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Wenn es draußen kalt ist, geht es im Blackwell Palace umso heißer zu: nach dem Erfolg von »Like Snow We Fall« der Auftakt der neuen skandalös guten New-Adult-Reihe – wunderbar glitzernd in zauberhafter Winter-Romance-Optik
»Wenn ihr nach einer faszinierenden Story und einem unwiderstehlichen Setting sucht, müsst ihr unbedingt ›Blackwell Palace‹ lesen!« ANNA TODD
Als Paola an der Fassade des imposanten Blackwell Palace mit seinen verschneiten Türmen und Spitzdächern emporblickt, kann sie kaum glauben, dass dies ihr neues Zuhause und ihr Arbeitsplatz ist. Der Hotelpalast in St. Moritz hat einen legendären Ruf – genau wie die beiden Hotelerben Charles und Edward Blackwell. Als Paola ihnen zum ersten Mal begegnet, gerät auch sie sofort in ihren Bann: Die Brüder sind verboten schön, mächtig und in beiden sitzt ein tiefer Schmerz, der sie unberechenbar macht. Trotz aller Warnungen möchte Paola ihnen näherkommen, als gut für sie sein kann. Doch sie möchte es nicht nur, sie muss: Niemand weiß von dem geheimen Deal, den sie geschlossen hat, und ihrem einzigen sehnlichen Wunsch, der sie antreibt. Denn Charles und Edward haben zwar die Macht, sie zu zerstören – doch wenn sie ihre Karten richtig ausspielt, gilt das auch umgekehrt …
Ein Love Triangle voller Romantik, Spice, Glamour und Intrigen im verschneiten St. Moritz – die Frozen-Hearts-Reihe geht weiter:
1. Blackwell Palace. Risking it all
2. Blackwell Palace. Wanting it all
3. Blackwell Palace. Feeling it all
Und danach? Lust auf noch mehr Sehnsucht, Prickeln und zauberhafte Winteratmosphäre von Bestsellerautorin Ayla Dade? Dann wird es Zeit für die Winter-Dreams-Reihe:
1. Like Snow We Fall
2. Like Fire We Burn
3. Like Ice We Break
4. Like Shadows We Hide
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 732
Ayla Dade nutzt am liebsten jede freie Minute zum Schreiben. Die Seiten ihrer Romane füllt die beliebte Buchbloggerin mit großen Gefühlen an zauberhaften Schauplätzen. Ihre Winter-Dreams-Reihe war ein überwältigender Erfolg: Die Bände standen wochenlang auf der SPIEGEL-Bestsellerliste und haben für immer einen Platz in den Herzen ihrer Leser*innen. In ihrer neuen Frozen-Hearts-Reihe macht sie einen luxuriösen Hotelpalast im verschneiten St. Moritz zum Zentrum von Glamour, Intrigen und einem Feuerwerk an Emotionen.
Ayla Dades Romane in der Presse:
»Zum Wegträumen schön!« Bestsellerautorin Lilly Lucas überLike Snow We Fall
»Das Buch ist ein Wohlfühlroman sondergleichen und großartig geschrieben.« Literaturblog »Buechegge« über Like Fire We Burn
»Diese New-Adult-Romance ist der perfekte Lesestoff für kalte Tage.« OK! über die Winter-Dreams-Reihe
Außerdem von Ayla Dade lieferbar:
Die Winter-Dreams-Reihe:
1. Like Snow We Fall
2. Like Fire We Burn
3. Like Ice We Break
4. Like Shadows We Hide
Ayla Dade
Roman
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Copyright © 2023 by Penguin Verlag
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Straße 28, 81673 München
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.
Lektorat: Steffi Korda, Hamburg
Illustrationen: Christin Neumann
Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Coverabbildung: Collage unter Verwendung von Motiven von shutterstock.com
Gesamtherstellung: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 978-3-641-30835-3V002
www.penguin-verlag.de
Iris – Michael Constantino
Summer of ’69 – Tyler Ward, Jada Facer
Cry Me A River – Nina Nesbitt
Always Remember Us This Way – Lauren Spencer Smith
The Scientist – Emily James
Intentions Acoustic – Jonah Baker
Teenage Dream – Bailey Rushlow
She Will Be Loved Acoustic – Beth
My Girl Acoustic – Tiffany Alvord
Since U Been Gone – Thomas Daniel
Earned It – The Weeknd
Say You Won’t Let Go Acoustic – Matt Johnson, Jaclyn Davies
Complicated Acoustic – Kaiak
Don’t You Worry Child – Symphoniacs
See You Again – Wiz Khalifa, Charlie Puth
How Do I Say Goodbye – Dean Lewis
Crazy In Love – Beyoncé
Wrecking Ball – Bailey Rushlow
AVA – Natalie Jane
Run Boy Run – Woodkid
Fire Meet Gasoline – Sia
Impossible – James Arthur
I Wanna Be Your Slave – Måneskin
Royals – Lorde
What You Know Bout Love – Pop Smoke
Rockstar – DaBaby, Roddy Ricch
Glorious – Macklemore, Skylar Gray
Little Bit Of Love – Tom Grennan
Pompeii – Bastille
Sweet Dreams Acoustic – Holly Henry
I Put A Spell On You – Annie Lennox
Undiscovered – Laura Welsh
Liebe Leser*innen,
ich freue mich so sehr, dass ihr ins Blackwell Palace eintauchen und euch von seinem Luxus und Glamour verzaubern lassen wollt.
