Der Sturz des Sperlings - Wilbur Smith - E-Book
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Der Sturz des Sperlings E-Book

Wilbur Smith

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Beschreibung

Das internationale Phänomen, das den Weltruhm des Autors begründet hat: »Ein meisterhafter Geschichtenerzähler!«, urteilt die Sunday Times. Ein großes Vermächtnis – ein Kampf um Gerechtigkeit … Als der junge Mark Anders aus dem ersten Weltkrieg in seine Heimat Südafrika zurückkehrt, steht er vor den Trümmern seines Lebens: Der reiche Dirk Courtney, dem jedes Mittel recht ist, seine Macht und seinen Einfluss im Land zu vergrößern, hat Marks blühende Farm an sich gebracht. Gezwungen, noch einmal ganz von vorn anzufangen, zieht er in die Küstenstadt Durban – und trifft hier den angesehenen General Sean Courtney wieder, unter dem er in Frankreich gedient hat, und der schwer unter seinem skrupellosen Sohn leidet. Schon bald wird Mark abermals in Dirks Intrigen hineingezogen – und diesmal wird nur Blut Gerechtigkeit wiederherstellen können … Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der dramatische Afrika-Roman »Der Sturz des Sperlings« von Bestseller-Autor Wilbur Smith ist der dritte Band seiner epochalen historischen Familiensaga um die Familie Courtney – »Vom Winde verweht« in Afrika! Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 791

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Über dieses Buch:

Als der junge Mark Anders aus dem ersten Weltkrieg in seine Heimat Südafrika zurückkehrt, steht er vor den Trümmern seines Lebens: Der reiche Dirk Courtney, dem jedes Mittel recht ist, seine Macht und seinen Einfluss im Land zu vergrößern, hat Marks blühende Farm an sich gebracht. Gezwungen, noch einmal ganz von vorn anzufangen, zieht er in die Küstenstadt Durban – und trifft hier den angesehenen General Sean Courtney wieder, unter dem er in Frankreich gedient hat, und der schwer unter seinem skrupellosen Sohn leidet. Schon bald wird Mark abermals in Dirks Intrigen hineingezogen – und diesmal wird nur Blut Gerechtigkeit wiederherstellen können …

»Der Sturz des Sperlings« erscheint außerdem als Printausgabe bei SAGA Egmont, www.sagaegmont.com/germany.

Über den Autor:

Wilbur Smith (1933–2021) wurde in Zentralafrika geboren und gehört zu den erfolgreichsten Schriftstellern der Gegenwart. Der Debütroman seiner Jahrhunderte umspannenden Südafrika-Saga um die Familie Courtney, begründete seinen Welterfolg als Schriftsteller. Seitdem hat er über 50 Romane geschrieben, die allesamt Bestseller wurden, und in denen er seine Erfahrungen aus verschiedenen Expeditionen in die ganze Welt verarbeitete. Seine Bücher wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt und mehrfach verfilmt. Wilbur Smith starb 2021 in Kapstadt im Kreise seiner Familie.

Die Website des Autors: www.wilbursmithbooks.com/

Die Autorin/der Autor bei Facebook: www.facebook.com/WilburSmith/

Die Autorin/der Autor auf Instagram: www.instagram.com/thewilbursmith/

Die große Südafrika-Saga des Autors um die Familie Courtney erscheint bei dotbooks im eBook und bei SAGA Egmont im Print:

»Das Brüllen des Löwen« (auch als Hörbuch bei SAGA Egmont erhältlich)

»Das Grollen des Donners«

»Der Sturz des Sperlings«

»Das Erbe der Steppe«

»Der Zorn der Wildnis«

»Das Vermächtnis der Savanne«

»Der Schatten des Mondes«

»Das Zeichen des Fuchses«

»Flug des Seeadlers«

»Tage des Monsuns«

»König der Wüste«

»Der Triumph der Sonne«

Weitere Bände sind in Vorbereitung.

Die große Ägypten-Saga über den Eunuchen Taita ist bei dotbooks als eBook erhältlich und bei SAGA Egmont als Printausgabe:

»Die Tage des Pharao« (auch als Hörbuch bei SAGA Egmont erhältlich)

»Die Schwingen des Horus«

»Die Söhne des Nils«

»Das Erbe des Magus«

Weitere Bände sind in Vorbereitung.

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eBook-Ausgabe Juni 2024

Die englische Originalausgabe erschien erstmals 1977 unter dem Originaltitel »A Sparrow Falls« bei Heinemann.

First published in 1977 by William Heinemann Limited

Copyright © Wilbur Smith 1977

Copyright © der deutschen Erstausgabe 1989 by Paul Zsolnay Verlag Gesellschaft mbH, Wien und Darmstadt

Copyright © der eBook-Ausgabe 2024 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/fotoslaz, Travel Stock und AdobeStock/ana

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (fb)

ISBN 978-3-98952-311-1

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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13, 4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/egmont-foundation. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!

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Bei diesem Roman handelt es sich um ein rein fiktives Werk, das vor dem Hintergrund einer bestimmten Zeit spielt oder geschrieben wurde – und als solches Dokument seiner Zeit von uns ohne nachträgliche Eingriffe neu veröffentlicht wird. In diesem eBook begegnen Sie daher möglicherweise Begrifflichkeiten, Weltanschauungen und Verhaltensweisen, die wir heute als unzeitgemäß oder diskriminierend verstehen. Diese Fiktion spiegelt nicht automatisch die Überzeugungen des Verlags wider oder die heutige Überzeugung der Autorinnen und Autoren, da sich diese seit der Erstveröffentlichung verändert haben können. Es ist außerdem möglich, dass dieses eBook Themenschilderungen enthält, die als belastend oder triggernd empfunden werden können. Bei genaueren Fragen zum Inhalt wenden Sie sich bitte an [email protected].

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Wilbur Smith

Der Sturz des Sperlings

Die Courtney-Saga 3

Aus dem Englischen von Traudi Perlinger

dotbooks.

Widmung

Für Danielle

Kapitel 1

Der Himmel in der Farbe eines vergilbenden Blutergusses hing tief über den Schlachtfeldern Frankreichs, und die dunklen Wolken zogen in behäbiger Würde zu den deutschen Linien hinüber.

Brigadegeneral Sean Courtney hatte vier Winter in Frankreich verbracht, und seine Wetterprognosen waren mittlerweile beinahe so unfehlbar wie in seiner Heimat Afrika.

»Heute nacht kriegen wir Schnee«, brummte er, und sein Ordonnanzoffizier, Leutnant Nick van der Heever, warf ihm einen Blick über die Schulter zu.

»Da könnten Sie recht haben, Sir.«

Van der Heever war schwerbeladen. Außer seinem Dienstgewehr und den Munitionsgurten hatte er einen Rucksack geschultert, denn General Courtney hatte sich zum Abendessen beim 2. Bataillon eingeladen, wobei der Oberst und die übrigen Offiziere des 2. Bataillons allerdings nichts von der ihnen bevorstehenden Ehre ahnten, und Sean grinste boshaft bei dem Gedanken, welche Bestürzung sein unerwarteter Besuch auslösen würde. Als Entschädigung für den Schock war der Inhalt des Rucksacks gedacht, bestehend aus sechs Flaschen Whisky und einer fetten Gans.

Sean wußte sehr wohl, daß die Offiziere seine unkonventionelle Art und seine Gewohnheit wenig schätzten, plötzlich ohne Ankündigung, alleine und ohne seinen Stab in den Frontlinien aufzutauchen. Erst vor einer Woche, am Feldtelefon, war er zufällig in die Leitung eines Gesprächs zwischen einem Major und einem Hauptmann geraten.

»Der alte Knacker denkt wohl, er ist immer noch im Burenkrieg. Könnt ihr ihn denn nicht irgendwie im Hauptquartier festhalten?«

»Ebensogut könntest du versuchen, einen Elefantenbullen einzusperren.«

»Dann gebt uns wenigstens eine Warnung, wenn er sich auf den Weg macht...«

Wieder grinste Sean und stapfte hinter seinem Ordonnanzoffizier her, und der lange Militärmantel schlug um seine Wickelgamaschen. Zum Schutz gegen die Kälte hatte er sich einen Seidenschal um den Kopf gewickelt und den Suppenteller-Helm darübergesetzt. Die Holzplanken bogen sich, und der zähe Matsch schmatzte gurgelnd unter den schweren Tritten der beiden Männer.

Sie befanden sich in einem neuen Frontabschnitt; die Brigade war vor knapp einer Woche vorgerückt, doch es roch überall gleich: nach Erde und Moder, versetzt mit dem Gestank nach verwesendem Fleisch und Kloake sowie dem beißenden Geruch von verbranntem Kordit und Sprengstoff.

Sean schnüffelte und spuckte vor Ekel aus. In einer Stunde würde er sich so daran gewöhnt haben, daß er ihn gar nicht mehr wahrnahm, das wußte er, aber jetzt lag der Gestank wie kaltes Fett in seinem Rachen. Er hob den Kopf wieder zum Himmel und zog die Stirn in Falten. Entweder hatte der Wind sich um ein paar Grad nach Osten gedreht, oder sie hatten im Irrgarten der Gräben die falsche Abzweigung genommen, denn die tiefhängende Wolke zog nicht mehr in die Richtung, die mit Seans Karte übereinstimmte, die er im Kopf hatte.

»Nick!«

»Sir?«

»Stimmt eigentlich die Richtung noch?«

In den Augen des jungen Offiziers, der sich nach ihm umdrehte, flackerte Unsicherheit.

»Nun, Sir –«

Die zurückliegenden vierhundert Meter des Schützengrabens waren verlassen gewesen, auf ihrem Weg durch das Labyrinth hochaufragender Erdwälle war ihnen keine Menschenseele begegnet.

