen, Hella, wird er sich fragen, warum du ihn verlassen hast. Wir müssen ihm den Grund erklären. Wir wollen ihm sagen, dass wir uns nicht mehr vertragen haben, weil du immer Angst hattest, dass ich in den Bergen verunglücke. Er hat doch oft genug gehört, dass du mich gebeten hast, nicht mehr auf gefährliche Klettertouren zu gehen. Dann habe ich stets geantwortet: ›Ich liebe die Berge so sehr, dass ich sie nicht mehr lassen kann.‹ Du musst Michi sagen, dass du Dieter Mass so sehr liebst wie ich die Berge. Es wird ihn weniger verletzen, wenn er weiß, dass du ihn wegen einer so starken Liebe verlässt.«
»Danke, dass du es mir leicht machen willst, Michi wehzutun. Aber wir müssen es ihm gleich sagen. Morgen finde ich vielleicht nicht mehr die Kraft dazu.«
»Es ist nach Mitternacht, Hella.«
»Ich bleibe die ganze Nacht über bei ihm, Phil. Bitte, lass es mich sofort sagen. Die Qual muss ein Ende nehmen. Ich ertrage sie kaum noch.«
»Und wenn er sich für mich entscheidet, Hella?«
»Dann packe ich meine Koffer und verlasse sofort das Haus, Phil. Bitte, komm mit!«
Michi hatte sich inzwischen im Bett verkrochen. Als er die Tür nebenan gehen hörte, griff er schnell nach dem Bergsteigerbuch und tat so, als lese er.
»Du schläfst noch nicht?« Hella war innerlich erleichtert.
»Zuerst habe ich mir die Sternschnuppen angeschaut und dann noch ein bisschen gelesen, Mami.« Michi wandte sich seinem Vater zu. »Hast du noch nie daran gedacht, die Matterhornnordwand zu besteigen, Papi?«
Phil nahm das Buch, blätterte darin, sagte so heiter wie möglich: »Eines Tages werde ich es vielleicht tun, Michi. Bist du sehr müde?«
»Wie kann ich müde sein, wenn ich lese, wie mutige Männer im Schneesturm auf einem Felsband biwakieren, Papi? Ich kann es gar nicht erwarten, erwachsen zu sein, damit ich zusammen mit dir klettern darf. Oder bist du dann schon zu alt dazu, Vati?«
Phil lächelte etwas mühsam. »Dann schaue ich dir eben von unten zu, Michi.« Sein Herz hämmerte. Bedeuteten die Worte des Buben, dass er bei ihm bleiben würde, um mit ihm in die Berge zu gehen? Ein Blick in Hellas Gesicht zeigte ihm, dass sie dieselben Gedanken hegte. Ihr Gesicht war vor Schmerz entstellt.
»Wir wollen dir etwas sehr wichtiges sagen, Michi«, erklärte Hella.
Der Bub setzte sich im Bett auf. Seine Blicke wanderten zwischen Vater und Mutter hin und her. »Ich weiß, was ihr mir sagen wollt. Ihr wollt nicht mehr miteinander verheiratet sein.«
»Woher weißt du das?«, rief Hella erschrocken und setzte sich auf den Bettrand.
»Ich habe es oft gehört, wenn ihr gestritten habt. Und immer hast du gesagt, dass du bei Papi nicht mehr bleiben kannst und dich scheiden lassen willst, Mami. Ich habe oft geweint deswegen, aber …«
Seine Stimme schlug in Schluchzen um. Er versteckte das Gesicht im Kopfkissen.
Hella beugte sich über ihn und küsste den braunen Haarschopf. »Es tut mir leid, dass du uns gehört hast, Michi. Wir wollten dir nicht wehtun. Wir haben ein ganzes Jahr lang immer wieder geprüft, ob wir alle beisammenbleiben können. Dein Papi und ich haben uns einmal sehr lieb gehabt.«
»Sonst wäre ich auch nicht auf der Welt«, weinte der Junge.
