Der Tag vor Ilonas Hochzeit - Gert Rothberg - E-Book

Der Tag vor Ilonas Hochzeit E-Book

Gert Rothberg

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Beschreibung

In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie ist Denise überall im Einsatz. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Doch auf Denise ist Verlass. In der Reihe Sophienlust Extra werden die schönsten Romane dieser wundervollen Erfolgsserie veröffentlicht. Warmherzig, zu Tränen rührend erzählt von der großen Schriftstellerin Patricia Vandenberg. Durch Wildmoos fuhr ein Wagen mit einem Anhänger für Pferde. Es war ein glühend heißer Tag, und das Pferd scharrte unruhig im Stroh des Anhängers. Das war vorn im Wagen zu hören. Dort saß ein älterer Mann in Arbeitskleidung am Steuer, neben ihm der zwölfjährige Jörg Körner. Auch dem Jungen war heiß. Er strich sich immer wieder das dichte braune Haar aus der Stirn, aber er dachte dabei weniger an sich selbst als an sein Pferd Elfenprinz, für das die Fahrt von Stuttgart hierher schon viel zu lange dauerte. »Wir müssen jetzt einmal jemanden fragen, wo der Rosshof ist«, sagte Jörg zu dem Fahrer. »Ich weiß nur, dass er ganz in der Nähe von Wildmoos liegt und dass der alte Mann, der Pferde heilen kann, Janosch heißt.« »Ja, ich werde da vorn halten«, antwortete der Fahrer. Dann sah er den Jungen neben sich prüfend an. »Du willst mit dem Zug zurückfahren?« »Ja.« Der Junge machte ein verschlossenes Gesicht. Trotzdem wagte der Fahrer jetzt die Frage, die ihm schon während der ganzen Fahrt auf der Zunge brannte. »Sag mal, weiß deine Mutter vielleicht gar nicht, dass du mit mir unterwegs bist und dein krankes Pferd wegbringst?« Jörg sah den Mann nicht an, als er ihm antwortete. »Das ist doch meine Sache. Habe ich Ihnen den Transport nicht im Voraus bezahlt?«

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Sophienlust Extra – 88 –

Der Tag vor Ilonas Hochzeit

Unveröffentlichter Roman

Gert Rothberg

Durch Wildmoos fuhr ein Wagen mit einem Anhänger für Pferde. Es war ein glühend heißer Tag, und das Pferd scharrte unruhig im Stroh des Anhängers. Das war vorn im Wagen zu hören. Dort saß ein älterer Mann in Arbeitskleidung am Steuer, neben ihm der zwölfjährige Jörg Körner.

Auch dem Jungen war heiß. Er strich sich immer wieder das dichte braune Haar aus der Stirn, aber er dachte dabei weniger an sich selbst als an sein Pferd Elfenprinz, für das die Fahrt von Stuttgart hierher schon viel zu lange dauerte.

»Wir müssen jetzt einmal jemanden fragen, wo der Rosshof ist«, sagte Jörg zu dem Fahrer. »Ich weiß nur, dass er ganz in der Nähe von Wildmoos liegt und dass der alte Mann, der Pferde heilen kann, Janosch heißt.«

»Ja, ich werde da vorn halten«, antwortete der Fahrer. Dann sah er den Jungen neben sich prüfend an. »Du willst mit dem Zug zurückfahren?«

»Ja.«

Der Junge machte ein verschlossenes Gesicht. Trotzdem wagte der Fahrer jetzt die Frage, die ihm schon während der ganzen Fahrt auf der Zunge brannte. »Sag mal, weiß deine Mutter vielleicht gar nicht, dass du mit mir unterwegs bist und dein krankes Pferd wegbringst?«

Jörg sah den Mann nicht an, als er ihm antwortete.

»Das ist doch meine Sache. Habe ich Ihnen den Transport nicht im Voraus bezahlt?« Seine Stimme klang betont überheblich. Ein guter Beobachter hätte gemerkt, dass sich der Junge zu diesem Ton zwang.

