Bis zum Tag, an dem ich es filmte - Amelie C. Vlahosz - E-Book

Bis zum Tag, an dem ich es filmte E-Book

Amelie C. Vlahosz

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Beschreibung

Eigentlich filmte sie alles. Sie wollte ihr Leben, so gut es ging, festhalten. Doch dann filmte sie etwas, was sie nie hätte filmen wollen. Und auch nicht sollen, denn es veränderte ihr ganzes Leben...

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Für Mara, der dicken Katze meiner Schwester. Ich habe deinen Namen für dieses Buch (und ein anderes) benutzt -auch, wenn du da noch nicht einmal da warst, als ich es geschrieben habe.

(Und Lea, deinen Namen habe ich natürlich auch benutzt. Hoffentlich bist du deswegen jetzt kein saurer Brei :D)

Inhaltsverzeichnis

MARA

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

LEA

Kapitel 1.1

Kapitel 1.2

Kapitel 1.3

Kapitel 1.4

Kapitel 1.5

Kapitel 1.6

Kapitel 1.7

Kapitel 1.8

Kapitel 1.9

Kapitel 1.10

Kapitel 1.11

Ally

Kapitel 2.1

Kapitel 2.2

Kapitel 2.3

Kapitel 2.4

Kapitel 2.5

Kapitel 2.6

Kapitel 2.7

Kapitel 2.8

Kapitel 2.9

Kapitel 2.10

TRISTAN

Kapitel 3.1

Kapitel 3.2

Kapitel 3.3

Kapitel 3.4

Kapitel 3.5

Kapitel 3.6

Kapitel 3.7

Kapitel 3.8

Kapitel 3.9

Kapitel 3.10

Kapitel 3.11

Nachwort

MARA

Bis zum Tag, an dem ich es filmte

1

Wo bin ich? Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, was passiert ist. Mir ist kalt und mein Kopf tut weh.

Ich hörte Stimmen, konnte aber nicht verstehen, was sie sagten.

Ich habe Hunger und Durst.

Wie lange war ich wohl schon hier? Ich bekam Angst.

Ich versuchte meine Augen zu öffnen. Das hätte ich wohl lieber lassen sollen, denn meine Schmerzen verstärkten sich. Ich kniff sie sofort wieder zu und versuchte sie dieses Mal langsamer zu öffnen, so, dass sich meine Augen daran gewöhnen konnten.

Als sie offen waren, war alles um mich dunkel, bis auf einen kleinen Lichtstrahl, der durch einen Spalt auf dem Boden drang. Er musste zu einer Tür gehören.

Die Stimmen wurden klarer, aber sie waren immer noch etwas gedämpft, deswegen mussten sie wohl von draußen kommen.

Ich versuchte Umrisse in der Dunkelheit zu erkennen. Nix. Wo war ich nur?

Mein Herz begann zu rasen. Das lag nicht daran, dass ich an einem mir unbekannten Ort war, wo ich nicht einmal wusste, wo er war. Nein, es lag daran, dass die Tür plötzlich aufging. Mir kamen Lichtstrahlen entgegen. Der Raum wurde dadurch erkennbar und ich sah, dass die Wände steinig waren. Deswegen war es wohl auch so kalt.

Ich versuchte vom Boden aufzustehen, auf dem ich bis eben noch lag. Da es nicht ganz klappte, weil mir noch schwindelig war, saß ich nur auf dem Boden.

Ich konnte nur die Umrisse von zwei Personen sehen, da das Licht sie überdeckte. Ich konnte sie nur erstarrt ansehen. Einer der beiden kam auf mich zu. Ich versuchte weg zu kommen, indem ich nach hinten rutschte, aber ich schaffte es nicht sehr weit, da hinter mir eine Wand war. Ich realisierte auch da erst, dass ein komisches Geräusch zu hören war. Ich versuchte zu erkennen, wo es herkam und bemerkte, dass an meinem Fuß eine rostige Kette befestigt war. Ich hörte wie die Person weiter zu mir kam und beachtete diese nun wieder. Bis dieser jemand sich zu mir auf den Boden hockte. Ich konnte das Gesicht nur leicht erkennen, da das Licht alles noch zu sehr blendete.

Es war ein er. Nicht viel älter als ich. Er hatte trotzdem ein Angsteinflößendes Gesicht und scheinbar blond-braune Haare. Sie waren leicht gewellt und lagen ihm leicht im Gesicht, nicht zu lang und nicht zu kurz.

Er sah mich an und sagte dann: „Das ist sie?“

Ich sah, dass die Person an der Tür nickte, was er nicht hätte sehen können, da er mich noch immer ansah, aber das sind nun einmal Gewohnheiten von Menschen, also tut man sie einfach. Dann sagte er - wie es sich der Stimme nach anhörte - leicht verängstigt: „Ja.“

Dann sah ich wieder zu dem Jungen vor mir. In seinem Gesicht entstand ein noch angsteinflößenderes Lächeln. Wer war diese Person? Und wer war der andere?

Ich wollte aufstehen, aber mich überkam der Schwindel. Und bei dem Versuch, fiel ich nach vorne. Ich dachte der Boden wäre meine Landefläche, aber dann fiel mir der Junge ein.

Ich kann ja nicht mal mehr richtig klar denken. Wie lange habe ich nicht mehr gegessen und wie lange habe ich geschlafen?

Als ich diese Gedanken beendete, fiel ich auf ihn. Er fing mich zwar auf, aber er hatte einen festen und nicht gerade angenehmen Griff. Mir tat einfach nur alles weh.

Der Junge sah nach hinten zu dem scheinbar verängstigten Typ. „Wie lange habt ihr sie hier unten jetzt schon gelassen?“ Sogar seine Stimme war beängstigend. Sie war nicht einmal besonders tief, eher normal, aber er hatte so einen Tonfall, der einem einfach Angst machte.

Ich versuchte zu sprechen, aber ich bekam nix raus. Ich muss wirklich erschöpft sein.

Nun sah er wieder runter zu mir.

Mir fiel eine Strähne ins Gesicht. Meine Haare waren ganz fettig und ich roch jetzt auch, dass der Gestank den ich ganze Zeit roch, ich war.

Ich muss schrecklich aussehen. Ich fühle mich elend.

