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Die letzte Schlacht hat begonnen. Der Krieg geht zu Ende. Doch werden es auch alle überleben?
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Krieg, Schlacht, Magie, Familie, Kriegsende
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Seitenzahl: 320
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Für alle, die diese Reise angetreten haben.
Blutzauber – die erste Auserwählte
Hexenzauber – der Geist der Verbliebenen
Schattenzauber – die Kälte, die sie verfolgt
„Möge das Licht das Böse besiegen und wieder Frieden in das Land bringen, dass die Schatten wieder im Untergrund herrschen und das Licht an der Oberfläche. Möge das Gleichgewicht zwischen beiden Welten wieder hergestellt werden, bevor die Welt zerfällt.“
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Prolog
Nachwort
Es war dunkel, wie jeden Tag, jede Nacht und zu jeder erdenklichen Tageszeit, die herrschte. Es kam kaum Licht durch die dicken Gesteinsschichten und Erdbrocken, die die Menschen aus dem kleinen Dorf vor der Außenwelt schützten.
Ob das wenige Lichtverhältnis, der Grund für ihre blasse, ja schon fast weiße Haut war, die sie beinahe wie ein Gespenst aussehen ließ?
Ihr Haar war lang und glatt, reichte ihr bis zu den Hüften und war Schneeweiß, dass es wunderschön im Licht glänzte. Für manche Augen schien es auch silbern zu schimmern, aber normalerweise, war es ein wunderschönes Weiß. Viele waren auf diese Haarpracht neidisch, ließen ihren Neid allerdings unkommentiert und wollten ihn möglichst nicht zeigen. Immerhin hatten alle eine ganz bestimmte Meinung dem Mädchen gegenüber. Und niemand wollte ihr daher zu viel Aufmerksamkeit schenken.
Zwischen einem Spalt in der Erde, drang ein wenig Licht durch. Trotz dessen, dass kaum bis gar kein Licht vorhanden war, sah es in der riesigen Höhle so aus, als gäbe es nur den Tag - oder zumindest einen Tag voller Schatten und umhüllt in Dunkelheit. Aber nur, wenn sie Licht machten; wenn sie Feuer entfachten. Sie hatten an allen Wänden Fackeln hängen, die alles in ihrer Umgebung in helles Licht tauchten. Bis zur Höhlendecke kam das Licht allerdings nie
Es war eine riesige Höhle, die weeeeit über die Köpfe der Menschen reichte. Die Höhle war so hoch, dass sogar Häuser reinpassten - manche sogar mit zwei Stockwerken, die dennoch nie die Decke erreichten.
Leichtfüßig lief das Mädchen durch die große Höhle, die sie ganz klein erscheinen ließ. Sie trug ein weißes Kleid, passend, zu ihren Haaren, und so Luftig leicht, als wäre es selber, fallender Schnee; ein leichter Schleier, wie aus Nebel oder leichten Rauch. Sie hatte keine Schuhe, sie hatte auch noch nie welche besessen, weswegen ihre Füße weh taten. Sie musste immer auf den spitzen und unförmigen Steinen und kalten Boden laufen, die ihr in die weiche Haut stachen. Eine richtige Hornhaut wollte sich einfach nicht auf den schmalen Fußsohlen bilden, weswegen sie den Schmerz einfach auszuhalten lernte - wobei der kalte Boden ihr wenigstens ein wenig Schmerzlinderung verschaffte.
Sie lief schnell zu einem der Häuser, die in diesem großen Loch - wie das Mädchen diesen Untergrund gerne nannte - gebaut wurden. Es war mit Fackeln hell erleuchtet, damit man auch alles gut erkennen konnte. Die Häuser waren alle recht groß, für die Lebensverhältnisse der dort lebenden Menschen. Dieses - in das das Mädchen gehen wollte - war eines der größten und direkt an einer Wand gebaut. Vielleicht würde man es als überflüssig bezeichnen können, aber es hatte neben der Tür mit ein wenig Abstand, zwei Fenster. Nur wurden diese nie geöffnet. Alles aus schönem, dunklem Holz, mit der Rinde. An den Stellen, wo alles zurechtgeschnitten wurde, hatten sie das helle Innere des Holzes durchgelassen.
Von draußen konnte sie schon ein entsetzliches Geschrei hören.
Sie öffnete die Tür, lief rein und sofort wurde es entsetzlich laut, dass sie sich vor Schreck am liebsten die davon betäubten Ohren zugehalten hätte. Nur konnte sie es leider nicht, aus mehreren Gründen.
Ein Unwohlsein erfüllte sie, wie sie es noch nie zuvor vernommen hatte.
„Hast du das Wasser geholt?“, wurde sie von einer älteren Frau mit weitaufgerissenen Augen gefragt. Ein wirklich einschüchternder Anblick, besonders, wenn man diese Frau noch etwas näher kannte.
Das Mädchen nickte. Vor dem Haus stand ganz in der Nähe ein Brunnen, aus dem sie es gerade so schaffte, Wasser zu schöpfen. Sie war eine sehr schwache und zierliche Person, die lieber nicht mit so schwerer, körperlicher Arbeit konfrontiert wurde.
Sie überreichte der Frau den Eimer, der ihr so hart aus der Hand gerissen wurde, dass sie glaubte, fast umzufallen. Die Frau hatte einen kräftigen Griff und konnte auch sonst nicht gerade als schwaches Weibsbild bezeichnet werden.
Schnell setzte sich das Mädchen auf die Bank, neben ein anderes Mädchen.
Die Kräuterfrau - die Frau, die so furchterregend war - half gerade bei einer Geburt, wie sie es recht häufig tat.