Vorab aber ein wichtiger Hinweis:
Beim Schreiben meiner Geschichten ist eure Unterhaltung mein oberstes Ziel. Ihr sollt einige wundervolle Stunden fernab der Realität bekommen, in denen ihr nur so durch die Seiten fliegt und ein anderes Leben lebt. Sollte es also Themen in eurem Leben geben, mit denen ihr nicht konfrontiert werden wollt, und ihr befürchtet, es könnte ein Thema des Buches sein, so bitte ich euch, vor dem Lesen einen Blick auf S. 506 zu werfen. Dort sind die sensiblen Themen dieses Romans aufgelistet. Bitte seid euch allerdings bewusst, dass diese Liste Spoiler enthält.
Was mir außerdem noch wichtig ist: Meine Charaktere erleben einige intime Momente miteinander, in der Unterwürfigkeit und Dominanz eine große Rolle spielen. Ich bitte euch selbst oder auch eure Eltern, einzuschätzen, inwieweit ihr eine moralisch graue Fiktion und die Realität voneinander trennen könnt.
Ich wünsche euch viel Freude beim Lesen meiner neuen Reihe.
Es wird skandalös, und ich könnte nicht stolzer auf diese Reihe sein!
Und nun taucht ab ins Blackwell Palace, Signoras & Signores!
Eure Ayla
Für meinen Papa.
Ich wünschte, du könntest das sehen.
Ich frage mich, was andere wohl denken, wenn sie mich jetzt sehen. In meinem Kopf gibt’s eine Auswahl von drei Gedanken: Ronja Räubertochter, die Bücherdiebin oder Tarzan. Ersteres aufgrund meiner wilden langen Haare, die nach meinem Reisetrip das reinste Chaos sind, Zweiteres wegen des gebundenen Buches, das ich mir wie einen Schutzschild vor die Brust drücke, und Letzteres wegen meiner viel zu dünnen Jacke. Scheiße, es ist gerade mal Oktober und ich habe das Gefühl, hier herrschen Minusgrade!
Ich bin mir sicher, dass mindestens einer meiner Vergleiche zutrifft, denn ich bin eine wandelnde Katastrophe. Nach dem knapp zweistündigen Direktflug von Neapel nach Zürich habe ich in den Spiegel auf den Flughafentoiletten geschaut. Aus Versehen. Ich wollte eigentlich nicht, es war quasi ein Unfall, weil mich die Frau neben mir nach einem Tampon gefragt hat, und ich völlig überfordert von meinem Spiegelbild wissen wollte, wie ich ihr nun erkläre, dass ich eine Periodentasse benutze, aber da war es dann schon zu spät. Ich konnte mein Erscheinungsbild in Form einer mitgenommenen Jumanji-Spielerin in voller Pracht begutachten: tiefe Augenringe auf meiner gebräunten Haut, das dunkelbraune Haar ein Paradies für kleine Vögelchen, meine Brauen dick und buschig wie immer, und meine Handrücken rot und zerkratzt wegen meiner Neurodermitis-Schübe, die bei Stress schlimmer werden.
Und Stress habe ich gerade ganz besonders. Vor allem, wenn ich an Gabriel denke. Daran, wie Tränen in seinen dunklen Augen glänzten, als ich ihm sagte, ich würde fortgehen. Ich schiebe die Gedanken an meinen Bruder, der in Italien mit meiner I-don’t-give-a-fuck-Mutter und seinem Möchtegern-Mafia-Vater in der kleinen Steinbruchbude festsitzt, beiseite, erinnere mich daran, wofür ich das hier tue, und sehe durch die Fensterscheiben des Zuges. Unter meinem Arm klemmt Effi Briest, in den Händen halte ich nun mein Notizbuch, die Seiten aufgeschlagen. Mein Blick klebt an meiner stetig wachsenden und sich verändernden Liste. Darauf stehen Dinge, die mir Angst machen, und wie ich das ändern möchte.
Punkt 1: In St. Moritz nicht zurechtzukommen.
Lösung: Networken, Geld verdienen, ein paar Sachen unternehmen.
Punkt 2: Im Blackwell Palace nicht dazuzugehören.
Lösung: Einfach mal die Klappe halten und nicht alles sarkastisch kommentieren.
Punkt 3: Gabriel zurückgelassen zu haben.
Lösung: Arbeiten, meine Mission durchziehen und ihn da rausholen!