Der Junge strich mir die Strähne aus dem Gesicht und nahm einen seiner Finger unter mein Kinn. Dann drückte er es hoch, so dass ich ihm ins Gesicht sehen musste. Er drehte meinen Kopf nach rechts und dann nach links, dann ließ er meinen Kopf wieder nach unten fallen.

Darauf meldete sich eine Stimme -die von dem Verängstigten. „Ich glaube das dürften jetzt fünf Tage gewesen sein.“ Seine Stimme wurde leiser. „Oder schon 2 Monate ... Wir hatten nicht gedacht, dass sie noch lebt.“

“Hättet ihr mir das früher gesagt, statt zu verheimlichen, dass ihr erwischt worden seid, würden wir jetzt keine Kranke hier haben.“

Kranke? Heißt das, ich bin krank? Mir war wohl zu kalt um zu merken, wie heiß ich eigentlich bin.

Ich hörte, wie eine pipsige Antwort kam. „Ja, tut mir, UNS leid ... Wir hatten nur Angst, wie du reagieren könntest. Wir wollten dich halt nicht sauer machen.“

“Jetzt bin ich auf jeden Fall sauer.“

Ich spürte wie er aufstand. Meine Sicht wurde verschwommen. Dann nahm er mich hoch und versuchte mich auf meine Beine zu bringen. All seine Versuche waren sinnlos, also hob er mich hoch. Er schien meine Fessel vergessen zu haben, denn er wollte aus dem Zimmer laufen, dann blieb er durch einen Ruck der Fesseln stehen und mir begann der Fuß weh zu tun, wodurch ich einen Schmerzvollen Laut von mir gab.

„Wo hast du die Schlüssel dafür? Binde sie los! Jetzt!“ Ich hörte wie jemand zu uns rannte und spürte dann jemanden meinen Fuß halten. Dann kam ein Klacken und mein Fuß verlor das Gewicht der Ketten.

„Bring in mein Zimmer: Wasser, was zu Essen und das, was man halt braucht, wenn jemand krank ist. Und noch ein Handtuch und andere Sachen. Ich will niemanden hier haben, der so stinkt.“

„Jawohl.“ Dann rannte er an uns vorbei. Ich hörte Schritte auf Stufen.

Bevor ich einen weiteren Gedanken fassen konnte spürte ich schon, wie der Junge sich wieder bewegte. Er schien aus dem Zimmer zu laufen, in dem ich war, denn mir kam ein grelles Licht entgegen. Als nächstes lief er auch die Treppen rauf.

Ich bekam plötzlich ein Übelkeitsgefühl und begann Würggeräusche von mir zu geben.

„Uhew, nicht dein Ernst, wehe du tust das, während ich dich noch auf meinen Armen habe.“ Er klang wirklich angewidert und genervt.

Ich konnte nicht anders. Ich hielt mich reflexartig an seiner Schulter fest und hielt meinen Kopf über die andere. Ich drückte meine Finger in seine Schulter und meine anderen in seinen Arm auf der anderen Seite. Dann würgte ich, aber es kam nix raus. Ich tat das solange bis ich heftig zu husten anfing. Dann ließ ich locker und fiel wieder in seine Arme.

Ich glaubte gehört zu haben wie er „Diese Idioten ...“ murmelte, aber mir ging es einfach zu schlecht, um auf irgendetwas zu achten.

•••

Wir liefen schon eine Weile, bis ich hörte wie eine Tür geöffnet wurde. Ich spürte etwas weiches unter mir, als ich abgesetzt und hingelegt wurde. Dann wurde eine Decke über mich gelegt.

„Du bist noch wach, oder?“, erklang seine Stimme und ich versuchte zu nicken. Nicht gerade richtig, aber wenigstens etwas.

„Kannst du mir antworten?“

Nein, sicher nicht. Nicht in diesem Zustand.

Ich versuchte mit dem Kopf zu schütteln.

„Ich habe etwas Essen für dich.“

Ich versuchte meine Augen zu öffnen. Es tat nicht so weh wie vorhin. Das Erste was ich sah, war er, direkt vor mir. Er hatte blaue Augen, wie vom Ozean oder so. Er war eigentlich recht hübsch, wenn er nicht so einen finsteren Blick hätte. Rosige Lippen, gerade Nase. Schlank. Eigentlich einer der in der Schule als Mädchenschwarm bekannt wäre.

Er hielt mir ein Brot vor die Nase. Es roch frisch und lecker. Aus Angst, er könnte es mir wegnehmen, biss ich schnell hinein. Ich hörte ein Lachen und sah zu der Quelle.

Er lachte.

Es hörte sich an wie ein ghahaha oder sowas. Als er merkte, dass ich ihn anschaute, hörte er sofort auf und schaute wieder ernst.

„Geht es dir besser?“

Ich nickte. Mir ging es wirklich besser. Ich konnte auch schon wieder klarsehen.

„Schlaf.“

Das fiel mir nicht besonders schwer, denn ich war so erschöpft, dass ich sofort einschlief.

•••

Als ich wieder aufwachte, saß er an einem Tisch, der in einer Ecke des Raumes stand.

Ich sah mich um. Das Bett in dem ich war, bestand aus schwarzem Holz. Es gab zwei Fenster, die nicht viel Licht rein ließen, obwohl sie recht groß waren. Die Wände waren weiß und sahen nicht sehr ordentlich aus. Es gab noch einen braunen Schrank mit einem Spiegel dran, aber das war auch schon alles im Raum.

Als ich mich wieder zu dem Jungen drehte, sah er mich an. Dieser Blick kam sowas von aus einem Horrorfilm, von weißen Gestalten mit schwarzen Augen, auch das, was eigentlich weiß sein sollte. Grusselig.

Er kam auf mich zu. Ich bekam schon Angst, weil dieser Blick einfach so erstarrt war. Dann hielt er mir etwas entgegen, als er bei mir war. Ein Handtuch, neue Sachen, Shampoo und einen Kamm.

„Das Bad ist da hinten.“ Während er das sagte, zeigte er auf die Tür neben einem Schrank, die ich nicht bemerkt hatte, da sie auch weiß und so heruntergekommen aussah.

Ich nahm ihm die Sachen ab und ging hin. Ich schloss hinter mir die Tür und bemerkte jetzt erst, wie schlimm ich eigentlich roch. Der Gestank davor war mir lieber, auch wenn der schon schlimm gerochen hatte.

