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Während meines Studiums bei Prof. Chee Soo in den Taoist Cultural Arts - TCA, begann ich auch mein Geisteswissenschaftliches Studium der Heilpädagogik, nachdem ich folgenden Satz des berühmten Heilpädagogen Paul Moor gelesen hatte: Nicht gegen den Fehler, sondern für das Fehlende. Dieser Satz gibt das taoistische Konzept der Lehre von Yin und Yang wieder, diesmal jedoch vor einem erzieherischen Hintergrund.Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass uns die taoistische Philosophie in vielen aktuellen Problematiken heutiger Zeit Orientierung geben und zu einer Neuausrichtung unserer individuellen Lebensperspektive führen kann.
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Seitenzahl: 48
Wir müssen unsere Perspektive verlagern zur Erkenntnis dynamischer Strukturen des Wandels. Aus dieser Perspektive betrachtet, erscheint die Krise als ein Aspekt der Umwandlung. Die chinesischen Philosophen glaubten, alle Manifestationen der Wirklichkeit würden von der dynamischen Wechselwirkung zwischen den beiden polaren Kräften erzeugt, die sie das Yin und das Yang nannten. Yin entspricht allem, was kontraktiv, empfangend und erhaltend ist, während Yang die Begriffe expansiv, aggressiv und fordernd beinhaltet.
Weitere Assoziationen beziehen unter anderem folgende Begriffe ein:
Yin. Yang
Erde Himmel
Mond Sonne
Nacht Tag
Winter Sommer
Feuchte. Trockenheit
Kühle Wärme
Inneres. Oberfläche
So wurde Yin mit dem weiblichen und Yang mit dem männlichen assoziiert, wobei alle Menschen, Männer wie Frauen, Yin- und Yang Phasen durchlaufen.
Die Persönlichkeit jeden Mannes und jeder Frau ist nicht eine statische Einheit, sondern ein dynamisches Phänomen, ein Ergebnis des Zusammenspiels von weiblichen und männlichen Elementen. Eine der wichtigsten Einsichten der alten taoistischen Kultur ist die Erkenntnis, dass Aktivität - das ständige Fließen von Umgestaltung und Wandel - ein wesentlicher Aspekt des Universums ist. Aus dieser Sicht ist Wandel nicht die Folge irgendeiner Kraft, sondern eine natürliche Tendenz, die allen Dingen und Situationen von vornherein innewohnt. Das Universum befindet sich in pausenloser Bewegung und Aktivität, in einem kontinuierlichen kosmischen Prozess, den die Taoisten das Tao nannten.
Man könnte Yin wohl als aufnehmende, erhaltende und kooperative Aktivität interpretieren; Yang fände seine Entsprechung in aggressiver, expandierender, wettstreitorientierter Aktivität.
Yin Yang
weiblich männlich
bewahrend. fordernd
empfänglich aggressiv
kooperativ wettbewerbsorientiert
intuitiv rational
nach Synthese strebend analytisch
Man erkennt sofort, dass unsere Gesellschaft ständig das Yang gegenüber dem Yin höher bewertet - rationale Erkenntnis gilt mehr als intuitive Weisheit, Wissenschaft mehr als Religion, Konkurrenz mehr als Kooperation, Ausbeutung von Naturschätzen ist wichtiger als ihre Bewahrung. Diese Betonung des Yang hat zu einem tiefreifenden kulturellen Ungleichgewicht geführt, das laut Fritjof Capra die Wurzel unserer heutigen Krise ist. Indem wir unser Yang, anders gesagt unsere maskuline Seite - rationales Wissen, Analyse, Expansion -, überbetont haben, vernachlässigen wir unser Yin, also unsere weibliche Seite - intuitive Weisheit, Synthese und ökologisches Bewusstsein. Selbstbehauptung erreicht man durch Yang-Verhalten, wenn man fordernd, aggressiv, wettbewerbs- und nach außen orientiert ist, und - soweit es sich um menschliches Verhalten handelt - durch Anwendung linearen, analytischen