In Kinderhänden liegt ihr Glück - Gert Rothberg - E-Book

In Kinderhänden liegt ihr Glück E-Book

Gert Rothberg

0,0

Beschreibung

In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie ist Denise überall im Einsatz. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Doch auf Denise ist Verlass. In der Reihe Sophienlust Extra werden die schönsten Romane dieser wundervollen Erfolgsserie veröffentlicht. Warmherzig, zu Tränen rührend erzählt von der großen Schriftstellerin Patricia Vandenberg. Es war ein bezaubernder Abend gewesen. Dr. Ahnenpohl und seine junge Frau verstanden es, Gäste zu bewirten. Dabei hatte man sich an diesem Abend ganz ungezwungen und fast zufällig getroffen. Dorothea Hübner hatte nur gerade einmal bei dem jungen Ehepaar guten Tag sagen wollen, war aber dann vier Stunden geblieben. Wie immer war sie bewunderter Mittelpunkt in der kleinen Gesellschaft gewesen. Dorothea oder Do, wie sie von ihren Freunden genannt wurde, war das gewöhnt. Sie sah es als Selbstverständlichkeit an, dass sich immer und überall alles um sie drehte. Ihr Vater war ein sehr reicher und in der Finanzwelt bedeutender Mann. Do umgab also der Nimbus von großem Reichtum und Macht. Hinzu kam, dass sie ein sehr schönes und bezauberndes Geschöpf war. Eine Sinfonie in Gold hatte einmal ein Bewunderer ihrer Schönheit sie genannt. Ihre Haare glänzten wie sattes, ihre Haut wie mattes Gold. Diese Farben gaben ihrem Gesicht Wärme und schenktem ihm eine große Anziehungskraft. Do wusste, dass sie ein schönes Mädchen war und, wohin sie auch kam, Aufsehen erregte. Sie liebte das Leben und genoss jeden Tag, jede Stunde. Ein Vergnügen jagte bei ihr das andere. Sie brauchte ständig Menschen um sich, die ihr bewundernd zu Füßen lagen. So war es schon, als sie noch ein Kind gewesen war, und daran hatte sich auch seit ihrer Verlobung mit Dr. Rainer Hochberg nichts geändert.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 163

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Sophienlust Extra – 86 –

In Kinderhänden liegt ihr Glück

Unveröffentlichter Roman

Gert Rothberg

Es war ein bezaubernder Abend gewesen. Dr. Ahnenpohl und seine junge Frau verstanden es, Gäste zu bewirten. Dabei hatte man sich an diesem Abend ganz ungezwungen und fast zufällig getroffen. Dorothea Hübner hatte nur gerade einmal bei dem jungen Ehepaar guten Tag sagen wollen, war aber dann vier Stunden geblieben. Wie immer war sie bewunderter Mittelpunkt in der kleinen Gesellschaft gewesen.

Dorothea oder Do, wie sie von ihren Freunden genannt wurde, war das gewöhnt. Sie sah es als Selbstverständlichkeit an, dass sich immer und überall alles um sie drehte. Ihr Vater war ein sehr reicher und in der Finanzwelt bedeutender Mann. Do umgab also der Nimbus von großem Reichtum und Macht. Hinzu kam, dass sie ein sehr schönes und bezauberndes Geschöpf war. Eine Sinfonie in Gold hatte einmal ein Bewunderer ihrer Schönheit sie genannt. Ihre Haare glänzten wie sattes, ihre Haut wie mattes Gold. Diese Farben gaben ihrem Gesicht Wärme und schenktem ihm eine große Anziehungskraft.

Do wusste, dass sie ein schönes Mädchen war und, wohin sie auch kam, Aufsehen erregte. Sie liebte das Leben und genoss jeden Tag, jede Stunde. Ein Vergnügen jagte bei ihr das andere. Sie brauchte ständig Menschen um sich, die ihr bewundernd zu Füßen lagen. So war es schon, als sie noch ein Kind gewesen war, und daran hatte sich auch seit ihrer Verlobung mit Dr. Rainer Hochberg nichts geändert.