»Wir sollten besser mal nachsehen, Nick.«

»Jawohl, Sir.« Van der Heevers Blick fand schnell, wonach er suchte. Am nächsten Schnittpunkt zweier Gräben lehnte eine Holzleiter an der Wand, die bis zu den Sandsäcken des Brüstungswalls reichte. Er ging darauf zu.

»Vorsicht, Nick«, rief Sean ihm zu.

Der junge Mann lehnte das Gewehr an die Grabenwand, bevor er hinaufkletterte.

Nach Seans Schätzung befanden sie sich noch etwa drei- bis vierhundert Meter von der tatsächlichen Frontlinie entfernt. Es wurde rasch dunkel. Die Luft unter den Wolken wirkte wie lila Samt, kein Büchsenlicht also. Und van der Heever war trotz seiner Jugend ein erfahrener Soldat.

Sean beobachtete, wie er, oben an der Leiter angekommen, in Deckung ging, seinen Kopf für einen einzigen schnellen Blick reckte und sich wieder duckte.

»Der Hügel liegt sehr weit links«, rief er nach unten.

Der Hügel war eine kleine Anhöhe, die sich keine fünfzig Meter über die ansonsten brettgleiche Ebene erhob. Ehemals dicht bewaldet, ragten jetzt zerschossene Baumstümpfe nur noch hüfthoch aus dem mit Granateinschlägen gespickten Hang.

»Wie weit entfernt liegt das Gehöft?« fragte Sean und spähte nach oben. Das Gehöft war ein zerschossenes Gemäuer, das den Gefechten im Zentrum des Kampfabschnitts trotzte. Es diente Artillerie, Infanterie und Luftwaffeneinheiten gleichermaßen als Orientierungspunkt.

»Ich seh’ noch mal nach.« Van der Heever hob den Kopf erneut.

Der Ausstoß des Mauser-Gewehrs ist ein typischer Knall, ein hohes, bösartiges Winseln, das Sean so häufig gehört hatte, daß er Entfernung und Richtung genau bestimmen konnte. Diesmal kam der Schuß aus etwa fünfhundert Metern Entfernung, beinahe direkt von vorn.

Van der Heevers Kopf kippte nach hinten, als habe ihn ein Boxhieb getroffen, und sein Stahlhelm schlug wie ein Gong. Der Kinnriemen riß, und der flache Helm wirbelte hoch in die Luft und fiel auf die Holzplanken des Schützengrabens, kullerte an den Rand und blieb in einer grauen Lehmpfütze liegen.

Van der Heevers Hände umklammerten noch einen Augenblick die oberste Leitersprosse, bevor die leblosen Finger nachgaben, er rückwärts taumelte und mit geblähten Schößen seines Uniformmantels schwer auf die Bretter des Grabens stürzte.

Sean stand in fassungsloser Starre, sein Verstand weigerte sich zu registrieren, daß Nick getroffen war, gleichzeitig zollte der Jäger und Soldat dem Präzisionsschuß Bewunderung.

Was für ein Schuß war das gewesen! Fünfhundert Meter – im Zwielicht; der flüchtige Schatten eines Stahlhelms über dem Graben; drei Sekunden, um Reichweite zu justieren und anzulegen, und ein Sekundenbruchteil zum Zielen und Feuern, als der Kopf ein zweites Mal auftauchte. Der Hunne, der diesen Schuß abgefeuert hatte, war entweder ein ausgezeichneter Scharfschütze mit Reflexen wie ein Leopard – oder der größte Glückspilz der ganzen Westfront.

Diese Überlegungen schossen Sean durch den Kopf, während er nach vorne stürzte und sich neben seinen Offizier kniete. Er legte ihm die Hand auf die Schulter und drehte ihn um, dabei sackte ihm der Magen ab, und Kälte schnürte ihm die Brust ein.

Die Einschußstelle befand sich an der Schläfe, die Kugel war hinter dem Ohr auf der anderen Schädelseite wieder ausgetreten.

Sean legte den zerschmetterten Kopf in seinen Schoß, nahm den Helm ab und begann das Seidentuch von seinem Kopf zu wickeln. Ein trostloses Gefühl erfüllte ihn.

Langsam umwickelte er den Kopf des Jungen mit dem Seidenschal, dessen dünner Stoff sich augenblicklich blutig färbte. Eine sinnlose Geste – aber sie beschäftigte seine Hände und lenkte ihn vom Gefühl der Ohnmacht ab.

Er hockte mit eingefallenen Schultern auf den morastigen Holzplanken und hielt die Leiche des Jungen. Ohne Helm wirkte Seans markanter Schädel noch größer. Sein dichtes, dunkles Kraushaar war von grauen Strähnen durchzogen, auch der kurze, dichte Bart unter der großen, gebogenen Nase war graumeliert. Nur die buschigen Augenbrauen waren schwarz, und die klaren, kobaltblauen Augen mit ihrem unverwandten, wachsamen Blick hätten gut zu einem wesentlich jüngeren Mann gepaßt.

Sean Courtney hielt den Jungen lange in seinen Armen, dann seufzte er tief auf und erhob sich. Er schulterte den Rucksack und machte sich wieder auf den Weg durch den Verbindungsgang.

Um fünf Minuten vor Mitternacht bückte sich der befehlshabende Oberst des 2. Bataillons unter den Verdunklungsvorhängen des Eingangs zur Messe hindurch und klopfte sich im Aufrichten mit einer behandschuhten Hand den Schnee von den Schultern.

Vor sechs Monaten noch deutscher Schützengraben, war die Messe jetzt das Neidobjekt der ganzen Brigade. Zehn Meter unter der Erde hielt sie auch ausdauerndem Artilleriefeuer stand. Der Fußboden bestand aus schweren Holzplanken, und selbst die Wände waren mit einer Holzverschalung gegen Feuchtigkeit und Kälte geschützt. An der Stirnseite stand ein gemütlich bullernder Kanonenofen.

Die dienstfreien Offiziere saßen im Halbkreis in erbeuteten Lehnstühlen.

Der Blick des Obersten aber galt nur der stattlichen Erscheinung des Generals, der im größten und bequemsten Stuhl dicht am Ofen saß. Während der Oberst auf seinen Vorgesetzten zuging, entledigte er sich des Mantels. »Herr General, ich bedaure sehr. Hätte ich gewußt, daß Sie kommen – ich habe meine Runden gemacht.«

Sean Courtney lachte in sich hinein und erhob sich schwerfällig aus dem Stuhl, um ihm die Hand zu schütteln. »Ich hätte nichts anderes von Ihnen erwartet, Charles. Keine Sorge, Ihre Herren Offiziere haben mich freundlich empfangen – wir haben auch ein Stückchen von der Gans für Sie übriggelassen.«

Der Oberst warf einen raschen Blick in die Runde und runzelte die Stirn über die geröteten Wangen und glänzenden Augen einiger der jüngeren Offiziere. Er mußte die Männer ins Gebet nehmen, sie durften nicht den Fehler begehen, sich mit dem General im Trinken messen zu wollen. Der Alte stand selbstverständlich aufrecht wie ein Fels, und seine Augen blitzten wie Bajonette unter den dunklen Brauen. Doch der Oberst kannte ihn gut genug, um zu sehen, daß er mindestens eine halbe Flasche Dimple Haig intus hatte – und daß ihn etwas bedrückte. Dann fiel es ihm ein. Natürlich ...

»Die Sache mit dem jungen van der Heever tut mir aufrichtig leid, Sir. Der Hauptfeldwebel hat es mir berichtet.«

Sean machte eine wegwerfende Handbewegung, doch einen Augenblick lang vertieften sich die Schatten um seine Augen.

»Hätte ich gewußt, daß Sie vorhaben, heute abend an die Front zu kommen, hätte ich Sie gewarnt, Sir. Seit dieser Kerl hier aufgetaucht ist, macht er uns ständig Scherereien. So etwas ist mir noch nicht untergekommen. Äußerst lästig, wo sonst alles so ruhig ist. Er hat uns die einzigen Verluste in dieser Woche zugefügt.«

»Was gedenken Sie dagegen zu unternehmen?« fragte Sean barsch. Alle sahen, wie ihm die Zornesröte ins Gesicht stieg, und der Adjutant griff beschwichtigend ein.

»Ich habe bei Oberst Caithness vom Dritten Bataillon nachgesucht. Er stellt uns Anders und MacDonald zur Verfügung –«

»Was, das haben Sie erreicht?!« Der Oberst sah erleichtert aus. »Fabelhaft. Hätte nicht gedacht, daß Caithness sich von seinen zwei besten Männern trennt.«

»Sie kamen heute morgen – beide haben den ganzen Tag das Terrain studiert. Ich ließ ihnen freie Hand, doch soviel ich weiß, planen sie die Jagd bereits für morgen.«

Der junge Hauptmann der Kompanie A zog seine Uhr und studierte sie einen Augenblick. »Sie setzen sich von meiner Abteilung aus in Bewegung, Sir. Um null Uhr dreißig gehen die beiden in Stellung, ich möchte sie verabschieden. Wenn Sie mich entschuldigen, Sir.«

»Selbstverständlich. Nur zu, Dicky – wünschen Sie ihnen viel Glück von mir.«

»Ich möchte mir die beiden gern ansehen«, meldete Sean Courtney sich unvermittelt zu Wort, und der Oberst willigte pflichtschuldigst ein.

»Selbstverständlich, ich werde Sie begleiten, Sir.«

»Nein, nein, Charles – Sie waren ohnehin die ganze Nacht draußen in der Kälte. Ich schließe mich Dicky an.«

Der Schnee fiel in schweren Flocken aus dem schwarzen Mitternachtshimmel, breitete einen dicken, erstickenden Mantel über die Geräusche und dämpfte den Krach der regelmäßigen Feuerstöße des MGs, das auf ein Loch im Stacheldrahtverhau links von der Stellung des Bataillons zielte.

