Black Sun – Die Kongo-Operation - Wilbur Smith - E-Book
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Black Sun – Die Kongo-Operation E-Book

Wilbur Smith

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Beschreibung

Ein nervenaufreibender Kampf ums Überleben … Der Kongo in den politischen Wirren der Unabhängigkeitsbewegung: Ein zusammengewürfelter Söldnertrupp unter der Führung des ehemaligen Rechtsanwalts Bruce Curry erhält den Auftrag, die Bewohner einer Minenstadt in Sicherheit zu bringen, die von Aufständischen eingeschlossen wurde. Doch die Ereignisse überschlagen sich, als klar wird, dass die Diamantenvorräte der Stadt das eigentliche Ziel der Mission sind. Von jeglicher Verstärkung abgetrennt, müssen sich die Männer zwischen richtig und falsch entscheiden. Es dauert nicht lange, bis Curry in der Stadt etwas findet, das noch wertvoller ist als Diamanten – etwas, für dessen Schutz er alles tun würde. Und er entdeckt, dass seine tödlichsten Feinde diejenigen sein könnten, die ihm am nächsten stehen... »Bei Wilbur Smith wartet die Action auf jeder Seite!« The Independent Der packende Action-Thriller »Black Sun – Die Kongo-Operation« von Bestseller-Autor Wilbur Smith wird alle Fans von Clive Cussler, Don Winslow und des Filmklassikers »Apocalypse Now« begeistern!

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Seitenzahl: 447

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über dieses Buch:

Der Kongo in den politischen Wirren der Unabhängigkeitsbewegung: Ein zusammengewürfelter Söldnertrupp unter der Führung des ehemaligen Rechtsanwalts Bruce Curry erhält den Auftrag, die Bewohner einer Minenstadt in Sicherheit zu bringen, die von Aufständischen eingeschlossen wurde. Doch die Ereignisse überschlagen sich, als klar wird, dass die Diamantenvorräte der Stadt das eigentliche Ziel der Mission sind. Von jeglicher Verstärkung abgetrennt, müssen sich die Männer zwischen richtig und falsch entscheiden. Es dauert nicht lange, bis Curry in der Stadt etwas findet, das noch wertvoller ist als Diamanten – etwas, für dessen Schutz er alles tun würde. Und er entdeckt, dass seine tödlichsten Feinde diejenigen sein könnten, die ihm am nächsten stehen...

Über den Autor:

Wilbur Smith (1933–2021) wurde in Zentralafrika geboren und gehört zu den erfolgreichsten Schriftstellern der Gegenwart. Der Debütroman seiner Jahrhunderte umspannenden Südafrika-Saga um die Familie Courtney, begründete seinen Welterfolg als Schriftsteller. Seitdem hat er über 50 Romane geschrieben, die allesamt Bestseller wurden, und in denen er seine Erfahrungen aus verschiedenen Expeditionen in die ganze Welt verarbeitete. Seine Bücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und mehrfach verfilmt. Wilbur Smith starb 2021 in Kapstadt im Kreise seiner Familie.

Die Website des Autors: www.wilbursmithbooks.com/

Der Autor bei Facebook: www.facebook.com/WilburSmith/

Der Autor auf Instagram: www.instagram.com/thewilbursmith/

Die große Courtney-Saga des Autors um die gleichnamige südafrikanische Familie erscheint bei dotbooks im eBook. Der Reihenauftakt »Das Brüllen des Löwen« ist auch als Hörbuch bei SAGA Egmont erhältlich.

Die große Ägypten-Saga über den Eunuchen Taita ist bei dotbooks als eBook erhältlich. Der Reihenauftakt »Die Tage des Pharao« ist auch als Hörbuch bei SAGA Egmont erhältlich.

Außerdem bei dotbooks erschienen der Abenteuerroman »Der Sonnenvogel« sowie die Action-Thriller »Greed – Der Ruf des Goldes«, »Blood Diamond – Tödliche Jagd«, »Das Elfenbein-Kartell« und »Atlas – Die Stunde der Entscheidung«. Weitere Bände in Vorbereitung.

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eBook-Neuausgabe Februar 2025

Die englische Originalausgabe erschien erstmals 1968 unter dem Originaltitel »The Dark of the Sun« bei William Heinemann Ltd., London. Die deutsche Erstausgabe erschien 1969 unter dem Titel »Schwarze Sonne« im Paul Zsolnay Verlag.

First published in 1968 by William Heinemann Ltd.

Copyright © Wilbur Smith 1968

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1969 Paul Zsolnay Verlag Gesellschaft mbH, Wien und Darmstadt

Copyright © der Neuausgabe 2025 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von AdobeStock/Ruslan Shevchenko, comicsan

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (mm)

ISBN 978-3-98952-498-9

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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13, 4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/egmont-foundation. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!

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Bei diesem Roman handelt es sich um ein rein fiktives Werk, das vor dem Hintergrund einer bestimmten Zeit spielt oder geschrieben wurde – und als solches Dokument seiner Zeit von uns ohne nachträgliche Eingriffe neu veröffentlicht wird. In diesem eBook begegnen Sie daher möglicherweise Begrifflichkeiten, Weltanschauungen und Verhaltensweisen, die wir heute als unzeitgemäß oder diskriminierend verstehen. Diese Fiktion spiegelt nicht automatisch die Überzeugungen des Verlags wider oder die heutige Überzeugung der Autorinnen und Autoren, da sich diese seit der Erstveröffentlichung verändert haben können. Es ist außerdem möglich, dass dieses eBook Themenschilderungen enthält, die als belastend oder triggernd empfunden werden können. Bei genaueren Fragen zum Inhalt wenden Sie sich bitte an [email protected].

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Wilbur Smith

Black Sun – Die Kongo-Operation

Thriller

Aus dem Englischen von Ulli Glass und Manfred Darmstadt

dotbooks.

Kapitel 1

»Die Sache gefällt mir nicht«, sagte Wally Hendry und rülpste. Er strich mit seiner Zunge über den Gaumen, schmeckte und fuhr dann fort. »Ich finde, daß die ganze Sache stinkt wie ein zehn Tage alter Kadaver.« Er lag ausgestreckt auf einem der Betten und balancierte dabei ein Glas auf seiner nackten Brust, während ihm die Hitze des Kongo das Wasser aus den Poren trieb.

»Bedauerlicherweise ändert deine Meinung nichts an der Tatsache, daß wir die Sache durchführen werden.« Ohne aufzusehen, suchte Bruce Curry seine Rasiersachen weiter heraus.

»Du hättest ihnen sagen sollen, daß sie es selbst machen sollen und daß wir hier in Elisabethville bleiben – warum hast du ihnen das nicht erzählt, he?« Hendry hob sein Glas und trank es in einem großen Schluck aus.

»Weil sie mich nicht fürs Diskutieren bezahlen.« Bruce sprach ohne das geringste Interesse und betrachtete sich in dem von Fliegen verklebten Spiegel über dem Waschbecken. Das Gesicht, das ihn daraus ansah, war sonnenverbrannt mit einem Schopf kurzgeschnittener, schwarzer Haare. Weiches Haar, vielleicht lockig, wenn es länger gewesen wäre. Schwarze Augenbrauen, die außen nach oben zeigten, grüne Augen mit schweren Augenlidern und ein Mund, der ebenso leicht lächeln wie Verbitterung zeigen konnte. Ohne Vergnügen stellte Bruce fest, daß er gut aussah. Es war schon lange her, seit er irgendeine Gemütsbewegung gefühlt, schon lange her, seit sein Mund gelächelt hatte oder verbittert war. Er fühlte nicht mehr die alte abgeklärte Liebe zu seiner Nase, einer großen, leicht gekrümmten Nase, die sein Gesicht vor allzuviel Schönheit bewahrte und ihm das Aussehen eines Salon-Piraten gab.

»Zum Teufel«, brummte Wally Hendry vom Bett aus. »Ich habe jetzt wirklich die Schnauze voll von dieser Niggerarmee. Kämpfen macht mir nichts aus, aber ich sehe nicht ein, daß ich Hunderte von Meilen in den Busch gehen soll, um Kindermädchen für einen Haufen verdammter Flüchtlinge zu spielen.«

»Es ist schon ein Scheißleben«, stimmte Bruce abwesend zu, während er Rasierseife auf seinem Gesicht verteilte. Der Schaum hob sich sehr weiß gegen seine Bräune ab. Unter einer Haut, die so gesund aussah, als sei sie frisch geölt worden, wechselte das Spiel der Schulter- und Brustmuskeln, während er sich bewegte. Er war in guter Form. Auf jeden Fall in einer besseren als in den letzten Jahren. Aber auch diese Tatsache macht ihm kaum mehr Vergnügen, als es der Blick in den Spiegel getan hatte.

