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Wenn die Welt urplötzlich aus den Fugen gerät, kann man nicht viel mehr tun, als einfach zu vertrauen, dass Gott einem den richtigen Weg schon zeigt. Die Gruppe um Geraldine tut dies. Und sieht sich bei ihrer Arbeit völlig neuen Herausforderungen gegenüber.
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Seitenzahl: 772
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Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Kapitel 57
Kapitel 58
Kapitel 59
Kapitel 60
Kapitel 61
Kapitel 62
Kapitel 63
Kapitel 64
Kapitel 65
Kapitel 66
Kapitel 67
Kapitel 68
Kapitel 69
Kapitel 70
Kapitel 71
Kapitel 72
Kapitel 73
Kapitel 74
Kapitel 75
Kapitel 76
Kapitel 77
Kapitel 78
Kapitel 79
Kapitel 80
Kapitel 81
Kapitel 82
Kapitel 83
Kapitel 84
Kapitel 85
Kapitel 86
Kapitel 87
Kapitel 88
Kapitel 89
Kapitel 90
Kapitel 91
Kapitel 92
Kapitel 93
Kapitel 94
Kapitel 95
Kapitel 96
Kapitel 97
Kapitel 98
Kapitel 99
Kapitel 100
Kapitel 101
Kapitel 102
Kapitel 103
Kapitel 104
Kapitel 105
Kapitel 106
Kapitel 107
Kapitel 108
Kapitel 109
Kapitel 110
Kapitel 111
Kapitel 112
Kapitel 113
Kapitel 114
Kapitel 115
Kapitel 116
Kapitel 117
Kapitel 118
Kapitel 119
Kapitel 120
Kapitel 121
Kapitel 122
Kapitel 123
Kapitel 124
Kapitel 125
Kapitel 126
Kapitel 127
Kapitel 128
Kapitel 129
Kapitel 130
Kapitel 131
Kapitel 132
Kapitel 133
Kapitel 134
Kapitel 135
Kapitel 136
Kapitel 137
Kapitel 138
Kapitel 139
Kapitel 140
Kapitel 141
Kapitel 142
Kapitel 143
Kapitel 144
Kapitel 145
Kapitel 146
Kapitel 147
Kapitel 148
Kapitel 149
Yannik stand hinter ihnen und grinste sie an. Sie grinsten nicht. Sie waren wie erstarrt.
„Haben wir uns geirrt?“ flüsterte Geraldine vor sich hin, „ist er am Ende wirklich...?“
„Darüber bin ich gerade nicht in der Lage, nachzudenken.“ würgte Z sie ab.
Im nächsten Moment brach Lotta die Erstarrung. Sie machte zwei große Schritte über das Grab und warf sich Yannik an den Hals. Er fing sie auf, blickte sie allerdings tadelnd an:
„Du zertrampelst meine Ruhestätte.“
Lotta lachte auf: „Als ob du die jetzt noch bräuchtest.“
„Ja, da magst du Recht haben.“ Auch Yannik lächelte jetzt, „trotzdem – nicht nett.“
„Lotta?“ fragte Jesus leise und sie fuhr zu ihm herum:
„Ja. Ich glaube. Ich glaube, ich glaube, ich glaube.“ stieß sie laut hervor, „du bist es. Du bist Jesus. Der Sohn Gottes.“
Jesus kicherte fröhlich: „Schön, dass wir das so einfach klären konnten.
Dann lasse ich euch erstmal allein.“
„Sollten wir besser auch tun.“ hakte Z direkt ein, als Jesus sich abwandte.
Lotta sah ein wenig unsicher von einem zum anderen:
„Ist das okay?“
„Ich bitte dich.“ wehrte Z ab, „nehmt euch so viel Zeit, wie ihr braucht. Wir treffen uns schon wieder.“
Jesus war schon einige Schritte entfernt und Geraldine und Annie, die Z beide schon einen bösen Blick zugeworfen hatten, als dieser sich ihm so hastig angeschlossen hatte, versuchten, diesen Vorsprung zu ihren Gunsten zu Nutzen. Z drängte sie allerdings, sich zu beeilen. Und sie ließen sich – widerwillig – darauf ein. In der Hoffnung, dass er eine gute Erklärung dafür hatte. Sie erreichten Jesus, der daraufhin stehenblieb:
„Sie ist glücklich.“ Er blickte zu Lotta und Yannik hinüber. Die Freunde taten es ihm gleich.
„Das war auch eine enorme Sache, die du da gemacht hast.“ erwiderte Z laut.
„Enorm?“ Jesus schüttelte den Kopf, „nein. Eine Tat ist eine Tat. Da gibt es keine Abstufungen.“
„Von der Tragweite.“ fügte Z hinzu und Geraldine, die inzwischen eine leise Ahnung hatte, wo Z hinwollte, klinkte sich ein:
„Und was die Bedeutung angeht, die du ihr damit beimisst.“
„Sie hat Bedeutung.“ stimmte Jesus zu, „hier passt das Wort: enorme Bedeutung. Sie ist die auserwählte Prophetin meines Vaters. Er hat ihr nichts zu mir gesagt. Weil ich mich auf meine Weise offenbaren wollte.
Ohne Vorankündigung. Das war für sie ein wenig... missverständlich. Aber es ist doch klar, dass ich sie genauso an meiner Seite haben will wie jeden anderen auch. Und es ist doch auch klar, dass sie eine wichtige Rolle spielt.
Genau wie ihr sie spielen könntet. Auch ohne Gaben.“ Er sah sie forschend an und Z schnell zu Boden:
„Jeder muss seine Entscheidungen treffen. Wir haben unsere getroffen.“
Geraldine folgte seinem Beispiel sofort, Annie erst mit einiger Verzögerung – allerdings trotzdem noch schnell genug, dass Jesus einen traurigen Seufzer ausstieß:
„Und das werde ich euch nicht absprechen. Ich hoffe nur, dass ihr es euch weiter durch den Kopf gehen lasst.“
„Es gibt Dinge, die lässt man sich ständig durch den Kopf gehen.“ murmelte Geraldine schwer.
„Dann hoffe ich, dass wir bald wieder voneinander hören.“ Sein fröhliches Gesicht kehrte zurück und er sich von ihnen ab. Zielstrebig eilte er auf das Ausgangstor des Friedhofs zu. Die drei Freunde sahen ihm hinterher.
„Das wolltest du?“ Geraldine stieß Z in die Seite, „gleich wissen, was er von uns will?“
„Oh...“ gab Z zurück, „ich war mir sehr sicher, was er von uns will. Ich wollte es einfach schnell hinter mir haben.“
„Oder so.“
Annie stieß laut die Luft aus: „Ist es nicht schlimm, dass er uns ausgerechnet jetzt, wo wir uns entschieden haben, nicht an ihn zu glauben, einen Beweis dafür liefert, dass wir falsch liegen?“
„Korrektur.“ kam es von Geraldine, „du liegst falsch. Aber nur damit.“
„So?“
„Ja. Du müsstest sagen: Ist es nicht schön, dass er uns ausgerechnet jetzt, wo wir uns entschieden haben, nicht an ihn zu glauben, einen Beweis dafür liefert, dass wir richtig liegen?“
Annie zog die Brauen hoch: „Wie meinst du das?“
„Er weiß nach wie vor nicht, dass wir unsere Gaben wiederhaben.“ erwiderte Geraldine, „wäre er Gottes Sohn, wüsste er das.“
„Wir haben sie erst wiederbekommen, als er schon hier auf der Erde war.“ wandte Annie ein.
„Na und? Glaubst du, zwischen ihm und Gott herrscht Funkstille?
Entfernung von Himmel zu Erde zu groß – keine Verbindung möglich? Oder wie in einem Agentenfilm: kein weiterer Kontakt, bis der Auftrag abgeschlossen ist? Das ist Blödsinn. Jesus hat immer mit seinem Vater geredet. Damals, als er wirklich hier war. Und das würde er heute genauso machen.“
„Alles gut und schön und richtig.“ stellte sich Z auf Annies Seite, „ändert aber nichts an einer Tatsache.“
„Die da wäre?“
Z deutete zum Grab hinüber: „Yannik ist wieder da. Unser ehemaliges Gruppenmitglied. Mein ehemaliger bester Freund. Der gestorben ist. Vor sehr vielen Jahren. Was ihr beide sogar besser wissen dürftet als ich. Denn ihr wart dabei.“
„Ja, das waren wir.“ bestätigte Geraldine düster, „und ich kann dir weder sagen, was hier gerade passiert, noch, was es zu bedeuten hat. Aber dieser Mann ist nicht Gottes Sohn. Davon bin ich nach wie vor überzeugt.“
„Und ich bin bei dir.“ Annie zögerte ein wenig, schenkte ihr dann aber einen verhalten-fröhlichen Blick. Z zögerte noch länger und schenkte ihr dann einen ernsten Blick:
„Wir sind bei dir. Allerdings kann ich dir sagen, was das, was gerade passiert ist, zumindest zum Teil zu bedeuten hat: dass jemand anders nicht mehr bei uns ist.“
Geraldine legte den Kopf schief: „Du meinst Lotta?“
„Du hast sie doch gehört. Sie wollte dieses Wunder und sie hat es bekommen.“
„Aber ob das ausreicht, dass sie einfach so ihren Glauben umstellt?“
Geraldine fuhr sich übers Kinn und Z zuckte die Achseln:
„Das wird sich zeigen.“
„Oder sie es uns sagen.“ setzte Annie hinzu, denn Lotta und Yannik kamen inzwischen auf sie zu. Nur wenige Augenblicke später hatten sie sie erreicht:
„Wir gehen jetzt. Ich meine... fahren jetzt. Zu mir, meine ich.“ Lotta kicherte verlegen, „ich fahre. Und nehme Yannik mit.“
„Das haben wir schon verstanden.“ entgegnete Z.