Das Bad war genauso heruntergekommen, wie das andere Zimmer.

Nach dem ich mich geduscht hatte, zog ich mir die Sachen an. Mir ging es jetzt um einiges besser.

Gegenüber der Dusche hing genauso ein Spiegel, wie im anderen Zimmer. Ich sah mich an. Meine Augen waren blaugrün. Außen grün und nach innen immer mehr blau. Meine braun-roten Haare hingen über meine Schultern. Sie waren wellig. Nass waren sie zwar noch etwas, aber sie waren schon etwas trockener.

Die Sachen die ich bekam waren ein T-Shirt, schwarz ohne Muster oder Zeichen, eine grüne Hose - ich vergesse immer wie man diese Militär Farbe nennt - und eine Boxershort.

Ich trocknete mir meine Haare, bis sie komplett trocken waren. Erst jetzt fiel mir eine Platzwunde an meinem Kopf auf. Ich fasste mit meinen dünnen, kleinen Fingern dran. Wo hatte ich die nur her? Ich erinnerte mich nicht, genauso wenig wie an irgendetwas anderes.

Ich ging aus dem Bad und vor mir stand der Junge. „Wie heißt du?“, fragte ich einfach und merkte sofort, was ich da getan hatte.

Er sah mich mit einem neutralen, aber trotzdem beängstigendem Gesichtsausdruck an. „Das brauchst du nicht wissen, du wirst hier nicht länger so nett behandelt. Das war nur, weil ich deinen Gestank nicht ausgehalten habe und mit jemandem der so benommen ist, wie du es warst, nicht reden kann.“ Er drehte sich um. „Komm mit.“

Ich hörte auf ihn, aber auch nur, weil ich nicht wusste, wo ich sonst hinsollte.

Ich sah zu den Fenstern raus, bevor wir das Zimmer verließen. Ich sah Bäume. Viele Bäume. Als wären wir in einem ... Wald. Die Bäume begannen gerade ihre Farbe zu ändern.

Mir kamen verschwommene Erinnerungen entgegen. Ich sah Dunkelheit. Einen dunklen Wald. Es war scheinbar Nacht. An mehr konnte ich mich nicht erinnern, aber ich versuchte es.

„Wir sind da.“ Ich bemerkte, dass ich vergessen hatte, dass wir irgendwo hin gegangen waren, als ich aus meinen Gedanken gerissen wurde. Wir standen vor einer Tür. Sie war hellbraun.

Er öffnete die Tür und als ich rein ging, sah ich jemanden, jemanden, der mir alle Erinnerungen wieder gab.

Ich fing an zu schreien und wollte aus dem Zimmer rennen, aber der Junge war mir im Weg und schubste mich wieder rein. Er lief dann selber rein und schloss die Tür hinter sich. Ich fiel währenddessen gegen einen Tisch im Zimmer und dann zu Boden, dabei fielen mir ein paar Strähnen ins Gesicht. Meine einzige Fluchtmöglichkeit war verschlossen und versperrt. Und ich? Ich war in einem Zimmer mit einem Mörder und den Erinnerungen an den Mord. Hätte ich doch nur nie diese Kamera bekommen ...

2

„Du kommst zu spät in die Schule.“

„Mhhmhh, weck mich, wenn es so weit ist.“

Das Bett ist zu weich, ich bin müde und es fühlt sich toll an, einfach nur draine zu liegen. Aber warte mal. Hat sie da gerade gesagt, dass ich zu spät zur Schule komme?

Ich sprang auf und hörte nur das Lachen meiner Mutter.

„Hör auf zu lachen!“, fauchte ich sie an, während ich versuchte in meine Hose zu schlüpfen. „Warum hast du mich nicht schon früher geweckt?“ Ich rannte aus meinem Zimmer mit meinem Ranzen, den ich mir schnell über den Rücken warf.

„Na hör mal! Du bist schon siebzehn und willst noch von mir geweckt werden?“

Ich verdrehte die Augen und versuchte dabei in meine Schuhe zu kommen. „So war das doch gar nicht gemeint. Hab dich lieb.“ Und damit rannte ich aus unserem kleinen Haus und Richtung Schule.

Ich hatte nur noch meine Mom. Mein Dad hatte eine neue Frau oder so. Keine Ahnung, ist mir auch egal. Er hat mich und Mom einfach im Stich gelassen als ich fünf war. Geschwister hatte ich keine – zumindest nicht, dass ich wüsste -, also war meine Mom für mich das Ein und Alles.

Haustiere hatten wir. Einen Hund und einen kleinen, fetten Kater. Also waren sie auch mein Ein und Alles. Tiere sind Balsam für die Seele.

Unseren Hund – Mülltonnenschleicher - hatten wir in der Stadt in der Nähe gefunden. Er war immer da, hatte Futter in Mülltonnen gesucht, woher er auch seinen Namen hat, und nie kam jemand, um ihn aufzunehmen. Also hatten wir das gemacht.

Ihm fehlte ein Teil seines Ohres, hatte weißes Fell und hatte eine humpelnde Pfote. Unser Kater – Hundejäger - war im Gegensatz gescheckt und hatte ein Flair dafür Hunde zu jagen, seit wir ihn im Wald gefunden hatten, als er gerade mal 5 Monate alt war.

Mit wir meinte ich aber dieses Mal meine beste Freundin. Wir hatten im Wald ein paar Videos gefilmt - oder wohl besser: ich habe ein paar Videos gefilmt. Ich hatte in meiner Freizeit immer eine Kamera bei mir. Das war schon so, seit ich sie bekommen habe. Da war ich zehn und schon begann ich alles aufzunehmen, bis es einfach ein Tick von mir geworden war.

Dann ist er uns halt über den Weg gerannt, ganz verängstigt. Ein Hund war hinter ihm her. Lea - meine aller beste Freundin - hat ihn dabei hochgenommen. Dann kam eine Frau außer Puste an und schnappte sich den Hund. Sie entschuldigte sich bei uns und wollte gehen, aber dann sprang Hundejäger aus Lea ihren Armen und begann den Hund zu jagen. Es hatte lange gedauert, bis wir Hundejäger fangen konnten.

Heute jagt er manchmal Mülltonnenschleicher, aber das eher aus Spaß, (glaube ich zumindest). Er hatte ihn immerhin wie seinen eigenen Nachwuchs behandelt, als ich ihn mit nach Hause brachte. Sie haben sogar immer zusammen geschlafen. Tun sie immer noch.