»Gib mir noch einen Drink, André.« Wally Hendry gab sein leeres Glas dem Mann, der am Fußende des Bettes saß.

Der Belgier stand auf und ging gehorsam hinüber zu dem Tisch.

»Mehr Whisky und weniger Bier diesmal«, wies ihn Wally an. Er drehte sich noch einmal zu Bruce um und rülpste: »Genau das halte ich von der Sache.«

Während André schottischen Whisky in das Glas goß und es dann mit Bier auffüllte, rückte Wally am Halfter seiner Pistole herum, bis diese genau zwischen seinen Beinen baumelte.

»Wann hauen wir ab?« fragte er.

»Morgen, ganz in der Frühe, bekommen wir eine Lokomotive und fünf Wagen am Güterbahnhof. Dann laden wir und fahren so schnell wie möglich los.« Bruce hatte angefangen, sich zu rasieren, und legte mit jedem Zug von der Schläfe bis zum Kinn einen glatten, braunen Hautstreifen frei.

Jetzt haben wir drei Monate lang einen Haufen schmieriger, kleiner Gurkhas bekämpft, und ich habe mich darauf gefreut, ein bißchen Spaß zu haben – keine einzige Hübsche während der ganzen Zeit – und schon am zweiten Tag nach dem Waffenstillstand hetzen sie uns wieder heraus.

»C’est la guerre«, murmelte Bruce, während er sein Gesicht beim Rasieren verrenkte.

»Was heißt denn das?« verlangte Wally argwöhnisch zu wissen.

»So ist der Krieg«, übersetzte Bruce.

»Sprich englisch, Junge.«

Es war typisch für Wally Hendry, daß er nach sechs Monaten im belgischen Kongo weder ein Wort französisch sprechen noch verstehen konnte.

Und wieder herrschte Ruhe, die nur durch das Schaben von Bruces Rasiermesser und den kleinen metallischen Geräuschen unterbrochen wurde, die der vierte Mann im Hotelzimmer verursachte, der seine Maschinenpistole auseinandergenommen hatte und reinigte. »Trink einen mit, Haig«, lud ihn Wally ein.

»Danke, nein.« Michael Haig sah auf und verbarg nicht im geringsten seine Abneigung, als er zu Wally hinüberblickte.

»Du bist auch so einer von diesen feinen Pinkeln, zu fein, um mit unsereinem zu saufen, was? Selbst der feine Captain Curry trinkt mit mir. Bist du vielleicht etwas Besonderes?«

»Du weißt genau, daß ich nicht trinke.« Haig konzentrierte sich wieder auf seine Waffe, die er beinahe liebevoll behandelte. Für sie alle waren diese häßlichen Maschinenpistolen ein Teil ihrer Körper geworden. Selbst während Bruce sich rasierte, brauchte er nur die Hand auszustrecken, um seine eigene, die an der Wand lehnte, zu greifen, und die der beiden Männer auf dem Bett lagen und auf dem Boden neben ihnen.

»Ach, du trinkst nicht«, höhnte Wally. »Wo hast du denn dann die Farbe herbekommen, mein Junge? Woher kommt es denn, daß deine Nase wie eine reife Pflaume aussieht?«

Haig kniff den Mund zusammen, und die Hände auf dem Gewehr wurden ruhig.

»Hör auf damit, Wally«, sagte Bruce ohne Erregung.

»Haig trinkt nicht«, krächzte Wally und stieß den kleinen Belgier mit dem Daumen in die Rippen. »Hast du gehört, André? Er ist ein verdammter Abstinenzler! Mein Alter war auch ein Abstinenzler, manchmal trank er zwei, drei Monate hintereinander keinen Tropfen. Dann kam er eines Nachts nach Hause und schlug seiner Alten eine in die Fresse, daß man noch auf der anderen Straßenseite ihre Zähne klappern hörte.«

Er schüttelte sich vor Lachen und mußte warten, bis er weitersprechen konnte.

»Ich wette, daß du auch so ein Abstinenzler bist, Haig. Ein Drink, und du wachst zehn Tage später auf. Stimmt’s? Ein Drink und – wum! – und die Alte kriegt die Fresse voll, und die Kinder vierzehn Tage nichts zu essen.«

Haig legte sein Gewehr vorsichtig auf das Bett und sah mit zusammengepreßten Lippen auf Wally. Aber Wally hatte es nicht bemerkt. Er fuhr fröhlich fort.

»André, nimm die Whiskyflasche und halte sie Alt-Abstinenzler Haig unter die Nase. Wir wollen mal sehen, wie ihm dann der Geifer aus dem Maul läuft und seine Augen vor Gier überquellen.«

Haig stand auf. Er war etwa doppelt so alt wie Wally, ein Mann Mitte fünfzig, mit angegrautem Haar, und die Feinheit seiner Gesichtszüge war trotz deutlicher Spuren, die das Leben darin hinterlassen hatte, noch nicht verwischt. Er hatte Arme wie ein Boxer und mächtige Schultern. »Es wird einmal Zeit, daß ich dir ein paar Manieren beibringe, Hendry. Komm, steh auf.«

»Willst du mich zum Tanz bitten oder so etwas? Ich tanze nicht – frag André. Er wird mit dir tanzen. Nicht wahr, André?«

Haig tänzelte locker, die Fäuste geballt und leicht erhoben. Bruce Curry legte seinen Rasierapparat auf die Ablage über dem Waschbecken und ging ruhig um den Tisch herum – immer noch Seife im Gesicht –, um eine Stellung einzunehmen, von der aus er eingreifen konnte. Dort wartete er und beobachtete die beiden Männer.

»Steh auf, du dreckiges Schandmaul.«

»He, André, hast du das gehört? Er spricht nett, was? Er spricht richtig nett.«

»Ich werde deinen häßlichen Schädel so platt schlagen, daß für dein Gehirn kein Platz mehr ist.«

»Witzig! Dieser Junge ist ein geborener Komiker.« Wally lachte. Aber das Lachen klang nicht echt. Bruce wußte genau, daß Wally nicht bereit war zu kämpfen. Starke Arme, ein breiter Brustkorb, von rötlichen Haaren bedeckt, ein flacher Bauch und widerstandsfähig, mit einem flachen Gesicht auf einem Stiernacken und mit kleinen mongolischen Augen; aber Wally war nicht bereit zu kämpfen. Bruce wunderte sich: Er erinnerte sich an die Nacht an der Brücke, er wußte, daß Hendry kein Feigling war. Und trotzdem war er jetzt nicht bereit, Haigs Aufforderung nachzukommen.

Mike Haig ging langsam auf das Bett zu.

»Laß ihn doch, Mike.« Zum erstenmal sprach André, und seine Stimme war so weich wie die eines Mädchens. »Er hat doch nur Spaß gemacht. Er hat es doch gar nicht so gemeint.«

»Bilde dir nur nicht ein, Hendry, daß ich nicht zuschlagen würde, weil du auf dem Rücken liegst. Den Fehler würde ich an deiner Stelle nicht machen.«

»Nun sieh mal an«, murmelte Wally. »Der Junge ist nicht nur ein Komiker, er ist auch noch ein unverbesserlicher Held.«

Haig stand jetzt über ihm und hob seine rechte Faust, wie zu einem Hammer geballt, und zielte auf Wallys Gesicht.

»Haig!« Bruce hatte seine Stimme nicht angehoben, aber der Ton ließ den älteren Mann zögern.

»Das genügt, sagte Bruce.

»Aber dieser stinkende, kleine ...«

»Ja, ich weiß«, sagte Bruce. »Laß ihn.« Nichts bewegte sich im Raum. Die Faust noch immer erhoben, zögerte Mike Haig. Über ihnen knarrte das Wellblechdach, das sich in der Hitze des Kongomittags dehnte. Das einzige andere Geräusch war Haigs Atem. Er keuchte, und sein Gesicht war rot angelaufen.

»Bitte, Mike«, flüsterte André, »er hat es doch nicht so gemeint.«

Langsam verwandelte sich Haigs Wut in Verachtung, und er ließ die Hand sinken, wandte sich ab und nahm seine Maschinenpistole vom anderen Bett.

»Ich kann den Gestank in diesem Zimmer keine Minute länger ertragen. Ich warte auf dich unten im Lastwagen, Bruce.«

»Ich bin gleich fertig«, stimmte Bruce zu, während Mike zur Tür ging.