Der Zug hält. Schnell verstaue ich das Notizbuch in meinem Rucksack, aber mein Buch behalte ich in der Hand. Vielleicht kann ich während der Taxifahrt noch etwas lesen. Die Türen gehen auf, und ich steige aus.
Schnee, Schnee und noch mal Schnee. Und das Ende Oktober! Als hätte das Universum meine Ankunft gerochen und jede Magie vorbereitet, die es zu bieten hat.
Eiskalte Luft hüllt mich ein, als ich mit meinem Rucksack und den viel zu dünnen Stiefeln in den Schnee stapfe. Bei dem Anblick der weißen Gipfel, die hoch in den Himmel ragen, dem vertrauten Glockenturm, den ich mir so oft auf den Bildern der Bibliotheksbücher angesehen habe, und den vielen Häuschen, die sich versetzt auf den Bergen aneinanderreihen und deren Lichter hinter den Fenstern wie Sterne um die Wette strahlen, bleibt mir der Atem weg. Ich umfasse die zerfledderte Schmuckausgabe von Effi Briest fester, recke das Kinn in die Höhe, schließe die Augen und … atme.
Das hier ist es. St. Moritz. Mein Geburtsort. Die Stadt, die sich vor Ewigkeiten in mein Herz geschlichen und von dort nie wieder verschwunden ist, obwohl ich mich kaum erinnern kann. Und jetzt, Jahre später, atmen dieser Ort und ich endlich wieder dieselbe eisige Luft. Verrückt. Verrückt!
Jemand rempelt gegen meinen Rucksack. Ich stolpere vor, taumele, versuche, das Gleichgewicht zu halten, lasse aber mein Buch fallen. Der Schnee tränkt den Leineneinband. Keuchend starre ich auf diese mittelschwere bis nukleare Katastrophe, als neben mir jemand zischt und wütend seinen Koffer durch den Schnee zerrt.
»Du versperrst den Weg, Mädchen!«
Ich beachte ihn nicht, bücke mich zu meinem Buch, das ich für wenig Geld gebraucht bestellt habe, und will weinen, als ich die nassen Seiten durchblättere. An meiner Lieblingsstelle halte ich inne. Der Vorbesitzer hat ein Zitat unterstrichen: Ich spreche nicht gern vom Tod, ich bin für Leben. Darüber wurde mit Kugelschreiber gekritzelt: lebe für dich, für dein Herz, deinen Willen. Jetzt verschwimmt die Tinte. Langsam streiche ich mit dem Finger über die Wörter, das gewellte Papier …
»Ah, du bist es!«
Zwei starke Hände landen auf meinen Schultern. Ein stämmiger, großer Typ kommt aus dem Nichts angesprungen. Ich zucke so stark zusammen, dass mein Buch fast wieder in den Schnee gefallen wäre, hätte der lebendige Hüpfball es nicht in letzter Sekunde aufgefangen.
Leider muss ich feststellen, dass Mr. Flummi heiß ist. Extrem attraktiv. Mit seinem kurz geschorenen, aschblonden Haar, den eisblauen Augen und der breiten Statur sieht er aus wie vom Militär.
Locker dreht er das Buch in seinen Händen, ehe er es mir zurückgibt. »Du bist Paola Cortessa, oder? Sag Ja, bitte sag Ja, sonst ist hier nämlich niemand mehr, der zu den Beschreibungen passen würde, und es wäre schade, weil ich dich dann wieder ziehen lassen müsste, obwohl ich gerade festgestellt habe, wie außerordentlich hübsch du bist.«
Hat er gerade gesagt, ich sei außerordentlich hübsch? Ja. Ja, ich glaube schon. Entweder das oder ich bin in eine Trance verfallen, seine Worte eine Illusion meines vernebelten Verstands, während sich seine Lippen bewegen. Möglicherweise illusioniert mir meine Überdosis grüner Tee das Hirn.
»Ähm …« In dieser Sekunde ruft mir mein innerer Grünteeherrscher höhnisch in Erinnerung, dass Norberts Kopf aus meinem Rucksack lugt, weil der zu vollgestopft ist, als dass ich ihn hätte schließen können. Norbert ist mein neuestes Projekt, ein gehäkelter Amigurumi in Form eines Nacktmulls, aber Farbe und Augen sind mir misslungen, weshalb er jetzt aussieht wie ein Schwein auf Meth.
Unauffällig drehe ich mich ein Stück zur Seite. »Ja, ich, ähm, bin Paola. Und du?«
Der Typ sieht so scheiße edel aus, ich würde meinen Arsch drauf verwetten, dass er nie so was wie ähm sagt.
»Laxon Caville.«
Ich starre ihn an, weil ich nicht weiß, was ich sagen soll. Er steht da wie eine Festung und gibt mir das Gefühl, ich sollte ihn kennen. Und da kein weiteres Wort mehr seinen Mund verlässt, scheint er das wirklich zu glauben. Unter seiner Musterung wird mir unwohl. Ich bin hübsche Männer, die mich ungeniert anstarren, nicht gewohnt.