Dr. Rainer Hochberg ließ seine junge schöne Braut aber auch gewähren. Er war nicht eifersüchtig und hatte nichts dagegen, dass sie auch weiterhin ein freies Leben beibehielt. Er lächelte über ihre zahlreichen Flirts. Sehr gute Freunde meinten allerdings, dass es ihm nicht so sehr um das entzückende Mädchen gehe, sondern vielmehr darum, dass Do die einzige Tochter des reichen und mächtigen Franz Hübner sei. Dr. Rainer Hochberg war Jurist und hatte es in wenigen Jahren verstanden, sich bei dem alten Hübner unentbehrlich zu machen. Als sich Do mit dem überaus gut aussehenden Rainer Hochberg verlobt hatte, war das ein Freudentag für den alten Hübner gewesen. Der ehrgeizige junge Mann war so ganz nach dem Geschmack von Franz Hübner. Er war nicht nur ein guter Jurist, er war auch ein hervorragender Kaufmann.

Das alles war jedoch nicht für Do der Grund gewesen, sich mit Dr. Rainer Hochberg zu verloben. Sein Aussehen hatte sie stark angezogen und seine überaus liebenswürdige und charmante Art. Dr. Rainer Hochberg war ein Mann, an dem keine Frau unbeeindruckt vorüberging. Es hatte der Eitelkeit von Do geschmeichelt, dass dieser Mann, der gut fünfzehn Jahre älter war als sie, sich in sie verliebt hatte.

Man konnte sich kaum ein schöneres Paar als die beiden denken. Sie schienen wie füreinander geschaffen zu sein. Und Do glaubte, in Rainer Hochberg den Mann fürs Leben gefunden zu haben. Es war nicht ihre Art, über irgendetwas ernsthaft nachzudenken. Weder über ihre eigenen Gefühle noch über die ihres Verlobten. Es genügte ihr, dass er ihr gesagt hatte, dass er sie liebe. Als ganz selbstverständlich nahm sie allerdings an, dass auch ihr Reichtum und ihre gesellschaftliche Stellung bei seiner Werbung eine Rolle gespielt hatten.

Es war schon Mitternacht vorbei, als Do von den Ahnenpohls aufbrach. Dr. Ernst Ahnenpohl half ihr in der Diele galant in den Pelz. »Nett, dass du vorbeigekommen bist, Do. Das nächste Mal bringe Rainer mit. Ich habe ihn schon eine Ewigkeit nicht mehr gesehen. Der Gute arbeitet zu viel.«

Bevor Do antworten konnte, rief Irene Ahnenpohl aus dem großen Wohnzimmer: »Warte noch einen Augenblick, Do. Du könntest doch eigentlich Ralf in deinem Wagen mitnehmen. Er will sich ein Taxi nehmen, aber du fährst doch fast an seiner Wohnung vorbei.«

»Unsinn, ich kann gut mit einem Taxi fahren«, sagte Ralf Hochberg, der jetzt in die Diele kam.

Do warf ihrem zukünftigen Schwager einen kurzen abschätzenden Blick über die Schulter zu. »Du hast natürlich wieder zu viel getrunken«, sagte sie spöttisch. Sie mochte den Bruder ihres Verlobten nicht, weil ihn ihre Schönheit vollkommen kalt zu lassen schien. Sie hatte bei ihm immer das Gefühl, er sehe sie einfach nicht. Das verletzte sie deshalb besonders, weil Ralf Hochberg Kunstmaler war und sich als Porträtist einen Namen gemacht hatte. Wenn Do sich selbst gegenüber ganz ehrlich gewesen wäre, dann hätte sie sich eingestehen müssen, dass es sie kränkte, dass er noch nicht mit der Bitte an sie herangetreten war, sie porträtieren zu dürfen.