Mark Anders hatte sich in Decken eingewickelt und hielt den Kopf tief über das Buch auf seinem Schoß gesenkt, seine Augen hatten sich an das flackernde Licht des Kerzenstummels gewöhnt.

Der neben ihm schlafende Mann erwachte. Er hustete und wälzte sich zur Seite, um den Zeltvorhang neben seinem Kopf einen Spalt zu öffnen.

»Verdammt«, sagte er und hustete wieder das trockene Bellen eines starken Rauchers. »Verdammte Scheiße. Es schneit.« Dann wälzte er sich wieder zu Mark herum. »Liest du immer noch?« fragte er heiser. »Ständig steckst du deine Nase in irgendein blödes Buch. Damit ruinierst du dir die Augen.«

Mark hob den Kopf. »Es schneit schon seit einer Stunde, und das paßt mir gar nicht. Damit haben wir nicht gerechnet.«

Der Schnee erschwerte seine Aufgabe. Bald würde eine geschlossene Schneedecke liegen. Jeder, der aus dem Schützengraben ins Niemandsland kroch, würde Spuren hinterlassen, die der Feind im ersten Morgendämmerlicht ausmachen würde.

Ein Streichholz flammte auf. Fergus zündete zwei Woodbines an und hielt Mark eine hin. Sie saßen Schulter an Schulter in ihre Decken gewickelt.

»Du kannst die Jagd absagen, Mark. Verschieb sie einfach. Du hast dich freiwillig gemeldet, Junge.«

Eine ganze Minute rauchten sie schweigend, bevor Mark antwortete: »Dieser Hunne ist gefährlich.«

»Wenn’s schneit, ist er vermutlich morgen nicht draußen. Der Schnee hält ihn auch im Bett.«

Mark schüttelte bedächtig den Kopf. »Wenn er so gut ist, dann ist er draußen.«

»Ja«, nickte Fergus. »Er ist so gut. Der Schuß gestern abend – auf fünfhundert Meter Entfernung und bei den Lichtverhältnissen...« Fergus schwieg, dann setzte er eilfertig hinzu: »Aber du bist auch gut, Junge. Du bist der Beste.«

Mark sagte nichts, drückte nur sorgfältig die Glut seiner Woodbine aus.

»Wirst du gehen?« fragte Fergus.

»Ja.«

»Dann schlaf noch ein bißchen, Junge. Es wird ein langer Tag für dich.«

Mark blies die Kerze aus, legte sich hin und zog die Decken über den Kopf.

Der junge Hauptmann sprach leise mit einem Wachtposten, der Mann antwortete flüsternd und wies mit dem Kinn den dunklen Schützengraben entlang.

»Hier entlang, Herr General.« Er folgte dem Brettergang weiter, den breiten Kragen seines Militärmantels hochgeschlagen, sah aus wie ein Bär, doch der hinter ihm gehende General Courtney überragte ihn um einen ganzen Kopf.

Nach der nächsten Kehre leuchtete ihnen der schwache rötliche Schein eines Kohlebeckens aus einer Nische im Schützengraben entgegen. Dunkle Gestalten kauerten an der Glut wie Hexen am Hexensabbat.

»Sergeant MacDonald?« Einer der Männer stand auf und trat vor.

»Das bin ich.« Die Stimme hatte einen leicht anmaßenden, überheblichen Ton.

»Ist Anders bei Ihnen?«

»Jawohl«, antwortete MacDonald, und ein zweiter Mann stand auf und trat in den Glutschein. Er war größer, hatte geschmeidige Bewegungen, wie ein Sportler oder Tänzer.

»Sind Sie bereit, Anders?« Der Hauptmann redete im Flüsterton weiter, wie im Schützengraben üblich, und MacDonald antwortete für den Angesprochenen.

»Der Junge ist kampfbereit, Sir.« Seine Stimme hatte den Tonfall des Trainers eines Preisboxers. Er betrachtete den Jungen offenbar als sein Eigentum, und dieser Besitz verschaffte ihm Ansehen, das er aus eigenen Stücken wohl nicht erlangt hätte.

In diesem Augenblick zerplatzte eine Leuchtrakete hoch über ihren Köpfen, eine grellweiße, lautlose Lichtexplosion, deren Leuchtkraft durch das Schneetreiben ein wenig gedämpft wurde.

Sean beurteilte Menschen, wie er Pferde beurteilte. Er verstand es, auf der Koppel die Untauglichen von denen mit guten Anlagen auszusuchen. Das hatte etwas mit Erfahrung zu tun, aber auch mit einem tiefergehenden, nicht zu erklärenden Gespür.

Im Schein der Leuchtrakete wanderte sein Blick über das Gesicht des älteren Sergeants. MacDonald hatte das hagere, unterernährte Gesicht eines Slumbewohners, eng beieinanderstehende Augen, schmale, in den Winkeln nach unten gezogene Lippen. In dem Gesicht fand Sean nichts, was ihn interessierte, und er wandte sich dem anderen Mann zu.

Seine weit auseinanderliegenden Augen leuchteten in hellem Goldbraun mit dem ruhigen Blick eines Poeten oder eines Mannes, der daran gewöhnt ist, in einem weiten Land mit fernen Horizonten zu leben. Sean hatte solche Augen nur selten gesehen und empfand die Wirkung der direkten und eindringlichen Offenheit nahezu hypnotisch, eine Wirkung, die seine Seele tief berührte.

Nach der ersten Wahrnehmung dieser Augen fluteten weitere Eindrücke auf ihn ein. Zuerst die Jugend des Mannes. Er sieht wie knapp über siebzehn aus, schätzte Sean – und erkannte gleichzeitig die ungeheure Spannung, unter der dieser junge Soldat stand. Trotz der Ruhe seines Blickes waren seine Nerven bis zum äußersten angespannt. Ein Phänomen, das Sean in den vergangenen vier Jahren häufig erlebt hatte. Das Spezialtalent dieses Halbwüchsigen war erkannt worden und wurde rücksichtslos ausgebeutet, von allen – von Caithness vom 3. Bataillon, vom frettchengleichen MacDonald, von Charles, Dicky und natürlich auch von ihm selbst. Sie hatten ihn gnadenlos benutzt, ihn immer wieder hinausgeschickt.

Der Junge hielt einen dampfenden Becher Kaffee; das aus dem Mantelärmel ragende, knochige Handgelenk war rot gesprenkelt von Flohbissen. Der Hals war zu lang und zu dünn für den großen Kopf, seine Wangen waren eingefallen, die Augen lagen tief in den Höhlen.

»Das ist General Courtney«, sagte der Hauptmann; und im Verglühen der Leuchtrakete sah Sean die Augen plötzlich aufleuchten, und er hörte förmlich, wie dem Jungen der Atem stockte.

»Hallo, Anders, ich habe viel von Ihnen gehört.«

»Und ich habe viel von Ihnen gehört, Herr General.« Der ehrfürchtige Ton der Heldenverehrung war Sean unbehaglich. Natürlich hatte der Junge all die Geschichten gehört. Das Regiment prahlte damit, und jeder neue Rekrut bekam sie aufgetischt. Dagegen war er machtlos.

»Es ist eine große Ehre für mich, Sie kennenzulernen, Sir.« Er verhaspelte sich und stotterte ein wenig – ein weiteres Zeichen der erdrückenden Anspannung, unter der er stand –, doch seine Worte klangen aufrichtig.

Der legendäre Sean Courtney, der Mann, der fünf Millionen Pfund in den Goldminen des Witwatersrand gemacht und bis auf den letzten Penny an einem unseligen Morgen verloren hatte. Sean Courtney, der den Burengeneral Leroux durch halb Südafrika gejagt und ihn schließlich im gnadenlosen Nahkampf besiegt hatte. Der Soldat, der Bombatas grausame Zulu-Impis in der Schlucht zurückgehalten und sie dann in das Feuer der inzwischen in Stellung gebrachten Maxims getrieben hatte; der später mit seinem früheren Feind Leroux die Verfassung der Union entworfen hatte, um die vier unabhängigen Staaten Südafrikas zu einem mächtigen Gesamtgefüge zusammenzuschließen; der sich abermals ein riesiges Vermögen in Land, Vieh und Wald erworben hatte; der von seinem Ministerposten in Louis Bothas Kabinett sowie als Vorsitzender der Legislative von Natal zurückgetreten war, um ein Regiment nach Frankreich zu führen. Bei all dem war es ganz natürlich, daß die Augen des Jungen leuchteten und er sich verhaspelte, dennoch fand Sean es lästig. Mit neunundfünfzig bin ich zu alt, um immer noch den Helden zu spielen, dachte er verdrießlich. Die Rakete war vollends verglüht, und sie standen wieder in völliger Finsternis.

»Habt ihr noch einen Becher Kaffee?« sagte Sean. »Es ist saukalt heute nacht.«

Sean nahm den angeschlagenen Emailbecher und hockte sich, beide Hände um den Becher gewölbt, nah ans Kohlebecken, blies in die dampfende Brühe und schlürfte geräuschvoll; erst nach einer Weile folgten die anderen zögernd seinem Beispiel. Man hockte nicht jeden Tag mit einem General wie mit einem alten Kumpel am Feuer.