Der Fahrer zuckte zusammen. »Ich wollte nicht neugierig sein. Natürlich hast du mir den Transport bezahlt. Und warum hätte ich den Auftrag nicht annehmen sollen? Es ist doch eine Ehre für mich, wenn ich das Pferd eines so berühmten Kinderstars transportieren kann.« Er lachte. »Mit zwölf Jahren sollte man dich eigentlich nicht mehr einen Kinderstar nennen. Du bist doch auf dem besten Weg, ein berühmter Sänger zu werden.«

»Das will ich aber gar nicht. Hoffentlich kriege ich einen so schlimmen Stimmbruch, dass mich niemand mehr engagiert.« Das sagte Jörg mit ingrimmigen Ton. Seine braunen Augen sahen dabei finster drein.

Der Mann am Volant trat auf die Bremse. Nicht nur, weil er halten wollte, um jemanden nach dem Weg zu fragen, sondern auch, weil er die Worte des Jungen nicht fassen konnte. »Dir ist wohl die Hitze auf den Verstand geschlagen, Jörg? Weißt du überhaupt, was du da redest? Du scheffelst schon heute Geld und weißt gar nicht, wie schwer andere Leute es sich verdienen müssen. Und solche Chancen, wie sie sich dir bieten, willst du sausen lassen?« Er schob seine Mütze in den Nacken, bevor er fortfuhr: »Jetzt glaube ich auch, dass Kinder einen leichten Tick kriegen, wenn sie so früh berühmt werden.«

Jörg tat, als höre er das alles nicht. Er kurbelte das Fenster herunter und fragte eine vorübergehende Frau: »Wie kommen wir zum Rosshof? Zu dem Ungarn Janosch? Ich weiß nicht, wie er mit dem Familiennamen heißt.«

Die Frau kam näher an den Wagen heran.

Sie lachte. »Das wissen wir hier alle nicht. Vielleicht kann Janosch sich selbst nur dunkel an seinen Familiennamen erinnern.« Sie zeigte geradeaus. »Neben dem Kinderheim Sophienlust führt ein breiter Weg am Park entlang. Auf diesem Weg kommt man zum Rosshof. Aber der alte Janosch ist in Sophienlust. Ich habe ihn vorhin bei den Kindern im Park gesehen.«

»Danke«, sagte Jörg und bat den Fahrer, weiterzufahren.

Schon nach einer kurzen Strecke sahen sie das Schild »Sophienlust, das Heim der glücklichen Kinder«.

Als Jörg das Schild las, machte er ein verwundertes Gesicht.

»Geh hinein, aber beeile dich«, drängte der Fahrer, »damit wir ans Ziel kommen. Deinem Pferd wird allmählich zu heiß werden.«

Jörg sprang aus dem Wagen und ging durch das offen stehende Tor des Kinderheimes Sophienlust. Auf dem Platz vor der Freitreppe blieb er zögernd stehen. Er sah die Kinder im Garten toben, vergaß die Mahnung des Fahrers, sich zu beeilen, und sah den Kindern zu. Seine Augen leuchteten sehnsüchtig, weil er daran dachte, dass er nie Spielgefährten hatte. Seine Mutter erlaubte ihm nicht, dass er rannte, bis ihm die Puste ausging. Immer war sie darauf bedacht, dass er sich schonte, damit seine Stimme keinen Schaden nahm. Auch aufgeschlagene Knie hätten sie schon aus der Fassung gebracht.

Jörg sah an sich herunter. Er trug heute Jeans. Aber die hatte er sich nur leisten können, weil seine Mutter nicht im Haus gewesen war. Sie bestand darauf, dass er zwar moderne, aber für sein Alter viel zu gute Hosen trug. Er sollte auch am Tag so umherlaufen, als stünde er auf der Bühne. Davon zeugte noch das Hemd, das er trug. Es passte nicht zu den Jeans, aber er hatte kein anderes finden können. Sobald er sich ein lustiges Muster bei einem Hemd wünschte, wurde die Mutter ärgerlich.

»Suchst du jemanden?«, erklang plötzlich eine Stimme neben ihm.

Erschrocken sah sich Jörg um. Er war so in sein Grübeln vertieft gewesen, dass er den Jungen neben sich gar nicht bemerkt hatte.

Es war der kleine Henrik von Schönecker. Er sah Jörg neugierig an und wiederholte seine Frage noch einmal.

