Das Brüllen des Löwen - Wilbur Smith - E-Book
SONDERANGEBOT

Das Brüllen des Löwen E-Book

Wilbur Smith

0,0
3,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Das internationale Phänomen, das den Weltruhm des Autors begründet hat: »Wilbur Smith ist der beste historische Romanautor«, urteilt Stephen King. Wer hoch steigt – und wer tief fällt … Natal, Südafrika im Jahr 1860: Als Erben der väterlichen Farm ist den Courtney-Zwillingen Sean und Garrick ein ehrliches Leben unter der unnachgiebigen afrikanischen Sonne vorherbestimmt. Doch alles kommt anders, als zwischen den englischen Kolonialisten und ansässigen Zulu-Stämmen Krieg ausbricht: Die Brüder werden auseinandergerissen – und während Garrick auf der Familienfarm zurückbleibt, beginnt für Sean ein Leben voller Wagnisse. Auf seinen Abenteuern erlebt er den Aufstieg und Niedergang des Goldfiebers, die Tücken von Liebe und Leidenschaft und den tödlichen Nervenkitzel der Großwildjagd in den weitläufigen Steppen. Doch je weiter er sich von seinen Wurzeln entfernt, desto klarer wird für Sean, dass der Preis für ein solch bewegtes Leben sehr hoch ist … Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der abenteuerliche Afrika-Roman »Das Brüllen des Löwen« von Bestseller-Autor Wilbur Smith ist der Auftakt seiner epochalen historischen Familiensaga um die Familie Courtney – Fans von Jeffrey Archer und Robert Harris werden begeistert sein! Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 657

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über dieses Buch:

Natal, Südafrika im Jahr 1860: Als Erben der väterlichen Farm ist den Courtney-Zwillingen Sean und Garrick ein ehrliches Leben unter der unnachgiebigen afrikanischen Sonne vorherbestimmt. Doch alles kommt anders, als zwischen den englischen Kolonialisten und ansässigen Zulu-Stämmen Krieg ausbricht: Die Brüder werden auseinandergerissen – und während Garrick auf der Familienfarm zurückbleibt, beginnt für Sean ein Leben voller Wagnisse. Auf seinen Abenteuern erlebt er den Aufstieg und Niedergang des Goldfiebers, die Tücken von Liebe und Leidenschaft und den tödlichen Nervenkitzel der Großwildjagd in den weitläufigen Steppen. Doch je weiter er sich von seinen Wurzeln entfernt, desto klarer wird für Sean, dass der Preis für ein solch bewegtes Leben sehr hoch ist …

»Das Brüllen des Löwen« erscheint außerdem als Hörbuch und Printausgabe bei SAGA Egmont, www.sagaegmont.com/germany.

Über den Autor:

Wilbur Smith (1933–2021) wurde in Zentralafrika geboren und gehört zu den erfolgreichsten Schriftstellern der Gegenwart. Der Debütroman seiner Jahrhunderte umspannenden Südafrika-Saga um die Familie Courtney, begründete seinen Welterfolg als Schriftsteller. Seitdem hat er über 50 Romane geschrieben, die allesamt Bestseller wurden, und in denen er seine Erfahrungen aus verschiedenen Expeditionen in die ganze Welt verarbeitete. Seine Bücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und mehrfach verfilmt. Wilbur Smith starb 2021 in Kapstadt im Kreise seiner Familie.

Die Website des Autors: www.wilbursmithbooks.com/

Der Autor bei Facebook: www.facebook.com/WilburSmith/

Der Autor auf Instagram: www.instagram.com/thewilbursmith/

Die große Südafrika-Saga des Autors um die Familie Courtney erscheint bei dotbooks im eBook und bei SAGA Egmont im Print:

»Das Brüllen des Löwen« (auch als Hörbuch bei SAGA Egmont erhältlich)

»Das Grollen des Donners«

»Der Sturz des Sperlings«

»Das Erbe der Steppe«

»Der Zorn der Wildnis«

»Das Vermächtnis der Savanne«

»Der Schatten des Mondes«

»Das Zeichen des Fuchses«

»Flug des Seeadlers«

»Tage des Monsuns«

»König der Wüste«

»Der Triumph der Sonne«

Weitere Bände sind in Vorbereitung.

Die große Ägypten-Saga über den Eunuchen Taita ist bei dotbooks als eBook erhältlich und bei SAGA Egmont als Printausgabe:

»Die Tage des Pharao« (auch als Hörbuch bei SAGA Egmont erhältlich)

»Die Schwingen des Horus«

»Die Söhne des Nils«

»Das Erbe des Magus«

Weitere Bände sind in Vorbereitung.

***

eBook-Ausgabe Mai 2024

Die englische Originalausgabe erschien erstmals 1964 unter dem Originaltitel »When the Lion Feeds« bei Heinemann. Die deutsche Erstausgabe erschien 1988 unter dem Titel »In der Umarmung des Löwen« im Paul Zsolnay Verlag.

First published in 1964 by William Heinemann Ltd.

Copyright © Wilbur Smith 1964

Copyright © der deutschen Erstausgabe by Paul Zsolnay Verlag mbH, Wien/Hamburg 1988

Copyright © der eBook-Ausgabe 2024 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Shutterstock/Norb_KM, Andrezey Knkik, Nik Merkulov, Mathias Sunke, Simaon Dannhauser, Kislev Andrey Valerevich, Ales Seafarer, Antona trifte photography

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (fb)

ISBN 978-3-98952-150-6

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

***

Bei diesem Roman handelt es sich um ein rein fiktives Werk, das vor dem Hintergrund einer bestimmten Zeit spielt oder geschrieben wurde – und als solches Dokument seiner Zeit von uns ohne nachträgliche Eingriffe neu veröffentlicht wird. In diesem eBook begegnen Sie daher möglicherweise Begrifflichkeiten, Weltanschauungen und Verhaltensweisen, die wir heute als unzeitgemäß oder diskriminierend verstehen. Diese Fiktion spiegelt nicht automatisch die Überzeugungen des Verlags wider oder die heutige Überzeugung der Autorinnen und Autoren, da sich diese seit der Erstveröffentlichung verändert haben können. Es ist außerdem möglich, dass dieses eBook Themenschilderungen enthält, die als belastend oder triggernd empfunden werden können. Bei genaueren Fragen zum Inhalt wenden Sie sich bitte an [email protected].

***

Sind Sie auf der Suche nach attraktiven Preisschnäppchen, spannenden Neuerscheinungen und Gewinnspielen, bei denen Sie sich auf kostenlose eBooks freuen können? Dann melden Sie sich jetzt für unseren Newsletter an: www.dotbooks.de/newsletter (Unkomplizierte Kündigung-per-Klick jederzeit möglich.)

***

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Courtney 1« an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

***

Besuchen Sie uns im Internet:

www.dotbooks.de

www.facebook.com/dotbooks

www.instagram.com/dotbooks

blog.dotbooks.de/

Wilbur Smith

Das Brüllen des Löwen

Die Courtney-Saga 1

Aus dem Englischen von F. G. U. Glass

dotbooks.

Erstes BuchNatal

Kapitel 1

Ein Fasan strich den Hügel entlang. Fast streiften seine Flügel das Gras. Dann schlug er sie zusammen, stieg in die Höhe und verschwand hinter der Kuppe des Hügels im Dickicht. Zwei Jungen und ein Hund verfolgten ihn vom Tal her. Der Hund lief voran; weit hing ihm die Zunge heraus und flog ihm um die Schnauze. Schulter an Schulter rannten die Zwillinge hinter ihm her. Beide schwitzten, und dunkle Schweißflecken zeichneten sich auf ihren Khakihemden ab. Obwohl die Sonne bereits auf halbmast stand, strahlte sie hier in Afrika noch immer Hitze genug aus.

Der Hund hatte die Spur des Vogels gefunden und hielt inne. Eine Sekunde lang stand er gespannt und sog den Geruch der Fährte ein. Dann nahm er die Spur auf. Schnell, ab und zu vor- und zurücklaufend, die Schnauze am Boden, wand er sich durch das trockene braune Gras. Nur sein erregt wedelnder Schwanz war noch zu sehen. Die Zwillinge folgten ihm. Sie atmeten schwer, denn es ging jetzt ziemlich steil bergauf.

»Bleib auf deiner Seite, sonst kommst du mir in den Weg«, schrie Sean seinem Bruder zu, und Garrick gehorchte sofort. Sean war für ihn der Ältere, er war etwa zehn Zentimeter größer und zwanzig Pfund schwerer, und schon das gab ihm das Recht zu befehlen. Sean konzentrierte sich jetzt wieder ganz auf den Hund.

»Such, Tinker, such ihn! So ist’s brav!«

Tinkers Schwanz bestätigte, daß er Seans Instruktionen verstanden hatte, und seine Nase blieb weiter dicht am Boden. Die Zwillinge folgten ihm und warteten gespannt auf den Moment, da der Vogel auffliegen würde. Sie trugen beide Wurfstöcke, schlichen jetzt langsam vorwärts und gaben sich Mühe, ihren Atem unter Kontrolle zu halten. Tinker fand den Vogel, der sich flach ins Gras geduckt hatte. Der Hund sprang vor und gab zum erstenmal Laut. Der Fasan flog auf. Es machte einen ziemlichen Lärm, als er mit den Flügeln schlug und sich aus dem Gras hochschnellte.