Die schwangere Frau schrie so entsetzlich. Ihr Kopf war ganz rot und sie war komplett mit Schweiß bedeckt. Sie trug ein weißes Kleid, das ihr bis zu den Knöcheln reichte, allerdings völlig durchnässt vom Schweiß und anderen Körperflüssigkeiten war.
„Du musst dich beruhigen“, sagte die Kräuterfrau etwas ruhiger zu der Schwangeren, welcher Tränen in den Augen standen und ihre Augenbrauen verzweifelt zusammengezogen hatte, aber diese fing nur noch schlimmer zu weinen an.
Das Mädchen zitterte. Solche Situationen überforderten sie. Egal wie oft sie schon in solch einer Situation dabei war, sie würde sich wohl niemals dran gewöhnen können. Sie musste dabei immer daran denken, was dabei geschehen könnte - und damit meinte sie nicht das Schöne daran, dass ein neues Leben entstand. Selbst wenn sie versuchte, an das Gute dabei zu denken, fielen ihre Gedanken dennoch immer wieder darauf zurück, was passieren würde, wenn etwas schieflaufen würde. Was dann mit ihr geschehen würde. Wie dann alle ihr gegenüber wären; wie sie sich alle ihr gegenüber verhalten würden.
Ihre hellen, betörend blauen Augen, die eine leichte Flieder Verzierung hatten, waren ganz voller Sorge. Die Kräuterfrau bemerkte ihren Blick, so wie das Zittern ihrer Hände, welches sie vor lauter Aufregung bekommen hatte. Den schnellen Herzschlag konnte die Frau allerdings nicht sehen. Begeistert sah das Kräuterweib davon nicht gerade aus.
„Was guckst du so, Mädchen? Mach dich lieber nützlich!“ Ihre Stimme klang wie immer ernst und streng, wenn sie mit dem Mädchen sprach. Obwohl das Mädchen neben dem helläugigen Mädchen genauso schockiert aussah und zitterte, wurde nur sie so angeschrien. Aber sie sagte nichts dagegen. Sie wollte sich nicht unbeliebter machen und anders als so, kannte sie es ohnehin nicht. Sie wusste ja bereits, was ihr dann nur gesagt werden würde. Den Ärger konnte sie sich wirklich gut sparen.
Die Menschen in dem Dorf mochten sie nicht. Denn sie konnte etwas, was die anderen nicht konnten. In ihrem Dorf gab es einst nur solche, wie sie, aber sie starben aus. Sie war die Letzte ihrer Art. Etwas ganz Besonderes also, was die Menschen eher als eine Art Fluch betrachteten. Vom Teufel geschickt. Satansbrut. Teufelsanbeterin und -untertanin. Es gab einst noch eine von ihrer Sorte, aber die Frau starb vor ihren Augen. Es war ihre Schwester, die sich für sie opferte. Eigentlich gab es noch eine: ihre Mutter. Allerdings war diese … naja …
Alle anderen in dem Dorf hatten braune Haare, obwohl sie auch dieses Gen in sich trugen. Ob durch den Kampf vor hundert Jahren ein Defekt entstanden war? Oder die Vermischung die einst zwischen den Gabenlosen und denen mit Gabe die Ursache war? Sie wusste es nicht, aber sie wusste, dass diese Frau, die sie so anschrie, noch einen Hauch dieser Macht in sich trug und benutzen konnte. Und das war auch der Grund, weshalb sie Hebamme wurde und eine ausgezeichnete Kräuterkundlerin - mal davon abgesehen, war sie auch die Einzige in dem ganzen Dorf, die Heilkundig war. Wobei sich das Mädchen auch einiges von der Kräuterfrau abgucken konnte. Aber das Mädchen konnte ihrer Meinung nach ganz klar sagen, obwohl die beiden diese Kraft verband, dass sie von dieser Frau nicht gemocht wurde. Ja schon regelrecht verachtet, wahrscheinlich sogar mehr als von den anderen Menschen aus dem Dorf. Die Frau hatte spitze Augen; sie durchbohrten das Mädchen regelrecht mit ihren Blicken. Wie ein lästiges Insekt, dass man gerne zu zertreten vermochte. Aber einen Grund konnte sich das Mädchen dafür einfach nicht zusammenreimen. Waren doch die beiden mit etwas so Wunderbaren gesegnet; hatte Gott ihnen beiden doch eine so unglaubliche Macht geschenkt. Da sollte eigentlich gar kein Hass entstehen können, aber da wurde sie eines Besseren belehrt. Aber bei niemandem konnte sie sich den Grund denken. Alle hassten sie. Freunde hatte sie nicht. Da war nur ein Junge, der manchmal nett zu ihr war. Dieser hatte noch einen Freund, der auch nett zu ihr war - da in ihren Augen nett jemand schon nett war, wenn er ihr nichts tat und sie auch nicht beleidigte oder dergleichen. Und so war dieser Junge. Er machte einfach nichts. Einen mochte sie ganz besonders gerne und das auch auf eine ganz besondere Art.
Aber waren sie auch ihre Freunde, nur weil sie zu ihr nett waren?
Nein, das glaubte sie nicht. Sie war alleine. Keine Freunde, keine Familie, kein … einfach nichts und niemanden.