»Ja, ich suche den alten Janosch vom Rosshof. Er soll hier sein.«

»Der ist jetzt in der Küche bei unserer Köchin.« Henrik lachte. »Die zwei streiten zwar meistens miteinander, aber unsere Magda hat doch immer etwas besonders Gutes für Janosch aufgehoben. Was willst du denn von Janosch? Und wer bist du überhaupt?«

»Ich heiße Jörg Körner und will den alten Janosch bitten, mein Pferd im Rosshof aufzunehmen. Es ist krank.«

Jörg hatte das alles wie ein Erwachsener gesagt und diese Art war dem quicklebendigen Henrik nicht geheuer. Der große Junge kam ihm sehr merkwürdig vor. »Du hast ein Pferd?«, fragte er deshalb misstrauisch. »Wo denn?«

Jörg zeigte auf den Wagen mit dem Anhänger.

Jetzt blieb Henrik beinah der Mund vor Staunen offen stehen. »Du hast dein Pferd gleich mitgebracht? Woher bist du denn gekommen?«

»Aus der Nähe von Stuttgart, aus Degerloch. Dort wohne ich.«

»Mensch, das ist doch ein ganzes Stück bis zu uns. Wieso kennst du denn unseren Janosch?«

»Ich kenne ihn nicht, aber ich habe in der Zeitung von ihm und vom Rosshof gelesen.« Etwas unsicher fragte Jörg: »Wer bist du? Gehörst du in das Kinderheim?«

»Ja, aber nicht, weil ich keine Eltern mehr habe wie die meisten Kinder bei uns. Meine Mutti leitet Sophienlust, und meinem Vati gehört das Gut Schöneich. Das ist gar nicht weit von hier.«

»Jetzt weiß ich aber noch immer nicht, wie du heißt.« Jörg lachte zum ersten Mal.

»Ach so. Ich heiße Henrik von Schönecker.«

Aus dem Wagen vor dem Tor rief der Fahrer: »Wie lange dauert es denn noch?« Seine Stimme klang sehr unwillig.

»Wer ist denn das? Dein Vater, Jörg?«

»Nein. Das ist nur der Fahrer. Könntest du mich jetzt zu Janosch bringen, Henrik?«

»Muss ich wohl. Der Mann im Wagen hat ja schon eine Wut im Bauch. Das hat man gehört.« Henrik fuhr sich mit beiden Händen durch seinen dichten Haarschopf. »Ich werde Janosch herausholen. Warte hier.« Er lief ins Haus.

In der Halle begegnete Henrik den großen Mädchen. Ihnen teilte er gern eine Neuigkeit mit. »Draußen ist ein feiner Pinkel, der sein Pferd in den Rosshof bringen will. Schaut ihn euch mal an. Ein Hemd hat er an, wie es nur dann mein Vati trägt, wenn er mit Mutti ausgeht. Aber vielleicht ist dieser Jörg doch ein ganz netter Kumpel.« Henrik lief weiter in die Küche.

Pünktchen, Angelika und Vicky gingen neugierig zur Haustür, die Henrik hatte offen stehen lassen. Plötzlich stieß Pünktchen einen unterdrückten Schrei aus. Sie zog Vicky ein Stück in die Halle zurück und fragte aufgeregt: »Hast du ihn erkannt? Das ist bestimmt Jörg Körner. Ja, Henrik hat gesagt, der Junge heißt Jörg.«

»Ja, das muss er sein.« Auch Angelika war aufgeregt. »Wir haben ihn doch erst in der vorigen Woche im Fernsehen gesehen. Da hat er das Lied ›Auf dem Rücken meines Pferdes‹ gesungen. Und nun hat er wirklich ein Pferd.«

Als Henrik mit dem alten Janosch aus der Küche kam, liefen ihm die Mädchen entgegen. Pünktchen griff Henrik gleich an.