Sean warf zuerst. Sein Stock zischte an dem Vogel vorbei. Der Fasan drehte ab und schlug verzweifelt mit den Flügeln, um Höhe zu gewinnen, als Garrick warf. Sein Stock wirbelte nach oben und traf genau den fetten braunen Leib des Fasans. Der Vogel taumelte, Federn flogen herunter – dann stürzte er ab. Sie gingen ihm nach. Der Fasan versuchte, mit gebrochenen Flügeln durch das Gras zu entkommen, und sie schrien vor Erregung, während sie ihn jagten. Bis Sean ihn erwischte. Er drehte ihm den Hals um, stand lachend da und hielt den warmen braunen Vogel in den Händen, bis Garrick bei ihm war.

»Prima, Garrick. Das war ein toller Wurf.«

Tinker sprang an Sean hoch, um das Tier zu beschnüffeln. Sean beugte sich hinunter und ließ ihn seine Nase am warmen Balg reiben. Tinker schnupperte und versuchte die Beute zu schnappen. Aber Sean schob seinen Kopf weg und warf den Vogel Garrick zu. Garrick hing ihn zu den anderen an seinen Gürtel.

»Wie weit, glaubst du, war der Wurf – fünfzehn Meter?« fragte Garrick.

»So weit nicht«, meinte Sean. »Ich würde eher sagen zehn.«

»Also ich glaube, es waren mindestens fünfzehn. Ich glaube, es war weiter, als du heute geworfen hast.« Der Erfolg machte Garrick frech. Das Lächeln verschwand aus Seans Gesicht.

»Meinst du?« fragte er.

»Bestimmt!« sagte Garrick. Sean strich sich mit dem Handrücken das Haar aus dem Gesicht. Sein Haar war schwarz und weich und fiel ihm ständig in die Stirn.

»Und das unten am Fluß? Das war mindestens zweimal so weit.«

»Wirklich?« fragte Garrick.

»Wirklich!« sagte Sean grob.

»Na, wenn du so gut bist, wie kam es, daß du diesen hier verfehlt hast? Du hast doch zuerst geworfen. Wie war es möglich, daß du ihn nicht getroffen hast?«

Seans bereits gerötetes Gesicht verfinsterte sich, und Garrick stellte plötzlich fest, daß er zu weit gegangen war. Er steckte zurück.

»Möchtest du wetten?« fragte Sean. Es war Garrick nicht ganz klar, worum Sean wetten wollte, aber frühere Erfahrungen hatten ihn gelehrt, daß die Sache, egal worum es ging, meist durch einen schlichten Zweikampf geregelt werden würde. Nur sehr selten hatte Garrick eine Wette gegen Sean gewonnen.

»Es ist schon zu spät. Wir gehen besser nach Haus. Wenn wir zu spät zum Essen kommen, gibt’s Dresche von Pa.« Sean zögerte einen Augenblick, Garrick holte unterdessen seinen Wurfstock, und dann ging es nach Hause. Sean lief zuerst hinter, dann neben seinem Bruder, schließlich führte er. Nachdem er seiner Meinung nach eindeutig bewiesen hatte, daß er der Bessere im Stockwerfen war, war Sean jetzt bereit zu vergeben. Über die Schulter fragte er: »Was für ein Fohlen, glaubst du, wird Gipsy werfen?«

Garrick akzeptierte den Friedensvorschlag mit Erleichterung, und bald gab es ein freundliches Gespräch über dieses und noch ein Dutzend anderer bedeutender Ereignisse. Sie rannten. Außer der Stunde, die sie an einem schattigen Plätzchen am Fluß gerastet und zwei ihrer Fasanen gebraten und gegessen hatten, waren sie den ganzen Tag gelaufen.

Hier oben auf dem Plateau wuchs hauptsächlich Gras, weiches, trockenes Gras in der Farbe reifen Weizens. Hinter ihnen und zu beiden Seiten breitete sich dieser Grasteppich aus, so weit das Auge reichte.

Sie stapften durch das hüfthohe Gras. Plötzlich standen sie vor einem Steilhang. Am Fuß des Hanges begannen die Tugela Fiats. Der Tugela-Fluß war von hier nur noch dreißig Kilometer entfernt, aber heute war ein solcher Dunst, daß die Zwillinge nicht so weit sehen konnten. Jenseits des Flusses erstreckte sich weit in den Norden und Hunderte von Kilometern in den Osten, zum Meer hin, Zululand. Der Fluß war die Grenze. Der Steilhang, über dem die Brüder jetzt haltmachten, war von Schluchten zerklüftet, in denen dichte, olivgrüne Büsche wuchsen.

Unter ihnen, etwa drei Kilometer entfernt, lag Theunis Kraal, die Heimat der Zwillinge. Es war ein großes Haus, im holländischen Stil erbaut und säuberlich mit ebenmäßig gekämmtem Gras gedeckt. Auf der Koppel tummelten sich Pferde, viele Pferde, denn der Vater der Brüder war ein wohlhabender Mann. Aus dem Küchenschornstein stieg Rauch empor, der hinüber zu den Dienstbotenquartieren zog. Von irgendwoher hörte man, wie Holz gehackt wurde.

Sean setzte sich an der Kante des Abhangs ins Gras. Er nahm einen seiner schmutzigen nackten Füße und zog ihn vors Gesicht. In der Ferse steckte ein Dorn. Er zog ihn heraus, und es blieb ein schmutziges Loch. Garrick setzte sich neben ihn.

»Junge, das wird weh tun, wenn Ma das mit Jod auswäscht«, sagte Garrick schadenfroh. »Sie wird den Dreck mit einer Nadel herausholen müssen. Ich wette, daß du schreien wirst. – Ich wette, du wirst schreien wie ein Wilder!«

Sean ignorierte ihn. Er hatte einen Grashalm genommen und begann damit die Wunde abzutasten. Garrick beobachtete ihn mit großem Interesse. Wohl selten gab es zwei sich weniger gleichende Zwillinge: Sean begann sich bereits zum Mann zu entwickeln, seine Schultern wurden breiter, und sein kindlicher Oberkörper zeigte die ersten Anzeichen von harten Muskeln. Schwarzes Haar, sonnengebräunte Haut, Lippen und Wangen, hinter denen man das frische junge Blut pulsieren sah, und blaue Augen – ein lebhaftes Farbenspiel.

Garrick war schmal, mit den Gelenken eines Mädchens. Sein Haar war von einem unterschiedlichem Braun, am Hinterkopf wuschlig, und ging bis zum Nacken hinunter. Seine Haut war sommersprossig, seine Nasenflügel und die Ränder der blassen Augen waren vom permanenten Heufieber gerötet.

Bald verlor Garrick das Interesse an Seans medizinischen Untersuchungen. Er beugte sich hinüber und begann mit Tinkers Schlappohren zu spielen. Tinker schnaufte und verschluckte sich, Geifer lief aus dem Maul. Garrick schaute den Abhang hinunter. Sein Blick verfing sich in einer der bewachsenen Schluchten. Garrick hielt den Atem an.

»Sean, schau her – da, neben dem Busch!« Seine Stimme klang erregt.

»Was ist los?« Sean blickte plötzlich auf. Dann sah er es.

»Halt Tinker fest.« Garrick packte das Halsband des Hundes und zog dessen Kopf zu sich.

»Das ist bestimmt der größte alte Bock auf der ganzen Welt«, flüsterte Garrick. Sean war viel zu interessiert, um antworten zu können. Der Buschbock setzte mühsam seinen Weg durch das Dickicht fort. Ein großer Bock in sehr hohem Alter. Seine Läufe hatten bereits die Farbe alter weißer Kreidestriche. Seine Ohren waren gespitzt, und sein mächtiges Gehörn hielt er hoch empor. Er war so groß wie ein Pony und trat vorsichtig auf, als er ins Freie kam. Er blieb stehen, drehte witternd den Kopf, ging dann weiter schräg nach unten und verschwand in einer anderen Schlucht. Eine Weile waren die Zwillinge ganz ruhig. Dann brach es aus ihnen hervor.

»Hast du das gesehen? Hast du das Gehörn gesehen?«

»So nah beim Haus, und wir wußten nichts von ihm.«

Sie sprangen auf und redeten wild durcheinander. Auch Tinker war von ihrer Erregung angesteckt. Laut bellend umkreiste er die beiden. Bald setzte sich Sean durch, indem er einfach die anderen überschrie. »Ich wette, daß er sich tagsüber in den Schluchten versteckt und dort auch den ganzen Tag bleibt. Ausgehen tut er sicherlich nur nachts. Los, versuchen wir ihn aufzuspüren.«

Sean führte sie den Abhang hinunter. Am Rand der Büsche, in einer kleinen, bewachsenen Höhle, die dunkel und kühl war und in der ein Teppich aus Blättern lag, fanden sie die Zufluchtsstätte des Bocks. Der Boden war von seinen Hufen zertrampelt, und man konnte im Laub noch den Abdruck seines schweren Körpers erkennen. Auf der Lagerstatt fanden sie graue Haare. Sean beugte sich nieder und hob eines auf.

»Wie können wir ihn bloß kriegen?«

»Wir könnten eine Fallgrube graben und spitze Pfähle hineintun«, schlug Garrick begeistert vor.

»Wer soll sie graben? Du?« fragte Sean.