Ich zucke die Achseln. »Tut mir leid, aber ich habe keine Ahnung, wer du bist.«
»Macht nichts«, sagt er und hat dabei dieses angedeutete Grinsen im Gesicht, das mich nervös macht. »Ich weiß ja, wer du bist. Nämlich die neue Angestellte im Blackwell Palace.«
»Oh.« Ich blinzle. Schnell. Bis die Rädchen in meinem Hirn sich verzahnen. »Du bist derjenige, der mich hier abholen soll?«
»Korrekt, meine Liebe.« Als er sieht, dass ich auf diese Wortwahl mit einer hochgezogenen Augenbraue reagiere, wird sein Grinsen breiter. »Aber mir gefällt, dass du keine Ahnung von mir hattest. Besser so, als dass du mich für meinen Cousin oder so gehalten hättest.«
»Warum sollte ich das tun?«
Darauf geht er nicht ein. Er legt nur den Kopf schief, verengt die Augen und sagt: »Man hat es dir nicht gesagt?«
»Was gesagt?«
»Nichts.«
Ich runzle die Stirn. »Du bist merkwürdig.«
»Danke schön.«
Daraufhin muss ich tatsächlich grinsen. »Du wirst also nicht gern für deinen Cousin gehalten?«
Er lacht trocken auf. »Was für eine Frage.«
»Warum?«
Er streckt den Finger aus und tippt mir auf die Nase, als wäre ich ein Kleinkind. Ja, wirklich. Das hat er echt getan.
Perplex starre ich ihn an, aber bevor ich ihm sagen kann, dass ich nicht so auf Nasenstupser stehe, entgegnet er: »Ich merke, du bist ein neugieriges kleines Ding.«
»Also, ich assoziiere das Wort Ding mit dem männlichen Geschlechtsteil, und das bin ich offensichtlich nicht.«
Fängt ja gut an mit dem nicht Auffallen und die Klappe halten.
Er grinst. »Aber süß.«
Ich verziehe das Gesicht, was ihm nicht entgeht. Sein Grinsen wird überdimensional. »Okay, Erklärung: Ich werde nicht gern für jemand anderen gehalten, weil ich gerne ich bin.« Er zwinkert. »Und für gewöhnlich mögen die Frauen das.«
Hitze steigt in meine Wangen, weil er mich ansieht, als würde er mich mit dieser Frage herausfordern. Als würde er von mir hören wollen, dass ich das genauso sehe. Und leider hat er recht. Ich würde diese rebellische Aura, die seine Züge umgeben, als sehr intensiv beschreiben. Einnehmend. Interessant.
»Um aber zurück zum Wesentlichen zu kommen«, führt der Kerl fort, »ja, ich soll dich hier abholen.« Er kramt in seiner Lederjacke und hält mir ein kleines Kärtchen vor die Nase. Es sieht edel aus, weiß mit gold verziertem Rand und geschwungenen Lettern. Darauf steht: Blackwell Palace VIP Member – neben seinem Bild. Ich kann den Namen darunter nicht lesen, weil er ihn mit seinem Daumen verdeckt. »Damit du nicht denkst, ich wäre ein kranker Psycho oder so.«
»Das wäre trotzdem möglich.« Misstrauisch sehe ich zu ihm auf. »Ist bestimmt nicht schwer, diese Karte zu fälschen.«
»Aber woher sollte ich dann wissen, dass du Paola Cortessa bist, neue Angestellte des Palasthotels, frisch eingetroffen aus San Luca?«
Ich räuspere mich. »Also, ähm, fahren wir zusammen hin?«
Ähm ähm ähm.
»Korrekt, geheimnisvolle Schönheit.«
Verwirrt sehe ich ihn an. »Wie bitte?«
»Nun, irgendeinen Grund hat es, dass man mich schickt, um dich persönlich abzuholen, nicht wahr?«
Oh, shit!
»Ich …«
Er lässt mich nicht zu Wort kommen. Macht einen Schritt auf mich zu. »Sag mir, Paola: Ist es gewöhnlich, dass die Saison längst begonnen hat und urplötzlich, so ganz aus dem Nichts, eine neue Sommelière eingestellt wird?«
Seine Worte treiben mir den Puls in die Höhe. Haltsuchend krallen meine Finger sich in den Bucheinband von Effi Briest. »Na ja, nein, a… aber das war vielleicht ein Ausnahmefall?« Am Ende des Satzes wandert meine Stimme drei Oktaven in die Höhe. Ich klinge wie ein kleines Mäuschen, das ich nicht bin. Super.