Und nach etwa fünfzehn Minuten rennen konnte ich auch endlich mal die Schule noch rechtzeitig mit dem Klingelzeichen, das die erste Stunde begonnen hat, erreicht und kam in meinem Klassenraum an.

„Hier“, sagte Lea mit einer Flasche Wasser in der Hand, die sie mir hinhielt.

„Danke“, sagte ich außer Atem und wir setzten uns auf unsere Plätze. Natürlich saßen wir zusammen und an der Tür, weil eine von uns immer verschlief, was meistens ich war, weil mein Wecker nicht der beste war oder wohl eher nicht sehr gut gegen das lange, dicke Fell von Hundejäger ankam.

Ich weiß echt nicht, was dieser Kater an einem Wecker findet.

Kurz nach dem wir uns gesetzt hatten, kam auch schon unsere Mathelehrerin rein.

Mathe in der ersten Stunde. Igitt. Und dann gibt sie uns so viel für eine Stunde auf und wenn wir es nicht schaffen in der Stunde, dann wird es unsere Hausaufgabe. Das ist einfach zu viel.

Also haben wir dann immer noch zwei ganze Seiten an Hausaufgaben, einfach nur Mathe. Aber wir haben nicht nur Mathe, weswegen wir den ganzen restlichen Tag so gut wie nur Hausaufgaben zu erledigen haben, nach der Schule. Aber ein paar unserer Lehrer nehmen sich die Aufgaben aus dem Internet, weswegen wir uns die Lösungen meistens dann darüber suchen.

Heute scheint es besonders schlimm zu werden, denn unsere Lehrerin hat so ein gemeines Grinsen in ihrem Gesicht.

Und genau so ist es auch, denn sie verteilt an jeden zwei Blätter, wo beide Seiten vollbedruckt sind. Klein.

Ich schlug meinen Kopf auf den Tisch, als sie mir die Blätter hinlegte, bekam dabei größere Augen, ließ sie nach oben gehen und gab ein entnervtes Stöhnen von mir.

„I know what you feel.“ Lea sagte gerne etwas auf Englisch, wobei sie gerne irgendeinen Amerikanischen - oder Schottischen? – keine Ahnung was das für einer war, aber sie benutzte gerne einen Akzent, weswegen es eher ein „A' know what ya feel.“ war. Aber ich wusste warum sie das tat. Das so auszusprechen fühlt sich toll an und hatte so einen schönen Klang. Besonders bei ihr. Ich liebte ihre Stimme.

„Machen wir die Aufgaben wieder zusammen?“ Ich drehte während ich sie fragte meinen Kopf zu ihr, der auf dem Tisch lag.

„Na klar. Du glaubst ja wohl nicht ernsthaft, dass ich Lust darauf habe mir zu Hause Stunden lang diesen Scheiß hier zu geben. Ich habe eindeutig besseres als das zu tun.“ Hatte sie wirklich. Ihre Eltern waren Vollzeitjobber oder wie man solche Leute nannte, die Vollzeitjobben. Und sie hatte drei kleinere Schwestern und einen Bruder. Da musste sie sich immer um die Kleinen kümmern und ihre Streitereien, von denen es mehr als genug gab, immer schlichten. Ich half ihr öfters. Besser gesagt half ich ihr meistens und immer, wenn sie Hilfe dabei brauchte Freunde von den Rackern zu finden, bei denen wir sie absetzen konnten, damit wir unsere Ruhe vor ihnen hatten. Das taten wir oft. Als wir Hundejäger gefunden hatten, war auch so ein Tag.

Ich finde es ziemlich unfair, dass ihre Eltern den Spaß zum Kinder machen haben, aber Lea sich dann um das Endergebnis kümmern muss. Besonders weil da auch Zwillinge dabei sind.

Heute machen wir das gleiche. Einfach die Kleinen woanders absetzen. Heute ist immerhin Donnerstag, unser Slush-Tag. Der Tag, an dem wir uns Slush kaufen, in den Wald gehen und einfach über alles und jeden lästern, uns beschweren und was man halt so als beste Freunde zusammen macht.

Ich bemerkte, dass ich zu sehr in meine Gedanken versunken war, als mich die Spitze eines Bleistiftes in den Arm stach. Warum ich wusste, dass es ein Bleistift war? Nur die Bleistifte von Lea waren so unglaublich spitz, dass sie einem nicht nur das Auge ausgestochen hätten. Sie tat das außerdem immer, wenn ich in Gedanken versunken war. Sie tat das aber nicht nur bei mir. In unserer Klasse gab es einen Jungen namens Tim, bei dem sie es auch tat. Bei mir war es was Freundschaftliches, auch wenn ich nicht glaubte, dass man so etwas als freundschaftlich bezeichnen konnte, aber bei ihr tat ich das gerne, weil sie es ja wirklich nur als Spaß, in ihrem Sinne, tat. Bei ihm tat sie es auf jeden Fall boshaft, weil er sie immer nervte und provozierte.

Ich liebe sie und alles. Sie ist ja meine ausgesuchte Schwester, aber wenn sie sauer wird, kann sie einem echt Angst machen.

Und in solchen Momenten, wenn sie sauer wurde, konnte man einfach nur Angst bekommen.

„Hier, ich habe meinen Teil schon gemacht.“

Ich sah sie erstaunt an. „SO SCHNELL? Wie hast du das denn geschafft?“

„Im Gegensatz zu dir sind meine Gedanken nicht die ganze Stunde meine einzige Beschäftigung.“

„Was meinst du mit die ganze Stunde?“ Ich bekam leichte Schweißperlen im Gesicht und wusste schon, was sie meinte, aber nachfragen konnte man ja trotzdem.

Sie zeigte mit ihrem Bleistift auf die graue Uhr, die an der Wand neben der Tafel hing. Wir beide sahen drauf. Ich entnervt, sie gelangweilt.

Nur noch zwei Minuten vor Schluss.

„Scheiße.“ Ich versuchte so schnell wie möglich noch ein paar Aufgaben zu lösen, aber bevor ich auch nur eine beenden konnte, klingelte es auch schon zum Unterrichtsschluss. „Verdammt!“

•••

„Musst du mir das Teil so ins Gesicht halten?“

„Aber natürlich! Ich muss doch alles aufnehmen, was wir so erleben.“

„Aber wir erleben nun mal nix. Wir erleben nie irgendwas. Wir erleben zumindest nix aufregendes, wo wir sagen könnten: HEY! Hab was voll Aufregendes erlebt.