»Du könntest mir helfen.«

»Das müßte eine ziemlich tiefe Grube sein«, sagte Sean zweifelnd. Einen Augenblick herrschte Schweigen, während beide darüber nachdachten, wieviel Arbeit notwendig wäre, um eine richtige Falle zu graben. Danach wurde das Thema nicht mehr berührt.

»Wir könnten die anderen Kinder aus der Stadt holen und mit Stöcken auf ihn Jagd machen«, sagte Sean.

»Wie viele Jagden haben wir bis jetzt mit denen schon gemacht? Sicherlich Hunderte. Und dabei haben wir nicht mal eine lausige Antilope gefangen, geschweige denn einen Buschbock.« Garrick zögerte; dann fuhr er fort: »Außerdem, erinnerst du dich noch daran, was der Bock mit Frank van Essen gemacht hat? Als er aufhörte, in Frank herumzustochern, mußten sie Frank seine Eingeweide in den Bauch zurückschieben!«

»Hast du Angst?« fragte Sean.

»Selbstverständlich nicht. Was glaubst du denn von mir«, antwortete Garrick beleidigt, und dann fügte er schnell hinzu: »Es ist schon fast dunkel. Schnell nach Hause!«

Sie rannten ins Tal.

Kapitel 2

Sean lag im Dunkeln und starrte durch das Zimmer auf das große graue Rechteck des Fensters. Man konnte draußen ein kleines Stück der Mondsichel sehen. Sean konnte nicht schlafen. Er mußte immer an den Hirsch denken. Er hörte die Eltern an der Schlafzimmertür vorbeigehen. Seine Stiefmutter hatte etwas gesagt, worüber sein Vater lachte. Waite Courtney hatte ein Lachen, das wie entfernter Donner klang.

Sean hörte, wie sich die Tür zu ihrem Zimmer schloß, und setzte sich im Bett auf. »Garrick.« Keine Antwort.

»Garry.« Er hob einen Schuh hoch und warf ihn. Dem folgte ein Grunzen. »Garry!«

»Was willst du denn?« Garricks Stimme war schlaftrunken.

»Ich habe gerade nachgedacht – morgen ist Freitag.«

»Na und?«

»Ma und Pa gehen in die Stadt. Sie werden den ganzen Tag nicht da sein. Wir könnten das Gewehr nehmen und uns auf die Lauer legen, um den Bock zu schießen.«

Garricks Bett knarrte alarmierend.

»Du bist verrückt!« Garrick konnte den Schreck nicht verbergen. »Pa würde uns umbringen, wenn er uns mit seinem Gewehr erwischte.« Schon als er es sagte, war er sich dessen bewußt, daß er ein stärkeres Argument finden müsse, um seinen Bruder zu überzeugen. Sean ließ sich nicht gerne bestrafen, aber die Chance, einen Bock zu schießen, war ihm offensichtlich wert, alles zu erdulden, was der rechte Arm seines Vaters austeilen konnte. Garrick lag starr in seinem Bett und suchte nach Worten.

»Außerdem hält Pa die Patronen unter Verschluß.«

Das war ein guter Versuch, aber Sean unterbrach ihn sofort.

»Ich weiß, wo noch zwei Patronen sind, die er vergessen hat. In der großen Vase im Eßzimmer. Da liegen sie schon seit über einem Monat.«

Garrick begann zu schwitzen. Er konnte schon die Peitschenhiebe auf seinem Hintern fühlen und seinen Vater zählen hören: acht, neun, zehn.

»Bitte, Sean, machen wir lieber etwas anderes.«

In der anderen Ecke des Raumes legte sich Sean bequem in die Kissen zurück. Die Entscheidung war gefallen.

Kapitel 3

Waite Courtney half seiner Frau auf den Vordersitz der zweirädrigen Kutsche. Er streichelte dabei liebevoll ihren Arm und ging dann herum zum Fahrersitz, wobei er stehenblieb und die Pferde tätschelte. Dann setzte er seinen Hut auf den kahlen Kopf. Er war ein großer Mann, und die Kutsche senkte sich unter seinem Gewicht.

Er nahm die Zügel und wandte sich um. Seine Augen lachten über der großen Hakennase zu den Zwillingen hinüber, die zusammen auf der Veranda standen.

»Ich würde es als eine große Gnade betrachten, wenn die beiden jungen Herren es fertigbrächten, die paar Stunden, in denen die Frau Mutter und ich fort sind, keinen Ärger zu machen.«

»Ja, Pa«, kam der pflichtgemäße Chor.

»Sean, wenn du das Bedürfnis haben solltest, wieder auf den großen blauen Gummibaum zu klettern, dann kämpfe dagegen an. Klar?«

»Gewiß, Pa.«

»Garrick, ich wünsche, daß wir keine weiteren Experimente in der Fabrikation von Pulver vornehmen. Verstanden?«

»Ja, Pa.«

»Und schaut um Himmels willen nicht so unschuldig drein, das läßt mich das Allerschlimmste befürchten!«

Waite berührte mit der Peitsche die glänzenden Rücken der Pferde, und die Kutsche verschwand auf der Straße nach Ladyburg.

»Er hat nichts davon gesagt, daß wir sein Gewehr nicht nehmen sollen«, flüsterte Sean tugendhaft. »So, jetzt geh du und sieh zu, daß uns keiner von der Dienerschaft über den Weg läuft. Wenn die uns sehen, machen sie sofort Ärger. Und dann komm zum Schlafzimmerfenster, und ich werde dir das Gewehr hinausreichen.«

Sean und Garrick stritten sich den ganzen Weg bis zum Fuß des Steilhangs. Sean trug das Gewehr über der Schulter und hielt mit beiden Händen den Kolben.

»Es war meine Idee. Oder nicht?« fragte er.

»Aber ich habe den Bock zuerst gesehen«, protestierte Garrick, wieder tapferer. Mit jedem Meter, den er sich weiter von zu Hause entfernte, schwand die Furcht vor Strafe.

»Das zählt nicht«, informierte ihn Sean. »Ich dachte zuerst an das Gewehr, also werde ich auch schießen...«

»Wie kommt es, daß du immer allen Spaß hast?« fragte Garrick, und Sean war wütend über diese Frage.

»Als du das Habichtnest am Fluß gefunden hast, habe ich dich, klettern lassen. Oder etwa nicht? Als du die Babygazelle gefunden hast, habe ich dich sie füttern lassen, oder etwa nicht?« fragte er.

»Schon gut. Und ich habe den Bock zuerst gesehen, warum läßt du mich dann nicht schießen?«

Sean war schweigsam und erschüttert über soviel Dickköpfigkeit. Gleichzeitig hielt er aber das Gewehr fester. Um mit seiner Argumentation durchzukommen, würde Garrick ihm erst mal das Gewehr abnehmen müssen. Das wußte Garrick, und darum begann er zu schmollen. Sean blieb zwischen den Bäumen am Fuß des Steilhangs stehen und sah über die Schulter auf seinen Bruder.

»Hilfst du mir jetzt, oder muß ich es allein machen?« Garrick sah zu Boden und trat auf einen Zweig. Er schnüffelte vor sich hin, sein Heuschnupfen machte sich morgens immer besonders unangenehm bemerkbar.

»Also?« fragte Sean.

»Was soll ich denn tun?«

»Bleib hier stehen und zähle langsam bis tausend. Ich gehe den Abhang hinauf und warte dort, wo der Bock gestern aufgekreuzt ist. Wenn du mit dem Zählen fertig bist, dann komm durch die Schlucht herauf. Wenn du etwa die Hälfte hast, fang an zu schreien. Ich bin überzeugt, daß der Bock dann an derselben Stelle wie gestern versuchen wird durchzubrechen. Hast du mich verstanden?«

Mißmutig nickte Garrick.

»Hast du Tinkers Leine mitgebracht?«

Garrick holte sie aus der Tasche, worauf der Hund zurückwich. Sean packte ihn am Halsband, und Garrick nahm ihn an die Leine. Tinker legte die Ohren an und beobachtete beide traurig.

»Laß ihn nicht los. Der alte Bock würde ihn aufspießen. Und jetzt fang an zu zählen«, sagte Sean und begann den Aufstieg. Er hielt sich weit links in der Schlucht. Das Gras des Abhangs gab unter seinen Füßen nach, das Gewehr war schwer, und im Gras lagen scharfe, spitze Steinblöcke. Er stieß sich einen Zeh an, der zu bluten anfing, aber er kletterte weiter. Dort, wo Sean das Versteck des Bockes markiert hatte, stand ein abgestorbener Baum. Sean kletterte gerade so weit hinauf, daß ihn das wiegende Gras noch verbarg. Er atmete schwer. Er fand einen Stein von der Größe eines Bierfasses, auf den er das Gewehr legen konnte, und kroch dahinter. Er legte den Schaft des Gewehrs auf den Felsen und zielte den Berg hinunter, genau über beide Läufe peilend, um sicherzugehen, daß im Schußfeld alles klar war. Er stellte sich vor, wie der Bock ihm vor die Kimme kommen würde, und fühlte einen erregten Schauder, der von den Armen über die Schultern den Rücken hinunterlief.

»Ich werde nicht auf seinen Schädel zielen, da er sich ziemlich langsam bewegen wird, vielleicht sogar nur so vor sich hintrottet. Ich werde sein Schulterblatt treffen«, flüsterte er.