»Ein Ausnahmefall?« Er wirkt interessiert. »Erzähl mir mehr.«
»Ich meine nur, weil ich im letzten Jahr den Bewerbungsprozess durchlaufen bin. Ich habe nie erfahren, ob ich angenommen worden wäre, weil ich mir das Bein gebrochen und im Vorfeld bei Signore Van Dyk abgesagt habe.«
»Signore.« Sein Mundwinkel zuckt. »Mir gefällt, wie du das sagst. In diesem perfekten Italienisch.«
Das wundert mich. Wir sprechen zwar auf Deutsch miteinander, aber Italienisch können hier eigentlich die meisten. »In St. Moritz ist die zweithäufigste Sprache Italienisch, oder nicht?«
»Ja. Und die meisten sagen Signore oder Signora statt Herr und Frau. Trotzdem. Dein Italienisch mit dieser niedlichen Stimme klingt besser. Süßer. Einfach … ungewöhnlich.« Er neigt den Kopf, sein Blick huscht über meine Schulter hinweg. »Genau wie diese von enormer Hässlichkeit geprägte Ratte in deinem Rucksack. Sag, handelt es sich hierbei um eine Voodoo-Puppe?«
Augenblicklich brennen meine Ohren vor Scham. »Nein.«
»Weißt du, Paola …« Der Kerl leckt sich über die sündhaft schönen Lippen. »Ich denke, dich plagt eine traumatische Vergangenheit mit einem grunzenden Wesen, das dich in den Wahnsinn getrieben hat.« Nachdenklich verzieht er den Mund. »Vielleicht ein schnarchender Ex? Schlaflosigkeit soll übel sein. Kann zu Angstzuständen und irrer Panik führen. Vielleicht deshalb die Flucht hierher, und um dich ganz abzusichern«, er zwinkert, »das kleine Voodoo-Rättchen.«
Ich starre den Kerl an. Und dann platzt es einfach aus mir heraus. »Bei dir läuft doch irgendetwas nicht richtig.«
»Was für eine bemerkenswerte Auffassungsgabe du doch hast«, sagt er mit einem Ausdruck im Gesicht, als würden wir uns über das skurrile wissenschaftliche Forschungsergebnis unterhalten, dass Hühner lauter gackern, wenn sie schöne Menschen sehen. »Die Leute behaupten tatsächlich, ich hätte sie nicht mehr alle.« Dann verziehen sich seine Lippen und verleihen ihm einen verruchten Ausdruck. Leicht beugt er sich vor. »Und eine Vorliebe für Mädchen, die so perfekt Signore sagen, habe ich ebenfalls. Kannst du mich auch so nennen?«
Obwohl es bitterkalt hier draußen ist, spüre ich plötzlich eine merkwürdige Hitze, die meinen Hals hinaufkriecht. »Vielleicht, wenn ich herausfinde, dass du ein anständigerer Typ bist, als ich es bisher glaube.«
Diese Aussage macht etwas mit ihm. Zum ersten Mal, seit ich auf diesen Mann getroffen bin, wirkt er verdutzt. Seine Lippen teilen sich, in den Augen funkelt Überraschung. Nur eine Sekunde, aber deutlich sichtbar.
Schließlich blinzelt er diesen offenen Ausdruck beiseite und die verschmitzten Züge sind zurück. Er grinst von einem Ohr zum anderen. »Oh Mann, du gefällst mir immer besser.«
»Weil ich dich für einen Playboy halte?«, sage ich trocken.
Er lacht. »Playboy.« Kurz schüttelt er belustigt den Kopf. »Wer sagt das heute noch?«
»Mit Sicherheit viele Mittvierziger in ihrer dritten Midlife-Crisis.«
»Hmm. Jetzt fühle ich mich wie ein halb nackter Typ mit Schnauzer auf dem Cover einer billigen Zeitschrift aus den Siebzigern.«
»Sehr schön. Da sehe ich dich.«
Seine Augen funkeln belustigt. »Ich würde dich jetzt gerne schütteln, aber da das noch nie jemand zu mir gesagt hat, mag ich dich tatsächlich noch ein bisschen mehr.« Er neigt das Kinn. »Und wegen deiner Ratte.«
»Es ist ein Nacktmull.«
»In keinem Leben ist das ein Nacktmull.« Er sieht aus, als wolle er todernst mit mir über die Politik des Landes diskutieren. »Hast du dir das Ding mal angesehen?«
»Zufälligerweise, ja. Ich hab’s selbst gemacht.«
Er blinzelt. »Die Ratte ist von dir?«
»Nacktmull.«
»Es hat spitze Zähne! Zwei!«
»Das haben diese Tiere so an sich.«
»Wenn du meinst.« Er sieht über seine Schulter. Ich registriere, wie uns Passanten neugierige Blicke zuwerfen, was mit ziemlicher Sicherheit ihm geschuldet ist. Laxon ist groß, seine blauen Augen leuchten vom vielen Schnee um uns herum hell, und das warm goldene Licht der Straßenlaternen lässt sein Haar strahlen, als schwebe ein Heiligenschein über ihm. Sein Kinn ist markant, die Lippen voll, und alles an ihm, von der Lederjacke bis zu seinen Boots, schreit nach rebellischer Attraktivität.