Seit dem Tod ihrer Schwester, war sie völlig alleine. Sie lebte alleine, ganz Abseits von all den anderen. In einer kleinen Hütte, die gerade mal ein Bett, einen Schrank, Tisch und Stuhl und eine Kiste enthielt - das Nötigste zum Leben. Alles war sehr alt und das sah man den Möbeln auch an. Wenn sie nicht aufpassen würde, dann hätte sie sicher täglich neue Splitter, die sie nun wirklich nicht benötigte, bei der ganzen Arbeit, die sie zu erledigen hatte und die sie ohnehin schon völlig erschöpft und verletzt zurückließ. Für ihre schmerzenden Hände musste sie dann immer eine Salbe herstellen, wenn sie wieder leer war. Leinen musste sie auswaschen, da sie sich keine neuen leisten konnte und ihr auch sonst niemand welche freiwillig verkauft hätte (nur für den doppelten Preis, den die anderen im normalen Fall bezahlt hätten). Und ihre Hände waren oft voller Wunden; aufgescheuert, voller Kratzer und aufgerissener Haut, übersät mit Schlieren. Ihre Hände waren ständig voller Bandagen. Abends machte sie sich dran, über Nacht ließ sie sie dann dran und entfernte sie Frühs, um dann pünktlich zur Arbeit zu gehen.
Sie hatte für Licht nur eine kleine Öllampe, die auch nur den kleinen Tisch erhellte, an dem sie sonst immer so freudig mit ihrer (Mutter und) Schwester saß. Ihren Vater kannte sie nicht. Sie wusste nur, dass er im Krieg starb. Und ihre Mutter wurde immer trostloser, von der Trauer um ihren Geliebten geplagt.
Ihre Augen fielen ein, ihre sonst so seidigen Haare wurden stumpf und ihre Nägel, die so schön glänzten, wurden spröde. Sie bekam Falten auf ihrer sonst so reinen Haut. Und auch geistlich sah es mit ihrem Aussehen ähnlich aus.
Sie saß nur noch an dem kleinen Holzfenster und starrte hinaus, als würde sie auf etwas warten. Vielleicht hatte sie ja auf ihren Tod gewartet. War der Tod ein schönes, helles und warmes Licht? Ihre Mutter sprach immer von so einem, wenn sie aus dem Fenster sah. Wie es doch alles erhellen würde, dabei sah das Mädchen nur die ewige Finsternis, die unter der Erde herrschte und besonders in ihrem Eck, da niemand in ihrer Nähe leben wollte. Und wo kaum jemand lebte, da wurde auch kaum ausgeleuchtet.
Eines Tages, schaffte es ihre Mutter nicht mehr zum Fenster. Sie war zu schwach, da sie ihre Gesundheit völlig ignoriert hatte; die Anzeichen ihres Körpers völlig ignoriert hatte. Aber dennoch äußerte sie ihren letzten Wunsch. Sie wolle, dass das Fenster geöffnet werden würde. Und das tat sie auch. Und da tauchte ein letztes Lächeln auf dem Gesicht ihrer Mutter auf, so friedlich, als hätte sie endlich ihren Frieden gefunden. Und dann war ihre Mutter tot, und das Mädchen mit ihrer Schwester allein.
Das Mädchen musste an einen Abend denken, als sie mit ihrer Schwester einige Zeit nach der Beerdigung (sie hatten eigenhändig ein Grab geschaufelt und ihre Mutter mit aller Kraft hineingehievt und zugeschüttet) ihrer Mutter, am Esstisch saßen. Ihre Schwester wirkte so nervös, wie noch nie zuvor. Allgemein kannte sie ihre Schwester eher als eine sehr ruhige und liebenswerte Person, doch je schlimmer es um ihre Mutter stand, umso unruhiger wurde sie. Das Mädchen dachte erst, dass es mit dem Tod ihrer Mutter zu tun haben würde, allerdings war dem so nicht - oder zumindest nicht ganz deswegen.
Immerzu spielte sie an ihrem Kleid (ein genauso weißes und leichtes, wie es das Mädchen und auch ihre Mutter trugen, die Kleidung der Lichtzauberer) rum oder machte seltsame Überkreuzungen mit ihren Fingern.
„Hör mal“, fing sie damals an zu sagen, als würde sie sagen wollen, dass es Zeit war, einen Mann zu finden und zu verschwinden - wodurch auch das Mädchen ganz unruhig wurde.
Wie sollte sie es schaffen, ohne ihre Schwester zu überleben? Hätte sie gewusst, was ihre Schwester damals eigentlich sagen wollte, sie hätte diesen Gedanken nicht annähernd so schlimm empfunden. Wahrscheinlich hätte sie sogar noch Luftsprünge gemacht und hätte vor Freude getanzt. Sie hätten zusammen wieder glücklich werden können, ganz bestimmt. Und Verehrer hätte ihre Schwester bestimmt gefunden, obwohl ihre Gabe als Fluch angesehen wurde. Ihre Schwester war wunderschön, auch so wurden ihr oft verstohlene Blicke von jungen und auch alten Männern zugeworfen. Eine Heirat wäre also - trotz allem - möglich gewesen. Ihre Schwester hätte geheiratet und Kinder bekommen. Ob das Mädchen allerdings dann noch ein Teil der Familie gewesen wäre? Der Mann ihrer Schwester hätte bestimmt etwas dagegen gehabt. Allerdings würde ihre Schwester sicherlich niemanden heiraten, der nicht auch ihre Schwester zumindest duldet. Das wäre sicher eine ihrer Bedingungen gewesen.
Lauter solcher Gedanken flogen in dem Kopf des Mädchens rum, ob sie denn nun eine neue Familie bekommen würden. Aber dem war nun mal nicht so. Und das musste sie leider akzeptieren. Und auch das was danach kam.
„Ja? Was ist denn?“, fragte das Mädchen und steckte sich noch ein Stück trockenes Brot in ihren Mund. Sie versuchte so zu tun, als würde es ein ganz normales Gespräch werden, obwohl sie vor Aufregung beinahe das Gefühl bekam zu platzen. Ihre Stimme und ihren Ausdruck konnte sie gut unter Kontrolle behalten, wie lange, wusste sie allerdings nicht, denn sie wurde mit jeder Sekunde aufgeregter und würde daher sicherlich jeden Moment zu zittern beginnen.