»Ich würde mich vorsehen, Haig«, rief Wally ihm nach. Das nächste Mal kommst du mir nicht so leicht davon.«

An der Tür drehte sich Mike Haig blitzschnell herum, aber mit einer Hand auf seiner Schulter drehte ihn Bruce wieder zurück.

»Vergiß es, Mike«, sagte er und schloß hinter ihm die Tür.

»Es ist ein verdammtes Glück, daß er ein alter Mann ist«, grölte Wally, »sonst hätte ich ihn zusammengeschlagen.«

»Bestimmt«, sagte Bruce, »Es war richtig von dir, ihn laufen zu lassen.« Die Seife war mittlerweile auf seinem Gesicht angetrocknet und er befeuchtete seinen Pinsel, um sich von neuem einzuseifen.

»Na ist doch wahr. Ich könnte doch nicht so einen alten Kerl verprügeln, oder?«

»Nein.« Bruce lächelte ein wenig. »Aber laß nur, du hast ihm entsetzliche Angst eingejagt. Er wird es nicht noch einmal probieren.«

»Das will ich hoffen«, warnte Hendry. »Das nächste Mal bring ich den alten Strolch um.«

Das wirst du nicht tun, dachte Bruce. Du wirst genauso kneifen wie du es eben getan hast und schon ein dutzendmal früher. Mike und ich sind die einzigen, an die du dich nicht traust. Du bist wie ein wildes Tier, das seinen Dompteur im Käfig anbrüllt, aber sich davonschleicht, wenn er mit der Peitsche knallt. Er rasierte sich weiter.

Die Hitze im Raum machte schon das Atmen beschwerlich, sie trieb ihnen den Schweiß aus den Poren. Die Ausdünstung ihrer Körper vermischte sich zu einem säuerlichen Geruch mit dem kalten Zigarettenrauch und Alkoholdunst.

»Wohin gehst du denn mit Mike?« André beendete das lange Schweigen.

»Wir sehen uns um, ob wir Vorräte für unser Unternehmen auftreiben können. Wenn wir Glück haben sollten, bringen wir sie zum Güterbahnhof und Ruffy muß über Nacht einen Wachposten aufstellen«, antwortete ihm Bruce, während er sich über das Becken beugte und Wasser ins Gesicht spritzte.

»Wie lange werden wir etwa unterwegs sein?«

Bruce zuckte mit den Schultern. »Eine Woche, vielleicht zehn Tage.« Er setzte sich auf sein Bett und zog sich einen seiner Stiefel an. »Das heißt, wenn wir keinen besonderen Ärger haben.«

»Ärger, Bruce?« fragte André.

»Von der Msapa-Kreuzung an müssen wir etwa zweihundert Meilen durch ein Gebiet, in dem es von Balubas wimmelt.«

»Aber wir sind doch im Zug«, protestierte André. »Die haben doch nur Pfeil und Bogen. Die kommen doch gar nicht an uns ran.«

»André, wir müssen über sieben Flüsse – einen großen – und Brücken sind schnell zerstört. Und Schienen können herausgerissen sein.« Bruce begann seinen Schuh zuzuschnüren. »Ich glaube nicht, daß es ein Sonntagsausflug wird.«

»Zum Teufel, ich finde, die ganze Sache stinkt«, wiederholte Wally schlecht gelaunt. »Warum gehen wir überhaupt?«

»Weil«, begann Bruce geduldig, »seit drei Monaten die gesamte Bevölkerung von Port Reprieve von der Welt abgeschnitten ist. Frauen und Kinder sind dort. Die Lebensmittelbestände und andere lebensnotwendige Dinge gehen zu Ende.« Bruce machte eine Pause, um sich eine Zigarette anzuzünden, und redete dann weiter, während er den Rauch ausstieß. »Der Baluba-Stamm ringsherum revoltiert, brennt, plündert und mordet ohne Unterschied. Bis jetzt hat er die Stadt noch nicht angegriffen, aber es kann nicht mehr lange dauern. Hinzu kommt noch, daß sich Rebellen der Zentral-kongolesischen Armee und Rebellen unserer eigenen Truppen zu einer Bande schwerbewaffneter Schufte zusammengeschlossen haben. Die laufen auch im nördlichen Teil des Landes Amok. Niemand weiß genau, was da oben eigentlich vorgeht, aber du kannst sicher sein, daß es nichts Erfreuliches ist. Wir werden diese Leute in Sicherheit bringen.«

»Warum schickt denn die UN keine Flugzeuge?« fragte Wally.

»Kein Landeplatz.«

»Hubschrauber?«

»Zu weit.«

»Von mir aus können die Strolche dableiben«, grunzte Wally. »Wenn sich die Balubas auf ein kleines Menschensteak versteifen, wer sind wir, daß wir ihnen die Mahlzeit verweigern dürfen. Jeder Mensch hat das Recht zu essen, und so lange ich es nicht bin, den sie verspeisen, kann ich nur sagen, guten Appetit.« Er stellte seinen Fuß gegen Andrés Rücken und drückte sein Bein plötzlich durch; der Belgier fiel vom Bett auf die Knie.

»Los, hol mir eine Hübsche.«

»Hier gibt es keine, Wally. Ich hol dir noch einen Drink.« André kam schnell wieder auf die Füße und langte nach Wallys leerem Glas. Aber Wally packte ihn am Handgelenk.

»Ich sagte, eine Hübsche, André, nicht einen Drink.«

»Ich weiß wirklich nicht, wo ich eine finden soll, Wally.« Andrés Stimme klang verzweifelt. »Ich weiß nicht einmal, was ich zu ihnen sagen soll.«

»Du bist wirklich ein Idiot, mein Junge. Ich müßte dir den Arm brechen.« Wally begann langsam das Handgelenk Andrés umzudrehen. »Du weißt genauso gut wie ich, daß die Bar unten voll von ihnen ist. Das weißt du doch, oder nicht?«

»Aber was sage ich zu ihnen?« Andrés Gesicht war schmerzverzerrt.

»Stell dich nicht so an, du stupider, blöder Froschfresser. Geh einfach nach unten und schwenke eine Banknote. Du mußt keinen Pieps sagen.«

»Du tust mir weh, Wally.«

»Ach nein. Das glaubst du doch selbst nicht.« Wally lächelte ihn an und drehte den Arm noch weiter. Seine Augen waren vom Alkohol glasig, und Bruce sah, daß es ihm Spaß machte. »Also gehst du nun, mein Junge? Entscheide dich. Entweder kriege ich eine Hübsche oder du einen gebrochenen Arm.« Also gut, wenn du das unbedingt willst. Ich gehe. Laß mich bitte los, ich geh ja schon«, stöhnte André.

»Das ist genau was ich will.« Wally ließ ihn los. Er richtete sich auf und massierte sein Handgelenk.

»Paß auf, daß sie sauber ist und nicht zu alt, hast du verstanden?«

»Ja, Wally. Ich bring dir eine.« André ging zur Tür und Bruce sah seinen Gesichtsausdruck. Er war verzerrt vor Schmerzen an seinem gequetschten Handgelenk. Was für zauberhafte Kreaturen sie doch sind, dachte Bruce. Und ich bin einer von ihnen und gehöre trotzdem nicht zu ihnen. Ich bin der Zuschauer, angewidert wie von einem schlechten Stück. André verließ das Zimmer.

»Noch einen Drink, mein Junge«, sagte Wally übermütig, »ich werde ihn dir sogar selbst eingießen.«

»Danke«, sagte Bruce und begann sich den anderen Stiefel anzuziehen. Wally brachte ihm das Glas und er nippte daran. Das Zeug war stark und der modrige Geschmack des Whiskys vertrug sich schlecht mit der Süße des Biers, aber er trank es.

»Du und ich«, sagte Wally, »wir sind die Cleveren. Wir trinken, weil wir wollen und nicht, weil wir müssen. Wir leben so, wie wir leben wollen und nicht wie andere glauben, daß wir leben sollten. Du und ich, Bruce, haben eine ganze Menge gemeinsam. Wir sollten Freunde sein, du und ich. Ich meine, wo wir uns doch so ähnlich sind.« Der Alkohol begann bei ihm seine Wirkung zu tun und machte seine Sprache etwas undeutlich.