Er sieht wieder zurück zu mir. In seinen Augen erkenne ich Aufregung. Abenteuerlust. Er wirkt, als wäre ihm gerade eine Idee gekommen, die ihn in euphorische Ebenen katapultiert. Die Aura, die ihn umgibt und mich in dieser Sekunde miteinschließt, ist völlig sonderbar. »Nun, das Palasthotel wartet auf dich.« Er neigt den Kopf, grinst schon wieder. »Lust auf eine Spritztour durch St. Moritz, geheimnisvolle Schönheit?«
Ich sehe ihn finster an. »Dieser Spitzname ist absurd.«
»Findest du?«
»Absolut.«
Er wartet meine Antwort nicht ab. Laxon nimmt einfach meine freie Hand und führt mich mit sich. Ich ignoriere das plötzliche Ziehen in meinem Magen geflissentlich. »Begründung?«
»Ich bin nichts dergleichen.«
»Wenn es dir lieber ist, kann ich dich auch little secret nennen.«
Ich verziehe das Gesicht. »Bitte nicht«, flehe ich.
Er sieht mich an, hebt eine Braue. »Mir gefällt dein leichter Akzent.« Und dann, nach einer kurzen Pause, fügt er hinzu: »Und deine Unsicherheit.«
»Ich bin nicht unsicher!«, sage ich laut.
»Ich denke, du willst nicht unsicher sein, deshalb gibst du dich besonders schlagfertig, obwohl es in dir ganz anders aussieht.«
»Schwachsinn«, sage ich, obwohl ich diesmal nicht ganz so überzeugt klinge wie zuvor. Meine von Mobbing geprägte Schulzeit hat nicht gerade für das beste Selbstbewusstsein gesorgt. Aber genau das brauchte ich für meine Jobs als Sommelière. Mir blieb nichts anderes übrig, als die kühne, taffe Frau zu mimen, während in mir das innere Kind heulte, weil es sich ständig Gedanken über alles machte. Lächle ich richtig? Sitzen meine Haare? Starren mir die Gäste auf die Nase und denken an ein Schweinchen? Also, ja, gewissermaßen hat der Typ recht. Und bei dieser Erkenntnis rutscht mein Herz beinahe in die Hose, würde es nicht das Blitzlicht in der Nähe registrieren. Blinzelnd sehe ich an meinem Begleiter vorbei und erkenne eine Person, die sich hinter einer Kamera versteckt. Erschrocken stelle ich fest, dass sie auf uns ausgerichtet ist.
Ich entziehe meine Hand der des Typen. »Da hat jemand ein Foto von uns gemacht!«
Lässig zuckt er die Achseln, ohne sich umzudrehen. »Passiert.«
»Wie bitte?«
»Die Leute gaffen, Paola. Was soll ich sagen?« Laxon lüpft die Brauen. »Mich umgibt ein gewisser Charme.«
»Und deshalb fotografieren sie dich einfach?«
»Manchmal.«
Plötzlich kommt mir ein Gedanke. »Bist du ein bekanntes Model oder so?«
Er wirft mir einen belustigten Seitenblick zu. »Model, ja? Du findest mich also hübsch?«
»Das … Ich …« Schon wieder brennen meine Wangen. Da feiern verdammte Feuerameisen eine wilde Party unter meiner Haut, ganz sicher. Ich würde ihnen gerne sagen, dass Partys und ich nicht zusammenpassen und sie sich gefälligst verpinkeln sollen, aber in der Sekunde fasst der Kerl meinen Ellbogen, und jeder Gedanke in meinem Kopf verpufft in der Geschwindigkeit eines Morgenmuffels, dem ein Monster Energy auf den Tisch geknallt wird.
Er führt mich über eine rote Ampel. Das ist der Moment, in dem ich wieder zu mir komme. Ich will stehen bleiben, aber er geht einfach weiter. »Kommt doch gerade kein Auto«, sagt er. Einfach so. Kommt doch gerade kein Auto.
Unruhig blicke ich mich um. Ich habe das Gefühl, die Blicke der Leute verfolgen uns. »Lebst du immer so riskant?«
»Ja.«
»Warum?«
»Warum nicht?«
Die Straßenlaternen leuchten mir entgegen. Der Schneefall wird stärker. Ich wickle meinen Schal fester, richte mein Stirnband und wische mir mit den Handschuhen einzelne Flocken aus dem Gesicht. Um uns herum erkenne ich niedliche Häuser vor dem Hintergrund der gewaltigen Wipfel, die vom grauen Himmel verschluckt werden.
Ich bin so von dem Glitzern der Laternenlichter und Fensterbeleuchtungen in der angehenden Dunkelheit fasziniert, von der malerischen Kleinstadt im Schneegetümmel, dass ich kaum merke, wie Laxon stehen bleibt.