„Es gibt da etwas Wichtiges, über das ich mit dir reden muss. Ich weiß es schon eine ganze Weile und wusste einfach nicht, ob ich es dir sagen sollte. Aber jetzt halte ich es wohl für sehr wichtig - wenn nicht sogar für das Wichtigste. Denn es wird bald hier sein. Und ich weiß, du wirst Angst haben und ich verspreche dir, dass ich dich mit meinem Leben beschützen werde. Aber ich finde es wichtig, sehr wichtig sogar, dass du es erfährst. Und du hast auch ein Recht darauf. Vielleicht kannst du dich ja doch irgendwie darauf vorbereiten oder dir irgendwas ausdenken, um dich davor zu beschützen.“
„Was meinst du? Worum genau geht es denn? Du redest mir ein wenig zu Rätselhaft.“ Ihre Aufregung war verschwunden, stattdessen war sie eher verwundert. Wahrscheinlich hatte sie bereits ein Gefühl, dass dieses Gespräch in eine ganz andere Richtung gehen würde, als sie erwartet hatte.
Sie sah ihre Schwester einfach nur mit einer hochgezogenen Augenbraue an und wartete darauf, dass sie deutlicher wurde.
Ihre Schwester seufzte, sie schien selber nicht richtig zu wissen, wie sie es dem Mädchen beibringen sollte. „Dir ist doch klar, dass wir die letzten Lichtzauberinnen sind?“
„Ja.“
„Und auch, weshalb.“
„Ja. Der Krieg und danach die Vermischung mit Nichtzauberern - und wahrscheinlich noch ein Gendefekt. Das hat zur Massenausrottung von diesem – unserem - Zauber geführt.“
Ihre Schwester nickte zustimmend, sah allerdings eher in ihren eigenen Gedanken versunken aus. Das Mädchen dachte bereits, dass ihre Schwester sie gar nicht richtig wahrgenommen hätte und wollte wieder das Wort ergreifen, doch da kam ihr ihre Schwester schon zuvor. „Das ist wahr. Sie alle können es nicht, was wir können, obwohl sie auch von Lichtzauberern abstammen. Aber vielleicht wird genau deswegen das nicht hinter ihnen her sein, was hinter uns her ist. Deswegen werden sie sicher in Frieden weiterleben können und nur wir werden uns fürchten müssen, um unser Leben Angst haben.“
„Kannst du mir jetzt bitte mal verraten, was los ist? Du redest so umschweifend. Damit kann ich nichts anfangen! Sag doch einfach was los ist, statt andauernd in Rätseln zu reden!“ Sie hatte ihre Stimme mehr gehoben, als sie eigentlich vorhatte, doch das war dann auch unwichtig. Sie wollte einfach nur wissen, was los war und nicht noch länger zurückgehalten werden. Ihre Stimme spiegelte sich in ihrem Blick wider, so böse wie sie guckte.
Entweder ganz oder gar nicht, sonst braucht sie es auch gar nicht erst zu versuchen, mir davon mitzuteilen.
Was ihr danach offenbart wurde, ließ sie Weiß wie eine Wand werden. Der Schock stand ihr klar in den Augen geschrieben und sie fing zu zittern an. Ein Zittern, dass so unglaublich stark wurde, dass es nicht mehr zu kontrollieren war. Tränen stiegen ihr in ihre Augen.
„Was?“, fragte das Mädchen mit weinerlicher Stimme ihre Schwester. „Meinst du das ernst? Du kannst das doch gar nicht ernst meinen. Du warst doch schon immer eine Komikerin, auch, wenn deine Witze nie sonderlich gut waren. Aber der ist jetzt wirklich unter aller Sau! Völlig unter deiner Würde!“ Die Angst wich und stattdessen wurde sie aufgebracht, doch ihre Schwester blieb ruhig auf ihrem Stuhl sitzen, so wie die ganze Zeit auch schon.
„Das ist kein Scherz, auch wenn ich wünschte, dass es einer wäre. Aber leider ist dem so nicht.“
Das Mädchen sah ihre Schwester mit großen Augen an. Ihr Blick fiel auf den Boden. Und das Mädchen ließ darauf ebenfalls ihren Kopf hängen.
So hatte sie ihre Schwester noch nie gesehen, so trostlos und verletzlich, also musste sie es ernst meinen.
Das Mädchen ließ ihre Schultern sinken und sackte in ihrem Stuhl zusammen. Die Trostlosigkeit ihrer Schwester färbte auf sie selber ab.
„Können wir irgendwas dagegen tun?“, fragte das Mädchen ganz leise, dass sie schon glaubte, dass ihre Schwester es nicht hören würde.
„Wir können nur kämpfen. Aber ich weiß nicht, ob wir es auch überleben können. Das werden wir erst erfahren, wenn es so weit ist. Also können wir nur hoffen, dass wir stärker, als dieses Ding sind. Und dann gibt es ja noch ein danach, falls wir es wirklich überleben sollten.“
„Und wenn dem nicht so ist, wenn wir sterben? Und was meinst du mit einem danach? Dann leben wir eben ganz normal weiter.“ Sie sah wieder zu ihrer Schwester, völlig Verständnislos, da sie nicht verstehen konnte, was sie damit meinen könnte.