„Sehen wir euch denn mal wieder?“ Annie sah die beiden unsicher an – was sie beide heftig nicken ließ:
„Natürlich.“ erklärte Lotta.
„Aber selbstredend.“ stimmte Yannik zu, „wie könnte ich meinen Freunden Zeit mit mir absprechen? Oder mir selbst mit ihnen?“
„Lotta... das hier... was...“ Geraldine stocherte verloren nach Worten, brachte es aber schließlich heraus: „Was heißt das für dich?“
„Was das heißt?“ Lotta machte große Augen, „dass ich glücklich bin.“
„Ja. Das ist klar. Aber... in Bezug... auf... ihn.“
„Dieser Mann ist Gottes Sohn. Davon bin ich jetzt endgültig überzeugt.“
Lotta atmete tief ein und drückte sich fest an Yannik, der ihr sanft über den Kopf streichelte. Dann gingen die beiden davon – ohne ein weiteres Wort.
„Nun – ich würde sagen, da hast du deine Antwort.“ brummte Annie süffisant und fügte hinzu:
„Jeder hat seinen Preis.“
„Wir auch?“ gab Geraldine zurück, worauf Z die Nase rümpfte:
„Da können wir ja jeder für sich mal drüber nachdenken.“
„Besser nicht.“ wehrte Annie ab, doch Geraldine hielt es mit Z:
„Besser doch. Falls er wirklich mit etwas ankommt.“
„Meinst du, das tut er?“ Annie verzog entsetzt das Gesicht.
Geraldine hob die Hände: „Vielleicht. Was weiß denn ich?“
„Ich glaube, dafür sind wir nicht wichtig genug.“ versuchte Annie, sich selbst zu beruhigen – und Z ging dagegen:
„Spätestens, wenn er rausfindet, dass wir unsere Gaben wiederhaben...“
„Dann müssen wir eben noch vorsichtiger sein als bisher.“
„Aber wir sind noch nicht bereit, alleine loszuziehen.“ warf Geraldine ein.
Annie seufzte: „Das ist leider wahr.“
„Und das würde das Hauptproblem auch nicht lösen.“
„Erkannt werden.“
„Genau.“ nickte Geraldine.
Ein grimmiges Lächeln erschien auf Zs Gesicht: „Tja – dann wird es wohl doch Zeit für meinen Vorschlag.“
„Den du noch reifen lassen wolltest?“ erkundigte sich Geraldine skeptisch.
„Das habe ich gesagt. In Wirklichkeit habe ich mich einfach nicht getraut, ihn anzubringen. Und gehofft, dass mir oder einem von euch was Besseres einfällt.“
„Ist nicht.“ Annie seufzte erneut – und Geraldine stimmte mit ein:
„Raus damit.“
„Gut. Dann...“ Z räusperte sich, „ein Wort – nein, zwei Worte: Masken und Kostüme.“
„Du lebst.“ Lotta warf Yannik, während sie fuhr, immer wieder fassungslose Blicke zu. Und jedes Mal deutete er lächelnd nach vorne, um sie zu animieren, auf die Straße zu schauen:
„Du auch.“
„Ich habe das schon die ganze Zeit.“
„Ich auch.“
„Hä?“ Diesmal musste Yannik mit dem Finger schnippen, um sie zur Aufmerksamkeit auf den Verkehr zu bewegen:
„Grundprinzip. Nichts stirbt. Menschen nicht, Engel nicht, Dämonen nicht.“
„Hä?“
„Irgendeine von den anderen Religionen – die uns nicht zu interessieren brauchen – hat dieses System verinnerlicht.“ klärte er sie auf, „auf eine vollkommen falsche Art und Weise. Dass das Einzige, was sich ändert, der Zustand ist. Bei denen, die ihr übernatürliche Wesen nennt, gilt noch nicht einmal das. Wenn ein Dämon ‚getötet‘ wird, landet er in der Dunkelheit.
Wo er nur deswegen nicht wieder wegkommt, weil er vom Herrscher der Dunkelheit dort festgehalten wird. Bei einem Engel wäre das genau andersrum. Also... Licht statt Dunkelheit. Und Freiheit statt Gefangenschaft. Aber das ist noch nie passiert und ich schätze mal, das wird es auch nicht mehr.“
Lotta schürzte die Lippen: „Woher weißt du das alles?“
„Man lernt eine ganze Menge – dort, wo ich war.“ antwortete Yannik ernst.
„Verständlich.“ Ihr Gesicht bekam einen bedrückten Zug – so, als ginge sie davon aus, einen Nerv getroffen zu haben. Doch Yannik zeigte keinerlei Anzeichen, dass dem so war:
„Aber das war nur ein wenig Prahlerei mit Wissen, das nichts zur Sache tut.
Kommen wir zur Sache – zu dem, was du eigentlich wissen willst:
Menschen. Auch Menschen sterben nicht. Weil Menschen nicht der Körper sind, sondern die Seele. Der Körper hört irgendwann auf zu funktionieren.
Er hat eine innere Uhr, die ihn laufen lässt und irgendwann stoppt. Oder gestoppt wird.“
„So wie bei dir.“ flüsterte sie.
„So wie bei mir. Oder auch nicht.“
„Oder auch nicht?“
„Lotta...“ Yannik legte seine Hand auf ihre Hand, „du erwartest Antworten.
Oder auch nicht.“
„Hä?“
„Teasing. Entschuldigung. Werden wir wieder ernst. Aber du musst zugeben, dass es eine interessante Reibung gibt zwischen deinem natürlichen Drang, alle Fragen beantwortet zu bekommen, und deiner bewussten Einwilligung, sie nicht beantwortet zu bekommen.“
„Das bringt mein Job mit sich.“ entgegnete sie nicht übermäßig fröhlich.
„Das stimmt. Du bekommst Aussagen ohne Erklärungen. Aufträge ohne Hintergründe. Auch für dich selbst hat es das schon gegeben. Aber dass du deswegen aufhörst, zu fragen, ist eine Nebenwirkung, die nicht hätte erzielt werden sollen. Die Antwort ‚Das kann ich dir nicht sagen‘ ist nervig, das weiß ich. Sie führt einen zur Resignation. Aber das muss nicht sein. Du darfst immer fragen. Niemand nimmt es dir übel. Solange du akzeptierst, dass du gewisse Antworten einfach nicht kriegen wirst.“
„Aber in diesem Fall schon?“ erkundigte sie sich vorsichtig und er nickte vehement:
„In diesem Fall ist es sogar sehr wichtig, dass du alle Antworten hast.“
„Und du gibst sie mir nur, wenn ich frage.“
„Oh nein.“ Aus dem Nicken wurde ein Kopfschütteln, „ich habe diesen kuriosen Versuch, mir Antworten zu entlocken, ohne zu fragen, nur genutzt, um dir die Falschheit dieses Ansatzes vor Augen zu führen. Eine kleine Schulstunde, sozusagen.“
„Dann willst du jetzt sicher hören, dass ich es begriffen habe.“
„Hast du?“ Er lächelte und sie ließ sich davon anstecken:
„Ja. Habe ich.“
„Sehr erfreulich. Dann können wir fließend zu meiner Geschichte übergehen...“
Das schallende Gelächter, mit dem Z gerechnet hatte, blieb ebenso aus, wie die rollenden Augen oder das laute Aufstöhnen. Stattdessen sahen ihn die beiden Frauen verdutzt an und nickten dann:
„Das ist wirklich die beste Lösung.“
„Und einfach noch dazu.“
Z klappte den Mund auf: „Keine dummen Sprüche? Keine Gegenwehr?“
„Nein.“ entgegnete Annie, „warum denn? Wir müssen ja nicht rumrennen wie Batman mit spitzen Ohren und wallendem Umhang. Aber die Idee, sich zu tarnen, ist gut. Und womit tarnt man sich am besten? Mit einer Verkleidung. Finde ich vollkommen sinnig.“
„Und irgendwie auch spannend.“ fügte Geraldine amüsiert hinzu.
„Okay. Wow.“ Zs Mund wollte sich nach wie vor nicht schließen, „damit hatte ich nicht gerechnet.“
Annie lachte auf: „Kannst du mal sehen, wie wir dich inzwischen gewohnt sind mit deinen dummen Ideen.“
„In diesem Fall kommt die Idee gar nicht von mir.“ hatte Z sofort das Bedürfnis, sich zu verteidigen, „sie kommt aus einem Buch, das ich gelesen habe.“
„Die Biographie von Stan Lee?“ witzelte Annie.
„Ein Roman. Science-Fiction. Im weitesten Sinne.“
„Tja – das hier ist die Realität. Im engsten Sinne.“ schaltete sich Geraldine ein, „und genau deswegen sollten wir uns damit befassen. Gleich als erstes.“
„Mit der Auswahl.“ vermutete Annie.