»Kommen Sie vom Zululand?« fragte Sean den Jungen unvermittelt. Sein Ohr hatte den Akzent herausgehört, und ohne auf eine Antwort zu warten, fuhr er in Zulu fort: »Velapi wena? Woher kommen Sie? «

Die Zulusprache kam natürlich und selbstverständlich über Marks Lippen, obgleich er sie seit zwei Jahren nicht gesprochen hatte. »Aus dem Norden, hinter Eshowe am Umfolosi-Fluß.«

»Ja. Die Gegend kenn’ ich gut. Ich bin dort oft zur Jagd gegangen.« Sean sprach jetzt wieder Englisch. »Anders? Ich kenn’ auch einen Anders. 1889 fuhr er Transporte aus der Delagoa-Bucht. John? Ja, so heißt er. Der gute Johnny Anders. Sind Sie irgendwie verwandt? Oder ist er Ihr Vater?«

»Mein Großvater. Mein Vater starb früh. Mein Großvater hat Land am Umfolosi. Dort lebe ich.« Der Junge entspannte sich jetzt. Im Schein der Glut hatte Sean den Eindruck, daß der nervöse Zug um seinen Mund sich glättete.

»Hätte gar nicht gedacht, daß Sie arme Leute wie uns kennen, Sir.« Fergus MacDonalds Stimme klang schneidend, er beugte sich über das Kohlebecken und wandte Sean das Gesicht zu, dem der bittere Hohn nicht entging.

Sean nickte bedächtig. MacDonald war also auch so einer. Einer von denen, die für die neue Ordnung eintraten – Gewerkschaften und Karl Marx; Bolschewiken, die Bomben warfen und einander mit Genosse anredeten. Zusammenhanglos fiel ihm jetzt erst auf, daß MacDonald rotes Haar und große, goldene Sommersprossen auf den Handrücken hatte. Er wandte sich wieder an Mark Anders.

»Hat Ihr Großvater Ihnen das Schießen beigebracht?«

»Ja, Sir.« Jetzt grinste der Junge zum ersten Mal. »Er schenkte mir mein erstes Jagdgewehr, ein Martini-Hendry. Das spuckte eine Wolke Pulverrauch wie ein Buschfeuer, war aber auf hundertfünfzig Meter absolut treffsicher.«

»Ich habe damit Elefanten gejagt. Eine gute Waffe«, nickte Sean, und mit einem Mal waren sie über den Altersunterschied von vierzig Jahren hinweg Freunde.

Vielleicht hatte der Tod von Nick van der Heever – ebenfalls ein vielversprechender junger Mann – eine schmerzliche Lücke in sein Leben gerissen, denn jetzt erfaßte ihn eine Welle beschützender Vatergefühle für den Jungen. Fergus MacDonald schien das zu spüren, und er mischte sich wie eine eifersüchtige Frau ins Gespräch.

»Du solltest dich jetzt besser fertig machen, mein Junge.« Das Lächeln war von Marks Lippen gewichen, die Augen waren beängstigend ruhig, und er nickte steif mit seinem mageren Hals.

Fergus MacDonald bemutterte seinen Schützling, und wieder mußte Sean an einen Trainer denken, der seinen Boxer in der Kabine zum Kampf vorbereitete. Mark zog den schweren, weiten Militärmantel und die Kampfjacke aus. Über die lange Wollunterwäsche kamen ein Wollhemd und zwei Strickpullover. Um den Hals ein Wollschal. Dann stieg er in einen Overall, der die Kleidungsschichten wie eine Haut überzog und gleichzeitig verhinderte, daß er irgendwo hängenblieb, daß etwas im Wind flatterte, was das Auge des Feindes auf ihn lenken konnte. Eine Wollmütze wurde über den Kopf gestülpt, darüber eine lederne Fliegermütze.

»Halt nur schön die Rübe unten, Mark, mein Junge.«

Strickhandschuhe mit abgeschnittenen Fingern, darüber dicke, lockere Fäustlinge.

»Und immer feste die Finger in Bewegung halten. Laß sie nicht steif werden.«

Eine kleine lederne Schultertasche, die locker unter der linken Achsel hing.

»Schinkenbrötchen mit viel Senf, Schokolade und Malzzucker – so wie du es gern hast. Vergiß nicht zu essen, das hält dich warm.«

Vier Magazine 303er-Patronen, drei fanden in den Schenkeltaschen des Overalls Platz – eines kam in die am linken Ärmel aufgenähte Spezialtasche.

»Cuthbert werde ich erst vorführen, wenn die Sonne richtig steht.«

»Cuthbert?« fragte Sean verständnislos, und Fergus deutete grinsend auf eine Gestalt, die bewegungslos hinten im Schützengraben lag. Fergus freute sich am verblüfften Gesichtsausdruck des Generals und griff nach der an der Wand lehnenden Gestalt.

Erst jetzt kapierte Sean, daß es eine Attrappe war, die im Schein der Kohlenglut ganz echt ausgesehen hatte. Der Kopf mit dem Helm saß im natürlichen Winkel auf den Schultern. Von den Hüften abwärts bestand das Soldatenmodell allerdings nur aus einem Besenstiel.

»Das interessiert mich. Was machen Sie damit?« Sean richtete die Frage an den jungen Mark Anders, aber Fergus gab eilfertig die Antwort.

»Gestern schoß der Hunne vom Nordhang, ziemlich tief. Mark und ich berechneten die Winkel beider Schüsse, die er abgegeben hat, dadurch konnten wir seine Position in einem Radius von fünfzig Metern bestimmen.«

»Vielleicht ändert er die Position«, gab Sean zu bedenken.

»Er wird am Nordhang bleiben. Dort ist den ganzen Tag über Schatten, selbst wenn die Sonne herauskommt. Und er wird vom Schatten ins Licht schießen, nehme ich an.« Sean nickte.

»Ja«, gab er zu. »Aber vielleicht schießt er aus einer Stellung innerhalb der deutschen Linien.«

Jetzt antwortete Mark ruhig: »Ich glaube nicht, Sir. Die Fronten liegen hier zu weit auseinander« – die deutsche Linie verlief über den Hügelkamm –. »Er braucht eine kürzere Entfernung. Nein, Sir, er geht im Niemandsland in Stellung, verändert sie vielleicht jeden Tag – aber er nähert sich unseren Linien so dicht wie möglich, ohne dabei den Schatten der Anhöhe zu verlassen.« Diesmal hatte der Junge kein einziges Mal gestottert, jetzt da er sich auf die Sache konzentrierte. Seine Stimme war leise, aber bestimmt.

»Ich habe dem Jungen einen guten Platz ausgesucht, hinter dem Gehöft. Von dort hat er den ganzen Nordhang im Blickfeld, aus weniger als zweihundert Metern Entfernung. Dort bezieht er Stellung, solange es dunkel ist. Ich schick’ ihn früh los. Er soll vor dem Hunnen in Stellung liegen. Nicht, daß der Junge womöglich im Dunkeln über den Saukerl stolpert.« Fergus MacDonald übernahm ganz selbstverständlich die Wortführung für Mark. »Wir warten beide, bis wir helles, gutes Licht haben, und dann bringe ich unseren guten Cuthbert zum Einsatz.« Er tätschelte die Puppe und lachte wieder. »Es war verdammt schwer, ihm ein natürliches Aussehen zu verpassen, wie ein blöder Grünschnabel, der seinen Kopf rausstreckt, um mal einen ersten Blick auf Frankreich zu werfen. Wenn ich ihn dem Hunnen zu lange unter die Nase halte, kapiert er den Trick, zieh’ ich ihn aber zu schnell runter, verpaßt er seine Chance zu schießen. Nein, das ist nicht einfach.«

»Das kann ich mir vorstellen«, brummte Sean griesgrämig, »wird wohl der gefährlichste und schwierigste Teil des ganzen Unternehmens sein.« Er sah, wie ein Ausdruck tödlichen Hasses über Fergus MacDonalds Gesicht huschte, bevor der sich wieder an Mark Anders wandte.

»Noch einen Becher Kaffee – und dann wird es Zeit für dich. Ich will, daß du draußen bist, bevor es aufhört zu schneien.«

Sean langte in die Brusttasche seines Mantels und holte den Silberflachmann hervor, den Ruth ihm beim Abschied mitgegeben hatte.

»Damit die Brühe etwas genießbarer wird.« Er hielt Mark die Schnapsflasche hin.

Der Junge schüttelte den Kopf. »Nein danke, Sir. Dann fang’ ich an zu schielen.«

»Wenn Sie nichts dagegen haben, ich nehm’ gern einen Schluck, Sir.« Fergus MacDonald streckte rasch die Hand über das Kohlebecken. Die klare, braune Flüssigkeit gluckerte in seinen Becher.

Vor Mitternacht hatte der Hauptfeldwebel eine Patrouille hinausgeschickt, um einen Durchschlupf in den Stacheldraht vor der Kompanie A zu schneiden.

Mark stand am Fuß der Leiter und wechselte das Gewehr in die linke Hand; wieder explodierte eine Leuchtrakete, und Sean sah die Konzentration in den Augen des Jungen, als er den Verschluß des Gewehrs zurückzog. Sean sah auch, daß er nicht das kurze Lee-Enfield No. 1 benutzte, die Standardwaffe der britischen Armee, sondern ein amerikanisches P.14, das gleichfalls .303-Kaliber feuerte, aber mit einem längeren Lauf besser ausbalanciert war.

Mark drückte einen Patronenstreifen in das Magazin, schob den Verschluß zu und damit eine der sorgfältig ausgesuchten und gefetteten Patronen in den Lauf.

Im Verglühen der Leuchtrakete wandte er Sean sein Gesicht zu und nickte leicht. Dann war es wieder dunkel, und Sean hörte die schnellen, leichten Tritte auf der Holzleiter. Er schluckte seinen Wunsch hinunter, dem Jungen »viel Glück« nachzurufen, und klopfte statt dessen seine Taschen nach der Cheroot-Schachtel ab.

»Wollen wir zurückgehen, Sir?« fragte der Hauptmann leise.