„Dann müssen wir uns auf das Schlimmste gefasst machen. Denn selbst, wenn wir es schaffen, die Menschen aus dem Dorf werden uns dann noch mehr verachten und wer weiß, ob sie dann nicht zu unserem neuen Feind werden. Zu einem richtigen Feind und nicht das, was sie ohnehin schon für uns sind.“
• • •
Auf das Schlimmste hatten sie sich damals wirklich gefasst gemacht. Und das Schlimmste war auch eingetreten. Ihre Schwester hatte sie gewarnt, dass sie wieder von einer Schattenzauberin angegriffen werden würden, die über alle und alles herrschen wollte. Sie bereiteten sich auf den Kampf vor. Aber dass es so schlimm werden würde, das hätte das Mädchen nicht gedacht. So etwas hatte sie wirklich noch nie in ihrem Leben gesehen. Niemand hatte das. Abgesehen von ihrer Mutter, die einst in einer Schlacht kämpfte, mit ihrem Geliebten, bei der auch die letzten ihrer Art getötet wurden. Ihrer ältesten Tochter erzählte sie von dieser Schlacht und warnte sie vor dem, was eines Tages auch sie ereilen würde.
Eines Nachts, war es dann so weit, leider. Sie schliefen, auch wenn es kein richtiger Schlaf war. Seit sie davon erfahren hatten, konnten sie nämlich nicht mehr richtig schlafen. Sie waren immer eher in einer Art Halbschlaf, besonders gut war das für die beiden nicht - körperlich wie auch psychisch.
In dieser Nacht schliefen sie auch mit einem Auge offen, völlig übermüdet, aber mit zu großer Sorge gefüllt, dass sie nicht richtig schlafen konnten.
Als es so weit war, wurden sie schnell durch den tosenden Wind wach, der um alle Häuser herrschte. Wie ein wütendes Unwetter - nur kannten diese Menschen kein Unwetter, sie kannten im Allgemeinen kein Wetter. In der Höhle kam nichts an, nur durch den Riss an einer Stelle der Decke konnten sie erahnen, was draußen vor sich ging. Durch diesen Riss kam auch das Wesen, das es nicht geschafft hätte, ins Innere zu gelangen, wenn er nicht dagewesen wäre.
Die Vorfahren dieser Menschen hatten sich diese Höhle gesucht, um alle vor diesen Wesen zu schützen. Sie belegten die Höhle mit einem Schutz, doch über die Zeit entstand dieser Riss und der Schutz bekam dadurch ebenfalls einen Schwachpunkt.
Die anderen Menschen wurden auch von dem ungewohnten Geräusch wach, das wie eine böse Vorwarnung klang und im Inneren der Menschen sofort die Alarmglocken losklingeln ließ.
Direkt brach eine Massenpanik aus, als sie die riesigen Schatten sahen, die die kleinen Häuser für Puppen hätten nutzen können. Ihre Fratzen waren unerträglich. So böse und belustigt, dass es einem kalt den Rücken runterlief.
Laut fingen alle zu schreien an, rannten wild durcheinander und suchten nach Versteckmöglichkeiten.
Das Mädchen schreckte hoch, sprang aus ihrem Bett, lief an die Tür und öffnete sie, erstarrte jedoch sogleich. Sie wollte wegrennen, aber ihre Füße wollten sich einfach nicht bewegen. Als wären sie Wurzeln, die sich ganz tief in die Erde gegraben und mit allem anderen, was es da sonst noch so gab, verwurzelt hatten. Sie konnte nur mit ofenstehendem Mund zusehen, wie die Schatten nach Menschen griffen, ganz egal, welches Alter oder Geschlecht.
Diese Opfer versuchten sich zu wehren, zu treten und zu schlagen, sich aus dem festen Griff zu befreien, aber nichts half. Sie wurden einfach zu den riesigen Mündern der Schatten gebracht und dann schrien sie laut. Es wirkte so, als würden sie ihnen irgendwas aussaugen. Die Schatten ließen die Menschen danach einfach wieder fallen, als hätten sie das Interesse an ihrem neuen Spielzeug verloren und die Menschen wurden starr und still, als wäre nie etwas wie Leben in ihnen gewesen. Je öfter der Schatten das jedoch machte, umso größer wurde er.
Dem Mädchen brach der Angstschweiß aus und sie fing zu zittern an.
Das Geschrei der Menschen wurde immer lauter, obwohl es immer weniger wurden. Alles hatte vielleicht ein paar wenige Augenaufschläge gedauert, aber das Chaos war verheerenden groß. Als sie bereits dachte, dass alles aus wäre - was viele andere ebenfalls dachten -, ertönte plötzlich aus dem Nichts ein lieblicher Gesang.
Ein Schatten wollte sich gerade eine Frau nehmen, die weinend am leblos wirkenden Körper ihres Mannes lag, neben ihr ihr weinendes Kind. Sie schüttelte den Körper, doch nichts passierte.
Als alle den Gesang hörten, wurde es schlagartig still. Jede einzelne Person versuchte die Quelle des Gesangs ausfindig zu machen. Es klang so wunderschön, so bezaubernd, so ... als ob es von einem Engel kam. Nein, es musste einfach ein Engel sein, so etwas wunderschönes konnte doch von sonst nichts kommen, außer von einem Wesen, das Gott höchstpersönlich geschickt hatte.
Da war sie, auf der Spitze eines Felsen, von dem aus man das ganze Dorf im Blick hatte. Die Schatten hatten sich gewunden, bei dem Gesang tat ihnen alles weh. Als würden sie zerquetscht werden. Ein schreckliches Gefühl. Diese Schmerzen ließen sie schrumpfen, noch kleiner, als sie vorher bereits waren. Nun waren sie es, die schrien und nicht mehr die Menschen.
Manche Menschen standen wieder auf, alles um sich herum völlig vergessend: die Toten, die Schatten, all das Chaos.
Je kleiner die Schatten wurden, umso lauter schrien sie.