»Voilà, da wären wir.«
Der Kerl steht neben einem Motorrad, macht eine angedeutete Verbeugung und zeigt mit spiralförmiger Handbewegung auf das Fahrzeug. »Wenn ich bitten darf?«
Meine Augen fokussieren das Ding. »Das ist deins?«
»Korrekt.« Er tätschelt das monströse Schlachtschiff, als wäre es sein Neugeborenes. »Meine süße Suzuki.«
»Du gibst diesem Weltuntergangsding einen Namen?«
»Weltuntergangsding?«
»Motorräder sind keine Fahrzeuge«, stoße ich schockiert aus. »Es sind die vierten apokalyptischen Pferde!«
»Wenn ich mich nicht irre, gibt es der Sage nach nur eines von diesem vierten Pferd.«
»Ja, aber jedes Motorrad der Welt manifestiert sich in dem apokalyptischen Dingsda!«
Er scheint äußerst interessiert an meinem Gedanken zu sein. »Du meinst, als Summe ergeben sie ein Ganzes?«
»Richtig. Deshalb bringt dieser Reiter ja den Untergang. Alle Motorräder dieser Welt bündeln ihre Gefahr zu einer Quelle.«
»Und herauskommt die tödliche Macht?«
»Ja.«
Er lacht. »Du gefällst mir wirklich, little secret.«
Ich ignoriere das kribbelige Gefühl in meinen Adern, als er diesen Spitznamen erneut sagt. Sind bestimmt nur die Feuerameisen. Sie gehen auf Wanderschaft. Scheinbar Nomaden. Ist okay. Zweckentfremdet meinen Körper, kleine Insekten, solange es bedeutet, dass ich mich nicht gerade zu diesem Kerl hingezogen gefühlt habe!
»Nun«, sagt er und schenkt dem Motorrad ein liebevolles Lächeln, »dann sollten die Heiligen Schriften geändert werden.«
»Inwiefern?«
Laxon holt sein Handy aus der Lederjacke. Das neuste iPhone. Klar. Noch während er es entsperrt, drückt das Gewicht meines alten Nokia 3310 wie tonnenschweres Blei in der Tasche meines Mantels. Wenigstens habe ich das Snake-Game, ein Panzerdisplay und einen unsterblichen Akku. Ich gehe hier deutlich als Gewinnerin raus.
Der Bildschirm des iPhones lässt seine Augen noch heller leuchten. »Pass auf, in Wahrheit muss es also heißen: ›Und da es das vierte Siegel auftat, hörte ich die Stimme des vierten Dingsda sagen, komm! Und ich sah, und siehe, ein fahles Motorrad! Und der daraufsaß, des Name hieß Tod, und die Hölle folgte ihm nach.‹«
Fast muss ich lachen. Aber Laxon bleibt ernst, und ich will das auch bleiben. Ich will, dass er sieht, wie cool ich bin, obwohl ich nicht cool bin. Das ergibt Sinn, denn in mir leben Feuerameisen. Ich bin so hardcore, cooler geht’s nicht.
»Korrekt«, sage ich knapp.
»Nun, dann ist das vierte apokalyptische Ding eine Suzuki Hayabusa.«
»Sagt mir nichts.«
»Das heißt übersetzt Wanderfalke.«
»Aha.«
»Aha?« Ihm fallen fast die Augen raus. »Das hat mehr verdient als nur ein Aha!«
»Wieso?«
»Weil Wanderfalken eine Spitzengeschwindigkeit von über 350 Kilometer die Stunde erreichen.«
»Und?«
»Und schneller sind nur Rentner, wenn im Supermarkt eine zweite Kasse öffnet!«
Ich will es nicht. Wirklich nicht. Aber mein Körper entzieht sich meiner Gewalt und macht sein eigenes Ding. Meine Damen und Herren, der Moment ist gekommen: Ich muss lachen.