„Genau. Farben. Stoffe. Schnitt. Und die Schuhe müssen dazu passen.“
„Genau.“ Annie hob den Daumen, „kann deine Mutter nähen?“
„Ja. Deine?“ Einen Moment zu spät wurde sich Geraldine der Tragweite dieser Frage bewusst. Doch Annie blieb ganz ruhig:
„Keine Ahnung. Da müsste ich sie fragen. Und dazu erstmal überhaupt wieder mit ihr sprechen.“
Und Geraldine nutzte diese Reaktion, um wirklich auf das Thema einzugehen: „Hattest du das nicht vor?“
„Stand auf dem Plan.“ wich Annie nun doch ein wenig aus, „ziemlich weit unten. Wird aber höhergestuft. Nerv mich nicht damit.“
„Hatte ich nicht vor.“
„Gut.“ Annie biss sich auf die Lippen, „ich mache es – versprochen. Nicht wegen dem Nähen... des Nähens... der Nähe. Grundsätzlich.“
„Fein.“ winkte Geraldine ab, „Z? Was ist mit dir?“
„Kann meine Mutter nähen?“ fragte dieser zurück.
„Ja.“
„Bestimmt. Die kann all diesen Haushaltskram.“
„Wie nett er das sagt.“ schnaubte Annie.
„Es fängt an zu regnen.“ Z streckte die Hand aus – und nun rollte Annie wirklich mit den Augen:
„Lenk nicht ab.“
„Stimmt aber.“ entgegnete er und da Geraldine in diesem Moment ein dicker Tropfen auf dem Kopf landete, bekam er Unterstützung:
„Stimmt wirklich. Und wie.“ setzte sie hinzu, als es im nächsten Augenblick wie aus Kübeln zu schütten begann. Sie rannte los und die anderen folgten ihr. Kurz darauf saßen sie im Auto und Geraldine wischte sich übers Gesicht: „Ab nach Hause. Und bis zum nächsten Mal überlegt sich jeder ein Kostüm.“
„Und einen Namen.“ ergänzte Z, wofür er von Annie auch noch das Stöhnen bekam:
„Muss das sein?“
„Nicht für den Privatgebrauch.“ erklärte er schnell, „aber wenn jemand fragt, wie ihr heißt, dann ist es doch besser, etwas Falsches zu haben.“
„Auch wieder wahr. Okay.“ Annie strich sie einen Tropfen von der Stirn,
„Name und Verkleidung. Ist gebongt.“
Die Sorgenfalten auf Imrans Stirn waren tief. Doch sie hatten nichts mit einem seiner Fälle zu tun – geklärt oder ungeklärt. Sie kamen von dem, was er in der Zeitung las. Und im Fernsehen sah. Der Wirbel, den Jesu Ankunft ausgelöst hatte, war schon bei denen, die an ihn glaubten extrem hoch. Und bei denen, die nicht an ihn glaubten, fast genauso. Bei denen jedoch, die an jemand anders glaubten, war das pure Chaos ausgebrochen. Er selbst war nie wirklich gläubig gewesen, seine Frau ebenfalls nicht. Aber sie hatten genug Verwandte und Bekannte, die sich inzwischen in tiefsten Depressionen befanden und nicht wenige schrien – leise und unter der Hand – danach, dass etwas unternommen werden musste. Was genau das hieß, wusste er nicht, doch er konnte es sich vorstellen. Schließlich hatte es in den letzten Jahrzehnten immer wieder ‚Unternehmungen‘ gegeben. Die Religion, in die er hineingeboren worden war, verherrlichte nicht die Gewalt. Aber wenn man bestimmte Stellen der Schrift auf bestimmte Arten auslegte, konnte dieser Eindruck vermittelt werden. Und solche, die dies vermittelten gab es genauso immer wieder wie solche, die es sich vermitteln ließen. Weswegen er das teilweise sehr forsche Vorgehen von Jesus mit großer Sorge betrachtete. Denn das war genau die Art des Umgangs, die bei denen, die anders dachten, den Eindruck erweckte, dagegenhalten zu müssen. Was selbst dann, wenn es nur mit friedlichen Aufmärschen und Kundgebungen der eigenen Meinung begann, nicht selten in gewaltsamen Auseinandersetzungen oder Schlimmerem endete. Der Ruf nach drastischen Maßnahmen kam immer irgendwann. Und wurde viel zu oft erhört – das hatte die Geschichte wieder und wieder bewiesen.
Für ihn bedeutete das, dass er sich einen möglichst umfassenden Überblick verschaffen musste. Nicht nur in Deutschland, sondern überall auf der Welt.
Um im Notfall auf alles vorbereitet zu sein. Und auf seine Art reagieren zu können. Was im Klartext hieß: Schutz seiner Familie – im allerschlimmsten Fall durch einen strategischen Rückzug an einen sichereren Ort. So war er dazu übergegangen, das Fernsehen größtenteils gegen Zeitungen einzutauschen – auch internationale. Da diese sich eher an die Fakten hielten.
Die bei dem Artikel, den er gerade las, trotzdem beängstigend wirkten.
‚Catholic Church – no Future?‘ lautete die Überschrift. Denn anscheinend hatte Jesus angekündigt, sich in einigen Wochen mit den führenden Köpfen der Kirche zusammenzusetzen und ihnen seine Pläne für sie bekannt zu geben. Bis dahin hatten sie die Möglichkeit, sich selbst Ideen zu überlegen.
Der Artikel war vielleicht negativer als er sein musste, doch irgendwie war selbst Imran klar, dass sich die menschlichen Machthaber der Kirche und der Sohn Gottes nicht übermäßig gut miteinander verstehen würden. Vor allem, wenn es um genau das ging – Macht.
Der Artikel ging noch weiter, aber er hatte keine Lust mehr. Er wollte nicht mit schlechter Laune nach Hause kommen. Er legte die Zeitung weg – und sein Blick blieb an der Überschrift hängen: ‚Catholic Church‘. Irgendwie erinnerte ihn das an etwas. Er legte die Hände auf das Papier und verdeckte einige der Buchstaben. Dann riss er die Augen auf. Und sprintete an seinen Computer.
Er lief die Straße entlang und war komplett in Gedanken versunken. Erst, als jemand „Achtung!“ rief, blickte er auf und fand sich einer Absperrung gegenüber, in die er fast hineingelaufen wäre. Sie zog sich direkt vor ihm an der Hauptstraße entlang. Und trennte diese – zumindest optisch – von der Seitenstraße ab, in der er sich befand. Auf der anderen Seite der Hauptstraße konnte er eine weitere Absperrung erkennen. Die den Fortlauf der Seitenstraße abriegelte. Die Kreuzung war komplett blockiert. Doch genau dort nach drüben musste er. Denn dort wohnte er. Jetzt fiel ihm auch auf, wie viele Menschen an der Straße standen; dass jedoch kein einziges Auto zu sehen war. Er trat einen Schritt auf die Hauptstraße zu und blickte sie in beide Richtungen entlang. Sie war leer. Und so weit er sehen konnte, waren auch alle anderen Seitenstraßen gesperrt. Und mit einem Mal wusste er auch, warum. Der Präsident der irgendeines anderen Landes hatte seinen Besuch angekündigt. Und die Route, die sein Autokorso nahm, war von allen möglichen Sicherheitsvorkehrungen betroffen. Was verständlich war.
Und trotzdem ärgerlich. Denn er musste nun mal auf die andere Seite. Und einen kilometerweiten Umweg wollte er nicht gehen. Ebenso wenig wie warten. Die vielen Leute waren zwar ein Anzeichen dafür, dass der Korso bald kommen würde. Und er konnte auch schon Lärm hören, der darauf hindeutete. Aber er hatte Hunger. Auf das Eis in seiner Tasche. Das dank der Hitze wahrscheinlich schon ziemlich weich war. Er wollte es nicht erst noch ins Gefrierfach stellen müssen. Dann musste er noch länger darauf warten. Der Lärm war inzwischen so laut, dass er einen weiteren Blick auf die Straße warf. Diesmal sah er Autos. Sie hatten ihn schon fast erreicht.
Vielleicht noch 50 Meter. Es konnte also auch schnell gehen. Doch ein genauerer Blick auf die Autoschlange sagte ihm das Gegenteil. Denn sie war lang. Und dahinter kam noch jede Menge Fußvolk. Soldaten. Mit Gewehren.
Und Instrumenten. Die Politiker hatten also mal wieder alles aufgeboten, was zur Verfügung stand. Bis die alle vorbei waren, konnten Stunden vergehen. So traf er seine Entscheidung. Stieg über die Absperrung. Und trat auf die Straße. Er rannte nicht auf die andere Seite. Dazu sah er keine Notwendigkeit. Aber er trödelte auch nicht. Schließlich wollte er nicht überfahren werden. Die Autos fuhren natürlich sehr langsam. Trotzdem konnte ein Zusammenstoß unschön enden. Weswegen der Fahrer des ersten Wagens auch kurz hupte, als er etwa in der Mitte der Hauptstraße war. Er hob entschuldigend die Hand und ging noch ein wenig schneller. Auf der anderen Seite stieg er erneut über die Absperrung. Der Autokorso fuhr nun hinter ihm vorbei. Ein kleiner Junge, der mit seiner Mutter dastand und zusah, blickte ihn an: „Du hast es aber eilig.“
„Ich habe Eis in der Tasche.“ antwortete er lächelnd.