»Du bist vielleicht eine Niete, Henrik. Hast du wirklich nicht erkannt, wer der Junge ist?«

»Was habt ihr denn nur?« Henrik wollte weitergehen. »Ihr spinnt wieder einmal.«

Pünktchen hielt ihn fest. »Das ist doch der Kinderstar Jörg Körner. Der Sänger.«

»Was?«, fragte Henrik wenig geistreich. Er sah Janosch an. »Die spinnen wirklich. Und überhaupt, was interessiert mich, wer da ›Lalala‹ macht? Ich bin doch nicht wie ihr, dass ich jeden anhimmle, der im Fernsehen auftritt.« Henrik zog Janosch mit sich, der sich auf dieses Gespräch noch gar keinen Reim machen konnte. Es war ihm jetzt auch gleichgültig, ob die Kinder sich stritten und ob die Behauptung der Mädchen stimmte. Er dachte nur daran, dass ihm wieder jemand ein Pferd bringen wollte.

Jörg kam näher zur Freitreppe und sah den alten Mann mit dem Bart neugierig an.

»Das ist Janosch«, sagte Henrik. Gleich darauf aber musste er sich vergewissern, ob die Mädchen recht hatten, die mit verzückten Augen auf der Schwelle standen. »Bist du so ein – so ein– na ja, singst du?«, fragte er.

Jörg wurde verlegen, als sei ihm diese Frage überhaupt nicht willkommen. »Ja«, sagte er widerwillig, »manchmal singe ich.«

»Och, das tue ich auch.« Henrik stemmte die Hände in die Hosentaschen. »Das tut doch jeder.« Er sah zu den Mädchen zurück. »Aber die sagen, ich sei eine Niete, weil ich dich nicht erkannt habe. Muss man dich eigentlich kennen?«

»Nein, gewiss nicht«, antwortete Jörg rasch und streckte die Hand aus.

Janosch ergriff sie. »Also, jetzt können wir beide wohl endlich miteinander reden. Mich interessiert nicht, ob du viel oder wenig singst, ich möchte dein Pferd sehen. Du heißt also Jörg?«

»Ja, Jörg Körner. Und mein Pferd ist dort im Anhänger.«

»Bei der Hitze? Na, dann kannst du froh sein, wenn es noch keinen Hitzschlag bekommen hat, Jörg. Hättet ihr nicht lieber am frühen Morgen oder am Abend fahren können, statt zu Mittag, wo die Sonne am meisten brennt?«

»Ich musste mich nach dem Fahrer richten.« Jörg machte ein sehr bestürztes Gesicht. »Ich habe ja auf der Fahrt auch immerzu Angst um meinen Elfenprinz gehabt.«

»Oha, einen so romantischen Namen hat dein Pferd? Was für eine Rasse ist es denn?« Das fragte Janosch, während er mit Jörg auf den Wagen zuging.

»Es ist ein Fjordpferd«, sagte Jörg stolz.

»So etwas hatten wir noch nicht auf dem Rosshof. Ich muss ehrlich gestehen, dass ich von dieser Rasse nicht viel weiß, Jörg.«

Henrik war inzwischen zu den Mädchen zurückgerannt und flüsterte ihnen zu: »Sein Pferd heißt Elfenprinz, stellt euch das vor.« Er kicherte. »Aber das Pferd interessiert euch ja nicht. Ihr seht eher in Jörg einen Prinzen.« Er lief wieder zurück, Janosch hatte inzwischen den Anhänger geöffnet, und Jörg war hineingeklettert. Er klopfte seinem Pferd den Hals, »Elfenprinz ist patschnass«, sagte er.

Janosch musterte das kleine Pferd. Es war ockergelb und sah sehr robust aus. Das waren die Fjordpferde auch, sie wurden meistens für leichte Spanndienste verwendet und waren als Reitpferde für größere Kinder wegen ihres gutmütigen Charakters und ihres munteren Temperaments sehr beliebt.

Aber Elfenprinz sah jetzt nicht munter aus. Er scharrte noch immer unruhig mit den Hufen, ließ sich von Jörg nicht beruhigen und stieß ein merkwürdig pfeifendes Geräusch aus, Janosch horchte auf. »Hat dein Pferd Kehlkopfpfeifen?«, fragte er Jörg.