Doch obwohl es so schien, als würden nun sie diejenigen auf der Siegerseite sein, wurde das Mädchen dieses unwohle Gefühl im Magen nicht los.
Da erblickten sie das Mädchen, wie es in dem Eingang ihres Heimes stand. Genau, was sie die ganze Zeit gesucht hatten. Das Mädchen fragte sich nur, wie ihre Schwester da hinkam, ohne dass sie etwas bemerkt hatte, und achtete nicht weiter darauf, was da mit schnellen dämonischen Schritten auf sie loskam. Aber ihre Schwester merkte es.
Der Gesang stoppte, stattdessen funkte ein helles Licht auf, das wie ein Blitz durch die Höhle ging. So grell und strahlend, dass sich alle ihre Arme schützend vor die geblendeten Augen hielten.
Erst da, kam das Mädchen Gedanklich in die Realität zurück und bemerkte was da auf sie zu kam.
Es wäre zu spät gewesen, wenn der Lichtschein nicht vor ihr gehalten hätte und sie nach hinten stieß. Der Schatten war kurz geblendet und schrie entsetzlich vor Schmerzen auf, doch er hatte bereits seine Krallen ausgefahren.
Er tötete sie, ohne es zu merken, denn er verschwand sofort; zerstört vom Licht.
Erst als ihre Schwester zu Boden fiel und Blut spuckte, realisierte sie, was da vor ihren Augen geschehen war.
Schnell kroch das Mädchen zu ihrer Schwester und griff nach ihrer Hand, die schnell an Wärme verlor. Das Gefühl des kälter werdenden Körpers ließ das Mädchen erschaudern und erschrocken zusammenzucken. Was ein schreckliches Gefühl, so Angst einjagend, so einschüchternd. Dem Tod so nahe.
Dem Tod.
Die Augen des Mädchens wurden größer, als sie realisierte, was dieses Gefühl zu bedeuten hatte. Tränen drangen so zahlreich in ihre Augen, dass sie es nicht einmal annähert schaffte, sie unter Kontrolle zu bringen.
„Es tut mir leid. Es tut mir so leid. Hätte ich nicht-“, weinte das Mädchen, wurde jedoch von ihrer Schwester unterbrochen.
„Warum sollte es dir leidtun? Ich habe dir doch gesagt, dass ich dich mit meinem Leben beschützen werde. Und das habe ich auch. Und darüber bin ich froh.“ Das sprechen fiel ihr schwer, dennoch ließ sie es sich nicht anmerken. „Ich liebe dich und ich werde da oben mit Mutter und Vater auf dich warten. Dann werde ich beide endlich wiedersehen. Denk dran, dass ich dich liebe. Über alles, meine wunderbare kleine Schwester. Vergiss mich nicht.“
Mit ihrer blutigen Hand umfasste sie das Gesicht des Mädchens. Auch aus ihrem Mund drang nun Blut. Ihre Organe wurden von dem Schatten zerschnitten. Von außen konnte man nichts sehen, aber in ihrem Körper sah es grausam aus. Es war nur ein kurzer Moment, ehe die Hand zu Boden fiel und das blutige Lächeln auf ihrem Gesicht versiegte.
Das Mädchen konnte ihrer Tränen nicht mehr Herrin werden. Furchtbar fing sie zu weinen an, dass es sich schon beinahe wie Schmerzensschreie anhörte.
Doch sie konnte ihrer Trauer nicht lange ihren Lauf geben, denn es kamen bereits einige Leute auf sie zu, die nicht gerade begeistert aussahen.
Sie dachte, dass sie ihr vielleicht helfen und Beistand, so wie Trost schenken wollten, aber dem war nicht so. Und das merkte sie auch recht schnell, als sie die Ausdrücke auf den Gesichtern der Menschen erblickte.
„Ihr habt Leid über uns gebracht!“, schrie eine Frau sie an.
„Was?“, fragte das Mädchen ganz ungläubig. Sie verstand nicht recht, was die Frau meinte. Es stimmte zwar, dass die Wesen hauptsächlich hinter ihnen her waren, doch ihre Schuld war es dennoch nicht. Immerhin waren die anderen auch vom Lichtzauberstamm Nachfahren.
„Ihr seid mit dem Teufel im Bunde. Ihr habt das über uns gebracht!“
Durch die Vermischung mit den Nichtzauberern, kam es zu einer Glaubensübergreifung. Sie waren alle sehr christlich geprägt. Das Mädchen selber glaubte an Gott, so wie auch all die anderen im Dorf - oder zumindest fast alle. Ein paar wenige hatten auch noch andere Götter, an die sie glaubten. Ihre Mutter glaubte ebenfalls an noch ein paar andere. Daher wurden sie und ihre Schwester immer so angesehen, dass sie dem Satan unterwürfig waren.
Das Mädchen versuchte sich und ihre Schwester zu verteidigen, auch wenn ihr bereits klar war, dass ihr niemand glauben würde. Aber nun, wo ihre Schwester tot war, wollte sie wenigstens ihre Überreste vor den Gehässigkeiten und der Boshaftigkeit dieser Menschen schützen. Besonders nachdem, was sie für all diese Menschen getan und was sie dafür alles verloren hatte. Ihre sonst immer so demonstrative Schüchternheit schien wie weggepustet und ein tiefer Zorn machte sich in ihr breit. Wie diese Menschen es nur wagen konnten so über ihre Schwester zu reden, als wäre sie einfach nur irgendein Abschaum gewesen, den es zu bestrafen galt. Ihre Stimme war fest, ihr Ton erbost. „Das stimmt nicht! Meine Schwester hat viele von euch gerettet!“
„Unsere Liebsten in den Tod zu schicken, das nennst du retten? Welch ein Glück, dass sie jetzt bei ihrem Herrn und Gebieter dem Satan ist!“
Es war ja klar, dass sie mir nicht glauben wollen. Aber sie haben doch selber alle gesehen, was geschehen ist, was sie getan hat. Warum reden sie dann etwas derartiges? Sind ihre Herzen denn wirklich so verpestet, so schwarz wie diese Schatten, dass sie nicht einmal mehr die Wahrheit erblicken können?