»Aber klar sind wir Freunde. Ich zähle auf dich, Wally, als meinen Besten.« Bruce sprach feierlich und ohne den geringsten Sarkasmus zu zeigen. »Ehrlich?« Wally fragte ernsthaft. »Stimmt das? Verdammt, und ich habe immer geglaubt, daß du mich nicht leiden kannst. Verdammt, man weiß nie, woran man ist. Stimmt das nicht? Man weiß es einfach niemals.« Er schüttelte verwundert seinen Kopf und wurde plötzlich durch den vielen Whisky sentimental. »Das ist wirklich wahr? Du magst mich. Ja, wir könnten Kumpel sein. Was meinst du, Bruce? Jeder Mann braucht einen Kumpel. Jeder Mann braucht einen Rückhalt.«

»Klar«, sagte Bruce. »Wir sind Kumpel. Was meinst du?«

»Aber klar, mein Junge«, stimmte Wally aus tiefstem Herzen zu. Und ich fühle nichts, dachte Bruce, keine Verachtung, kein Mitleid – nichts. Auf die Art und Weise ist man sicher. Sie können dich nicht enttäuschen, sie können dich nicht anekeln, sie können dir keinen Schmerz zufügen und sie können dich nicht wieder vernichten.

Sie sahen beide auf, als André das Mädchen ins Zimmer brachte. Sie hatte ein niedliches, nichtssagendes Gesicht und angemalte Lippen – Rubinrot auf Bernstein.

»Prima, André«, applaudierte Wally und besah sich die Figur des Mädchens. Sie trug hohe Absätze, ein kurzes rosa Kleid mit ausgestelltem Rock, das aber nicht ihre Knie bedeckte.

»Komm her, Süße.« Wally streckte seine Hand nach ihr aus, und ohne zu zögern ging sie durchs Zimmer, ein breites, berufsmäßiges Lächeln im Gesicht. Wally zog sie neben sich auf das Bett. André blieb in der Tür stehen. Bruce erhob sich, zog seine tarnfarbene Feldbluse an, legte seinen Pistolengurt um und schob die Pistolentasche zurecht, bis sie bequem seitwärts an seinem Schenkel hing.

»Du gehst?« Wally gab dem Mädchen aus seinem Glas zu trinken.

»Ja.« Bruce setzte sich seinen Schlapphut auf, die rotgrünweiße katangesische Kokarde gab ihm ein gekünsteltes, fröhliches Aussehen.

»Bleib doch noch ein bißchen. Na los, Bruce.«

»Mike wartet auf mich.« Bruce nahm seine Maschinenpistole vom Boden.

»Na wenn schon. Bleib noch einen Augenblick und wir amüsieren uns ein bißchen.«

»Nein danke.« Bruce ging zur Tür.

»Mensch, Bruce, guck dir das mal an.« Wally legte das Mädchen rückwärts auf das Bett, mit einem Arm hielt er ihre Brüste fest, während sie sich scheinbar wehrte, mit der anderen hob er ihr Kleid bis zur Hüfte hoch.

»Guck dir das mal an und sag mir dann, ob du immer noch gehen willst.«

Das Mädchen war unter dem Kleid nackt und ihr Unterleib war rasiert, so daß ihre Schamlippen schmollend hervortraten.

»Na los, Bruce«, lachte Wally. »Du zuerst. Sag nicht, daß ich nicht dein Kumpel bin.«

Bruce sah auf das Mädchen, dessen Beine weit gespreizt waren und dessen Körper sich im Kampf mit Wally wand. Sie kicherte.

»Mike und ich werden vor der Sperrstunde zurück sein. Ich will das Mädchen dann hier nicht mehr sehen«, sagte Bruce.

In mir ist keine Begierde mehr, dachte er, als er sie ansah, das ist alles vorbei. Er öffnete die Tür.

»Curry!« schrie Wally. »Bist du auch so ein armer Irrer? Verdammt, ich dachte, du wärst ein Mann. Du bist genauso mies wie die anderen. André, der Puppenjunge. Haig, die Schnapsdrossel, und was ist mit dir, mein Junge? Du bist auch so ein armer Verrückter!«

Bruce schloß die Tür und stand allein im Gang. Der Hohn hatte seinen Panzer durchdrungen, er mußte seinen ganzen Verstand aufbieten, diesen Stachel wieder herauszureißen.

Es ist längst vorbei. Sie kann mich nicht mehr verwunden. Mit äußerster Entschlossenheit dachte er das. Er erinnerte sich an sie. An die Frau, nicht an die in dem Zimmer, sondern die andere, mit der er einmal verheiratet gewesen war.

»Die Hure«, flüsterte er und dann schnell, beinahe schuldbewußt, »ich hasse sie nicht. Für mich gibt es keinen Haß und keine Begierde mehr.

Kapitel 2

Die Halle des Grand Hotels Leopold II war überfüllt: Gendarmen, die ihre Waffen prahlerisch mit sich herumschleppten, laut sprachen, sich gegen die Wände und über die Bar lümmelten; Frauen, deren Farbe vom Schwarz bis zum Pastellbraun reichte, einige schon betrunken; einige Belgier, die noch immer erschüttert mit den ungläubigen Augen eines Flüchtlings in die Gegend starrten; eine der Frauen weinte, während sie das Kind auf ihrem Schoß wiegte; andere Weiße in Zivilkleidung, aber mit der aufgeweckten Unruhe der Abenteurer, ließen ihre Augen hin und her schweifen und sprachen leise auf die Afrikaner in Geschäftsanzügen ein; eine Gruppe von Journalisten in feuchten Hemden wartete mit der Geduld von Aasgeiern. Und alles schwitzte in der Hitze.

Zwei südafrikanische Charterpiloten begrüßten Bruce vom anderen Ende des Raumes.

»Hallo, Bruce, trinken wir rasch einen?«

»Dave, Carl«, Bruce winkte. »Ich hab’s eilig, vielleicht heute abend.«

»Wir fliegen heute nachmittag.« Carl Engelbrecht schüttelte seinen Kopf. »Nächste Woche sind wir zurück.«

»Also sehen wir uns dann«, rief Bruce und ging durch den Haupteingang auf die Avenue di Kasai. Er hielt einen Augenblick auf der Straße an, und die weißgestrichenen Mauern der Häuser warfen ihr gleißendes Licht in sein Gesicht. Die sengende Hitze ließ ihn zusammenzucken, und er fühlte unter seiner Feldbluse frischen Schweiß aus seinem Körper strömen. Während er die Straße überquerte und auf den Dreitonner-Lastwagen zuging, in dem Mike Haig saß, nahm er seine Sonnenbrille aus der Tasche und setzte sie auf.

»Ich werde fahren, Mike.«

»Okay.« Mike setzte sich auf den andern Sitz und Bruce hinter das Steuer. Er fuhr in nördlicher Richtung die Avenue du Kasai entlang.

»Es tut mir leid, wegen der Szene, Bruce.«

»Ist ja nichts passiert.«

»Ich hätte die Beherrschung nicht verlieren dürfen.«

Bruce gab keine Antwort. Er betrachtete die verlassenen Gebäude zu beiden Seiten. Die meisten von ihnen waren geplündert und alle hatten Einschläge von Geschossen der Mörser. Ab und zu lagen auf der Straße ausgebrannte Autowracks, die wie die Rückenpanzer toter Käfer aussahen.

»Ich hätte ihn nicht so an mich herankommen lassen sollen, und trotzdem tut die Wahrheit mehr weh als alles andere.«

Bruce schwieg und gab gleichzeitig mehr Gas. Der Lastwagen machte einen Satz nach vorne. Ich will das nicht hören, dachte er. Ich bin nicht dein Beichtvater – ich will es einfach nicht mehr hören. Er bog in die Avenue l’Étoile ein und fuhr in Richtung Zoo.

»Er hatte vollkommen recht. Er hatte mich hundertprozentig getroffen«, drängte Mike. »Wir haben alle unsere Probleme, sonst wären wir nicht hier.« Und dann, um seine Laune zu ändern, »wir Wenigen, wir glücklichen Wenigen, wir Bund von Brüdern.«

Mike grinste, und sein Gesicht sah plötzlich jung aus. »Zumindest haben wir das Privileg, dem zweitältesten Berufsstand der Welt anzugehören – wir, die Söldner.«

»Der älteste Beruf wird besser bezahlt und macht viel mehr Spaß«, sagte Bruce und schwenkte mit dem Lastwagen in die Einfahrt eines zweistöckigen Gebäudes, hielt vor dem Eingangstor und stellte den Motor ab.

Vor nicht allzulanger Zeit war dies noch die Villa des Chefbuchhalters der Union Minière du Haut. Jetzt war es ein Gebäude der Abteilung »D«, der Spezialkampftruppe, die von Captain Bruce Curry kommandiert wurde. Ein halbes Dutzend seiner schwarzen Gendarmen saß auf der niedrigen Mauer der Veranda, und als Bruce die Stufen hinaufkam, schrien sie ihm den Gruß entgegen, der seit der Intervention der Vereinten Nationen bereits zur Tradition geworden war.