Ach warte mal, da gibt es etwas aufregendes.“

„Echt? Was ist es?“

„Dieses Ding in meinem GESICHT! Mal was noch aufregenderes, als ganze Zeit von diesem Idioten genervt zu werden!“

„Ach komm schon gib es zu, du stehst doch heimlich auf ihn“, sagte ich grinsend, während ich ihr wütendes Gesicht filmte. Aber aus dem wütenden Gesicht wurde ein verwundertes, verwirrtes, nicht-wissen-was-zu-sagen-Gesicht.

„Huu. Ich habe recht? Ich habe recht. Du bist sprachlos und sagst nix dagegen und diese Sachen, wenn jemand ein Geheimnis von jemandem enthüllt. Hahhahahaha. OH GOTT. Das ist echt viel zu gut.“

„Halt den Mund! Das ... das stimmt doch gar nicht!“

„Wenn das so wäre, würdest du deinen Kopf, während du das gerade gesagt hast, nicht wegdrehen.“

„Ach sei doch einfach still.“

Ich konnte nicht aufhören zu lachen, bis sie mir in den Bauch schlug und nur ein ersticktes, noch von dem Schlag getroffenes „Entschuldigung.“ von mir geben konnte.

Dann waren wir auch schon bei ihr zu Hause angekommen und begannen ihre kleinen Teufel bei den jeweiligen Freunden abzusetzen. Von manchen Eltern bekamen wir immer mal Geld, weil sie die Tradition unseres Slush-Tages kannten und uns dafür immer was auf den Weg mitgeben wollten, oder irgendwie so. Also gingen wir uns unsere Slushs holen. Meiner war rot mit grün -Kirsche und Waldmeister. Ihrer war lila und rot -Waldbeere und Kirsche. Im Winter bekamen wir zwar eher einen Hirnfrost, aber jetzt im Sommer war es auch nicht gerade besser.

Wir liefen gerade zu unserem Waldstück, als uns der Liebling von Lea entgegenkam.

„Guck mal wer da ist. Dein Schatzie.“

“Halt deinen Mund! Er ist nicht mein Schatzie.“

„Aber irgendwann ganz bestimmt.“

„DU!“, war das Einzige was sie noch rausbekam, bevor er ganz bei uns war, mit einem seiner Freunde.

„Wen haben wir denn hier? Das Püppchen höchstpersönlich.“ Püppchen war der Spitzname für Lea, weil sie einmal auf einem Schulausflug von jemandem - eine Omi – so angesprochen wurde.

„Ach so süß. Wie ein Püppchen.“

„Ich bin kein Püppchen, du alte Schachtel.“

Das hatte leider die falsche Person gehört. Da waren wir zwar in der Sechsten Klasse, aber nach all den Jahren hatte er sie immer als Püppchen bezeichnet.

„Und du? Was ist mit dir? Du kleine Ratte.“ Sie hatte auf jeden Fall noch viel mehr Spitznamen für ihn, von A bis Z war alles dabei.

„Du bist viel zu frech für ein Mädchen.“ Er kam auf sie zu und nahm sich eine Haarsträhne von ihr, sah diese an und spielte dran herum. Dabei wurde er von Lea angeguckt. „Heute ist ... Donnerstag, richtig? Euer Slush-Tag?“ Jeder wusste scheinbar irgendwie von ihm. Wir verheimlichten ihn zwar nicht, aber dass fast jeder ihn kannte?

„Was geht dich das an?“, zischte sie ihn an und zog ihm ihre Haarsträhne weg.

„Weiß nicht. Wollte nur fragen, ob ich was abbekomme.“

Sie lächelte und legte ihren Kopf auf die Seite. Sie lächelte nicht auf diese 'ist alles schön, da lächelt man halt'-Weise (oder wie man die nennt), eher diese 'halts Maul bevor ich dir eine verpasse'-Weise.

Ich sah beiden gespannt zu.

Dann nahm sie ihren Slush, nahm den Deckel, der auf dem Becher befestigt war, ab, während er auch gespannt zusah und lächeln musste, schon seine Hand hinhaltend, um dann komplett enttäuscht zu werden.

Sie schüttete den ganzen Inhalt auf ihn. „Hoffe du hast damit ne Abkühlung bekommen, damit dein überhitzter Kopf nicht noch mehr Scheiße von sich gibt.“ Während sie das sagte, hatte sie immer noch dieses Lächeln im Gesicht und legte ihren Kopf auf die andere Seite.

Nun hatte er nicht mehr so ein Lächeln, wie er es gerade noch hatte und ließ seine Hand wieder sinken.

„Süß?“

„Giftig wohl eher.“

„Immer wieder gerne.“ Dieses Mal hatte sie ein richtiges Lächeln.

Sein Freund hatte alles nur erstarrt angesehen.

Lea nahm meine Hand, ging an beiden vorbei, und wir sind lachend weggegangen.

•••

„Sein Gesicht.“

„Oh ja. Der glaubt doch nicht ernsthaft, dass ich ihn meine Haare einfach so anfassen lassen würde.“

„Oh ja. Aber das Beste ist, dass ich alles auf Video habe.“

Sie sah mich mit großen Augen an und schlürfte an meinem Slush, den wir uns jetzt teilten, weil sie keinen mehr hatte. „ECHT? Ich war noch nie so glücklich, dass du alles auf Video aufnimmst, wie gerade, in diesem Augenblick.“

„Das habe ich jetzt auch auf Band.“

„Mir egal, solange du das mit dem Slush-Kopf auf Video hast.“

„Neuer Spitzname?“

„Sowas von. Aber lass uns das angucken.“

„Aber gerne doch.“ Wir mussten beide lachen und sahen uns dann das Video an. Ich wäre fast vom Baum gefallen, auf dem wir immer saßen, am Slush-Tag, als ich mich vor Lachen nach hinten lehnte mit ausgestreckten Füßen. Lea konnte mich gerade so noch festhalten. „Uh, das war knapp.“

„Ja. Mega knapp.“

„Danke.“

„Immer doch du behindertes etwas.“

So viel Liebe.