Er klappte das Gewehr auf, nahm die beiden Patronen aus seiner Hemdtasche, steckte sie in die Läufe und schloß das Gewehr. Er brauchte die Kraft beider Hände, um die zwei schweren Schlaghähne zurückzuziehen, aber er schaffte es, und das Gewehr war jetzt geladen und entsichert. Er legte es vor sich auf den Felsen und starrte den Abhang hinauf. Zu seiner Linken, an der Bergseite, lag die Schlucht wie ein dunkelgrüner Strich. Direkt unter ihm klaffte eine Lücke im hohen Gras, die der Bock passieren mußte. Sean fuhr sich ungeduldig mit der Hand über die Stirn, um das klebrig verschwitzte Haar wegzustreichen.

Die Minuten gingen vorbei.

»Was, zum Teufel, macht Garry? Er ist manchmal so dumm!« Während Sean so vor sich hinbrummelte, hörte er, fast wie eine Antwort, Garrick unten rufen. Es war ein leises Geräusch, tief unten am Hang und vom Gebüsch gedämpft. Einmal schlug auch Tinker an, aber es klang ziemlich matt; er war verärgert und konnte die Leine nicht leiden.

Sean wartete, den Finger am Abzug. Er starrte über den Rand der Böschung. Wieder rief Garrick – und jetzt brach der Bock aus dem Dickicht.

Schnell erreichte er die Lichtung, die Nase hoch, das mächtige Gehörn flach auf den Rücken gelegt. Sean rutschte zur Seite, schwang damit das Gewehr herum und preßte den Kolben fest gegen die Schulter. Als er abdrückte und das Geschoß den linken Lauf verließ, war der Rückschlag so stark, daß er die Balance verlor. Seine Ohren dröhnten vom Knall des Schusses, und schwarzer Pulverdampf schlug ihm ins Gesicht. Er kam mühsam wieder auf die Beine und hielt noch immer das Gewehr. Der Bock lag im Gras, blutend wie ein Lamm und um sich schlagend, während er starb.

»Ich habe ihn«, schrie Sean. »Ich habe ihn mit dem ersten Schuß. Garry! Garry! Ich habe ihn, ich habe ihn!«

Tinker brach durch den Busch, Garry hinter sich herzerrend. Noch immer schreiend, lief Sean auf sie zu. Ein Stein löste sich unter seinem Fuß, und er stürzte.

Das Gewehr schlug zu Boden, und der zweite Lauf entlud sich.

Es knallte nochmals überlaut. Als Sean wieder auf die Füße kam, sah er Garrick im Gras sitzen und wimmern – er wimmerte und starrte auf sein Bein. Das Geschoß des Jagdgewehrs war genau unterhalb des Knies eingeschlagen und hatte das Fleisch in Fetzen gerissen. Alles war offen, die zerschlagenen Knochen sahen weiß aus der Wunde, das Blut floß dick und dunkel in Strömen.

»Das wollte ich nicht! Um Himmels willen – Garry, das wollte ich nicht. Ich bin ausgerutscht. Ehrlich, ich bin ausgerutscht.« Sean starrte auf das Bein. Alle Farbe war aus seinem Gesicht gewichen, und die Augen waren groß und dunkel vor Entsetzen. Das Blut strömte ins Gras.

»Halt das Blut auf! Sean, bitte halt es auf! Oh, es tut so weh! O Sean, bitte halt es auf.«

Sean lief auf ihn zu. Er band, so gut er konnte, mit seinem Gürtel das Bein ab. Warmes, dickes Blut floß ihm über die Hände. Er benutzte sein Messer, um den Gürtel fester zu ziehen. Das Bluten ließ nach, und er zog noch fester an.

»O Sean, es tut so weh. Es schmerzt so ...« Garricks Gesicht war wachsweiß, und er begann sich zu schütteln, als sich die kalte Hand des Schocks auf ihn legte.

»Ich hole Joseph«, stammelte Sean. »Wir kommen so schnell es geht zurück – o Gott, es tut mir ja so leid!« Sean sprang auf und lief. Er stürzte, raffte sich zusammen und lief weiter.

Nach einer Stunde waren sie zurück. Sean kam mit drei Zuludienern. Joseph, der Koch, hatte eine Decke mitgebracht. Er wickelte Garrick ein und hob ihn auf. Garrick verlor das Bewußtsein. Sein Bein baumelte hin und her. Als sie sich auf den Rückweg machten, sah Sean ins Tal hinab. Auf der Straße nach Ladyburg entdeckte er eine kleine Staubwolke. Einer der Leute ritt los, um Waite Courtney zu holen. Sie warteten auf der Veranda, als Waite Courtney nach Theunis Kraal zurückkam. Garrick hatte das Bewußtsein wiedererlangt. Er lag auf der Couch. Sein Gesicht war weiß, und Blut hatte die Decke durchtränkt. Die Kleider von Joseph waren ebenfalls blutig, und das Blut an Seans Händen war schwarz verkrustet. Waite Courtney rannte zur Veranda hinauf, er beugte sich über Garrick und schlug die Decke zurück. Eine Sekunde lang starrte er auf das Bein, dann deckte er es vorsichtig wieder zu. Waite hob Garrick hoch und trug ihn zum Wagen. Joseph folgte ihm, und sie legten ihn auf den Rücksitz. Joseph hielt den Körper fest, während Garricks Stiefmutter das Bein in den Schoß nahm, um ein Schlenkern zu verhindern. Waite Courtney kletterte schnell auf den Kutschersitz, nahm die Zügel, dann wandte er sich um und sah auf Sean, der noch immer auf der Veranda stand. Waite sagte nichts, aber seine Augen waren schrecklich. Sean konnte seinem Blick nicht standhalten. Waite Courtney raste nach Ladyburg. Er kutschierte wie ein Besessener, der Fahrtwind trieb seinen Bart aus dem Gesicht.

Sean beobachtete, wie sie davonfuhren. Nachdem sie zwischen den Bäumen verschwunden waren, blieb er allein auf der Veranda stehen. Dann wandte er sich plötzlich um und rannte ins Haus zurück. Er rannte durch die Küche über den Hof zum Sattelraum, riß Zaumzeug und Sattel vom Haken und lief damit zur Koppel. Er suchte sich eine graue Stute aus und trieb sie in eine Ecke; erst dann konnte er seinen Arm um ihren Nacken schlingen. Er zwang ihr das Zaumzeug ins Maul, zog den Kinnriemen an und schwang sich dann auf ihren bloßen Rücken. Jetzt stieß er ihr die Hacken in die Seiten und dirigierte sie zum Koppeltor. Während sie sprang, schnellte sein Körper hoch und fiel dann schwer auf ihren Nacken zurück, als sie wieder Boden unter den Füßen hatte. Sean riß sich zusammen und galoppierte auf die Straße nach Ladyburg.

Bis zur Stadt waren es fünfzehn Kilometer, und die Kutsche war vor Sean dort. Sie stand vor der Praxis von Dr. van Rooyen. Die Pferde blähten die Nüstern und waren naßgeschwitzt. Sean sprang vom Rücken der Stute, stieg die Stufen zur Praxis hinauf und öffnete leise die Tür. Der süßliche Geruch von Chloroform schlug ihm entgegen. Garrick lag auf dem Tisch, Waite und seine Frau standen daneben. Der Doktor wusch sich die Hände in einem Emaillebecken. Ada Courtney weinte leise vor sich hin. Alle sahen auf Sean, der in der Tür stand.

»Komm her«, sagte Waite Courtney. Seine Stimme war flach und ausdruckslos. »Komm her und stell dich hier neben mich. Deinem Bruder wird jetzt das Bein abgenommen, und – bei Gott – ich werde dafür sorgen, daß du ihn jede Sekunde der Operation genau beobachtest.«

Kapitel 4

Nachts brachten sie Garrick zurück nach Theunis Kraal. Waite Courtney kutschierte sehr langsam und vorsichtig, und Sean ritt ein gutes Stück hinter ihnen. Er fror in seinem dünnen Khakihemd, und ihm war schlecht von dem, was er gesehen hatte. Sein Oberarm war grün und blau dort, wo sein Vater ihn gehalten und gezwungen hatte zuzusehen. Die Diener hatten Laternen auf die Veranda gebracht. Sie standen im Schatten, bewegungslos und erregt. Als Waite den Körper, der in eine Decke gehüllt war, die Stufen hinauftrug, rief einer leise im Zuludialekt: »Das Bein?«

»Es ist fort«, sagte Waite schroff.

Man hörte alle schwer atmen, und dann fragte die Stimme wieder: »Geht es ihm gut?«

»Er lebt«, sagte Waite und trug Garrick in das Zimmer, das für Gäste und Krankheitsfälle reserviert war. Er stand in der Mitte des Raumes, seinen Sohn auf den Armen, während seine Frau das Bett mit frischen Laken bezog. Dann legte er ihn nieder und deckte ihn zu.

»Können wir noch irgend etwas tun?« fragte Ada.

»Wir können warten.«

Ada griff nach der Hand ihres Marines und flüsterte: »Lieber Gott, laß ihn leben. Er ist noch so jung.«

»Es ist alles Seans Schuld!« Die Wut stieg plötzlich in Waite hoch. »Garry hätte so etwas nie von allein getan.« Er versuchte, sich von Adas Hand loszureißen.

»Was willst du tun?« fragte sie.