»UN – Merde!«

»Aha«, grinste Bruce sie an, in einer Art von Kameradschaft, die sich im Verlauf der vergangenen Monate gebildet hatte. »Die Crème der Armee von Katanga!«

Er ließ seine Schachtel Zigaretten herumgehen, unterhielt sich ein paar Minuten zwanglos und fragte dann: »Wo ist der Hauptfeldwebel?« Einer der Gendarmen zeigte mit dem Daumen zu den Glastüren, die in die Halle führten, und Bruce ging hinein, von Mike gefolgt.

Nachschubmaterial war in wilden Haufen auf den teuren Möbelstücken aufgestapelt. Die Öffnung des steinernen Kamins war halb voll von leeren Flaschen. Ein Gendarm lag schnarchend auf dem Perserteppich; eines der Ölgemälde an der Wand war von einem Bajonett zerschnitten und hing schief. Ein eingelegter Kaffeetisch stand wie betrunken mit einem geknickten Bein, und die ganze Halle roch nach Männern und billigem Tabak.

»Hallo, Ruffy«, sagte Bruce.

»Zur rechten Zeit, Boß.« Hauptfeldwebel Ruffararo grinste erfreut aus einem Lehnstuhl, aus dem er fast überquoll. »Diese verdammten Araber haben auf einmal kein Material mehr.« Er zeigte auf die Gendarmen, die sich vor seinem Tisch versammelt hatten. »Araber« was für Ruffy ein degradierendes und verächtliches Wort und hatte nichts mit der eigentlichen Nationalität eines Menschen zu tun.

Ruffys Akzent war immer wieder ein Schock für Bruce. Niemand erwartete jemals, daß aus diesem riesigen schwarzen Brocken reines Amerikanisch herauskommen könnte. Aber vor drei Jahren war Ruffy von einem Stipendium aus den Vereinigten Staaten zurückgekehrt und hatte dabei fließendes Amerikanisch, ein landwirtschaftliches Diplom, einen nicht zu stillenden Durst für Flaschenbier (wenn möglich Schlitz, aber auch anderes war annehmbar) und eine maßlose Bewunderung für Old Joe mitgebracht.

Die Erinnerung daran, die von einem Abschiedsgeschenk eines älteren Studenten der Universität von Los Angeles herrührte, überkam Ruffararo am schmerzlichsten, wenn er betrunken war, so schmerzlich, daß er sich erst beruhigte, wenn er den nächsten Bürger der Vereinigten Staaten zu Boden geworfen hatte.

Glücklicherweise war es höchst selten, daß ein Amerikaner und die notwendigen zehn oder zwölf Liter Bier sich in Ruffys Nähe befanden, um seine Rassenantipathie zum Ausdruck zu bringen. Ein solcher Niederwurf durch Ruffy war ein unvergeßliches Erlebnis sowohl für das Opfer als auch für die Zuschauer. Bruce erinnerte sich lebhaft an eine Nacht im Lido-Hotel, wo er vielleicht eine der spektakulärsten Szenen Ruffys erlebt hatte.

Die Opfer, drei insgesamt, waren Journalisten, die bedeutende Zeitungen repräsentieren. Im Verlauf des Abends sprachen sie immer lauter. Ein amerikanischer Akzent trägt so weit wie ein gut geschlagener Golfball, und Ruffy erkannte ihn sofort auf der Terrasse. Er wurde still. Und in dieser Stille trank er die letzten Liter, die notwendig waren, ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen. Er strich sich den Schaum von der Oberlippe und stand auf, die Augen auf die Gruppe der Amerikaner gerichtet.

»Ruffy, bleib hier, halt!« Bruce hätte genauso gut nichts zu sagen brauchen. Ruffy ging über die Terrasse. Sie sahen ihn auf sich zukommen und schwiegen verlegen.

Der erste war eine Art Probewurf. Außerdem war der Körper des Mannes nicht aerodynamisch konstruiert, und sein Bauch war so aufgeblasen, daß er im Fahrtwind bremste. Er flog nur sechseinhalb Meter.

»Ruffy, laß sie in Ruhe«, schrie Bruce.

Beim nächsten Wurf kam Ruffy schon ein bißchen besser ir Schwung, aber er hatte ihn zu hoch geworfen. Es wurden etwa zehn Meter. Der Journalist flog über die Terrasse und landete auf dem darunterliegenden Rasen, während seine Hand noch immer das leere Glas festhielt.

»Rennen, Sie, Sie Narr«, warnte Bruce das dritte Opfer, aber der war wie gelähmt.

Und das wurde der beste Wurf, den Ruffy je getan hatte. Er packte gut zu, am Nacken und am Gesäß. Und er legte sein ganzes Gewicht hinein. Ruffy muß gewußt haben, daß er hier einen Rekordwurf getan hatte, denn sein Schrei »Gonnoroeh!«, während er seinen Mann katapultierte, klang nach echtem Triumph.

Später, nachdem Bruce die drei Amerikaner beruhigt hatte, und sie sich genügend erholt hatten, und sie sich darüber klarwurden, privilegierte Objekte eines Rekordwurfs gewesen zu sein, gingen sie alle gemeinsam hinaus, die Entfernungen zu messen. Die drei Journalisten entwickelten eine beinahe besitzergreifende Zuneigung für Ruffy und brachten den Rest des Abends damit zu, ihm Bier zu kaufen und sich vor jedem Neuankommenden in der Bar zu brüsten. Einer von ihnen, der letzte, der am weitesten geworfen worden war, wollte unbedingt einen Artikel mit Bildern über Ruffy schreiben. Gegen Ende des Abends hatte er sich so weit gesteigert und genügend internationalen Enthusiasmus entwickelt, daß er dafür plädieren wollte, bei zukünftigen olympischen Spielen einen Wettkampf im Männerweitwerfen einzuführen.

Ruffy akzeptierte ihr Lob und ihr Bier mit bescheidener Dankbarkeit. Und als der dritte Amerikaner ihm anbot, ihn nochmals zu werfen, schlug er das Angebot ab mit der Begründung, daß er niemals den gleichen Mann zweimal werfen würde. Alles in allem war es ein denkwürdiger Abend.

Abgesehen von diesen zeitweiligen Verfehlungen hatte Ruffy einen kräftigeren Körper und eine frohere Natur als alle anderen Männer, die Bruce kannte. Und darum konnte er sich nicht helfen, er mußte ihn sympathisch finden. Er lächelte, während er versuchte, Ruffys Einladung, mit ihm Karten zu spielen, abzuschlagen.«

»Wir haben jetzt zu tun, Ruffy, ein andermal.«

»Setzen Sie sich, Boß. Wir machen nur ein paar Spielchen, und dann sprechen wir über Arbeit.« Er mischte die drei Karten in seinen Händen.

»Setzen Sie sich, Boß«, wiederholte Ruffy, und Bruce zog eine Grimasse, während er sich auf den Stuhl gegenüber setzte.

»Wieviel setzen Sie?« Ruffy beugte sich vor.

»Une Mille.« Bruce legte eine Tausendfranc-Note auf den Tisch. »Und wenn das weg ist, gehen wir.«

»Nur keine Eile«, beruhigte ihn Ruffy. »Wir haben noch den ganzen Tag.« Er legte die drei Karten verdeckt auf den Tisch. »Der König ist irgendwo dabei. Sie müssen sich nur anstrengen, ihn zu finden. Das sind die leichtesten Tausend, die Sie je gemacht haben.«

»In der Mitte«, flüsterte der Gendarm, der neben Bruces Stuhl stand. »Das ist er, der in der Mitte.«

»Hören Sie nicht auf diesen verrückten Araber. Der hat heute morgen schon fünftausend verloren«, riet Ruffy.

Bruce drehte die rechte Karte um.