Wir beleidigten uns immer. Das war unser Ding (aber andere machen das bestimmt auch und haben das als ihr Ding, ist halt so unter Freunden). Mit ganz vielen Insidern machten wir uns die Welt schön, weil niemand verstand, was wir da für einen Müll labberten. Meine Beleidigung an sie war übrigens Spastilein.

„Lass Musik hören.“

„Ok, welches Lied?“

„Lovely?“

„Hast du nix stimmungsvolleres?“

„Ich mag das nun mal, aber wenn du willst. Dann nimm ... break your heart, so wie du vorhin deinem Schatzie das Herz gebrochen hast, mit deinem geliebten Slush.“

„Ach, halt dein Maul. Sonst schubs ich dich vom Baum.“

„Jaja, ich bin ja schon still, aber lustig war es trotzdem.“

„Ja und ich hoffe seine Haare kleben ihm davon so dolle, dass er sich Teile davon abschneiden muss. (Und mal so nebenbei: Jaja heißt leck mich am Arsch.“

„Ohhhh, dabei magst du seine Haare bestimmt besonders an ihm.“

„Ich hasse es, dass du mich so gut kennst“, sagte sie mit einem beleidigt-wütendem Gesichtsausdruck.

„Wir sind halt ausgesuchte Schwestern, da ist das ganz normal.“ Jetzt mussten wir beide wieder lachen. Ich liebte die Zeit mit ihr immer am meisten.

„Morgen ist Freitag.“

„Ja, unsere Nacht von Freitag auf Sonntag.“

„Ach im Wald zu übernachten ist bestimmt aufregend.“

„Glaube ich auch.“

Wir sprangen vom Baum und gingen nach Hause.

Morgen wollten wir hier im Wald schlafen, das ganze Wochenende. Das wird sicher aufregend.

3

Dieses Mal kam ich nicht fast zu spät, sondern war wirklich zu spät. Ich hatte Glück den Freitag als zu-spät-komm-Tag getroffen zu haben. Da hatten wir in der ersten Stunde immer Deutsch und unser Lehrer kam selber immer etwas zu spät. Genau in dem Moment, in dem ich noch schnell auf meinen Platz gehuscht bin, kam er rein, mit einem Stapel von Blättern. Er teilte jedem mindestens fünf aus. Wir sollten auf alle unsere Namen schreiben und dann erklärte er uns alles, aber ich hörte nur die Hälfte, weil Lea mich mit ihrem Bleistift anstupste -mit der Radiergummiseite.

Ich sah zu ihr und folgte ihrem Blick über den Stift bis zu ihrem Schatzie. Direkt musste ich lachen und alle drehten sich um. Ich tat schnell so als wäre ich es nicht gewesen und als würde ich mega in die Blätter vertieft sein, indem ich meinen Kopf näher dranhielt.

„Gibt es eine Frage, Mara?“

„Was? Ich? Oh nein, absolut nicht. Ich habe mich nur etwas verschluckt und musste husten, was sich etwas nach Lachen angehört haben muss.“ Ich demonstrierte es ihm nochmal, in dem ich in meine Faust hustete und dabei ein paar Lachgeräusche von mir gab. Dann sahen alle weg und er erklärte weiter. Ich sah wieder zur Seite.

Lea ihre Hoffnungen waren scheinbar in Erfüllung gegangen. Tim hatte eine seltsam freiere Stelle auf seinem Kopf, als darum. Es sah furchtbar aus und ich musste mir ein weiteres Lachen wirklich sehr verkneifen. Scheinbar nicht nur ich.

Als ich zur Seite sah, versuchte Lea alles um nicht los zu lachen. Sie hielt sich ihre Hände vor ihren Mund und steckte sich dann sogar ihre Faust rein, was nicht so funktionierte, wie sie es wollte, weswegen sie sich einfach nur reinbiss.

Das war der Grund, weswegen ich nicht wusste, was ich lustiger finden sollte. Tim seinen Haarschnitt (Haar-halb-vor-Halbglatzen-Haarschnitt hätte zwar besser gepasst, wäre aber zu lang gewesen) oder Lea ihre Faust-Mund-Zähne-verzogenes-Gesicht-Vorführung, was mega lustig aussah, alleine schon, wegen ihrem Gesichtsausdruck. Es war beides einfach so witzig, dass ich selber schon mit allen Mitteln versuchte mir ein Lachen zu verkneifen. Mir gelang das leider nicht so gut, weswegen ich schon halb auf dem Boden lag und ein Prusten von mir gab.

„Was ist denn jetzt schon wieder?“

„Ich glaube mir geht es gerade nicht so gut“, sagte ich mit einer Stimme, die sich schrecklich lustig angehört haben musste, weil ich mir einfach so stark das Lachen verkneifen musste. Meine Augen mussten auch etwas hervorgeguckt haben und mir kamen sogar schon leicht Tränen, während ich mir meine Hände vor meinen Mund hielt.

Er muss geglaubt haben, dass ich gleich kotzen würde, denn er hatte Lea gebeten mich auf die Liege zu legen, die für Kranke war und im Untergeschoss lag.

•••

Als wir da ankamen, mussten wir beide richtig dolle lachen.

„Zu gut!“, sagte Lea und versuchte sich wieder zu beruhigen.

„Mehr als gut!“ Ich hörte mich noch schlimmer als sie an, falls das überhaupt möglich war.

•••

In der Pause kam Tim zu uns. Wir versuchten ernst zu bleiben, was ziemlich schwer war. „Das ist deine Schuld.“

„Was meinst du?“, war das Einzige, was Lea sagte -pure Absicht.

„Das mit meinen Haaren.“ Er deutete auf seine kahle Stelle. Nun mussten wir beide doch lachen. Ich fiel sogar auf den Boden. Mir kamen die Tränen und ich musste mir den Bauch halten. Ich kullerte auf dem Boden rum und bekam mich nicht mehr ein. Was Lea dann antwortete machte es nicht gerade besser.

„Du meinst wohl eher, mit deinen nicht vorhandenen Haaren.“

„Du!“, war das Einzige, was er dazu sagen konnte.