Ralf Hochberg war fünf Jahre jünger als sein Bruder, sah aber licht so gut aus wie Rainer Hochberg. Er war etwas kleiner und breiter als sein älterer Bruder und gab sich gern lässig. Ein besonders guter Gesellschafter war er auch nicht. Man hatte in seiner Gegenwart immer das Gefühl, dass er mit seinen Gedanken ganz woanders sei. Auch fehlte ihm der Charme und die Liebenswürdigkeit, die seinen Bruder auszeichnete. Trotzdem war Ralf Hochberg überall sehr beliebt – nur eben bei Do nicht, die es nun einmal einem Mann nicht verzeihen konnte, wenn er ihr nicht huldigend zu Füßen lag.

»Er hat zwei Gläser zu viel getrunken«, flüsterte Ernst Ahnenpohl Do zu. »Ich glaube, heute vor drei Jahren hat sich Nora Bahnen das Leben genommen. Du weißt, er ist noch immer nicht ganz darüber hinweg.«

Do nickte etwas ungeduldig. Der Selbstmord hatte vor drei Jahren viel Staub aufgewirbelt. Genaues wusste niemand, aber es hieß, dass sich Nora Bahnen wegen Ralf Hochberg das Leben genommen habe. Sie war die Frau seines besten Freundes gewesen.

»Komm, Ralf, ich nehme dich in meinem Wagen mit. Oder hast du Angst, mit mir zu fahren?«, fragte Do aufreizend spöttisch.

Ralf Hochberg schien das jedoch nicht zu bemerken. Es war ihm nicht anzumerken, dass er zwei Gläser zu viel getrunken hatte. Er antwortete nicht auf die Frage von Do, sondern nahm seinen Mantel und warf ihn lässig über die Schultern. Im Vorübergehen warf er Do einen kühlen und unpersönlichen Blick zu, der die junge Dame maßlos ärgerte. Seine großen grauen Augen schienen sie wieder einmal überhaupt nicht zu sehen.

Als alle vor die Haustür des großen Bungalows traten, den die Ahnenpohls vor den Toren der Stadt bewohnten, war es so neblig, dass man keine hundert Meter weit sehen konnte.

»Das ist ja grausig«, sagte Dr. Ernst Ahnenpohl. »Ich schlage vor, ihr bleibt über Nacht hier. Wir haben genug Platz.«

Do lachte belustigt. »Der Nebel macht mir nichts. Wir haben es ja auch nicht weit. Und wenn es dich beruhigt, fahre ich gleich auf die Autobahn. Das ist zwar etwas weiter, aber dafür brauche ich nicht die schmale kurvenreiche Landstraße zu fahren. Es ist dir doch recht, Ralf?«

»Mir ist es vollkommen egal, ob du Autobahn oder Landstraße fährst. Ich weiß, du bist eine hervorragende Autofahrerin.« Seine Stimme klang leise und uninteressiert. »Hauptsache, wir sind schnell zu Hause«, fügte er noch hinzu.

Natürlich, dachte Do ärgerlich. Das ist ihm das Wichtigste. Alle Männer in meinem Bekanntenkreis wären entzückt, wenn sie mit mir allein nach Hause fahren dürften. Ralf Hochberg legt jedoch nur Wert darauf, möglichst rasch nach Hause zu kommen. Und von Komplimenten und ein bisschen Galanterie scheint er auch noch nie etwas gehört zu haben. Die Auffahrt zur Autobahn war einige hundert Meter hinter dem Haus der Ahnenpohls. Do schaltete die Nebellampen ein und legte einen anderen Gang ein. Auf der Autobahn schien dann der Nebel noch zuzunehmen, aber sie hatten ja nur gut zehn Kilometer zu fahren.

Do war eine gute Autofahrerin. Sie riskierte auch nichts, vergaß aber meistens, sich anzuschnallen.