»Pech«, schrie Ruffy. »Da haben Sie sich die Herzkönigin geangelt.« Er nahm den Schein und steckte ihn in die Brusttasche. »Die bringt Sie immer auf den falschen Weg, diese kleine Hure mit dem Engelsgesicht.« Er grinste und drehte die mittlere Karte um, den Pik Buben mit seinen Schlitzaugen und dem gezwirbelten kleinen Schnurrbart. »Die war die ganze Zeit mit dem Buben zusammen, direkt vor der Nase des Königs.« Er drehte den König um. »Jetzt sehen Sie sich diesen verschlafenen alten Burschen an. Er sieht noch nicht mal zu ihnen hin.«

Bruce starrte auf die drei Karten und fühlte wieder die gleichen Schmerzen im Magen. Die ganze Geschichte stand hier in den Karten. Alles stimmte. Nur, daß sein Bube einen Vollbart hatte und einen roten Jaguar fuhr, und seine Herzkönigin niemals so unschuldige Augen gehabt hatte. Abrupt sagte Bruce: »Das ist genug, Ruffy. Ich brauche dich und zehn Leute zum Mitkommen.«

»Wohin geht es?«

»Zum Depot. Wir holen Material für unseren Auftrag.«

Ruffy nickte und steckte die Karten in seine Brusttasche, während er die Gendarmen aussuchte, die sie begleiten sollten. Dann fragte er Bruce: »Wir könnten etwas Öl brauchen. Was glauben Sie, Boß?«

Bruce zögerte. Sie hatten nur noch zwei Kisten Whisky von dem Dutzend, die sie im August erbeutet hatten. Die Kaufkraft einer Flasche echten schottischen Whisky war enorm, und Bruce zögerte, sie außer bei ganz dringenden Angelegenheiten zu benutzen. Aber ihm wurde klar, daß seine Chancen, das notwendige Material zu bekommen, gering waren, es sei denn, er brächte dem Quartiermeister eine bedeutende Morgengabe mit.

»Okay, Ruffy. Nimm einen Kasten.«

Ruffy stand auf und setzte den Stahlhelm auf. die Kinnriemen hingen zu beiden Seiten seines runden, schwarzen Gesichts herunter.

»Einen ganzen Kasten? Er grinste Bruce an. »Wollen Sie einen Schlachtkreuzer kaufen?«

»Beinahe«, stimmte Bruce zu. »Los, hol ihn.«

Ruffy verschwand im hinteren Teil des Hauses und kam sofort mit einem Kasten »Grant’s Standfast« unter dem einen Arm und einem halben Dutzend Flaschen Simbabier zwischen den Fingern der anderen Hand zurück.

»Wir könnten Durst bekommen«, erklärte er.

Die Gendarmen kletterten hinten auf den Wagen und machten dabei viel Lärm mit ihren Waffen, während sie fröhlich ihre Kameraden auf der Veranda beschimpften. Bruce, Mike und Ruffy drängten sich in die Fahrerkabine. Ruffy stellte den Whisky auf den Boden und seine beiden großen gestiefelten Füße darauf.

»Was ist es denn diesmal, Boß?« fragte er, während Bruce den Wagen auf die Straße lenkte und die Avenue l’Étoile herunterfuhr. Bruce sagte es ihm, und als er fertig war, grunzte Ruffy etwas Unverständliches. Dann öffnete er eine Bierflasche mit seinen großen, weißen, messerscharfen Zähnen. Die Kohlensäure zischte und Schaum rann die Flasche entlang und tropfte auf seinen Schoß.

»Meine Jungs werden das nicht gern haben«, sagte er, während er die offene Flasche Mike anbot. Mike schüttelte den Kopf und Ruffy gab die Flasche an Bruce.

Ruffy öffnete sich eine Flasche und sprach weiter. »Sie werden es ganz und gar nicht mögen.« Er schüttelte seinen Kopf. »Und es wird noch viel mehr Ärger geben, wenn wir erst mal in Port Reprieve sind und die Diamanten holen.«

Erregt starrte Bruce ihn von der Seite an. »Was für Diamanten?«

»Aus den Minen«, sagte Ruffy. »Sie glauben doch nicht, daß die uns so weit schicken, nur um die Leute zu holen. Die haben Angst um ihre Diamanten. Das ist doch klar.«

Plötzlich wurde Bruce verschiedenes klar, woran er bis jetzt gerätselt hatte. Eine halbvergessene Unterhaltung, die er im Frühjahr mit einem Ingenieur der Union Minière geführt hatte, tauchte in seinem Gedächtnis auf. Sie hatten sich damals über die drei Diamantenbagger unterhalten, die Schlamm aus den Lufirasümpfen baggerten. Die Boote waren in Port Reprieve zu Hause und sicherlich zu Beginn des Ausnahmezustandes dorthin zurückgekehrt. Sie mußten noch immer dort sein mit der Ausbeute von drei bis vier Monaten an Bord. Etwa eine halbe Million Pfund Sterling in Rohdiamanten. Das war also der Grund, warum die katangesische Regierung die Maßnahme als so besonders wichtig ansah. Das war der Grund, weshalb eine so starke Truppe eingesetzt und die Vereinten Nationen nicht eingeschaltet wurden.

Bruce lächelte verbissen, als er sich an die humanitären Argumente erinnerte, die der Innenminister ihm gegenüber geäußert hatte.

»Es ist unsere Pflicht, Captain Curry. Wir können diese Menschen nicht der Gnade oder Ungnade dieser nicht gerade zartfühlenden Wilden ausliefern. Es ist unsere Pflicht als zivilisierte Menschen.«

Es gab noch andere weiße Siedler, die in abgelegenen Missionsstationen und Regierungsposten abgeschnitten waren, im ganzen südlichen Kasai und in Katanga. Von ihnen hatte man schon seit Monaten nichts gehört, aber sie waren offensichtlich nicht so wichtig wie die Siedlung in Port Reprieve.

Bruce setzte die Flasche noch einmal an die Lippen und trank, während er mit einer Hand steuerte und mit zusammengekniffenen Augen durch die Windschutzscheibe sah. Na schön, wir werden sie schon holen. Und später wird eine Munitionskiste in eine Chartermaschine geladen werden, und noch später wird eine weitere Zahlung auf ein Nummernkonto in Zürich erfolgen. Warum soll ich mir Sorgen machen? Schließlich werde ich dafür bezahlt.

»Ich glaube nicht, daß wir über die Diamanten mit meinen Leuten reden sollten«, sagte Ruffy traurig. »Ich glaube, das wäre keine gute Idee.«

Bruce fuhr langsamer, als sie in das Industrieviertel hinter der Bahn kamen. Er beobachtete die Gebäude im Vorbeifahren, bis er das fand, was er suchte. Er bog von der Straße ab und hielt vor dem Tor. Er hupte, und ein Gendarm kam heraus und inspizierte seinen Paß genauestens. Zufriedengestellt rief er nach hinten, und das Tor öffnete sich. Bruce fuhr in den Hof und stellte den Motor ab.

Etwa ein halbes Dutzend anderer Lastwagen parkten im Hof. Alle hatten ein Nummernschild von Katanga und waren von Gendarmen in völlig verschwitzten Uniformen umgeben. Ein weißer Leutnant beugte sich aus dem Fenster eines Lastwagens und schrie.

»Ciao, Bruce!«

»Wie geht’s, Sergio?« fragte Bruce.

»Verrückt! Verrückt!« Bruce lächelte. Für den Italiener war alles verrückt. Bruce erinnerte sich, daß er ihn im Juli beim Kampf um den Brückenkopf über den Kühler eines Landrovers gelegt hatte und ihm mit dem Bajonett einen Granatsplitter aus seinem haarigen Hinterteil entfernt hatte. Das war auch verrückt gewesen.

»Bis bald«, sagte Bruce und ging mit Mike und Ruffy über den Hof zum Lager. Auf den großen Doppeltüren war ein Schild mit »Dépôt Ordinance – Armée du Katanga«, und dahinter saß in einem Glaskasten an einem Schreibtisch ein Major mit einer gandhiähnlichen Nickelbrille auf der Nase. Er sah aus wie ein jovialer schwarzer Frosch. Er sah zu Bruce auf.

»Non«, sagte er endlich. »Non, non.« Bruce zeigte sein Anforderungsformular und legte es vor ihn hin. Verächtlich wischte es der Major zur Seite.

»Wir haben nichts von diesen angeforderten Dingen. Wir sind völlig ausverkauft. Ich kann nichts machen. Nein. Ich kann nichts machen. Es gibt Prioritäten. Es gibt Umstände, die ich in Betracht ziehen muß. Nein, es tut mir leid.« Er nahm einen Stoß von Papieren von der einen Seite seines Schreibtisches, beschäftigte sich mit ihnen, und ignorierte Bruce.

»Dieser Anforderungsschein ist von Monsieur le Président persönlich unterschrieben«, sagte Bruce ruhig. Der Major legte seine Papiere zurück und kam um den Schreibtisch herum. Er stand dicht vor Bruce, sein Kopf reichte gerade bis zu dessen Kinn.