»Ich werde ihn verprügeln. Ich werde ihn grün und blau schlagen!«

»Nein, bitte nein!«

»Was sagst du?«

»Er hat genug. Hast du denn sein Gesicht nicht gesehen?«

Waites Schultern sanken schwer herab, als er sich in den Lehnstuhl neben das Bett setzte. Ada streichelte seine Wange.

»Ich werde hier bei Garry bleiben. Versuche du etwas zu schlafen, mein Lieber.«

»Nein«, sagte Waite. Sie setzte sich auf die Lehne des Stuhles, und Waite umfaßte ihre Hüften. Nach langer Zeit schliefen sie ein, auf dem Stuhl neben dem Bett aneinandergeschmiegt.

Kapitel 5

Die nächsten Tage waren schlimm. Garricks Verstand verließ das Flußbett des normalen Denkens und floß über in das heiße Land des Deliriums. Er drehte ununterbrochen sein fieberheißes Gesicht von einer Seite auf die andere. Er wimmerte und schrie in seinem großen Bett. Der Stumpf seines Beines schwoll furchtbar an, und die Nähte waren so gespannt, daß man glauben konnte, sie würden das geschwollene Fleisch zerreißen. Der Eiter strömte gelb und übelriechend über die Laken.

Ada war die ganze Zeit bei ihm. Sie wischte ihm den Schweiß vom Gesicht, wechselte die Bandagen an seinem Beinstumpf, hielt ihm das Glas beim Trinken und beruhigte ihn, wenn er tobte. Ihre Augen waren fast in den Höhlen verschwunden durch Übermüdung und Angst, aber sie war nicht bereit, Garrick zu verlassen. Waite konnte es nicht ertragen. Er hatte die typisch männliche Furcht vor dem Leiden, und sie schien ihn zu ersticken, wenn er im Zimmer war. Alle halbe Stunde kam er herein, stand neben dem Bett und wandte sich dann ab, um mit seinen rastlosen Wanderungen durch das Haus fortzufahren. Ada konnte seine schweren Schritte in den Korridoren hören.

Sean war auch im Haus. Er saß in der Küche oder in einer Ecke der Veranda. Niemand sprach mit ihm. Nicht einmal die Dienerschaft. Wenn er versuchte, sich in Garricks Zimmer zu stehlen, wurde er von ihnen verjagt. Er war einsam in der hoffnungslosen Einsamkeit der Schuldigen. Denn Garry würde sterben. Er erkannte es an der Ruhe, die über Theunis Kraal lastete. Es gab keinerlei Unterhaltung, nicht einmal das Klappern von Geschirr aus der Küche. Kein tiefes Lachen von seinem Vater, und selbst die Hunde schienen bedrückt zu sein.

Der Tod hing über Theunis Kraal. Sean roch ihn aus den verschmutzten Laken, die von Garricks Zimmer in die Küche gebracht wurden. Es war ein dumpfer Geruch, der Geruch eines Tieres. Manchmal konnte er ihn deutlich wahrnehmen. Selbst im hellen Tageslicht, wenn er auf der Veranda saß, fühlte er, wie etwas neben ihn kroch und sich wie ein Schatten über sein Blickfeld senkte. Bis jetzt hatte er noch keine Form angenommen. Es war eine Dunkelheit, eine Kälte, die sich wie ein Wall um das Haus legte und immer stärker wurde, bis sie stark genug war, seinen Bruder zu holen.

Am dritten Tag stürmte Waite Courtney aus Garricks Zimmer. Er lief durch das Haus auf die Pferdekoppel. »Karlie, wo bist du? Sattle sofort Roiberg. Beeil dich, Mann. Beeil dich, verdammt noch mal! Er stirbt!«

Sean bewegte sich nicht von seinem Platz an der Mauer nahe der hinteren Tür. Sein Arm umschloß den Nacken von Tinker, und der Hund berührte Seans Wange mit seiner kalten Schnauze. Sean beobachtete, wie sein Vater auf den Rücken des Hengstes sprang und davonritt. Die Hufe klapperten laut, als er in Richtung Ladyburg verschwand. Jetzt stand Sean auf und schlich ins Haus. Vor Garricks Tür lauschte er, dann öffnete er sie und trat leise ein. Ada wandte sich nach ihm um. Ihr Gesicht war müde. Sie sah jetzt viel älter aus als fünfunddreißig, aber ihr schwarzes Haar war straff nach hinten gebunden, und ihr Kleid war frisch und sauber. Trotz ihrer Erschöpfung war sie noch immer eine schöne Frau. Sie war von einem Liebreiz umgeben und einer Güte, die selbst Leiden und Angst nicht zerstören konnten. Sie streckte Sean die Hand entgegen, er trat ein, stellte sich neben ihren Stuhl und sah auf Garrick. Dann wußte er, warum sein Vater zum Arzt geritten war. Der Tod war im Zimmer, stark und eiskalt hockte er über dem Bett. Garrick lag ganz ruhig. Sein Gesicht war gelb, seine Augen geschlossen, die Lippen trocken und rauh.

Einsamkeit und Schuld bäumten sich in Sean auf und trieben Tränen in ihm hoch, die so stark waren, daß sie ihn auf die Knie zwangen und er sein Gesicht in Adas Schoß verbergen und weinen mußte. Er weinte zum letztenmal in seinem Leben. Er weinte, wie nur ein Mann weint.

Waite Courtney kam von Ladyburg mit dem Doktor zurück. Und wieder wurde Sean hinausgeschickt und die Tür verschlossen. Die ganze Nacht hindurch hörte er, wie sie in Garricks Zimmer arbeiteten. Das Murmeln der Stimmen und die Geräusche der Schritte auf dem gelben Holzfußboden. Am Morgen war es vorbei. Das Fieber war gebrochen, und Garrick lebte. Er lebte gerade noch. Seine Augen waren so tief in den Höhlen verschwunden, daß er wie ein Totenkopf aussah. Weder sein Körper noch sein Geist sollten jemals wieder vollkommen genesen. Es ging langsam. Es dauerte eine Woche, bis er stark genug war, wieder selbst Essen zu sich zu nehmen. Sein erster Wunsch war, seinen Bruder zu sprechen. Noch ehe er richtig reden konnte, flüsterte er: »Wo ist Sean?«

Und Sean, noch immer bedrückt, saß stundenlang bei ihm. Wenn Garrick einschlief, floh Sean aus dem Zimmer, holte Angelrute oder Wurfstock und ging mit Tinker auf die Jagd. Es war ein Teil von Seans Buße, daß er es für selbstverständlich hielt, so lange Stunden ans Krankenzimmer gebunden zu sein. Es war, als ob er mit kurzen Stricken wie ein junges Fohlen zusammengebunden war und als ob diese Stricke ihn wundrieben. Niemand würde es je ermessen können, was es für ihn bedeutete, ruhig neben Garricks Bett zu sitzen, während sein Körper vor unverbrauchter Energie brannte und seine Gedanken wild durcheinandertobten.

Dann kam der Zeitpunkt, an dem Sean zur Schule zurückkehren mußte. Er verließ das Haus an einem Montagmorgen, als es draußen noch stockdunkel war.

Garrick hörte die Geräusche der Abfahrt, das Anspannen der Pferde und Adas Stimme, die noch letzte Anweisungen gab: »Ich habe eine Flasche mit Hustensaft unter deine Hemden gepackt. Gib sie dem Fräulein, sobald du ausgepackt hast. Sie wird dafür sorgen, daß du sie beim ersten Anzeichen einer Erkältung nimmst.«

»Ja, Mama.«

»In dem kleinen Koffer sind sechs Unterhemden. Zieh jeden Tag ein frisches an.«

»Unterhemden sind weibische Dinger.«

»Du wirst das tun, was man dir sagt, junger Freund«, ertönte Waites Stimme. »Beeil dich mit deinem Porridge, wir müssen los, wenn du um sieben Uhr in der Stadt sein willst.«

»Kann ich Garry noch auf Wiedersehen sagen?«

»Du hast ihm gestern nacht auf Wiedersehen gesagt. Er schläft noch.« Garrick öffnete den Mund, um zu rufen, aber er wußte, daß seine Stimme noch nicht kräftig genug war. Ruhig lag er da und hörte, wie die Stühle zurückgeschoben wurden und wie sich alle auf die Veranda begaben. Abschiedsgrüße und dann das Mahlen der Räder im Kies, als die Kutsche den Weg zur Straße hinunterrollte. Als Sean mit dem Vater fortgefahren war, war es sehr ruhig geworden.