„Dann verstehe ich das.“ Der Junge wandte sich ab und er setzte seinen Weg nach Hause fort.
Er stand am Hafenbecken und blickte aufs Wasser hinaus. Die Touristen um ihn herum strömten geschäftig hin und her. Sie schienen es immer eilig zu haben. Er konnte das gar nicht verstehen. Schließlich waren sie hier, um sich von der Hektik zu erholen. Vermutete er zumindest. Für ihn galt das nur bedingt. Hauptsächlich aber deswegen, weil er es bisher immer gut geschafft hatte, Hektik auch in seinem Alltag zu vermeiden. Weswegen dieser Aufenthalt für ihn nicht die gleiche Bedeutung hatte wie für alle anderen. Vielleicht war es auch das: Er war sonst innerlich ruhig und jetzt noch ruhiger. Sie waren immer unruhig und jetzt nur weniger unruhig. An dieser Stelle stoppte er den Gedankengang. Auch das sollte ihm keinen Stress bereiten. Die anderen konnten tun und lassen, was sie wollten. Er entspannte sich. Blickte wieder aufs Wasser hinaus. Und folgte mit den Augen einem Kreuzfahrtschiff, das langsam auf die Hafeneinfahrt zusteuerte. Er war froh, nicht auf diesem Schiff zu sein. Es störte ihn nicht, viele Menschen um sich zu haben. Aber es störte ihn, nicht weg zu können, wenn das Bedürfnis danach verspürte. Ein lautes, kratzendes Geräusch ließ ihn zusammenzucken. Zunächst konnte er nicht einordnen, woher es kam.
Dann wurde ihm bewusst, dass es das Schiff war. Es hatte gestoppt und schwankte hin und her. Dann neigte es sich langsam zur Seite. Er konnte sehen, wie Menschen über Bord sprangen. Und überlegte noch, ob er die Polizei alarmieren sollte. Doch da hörte er schon Sirenen in der Ferne, blickte um sich – und stellte etwas Erstaunliches fest: Jetzt standen die Leute still. Alle, die eben noch so hektisch auf und ab gelaufen waren, verharrten nun und blickten aufs Meer hinaus. Wo das Schiff aufgehört hatte, zu kippen und nun langsam zu sinken begann. Zu weit weg, als das einer von ihnen hätte helfen können. Und trotzdem nah genug, um alles mit anzusehen. Weswegen sowieso niemand geholfen hätte, selbst wenn es gegangen wäre. Katastrophen lähmten – auf eine sehr unnatürliche Art und Weise.
Die Sirenen kamen näher. Was für ihn das Zeichen war, zu gehen. Gaffen war nicht seins. Das konnten alle anderen machen. Was seinen ursprünglichen Gedankengang wieder ankurbelte. Irgendwie schien er sehr oft das Gegenteil aller anderen zu tun. Liefen sie umher, stand er still.
Standen sie still, lief er davon. Das war nicht immer leicht. Aber er war sich dennoch sicher, dass er in diesem Spiel die richtigen Entscheidungen traf.
Selbst wenn er damit in der Minderheit war.
Er saß in der Kantine – allein an einem Tisch. Einige Tische entfernt saß eine Kollegin, die er nur vom Sehen kannte. Vor allem davon, dass sie oft in seine Richtung sah. Das war okay, denn sie war hübsch und so schaute er gerne zurück. Mehr machte er nicht. Er sah keinen Sinn darin, sein Leben zu verkomplizieren. Arbeit und Privatleben vertrugen sich nicht gut. Auf menschlicher Ebene erst recht nicht. Doch sie schien das anders zu sehen, denn sie winkte ihn zu sich hinüber. Er tat ihr den Gefallen, denn er wollte nicht unhöflich sein. „Ich dachte, wir könnten uns mal unterhalten.“ begrüßte sie ihn und er nickte. Das Gespräch kam nur stockend in Gang.
Was wahrscheinlich daran lag, dass sie beide am Essen waren und zudem von lauter anderen Kollegen umgeben. Was ihn zu der Überlegung brachte, dass es anders besser funktionieren konnte. Sie schaute ihn auch weiterhin so an, als würde sie in die gleiche Richtung denken. Weswegen er zunächst wartete, ob sie etwas Entsprechendes sagte. Und es dann selber tat: „Wir können uns ja so mal treffen. Nach der Arbeit.“
Ihr Gesicht veränderte sich. Bekam einen Ausdruck, den er nicht deuten konnte. „Hm...“ Sie tippte sich ans Kinn, „lass mich nachdenken... hm... warum nicht? Andererseits... ich habe so viel zu tun abends. Sag mir einen guten Grund. Dann denke ich drüber nach.“ Er überlegte einen Moment, ob ihm ein guter Grund einfiel. Gab es aber schnell wieder auf. Er war erneut an dem Punkt, an dem er Komplikationen auf sich zukommen sah.
Schließlich war es eigentlich einfach, ‚Ja‘ oder ‚Nein‘ zu sagen. Wenn sie dazu nicht in der Lage war, dann war das nichts für ihn. „Da fällt mir jetzt leider nichts ein.“ sagte er daher und stand auf. Ihr Gesicht veränderte sich erneut. In Erstaunen. Und auch ein wenig in Ärger. Vermutete er zumindest, weswegen er hinzufügte: „Trotzdem: nette Unterhaltung.“ Er wollte schließlich nicht unfreundlich sein. Dann ging er davon und ließ die Frau am Tisch sitzen.
„Ich kann mir irgendwie so gar nicht vorstellen, dass das ein Killer ist.“
Annie schnalzte mit der Zunge, „er kommt mir eher vor wie ein Star Trek-Fan.“
„Bitte wie?“ prustete Z los und auch Geraldine war deutlich irritiert:
„Wo hast du das denn her?“
„Von Jonathan.“ erwiderte Annie gelassen, „er meinte, das wären so Männer, die mit 45 noch bei Mama wohnen und im Keller die Zentrale der Enterprise nachgebaut haben und nachts in einem Klingoten-Kostüm schlafen.“
„Brücke – nicht Zentrale.“ korrigierte Z sie automatisch, „und Klingonen – mit ‚n‘.“
Doch Annie ließ sich nicht beirren: „Er würde da auch reinpassen.“
„Und wie.“ Geraldine kicherte vor sich hin, „aber das Stichwort Kostüme können wir gerne aufgreifen.“
„Nein.“ blieb Annie weiterhin beharrlich, „ich denke, wir sollten uns erst mit unserem Unbekannten beschäftigen.“
„Ich denke, wir sollten uns erst mit unserem Bekannten beschäftigen.“ widersprach ihr nun auch Z. Wenn die anderen auch nicht verstanden, was er meinte:
„Sorry?“
„Ich saß gestern Abend da und habe über Kostüme nachgedacht.“ Z warf Geraldine einen entschuldigenden Blick zu, „und irgendwann ging mir so auf: ‚Yannik ist wieder da. Von den Toten. Damit solltest du dich beschäftigen.‘ Und das wollte ich auch, aber dann bin ich eingeschlafen.
Und heute Morgen ging mir die Vision nicht aus dem Kopf. Weil ich sie nicht vergessen wollte, um sie euch erzählen zu können. Jetzt habe ich sie erzählt. Und ihr eure auch. Also können wir...“
„...uns fragen, was da passiert ist?“ unterbrach Annie ihn ein wenig unwirsch, „was es zu bedeuten hat? Das habe ich getan. Und die Antwort war schnell gefunden: keinen blassen Schimmer.“
„Das geht mir genauso.“ stimmte Z ihr zu, „aber das sind ja nicht die einzigen Fragen. Zunächst mal möchte ich einfach nochmal äußern: Wow!
Nur so, um es mal laut gesagt zu haben. Und dann: Warum ist er hier?
Wegen Lotta oder wegen uns? Hat er einen Auftrag oder macht er einfach weiter, wo er aufgehört hat? Dürfen wir ihn sehen? Kann er uns Antworten geben?“
„Ja, das sind alles legitime Fragen.“ Annie wippte mit dem Kopf, „aber auch die kriegen wir so für uns nicht beantwortet.“
„Teilweise schon, würde ich sagen. Und die Antworten führen uns zu einer ganz anderen Frage.“
Annies Kopf verharrte: „Nämlich?“
„Das schreibt man ohne ‚h‘.“ gab Z zurück und sie runzelte die Stirn:
„Ich habe es doch gar nicht geschrieben. Ich habe es gesagt. Und das war ohne ‚h‘.“
„Ich habe ganz deutlich ein ‚h‘ gehört.“
„Bist du doof?“ Annie war nun sichtlich verärgert – weswegen Z sich bemühte, die Wogen schnellstmöglich zu glätten:
„Nein. Lustig.“
„Nervig.“ stellte sich auch Geraldine gegen ihn und er seufzte leise:
„Na gut. Ich wollte das einfach mal machen.“
„Warum?“
„Kam mir so in den Sinn.“
„Aha.“ Geraldine rümpfte die Nase, „weiter?“
„Gerne.“ setzte Z an, aber Annie nahm ihm das Wort ab:
„So wie ich das sehe, ist er wegen Lotta hier. Der... Jesus wollte, dass sie an ihn glaubt und ihm folgt. Sie wollte einen Beweis – ein Zeichen. Das hat sie gekriegt. Also hat Yannik wahrscheinlich keinen Auftrag, sondern war nur Mittel zum Zweck. Und das wiederum bringt mich zu dem, was ich meine:
Was ist jetzt mit Lotta? Sie hat uns noch ganz groß angewiesen, dem Typen niemals, unter keinen Umständen, und wenn wir mit dem Schrotgewehr bedroht werden oder über einem Kessel mit kochendem Öl hängen, trotzdem nicht zu folgen. Und sie geht hin und macht es. Anscheinend.