»Und wäre es von dem Allmächtigen selbst unterschrieben, es hätte keinen Zweck. Es tut mir leid, es tut mir wirklich leid.«

Bruce sah auf und sah einen Augenblick lang auf die Berge von Waren, die sich im Lager stapelten. Von seinem Platz aus konnte er mindestens zwanzig Sachen sehen, die er brauchte. Der Major sah den Blick, und sein Französisch wurde so aufgeregt, daß Bruce nur die dauernde Wiederholung des Wortes »non« verstehen konnte. Er warf Ruffy einen Blick zu, und der Hauptfeldwebel trat einen Schritt vor, legte seinen Arm beruhigend auf die Schultern des Majors und führte dann behutsam den noch immer Protestierenden in den Hof zum Wagen. Er öffnete die Tür zum Führerhaus, und der Major sah den Kasten Whisky.

Ein paar Minuten später, nachdem Ruffy, die Kiste mit seinem Bajonett geöffnet hatte und der Major die Verschlüsse auf den Flaschen geprüft hatte, kehrten sie zum Büro zurück, und Ruffy schleppte die Kiste unterm Arm.

»Captain«, sagte der Major, während er das Anforderungsformular vom Schreibtisch aufnahm, »ich sehe jetzt, daß ich mich geirrt habe. Diese Anforderung ist tatsächlich vom Monsieur le Président unterschrieben. Es ist meine Pflicht, Ihnen die höchste Priorität einzuräumen.«

Bruce murmelte seinen Dank und der Major strahlte ihn an. »Ich werde Ihnen einige Männer zur Verfügung stellen, die Ihnen behilflich sind.«

»Sie sind zu freundlich. Aber das würde Ihre Arbeit stören. Ich habe meine eigenen Leute.«

»Ausgezeichnet«, stimmte der Major zu und deutete mit seiner fetten Hand auf das Lager. »Nehmen Sie sich, was sie brauchen.«

Kapitel 3

Immer wieder sah Bruce auf seine Armbanduhr. Es waren noch zwanzig Minuten bis zum Ende der Sperrstunde um sechs Uhr. Bis dahin mußte er sich die Zeit damit vertreiben, Wally Hendry beim Frühstück zuzusehen. Es war ein Anblick, der ihm nicht viel Freude bereitete, denn Hendry war ein methodischer, aber unsauberer Esser.

»Warum kannst du denn dabei deinen Mund nicht zumachen?« knurrte Bruce ärgerlich, als er nicht mehr länger zusehen konnte.

»Kümmere ich mich um deine Angelegenheiten?« Hendry sah von seinem Teller auf. Seine Backen waren mit einem roten stoppeligen Bart bedeckt, seine Augen entzündet und aufgedunsen von den Ausschweifungen des vergangenen Abends. Bruce sah von ihm weg und blickte noch einmal auf seine Uhr.

Die selbstmörderische Versuchung, die Sperrstunde einfach zu ignorieren und sofort zum Bahnhof zu fahren, war sehr stark. Es kostete Mühe, sie zu unterdrücken. Das Wenigste, womit er in einem solchen Fall zu rechnen hatte, war, von einer Patrouille verhaftet zu werden; das bedeutete eine Verzögerung von mindestens zwölf Stunden, bis seine Personalien festgestellt waren. Das Schlimmste wäre eine Schießerei.

Er goß sich eine weitere Tasse Kaffee ein und trank sie langsam. Ungeduld war immer eine meiner Schwächen, besann er sich. Fast jeder Fehler, den ich je begangen habe, kam daher. Aber im Laufe der Jahre habe ich mich gebessert. Mit zwanzig wollte ich mein Leben in einer Woche leben. Jetzt gebe ich mir schon ein Jahr.

Er trank seinen Kaffee aus und sah wieder nach der Zeit. Fünf Minuten vor sechs. Jetzt konnte er es riskieren. Solange würde es fast dauern, bis sie im Lastwagen saßen.

»Wenn Sie fertig sind, meine Herren –« Er stieß seinen Stuhl zurück, nahm seine Sachen auf, warf sich den Sack über die Schultern und ging voran.

Ruffy wartete auf sie. Er saß auf einem Stapel von Waren in einem der Wellblechschuppen. Seine Leute lagen um ein Dutzend kleiner Feuer, die auf dem Zementboden brannten und machten sich ihr Frühstück.

»Wo ist der Zug?«

»Das ist eine sehr gute Frage, Boß«, gratulierte ihm Ruffy; Bruce stöhnte.

»Aber er hätte längst hier sein sollen«, protestierte Bruce, und Ruffy zuckte mit den Schultern.

»›Hätte sein sollen‹ ist etwas ganz anderes als ›ist‹.«

»Verdammt noch mal, wir müssen noch laden. Wir haben Glück, wenn wir vor Mittag hier wegkommen«, sagte Bruce wütend. »Ich werde zum Stationsvorsteher gehen.«

»Ich würde ihm ein Geschenk mitnehmen, Boß. Wir haben immer noch eine Kiste.«

»Zum Teufel, nein«, brummte Bruce. »Mike, komm mit.«

Mike und er überquerten die Schienen und kletterten auf den Bahnsteig. Am entfernten Ende stand eine Gruppe von Bahnbediensteten und unterhielt sich. Bruce kam wie ein großes Donnerwetter über sie.

Zwei Stunden später fuhr Bruce neben dem farbigen Lokomotivführer langsam zum Güterbahnhof. Der Lokführer war ein kugelrunder kleiner Mann mit einer Haut, die zu dunkel für Sonnenbräune war und mit Zähnen, die in einem blutroten Plastikgaumen zu stecken schienen.

»Monsieur, Sie wollen doch nicht etwa nach Port Reprieve fahren«, fragte er ängstlich.

»Doch.«

»Aber man weiß überhaupt nicht, ob die Strecke noch befahrbar ist. Sie ist seit über vier Monaten nicht benutzt worden.«

»Das weiß ich. Du wirst eben vorsichtig fahren.«

»In der Nähe des alten Flugplatzes haben die Vereinten Nationen eine Sperre über den Schienen errichtet«, protestierte der Mann.

»Wir haben einen Passierschein.« Bruce lächelte, um ihn zu beruhigen. Seine schlechte Laune verflog jetzt, da er sein Transportmittel bekommen hatte. »Halte hier neben dem ersten Wellblechschuppen.«

Unter dem Kreischen seiner Bremsen hielt der Zug an dem Betonbahnsteig, und Bruce sprang herunter.

»Also los, Ruffy«, schrie er. »Rauf mit den Sachen.«

Bruce verlud die drei gepanzerten offenen Lastwagen in die Güterwagen, denn die waren am leichtesten zu verteidigen. Hinter der brusthohen Seitenverschalung konnten sie die Maschinengewehre sowohl für vorne als auch für die Deckung der Flanken benutzen. Dann folgten zwei Personenwagen, die als Warenlager und Offiziersquartiere benutzt werden sollten und in denen auf der Rückreise die Flüchtlinge untergebracht werden konnten. Die Lokomotive fuhr am Ende, wo sie am schwersten außer Gefecht zu setzen war und sie die Wagen nicht ständig mit Rauch und Ruß einnebelte.

Die Waren wurden in vier Abteile verstaut, deren Fenster und Türen verbarrikadiert und verschlossen wurden. Dann begann Bruce die Verteidigungsmaßnahmen zu treffen. Auf dem Dach des ersten Wagens wurden Sandsäcke ringförmig aufgeschichtet und darin ein Maschinengewehr postiert. Das war sein eigener Platz. Von hier aus konnte er über die offenen Güterwagen und zur Lokomotive sehen, gleichzeitig hatte er einen glänzenden Ausblick auf die Umgebung.

Die anderen Maschinengewehre wurden in dem ersten Güterwagen in Stellung gebracht; Hendry übernahm das Kommando. Er hatte außerdem von dem Major im Depot drei neue Sprechfunkgeräte erhalten. Eines davon bekam der Lokomotivführer, das zweite Hendry, und das dritte behielt er auf seinem Kommandoposten. Auf diese Art und Weise war die Verständigung zufriedenstellend.

Es war fast zwölf Uhr, ehe alle Vorbereitungen getroffen waren. Bruce wandte sich an Ruffy, der auf den Sandsäcken neben ihm saß.

»Alles fertig?«

»Alles fertig, Boß.«

»Wieviel Leute fehlen?« Bruce hatte aus der Erfahrung gelernt, daß niemals seine ganze Truppe zu einem bestimmten Zeitpunkt an einer bestimmten Stelle war.

»Acht, Boß.«

»Das sind drei mehr als gestern. Da bleiben uns nur zweiundfünfzig Mann. Glaubst du, daß sie auch im Busch verschwunden sind? Fünf seiner Leute waren am Tage des Waffenstillstands mit ihren Waffen desertiert. Wahrscheinlich waren sie in den Busch gegangen, hatten sich einer der Banden von Shuftas angeschlossen und führten jetzt mit diesen einen grausamen Guerillakrieg, überfielen auf den Verkehrsstraßen unbewaffnete Wagen, verprügelten Reisende oder, wenn diese weniger Glück hatten, brachten sie sie um, vergewaltigten, wenn sich die Gelegenheit ergab und amüsierten sich überhaupt gut.