Von jetzt ab war das Wochenende für Garrick der einzige Lichtblick in dem farblosen Zeitablauf. Er sehnte sich nach ihm, und zwischen dem vergangenen und dem kommenden lag eine Ewigkeit. Für die Jungen und Kranken geht die Zeit nur sehr langsam vorüber. Ada und Waite wußten ziemlich genau, wie es um ihn stand. Der Mittelpunkt des Haushalts wurde in sein Zimmer verlegt. Sie brachten aus der Halle zwei dicke Lederarmsessel, stellten sie neben sein Bett und verbrachten ihre Abende bei ihm. Waite, die Pfeife im Mund und ein Glas Cognac neben sich, arbeitete an dem Holzbein und lachte zum erstenmal wieder herzhaft. Ada hatte ihre Strickerei im Schoß. So versuchten sie beide, ihm nahezukommen. Vielleicht war es gerade diese unbewußte Anstrengung, die sie scheitern ließ – oder ist es unmöglich, sich so weit zurück in die Seele eines kleinen Jungen zu versetzen? Es gibt immer eine gewisse Zurückhaltung, die sich wie eine Mauer zwischen die Erwachsenen und die geheimnisvolle Welt der Jugend schiebt. Garrick lachte mit ihnen, und sie unterhielten sich, aber anders als mit Sean. Tagsüber mußte sich Ada um ihren großen Haushalt kümmern, und Waites Beschäftigung bestand in der Bewirtschaftung von fünfzehntausend Morgen Land und zweitausend Stück Vieh. Das war die einsamste Zeit für Garrick. Hätte es nicht die Bücher gegeben, dann hätte er es kaum ausgehalten. Er las alles, was Ada ihm brachte: Stevenson, Swift, Defoe, Dickens und sogar Shakespeare. Vieles davon verstand er nicht. Aber er las wie ein Süchtiger, der das Opium des gedruckten Wortes in sich aufsaugt in der Hoffnung, es könnte ihm helfen, die Zeit bis zum Freitag zu überbrücken.

Wenn Sean freitags nach Hause kam, war es, als ob ein frischer Wind durchs Haus wehte. Türen wurden zugeworfen, Hunde bellten, Diener schimpften, und Füße rannten treppauf und treppab. Den größten Lärm machte Sean. Aber nicht er allein. Dann waren da noch Seans Freunde, junge Burschen aus der Dorfschule. Genauso bereitwillig akzeptierten sie Seans Autorität; das lag nicht allein an seinen Fäusten, sondern ebenso an seinem offenen Lachen und der Fähigkeit, Begeisterung zu entfachen. In diesem Sommer kamen sie in Schwärmen nach Theunis Kraal. Manchmal saßen sie zu dritt auf einem ungesattelten Pony, wie Spatzen auf dem Zaun. Sie kamen auch wegen der Attraktion von Garricks Beinstumpf. Sean war sehr stolz darauf.

»Hier hat der Doktor es abgesägt.« Und damit zeigte er auf eine Reihe von Stichen, die in dem Rosa der Wundmale zu sehen waren.

»Kann ich das mal anfassen?«

»Nicht zu fest, sonst kann es aufbrechen.« Garrick hatte niemals soviel Aufmerksamkeit in seinem Leben erfahren. Er strahlte und sah die feierlichen, weit aufgerissenen Augen im Kreis.

»Es fühlt sich komisch an. Ein bißchen heiß.«

»Hat es sehr weh getan?«

»Wie hat er den Knochen durchgehauen? Mit einer Axt?«

»Nein.« Sean war der einzige, der technische Fragen dieser Art beantworten konnte. »Mit einer Säge. Wie ein Stück Holz.« Er machte dabei eine erklärende Handbewegung.

Aber selbst dieses faszinierende Thema konnte sie nicht lange stillhalten. Und plötzlich kam Unruhe unter sie.

»Hört mal, Sean, Karl, ich weiß ein neues Laubfroschversteck. Wollt ihr euch das mal ansehen?« Oder: »Geh’n wir doch Frösche fangen.«

Und da machte Garrick sich verzweifelt bemerkbar. »Wenn ihr wollt, könnt ihr euch meine Briefmarkensammlung ansehen. Sie ist da drüben im Schrank.«

»Nein, die haben wir schon letzte Woche gesehen. Hauen wir ab.«

Das war der Moment, in dem Ada, die durch die offene Küchentür zugehört hatte, das Essen brachte. Blätterteig mit Honig übergossen, Schokoladenkuchen mit Pfefferminz-Zuckerguß, Wassermelonen, Konfekt und ein halbes Dutzend anderer Leckereien. Sie wußte genau, daß die Jungen nicht weggehen würden, bevor alles aufgegessen war, und sie wüßte auch, daß sich alle den Magen dabei verderben würden. Aber das war immer noch besser, als daß Garrick allein in seinem Bett lag und hören mußte, wie die anderen in die Berge zogen.

So ein Wochenende war kurz und atemlos. Und dann begann wieder eine lange Woche für Garrick. Es dauerte acht Wochen. Acht lange Wochen, ehe Dr. van Rooyen ihm erlaubte, tagsüber draußen auf der Veranda zu sitzen. Und jetzt wurde plötzlich die Aussicht, wieder gesund zu werden, für Garrick zur Realität. Das Bein, das Waite für ihn bastelte, war fast fertig. Er hatte eine Lederstulpe genäht, die über den Stumpf geschoben und dann mit flachen Kupfernägeln an das Holz geheftet werden konnte. Er hatte sehr vorsichtig und sorgfältig gearbeitet, um Leder und Bänder, die das künstliche Bein in der richtigen Position halten sollten, anzufertigen. Inzwischen übte Garrick auf der Veranda. Er hüpfte, einen Arm um Adas Schulter geschlungen, mit zusammengebissenen Zähnen und so konzentriert, daß die Sommersprossen auf seinem Gesicht besonders stark hervortraten, wie an einem heißen Tag. Zweimal täglich massierte Ada den Stumpf mit Spiritus, damit er sich langsam erhärten und den ersten Kontakt mit der Lederhülle ertragen würde.

»Ich wette, daß sich Sean wundern wird, was? Wenn er mich auf einmal wieder laufen sieht.«

»Alle werden sich wundern.« Ada sah auf und lächelte.

»Kann ich es nicht jetzt schon probieren? Dann könnte ich mit ihm am Sonnabend, wenn er kommt, zum Fischen gehen.«

»Garry, du mußt nicht gleich zuviel erwarten. Das wird anfangs gar nicht so einfach sein. Du wirst erst einmal lernen müssen, es zu gebrauchen. Es ist so, wie wenn man reiten lernt. Erinnerst du dich noch, wie oft du heruntergefallen bist, ehe du richtig reiten konntest?«

»Aber kann ich es nicht jetzt schon einmal versuchen?«

Ada griff wieder zur Spiritusflasche, goß ein bißchen in die Hand und rieb den Stumpf ein. »Wir müssen warten, bis uns Dr. van Rooyen sagt, daß es soweit ist. Es wird nicht mehr lange dauern.«

Das stimmte. Nach seinem nächsten Besuch sagte Dr. van Rooyen zu Waite, während sie zur Kutsche gingen: »Sie können es jetzt mit dem Holzbein versuchen. Es wird eine Beschäftigung für ihn sein. Er soll sich aber nicht überanstrengen, und passen Sie auf, daß der Stumpf nicht wundgerieben wird. Wir wollen keine neue Infektion.«

›Holzbein.‹ Waites Gedanken brachten das häßliche Wort wie ein Echo zurück, während der Wagen davonfuhr. ›Holzbein.‹ Er ballte die Fäuste und wollte sich nicht umdrehen, um nicht das erbarmungswürdige, aufgeregte Gesicht zu sehen, das ihn von der Veranda her anstarrte.

Kapitel 6

»Bist du sicher, daß es bequem ist?« Waite kauerte vor Garricks Stuhl nieder und band das Bein fest, während Ada neben ihm stand.

»Ja, ja. Laß mich’s jetzt versuchen. Sean wird überrascht sein, was? Vielleicht kann ich am Montag schon mit ihm zurück zur Schule gehen. Meinst du nicht?« Garrick zitterte vor Erregung.

»Wir werden sehen«, brummte Waite zweifelnd. Er stand auf und ging um den Stuhl herum.

»Ada, meine Liebe, nimm den anderen Arm. Jetzt paß auf, Garry. Ich möchte, daß du zuerst das Gefühl dafür bekommst. Wir werden dich jetzt aufrichten, und du kannst dich erst einmal hinstellen und die Balance halten. Hast du mich verstanden?«

Garrick nickte aufgeregt.

»Also los, jetzt geht’s hoch.«

Garrick zog das Bein an und die Spitze kratzte über den hölzernen Boden. Sie richteten ihn auf, und er ließ sein Gewicht daraufsinken. »Schaut mich an. Ich stehe. Seht her, ich stehe auf ihm.« Sein Gesicht glühte. »Laßt mich gehen, bitte laßt mich gehen.«

Ada sah auf ihren Mann, und der nickte. Zusammen führten sie Garrick vorwärts. Ein-, zweimal stolperte er, aber sie hielten ihn fest. Bum und bum schlurrte das Holzbein über den Boden. Noch ehe sie das Ende der Veranda erreicht hatten, hatte Garrick gelernt, das Holzbein hochzuheben, wenn es ging. Sie wendeten, und auf dem Rückweg zu seinem Stuhl stolperte er nur noch einmal.

»Das ist fein, Garry. Das ist großartig«, lachte Ada.

»Bald kannst du allein laufen«, grinste Waite erleichtert. Er hatte kaum zu hoffen gewagt, daß es so leicht sein würde, und Garrick ging sofort auf seine Worte ein. »Jetzt laß mich einmal allein aufstehen.«

»Diesmal noch nicht, Junge. Für das erstemal war es genug.«

»Ach bitte, Papa. Ich will auch nicht versuchen zu laufen, ich will nur stehen, Mama, und ihr könnt ja bereit sein, mich aufzufangen. Bitte, Papa, bitte!«

Waite zögerte, aber Ada redete ihm zu. »Laß ihn, Lieber, es hat ihm so gut getan, und es wird ihm helfen, Zutrauen zu sich zu gewinnen.«

»Also gut, aber versuch nicht, dich zu bewegen«, stimmte Waite zu. »Bist du bereit, Garry? Los!« Sie ließen ihn vorsichtig los. Er schwankte leicht, und ihre Hände hielten ihn wieder.