»Gehen Sie schon voraus«, brummte Sean schroff in der dunklen Vorahnung einer Tragödie. »Ich bleib’ noch.« Obwohl er ihm keinerlei Hilfe geben konnte, wäre er sich vorgekommen wie ein Verräter, wenn er den Jungen jetzt im Stich gelassen hätte.

Mark bewegte sich rasch am Seil entlang, das die Patrouille ausgelegt hate, um ihn durch das Loch im Stacheldraht zu führen. Er schlich gebückt, die linke Hand am Seil, in der Rechten das P. 14, hob sorgsam die Stiefel an, bemüht, nicht zu schlurfen und das Gewicht gleichmäßig auf beide Füße zu verteilen, um die Schneedecke möglichst wenig einzudrücken.

Bei jeder hochgehenden Leuchtrakete mußte er sich mit dem Gesicht nach unten in den Schnee werfen und reglos liegen bleiben, ein dunkler Fleck auf der hellen Fläche im gleißenden Licht, nur durch den Schleier der fallenden Schneeflocken abgeschirmt. Wenn er sich in der folgenden Phase der Dunkelheit wieder aufrichtete und weiterging, wußte er, daß er einen Abdruck im Schnee hinterlassen hatte. Normalerweise hätte das nichts ausgemacht, denn in der verwüsteten, zerschossenen Wildnis des Niemandslands fiel das niemandem auf. Doch Mark wußte, daß im ersten kalten Dämmerlicht ein ungewöhnliches Augenpaar jeden Zentimeter des Bodens nach genau solchen Spuren absuchen würde.

Plötzlich traf ihn die Kälte der Einsamkeit schlimmer als die eisige Schneeluft. Das Gefühl der Hilflosigkeit, einem erfahrenen und erbitterten Feind gegenüberzustehen, der ihn bei der geringsten Unachtsamkeit in den Tod schicken würde.

Wieder war eine Leuchtrakete hochgegangen und verglüht, wieder rappelte er sich auf die Beine und tappte zur dunklen, zerklüfteten Mauer der Gehöftruine. Er lehnte sich daran und versuchte sein Keuchen unter Kontrolle zu bringen, denn das Entsetzen drohte ihn zu ersticken. Es war das erste Mal, daß er solche Gedanken hatte. Angst kannte er, lebte seit zwei Jahren damit wie mit einem ständigen Begleiter, aber nie hatte er solch lähmendes Entsetzen verspürt.

Die Finger seiner rechten Hand berührten seine eiskalte Wange, er spürte ein Zittern, gleichzeitig schlugen seine Zähne in stakkatoartigem Rhythmus aufeinander.

Ich kann so nicht schießen, dachte er voll Panik, biß die Zähne aufeinander, daß seine Kiefermuskeln schmerzten, und drückte die ineinander verkrallten Hände fest gegen seinen Bauch. Ich kann nicht hierbleiben. Die Ruine war kaum geeignet, um in Stellung zu gehen. Sie würde der deutsche Scharfschütze als erstes ins Visier nehmen. Er mußte hier weg, und zwar schnell. Zurück in den Schützengraben. Plötzlich war das Entsetzen in Panik umgeschlagen, und er war drauf und dran wegzulaufen – und das Gewehr an der Mauerruine stehenzulassen.

»Bist du da?« flüsterte eine leise deutsche Stimme neben ihm in der Finsternis. Mark erstarrte.

»Ja!« Die Antwort kam von weiter vorne an der Mauer; Mark tastete mit der linken Hand nach seinem Gewehr, die sich wie selbstverständlich um den Lauf schloß, seine Rechte war bereits am Kolben, der Zeigefinger krümmte sich um den Abzug.

»Komm, wir gehen zurück.« Dicht neben sich spürte Mark mehr, als er ihn in der Dunkelheit sah, den schwerbeladenen Mann. Mark schwenkte den Gewehrlauf, den Daumen bereits an der Sicherung. Der Deutsche stolperte in dem vom Schnee noch trügerischer gewordenen, unebenen Gelände, und das Gerät, das er mit sich schleppte, schlug klirrend aneinander. Der Mann fluchte.

»Scheiße!«

»Halt’s Maul!« zischte der andere, und sie zogen sich weiter zur deutschen Linie über ihnen auf dem Hügelkamm zurück.

Bei diesem Wetter hatte Mark nicht mit einem Sondertrupp gerechnet. Sein erster Gedanke hatte dem deutschen Scharfschützen gegolten, aber jetzt machte sein Herz einen Satz über diesen unerwarteten Glückstreffer.

Die Patrouille würde ihn durch den deutschen Stacheldraht führen, und ihre tiefen Spuren seine eigenen vor dem Späherblick des Scharfschützen verbergen.

Nachdem er diese Überlegung angestellt hatte, stellte er verwundert fest, daß seine Panik verflogen war, seine Hände waren absolut ruhig, und er atmete tief und regelmäßig. Er grinste über seine Nervenschwäche und schlich lautlos hinter der deutschen Patrouille her.

Als die Ruine etwa hundert Meter hinter ihm lag, hörte es auf zu schneien. Mark spürte, wie der Schreck in seine Brust drang. Er hatte sich ganz darauf verlassen, daß es wenigstens bis zum Morgengrauen durchschneien würde; dennoch hielt er sich hinter der Patrouille. Je näher sie ihren eigenen Linien kamen, desto schneller und zuversichtlicher schritten die Deutschen aus.

Zweihundert Meter unterhalb der Hügelkuppe löste sich Mark von ihnen und hielt sich seitlich, tastete sich mühsam durch den dichten Stacheldrahtverhau, bis er schließlich die Stellung fand, die er und Fergus am Nachmittag mit dem Feldstecher ausgemacht hatten.

Der Stamm einer der Eichen, mit denen der Hügel einst bestanden war, war der Länge nach den Hang hinuntergerutscht und hatte einen großen Wurzelstock aus der vom Geschützfeuer zerfetzten lockeren Erde gerissen.

Mark kroch auf der Seite, die in der flachen Wintersonne im tiefen Schatten bleiben würde, in das Wurzelgewirr, schob sich auf dem Bauch so weit hinein, bis er halb von Wurzelwerk bedeckt war, Kopf und Schultern aber frei bewegen konnte, um die ganze Flanke des Nordhangs vor sich überblicken zu können.

Zuerst kümmerte er sich um das P.14, unterzog vor allem die hochempfindliche Zielvorrichtung einer peinlich genauen Überprüfung, um sich zu vergewissern, daß sie auf dem Weg durchs Niemandsland nicht durch einen Stoß verschoben worden war. Dann verzehrte er zwei Schinkenbrötchen und trank ein paar Schlucke von dem süßen Kaffee, bevor er den Wollschal über Mund und Nase legte, nicht nur um sich warm zu halten, sondern um den Eishauch seines Atems zu vermeiden. Dann lehnte er seine Stirn an den Gewehrkolben und schloß die Augen. Er hatte gelernt, auf der Stelle einzuschlafen, und während er schlief, begann es wieder zu schneien.

Als Mark im grauen Licht der Morgendämmerung erwachte, war er mit einer feinen weißen Schneeschicht überzogen. Vorsichtig, um seine Schneetarnung nicht zu zerstören, hob er langsam den Kopf und zwickte die Augen ein paarmal kräftig zusammen, um sie klar zu kriegen. Seine Finger waren steif und kalt; er begann sie in den Handschuhen zu bewegen, um den Blutkreislauf anzuregen.

Er hatte wieder Glück gehabt – zweimal in einer Nacht. Erst hatte die Patrouille ihn durch den Stacheldraht geführt, und jetzt gab ihm die dünne Schneedecke eine natürliche Tarnung, daß er nicht mehr von den Wurzeln der Eiche zu unterscheiden war. Das war zuviel Glück, das Pendel mußte herumschwingen.

Langsam wich die Dunkelheit, sein Gesichtskreis vergrößerte sich, und gleichzeitig nahm die Konzentration seiner goldbraunen Augen zu. Die Augäpfel bewegten sich flink, verweilten auf jeder Bodenerhebung, jeder Mulde, jedem Schatten, jedem Gegenstand, jeder Farbabweichung im Schnee, Morast und Dreck, auf jedem zerklüfteten Baumstumpf und jedem abgerissenen Ast, auf den ausgezackten Rändern jedes Granattrichters, suchten nach Schatten, wo keine sein durften, spähten nach einem Anhaltspunkt einer Unregelmäßigkeit in der frisch gefallenen Schneeschicht, hielten Ausschau – nach einem Lebenszeichen.

Kurz vor neun hörte es wieder auf zu schneien, und bis Mittag hatte der Himmel sich aufgehellt, und die Wolkendecke war vereinzelt aufgerissen. Ein Sonnenstrahl stach zur Erde und bewegte sich wie ein Suchscheinwerfer über die Südflanke des Hügels.

»Fertig, Cuthbert, jetzt lassen wir das Hunnenfeuer mal knallen.«

Fergus hatte jeden einzelnen Todesschuß des deutschen Scharfschützen auf der Karte eingezeichnet, die der Hauptfeldwebel ihm überlassen hatte. In einem Grabenabschnitt lagen zwei schwarze Punkte dicht nebeneinander. An diesen Stellen war der Wall niedriger gewesen. Nachdem hier fünf Männer erschossen worden waren, war er mit Sandsäcken etwas erhöht und an ihm für Neulinge krakelig geschriebene Warnzettel angebracht worden: LASS DIE RÜBE UNTEN. SCHARFSCHÜTZE AM WERK.