»Nein, Boß. Das glaube ich nicht. Das waren drei gute Jungs. Ich bin überzeugt, die sind in der Cité indigené und amüsieren sich; die haben einfach die Zeit vergessen.« Ruffy schüttelte seinen Kopf. »Wir würden ungefähr eine halbe Stunde brauchen, bis wir sie finden. Wir müßten nur runtergehen und die Puffs durchstöbern. Wollen Sie’s versuchen?«

»Nein. Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren, wenn wir Msapa Junction noch vor Dunkelheit erreichen wollen. Wir werden sie uns holen, wenn wir zurückkommen.« Bruce fragte sich, ob es seit den Burenkriegen jemals eine Armee gegeben hatte, in der Fahnenflucht so leicht genommen wurde.

Er nahm das Funkgerät und drückte auf den Sprechknopf.

»Oui, Monsieur.«

»Langsam losfahren. Sehr langsam, bis wir an die Sperre der Vereinten Nationen kommen. Halte ein gutes Stück davor.«

»Oui, Monsieur.«

Sie fuhren aus dem Güterbahnhof, ratterten über die Weichen und ließen das Industrieviertel mit den katangesischen Wachposten an der Kreuzung der Avenue du Cimetière rechts liegen. Dann ging es durch die Vorstädte, bis Bruce die Stellung der Vereinten Nationen vor sich sah; er fühlte, wie er nervös wurde. Der Paß, den er in der Brusttasche seiner Jacke bei sich trug, war von General Rhee Singh unterschrieben, Aber schon oft war es ihm in diesem Krieg passiert, daß der Befehl eines indischen Generals einem sudanesischen Captain oder einem irischen Sergeanten nichts bedeutete. Der Empfang, der sie erwartete, konnte aufregend werden.

»Ich hoffe, daß die über uns Bescheid wissen.« Mike Haig steckte sich lässig eine Zigarette an, aber er starrte unsicher über sie hinweg auf die frischen Erdhaufen, die zu beiden Seiten der Schienen aufgeworfen waren, so daß die Stellungen sichtbar waren.

»Diese Jungens haben Panzerfäuste und sind irische Araber«, murmelte Ruffy. »Ich glaube, das sind die verrücktesten Araber, die es gibt, diese Iren. Hätten sie gerne eine Panzerfaust in die Kehle, Boß?«

»Besten Dank, Ruffy«, lehnte Bruce ab und drückte auf die Sprechtaste.

»Hendry!« Im vorderen Wagen nahm Wally Hendry sein Gerät auf, hielt es gegen die Brust und sah zu Bruce hin.

»Curry?«

»Sag deinen Leuten, daß sie sich von den Maschinengewehren entfernen sollen und daß die anderen die Gewehre zu Boden legen sollen.«

»In Ordnung.«

Bruce beobachtete, wie er den Befehl weitergab, die Leute von den Posten wegschob und sich zwischen den Gendarmen im übervölkerten ersten Wagen bewegte.

Bruce konnte die Spannung spüren, die den ganzen Zug befallen hatte. Seine Leute legten nur widerwillig die Waffen nieder und starrten mit leeren Händen auf die vor ihnen liegende Sperre der Vereinten Nationen.

»Lokführer!« Bruce sprach wieder ins Funkgerät. »Fahr langsamer. Halte etwa fünfzig Meter vor der Sperre. Sollte es eine Schießerei geben, dann laß die Maschine hergeben, was sie kann und fahre einfach durch.«

»Oui, Monsieur.«

Vor ihnen sahen sie keinerlei Zeichen eines Empfangskomitees. Nur eine Sperre von Pfählen und Benzinfässern, die über die Schienen gelegt war.

Bruce richtete sich auf dem Dach des Wagens auf und schwenkte die Arme über seinem Kopf als Zeichen der Neutralität. Das war ein Fehler. Die Geste veränderte die passive Haltung der Leute in den Wagen vor ihm. Einer von ihnen hob ebenfalls die Arme, aber seine Fäuste waren geballt.

»Vereinte Nationen – Merde!« schrie er, und sofort wurde der Schrei von den anderen aufgenommen.

»UN – Merde! UN – Merde!« Sie brüllten ihren Kriegsschrei. Zuerst lachten sie, dann hörte das Lachen auf und ihre Stimmen wurden plötzlich hart.

»Haltet die Schnauze, verdammt noch mal«, brüllte Bruce und schlug mit seiner offenen Hand auf den Kopf eines neben ihm stehenden Gendarmen, der dies aber kaum bemerkte. Seine Augen glänzten von angesteckter Hysterie, für die die Afrikaner so anfällig sind. Er hatte sein Gewehr erhoben und hielt es vor der Brust. Sein Körper begann schon zu zucken, während er schrie.

Bruce hakte seine Finger unter den Kinnriemen des Stahlhelms des Mannes und schob ihm den Stahlhelm über die Augen, so daß sein Nacken frei war. Er fällte ihn mit einem Judoschlag, und der Gendarm fiel vornüber auf die Sandsäcke; das Gewehr entglitt seinen Händen.

»Bringt sie zum Schweigen. Hendry, de Surrier, verdammt noch mal, bringt sie zum Schweigen.« Aber seine Stimme verlor sich in dem Geschrei.

Ein Gendarm riß sein Gewehr hoch, das zu seinen Füßen lag. Bruce sah, wie er sich mit den Ellenbogen Platz machte und versuchte, die eine Seite des Lastwagens zu erreichen, um das Feuer zu eröffnen. Er versuchte dabei, eine Patrone in den Lauf zu bekommen.

»Mwembe!« schrie Bruce den Namen des Gendarmen, aber seine Stimme war nicht laut genug, den Lärm zu durchdringen.

In zwei Sekunden würde alles in einer wüsten Schießerei von Maschinengewehren und Panzerfäusten versinken.

Bruce stand auf dem vorderen Teil des Wagendaches und schätzte für einen Augenblick die Entfernung ab, dann sprang er. Er landete genau auf den Schultern des Gendarmen, und sein Gewicht warf den Mann nach vorne, so daß dessen Gesicht an die Stahlwand des Wagens schlug und beide zu Boden fielen. Der Finger des Gendarmen war noch immer am Abzug, und als es ihm aus den Händen fiel, löste sich der Schuß. Sekunden herrschte völlige Stille, nur der Knall des Schusses war vernehmbar. Bruce stellte sich auf, zog seine Pistole aus seiner Hüfttasche.

»Also gut«, keuchte er und bedrohte dabei die ihn umgebenden Männer. »Kommt her und gebt mir eine Chance, das Ding hier zu benutzen.« Er wählte sich einen Feldwebel aus und starrte ihn an. »Du da, ich warte auf dich. Fang doch an zu schießen.«

Beim Anblick des Revolvers entspannte sich der Mann langsam, und der irre Ausdruck wich aus seinem Gesicht. Er senkte die Augen und scharrte verlegen mit den Füßen.

Bruce sah zu Ruffy und Haig auf dem Dach hinauf und rief:

»Paßt auf sie auf und erschießt den ersten, der wieder anfängt.«

»Okay, Boß.« Ruffy nahm seine Maschinenpistole hoch. »Na, wer will’s denn sein«, fragte er fröhlich, indem er auf sie hinabblickte. Aber die Stimmung hatte sich gewandelt. Ihr Trotz war gebrochen und hatte fast kindlicher Scham Platz gemacht. Ganz leise Unterhaltung durchbrach die Stille.

»Mike«, schrie Bruce schon wieder erregt. »Rufe den Lokführer, er versucht, die Barriere zu durchbrechen!«

Der Lärm des Zuges war lauter geworden, da der Lokomotivführer beim Hören des Schusses mehr Dampf gegeben hatte. Sie rasten auf die Barriere der Vereinten Nationen zu.

Mike Haig ergriff das Sprechgerät und schrie den Befehl hinein. Sofort hörte man, wie die Bremsen angezogen wurden, und der Zug kam innerhalb der letzten hundert Meter vor der Barriere zu Stehen.

Langsam kletterte Bruce wieder auf das Dach des Wagens zurück.

»Das war knapp«, sagte Mike.

»Bei Gott!« Bruce schüttelte den Kopf und zündete sich mit noch zitternden Händen eine Zigarette an. »Noch fünfzig Meter weiter!« Dann drehte er sich um und sah eisig auf seine Gendarmen.