»Es ist alles in Ordnung. Laßt mich.« Er grinste, und sie ließen ihn wieder los. Einen Augenblick lang stand er gerade und aufrecht da. Und dann sah er zu Boden. Das Grinsen gefror auf seinem Gesicht. Er stand allein auf einem hohen Berg. Sein Magen revoltierte, und er hatte Angst. Schreckliche, grundlose Angst. Er schwankte wild, und sein erster Schrei kam, bevor sie ihn festhalten konnten. »Ich falle, nehmt es ab, nehmt es ab!«

Sie setzten ihn rasch wieder in seinen Sessel.

»Nehmt es ab. Nehmt es ab. Ich falle!« Die schrecklichen Schreie waren vernichtend für Waite, während er die Riemen losband, die das Bein mit dem Stumpf verbanden.

»Es ist ab, Garry. Du bist wieder sicher. Ich halte dich.« Waite nahm ihn hoch, hielt ihn ah seine Brust und versuchte, ihm mit der Kraft seiner Arme und der Sicherheit seines ganzen starken Körpers Ruhe zu geben. Aber Garrick strampelte verzweifelt, und seine Schreie hörten nicht auf.

»Bring ihn ins Schlafzimmer«, sagte Ada drängend, und Waite rannte, Garrick gegen seine Brust gedrückt, ins Zimmer.

Zum erstenmal hatte Garrick jetzt seinen Zufluchtsort gefunden. Im gleichen Augenblick, in dem die Angst übermächtig wurde, fühlte er, wie etwas in seinem Kopf sich bewegte, hinter seinen Augen auf und ab flimmerte wie die Flügel einer Motte. Es wurde plötzlich grau vor seinen Augen, als ob er in einer dichten Nebelbank stünde. Und dann wurde der Nebel immer dichter und dichter und löschte Sehen und Hören aus. Es war warm in dem Nebel, warm und sicher. Niemand konnte ihn hier berühren, denn der Nebel umschloß ihn. Er war in Sicherheit.

»Ich glaube, er schläft«, flüsterte Waite seiner Frau zu. Aber Verwirrung lag auf seinem Gesicht, und seine Stimme klang eigenartig. Vorsichtig betrachtete er das Gesicht seines Sohnes und horchte auf den Atem.

»Es geschah so plötzlich. Das ist doch nicht natürlich. Und doch, ich muß sagen, er sieht normal aus.«

»Glaubst du, daß wir den Arzt rufen sollten?« fragte Ada.

»Nein.« Waite schüttelte den Kopf. »Ich werde ihn zudecken und bei ihm bleiben, bis er aufwacht.«

Am frühen Abend wachte er auf, lächelte sie an, als ob überhaupt nichts geschehen wäre. Erholt, vergnügt und fröhlich aß er ausgiebig zu Abend, und niemand sprach über sein Bein. Man konnte fast den Eindruck haben, Garrick hätte alles vergessen.

Kapitel 7

Am folgenden Freitagnachmittag kam Sean nach Hause. Er hatte ein blaues Auge. Kein frisches, die Ränder wurden bereits langsam grün. Außerdem brachte er ein Gelege von Vogeleiern mit, die er Garrick gab. Dann eine rotgefleckte Schlange in einer Pappschachtel, die Ada trotz Seans großer Rettungsansprache sofort zum Sterben verurteilte, und einen Bogen aus M’sengaholz, nach Seans Meinung das beste Holz für Bogen überhaupt.

Seans Ankunft brachte die übliche Unruhe in den Haushalt von Theunis Kraal. Mehr Lärm, mehr Bewegung und mehr Gelächter. Zum Abendessen gab es einen riesigen Rostbraten und in der Schale gebackene Kartoffeln. Das war Seans Lieblingsspeise, und er aß wie eine hungrige Pythonschlange.

»Nimm nicht so viel auf einmal in den Mund!« rief ihm Waite zu – trotzdem war eine gewisse Wärme in seiner Stimme. Es war schwer, bei seinen Söhnen keine Bevorzugung zu zeigen. Sean nahm sich den Tadel nicht sehr zu Herzen.

»Papa – Frikkie, Oberholsters Hündin, hat in dieser Woche sechs Junge bekommen.«

»Nein«, sagte Ada bestimmt.

»Ach Mama, nur eins.«

»Sean, du hast gehört, was deine Mutter gesagt hat.«

Sean, goß Soße über das Fleisch, schnitt eine Kartoffel entzwei und schob ein Stück in den Mund. Auf jeden Fall hatte er es ja einmal probieren können.

»Was hast du denn diese Woche gelernt?« fragte Ada. Das war eine böse Frage. Sean hatte genausoviel gelernt, wie notwendig war, um keinen Ärger zu bekommen. Nicht mehr.

»Oh, eine Menge«, sagte er beiläufig. Und dann, um das Thema zu wechseln: »Bist du eigentlich mit Garricks neuem Bein schon fertig geworden, Papa?«

Plötzlich wurde es still. Garricks Gesicht war ausdruckslos, er starrte auf seinen Teller. Sean mampfte die andere Hälfte der Kartoffel und sprach mit vollem Mund.

»Wenn du es fertig hast, dann könnten Garry und ich morgen an die Wasserfälle zum Fischen gehen.«

»Sprich gefälligst nicht mit vollem Mund«, schnauzte Waite ungewöhnlich hart. »Du hast wirklich die Manieren eines Schweines.«

»Entschuldige bitte, Papa«, murmelte Sean. Der Rest des Mahls verging in unbehaglichem Schweigen. Sobald es vorüber war, floh Sean in sein Schlafzimmer. Garry folgte ihm; er hüpfte den Gang entlang und stützte sich zur Balance mit einer Hand an der Mauer.

»Warum wird denn Papa so wütend?« fragte Sean beleidigt, als sie allein waren.

»Ich weiß nicht.« Garrick setzte sich auf das Bett. »Manchmal wird er ohne jeden Grund wütend. Das weißt du doch.«

Sean zog sich das Hemd über den Kopf, zerknüllte es zu einem Ball und warf es in die entlegenste Ecke.

»Ich glaube, es ist besser, wenn du es aufhebst, sonst gibt es Ärger«, warnte ihn Garrick milde. Sean zog sich die Hosen aus und stieß sie mit den Füßen in Richtung des Hemdes. Diese Tat des Trotzes versetzte ihn in bessere Laune. Dann kam er herüber und stand nackt vor Garrick. »Schau«, sagte er stolz. »Haare!«

Garrick sah es sich an; ohne Zweifel, es waren Haare.

»Sind aber noch nicht sehr viele.« Garrick konnte den Neid in seiner Stimme nicht verbergen.

»Ich wette, daß ich mehr als du habe. Wollen wir sie zählen?« forderte ihn Sean heraus.

Aber Garrick wußte, daß er hier auf jeden Fall der Verlierer wäre. Er stand vom Bett auf und hüpfte durch das Zimmer. An der Wand kam er zum Stehen und hob Seans weggeworfene Wäschestücke auf, brachte sie zurück und legte sie in den Korb für schmutzige Wäsche, der neben der Tür stand. Sean beobachtete ihn, und das erinnerte ihn an eine unbeantwortete Frage.

»Hat Papa schon dein Bein fertig, Garry?«

Garrick drehte sich langsam um, schluckte und nickte einmal kurz. Eine schnelle, eckige Bewegung.

»Wie ist es denn? Hast du es schon ausprobiert?«

Garrick überkam wieder die Angst. Er wand sich, als ob er an Flucht dachte. Vor der Tür waren Schritte zu hören. Sean sprang ins Bett, zog sich ein Nachthemd über und lag unter den Laken. Garrick stand noch beim Wäschekorb, als Waite Courtney ins Zimmer kam. »Na los, Garry. Worauf wartest du?«

Garrick beeilte sich, ins Bett zu kommen, und Waite sah zu Sean hinüber. Sean grinste ihn an mit seinem Jungencharme. Waites Gesicht wurde weich, und er grinste zurück. »Es ist schön, daß du wieder zu Hause bist, Junge.« Es war unmöglich, mit Sean lange böse zu sein. Er beugte sich hinunter und griff eine Handvoll von Seans dickem schwarzem Haar. »So, und wenn jetzt die Lampen aus sind, dann will ich hier keinerlei Geräusche mehr hören. Hast du mich verstanden?« Er schüttelte Seans Kopf hin und her, beschämt über die Stärke seiner Gefühle.

Kapitel 8

Am nächsten Morgen ritt Waite Courtney, als die Sonne schon hoch am Himmel stand, zum Haus zurück, um zu frühstücken. Einer der Stallknechte nahm ihm das Pferd ab und führte es auf die Koppel, während Waite vor der Sattelmauer stand und umherschaute. Er besah sich die sauberen weißen Pfähle, die die Koppel einzäunten, den sauberen Hof und sein Haus, das mit schönen Möbeln angefüllt war. Es war ein gutes Gefühl, reich zu sein. Besonders wenn man wußte, was es hieß, arm zu sein. Fünfzehntausend Morgen gutes Grasland und so viel Vieh, wie das Land vertragen konnte, und Gold auf der Bank... Waite lächelte und ging über den Hof.

Er hörte, wie Ada in der Molkerei sang:

Wie reitet der Farmer?