Ralf saß gelangweilt in seiner Ecke. Er hielt die Augen halb geschlossen, sodass Do für einen Augenblick meinte, er sei eingeschlafen, als sie ihm von der Seite verstohlen einen Blick zuwarf. Aber er schlief nicht, denn er bemerkte den Blick sofort und sagte ohne sie anzusehen oder sich zu rühren: »Ich würde die Fahrbahn lieber keine Sekunde aus den Augen lassen. Ich habe das Gefühl, dass der Nebel ständig dichter wird.«

Jetzt wandte er ihr das Gesicht zu, und wie immer irritierte sie sein Blick. Er machte sie unsicher und ärgerlich, aber sie ging gehorsam mit der Geschwindigkeit herunter.

Do wusste, Ralf hatte recht. Der Nebel schien ständig zuzunehmen. Es war nur noch eine Sichtweite von ein paar Metern. Do musste sich deshalb ganz auf das Fahren konzentrieren. Trotzdem dachte sie, ich mag diesen Mann nicht, während sich ihr weißer Porsche durch den Nebel durchzufressen schien. Ich mag ihn nicht, aber ich weiß nicht, warum das so ist. Vielleicht kommt es daher, dass er mich auch nicht mag. Wahrscheinlich besteht zwischen uns eine gegenseitige Antipathie. So etwas soll es ja geben. Aber wie ist es dazu gekommen?

Bis jetzt hatte Do es immer als selbstverständlich angesehen, dass jeder Mann von ihr entzückt war und ihre kleinen Launen und Extravaganzen bewunderte. Bei Ralf Hochberg hatte sie jedoch stets das Gefühl, sie existiere für ihn gar nicht. Er schien sich wenig aus Frauen zu machen. War er wirklich noch immer nicht über den Tod von Nora Bahnen hinweggekommen? Hatte er diese Frau so geliebt, dass es für ihn keine andere Frau mehr gab? Aber nein, das war natürlich unsinnig. Do entsann sich, dass er oft mit einer Frau gesehen wurde und dass er seit dem Tod von Nora Bahnen schon viele schöne Frauen porträtiert hatte.

Wenn sie darüber nachdachte, dann musste sie zu dem Ergebnis kommen, dass er eigentlich nicht minder beliebt war als sein Bruder. Er hatte irgendetwas an sich, was Frauen ungemein anzog. Es ging eine gewisse Wärme von ihm aus und das Gefühl, dass er für fast jede Situation im Leben Verständnis hatte.

»Pass auf«, sagte Ralf in diesem Augenblick plötzlich in ihre Gedanken hinein. »Irgendetwas stimmt da vorn nicht. Du bist doch angeschnallt? Fahr rechts heran. Rechts!«

Aus dem Nichts schienen sich plötzlich Lichter aufzutürmen. Do trat sofort auf die Bremse und riss das Steuerrad herum. Der Wagen begann zu schleudern und drehte sich um die eigene Achse. Das ist das Ende, dachte Do. Instinktiv zog sie den Kopf zwischen ihre Schultern, als wollte sie damit das Unheil von sich abwenden. Es ist alles aus, ging es ihr blitzartig durch den Kopf. Dann fiel ihr Kopf schwer gegen die Windschutzscheibe. Do verspürte einen stechenden Schmerz und hörte jemanden schreien, aber sie wusste nicht, dass sie selbst es war, die schrie.

»Es ist ja nichts passiert.« Ralfs Stimme schien aus sehr weiter Ferne zu kommen. »Du hast den Wagen gut abgefangen. Wir sind gegen eine Seitenplanke geprallt.«

Die Worte drangen kaum bis in das Bewusstsein von Do vor. Sie hing noch immer halb bewusstlos über dem Steuerrad, unfähig, sich zu rühren oder einen klaren Gedanken zu fassen. Willenlos ließ sie geschehen, dass Ralf sie aus dem Wagen zog. Sie fühlte sich hochgehoben und fortgetragen.