„Nein. Sie geht zu Gott. Gott liebt sie, denn sie hat viele von euch zurück ins Leben gerufen, hat alle mit ihrem Leben beschützt. Und Gott hat sie gesegnet, sie zu einem seiner Engel gemacht, die auf die Erde geschickt wurden, um die Menschen zu beschützen.“
„Welche Lügen verbreitest du hier? Solch jemand würde den Herrn niemals zu Gesicht bekommen. Und dann noch ihr Gesang! Direkt aus der Hölle. Hat uns versucht damit zu verführen, wollte uns damit ebenfalls direkt in die Hölle schicken. Unsere Seelen sollten unseren Körper verlassen und von dem Dunklen Diener des Dunklen Herrschers aufgesaugt werden.“ Die Frau redete sich bereits in Rage und das Mädchen hatte bereits die Befürchtung, dass sie sich nicht mehr einbekommen würde, wenn sie sie nicht unterbrach.
„Das stimmt doch gar nicht. Damit konnte sie die bösen Geister vertreiben. Solch schöne Klänge können gar nicht aus der Hölle kommen, dazu ist nur Gott fähig! Gott und seine Engel. Und seht doch nur selber, wie sie die Dunklen Schatten vernichtet und sich selber aufgeopfert hat.“
„Warum verschwanden die Dämonen dann mit ihrem Tod, wenn sie nicht die Herrin über sie war?“
„Wegen dem Licht, das Gott ihr gab. Habt ihr dieses schöne Licht denn gar nicht gesehen? Habt ihr nicht gesehen, wie sie den Schatten damit zerstört und uns alle gerettet hat?“ Ihre Stimme klang sanft und mit Gestiken - eine Hand legte sie auf ihre Brust, da wo ihr Herz lag und die andere streckte sie von ihrem Körper weg - versuchte sie die Menschen mitzureisen, die allen Anschein nach auch kurz davor waren, ihren Worten Glauben zu schenken, wenn nicht diese Frau dagewesen wäre.
„Welch ein Geschwätz erzählst du uns da? Fülle unsere Köpfe nicht mit Lügen, dafür wird Gott dich strafen und richten. Du wirst in die Hölle gehen, wie diese Hexe. Solch ein Aussehen, das kann nur aus der Hölle kommen. Lässt die Männer sündigen, durch ihre betörende und einnehmende Art. Nicht mehr als eine Hure war sie, die sich den Männern nur zu gerne hingegeben hätte und um dich wird es eines Tages genauso stehen. Eine Sünde, eine Prüfung, die es zu bewältigen gilt.“
Entrüstet sah sie die Frau an. Wie konnte sie es wagen ihre Schwester als Hure zu bezeichnen, solch lästerlichen Worte über eine Tote zu äußern und sie damit zu verhöhnen?
Wieder drang ihr Zorn an die Oberfläche. „Nein. Sie sieht aus wie ein Engel. Sie ist von Anfang an für den Himmel bestimmt gewesen. Nie war sie eine Hure, immer nur eine Heilige, unbefleckt bis zum Schluss. Selbst in ihrem Tod sieht sie noch wunderschön und friedlich aus. Wie ein Engel eben nur kann.“
„Deine Lügen hören wir uns nicht länger an. Du bist ein Dämon direkt aus der Hölle, so wie sie es war und deine Mutter! Welch Glück uns doch beschert wird, wenn dann auch du endlich zurück in die Unterwelt verbannt wirst.“ Diese Worte schockierten sie zutiefst. Wie konnte man nur so geblendet sein? Wie konnte man nicht sehen, wo es so viel zu sehen gab? Wie konnte man nur freiwillig in solch einer riesigen Lüge leben?
„Aber wir sind doch alle derselbe Stamm. Ihr wisst doch, dass wir von Gott geschickt wurden. Er hatte uns einst diese Gabe gegeben. Seine Engel waren unsere Vorfahren. Gesegnet mit dem Licht des Himmels.“ So wurde es immer übermittelt. Sie selber hatten zwar nie wirklich den Himmel gesehen, abgesehen von der Felsspalte, allerdings sah angeblich das Licht des Himmels aus, wie das Licht, welches die Lichtzauberer erschaffen konnten. Das Mädchen fragte sich, ob diese Menschen die Legenden um diesen Zauber bereits längst vergessen hatten, oder es zumindest wollten.
„Welche Hirngespinste willst du uns in den Kopf setzen? Du bist doch die Einzige, die noch dieses teuflische an sich hat. Ein Fluch, von dem wir anderen dank Gottes Beistand schon lange erlöst wurden.“
„Doch nur, weil meine Linie nicht von Nichtzauberern übernommen wurde. Ihr seid die Mischlinge, die keine Anrechte mehr auf diese Gaben haben. Gott steht somit mir bei und nicht euch Unwürdigen.“ Ganz recht, so war es und nicht anders. Diese Menschen waren Unwürdige. Sie sollten eigentlich so grausam behandelt werden und nicht das Mädchen. Doch Gott würde ihnen schon ihre gerechte Strafe zuteilen und das Mädchen als Belohnung, dafür, dass sie all diese Gemeinheiten ertragen hatte, in das Paradies schicken. Dann würde sie es sein, die so gehässig grinsen würde.