Sitz, sitz so,

Sitz so, sitz so, tralala.

Die Mädchen von Kapstadt sagen:

Küß mich schnell.

Küß mich schnell, tralala.

Sie hatte eine klare, süße Stimme, und Waites Lächeln wurde breiter. Es war ein gutes Gefühl, reich zu sein und zu lieben. Ah der Tür der Molkerei hielt er an. Wegen der dicken Steinmauern und des dichten Daches war es kühl und dunkel im Raum. Ada stand mit dem Rücken zur Tür, und ihr Körper schwang im Rhythmus des Liedes, während sie die Butter im Faß rührte. Waite beobachtete sie einen Augenblick lang, dann ging er auf sie zu und umfaßte ihre Hüften. Erschrocken drehte sie sich in seinen Armen um, und er küßte sie auf den Mund. »Guten Morgen, schönes Kind.«

Sie schmiegte sich an ihn und sagte: »Guten Morgen, Sir.«

»Was gibt’s zum Frühstück?«

»Ach, was für einen romantischen Narren habe ich doch geheiratet«, seufzte sie. »Komm, schauen wir einmal nach.«

Sie nahm die Schürze ab und hängte sie hinter die Tür. Dann brachte sie ihr Haar in Ordnung und streckte ihm die Hand entgegen. Hand in Hand gingen sie über den Hof und in die Küche. Waite schnupperte geräuschvoll.

»Das riecht gut. Wo sind die Jungen?«

Joseph verstand genug Englisch, konnte es aber nicht sprechen. Er sah vom Ofen auf.

»Nkosi, sie sind auf der vorderen Veranda!«

Joseph hatte das typische mondrunde Gesicht der Zulu, und wenn er lächelte, hoben sich große weiße Zahnreihen vom Schwarz seiner Haut ab.

»Sie spielen mit Nkosizana Garrys Holzbein.«

Waites Gesicht rötete sich. »Wie haben sie es gefunden?«

»Nkosizana Sean fragte mich, wo es sei, und ich sagte ihm, daß Sie es in den Wäscheschrank gelegt hätten.«

»Du verdammter Narr!« schrie Waite. Er ließ Adas Hand los und rannte. Im Vorraum angekommen, hörte er Sean schreien und kurz darauf das Geräusch eines schweren Falles auf der Veranda. Er hielt mitten im Lauf inne. Er getraute sich nicht, hinauszugehen und Garricks Elend zu sehen. Außerdem war ihm übel vor Wut über Sean. Dann hörte er Sean lachen. »Komm runter von mir, Mann. Lieg doch nicht so herum.«

Waite ging zum Fenster und sah auf die Veranda hinaus. Sean und Garrick lagen übereinander, am Ende der Veranda. Sean lachte noch immer, und auf Garricks Gesicht lag ein seltsames, nervöses Lächeln. Sean raffte sich auf. »Also los, steh auf.«

Er gab Garrick die Hand und stellte ihn wieder auf die Beine. Sie standen da, eng umschlungen, während Garrick vorsichtig auf seinem Holzbein balancierte. »Ich wette, wenn ich müßte, könnte ich mit dem Ding ganz leicht laufen«, sagte Sean.

»Und ich wette, du könntest es nicht! Es ist verdammt schwer.«

Sean ließ ihn los und stand da, die Arme ausgebreitet, bereit, ihn jederzeit aufzufangen. »Also los.«

Sean ging rückwärts, nachdem er sich vor Garrick hingestellt hatte. Und etwas unsicher folgte Garrick, mit den Armen rudernd, um das Gleichgewicht zu halten. Sein Gesicht war äußerst konzentriert. Er erreichte das andere Ende der Veranda und hielt sich jetzt mit beiden Händen am Geländer fest. Diesmal lachte er, zusammen mit Sean. Waite stellte fest, daß Ada neben ihm stand. Er sah sie an und bemerkte, wie ihre Lippen die Worte formten: »Komm weg.« Sie nahm seinen Arm.

Kapitel 9

Gegen Ende Juni 1876 ging Garrick wieder mit Sean zur Schule. Das war etwa vier Monate nach dem Unfall. Waite kutschierte. Die Straße nach Ladybury führte durch offenen Wald, zwei parallele Spuren, zwischen ihnen eine Grasnarbe. Die Halme streiften unten am Wagen. Die Pferde trabten in den Spuren, dicker Sandstaub schluckte den Hufschlag. Auf der ersten Anhöhe verlangsamte Waite die Fahrt, wandte sich um und blickte auf die Farm zurück. Die frühe Morgensonne ließ die weißgewaschenen Mauern von Theunis Kraal orangefarben aufleuchten, und der Rasen, der das Haus umgab, strahlte in herrlichem Grün. Überall sonst war das Gras verdorrt, denn es war früh Winter geworden, und die Blätter der Bäume waren ebenfalls trocken. Die Sonne stand noch nicht hoch genug, um das Weideland mit dem klaren weißen Glanz des Mittags zu überziehen. Die Blätter waren golden, rostfarben und rotbraun. Wie das Rotbraun des Viehs, das zwischen den Bäumen graste. Ganz hinten ragte der Steilhang empor, der wie ein Zebra aussah wegen der Schluchten, in denen grüne und schwarze Büsche wuchsen.

»Schau, da ist ein Wiedehopf, Sean.«

»Ja, den habe ich schon lange gesehen. Es ist ein Männchen.«

Der Vogel flog vor den Pferden her. Schokoladenfarben mit schwarzweißen Flügeln. Sein Kopfputz erinnerte an einen etruskischen Helm.

»Woher weißt du das?« fragte Garrick herausfordernd.

»Wegen des Weiß in seinen Flügeln.«

»Die haben alle Weiß in den Flügeln.«

»O nein, nur die Männchen.«

»Na, jedenfalls alle, die ich bis jetzt gesehen habe, hatten Weiß in den Flügeln«, sagte Garrick zweifelnd.

»Vielleicht hast du nie ein Weibchen gesehen. Die sind äußerst selten. Sie kommen kaum aus ihren Nestern.«

Waite Courtney drehte sich um und lächelte. »Garry hat recht, Sean. Du kannst den Unterschied nicht am Gefieder erkennen. Das Männchen ist ein bißchen größer, das ist alles.«

»Ich hab’s dir ja gesagt«, sagte Garrick, gestärkt durch die Unterstützung seines Vaters.

»Du weißt einfach alles«, entgegnete Sean sarkastisch. »Ich nehme an, das hast du alles in deinen Büchern gelesen, was?«

Garrick lächelte selbstzufrieden. »Schau, da ist der Zug.«

Er fuhr den Abhang hinunter, eine große graue Rauchfahne hinter sich. Waite spornte die Pferde wieder zum Traben an. Sie fuhren hinunter zu der Steinbrücke über den Baboon-Strom.

»Ich habe eben einen gelben Fisch gesehen.«

»Das war ein Stock, den habe ich auch gesehen.«

Der Fluß war die Grenze von Waites Land. Sie überquerten die Brücke und fuhren drüben wieder hoch. Vor ihnen lag Ladyburg. Der Zug lief gerade in der Stadt ein. Vorbei an den eingezäunten Plätzen für den Viehhandel. Er pfiff und sandte einen grauen Rauchpilz in die Luft.

Die Stadt lag weit ausgedehnt da; jedes Haus hatte seinen eigenen Garten. Auf den breiten Straßen konnte auch der größte Ochsenkarren bequem wenden. Die Häuser bestanden entweder aus Ziegelsteinen, oder sie waren weiß getüncht. Gedeckt waren sie mit Stroh oder Wellblech, das grün oder dunkelrot gestrichen war. Der Marktplatz lag im Zentrum, und der Kirchturm war das höchste Gebäude in Ladyburg. Die Schule lag am hinteren Ende der Stadt.

Waite trabte mit seinen Pferden über die Hauptstraße. Zu dieser Zeit waren noch wenig Menschen auf dem Bürgersteig. Sie gingen in typischer Steifheit unter den prächtigen Bäumen dahin, die die Straße säumten. Jeder grüßte Waite. Er schwang seine Peitsche als Gegengruß für die Männer, vor den Frauen zog er den Hut. Aber nie so, daß die Kahlheit seines Kopfes sichtbar wurde. Im Zentrum der Stadt waren die Geschäfte offen, und vor einer Bank stand auf langen dünnen Beinen David Pye. Er war schwarzgekleidet wie ein Bestattungsbeamter.

»Guten Morgen, Waite.«

»Guten Morgen, David!« rief Waite beinah zu herzlich. Es war noch keine sechs Monate her, daß er die letzte Hypothek von Theunis Kraal bezahlt hatte, und die Erinnerung an seine Schulden war noch zu frisch. Er fühlte sich verlegen, etwa wie ein gerade entlassener Sträfling, der den Gefängnisdirektor auf der Straße trifft.

»Können Sie einen Moment bei mir vorbeikommen, wenn Sie Ihre Jungen abgesetzt haben?«

»Sorgen Sie nur dafür, daß der Kaffee fertig ist«, stimmte Waite zu. Es war stadtbekannt, daß David Pye niemals einem Besucher Kaffee anbot. Sie fuhren weiter die Straße hinunter, bogen am hinteren Ende des Kirchplatzes links ab, am Gerichtsgebäude vorbei und dann über die kleine Anhöhe bis zum Schulheim.