»So ist es, Michi. Ich habe deinen Papi immer noch gern, aber wir würden ständig streiten, wenn wir miteinander verheiratet blieben. So haben wir uns entschlossen, uns scheiden zu lassen.«
Michi fuhr hoch. »Willst du mich Papi wegnehmen? Soll ich bei dir wohnen wie Ernst bei seiner Mutter?« Ernst war sein bester Schulfreund.
Hella fühlte einen schneidenden Schmerz im Herzen. Dem Kind zuliebe riss sie sich zusammen und sagte das, was sie und Phil besprochen hatten.
»Du weißt, dass ich immer Angst um Papi hatte, wenn er zu seinen gefährlichen Touren aufbrach. Die Berge waren stärker als ich. Sie haben ihn angezogen. Nun liebe ich einen anderen Mann, der auch dich lieb haben würde, wenn du mit mir kämst. Du könntest deinen Vater besuchen, sooft du wolltest. Du dürftest mit ihm auch auf die Berge kraxeln. Ich würde es dir nicht verbieten, Michi.« Ihre Stimme war flehend geworden.
Michi schüttelte den Kopf. »Es ist besser, du weißt es nicht, wenn wir Männer unterwegs sind im Fels, Mami.« Wieder wanderten seine Blicke zwischen den Eltern, die er so sehr liebte, die bisher so selbstverständlich seine Eltern, seine Zuflucht, seine Sicherheit gewesen waren, hin und her. Er dachte angestrengt nach. Der innerliche Kampf spiegelte sich auf seinem Kindergesicht. »Ich kann nur bei einem von euch bleiben. Oder?«
Hella nickte, und Phil sagte leise: »Ja, leider, Michi.«
»Ich habe euch beide lieb. Aber wenn du einen anderen Mann so liebhast wie Papi und ich die Berge, dann können wir dich nicht zurückhalten, Mami.«
Hella holte tief Luft, um ihr Herz zu beruhigen. Phil lehnte an der Wand, Halt suchend. Michi hatte sich entschieden. Für ihn.
»Ich habe dich verstanden, Michi«, flüsterte Hella. »Du willst bei deinem Vater bleiben.«
Michael nickte und suchte den Blick des Vaters. »Wenn du gehst, hat er doch nur noch mich. Er und ich passen prima zusammen, Mami.«
Hella küsste Michi und erhob sich. »Nun ist alles klar zwischen uns. Ich fahre in einigen Stunden nach München. Du darfst mich dort sooft besuchen, wie du willst.« Die Selbstbeherrschung verließ sie, sie brach in Tränen aus.
Michi sprang aus dem Bett, umarmte sie. »Du musst nicht weinen, Mami. Ich habe dich genauso lieb wie Papi. Wenn ich ein Mädchen wäre, würde ich mit dir nach München gehen. Aber ich bin doch ein Junge und gehöre zu meinem Vater. Ich will einmal Bergsteiger werden wie er. Außerdem muss ich Bäcker werden. Wenn Papi einmal alt und müde ist, muss ich seine Arbeit tun.«
Mein lieber Bub, dachte Phil Torre und flüchtete in das Badezimmer. Er rang um Fassung. Hella würde gehen, aber Michi würde bei ihm bleiben.
Hella verließ das Haus zwei Stunden später. Die Koffer mit ihren persönlichen Dingen waren längst gepackt. Die Einrichtung des Hauses gehörte ihr, aber sie hatte mit Phil vereinbart, dass er ihr dafür einen Betrag auszahlen würde. Michi sollte nichts aus seiner Umgebung vermissen. Nur sie würde aus seinem Leben entschwinden.
Nach kurzem Zögern legte Hella die Fotografie, die Phil kurz nach der Geburt ihres Sohnes aufgenommen hatte, in den Handkoffer. Das war die Erinnerung an wunschlos glückliche Tage in ihrer elfjährigen Ehe mit Phil. Weniger glückliche waren gefolgt, zuletzt die völlige Entfremdung, die Liebe zu Dieter Mass.