Die beiden schwarzen Punkte lagen nur fünfzig Schritte auseinander, und Fergus vermutete, daß der Schütze seine Erfolge hier erzielte, weil er nur darauf warten mußte, bis ein Opfer den Graben entlangging. In der ersten Lücke bekam er den Kopf einen flüchtigen Augenblick zu sehen, nahm die zweite Lücke ins Visier, mit dem Finger am Abzug, und wartete auf seinen Mann. Das erklärte Fergus Sean Courtney, während er seine Vorbereitungen traf, denn Sean war unterdessen so interessiert an der Jagd, daß nur eine größere deutsche Offensive ihn ins Hauptquartier hätte zurücklocken können. Am Morgen hatte er mit seinem Adjutanten über Feldtelefon gesprochen und Bescheid gegeben, wo er im Notfall zu erreichen sei.

»Aber wirklich nur in dringenden Fällen«, hatte er grimmig gebrummt.

»Ich zieh’ ihn von Süden nach Norden«, erklärte Fergus, »dadurch muß der verdammte Hunne sich von Marks Stellung abwenden, und der Junge gewinnt eine zusätzliche Sekunde, bis er sich wieder dem Hügel zugewandt hat.«

Fergus MacDonald konnte gut mit der Attrappe umgehen, das mußte Sean ihm lassen. Er hielt sie fünfzig Zentimeter höher als mannshoch, um die Erhöhung des Walls auszugleichen, und trug sie mit einem wirklichkeitsnahen Rollen der Schultern eines laufenden Manns an der ersten Lücke vorbei.

Sean, der junge Hauptmann und der bullige, rotgesichtige Hauptfeldwebel warteten zusammen mit einem halben Dutzend Offiziere hinter der zweiten Lücke. In erwartungsvoller Spannung hielten sie den Atem an, als er an der zweiten Lücke anlangte.

Oben am Hang krachte der Schuß des Mauser-Gewehrs wie ein Peitschenknall durch die eisige Luft, und die Puppe in Fergus Mac-Donalds Händen wurde hart nach hinten gerissen.

Er stürzte auf die Knie, um den sauberen Einschuß durch den Kopf aus Pappmaché zu untersuchen.

»Verdammte Scheiße!« flüsterte er grimmig. »Verdammte dreckige Scheiße!«

»Was ist los, MacDonald?«

»Der verfluchte Hunne – der Schweinehund –«

»MacDonald!«

»Er hat sich denselben Punkt ausgesucht wie mein Junge.«

Sean verstand erst nicht, was er meinte. »Er hockt mitten in den Eichenstämmen, direkt über Mark. Sie haben die gleiche Stellung bezogen.«

Der bösartige, singende Ausstoß des Mauser-Gewehrs war nah, schrill und schärf und hallte sekundenlang wie Moskitosurren in Marks Trommelfell nach.

Zuerst war er vollkommen verblüfft, vom Schock versteinert. Der deutsche Scharfschütze lag keine sechs Meter von ihm entfernt. Aus irgendeiner Laune des Schicksals heraus hatte er sich den gleichen Punkt am Hang wie Mark ausgesucht. Nein, es hatte nichts mit der Laune des Schicksals zu tun. Beide Männer hatten mit ihren geschulten Jägeraugen den besten Platz für ihr gemeinsames Ziel ausgesucht. Marks Glückspendel war nach der anderen Seite ausgeschlagen.

In den Sekunden nach dem Schuß aus dem Hinterhalt hatte Mark sich bewegt, das Adrenalin war in jede Faser seiner Nerven geschnellt, und sein Herz klopfte mit einer Gewalt, daß sein Brustkorb zu dröhnen schien.

Der Deutsche lag links von ihm, höher am Hang, etwas hinter seiner Schulter. Marks linke Seite war ungeschützt, nur rechts war er halb unter dem Wurzelgewirr verborgen.

Er richtete die Augen nach links, ohne den Kopf zu drehen, und gewahrte am äußersten Rand seines Gesichtsfeldes einen zweiten gefällten Eichenstamm. Eine weitere Minute rührte er sich keinen Millimeter, wartete darauf, ob er die leiseste Bewegung aus den Augenwinkeln wahrnahm. Die Stille war drückend – bis ein Maschinengewehr in einer Entfernung von ein oder zwei Kilometern weiter unten an der Frontlinie einen kurzen Feuerstoß abgab.

Mark begann seinen Kopf nach links zu drehen, so langsam wie ein Chamäleon auf Fliegenjagd. Allmählich klärte sich die Verzerrung des äußeren Gesichtsfeldes, und er konnte den ganzen Hang über sich überblicken.

Der Eichenstamm in der Nähe war durch Schrapnellgeschosse zerfetzt, die Rinde abgefetzt, Holzsplitter abgerissen. Er war über eine Erdmulde gefallen wie eine Brücke; und obgleich der Schnee sich aufgehäuft hatte, war eine schmale Lücke zwischen Erde und Eichenstamm geblieben. Die Lücke war in der Mitte etwa zehn Zentimeter breit, und Mark sah durch sie hindurch reflektiertes Licht vom Schnee auf der anderen Seite.

Hinter dem abschirmenden Eichenstamm ragte das Ende eines Mauser-Laufes hervor. Er war mit Sackleinen umwickelt, um jegliche Lichtreflexion auf dem Metall zu verhindern – doch die grausame, kleine Öffnung der Mündung war unbedeckt.

Der Deutsche lag wie Mark hinter einem Baumstamm, seine rechte Seite geschützt und halb von Mark abgewandt.

Mark beobachtete das Ende des Gewehrlaufs, der sich nicht wieder bewegte, zehn Minuten. Der Deutsche hatte Ruhe und Geduld. Nach dem Laden war er wieder in Starre verfallen.

Der ist zu gut, der gibt mir keine Gelegenheit, einen Schuß anzubringen, dachte Mark. Wenn ich mich auch nur einen Zentimeter rühre, hört er mich – und der Junge ist schnell. Sehr schnell.

Um eine echte Schußmöglichkeit zu haben, hätte Mark mindestens sechs Meter zurückkriechen müssen, doch dann wäre der Deutsche durch seine Bewegung aufmerksam geworden. Mark durfte nicht den geringsten Vorteil vergeben, nicht bei einem Gegner dieses Kalibers.

Die langen, stillen Minuten krochen dahin – ohne Nachlassen der Spannung. Mark hatte das Gefühl, daß jeder Nerv, jede Sehne seines Körpers sichtbar zittern müßten, doch in Wirklichkeit fand die einzige Bewegung im Handschuh seiner rechten Hand statt. Die ständig knetende Bewegung der Finger hielt sie weich und warm; sein Blick wanderte langsam den zerschossenen Baumstamm auf und ab, er blinzelte regelmäßig, um das Wasser, das Anspannung und Kälte ihm in die Augen trieben, wegzudrängen.

»Was zum Teufel geht da oben vor?« schimpfte Fergus MacDonald nervös und spähte in sein Periskop, das dem Beobachter erlaubte, in Deckung hinter dem Sandsackwall zu bleiben.

»Der Junge ist festgenagelt.« General Sean Courtney nahm seine Augen nicht vom zweiten Periskop, drehte es leicht und suchte damit den Hang ab. »Lenken Sie den Hunnen noch mal mit Cuthbert ab.«

»Ich glaube nicht, daß er noch mal darauf hereinfällt«, widersprach Fergus sofort und hob den Kopf mit den eng zusammenstehenden Augen, die nun vor Kälte und Anspannung des Wartens rot gerändert waren.

»Das ist ein Befehl, Sergeant.« Auf Sean Courtneys breiter Stirn bildeten sich zwei steile Falten, und die dunklen Augenbrauen zogen sich drohend zusammen. Die Kraft und Ausstrahlung dieses Mannes verfehlten auch auf Fergus MacDonald nicht ihre Wirkung.

»Jawohl, Sir«, murmelte er und holte die Puppe, die an der Stufe des Gefechtsstands lehnte.

Wieder knallte ein Schuß aus dem Mauser-Gewehr, und Mark Anders’ Lider zuckten durch den Schock zweimal heftig und zogen sich anschließend weit zurück. Die goldbraunen Augen fixierten den Hang wachsam, wie die Augen eines Wanderfalken.

In der Sekunde nach dem Schuß hörte er, wie der Verschluß der Mauser klappernd zurückgerissen und wieder vorgeschoben wurde, um durchzuladen, und wieder bewegte sich das Ende des mit Sackleinwand umwickelten Laufs ein wenig – doch dann flog Marks Blick zur Seite.

Da war noch eine Bewegung, so unmerklich, daß sie einem weniger scharfen Auge entgangen wäre. Es war nur der Hauch einer Bewegung in dem schmalen Spalt zwischen dem Baumstamm und der schneebedeckten Erde. Nur ein kurzes Regen, und dann war es wieder still.

Mark starrte lange Sekunden in die Lücke, ohne etwas Konkretes zu erfassen. Nur Schatten und ein undefinierbarer Umriß, tückisch reflektiertes Licht vom Schnee dahinter. Dann sah er plötzlich noch etwas.

Es hatte die Beschaffenheit von Stoff, ein dünner Streifen in der schmalen Lücke, dann nahmen seine Augen den genähten Saum im grauen Stoff wahr, der sich leicht über einen lebenden Körper darunter bauschte.

Durch den Spalt war ein winziges Körpersegment des Deutschen zu sehen. Er lag nahe an der anderen Seite des Baumstrunks, und sein Kopf mußte sich da befinden, wo die Mündung des Gewehrs sichtbar war.

Sorgfältig zeichnete Mark die Proportionen des Deutschen hinter dem Baumstamm im Geist nach. Die Gewehrmündung als einzigen Anhaltspunkt, gliederte er den Kopf des Mannes, seine Schultern, Oberkörper und Hüften ...