Sirenen heulten durch die Nacht, grelle Scheinwerfer versuchten den dichten Nebel zu teilen. Autotüren fielen zu, und dazwischen waren Stimmen, Schreie und Schluchzen zu hören.

Do war nicht ohnmächtig, aber sie war auch nicht bei klarem Bewusstsein. Sie befand sich in einem Dämmerzustand. Sie versuchte die Augen zu öffnen und sah dicht über sich Ralfs Gesicht. Er legte sie etwas abseits an einer Böschung auf den Boden. Ihren Pelz, den er über sie legte, empfand sie als angenehm. Sonst hatte sie in diesem Augenblick kein Empfinden und auch keine Gedanken.

»Ein sehr schwerer Unfall«, sagte eine fremde Stimme. »Es sind mindestens zwanzig Wagen beteiligt. Zum Glück sind auch ein paar leichte Auffahrunfälle dabei. Ist sie schwer verletzt?«

»Sie hat keine äußerlichen Verletzungen«, sagte Ralf zu jemanden. »Wahrscheinlich eine leichte Gehirnerschütterung. Außerdem, steht sie unter einer Schockwirkung. Sie muss ins Krankenhaus.«

»Natürlich«, sagte die fremde Stimme wieder. »Aber zunächst kommen die Schwerverletzten dran. Eine böse Sache. Wir haben auch ein paar Tote. Wie sieht es mit Ihnen aus? Keine Verletzungen?«

»Keine nennenswerten. Wahrscheinlich ein paar leichte Prellungen. Fräulein Hübner konnte den Wagen noch im letzten Augenblick herumreißen. Wir sind nur gegen eine Leitplanke gefahren.«

Das war wieder Ralfs Stimme gewesen. Erst jetzt spürte Do heftige Schmerzen im Kopf. Ralf hatte etwas von einer Gehirnerschütterung gesagt. Do versuchte unter dem Pelz die Hand zu heben, aber sie hatte das Gefühl, dass eine Zentnerlast daran hänge.

Neben ihr auf dem Erdboden bewegte sich jetzt etwas. Do spürte, dass etwas ganz dicht an sie herankroch, Ein Hund?, überlegte sie. Ihre Hand tastete schwerfällig nach dem kleinen warmen Etwas, das sich nun an ihr Gesicht schmiegte. Eine kleine Hand fasste in ihr langes offenes Haar. »Mutti, Mutti, Tini hat Weh«, sagte eine Kinderstimme schluchzend dicht an ihrem Ohr.

Ein Kind, dachte Do und versuchte sich etwas aufzurichten.

»Die Eltern des Kindes sind tot«, sagte in diesem Augenblick die fremde Stimme. »Das Kind ist unverletzt, aber wir werden es trotzdem ins Krankenhaus bringen.«

Ralf erwiderte darauf etwas, was Do nicht verstand, dann entfernten sich die Stimmen für einen Augenblick.

»Tini ist artig«, sagte die Kinderstimme jetzt.

»Ja«, flüsterte Do. »Ja, du bist artig.« Tränen erstickten ihre Stimme, weil sie an die Eltern des Kindes dachte.

»Mutti, Mutti!« Plötzlich begann das Kind bitterlich zu weinen. Seine Tränen vermischten sich mit den Tränen von Do.

»Du brauchst nicht zu weinen, ich bin ja bei dir«, sagte Do leise und zog das kleine zitternde Etwas unter ihren Pelz. »Ich bin ja bei dir«, sagte sie noch einmal.

Do hatte bis jetzt keine Gelegenheit gehabt, mit Kindern zusammenzukommen. Sie wusste nicht, wie man mit ihnen umging, aber in diesen Minuten fand sie die richtigen Worte, sodass das Weinen des Kindes immer leiser wurde. Sie hielt das Kind fest an sich gepresst und wusste nicht, dass sie unentwegt auf das Kind einsprach.