Wissen wir ja nicht genau. Den Anschein hatte es auf jeden Fall.“
„Es hatte anscheinend den Anschein.“ schmunzelte Z vor sich hin und Geraldine hob warnend die Hand:
„Lass es, sonst wird sie dich anschreien.“
Annies Gesicht verfinsterte sich: „Ihr seid wirklich...“
„...bei der Sache.“ erklärte Geraldine schnell, „und du hast Recht.
Wahrscheinlich. Sie wollte ihn, sie hat ihn.“
Doch da war Z skeptisch: „Das klingt ein bisschen sehr einfach, oder? Ich meine... klar – sie hat gesagt ‚Mach das und dann glaube ich‘. Aber dazu kann er sie ja nicht zwingen. Wenn sie weiterhin nicht glauben will...“
„Das ist halt die Frage.“ überlegte Annie weiter, „sieht sie noch die Möglichkeit, frei zu entscheiden? Das war schließlich nicht nur irgendein Zeichen. ‚Wenn du aus dem zweiten Stock springst und dir nichts brichst, dann glaube ich‘. Und es ging ihr ja auch nicht um ein Versprechen. ‚Wenn du versprichst, ihn irgendwann zu erwecken, dann glaube ich.‘ Sie hat gesagt ‚Lass ihn auferstehen.‘ Und er hat genau das getan. Von den Toten.
Zurückgeholt. Jemanden, der inzwischen – Entschuldigung, dass das hart klingt, aber... – im fortgeschrittenen Stadium der Verwesung sein müsste.
Und – noch viel wichtiger – jemand, der bei seinem Tod nicht in den Himmel gekommen ist. Das wissen wir ja sicher. Überlegt euch mal, was das für sie bedeutet. Für uns ist das nur ‚Wow!‘ – wie du so schön gesagt hast. Aber für sie ist das der Traum, von dem sie immer geglaubt – nein: gewusst – hat, dass er niemals in Erfüllung gehen würde. Sie ist wie eine Mutter, die schwanger wird, obwohl sie keine Eierstöcke mehr hat. Wie ein Mann, der einen Gehaltscheck kriegt von einer Firma, bei der er nicht arbeitet. Ein Kind, das vor ein Auto fällt und dieses fährt einfach über ihn drüber. Eine...“
„Brechen wir das lieber ab, bevor deine Beispiele eine Stufe erreichen, die meinen Verstand übersteigt.“ ging Geraldine dazwischen und erntete dafür einen weiteren finsteren Blick:
„Siehst du das denn nicht so?“
„Hm. Ich...“ Geraldine kratzte sich am Kopf, „ich habe in den letzten Jahren so viel gesehen, dass ich wirklich... kann man es abgestumpft nennen?“
„Kann man.“ pflichtete Z ihr bei, „geht mir nämlich genauso. Ohne ‚h‘ – wohlgemerkt. Von all den Dingen, die unser Jesus getan hat, seit er hier angekommen ist, war das sicherlich mit das spektakulärste. Weswegen es fast schon verwunderlich ist, dass es nicht gefilmt und in alle Länder übertragen wurde. Aber das ist ein anderes Thema.“
„Wenn auch kein unterinteressantes.“ warf Geraldine nachdenklich ein.
„Stimmt. Fakt ist aber: Ich nehme es einfach so hin. Sage eben ‚Wow!‘ und belasse es dabei. Nicht wegen ihm. Sondern wegen uns. Wir sind von Wundern umgeben. Da ist das einfach nur ein weiteres. Und das gilt für Lotta eigentlich auch.“
„Mag sein.“ entgegnete Annie, „aber Lotta hat eine andere Bindung zu ihm.“
„Du doch aber eigentlich auch.“ wandte sich Geraldine an Z und Annie atmete erleichtert auf:
„Danke, dass du es ansprichst. Ich hatte mich nicht getraut.“
Z kniff die Lippen zusammen: „Ja. Er war mein bester Freund. Und es gäbe für mich kaum etwas Schöneres, als wenn er das wieder werden würde.
Aber...“ Er brach ab, doch Geraldine ermutigte ihn, weiterzusprechen:
„Aber was?“
Was Z zunächst nicht wollte: „Ihr werdet das bescheuert finden.“
„Sag es trotzdem.“
„Ich bin da fernsehgeschädigt.“ erklärte er, „ich schaue viele Sachen, in denen übernatürliche Dinge geschehen. Und das Auferwecken von Toten ist da natürlich ständig mit dabei. Es bietet sich an. Als Schockeffekt oder für tragische Liebesgeschichten. Egal. Was auch immer es ist und wie es auch immer geschieht – eines ist durch die Bank gleich: es endet niemals gut. Weil die, die da zurückkommen, nie so sind, wie sie vorher waren. Es ist immer irgendwas nicht richtig. Kaputt. Faul.“
„Und die Befürchtung hast du bei ihm auch.“ folgerte Annie.
„Es ist grundlos. Schließlich haben wir kaum mit ihm gesprochen. Und dabei ist mir nichts aufgefallen. Aber ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache.“
„Obwohl er von Gott kommt.“
„Das ist ja gerade das Problem.“ Z schlug entnervt auf die Couchlehne,
„könnte ich vollkommen daran glauben, dass das der Fall ist, würde ich so nicht denken. Aber wir alle sind uns nach wie vor einig, dass dieser Mann nicht der Sohn Gottes ist. Und wenn er nicht der Sohn Gottes ist, aber so tut – dann kann er nicht mit Gott zusammenarbeiten. Und wenn er nicht mit Gott zusammenarbeitet – dann kommt Yannik auch nicht dort her. Was im Zusammenhang mit ‚Er war nicht im Himmel‘ leider auch gar nicht mal abwegig klingt. Er kommt aus der Hölle. Also liegt es nahe, dass ihn jemand hierhergeholt hat, der nach dort Verbindungen hat.“
Geraldine brummte leise: „Das klingt rein sachlich richtig. Aber – großes Aber: Wer außer Gott sollte diese Macht haben? Ich wüsste da keinen. Nicht mal der bösseitige Überoberchef kann sowas.“
Z seufzte laut: „Das ist die alles entscheidende Frage.“
„Ich denke, wir sollten versuchen, irgendwie Kontakt mit ihnen aufzunehmen.“ schlug Annie vor, „das ist auch legitim. Schließlich ist er unser Freund. Und ein Mitglied dieser Gruppe. War beides zumindest mal.“
„Ja. Nur hier sitzen und spekulieren wird uns nicht weiterbringen.“ schloss sich Geraldine an und auch Z nickte irgendwann:
„Dann rufen wir sie nachher an.“
Annie zog die Brauen hoch: „Nachher?“
„Wenn wir das gleich machen, gehen die anderen Themen unter.“
„Themen?“
„Er meint die Kostüme.“ klärte Geraldine sie auf.
Annie nickte verstehend – und setzte gleich hinzu: „Und unseren unbekannten Feind.“
„Der Mann, der nicht mal flirten kann.“ Geraldine kicherte leise – und Annie stimmte mit ein:
„Der Arme.“
Das allerdings verstand Z nicht: „Wieso?“
„Naja – das war doch voll der Reinfall da mit der Frau beim Essen.“
„Finde ich gar nicht. Ich finde, er hat sich vollkommen richtig verhalten.“
„Richtig?“ Annie schüttelte sich ungläubig.
„Die Frau hatte Interesse und er hat es nicht geschnallt.“ versuchte Geraldine, es Z zu erklären, aber dieser ging gleich dagegen:
„Wie denn auch? Sie hat so getan, als hätte sie keines.“
„Das nennt man ‚schwer zu kriegen tun‘.“ führte Annie die Erklärung weiter und wieder winkte Z ab:
„Ich weiß. Ich kenne das. Und ich finde, es ist so ziemlich die dümmste Sache, die Frauen sich jemals ausgedacht haben.“
Verständlicherweise fühlten sich die beiden anwesenden Frauen damit angesprochen: „Bitte?“
Z jedoch blieb dabei: „Sein Ansatz war goldrichtig: Entweder sie will – dann sagt sie ‚Ja‘. Oder sie will nicht – dann sagt sie ‚Nein‘. Das ist das Einfachste auf der ganzen Welt. Und wenn sie sich unsicher ist, kann sie sagen, dass sie sich unsicher ist. Und, dass sie drüber nachdenkt. Auch das ist einfach.