Der Junge nickte. »Ja. Der Tierarzt sagt, die Stimmbänder von Elfenprinz sind schon gelähmt. Er kann auch kaum noch wiehern.« Jörg sprang aus dem Anhänger und sah Janosch erwartungsvoll an. »Ich habe gelesen, dass Sie schon oft Pferde geheilt haben, Herr Janosch. Eines sogar von der Mondblindheit. Werden Sie meinem Elfenprinz helfen können?«

Janosch legte den Arm um die Schultern des Jungen. »Meinst du, ich kann dir das hier versprechen? Ich muss dein Pferd beobachten. Dazu hast du es mir wohl auch gebracht. Jetzt werden wir erst einmal dafür sorgen, dass dein Elfenprinz in den Schatten kommt und gründlich abgerieben wird. Komm, wir holen ihn aus dem Anhänger. Ach so!« Janosch schob seinen Hut etwas in den Nacken und machte ein verlegenes Gesicht. »Da vorn sitzt wohl dein Vater. Warum steigt er nicht aus? Wir werden doch miteinander sprechen müssen.«

»Der Mann ist nur der Fahrer, Herr Janosch. Ich bin allein mit Elfenprinz gekommen. Mein Vater …« Jörg stockte und sprach erst nach einigen Sekunden weiter. »Ich lebe nicht bei meinem Vater. Ich wohne mit meiner Mutter in Degerloch. Sie konnte jedoch nicht mitkommen.« Nun sprach er auffallend schnell. »Soll der Fahrer nicht noch bis zum Rosshof fahren?«

»Nein, das ist nicht nötig. Mir ist es lieber, wenn dein Pferd jetzt in den Schatten kommt. Der Weg zum Rosshof wird ihm dann gut tun. Da kann es sich ein bisschen die Beine vertreten nach dem langen Stehen in der Hitze.« Janosch lachte.

Jörg führte sein Pferd über den ausziehbaren Steg des Anhängers. Es folgte ihm willig.

»Und nun?«, fragte Janosch. »Müssen wir uns schon wieder voneinander verabschieden? Du wirst doch den Rosshof sehen wollen, und ich sollte noch etwas mehr von dir wissen.«

»Ich fahre nicht mit zurück, Herr Janosch. Ich kann den letzten Zug nach Stuttgart heute Abend nehmen.«

»Dann ist es ja gut.« Janosch machte sich nicht viele Gedanken darüber, dass der zwölfjährige Junge schon so selbstständig war.

Jörg lief zu dem Fahrer und verabschiedete sich. Als er zu dem Platz vor der Freitreppe von Sophienlust zurückkehrte, waren Janosch und Elfenprinz bereits von einer Schar Kinder umringt. Pünktchen hatte sie alle aus dem Park geholt und natürlich nicht versäumt, sie sehr aufgeregt darüber aufzuklären, dass ein ganz berühmter Junge nach Sophienlust gekommen sei.

Alle starrten Jörg nun neugierig an, sodass ihm die Röte in das schmale Gesicht stieg – wie immer, wenn er sich im Mittelpunkt sah.

Die kleine Heidi hatte meistens mehr Mut als die anderen Kinder. Das bewies sie auch jetzt. Sie zupfte Jörg am Hemdsärmel und fragte: »Bist du wirklich ein ganz berühmter Sänger?«

»Ach wo«, antwortete Jörg und sah sich hilflos um.

»Aber unsere großen Mädchen haben das gesagt. Angelika ist in ihr Zimmer gelaufen und hat ein Bild geholt. Sie hat es aus der Zeitung ausgeschnitten.« Heidi winkte Angelika zu. »Zeige ihm doch das Bild.«

Angelika zierte sich. Sie hatte einen roten Kopf bekommen.

Heidi tippte Jörg auf die Brust. »Aber du siehst genauso aus wie auf dem Bild.«

»Komm mit, Jörg«, sagte Janosch. »Wir gehen nach Schöneich. Dort reiben wir Elfenprinz ab und lassen ihn eine Stunde im Stall stehen. Erst danach gehen wir weiter zum Rosshof.« Er drehte sich zu den Kindern um. »Ihr bleibt hier. Ich habe mit Jörg noch viel zu reden. Da er erst am Abend wieder wegfahren muss, kann er später noch eine Stunde zu euch kommen. Ich sehe doch, dass ihr mich am liebsten in Stücke reißen würdet, weil ich euch den Jungen entführe.«

Henrik lief noch ein Stückchen neben Jörg und Janosch her und fragte: »Kommst du bestimmt nach Sophienlust? Bei uns ist es sehr schön.«

»Ja, ich komme«, erklärte Jörg, aber es klang sehr unsicher.