„Du willst dies eine Gabe nennen? Etwas, das uns alle beinahe den Untergang geweiht hätte. Hau lieber ab, bevor es noch böse mit dir endet, so wie es eigentlich sein sollte. Wir wissen nämlich nicht, wie lange wir noch jemanden derartiges unter uns ertragen und dulden können.“ Mit diesen abschließenden Worten, verschwanden die Menschen und ließen sie zurück.
Sie saß da, alleine mit dem Leichnam ihrer Schwester - der nun völlig kalt war und langsam steif wurde -, ohne Trost oder Mitgefühl. Eine innere Leere, die sich durch ihre Eingeweide fraß. Ihr weißes Kleid bereits völlig mit dem Blut ihrer Schwester gedrängt.
Zittrig schob sie ihre Schwester beiseite, stand auf, holte sich einen langen und dicken Stock (da sie keine Schaufel hatte) und fing an, ihn in eine weiche Stelle des Bodes zu stecken, direkt neben die Stelle, wo ihre Mutter bereits begraben war. Sie hob ein Loch aus und versuchte ihre Schwester hinein zu legen. Es war schwierig, denn sie war größer, als das Mädchen gewesen und damit auch etwas schwerer.
Sie suchte nach etwas Grünem und nach langem Suchen, fand sie auch etwas. Sie legte es in das Grab ihrer Schwester. Beide Hände lagen auf ihren Bauch und ihr Gesicht sah ganz friedlich aus. Ihre Haare lagen sanft verteilt auf dem dunklen Boden. Sie war eine sehr blasse Person gewesen, weswegen das Mädchen dachte, dass sie nicht noch heller werden konnte, doch ihr Blutverlust und der Kontrast zur dunklen Erde belehrten sie eines Besseren.
Ihre Schwester wollte schon immer die Welt da oben sehen, doch da gab es bereits keinen Ausgang mehr - dieser wurde nämlich zum Schutz, vor vielen Jahren, verschlossen und niemand wusste mehr, wo er lag. Und selbst, wenn man direkt vor ihm stehen würde, könnte man es nicht erkennen, so gut war er getarnt. Wenn niemand hineingelangen sollte, sollte immerhin auch niemand hinausgelangen. So war es am besten für alle. Galt das auch für die Toden; für ihre Seelen? Ob sie nun, wo sie tot war hinauskonnte? Hinausgehen und alles sehen?
Tränen flossen ihre Wangen hinab. Sie schwor sich, sie würde nie jemandem so an sich ranlassen; sie würde niemals jemanden je wieder so nahekommen, wie es bei ihrer Schwester der Fall war. Sie würde mit niemandem eine so starke Bindung aufbauen, wie zu ihrer Schwester. Niemals. Und sie würde die Welt da oben sehen. Eines Tages.
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„Was soll ich denn machen?“, fragte das Mädchen ein wenig überfordert. Bei Geburten bekam sie immer Angstzustände. Sie ertrug auch die Schreie der Frauen nie. Sie klangen so qualvoll, als wäre es nicht das schönste der Welt - wie immer behauptet wurde - sondern das Allerschrecklichste, was ein riesiger Fehler war und es deswegen zu bereuen galt.
„Hol lieber noch mehr Wasser. Ein Kind, das dazu noch gerade neu auf die Welt kommt, soll nicht von einem Kind wie dir geplagt werde. Und das Wasser ist wichtig, damit es im Anschluss gewaschen werden kann, sowie die Mutter.“
Das Mädchen sprang schnell auf, nahm sich einen leeren Eimer und stürmte hinaus. Sie spürte eine so große Erleichterung. Da wollte sie wirklich nicht länger drinbleiben. Das Geschrei und all das Blut. Es erinnerte sie jedes Mal an damals. Sie hielt es einfach nicht aus. Und dann noch dieser schreckliche und erdrückende Geruch.
Sobald sie aus der Tür war, füllte sie ihre Lungen mit der schönen kühlen und frischen Luft (so frisch die Luft in einer Höhle eben sein konnte).
Sie ließ sich möglichst viel Zeit und sprang schwebend über die Steine hinweg. Auf den größeren und glatteren Steinen sprang sie einbeinig abwechselnd hin und her. Sobald sie an dem Brunnen angekommen war, warf sie den Eimer hinein und zog ihn wieder heraus, als er bis oben hin gefüllt war. Kaltes Wasser, das ihr Spiegelbild in dem schweren Licht beherbergte. Das wenige Flackern der Flammen am Haus, ließ es glitzern. Sie musste den Eimer mit beiden Händen umgreifen, so schwer fand sie ihn. Wasser spritzte umher, als sie den Eimer nach unten schwingen lies. Ein paar Tropfen fielen auf ihre Füße, was sie ganz zappelig machte. Ein kaltes und unangenehmes Gefühl. Sie versuchte das Wasser an ihrem Kleid abzustreifen, verlor dabei allerdings beinahe ihr Gleichgewicht. Gerade so, fing sie sich wieder, bevor sie umfiel und den kompletten Inhalt über sich ergießen konnte.
Sie stapfte los und versuchte dabei die Tropfen ab zu schütteln, die bei ihrem kläglich gescheiterten Versuch nicht abgegangen waren, und dennoch ihr Gleichgewicht zu halten.
Was die Leute wohl wieder über sie gesagt hätten, wenn sie sie gesehen hätten? Allerdings konnte sie niemanden in ihrer Umgebung ausmachen, nur die Dunkelheit. Davon abgesehen, wurde sie ja eh von allen gemieden, weswegen auch alle mieden, in ihrer Umgebung zu sein - und die Leute wussten, dass sie oft bei der Kräuterfrau half, weswegen dieses Haus besonders gemieden wurde.