„Deine eigene Schuld.“

Dann ging er wieder zu ihr. Sie wollte sich gerade umdrehen und gehen, als er seine Arme um sie schlang. Sie stand mit dem Rücken zu ihm. Er hatte seine Arme um ihre dünnen Schultern geschlungen. Sie hatte wirklich sehr dünne, weswegen es sehr komisch aussah, weil seine Arme etwas dicker waren. Er sagte irgendwas zu ihr. Ich hatte in der Zeit mit lachen aufgehört und sah den beiden zu mit einem offenen Mund und großen Augen. Mein Blick sah aus, als würde ich auf etwas warten. Er sagte etwas zu ihr, was nur die beiden verstehen konnten. Sie wurde verlegen. Ich hatte sie noch nie verlegen gesehen. Noch nicht einmal, als wir den Zaun ihres Nachbarn eingerissen hatten. Es lag zwar daran, dass ihr Bruder ein Feuerzeug gefunden hatte und ihn anzünden wollte, weswegen wir auf ihn zu gerannt waren und dabei dadurch gebrettert sind, aber er war trotzdem mega sauer auf uns. Sie sagte aber nur: „Dann hätten sie ihren Zaun Fester bauen sollen.“ Meine Augen wurden dabei noch größer und mein Mund öffnete sich noch weiter bei diesem Anblick.

Daraufhin befreite sie sich aus seinen Armen und zog mich vom Boden.

Wir waren hinter einer Wand verschwunden und ich begann sie mit Fragen zu bombardieren.

„Was hat er gesagt?“

„Ich will nicht darüber reden.“

„Hat er dir seine Liebe gestanden?“

Sie drehte ihren Kopf weg, als sie rot in ihrem Gesicht, bei dieser Frage, wurde.

„Oh, habe ich etwa recht?“

„Nein, hat er nicht. Also nicht so wirklich.“

„Was meinst du damit?“

„Er hat gewollt, dass ich mit ihm nach der Schule vorne am Tor rede.“

„Heißt das ich kann belauschen?“

„Ja, aber nur, wenn er dich nicht sieht. Also darfst du nicht offensichtlich sein.“

„Natürlich wird er mich nicht sehen. Und offensichtlich bin ich doch nie.“

„So wie letzte Stunde.“

Daraufhin mussten wir lachen.

•••

Ich hatte mich hinter einem der Büsche versteckt, die vor dem Zaun wuchsen, damit niemand reinschauen konnte. Ich konnte sie sehen mit dem Rücken zu mir gewandt. Ich sah Tim. Er ging gerade auf sie zu. Sie schien ihn zu bemerken, denn sie drehte sich um. Sie sprachen, aber ich konnte sie nicht verstehen, also ging ich näher zu ihnen.

„Wir sollten damit aufhören.“

„Womit?“

„Unsere Streiche gegeneinander. Wir sind nicht mehr in der Sechsten. Ich glaube da brauchen wir uns keine-“

Sie unterbrach ihn sofort. Ihr Gesicht sagte alles. „Du. Das hast du immer gemacht, also warum heißt das jetzt wir, wenn DU immer diese Streiche gespielt hast?“

„Ich meinte ja nur, dass wir es lassen sollten.“

„Warum denn immer noch wir? Du alleine warst das. Nicht ich.“

„Du bist so anstrengend ...“

„Anstrengend? Ich? Weißt du was? Sowas muss ich mir nicht geben.“ Sie wollte gehen, aber er hielt sie fest.

„Nein, warte. Ich wollte nur ... ich ... tut mir leid ... du bist nicht nur anstrengend, sondern auch hübsch und lustig und intelligent.“ Er sah verlegen aus.

Sie küsste ihn auf seine Wange und mein inneres Fangirl kam raus. Ich musste quietschen, was er zum Glück nicht hörte.

Sie befreite sich von seinen Händen und ging. Ich sprang ihr hinterher.

„Das war ja so süß.“

Sie lachte. „Jaja. Lass uns lieber fertig machen, damit wir in den Wald gehen und Zelten können.“

„Natürlich (und jaja heißt: leck mich am Arsch).“

„Na dann beeilen wir uns mal wieder.“

„Aber dass wir auch ja nix vergessen“, sagte ich mit meinem Kopf in die Höhe gestreckt mit einer strengen Stimme, weil das unsere Klassenlehrerin immer tat und sagte, wenn wir einen Ausflug oder so was hatten. Daraufhin mussten wir beide lachen.

4

Unser Zelt war direkt neben unserem Baum. Wir hatten erst ein paar Probleme es aufzubauen, aber am Ende war es eigentlich leichter, als wir uns angestellt hatten. Besonders Lea, die dafür sorgte, dass mir eine der Stangen auf meinen Kopf fiel.

Danach machten wir unsere Lagerfeuerstelle bereit. Dafür legten wir ein paar Steine zu einem Kreis, und legten etwas Moos davor, als Sitzgelegenheit. Neben unser Zelt rollten wir noch einen großen Stein, um eine Art Tisch zu haben.

Wir hatten einiges an Essen mitgebracht. Wir beide waren richtige Vielfräße. Deswegen hatten wir auch von unseren Eltern besonders viel mitbekommen.

Und bei unserem Lieblingsbäcker hatten wir uns besonders viel dieses Mal geholt. Er hat uns sogar noch ein paar Sachen gratis eingepackt. Wir waren seine Stammkunden und wir verstanden uns super mit ihm. Wir redeten auch viel mit ihm und wir erzählten ihm von unserem Vorhaben, deswegen legte er uns diesmal besonders viel in die weißen Tüten. (Er kannte außerdem selber unseren Hunger recht gut.)

Zuerst aßen wir ein Gebäck, das mit Vanillepudding gefüllt war, auf unserem Baum. Wir aßen oft auf ihm. Für uns war dieser Baum wirklich ein wichtiger Teil von uns. Er war so etwas wie unsere Verbundenheit, weil wir immer zusammen herkamen; weil wir uns immer hier trafen, wenn es uns gut oder schlecht ging. Er war der Anker, der Haltepunkt unserer Freundschaft.

Sollten wir sterben, wollten wir zusammen bei diesem Baum begraben werden. Es war ja klar, dass wenn eine stirbt, die andere nicht lange ohne sie leben könnte. Länger als eine Woche würden wir uns jeden Falls nicht geben. Das hatten wir uns gesagt, als wir Mal darüber gesprochen hatten.