Vielleicht spürte das kleine Wesen, dass es nicht ganz verlassen war? »Mutti«, flüsterte es. Dann war an seinen ruhigen Atemzügen zu merken, dass es eingeschlafen war.

Erst jetzt spürte Do wieder die heftigen Schmerzen im Kopf und nahm das, was um sie herum vorging, wahr. Ralf beugte sich besorgt über sie. »Wie geht es dir?« Seine Hand fuhr sacht über ihr Gesicht und wischte die Tränen fort. »Der Krankenwagen muss gleich hier sein.«

»Das Kind«, flüsterte Do. »Ralf, wir müssen uns um das Kind kümmern.« Sie versuchte sich aufzurichten, aber er drückte sie sanft auf den Boden zurück. »Bitte, verhalte dich noch einen Augenblick ruhig, Do. Es ist besser.«

»Das Kind«, sagte Do noch einmal leise und beschwörend. Sie wollte noch etwas hinzufügen, aber vor ihren Augen, waren plötzlich Kreise. Sie wurde ohnmächtig.

*

Als Do aus ihrer Ohnmacht erwachte, konnte sie sich zunächst an nichts erinnern. Verständnislos sah sie sich in dem kleinen Zimmer um. Neben ihrem Bett stand ein Stuhl, über der Lehne lag ihr Pelz. Dem Bett gegenüber lagen ihre Handtasche auf einem kleinen Tisch. Ihr Blick wanderte weiter durch das Zimmer. In der Ecke beim Waschbecken stand ein Mann und wusch sich die Hände. Für einen Augenblick glaubte Do, dass es Rainer sei, aber dann drehte sich der Mann um, und Do erkannte Ralf Hochberg. Zugleich wusste sie auch wieder, was geschehen war, konnte sie sich wieder an alles erinnern. Aber wo war das Kind?

Do wandte den Kopf, als müsste das Kind neben ihr liegen. Doch die kleine Bewegung verursachte ihr Schmerzen. Sie stöhnte leise auf.

Sofort war Ralf neben ihrem Bett. »Kein Grund zur Panik«, sagte er beschwichtigend. »Wir haben wirklich Glück gehabt. In ein paar Tagen bist du wieder vollkommen hergestellt. Ich habe bei deinem Vater angerufen. Er und Rainer werden gleich hier sein.«

Do runzelte die Stirn und kniff die Augen zusammen. Das Licht tat ihr weh. Es schien sich wie glühende Nadeln in ihren Kopf bohren zu wollen.

»Du wirst ein paar Tage hier im Krankenhaus bleiben müssen. Du hast eine leichte Gehirnerschütterung. Das ist kein Problem. Der Arzt hat dir schon eine Spritze gegeben.«

»Wo ist das Kind?«, fragte Do. »Sind … sind seine Eltern wirklich tot?«

Ralf setzte sich auf die Kante ihres Bettes und versuchte ihrem Blick auszuweichen. »Du solltest jetzt an dich denken, Do. Dem Kind geht es gut. Es ist nicht verletzt. Man hat es auch hierher ins Krankenhaus gebracht. Ich nehme an, dass man es im Augenblick gründlich untersucht.«

»Du weichst mir aus«, sagte Do mit leiser müder Stimme. »Ich habe gehört, dass ihr gesagt habt, die Eltern des Kindes sind bei dem Unfall ums Leben gekommen.« Sie öffnete wieder die Augen und sah Ralf traurig an.

Ralf versuchte dem Blick auszuweichen und sah sehnsüchtig zur Tür. »Ja, die Eltern des Kindes sind tot«, gab er dann mit einem tiefen Seufzer zu. »Ich weiß, es ist entsetzlich traurig, aber wir können da im Augenblick gar nichts tun. Bis dein Vater kommt, habe ich die Verantwortung für dich. Ich bitte dich, verhalte dich jetzt ruhig. Der Arzt hat mir aufgetragen, darauf aufzupassen, dass du dich nicht aufregst.«

In die schönen Augen von Do traten Tränen.