Aber stattdessen so ein Gezicke zu veranstalten... das Gegenteil von dem zu sagen, was sie eigentlich will oder meint... und das in einer Situation, wo der Mann froh ist, dass er vor lauter Nervosität überhaupt einen klaren Satz herausbringt... das ist einfach unmöglich. Frauen glauben immer, für Männer wäre sowas einfach. Ist es nicht. Zumindest nicht, wenn man es a) ernst meint und b) richtig und anständig machen will. Dann ist es mit das Härteste, was es gibt. Und weil Frauen eben glauben, dass es so leicht wäre, sind sie der Meinung, da Spielchen treiben zu müssen. Die da überhaupt nicht hingehören. Die einfach nur gemein und unhöflich sind. Und keinerlei Vorteile bringen, sondern ganz im Gegenteil: Sie sind kontraproduktiv. Sie verunsichern und führen dazu, dass nichts draus wird. Von daher finde ich seine Reaktion total klasse. Ich habe durchaus den Verdacht, dass er sich dessen nicht so ganz bewusst war. Aber für sie war es eine Ohrfeige und die hatte sie verdient. Manchmal wünschte ich mir, mehr Männer würden so reagieren – bewusst und absichtlich. Um den Frauen mal zu zeigen, was sie mit ihrem Getue anrichten. Einfach sagen: ‚Wenn du dich nicht entscheiden kannst, dann hast du halt Pech gehabt‘. Und dann gehen. Da wird die Frau aber dumm gucken. Und es sich beim nächsten Mal ganz genau überlegen, ob sie so ein Gezacker nochmal veranstaltet. Ober ob sie stattdessen einfach mal den sinnvollen Weg geht. Und sagt, was sie wirklich denkt.“
Geraldine blickte Z halb erstaunt, halb amüsiert an: „Das musste raus, oder?“
„Schon ganz lange, wie es aussieht.“ Auch Annie wusste nicht genau, was sie davon halten sollte.
Z allerdings wurde direkt wieder ruhiger: „Es ist ein wenig ausgeartet, das mag sein. Und ja – es nervt mich schon sehr lange. Wobei... das ist eigentlich falsch. Es hat mich vor sehr langer Zeit genervt. Ich hatte ja die letzten Jahre keine Notwendigkeit mehr, mich mit diesem Thema zu beschäftigen. Und werde hoffentlich auch nie wieder Notwendigkeit haben. Trotzdem...“
„...ist was dran.“ unterbrach Geraldine ihn, „das gebe ich zu. Zumindest, wenn Frauen es wirklich nur aus Berechnung machen, um mit dem Mann Katz und Maus zu spielen. Aber das ist nicht immer der Fall. Das musst du auch sehen.“
„Ganz genau.“ stimmte Annie ihr zu, „es ist auch ein Schutz.“
Z legte die Stirn in Falten: „Schutz?“
„Vielleicht das falsche Wort.“
„Ein Test.“ probiert es Geraldine anders, „würde ich dazu sagen. Um herauszufinden, wie ernst es dem Mann wirklich ist. Denn es ist doch so: Es gibt einen gewissen Prozentsatz an Menschen, die nehmen einfach jede oder jeden. Und wenn sie abgewiesen werden, dann gehen sie zurzum nächsten.
Und da liegt der Haken: Wenn zwei Menschen aufeinandertreffen, die so sind, geht es auf jeden Fall gut. Weil sie haben ja beide die gleiche Einstellung und somit das gleiche Ziel. Treffen zwei Menschen aufeinander, die so nicht sind, ist auch alles fein. Weil… genauso. Aber treffen zwei Menschen aufeinander, die unterschiedlich sind, dann… ach – so kompliziert brauche ich es eigentlich gar nicht zu machen. Es kommt einfach darauf an, was für ein Mensch man selbst ist. Und darauf, dass man rausfinden muss, was für ein Mensch der oder die andere ist. Um zu sehen – gleich zu Beginn – ob es passt oder nicht. Natürlich mag es auch Menschen geben, die so eigentlich nicht sind, sich aber spontan trotzdem darauf einlassen würden, aber… das macht es auch kompliziert. Von daher…“ Die Falten wurden tiefer: „Grundsätzlich verstanden habe ich es. Nur… was hat das mit dem Verhalten dieser Frau zu tun?“
Geraldine sah hilfesuchend Annie an, die aber nur die Achseln zuckte. So nahm sie sich einen Moment und startete dann einen neuen Versuch: „Der große Unterschied zwischen einem Mann, der… nein – ich fange anders an:
Für mich ist es – auch, wenn ich die Vision nicht selbst gesehen habe – ganz offensichtlich, dass diese Frau nicht zur Kategorie ‚Ich lasse mir keinen entgehen‘ gehört. Was heißt, dass sie auch keinen Mann will, der so denkt.
Und der große Unterschied – da schlagen wir den Bogen – liegt in der Mühe, die sich ein Mann gibt. Wobei du das natürlich auch andersrum… aber bleiben wir mal bei dem Bespiel: Ist er so ein Typ, der einfach nur irgendeine will – Hauptsache was zum… äh ja – dann wird er nicht übermäßig viel investieren, sondern einfach weiterziehen, wenn es schwierig wird. Und sich eine suchen, bei der es eben nicht schwierig wird. Weil er ja nicht auf die Frau an sich fixiert ist und sich daher auch keinen ‚unnötigen‘ Stress machen muss… will. Ist er aber von der anderen – für sie richtigen – Sorte, dann tut er das schon. Weil sie ja diejenige ist, die er will. Und keine andere in Frage kommt. Da lässt man – Mann – sich von einem ‚Gib mir einen Grund‘ nicht aufhalten oder entmutigen. Da findet man einen. Und zwar mit Sicherheit ziemlich schnell. Geht ja auch nicht darum, dass es irgendwas Revolutionäres oder Weltbewegendes ist. Sie will einfach hören, dass er sich Gedanken gemacht hat, die über ‚Die is geil‘ hinausgehen.“
„Okay.“ Z wiegte den Kopf hin und her, „ich glaube, jetzt habe ich es. Zur Sicherheit mit eigenen Worten: Wenn der Mann sich nicht beirren lässt und trotz des fraulichen Rumgemaches bleibt, dann ist das für sie ein Zeichen, dass er es wirklich richtig doll ernst meint.“
„Ja, so kann man es zusammenfassen.“ schaltete sich Annie wieder mit ein,
„wenn sich ein Mann von sich aus keine große Mühe gibt, muss sie eben versuchen, rauszufinden, warum. Leute, die jeden nehmen... wie Geraldine gesagt hat: Widerstand – nächste bitte. Aber es gibt ja durchaus noch andere Gründe dafür. Zum Beispiel, dass der Mann einfach keine Ahnung undoder Erfahrung hat. Oder nichts falsch machen will. Oder vorsichtig vorgeht.“
„Und genau für diese Männer ist das schlecht.“ ereiferte sich Z, „denn wenn ich vorsichtig bin und keine Fehler machen will, dann brauche ich eindeutiges Feedback. Das mir sagt, ob ich auf dem richtigen Weg bin oder nicht.“
„Es ist kein fehlerfreies System, das gebe ich zu.“
„Ich finde es daneben. Ich verstehe eure Argumentation, aber ich denke, eine Frau sollte in der Lage sein, ihren Gegenüber einzuschätzen und nicht einfach ihre Linie durchziehen. Denn damit sind wir wieder bei unserem eventuell-kein-Killer. Ich habe ihn noch nicht gesehen, aber ich würde mal schätzen, dass man ihm auf 100 Meter Entfernung ansieht, dass er kein Draufgänger ist, der es bei allen probiert. Sondern eher einer von der Sorte, die es bei keiner probiert. Annie hat es gesehen und wir haben es gehört: Er hat ja noch nicht mal den ersten Schritt gemacht. Sie hat es selbst in die Hand genommen. Und das doch höchstwahrscheinlich, weil sie sich bewusst war, dass da von ihm nichts kommen wird. Insofern ist der Ansatz ‚Ich muss rausfinden, wie ernst er es meint‘ doch vollkommen fehl am Platz.
Stattdessen müsste sie erstmal rausfinden, ob er ihr Interesse überhaupt erwidert. Und das erreicht sie nicht mit sowas. Ich bleibe dabei: Sie hatte es verdient.“
Geraldine nickte langsam: „In dieser Hinsicht gebe ich dir sogar Recht. Sie hat sich zumindest inkonsequent verhalten. Ihn erst zu sich zu holen und dann nicht auf ihn einzugehen, war unlogisch. Und für ihn unverständlich.
Aber das bedeutet nicht, dass es immer falsch ist und immer schlecht und immer dumm. Und ganz bestimmt nicht, dass es immer nur dazu dient, den Mann blöd dastehen zu lassen.“
„Das kann ich als Kompromiss durchgehen lassen.“ überlegte Z und Geraldine musste grinsen:
„Da bin ich aber froh.“
„Ja. Vor allem, wenn ich mir anschaue, wie viel Zeit wir damit verplempert haben.“ meldete sich Annie zu Wort, „anstatt uns um das zu kümmern, was uns eigentlich wichtig sein sollte.“
„Du hast Recht.“ Z hob entschuldigend die Hände, „machen wir das jetzt.“
Aber Geraldine schüttelte den Kopf: „Leider nicht. Denn ich treffe mich mit Nils. Und habe daher keine Zeit mehr.“
„Aha.“ brummte Annie verstimmt und Z bemühte sich schnell um Rettung der Situation:
„Sollten wir nicht wenigstens noch Lotta anrufen?“
„Das können wir noch machen.“ erwiderte Geraldine. Doch als sie zum Telefon griff, klingelte dieses.