Phil trug ihr die Koffer vor das Gartentor. Das Taxi fuhr eben vor. Eine letzte Umarmung! »Danke, dass du mir Michi gelassen hast, Hella«, sagte Phil.
»Danke für dein Verständnis, Phil. Wir wollen die Phrase, dass wir gute Freunde bleiben wollen, vermeiden.«
Er nickte stumm, schaute dem Wagen nach, bis er verschwunden war. Dann kehrte er in das Haus zurück, öffnete die Tür des Kinderzimmers. »Schläfst du, Michi?«
Stille. Weinen. Dann schluchzte der Bub: »Wie kann ich schlafen, wenn Mami uns verlassen hat? Nun haben wir nur noch uns, Papi. Ich will in der Schule fleißiger sein, damit du nicht auch noch meinetwegen Kummer hast. Du darfst wegen Mami ruhig weinen wie ich. Auch Bergsteiger weinen, wenn sie auf dem Gipfel stehen. Das habe ich gelesen. Es ist keine Schande für uns Männer.«
*
Während Hella durch die Nacht nach München zu dem Mann fuhr, den sie liebte, trauerten Mann und Kind um sie. Doch auch sie weinte bittere Tränen, bis sie in Dieters Armen lag.
»Hilf mir, darüber hinwegzukommen, Liebster.«
»Michael hat sich für deinen Mann entschieden?«
»Ja.«
Er küsste ihr die Tränen vom Gesicht. »Später wird Michi dir dafür dankbar sein, dass du ihm zuliebe auf ihn verzichtet hast, Hella.«
»Meinst du, er wird später zu mir zurückfinden?«
»Vielleicht, Hella.«
»Du willst es nicht?«
»Ich will dich für mich allein haben, Hella. Ich kann nicht teilen.«
»Aber du hast doch gesagt, dass du Michi ein guter Vater sein würdest, Dieter.«
»Ich wusste, dass er bei seinem Vater bleiben würde, Hella. Kinder lehnen sich immer an die stärkeren Naturen an. Sie brauchen diesen Schutz.«
»Bei mir hätte er ihn vermisst?«, fragte sie, und wieder füllten sich ihre Augen mit Tränen.
»Du bist selbst noch ein Kind, meine Liebste. Das ist es, was mir an dir so gut gefällt. Darum liebe ich dich.«
Sie ließ sich in diese Liebe fallen, um ihren Sohn zu vergessen, um Phil zu vergessen.
*
Philipp Torre fiel es schwerer, die Sehnsucht nach seiner Frau zu ertragen. Der Gedanke, dass sie bei ihrem Geliebten war, ihm das schenkte, was sie ihm in den letzten zwei Jahren verweigert hatte, peinigte ihn, besonders in den Nächten, da das Bett neben ihm leer war. Er wusste, dass auch auf seiner Seite viel Schuld lag. Sonntag für Sonntag hatte er einen Gipfel bezwungen, Hella allein gelassen mit ihrer Angst. Nie hatte er ihrem Wunsch nach geruhsamen Badeferien am Meer nachgegeben. Die Berge hatten ihn wie ein Magnet angezogen. Hella aber hatte sie gefürchtet, zuletzt sogar gehasst.
Sie hatten geheiratet, als Hella neunzehn, er zweiundzwanzig Jahre alt gewesen war. Beide waren sie noch nicht reif für die Ehe gewesen. Sie waren verliebte Kinder gewesen, die Mann und Frau spielten. Die Leidenschaft hatte die fehlende Übereinstimmung ihrer Charaktere jahrelang übertüncht. Als Dieter Mass auftauchte, war Hella auf ihn zugeflogen wie die Motte zum Licht. Phils Leidenschaft aber hatte sich zu gleicher Zeit in eine tiefe Liebe verwandelt, die Wurzeln in seinem Herzen geschlagen hatte. So wie er die Berge liebte, so hatte er nun Hella geliebt, liebte sie jetzt noch immer. Ihr Hochzeitstag war der vierundzwanzigste Dezember, der Heilige Abend.