»Ich rege mich doch nicht auf, ich bin nur traurig. Ach, warum habt ihr mir das Kind weggenommen? Warum habt ihr es nicht bei mir gelassen? Es war ganz ruhig geworden, als ich es im Arm hielt.«

Do legte sich still in ihre Kissen zurück und sah zur Decke des Zimmers empor. Dabei rollten unentwegt Tränen über ihre Wangen. Ihr Schmerz und ihre Tauer waren so tief und echt, dass es Ralf erschütterte. Er hätte nie für möglich gehalten, dass dieses oberflächliche junge Mädchen an einem fremden Schicksal würde Anteil nehmen können. Nachdenklich sah er auf Do herab. Es war ihm, als sähe er dieses schöne ebenmäßige Gesicht zum ersten Mal in seinem Leben.

»Bitte, Ralf, du musst dich nach dem Kind erkundigen«, sagte Do eindringlich, ohne den Blick von der Zimmerdecke zu lösen. »Versprich mir, dass du dich um das Kind kümmerst. Vielleicht hat es keine näheren Verwandten. Kannst du nicht veranlassen, dass man es zu mir bringt?«

»Nein, das werde ich nicht können. Du vergisst, dass du selbst krank bist und dringend Ruhe brauchst.«

»Aber du wirst dich nach dem Kind erkundigen, nicht wahr? Bitte, Ralf«, jetzt sah sie ihn flehend an, »versprich es mir.«

»Gut, ich verspreche es dir«, gab er etwas widerwillig zu.

»Wir müssen auch darüber nachdenken, wie wir dem Kind helfen können. Du musst morgen kommen und mir sagen, was du erfahren hast.«

Bevor Ralf antworten konnte, wurde die Tür geöffnet. Eine Schwester erschien und ließ zwei Herren eintreten.

Franz Hübner war ein kleiner untersetzter Mann. Er wirkte unbedeutend und wenig interessant. Nur ein sehr guter Beobachter konnte feststellen, dass er sehr wache und intelligente Augen hatte. Die Augen waren übrigens das einzige, das Do von ihrem Vater geerbt hatte. Sonst war zwischen den beiden keine Ähnlichkeit festzustellen.

Dr. Rainer Hochberg überragte seinen zukünftigen Schwiegervater um gut zwei Köpfe. Auch zu dieser späten Nachtstunde sah er elegant und gepflegt aus. Er zeigte auch keine Spur von Müdigkeit und verstand es geschickt, jede persönliche Regung zu unterdrücken. Aber es war bei ihm immer schwer zu erkennen, was er dachte und empfand. Das sehr männliche und regelmäßige Gesicht wirkte stets beherrscht.

Beim Eintritt der beiden Herren war Ralf sofort aufgestanden, um für sie Platz zu machen.

»Wie konnte das nur passieren?«, fragte der alte Herr und ließ sich ächzend auf den Stuhl neben dem Bett fallen. »Warum sind Sie nicht gefahren?«, fragte er und sah zu Ralf empor.

»Wahrscheinlich hatte er zu viel getrunken«, antwortete Dr. Rainer Hochberg und warf seinem Bruder dabei einen verächtlichen Blick zu. »Wie gewöhnlich«, fügte er dann noch hinzu, bevor er sich über Do beugte und liebevoll fragte, wie es ihr gehe.

»Er kann überhaupt nichts dafür«, sagte Do mit einer erstaunlich festen Stimme. Sie hatte das Gefühl, sie müsste Ralf Hochberg vor ihrem Vater und ihrem Verlobten in Schutz nehmen. »Außerdem hat Ralf zu mir gesagt, dass wir großes Glück hatten.«