„Hallo?“ fragte sie vorsichtig, da sie die Nummer nicht erkannte.
„Das ging aber fix.“ vernahm sie Imrans Stimme am anderen Ende.
„Ich wollte selbst gerade telefonieren.“
„Kannst du. Geht schnell. Ich habe was rausgefunden. Wir sollten uns treffen.“
„Erzähl.“ forderte sie ihn auf und stellte auf Laufsprecher, aber er ging nicht darauf ein:
„Nein. Nur persönlich.“
„Wieso das? Kannst du es übers Telefon nicht sagen?“
„Werden wir abgehört?“ rief Annie dazwischen, was Imran natürlich hörte:
„Ihr habt Ideen… Nein. Ich könnte jetzt sagen, ich will eure Gesichter sehen, wenn ich es rauslasse. Aber wenn ihr es hört, fändet ihr das gar nicht mehr lustig. Sagen wir daher einfach: Es ist besser, wenn wir es persönlich besprechen.“
Geraldine verzog das Gesicht: „Nun gut. Wann?“
„Ich muss ein paar Tage weg. Für den Fall, an dem ich momentan offiziell arbeite. Aber danach... sagen wir… nächsten Montag?“
„Bei dir im Büro?“
„Gerne.“
„10 Uhr?“
„Passt.“
„Gut. Dann bis dann.“ Geraldine legte auf und wählte selbst. Und bekam ebenfalls nur ein
„Hallo?“
„Lotta?“ fragte sie vorsichtshalber.
„Ja.“
„Geraldine. Wie geht es dir?“
„Ihr wollt Yannik sehen.“ gab Lotta statt einer Antwort zurück.
Geraldine atmete kurz durch: „Wir wollen euch beide sehen.“
„Momentan schlecht. Viel zu tun.“
„Oh. Können wir helfen?“
„Nein.“
„Passt es dann...“ Geraldine zögerte, „wann passt es denn?“
„Kann ich noch nicht sagen. Ich melde mich.“ Lotta legte auf und Geraldines leicht unsicheres
„Okay.“ verhallte ungehört.
Annie legte den Kopf schief: „Klang sie so begeistert, wie ich den Eindruck habe, dass sie klang?“
„In etwa.“ nickte Geraldine, „eher weniger.“
„Na toll.“
Z kratzte sich am Kinn: „Ich schätze mal, sie ist einfach überfordert.
Schließlich sitzen wir nur hier und reden über Yannik. Sie hat ihn bei sich.“
„Stimmt schon.“ Geraldine legte das Telefon weg und stand auf, „geben wir ihr Zeit.“
„Waren sie das?“ Yannik blickte Lotta fragend an – sich der Antwort bereits relativ sicher.
„Das waren sie.“ bestätigte sie.
„Du siehst nicht begeistert aus.“
„Ich bin noch nicht bereit, ihnen gegenüberzutreten.“
„Warum?“
Sie seufzte: „Zu viele Fragen. Die ich nicht beantworten kann oder will. Und du auch nicht.“
„Dafür werden sie Verständnis haben.“
„Müssen.“
„Oder so.“ Er nahm sie in den Arm, „du wirst es nicht vermeiden können.“
„Nein. Aber ich kann es zumindest vertagen.“
Yannik nickte bedächtig. Dann ließ er Lotta los und sie kehrten nach drinnen zurück. Die Wohnung war nicht übermäßig groß und bot den Anwesenden daher kaum Platz. Doch das störte keinen von ihnen. Den Besitzer hätte es vielleicht gestört. Aber er war zu seiner Schwester gezogen für die Dauer des Aufenthalts. Der – das hatte Jesus ihm versprochen – nicht sehr lang sein würde. Es war ihm ein Anliegen, sich nie zu ausgiebig an ein und demselben Ort aufzuhalten. Und niemandes Lebensraum zu blockieren, wenn er in der Welt umherreiste. Weswegen er die Angebote der Gläubigen, bei ihnen unterzukommen, immer von Reise zu Reise plante.
Seine nächste würde ihn in den Vatikan führen. Ab dann hatte der Besitzer seine Wohnung wieder. In einwandfreiem Zustand, verstand sich. Die Anwesenden waren seine Jünger. Der engste Kreis. Und sie machten sich keine Gedanken um Platz. Sie machten sich Gedanken um Jesus. Um die Befolgung seiner Anweisungen. Sie waren die Auserwählten unter den Auserwählten. Und damit unendlich glücklich. Natürlich gab es auch negative Gefühlsanwandlungen. Der Tag, an dem Lotta und Yannik hinzugekommen waren, hatte dazu beigetragen. Einige von ihnen sahen Lotta nach wie vor als unwürdig an. Weil sie Jesus nicht vorausgesagt hatte, bevor er gekommen war, und nicht über ihn geweissagt hatte, nachdem er gekommen war. Und vor allem, weil sie ein Zeichen gefordert hatte, um glauben zu können. Das war der Hauptgrund und dementsprechend auch der Grund, weswegen sie mit Yannik ein Problem hatten. Denn er war dieses Zeichen. Ihnen war bewusst, was seine Erweckung darstellte. Doch sie glaubten so fest an Jesus, dass sie es als ganz normale Demonstration seiner Macht bezeichneten – eine Demonstration zudem, die nicht hätte nötig sein müssen. Wenn Lotta einfach von Anfang an richtig geglaubt hätte. Hinzu kam, dass sich Yannik bisher nicht aktiv beteiligte. Gleich bei ihrer ersten Besprechung hatte er sich mit den Worten ‚Ich gehöre hier nicht wirklich dazu.‘ verabschiedet und das seitdem jedes Mal getan. Es mochte stimmen – er war keiner von ihnen. Er hatte sein irdisches Leben bereits verwirkt und selbst Jesus sagte über ihn, dass er sie im Kampf um den Himmel nicht unterstützen konnte. Aber es hinterließ schon einen bitteren Nachgeschmack, dass er sich so gar keine Mühe gab, ihnen näher zu kommen. Erst recht im Zusammenhang mit seinem vorherigen Leben. Sie alle wussten, dass er kein Christ gewesen war und Gott ihn nicht aus dem Himmel gesandt, sondern aus der Hölle geholt hatte. Das hatte Jesus ihnen erzählt. Ursprünglich, um ihnen die Macht seines Vaters deutlich zu machen. Jedoch hatte er damit einen ganz anderen Effekt erzielt. Sie glaubten auch so an die Macht des Vaters. Woran sie nicht glaubten, war der Wille Yanniks. Der Wille, seinen Lebensweg zu ändern. Obwohl er diese zweite Chance erhalten hatte. Eine Chance, die normalerweise niemand erhielt.
Ironischerweise sorgten alle diese unschönen Gedanken dafür, dass sie immer sehr froh waren, wenn Yannik nicht bei ihnen war. Weswegen sie seine Rückzüge vor ihren Treffen begrüßten, anstatt ihn zum Bleiben zu bewegen. Das war etwas, das ihnen leider verborgen blieb. Dass ihre innere Abneigung ein Verhalten auslöste, das den Zustand, mit dem sie eigentlich so unzufrieden waren, noch förderte, anstatt ihm entgegenzuwirken.
Auch an diesem Tag war es wieder so. Sobald Jesus erklärte, dass er etwas zu besprechen habe, gab Yannik Lotta einen flüchtigen Kuss auf die Stirn und entfernte sich. Nicht nur aus dem Wohnzimmer, sondern komplett aus der Wohnung. Und die gesamte Jüngerschar atmete auf. Erleichtert, dass der Außenseiter seiner Wege gegangen war. Nicht verstehend, dass sie ihn nur zu sich ziehen konnten, wenn sie zogen.
Jesus störte sich daran nicht. Er schien keine Sorgen zu haben, dass Yannik auf dem richtigen Weg war oder ihn zumindest irgendwann finden würde.
Und behandelte Yannik mit einer zurückhaltenden Freundlichkeit. So als spräche er mit einem Gleichgestellten. Oder zumindest jemand, der sich weniger weit unten befand – von ihm aus gesehen. Auch das irritierte die Jünger. Aber sie gingen davon aus, dass es damit zu tun hatte, wo Yannik herkam und was mit ihm geschehen war. Daher sagten sie nichts. Und Jesus sagte auch nichts. Nicht dazu. Er hatte andere Themen. Wie den bevorstehenden Besuch im Vatikan. Zu dem er ihnen auslegte, was er zu tun gedachte. Sie alle hörten ihm zu. Und stellten keine Fragen. Und als er sie anschließend fragte, ob sie selbst ein Thema anbringen wollten, schwiegen sie weiter. Sie hatten keine eigenen Themen. Nur seine. Sie alle.
Bis auf Lotta.