Ja, die Hüfte, dachte Mark. Entweder Hüfte oder ein Oberschenkel – und dann kam ein Lichtwechsel. Das Licht brach durch eine dünne Stelle der Wolkendecke, und es wurde kurzfristig heller.

Jetzt erfaßte Marks Blick das winzige Stück eines deutschen Militärkoppels mit der leeren Bajonettschlaufe. Das bestätigte seine Vermutung. Er wußte, daß sich unter der Ausbuchtung im grauen Stoff der Oberschenkelhals befand, die Stelle, wo er sich mit dem Hüftgelenk traf.

Durch beide Hüften, überlegte Mark kalt. Das macht ihn bewegungsunfähig, und dann die Arterie... Behutsam begann er seine Hand aus dem rechten Handschuh zu schälen.

Er mußte sich seitwärts wälzen und mit dem langen Lauf des P. 14 einen Bogen von mehr als neunzig Grad beschreiben, ohne auch nur das geringste Geräusch zu verursachen.

»Bitte, lieber Gott«, flehte Mark stumm und begann die Bewegung. Der Lauf seines Gewehrs beschrieb einen langsamen Bogen, während er gleichzeitig das Gewicht auf den anderen Ellbogen verlagerte.

Es verging eine halbe Ewigkeit, bis das P.14 auf den schmalen Spalt unter dem Eichenstamm gerichtet war. Mark lag völlig verrenkt da. Er würde gleichzeitig mit dem Schuß entsichern müssen, denn auch dieses kleine metallische Klicken würde dem Deutschen nicht entgehen.

Mark krümmte den Finger um den Abzug, hob den Bolzen und spürte die Sperre des Sicherungsmechanismus. Er zielte sorgfältig, begann den Sicherheitsriegel mit dem Daumen umzulegen, während er gleichzeitig auf den Abzugshebel drückte. Es mußte eine weiche, fließende Bewegung sein, um den Lauf nicht vom Streifen grauen Uniformtuchs zu verreißen.

Der Donner des Schusses schien vom tiefhängenden grauen Himmel abzuprallen, und die Kugel zischte in den winzigen Spalt. Mark sah den Einschuß, den Wulst des Metalls beim Einschlagen in Fleisch.

Er hörte den unartikulierten, wilden Schrei des Deutschen und riß den Verschluß des P.14 zurück, lud mit mechanischer Präzision durch. Der zweite Schuß donnerte in das Echo des ersten, folgte dem ersten so dicht, daß sie wie ein einziger Schuß dröhnten. Das Geschoß jagte durch den Spalt, und diesmal sah Mark Blut, ein hellroter Strahl sprudelte in den Schnee, färbte sich hellrosa, als er sich mit ihm vermengte.

Dann war die Lücke leer, der Deutsche war von der Wucht nach hinten gerissen worden – oder hatte sich zur Seite gewälzt. Nur ein rosafarbener Fleck im Schnee blieb übrig.

Mark wartete, die nächste Kugel im Lauf des P.14. Er lag jetzt dem Baumstamm frontal zugewandt und lauerte gespannt auf eine nächste Schußmöglichkeit. Wenn er dem anderen keine tödliche Wunde verpaßt hatte, würde der Deutsche Vergeltung üben, und Mark war darauf gefaßt.

Er war von gefühlloser Kälte, hellwach, jede Nervenfaser bis zum äußersten gespannt, sein Blick klar, sein Gehör geschärft.

Die Stille zog sich hin – und dann hörte er etwas. Zuerst wußte Mark nicht, was es war, doch dann kam es wieder. Das Schluchzen eines Mannes. Es wurde jetzt stärker, hysterischer, krampfte ihm die Eingeweide zusammen. '

»O Gott – o Gott –«, stammelte der Verwundete. »Das Blut – o Gott – das viele Blut.«

Plötzlich zerrte das Geräusch an Marks Seele, schnitt tief in sein Inneres. Seine Hand begann zu zittern, und er spürte wieder das Beben seiner Lippen. Er versuchte, die Zähne zusammenzubeißen, die jetzt unkontrolliert aufeinanderschlugen.

»Hör auf damit, um Gottes willen, hör auf damit«, murmelte er, und das Gewehr rutschte ihm aus der Hand. Er preßte die Hände mit den abgeschnittenen Strickhandschuhen an die Ohren, um das grauenerregende Wehklagen des Deutschen nicht hören zu müssen.

»Bitte, bitte«, flehte Mark laut. »Hör auf.«

»Hilfe! Mein Gott – das Blut!« Die Stimme des Deutschen stammelte Laute der Verzweiflung.

Ohne auf Deckung zu achten, kroch Mark plötzlich durch den Schnee den Hügel hinauf.

»Ich komme. Ich komme«, keuchte er. »Aber hör auf.« Er spürte, wie ihm übel wurde.

»Mein Gott, nein, Mutter ...«

»Hör auf! Hör auf!«

Mark schob sich über den Eichenstamm.

Der Deutsche lag halb aufgerichtet an den Stamm gelehnt und versuchte mit beiden Händen den pulsierenden Schwall hellroten Arterienbluts aufzuhalten, der ihm durch die bebenden Finger quoll. Die Geschosse hatten ihm beide Hüften zertrümmert, und der Schnee um ihn war zu blutigem Matsch geworden.

Er wandte Mark das Gesicht zu, aus dem bereits jegliche Farbe gewichen war, ein fahles Weiß, von einer glänzenden Schweißschicht überzogen. Der Deutsche war genauso jung wie Mark, die Todesnähe hatte seine Züge vollkommen geglättet, und er wirkte wie ein Kind. Das Gesicht eines Marmorengels, glatt und sanft, von seltsamer Schönheit, blaue Augen in hellblauen Höhlen, unter dem Helm quoll ein Büschel goldblonder Locken hervor und fiel in die bleiche Stirn.

Er öffnete den Mund und sagte etwas, das Mark nicht verstand. Seine Zähne schimmerten weiß und regelmäßig hinter vollen, bleichen Lippen.

Dann sackte der Deutsche langsam am Stamm herunter, wobei er Mark immer noch anstarrte. Seine Finger entspannten sich, der Druck des pulsierenden Blutschwalls ließ nach und versickerte schließlich. Die hellblauen Augen verloren ihren fiebrigen Glanz, verloren den Blick und verglasten.

Mark hatte das Gefühl, daß sich im Gewebe seines Hirns etwas löste, wie wenn Seidenstoff zerreißt. Es war beinahe eine körperliche Empfindung – er hörte, wie etwas in ihm nachgab.

Das Blickfeld verschwamm, die Gesichtszüge des toten Deutschen zerflossen wie schmelzendes Wachs und nahmen langsam eine neue Form an. Mark spürte, wie der Riß größer wurde, der Seidenfaden seiner Denkfähigkeit riß ab; dahinter war ein schwarzer, hallender Abgrund.

Das tote Gesicht des Deutschen schmolz zu einer neuen Form, die immer deutlicher wurde, bis Mark in sein eigenes Gesicht blickte, wie in einen wabernden Zerrspiegel. Sein eigenes, vom Grauen gezeichnetes Gesicht, das nackte Entsetzen in seinen goldbraunen Augen, den Mund, der sein Mund war, aufgerissen – zu einem Schrei, der die Verzweiflung und die Agonie der ganzen Welt hinausschrie.

Die letzten Fetzen von Marks Verstand wurden fortgerissen im Sturm des Grauens, und er hörte sich schreien – und spürte seine rennenden Füße unter sich, und sein Körper war leicht und schwerelos, wie der Körper eines Vogels im Flug.

Der Deutsche am Maschinengewehr spannte den Hahn mit einem kräftigen Ruck, drehte scharf nach links und drückte gleichzeitig den Lauf nach unten, bis er im spitzen Winkel unter die Sandsäcke der Stellung den Hang hinunter auf die britischen Linien wies.

Der wie wild rennende Soldat floh schräg nach links, und der Schütze schob sich den Holzschaft des Maxim an die Schulter und feuerte eine Salve, zielte eine Winzigkeit tiefer, um der Tendenz, auf ein tiefer liegendes Ziel zu hoch zu zielen, entgegenzuwirken.

Mark Anders spürte die gewaltigen Hammerschläge der beiden Kugeln kaum, die sich in seinen Rücken bohrten.

Kapitel 2

Fergus MacDonald weinte. Das erstaunte Sean, das hatte er nicht erwartet. Die Tränen quollen langsam aus rotgeränderten Augen, und er wischte sie mit einer wütenden Handbewegung weg.

»Gestatten Sie, daß ich eine Patrouille zusammenstelle, Sir?« fragte er, und der junge Hauptmann warf Sean einen unsicheren Blick zu.

Sean nickte leicht, ein kaum merkliches Neigen des Kopfes.

»Glauben Sie, Freiwillige auftreiben zu können?« fragte der Hauptmann unsicher, und der rotgesichtige Sergeant antwortete ihm schroff: »Es werden sich Freiwillige melden, Sir. Die Männer wissen, was der Junge getan hat.«

»Na schön, dann – sobald es dunkel ist.«

Sie fanden Mark kurz nach acht Uhr. Er hing im rostigen Stacheldraht am Fuß des Hanges wie eine kaputte Puppe. Fergus MacDonald mußte ihn mit einer Drahtschere befreien, und sie brauchten noch mal eine knappe Stunde, bis sie ihn hinter die britischen Linien geschafft hatten, die Bahre zwischen sich durch Matsch und nassen Schnee schiebend.

»Er ist tot«, sagte General Courtney, als er im Schein der Laterne in das totenbleiche Gesicht auf der Bahre blickte.

»Nein, ist er nicht«, widersprach Fergus MacDonald grimmig. »So schnell bringen die meinen Jungen nicht um.«

Beim Überqueren der Eisenbrücke gab die Lokomotive einen schrillen Pfiff ab. Silberdampf quoll zu einer dichten Wolke auf und wurde vom Wind zerstoben.