Je näher dieser Tag rückte, umso unruhiger wurde Phil. Er konnte den Gedanken nicht ertragen, diesen Tag allein mit Michi und Frau Fischer zu feiern, die in ihrer goldblonden Rundlichkeit alles versuchen würde, Feststimmung zu verbreiten.
Melanie Fischer war sieben Jahr lang Verkäuferin in seinem Geschäft gewesen. Als Hella ihn verließ, hatte sie ihm angeboten, ihm den Haushalt zu führen, da ihr diese Tätigkeit mehr liege. Er hatte ihr Angebot erleichtert angenommen und eine andere Verkäuferin eingestellt. Seitdem sorgte Melanie Fischer vorbildlich für ihn und Michi. Sie war eine ausgezeichnete Köchin, sauber und stets bester Laune. Das einzig Störende an ihr war die peinliche Verehrung, die sie Phil entgegenbrachte. Sie hing an ihm mit einer Demut, die ihn abstieß. Deshalb wollte er auch nicht den Heiligen Abend mit ihr verbringen. Also bot er ihr an, ihr über Weihnachten Urlaub zu geben.
»Sie wollen sicher diese Tage mit Ihren Eltern und Geschwistern verbringen, Frau Fischer«, meinte er. Obwohl sie ledig war, bestand sie auf den Titel Frau, um nicht als alte Jungfer zu gelten.
»Ich werde Sie und Michi doch nicht allein lassen, Herr Torre«, lehnte sie ab. »Das würde eine schöne Männerwirtschaft geben.«
Nur um sie loszuwerden, behauptete er schnell: »Ich will auf das Matterhorn, Frau Fischer. Die Tage nach Weihnachten sind für eine solche Tour sehr günstig.«
Phil staunte über sich selbst. Bisher hatte er daran nicht gedacht. Die Nordwand des Matterhorns zu bewältigen war noch immer ein gefährliches Unternehmen im Winter.
Melanie stemmte die Fäuste auf die ausladenden Hüften. »Dann muss ich wohl erst recht bei Michi bleiben, wenn Sie in die Schweiz verschwinden wollen, Herr Torre. Oder wollen Sie den Jungen vielleicht gar mitnehmen?«
»Das wäre prima!«, ertönte Michis Stimme von der Küchentür her. »Mitklettern könnte ich natürlich nicht, Papi. Aber ich könnte dich mit dem Feldstecher beobachten. Machen wir das? Es wäre mein schönstes Weihnachtsgeschenk.«
»In einigen Jahren, Michi, wenn du vierzehn oder fünfzehn Jahre alt bist. Du kannst jetzt noch nicht allein im Hotel wohnen, denn die Besteigung kann einige Tage dauern. Man würde mich mit Recht für einen Rabenvater halten.«
»Für einen rabenschwarzen sogar«, fiel Melanie ein. Sie machte sich am Herd zu schaffen. »Ich finde, Sie haben die Pflicht, bei Ihrem Sohn zu bleiben.«
Michi reckte sich in seiner ganzen Größe auf. »Papi kann tun und lassen, was er will. Er ist ein Mann. Meinetwegen muss er nicht daheimbleiben. Sonst könnte es sein, dass er auch von mir weg will. Papi, können Vater und Sohn sich auch scheiden lassen, wie Mami sich von dir scheiden lasst?«
Phil verneinte mit starrem Gesicht. Jede Erinnerung an Hella schmerzte ihn. Er fragte: »Möchtest du über Weihnachten zu deiner Mutter, Michi? Sie würde sich gewiss sehr über deinen Besuch freuen.«
Der Zehnjährige antwortete mit einer bestürzenden Gegenfrage: »Hast du das Matterhorn lieber als mich, Papi?«
»Wie kommst du darauf?«
»Weil du mich zu Mami schicken willst, damit du in die Schweiz fahren kannst.«
»So ist es nicht, Michi. Wir bleiben über Weihnachten beisammen.«
»Das will ich ja auch, aber ich will auch, dass du auf das Matterhorn kletterst, Papi. Ich wäre mächtig stolz auf dich. Zu Mami will ich nicht. Sie ist doch nicht allein. Ich habe sie schon beinahe vergessen und weine nachts nicht mehr so lang, Papi. Du kannst mich ruhig bei Frau Fischer lassen. Ich bin doch schon bald ein Mann.«
Phil schob den »kleinen Mann« aus der Küche. Später, als er in der Backstube stand, fühlte er den Blick seines Gesellen forschend auf seinem Gesicht.