Denkens. Integration wird gefördert durch Yin-Verhalten; dann ist man empfangend, kooperativ, intuitiv und umweltbewußt. Das Universum zeigt sich als harmonisches, unteilbares Ganzes, als ein Netz dynamischer Beziehungen, die auf ganz entscheidende Weise dem menschlichen Beobachter und sein Bewusstsein einbeziehen. Seit der Antike war es das Ziel der Wissenschaft gewesen, Weisheit, Verständnis für die natürliche Ordnung und das Leben in Harmonie mit dieser Ordnung zu gewinnen. Wissenschaft betrieb man zum Ruhme Gottes oder, wie die es die Taoisten formulierten, um der natürlichen Ordnung zu folgen und im Strome des Tao zu fließen. Das waren Yin Ziele, das heißt integrierende Ziele, die Grundhaltung der Wissenschaftler war ökologisch, wie wir heute sagen würden. Im 17. Jahrhundert verwandelte sich diese Haltung in ihr polares Gegenteil: von Yin zu Yang, von Integration zur Selbstbehauptung. Seit Bacon ist das Ziel der Wissenschaft, Wissen zu erwerben, das zur Beherrschung und Kontrolle der Natur genutzt werden kann, und heute werden Wissenschaft und Technologie vorwiegend für zutiefst antiökologische Zwecke genutzt.
Die analytische Methode besteht darin, Gedanken und Probleme in Stücke zu zerlegen und diese in ihrer logischen Ordnung aufzureihen. Diese analytische Denkmethode wurde zu einem wesentlichen Charakteristikum des modernen wissenschaftlichen Denkens und hat sich bei der Entwicklung wissenschaftlicher Theorien wie bei der Verwirklichung komplexer technologischer Projekte als außerordentlich nützlich erwiesen. Andererseits hat die Überbewertung der Methode zu der Zersplitterung geführt, die für unser allgemeines Denken und unsere akademischen Disziplinen so charakteristisch ist, ferner zu dem in der Wissenschaft so weitverbreiteten Reduktionismus - dem Glauben, alle Aspekte komplexer Phänomene könnten verstanden werden, wenn man sie auf ihre Bestandteile reduziert. Die Trennung und Unterscheidung von Geist und Materie hat das abendländische Denken tief beeinflusst. Sie hat uns gelehrt, uns selbst als isoliertes Ego anzusehen, das im Inneren unseres Körpers existiert.
Die taoistische Philosophie ist vor allem ein Weg zur inneren Befreiung durch die Umformung des Bewusstseins. Man bezeichnet als heil auch etwas, das Ganz ist, nicht in Stücke zersplittert. Unser Empfinden heil zu sein, beinhaltet zugleich das Gefühl physischer, psychischer und spiritueller Integrität, des Gleichgewichts zwischen den verschiedenen Komponenten des Organismus und seiner Umwelt. Dieses Gefühl für Integrität und Gleichgewicht ist in unserer Kultur verlorengegangen. Die neue Sicht der Wirklichkeit beruht auf der Erkenntnis, dass alle Phänomene - physikalische, psychische, gesellschaftliche und kulturelle - grundsätzlich miteinander verbunden und voneinander abhängig sind. Darin kommt eine tiefe ökologische Einsicht zum Ausdruck, die im letzten Sinne spiritueller Natur ist. Fluktuation als Grundlage jeder Ordnung, ist ein Hauptthema aller taoistischen Texte. Der Taoismus bringt unter allen östlichen Überlieferungen die ökologische Perspektive am deutlichsten zum Ausdruck. Das ganze Universum, das natürliche wie das gesellschaftliche, befinden sich im Zustande dynamischen Gleichgewichts, wobei alle seine Komponenten zwischen den beiden archetypischen Polen hin und her schwingen. Der menschliche Organismus ist ein Mikrokosmos des Universums; seine Teile haben entweder Yin- oder Yang-Qualitäten, wodurch der Platz des Individuums in der großen kosmischen Ordnung fest begründet ist.