Henrik streckte die Hand aus. »Ehrenwort? Ich habe Janosch für dich geholt. Dabei hätte ich dich beschwindeln können. Du hättest nicht gewusst, dass er bei uns in der Küche war.«

Jetzt lachte Jörg.

»Ich komme bestimmt, Henrik … Ehrenwort!«

Stolz ging Henrik zu den anderen zurück und maulte: »Von wegen Niete. Ihr hättet es nicht geschafft, Jörg das Ehrenwort abzunehmen.«

*

Ilona hatte schon mehrere Male nach Janosch Ausschau gehalten. Er blieb selten so lange in Sophienlust wie an diesem Tag. Hatten die Kinder ihn vielleicht genötigt, ihnen eine seiner Geschichten zu erzählen und waren daraus vielleicht mehrere geworden? Wenn Janosch ins Erzählen kam, fand er meist kein Ende mehr.

Immer, wenn der alte Czikos nicht im Rosshof war, fühlte sich Ilona einsam. Das hatte sich auch nicht geändert, seitdem ihr Vater bei ihr lebte. An diesem Tag hatte er sie ebenfalls allein gelassen und war wieder einmal zur Schlehdorn-Mühle gegangen. Dort lebte jetzt die kleine Katrin, das Kind aus dem D-Zug. Sie war noch immer der besondere Liebling von Bela Bartholdy.

Ilona wollte jetzt auf die Pferdekoppel gehen, doch da sah sie auf dem Rand der Senke, in der sie wohnten, jemanden auftauchen. Die Sonne ging eben unter und blendete. Ilona musste die Hand schützend über die Augen legen. »Er bringt ein Pferd mit«, sagte sie laut. »Einen Falben? Nein, das Pferd ist beinah gelb.«

Ilona lief den Weg entlang. Jetzt konnte sie nicht mehr warten, bis Janosch mit dem Pferd beim Rosshof angelangt war. Doch erst jetzt bemerkte sie, dass hinter Janosch ein größerer Junge ging, den sie noch nie gesehen hatte. Janosch strahlte über das ganze Gesicht. Ilona wusste, so glücklich sah er nur dann aus, wenn er wieder einmal ganz der Rossmensch sein durfte.

»Da machst du Augen, was, Ilona?«, rief er ihr jetzt entgegen. »Ein Fjordpferd hatten wir noch nie auf dem Rosshof.«

»Aber ich habe schon Fjordpferde gesehen. Es fiel mir nur nicht gleich ein. Deshalb habe ich aus der Ferne über die ockergelbe Farbe des Pferdes gestaunt. Mein Gott, ist das ein schönes Pferd.« Ilona, die Pferdenärrin, vergaß zunächst den Jungen zu begrüßen. Sie bewunderte das Pferd. Aber dann streckte sie doch die Hand aus. »Ist es dein Pferd?«, fragte sie Jörg.

Der Junge nickte. Dann verneigte er sich etwas steif und sagte: »Mein Name ist Jörg Körner.«

»Doch nicht etwa der unwahrscheinlich gute Sänger Jörg Körner. Dieser kleine Star?« Nun war Ilona fast ebenso aufgeregt wie die großen Mädchen vom Rosshof.

»Na, so klein ist Jörg nun auch wieder nicht«, sagte Janosch. »Er ist zwölf Jahre alt. Schau, wie hoch aufgeschossen er ist. Ich glaube, größer dürfte er für sein Alter gar nicht sein. Damit deine Neugierde aber endlich gestillt wird, ja, Jörg ist der Sänger. Was macht ihr nur alle so viel Aufhebens davon?«

Jörg sah den alten Janosch dankbar an. Ilona aber trällerte die Melodie des Liedes »Auf dem Rücken meines Pferdes«.

Jörg lächelte. Zum ersten Mal etwas gelöst. »Ja, das ist mein Lieblingslied.«

Auf dem Weg zum Stall erzählte Janosch, dass das Fjordpferd Elfenprinz eine Stimmbandlähmung habe und unter dem lästigen Kehlkopfpfeifen leide.