Mark Anders beugte sich weit über die Plattform des einzigen Personenwaggons, seine hellbraune Haarmähne flatterte im Fahrtwind, während ihm Asche von der Lokomotive ins Gesicht stach; er kniff die Augen zusammen und schaute hinunter ins Flußbett, über das sie donnerten.

Das Wasser strömte durch das Schilf, teilte sich an den Brückenpfeilern zu trägen Wirbeln und floß danach grün und majestätisch dem Ozean zu.

»Viel Wasser für diese Jahreszeit«, murmelte Mark laut. »Darüber wird Großvater sich freuen«, und er spürte, wie seine Lippen sich zu einem ungewohnten Lächeln kräuselten. In den letzten Monaten hatte er nicht oft gelächelt.

Die Lokomotive brauste über die Eisenbrücke und warf sich der Steigung entgegen. Sofort veränderte sich der Rhythmus der Maschine, und das Tempo verlangsamte sich zusehends.

Mark bückte sich, hob seinen alten Militärsack auf, öffnete das Gitter der Plattform, stellte sich auf die Eisenstufen und ließ einen Arm tief über den mit Kies aufgeschütteten Bahndamm hängen. Mit zunehmender Steigung verringerte der Zug das Tempo. Mark lehnte sich weit hinaus, um die Tasche so sachte wie möglich in den Schotter fallen zu lassen. Sie federte noch einmal hoch, purzelte, sich überschlagend, die Böschung hinunter und krachte ins Gebüsch wie ein Tier auf der Flucht.

Kurz bevor der Zug die Anhöhe erreicht hatte, ließ Mark den Haltegriff los, warf sein Gewicht nach vorne, um die Wucht des Aufpralls abzufangen, und spürte gleich darauf den rutschenden Kies unter seinen Füßen. Er blieb auf den Beinen und kam zum Stehen, während die letzten Waggons an ihm vorbeibrausten.

Durch den Sprung verspürte er wieder Schmerzen im Rücken und fuhr mit der Hand ins Hemd unter die Achsel, während er neben den Schienen zurückging. Er tastete nach den beiden Vertiefungen unter dem Schulterblatt und wunderte sich wieder einmal, wie knapp einer der beiden Einschüsse neben den hervortretenden Wirbelknochen seines Rückgrats saß. Das Narbengewebe fühlte sich seidig an; doch es hatte lange Monate gedauert, bis die Wunden verheilt waren. Mark schauderte unwillkürlich in der Erinnerung an das Klappern des Verbandswagens, das teilnahmslose, grobschlächtige Gesicht der Oberschwester, mit dem sie die langen Mulltampons in die tiefen Wunden stopfte; er hatte auch den ekelhaft ziehenden Schmerz nicht vergessen, mit dem die blutigen Verbandsstreifen von der blitzenden Stahlzange herausgezogen wurden, oder sein eigenes ersticktes Stöhnen und die schroffe, unpersönliche Stimme der Oberschwester.

»Stellen Sie sich nicht an wie ein kleines Kind!«

Tag für Tag, Woche für Woche – bis das heiße Fieberdelirium der Entzündung, die seine von den Schüssen beschädigte Lunge befiel, ihm wie eine Wohltat erschien. Wie lange hatte es gedauert vom Feldlazarett auf einem französischen Acker – tief zerfurcht und matschig von den ständig ankommenden Ambulanzen, wo Sondertrupps gegenüber dem Krankenzelt die Gräber aushoben. Von dort ging es weiter ins Militärhospital bei Brighton und in den dunklen Nebeln der Lungenentzündung auf das Hospitalschiff Richtung Heimat, entlang der Atlantikküste Afrikas, durch brütende Tropenhitze bis in die Rehabilitationsklinik mit ihren gepflegten Gartenanlagen. Wie lang? Insgesamt vierzehn Monate, Monate, in denen der Krieg zu Ende ging, den die Menschen bereits zum »Großen Krieg« ernannt hatten. Schmerz und Delirium ließen die langen Zeiträume verschwimmen, dennoch kam ihm alles vor wie ein ganzes Leben.

Ein Leben, in dem Tod und Gemetzel, Schmerz, Leid und Entbehrungen regierten, und nun war er wiedergeboren. Der Schmerz im Rücken verklang rasch. Er war beinahe wieder vollständig in Ordnung, dachte er froh, schob die düsteren und furchtbaren Erinnerungen von sich und schlitterte die Böschung hinunter, um sein Gepäck aufzusammeln.

Andersland lag etwa vierzig Meilen stromabwärts, und durch die Zugverspätung war es bereits Mittag geworden. Mark wußte, daß er es nicht vor dem nächsten Abend schaffen würde – aber seltsamerweise hatte das Heimweh sich gelegt, jetzt, da er fast am Ziel war.

Er kam zügig voran mit den langen Schritten des Jägers. Sobald die frisch verheilten Wunden schmerzten, verlagerte er das Gewicht des Militärrucksacks. Er spürte, wie gesunder Schweiß sein Gesicht kühlte und durch das dünne Baumwollhemd drang.

Die lange Abwesenheit hatte seine Wahrnehmung für die Schönheiten der Landschaft, die er durchwanderte, geschärft, und Dinge, die er früher nur flüchtig zur Kenntnis genommen hatte, sah er mit neuem, nie gekanntem Staunen.

Die üppige Flußlandschaft barg vielfältiges Leben. Libellen mit durchsichtigen Flügeln strichen tief übers Wasser und paarten sich im Flug, ein Flußpferd, das gewaltig prustend auftauchte, seine winzigen Ohren ständig in Bewegung, in der grünen, wirbelnden Strömung wie ein riesiger schwarzer Ballon paddelnd und Mark aus kleinen, wäßrigrosa Augen anglotzend.

Er kam sich vor, als wandere er durch ein Paradies, bevor es Menschen gab, und jetzt wußte er, daß diese Einsamkeit in der unberührten Landschaft es war, die sein Körper und seine Seele brauchten, um endgültig zu genesen.

Er kampierte auf einem grasbewachsenen Felsvorsprung über dem Fluß, hoch über den Moskitos und dem tückischen Dunkel des dichten Buschs.

Kurz nach Mitternacht weckte ihn ein Leopard, der unten am Fluß heiser schrie, und Mark horchte, bis das Schreien langsam stromaufwärts zog und sich im felsig zerklüfteten Steilufer verlor. Er schlief nicht gleich wieder ein, dachte voll Vorfreude an den Tag, der vor ihm lag.

In den vergangenen vier Jahren war kein Tag vergangen, an dem er nicht an den alten Mann gedacht hatte, auch in den sehr schlimmen Tagen der Finsternis und der bösen Alpträume. An manchen Tagen war es nur ein flüchtiger Gedanke, an anderen wieder war er davon beherrscht wie ein heimwehkranker Schuljunge gewesen. Der alte Mann war sein Zuhause, ersetzte ihm Mutter und Vater, die Mark nie gekannt hatte. Seit seinen ersten verschwommenen Kindheitserinnerungen bis zur Gegenwart war er ihm präsent, unverändert in seiner Kraft und seinem gelassenen Verständnis.

Immer wenn das Bild des alten Mannes sich vor seinem inneren Auge formte, spürte Mark diesen körperlichen Stich der Sehnsucht. Er sah ihn in seinem roh gezimmerten Schaukelstuhl auf der großen Holzveranda sitzen, sein zerknittertes altes Khakihemd mit groben Flicken besetzt und dringend reinigungsbedürftig. Aus dem offenen Kragen quoll der graue Brustpelz, der faltige Truthahnhals war dunkelbraun gebrannt, die Wangen von einem Fünf-Tage-Bart bedeckt, der glitzerte wie Glassplitter, den imposanten, schlohweißen Schnurrbart hatte er an den Enden mit Bienenwachs zu gefährlichen Spitzen gezwirbelt, der breitkrempige Hut war tief über die lebhaften, karamelfarbenen, verschmitzten Augen gezogen. Diesen abgegriffenen Hut mit dem schweißdurchtränkten Band nahm er nie ab, auch nicht zu den Mahlzeiten – nicht einmal, wie Mark vermutete, wenn er sich nachts in das große Messingbett legte.

Mark sah ihn vor sich, wie er den Kautabak von einer Backe in die andere schob, aufhörte, mit dem Messer an irgend etwas herumzuschnipseln, und den Priem dann in hohem Bogen in den alten Tate-&-Lyle-Sirupkanister spie, der ihm als Spucknapf diente. Er traf aus einer Entfernung von drei Metern mit absoluter Zielsicherheit, ohne einen einzigen Tropfen des dunkelbraunen Saftes danebenzuspucken, dann erzählte er seine Geschichte weiter, als habe er sie nie unterbrochen. Und was für Geschichten! Geschichten, bei dem einem kleinen Buben die Augen aus dem Kopf traten, von denen er nachts aus dem Schlaf hochschreckte und angstvoll unter das Bett lugte.

Mark sah den alten Mann vor sich bei nebensächlichen Gesten, etwa, wenn er sich bückte, eine Handvoll Erde durch die Finger rieseln ließ und sich die Hand am Hosenboden abwischte. »Gutes Land – Andersland«, sagte er dann und nickte bedächtig. Mark waren auch die großen Taten im Gedächtnis geblieben; groß und hager stand er neben Mark im Dornengestrüpp, seine gewaltige, alte Martini-Hendry-Büchse ballerte rauchend los; der Rückstoß zuckte durch seinen ganzen mageren Körper; und dann stürmte der Büffelbulle wie ein schwarzer Berg auf sie zu im Blutrausch und vor Schmerzen durch die Verletzung halb um den Verstand gebracht.