»Was plagt Sie denn, Chef?«, fragte Hannes Pichler.
Phil vertraute sich dem langjährigen Mitarbeiter an.
»Machen Sie die Matterhornnordwand, Chef«, riet der Geselle. »Das bringt Sie auf andere Gedanken. Ich habe da einmal von einem Kinderheim gehört, das in der Nähe von Frankfurt liegt. Die Kinder sollen dort prächtig untergebracht sein. Michi hätte dort Freunde. Wie heißt dieses verflixte Heim nur?«
Während er den Teig in die Maschine gab, dachte Hannes angestrengt nach. Plötzlich rief er: »Sophienlust ist der Name. Fragen Sie doch einmal bei der Auskunft nach der Telefonnummer.«
Phil tat es und hatte bald darauf die Telefonnummer von Sophienlust. Ein Anruf kann nicht schaden, dachte er und drehte die Wählscheibe.
Eine angenehme dunkle Stimme meldete sich. Phil war so aufgeregt, dass er stotterte.
»Ich möchte meinen zehnjährigen Sohn über Weihnachten gut untergebracht wissen. Mein Geselle hat mir gesagt, dass Sie Kinder gegen Bezahlung aufnehmen.«
»Mittellose auch kostenlos«, erwiderte Denise von Schoenecker.
»Ich bin recht gut bei Kasse und kann bezahlen. Ich habe hier in Grainau eine Bäckerei. Meine Frau hat mich und meinen Sohn vor sechs Wochen verlassen. Nein, das ist nicht richtig. Michi hat sich entschieden, bei mir zu bleiben. Ich will auf das Matterhorn, und der Buh ist noch zu klein, mich zu begleiten. Aber allein will ich ihn mit meiner Haushälterin zu Weihnachten auch nicht lassen. Verstehen Sie das?«
»Natürlich, Herr Torre. Wir haben zwanzig Kinder hier, und alle sind sehr vergnügt. Könnten Sie über das nächste Wochenende mit Ihrem Sohn herkommen, damit wir sehen, ob er sich bei uns wohlfühlen würde?«
»Gerne, Frau von Schoenecker.« Und mit einem dunklen Lachen: »Haben Sie dort auch Bäume, an denen er hochklettern kann?«
»Bäume haben wir, aber das Hinaufklettern behagt mir nicht so sehr«, erwiderte Denise. »Schließlich trage ich die Verantwortung für Ihren Sohn, wenn er bei uns ist.«
»Er ist so geschickt wie ein Äffchen.«
»Die haben wir hier auch«, entgegnete Denise lachend. »Zwei Schimpansen, drei Bären, zwei Esel, ach, eine ganze Menagerie in einem Tierheim, das meinem Schwiegersohn gehört. Er ist Tierarzt.«
»Das würde Michi gefallen. Er liebt Tiere, vor allem aber die Berge. Meine Frau hat sie gehasst und gefürchtet. Darüber ist unsere Ehe in die Brüche gegangen.«
Denise fühlte, dass dieser Mann litt, dass sein Lachen den Schmerz betäuben sollte. Seine nächsten Worte gaben ihr die Bestätigung dafür.