Das war ein weiteres Problem. Lotta konnte nicht einfach dasitzen und zuhören. Einfach glauben und nicken. Sie musste immer Fragen stellen. Sie stellte nicht Jesus in Frage. Nicht sein Tun. Sein Denken. Sein Reden. Aber sie beschwor Szenarien herauf – verbunden mit der Frage, was dann zu geschehen hatte. Sie schien der Meinung zu sein, ihren ursprünglichen Auftrag umkehren zu können. Vorher hatte sie von Gott Worte für die Menschen bekommen. Das war nun nicht mehr der Fall. Stattdessen tat sie so, als würde sie von den Menschen Worte für Gott bekommen. Als wäre sie mit dem Ohr so dicht am Boden – wie es einer von ihnen einmal sehr treffend formuliert hatte – dass sie immer wusste und immer verstand, was der einfache Mann und die einfache Frau auf der Straße dachten. Und das brachte sie vor – jedes Mal verbunden mit der Bitte um Aufklärung.
Auch an diesem Tag war das wieder so. Sie holte auf ihre übliche Weise aus und es dauerte eine ganze Weile, bis sie zum Punkt gekommen war. Der diesmal lautete:
„Dein Kommen – Jesus – stimmt nicht mit dem überein, was in der Bibel darüber geweissagt wurde. Welche Erklärung gibst du den Menschen dazu? Denn eine Erklärung werden sie brauchen.“
Die Jünger nervte das. Dass sie immer wieder mit sowas ankam, anstatt sich einfach daran zu erfreuen, dass sie in Jesu Gegenwart sein durfte. Jesus nervte es nicht. Er war unendlich geduldig. Auch mit ihr. Jedes Mal. So auch dieses Mal. Er legte ihr dar, dass ihm dieser Punkt sehr wohl bewusst war.
Dass er es aber für wichtiger erachtet hatte, zunächst Taten sprechen zu lassen, um den Menschen Beweise zu liefern, dass er wirklich war, wer er zu sein behauptete. Um ihre Furcht zu verdrängen, ihren Glauben zu stärken, und – am wichtigsten – dafür zu sorgen, dass sie ihm auch wirklich zuhörten, wenn er Wichtiges zu sagen hatte. Und das hier war natürlich wichtig. Sehr wichtig sogar. Weil die Bibel das Wort Gottes war und eine Abweichung davon für viele den Glauben in Frage stellte.
„Mein Plan ist es, die Vatikanreise auch dafür zu nutzen. Ich hatte es vorhin nicht erwähnt, weil es nichts mit der Kirche zu tun hat. Aber ich werde die Gelegenheit dort verwenden. Einfach, weil ich davon ausgehen kann, dass dann noch wesentlich mehr Menschen zuschauen werden als bei meinen Besuchen in Afrika oder Südamerika. Dann werde ich es erklären. Und ich bin mir sicher, dass sie es verstehen werden. Und als das nehmen können, was es ist: ein Geschenk.“
Yannik kam um die Ecke, gerade als Lotta das Haus verließ. Sie hakte sich bei ihm unter und gemeinsam gingen sie davon. Das war der letzte Punkt, an dem sich die Jünger aufrieben: Lotta und Yannik wohnten nicht mit ihnen zusammen. Auch hierrüber waren sie genauso froh, wie sie sich darüber aufregten. Sie alle hatten sich dem Dienst für Jesus verschrieben.
Und dafür alles aufgegeben. So wie die Jünger im Neuen Testament. Was für sie hieß, dass sie ihm überallhin folgten und überall mit ihm blieben.
Dass sie sich ihre Nachtlager auf dem Boden der Wohnung einrichteten, die sie gerade zur Verfügung hatten. Sich die Küche und das Bad teilten. Und die Aufgaben, die anfielen. Lotta und Yannik machten dabei nicht mit. Sie hatten sich anderweitig eingenistet. In einer kleinen 2-Zimmer-Kellerwohnung, die ein gläubiges Ehepaar Jesus langfristig hatte zur Verfügung stellen wollen, da sie bereits seit einiger Zeit leer stand.
Kostenfrei, natürlich – da sie auf die Miete nicht angewiesen waren. Die für Jesus und seine Jünger allerdings zu klein gewesen war. Daher hatte er sie den beiden überlassen. Und sie hatten dankend angenommen. Mit dem Argument, dass es sonst zu eng werden würde. Doch die Jünger wussten es besser. Sie wollten alleine sein. Um Sex zu haben. Es hatte dazu bereits ein Gespräch gegeben. Mit Jesus. Der ihren Unmut praktisch sofort bemerkt hatte.
„Sie waren früher beide keine Christen.“ hatte einer von ihnen es zusammengefasst, „sie machen einfach so weiter.“
Jesus hatte einen Finger gehoben: „Sie sind verheiratet.“
Das hatte zunächst leises Gemurmel und dann lauten Widerspruch hervorgerufen: „Bis dass der Tod euch scheidet. Heißt es nicht so?“
„Der Tod hat sie nicht geschieden. Der Tod hat sie nur voneinander ferngehalten. Doch sie hat ihn innerlich nie verlassen. Und er sie auch nicht.
Sie waren sich über den Tod hinaus treu. Daher dürfen sie das. Haben es sich sogar verdient.“
„Also ist das wirklich der Grund?“ hatte eine von ihnen ungläubig gefragt,
„dass sie woanders wohnen?“
„Wäre es euch lieber, sie würden das hier vor eurer aller Augen und Ohren tun?“ Jesus hatte sie mit einem wissenden Lächeln angeschaut – und sie ihm die erwartete Antwort gegeben:
„Natürlich nicht. Aber es trennt sie von der Gruppe.“
„Sie haben eine Sonderstellung in dieser Gruppe.“ hatte er erwiderte, „dem muss Rechnung getragen werden.“
Dieses Wort war es gewesen – ‚Sonderstellung‘ – das dafür gesorgt hatte, dass die Beruhigung, die Jesus ihnen mit diesem Austausch hatte verschaffen wollen, nicht eingetreten war. Der Unmut blieb. Das Misstrauen ebenso. Lotta und Yannik mochten von Jesus zu Jüngern gemacht worden sein. Aber wie sie – die richtigen Jünger – würden die beiden niemals sein.
„Du bist dran.“
„Nicht wirklich.“ Annie starrte Z entsetzt an.
„Doch.“
„Muss das sein?“ maulte sie. Z jedoch blieb hart:
„Du musst üben. Genau wie Geraldine.“
„Aber ich hab doch grad gegessen.“
„Hast du nicht. Würde ich auch nicht gelten lassen.“
Annie zog eine Schnute: „Na gut. Begeistert mich aber nicht wirklich.“
„Glaubst du etwa, mich?“ kam es von Geraldine.
Z rümpfte die Nase: „Lotta war klar und deutlich, was für uns ansteht.“
„Für dich ist das einfach.“ motzte Annie weiter, „du bist das gewöhnt.“
„Und du bist die Alpträume gewöhnt, an die man sich hinterher noch erinnern kann, als wären sie echt.“ schoss Z zurück – und Annie schwenkte direkt um:
„Ja. Wenn ich es mir recht überlege, hat Geraldine von uns den einfachsten Job.“
„Nicht mehr.“ erwiderte diese trocken.
„Aber bisher.“
„Wegen mir.“ Geraldine zuckte die Achseln, „wir sollten Steve und Katiana anrufen.“
Z nickte: „Und wir müssen endlich über die Kostüme reden.“
„Ja, das ist am allerwichtigsten.“ schnaubte Annie sarkastisch – und wieder feuerte Z zurück:
„Es ist wichtig.“
„Ich weiß, ich weiß.“ winkte Annie ab, „aber die wichtigeren Dinge zuerst.“
„Warst du erfolgreich?“ erkundigte sich Katiana übermäßig vorsichtig, da Annies Gesicht nicht danach aussah. Die Antwort jedoch fiel positiv aus:
„Er ist weg.“
„Also ja.“
Annie verzog das Gesicht: „Ich nenne es nicht erfolgreich, sowas zu tun.“
„Wie denn dann?“ hakte Steve nach.
„Ja... eigentlich schon.“
Z lächelte sanft: „Sie hat sich noch nicht ganz daran gewöhnt.“
„Wäre auch schlimm, wenn das so schnell ginge.“ überlegte Katiana, worauf Annie heftig nickte:
„Nicht wahr?“
„Die Person?“ Steve sah Annie an, die leicht zusammenzuckte:
„Hm?“
„Die Person?“ wiederholte er.
„Oh. Will keine Hilfe. Hat uns hinterher rausgeworfen. Meinte, Jesus würde sich schon um sie kümmern, wenn er denkt, dass sie das braucht.“
Katiana seufzte: „Das dürfte uns in nächster Zeit öfters passieren.“
„Und was machen wir da?“ Annie sah in die Runde.
Geraldine und Z zuckten beide mit den Schultern, für Steve jedoch war die Lösung klar:
„Sagen, dass er nicht Jesus ist.“
„Das sollen wir nicht.“ entgegnete Z, „hat Lotta gesagt.“
„Die jetzt zu seinem engsten Kreis gehört.“
„Sie hat die Vernunft aufgegeben. Aber zu dem Zeitpunkt, wo sie das gesagt hat, hatte sie sie noch.“
Steve kniff die Augen zusammen: „Sicher?“
„Schon.“ entgegnete Z und Steve ließ es dabei bewenden:
„Gut. Dann halt anders. Zum Beispiel...“ Er brach ab.
„Wir wurden von ihm geschickt.“ schlug Z vor – doch Annie schüttelte sofort den Kopf:
„Gelogen. Und überprüfbar. Will ich auch nicht.“
„Ich auch nicht.“ schloss sich Geraldine an, „dann...“ Sie brach ab.