Wir aßen gerade die letzten gefüllten Puddingtaschen fertig auf. Es war unser absolutes Lieblingsgebäck mit Apfeltaschen, die wir auch gleich danach aßen. (Von den Apfeltaschen hatte der Bäcker uns am meisten eingepackt, weil er wusste, dass wir diese am liebsten aßen. Er hatte uns sogar extra welche speziell für uns gebacken und noch ein paar zurückgelegt.)

Wir packten dann unsere restlichen Sachen aus und machten uns unser Essen am Lagerfeuer fertig. Gerade rechtzeitig zur Dämmerung machten wir ein Feuer an. Der Himmel hatte gerade seine letzten, schönen Farben gezeigt, bevor es dunkel wurde. Wir aßen und redeten. Insgesamt hatten wir eine Menge Spaß.

Wir hatten schon ein paar Mal hier geschlafen. Aber das taten wir nur im Spätsommer, weil es da am wärmsten war und heute war ein besonders warmer Sommertag gewesen. Dafür würde die Nacht umso kälter werden. Wir hatten aber recht kuschlige und warme Schlafsäcke, also machten wir uns deswegen nicht sonderlich viele Gedanken.

Wir saßen mit kurzen Sachen am Lagerfeuer, die Kälte machte uns nicht viel aus, die mittlerweile schon eingebrochen war.

Nach einer Weile des Rumsitzens und essen, fragte ich Lea: „Und, glaubst du, dass du und Tim, bald zusammenkommt?“

Sie sah vom Lagerfeuer, welches die Umrisse von Lea schön beleuchtete, zu mir auf. Sie begann leicht zu grinsen und sagte dann: „Vielleicht.“

Daraufhin fing ich auch an zu grinsen.

Es ist wirklich schön eine so gute Freundin zu haben.

Wir sahen in den dunklen, von Sternen beleuchteten, Nachthimmel.

„Schön.“

„Ja, wirklich schön.“

„Nimmst du das auch auf Video auf?“

Ich sah vom Himmel zu ihr und musste wieder grinsen. „Du weißt doch, ich nehme alles auf.“

Lea verdrehte nur ihre Augen, aber mit einem Lächeln auf ihrem Gesicht.

Ich sprang auf und holte uns noch etwas zu Essen.

Die restliche Zeit sprachen wir über alles Mögliche. Und wir lachten wieder über das dümmste Zeug, über das man normalerweise nicht lacht. Irgendwann war es so spät, dass Lea schlafen wollte. Ich sagte ihr, dass ich gleich nachkommen würde, aber die Umgebung noch etwas filmen wolle und eh nochmal aufs Klo müsse.

Sie nickte nur und ging schlafen.

Ich stand auf und ging rum. Ich war schon recht weit von unserem Lager entfernt. Mir wurde langsam schon kalt. Ich hätte mir besser eine Jacke überziehen sollen. Gerade wollte ich wieder zurücklaufen, doch da hörte ich plötzlich ein Geräusch.

Es hatte sich angehört, als würde jemand wegrennen und jemand anderes würde hinterherrennen. Dann hörte ich einen Schrei.

Ich lief den Geräuschen nach. Es war so dunkel, dass ich kaum etwas erkennen konnte, aber es sah so aus, als ob es eine Frau und ein Mann waren. Die Frau blieb einfach stehen.

Ich versteckte mich schnell hinter einem Busch, aus Angst gesehen zu werden, auch wenn das bei dieser Dunkelheit kaum möglich war. Erst da erkannte ich, warum sie stehen blieb.

Vor ihr war ein riesiger See.

Der Mann packte die Frau. Sie schrie noch lauter und versuchte sich gegen ihn zu wehren. Sie versuchte ihn zu schlagen, damit er losließ, aber das tat er nicht. Er begann sie zu würgen, bis sie sich nicht mehr bewegte und ihre Arme schlapp nach unten fielen.

Er begann irgendetwas um ihre Füße zu binden, es sah aus wie ein Seil, das an einem großen Stein befestigt war. Dann warf er sie, mit dem Stein an sie gebunden, in den See.

Ich war zu schockiert um mich zu bewegen. Meine Hand, die die Kamera hielt, begann zu zittern und dann schlug mein Arm leicht gegen einen der Äste.

Der Mann, der bis eben noch kurz vorm gehen war, drehte sich um.

Ich hoffte, dass er dachte, dass das nur ein Tier gewesen war.

Er sah sich erst um und wollte gehen, was mich zum erleichtern brachte, doch dann musste er das rote Licht meiner Kamera gesehen haben, denn er kam auf mich zu und ich begann vor Schock zu rennen. Im Dunkeln sah dieser Mann so Angsteinflößend aus. Ich hörte, wie er mich verfolgte. Ich rannte um mein Leben, besonders da es in dem Fall wohl wirklich so war. Ich sah kaum etwas, es war zu dunkel. Ich konnte immer gerade so den Hindernissen, die immer wieder vor mir waren, ausweichen.

Mein erster Gedanke war es, zu Lea zu rennen, aber der Mann hinter mir war ein Mörder. Ich konnte meine Freundin nicht in so eine große Gefahr bringen.

Also rannte ich einfach irgendwo lang, in der Hoffnung, dass ich ihn irgendwie abschütteln konnte.

Das Mondlicht war über einem Hügel zu erkennen. Ich drehte mich um. Ich wollte sehen wie nah er mir schon gekommen war oder wie weit ich ihn schon abgeschüttelt hatte. Zu meinem Entsetzen war er mir zu nah und in dem Moment, in dem ich mich umdrehte, fiel ich. Während des Falls, fiel mir meine Kamera aus meiner Hand. Ich rutschte auf einem Stock aus, den ich durch die Dunkelheit nicht sehen konnte. Ich schrie los. Ich wollte schnell aufstehen und fliehen, aber er war schon da.

Er packte mich am Arm. Ich versuchte mich zu wehren, aber je mehr ich trat und versuchte um mich zu schlagen, umso fester wurde sein Griff. Ich schrie noch lauter und fing an zu weinen.

Wäre ich doch auch einfach nur schlafen gegangen.

Ich hörte plötzlich noch ein Geräusch, weswegen ich sofort aufhörte zu schreien.

Bevor ich wusste was es war, sah mir dieser Mann genau ins Gesicht. Er hatte so einen krankhaften Blick, durch den ich nur noch mehr Angst bekam. Dann spürte ich einen Schlag und alles um mich herum wurde schwarz. Komplett Schwarz.