Laxon grinst, als hätte er eine Challenge gewonnen. »Aber egal. Das Einzige, was du wissen musst …« Er öffnet den Sitz und holt einen Helm heraus, den er mir reicht. »Dieses Ding ist das schnellste Motorrad auf dem Markt.«
Ich betrachte das schwarze Gefährt mit den orangefarbenen Highlights. »Es sieht aus wie eine gefährliche Hornisse. Und das da …«, ich umklammere mein Buch, deute mit dem Kinn zum Helm und bewege mich keinen Millimeter, »… kannst du vergessen. Ich steige doch nicht freiwillig auf den Bringer des Todes!«
»Hmm.« Er steckt die Hand in den Helm und dreht ihn in der Luft. Er wirkt amüsiert. »Vielleicht ist das mein Stichwort, um dir zu verraten, dass es zwecklos ist, mir meine Vorhaben auszureden.«
»Ich rede es dir nicht aus. Ich komme nur einfach nicht mit.«
»Kommst du.«
»Ach?« Meine Füße werden taub vor Kälte. Ich verlagere das Gewicht von dem einen auf das andere Bein. »Das will ich sehen.«
»Wirst du in weniger als … einer Minute.«
»Meinst du, ja?«
»Ja.«
»Und wieso?«
Seine Lippen formen schon wieder ein Lächeln. »Schau mal, da.« Er deutet mit dem Finger über meine Schulter hinweg. Ich drehe mich um und erkenne zwei Frauen, die gerade ihr Handy zücken und auf uns richten. »Und da.« Er berührt mein Kinn, dreht es in die andere Richtung. Ein merkwürdiges Gefühl strömt durch meinen Körper, bis ich einen Mann mit einer Spiegelreflexkamera sehe, die trotz des Schneefalls auf uns gerichtet ist, und die kribbelige Wärme zu Eis gefriert. »Die wollen alle die neueste Story bringen, wer das Mädchen an meiner Seite ist. Weil ich vielleicht doch ein Model bin? Hm, wer weiß. Aber Fakt ist, sobald ich mich auf dieses Motorrad geschwungen und um die nächste Ecke verschwunden bin, stürzen sie sich auf dich und bombardieren dich mit Fragen.« In seinen Augen funkelt der Schalk. »Klingt das nach etwas, auf das du gerade scharf bist?«
Oh, Mamma mia. Der Kerl ist eigensinnig, selbstbewusster, als ihm womöglich guttut, und weiß definitiv, wie er jedes Wort richtig einsetzt, um überzeugend zu sein.
»Schön«, zische ich und nehme ihm den Helm ab. In meiner Brust pocht mein Herz in einer unangenehmen Schnelligkeit, die mir bis ins Mark geht. Ich habe noch nie auf einem Motorrad gesessen. Und ganz sicher sollte ich das nicht mit diesem Rebell tun. Das geht gegen jedes Sicherheitsprinzip meines »Gutes Mädchen«-Radars, der in dieser Sekunde heftig ausschlägt. Aber ich glaube leider, dass er recht hat. So, wie die Leute gaffen, zweifle ich nicht an seinen Worten. Auch, wenn ich keine Ahnung habe, wer Laxon Caville ist: Sie werden sich auf mich stürzen, und das ist etwas, das ich noch viel weniger will. Meine Devise für das Leben und jetzt auch für das Blackwell Palace lautet: Kopf einziehen, Geld verdienen, und bloß nicht auffallen. Im Schatten bleiben, Paola. Das ist gut, das ist sicher, da findet dich keiner, und wenn dich keiner findet, kann dir auch nichts passieren. Kein Skandal. Keine Jungs. Nichts, das deinem Plan in irgendeiner Hinsicht im Weg stehen könnte. Vergiss nicht: Es geht um deinen Bruder!
»Was ist das für ein Buch?«, fragt er, als ich das alte Hardcover mit fahrigen Fingern in meinem Rucksack verstaue. Norbert Nacktmull protestiert heftig, denn sein wolliger Körper wird leider sehr unvorteilhaft eingequetscht. Er hasst mich jetzt, und das macht mir Angst, obwohl das Ding nicht real ist. Es muss an diesen Meth-Augen liegen. Ich sollte sie dringend neu stechen.
Als der Reißverschluss mit Mühe und Not geschlossen ist, sehe ich verwundert auf. »Effi Briest.«
Er verzieht das Gesicht. »Klassiker. Nicht meins.«
»Das habe ich auch nicht erwartet.«
»Wieso?« Er schwingt sich auf den Vordersitz seines Motorrades, ohne den Blick von mir abzuwenden. »Sehe ich etwa so aus, als würde ich romantischen Dramen nichts abgewinnen können?«
»Ja.« Ich rümpfe die Nase. »Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, dass ein Rebell wie du seine Zeit mit Lesen verschwendet.«
Sein Grinsen wird breiter. »Oh, Paola, Paola.« Er klopft hinter sich, um mir zu bedeuten, mich zu setzen. »Manche Rebellen tun das sehr wohl. Warte ab, bis du meinen Bruder kennenlernst.«
Ich setze mich, ziehe den Helm über den Kopf. »Du hast einen Bruder?«
»Halbbruder. Andere Mutter.« Er streckt die Hand aus, schiebt das Visier meines Helms herunter. »Und jetzt, meine Liebe: Festhalten.«
Das Blackwell Palace liegt nicht weit vom Bahnhof entfernt. Das habe ich so sorgfältig recherchiert, wie ich alles in meinem Leben sorgfältig recherchiere. Aus der Blackwell-Doku, die irgendwann letztes Jahr rauskam, weiß ich, dass Jake Blackwell Amerikaner ist und erst mit einundzwanzig Jahren nach St. Moritz gekommen ist, um das Hotel seines Großvaters zu übernehmen. Vor knapp dreißig Jahren. Heute bereitet er seine zwei Söhne darauf vor, das Imperium zu übernehmen. Die beiden sind aus der Doku rausgehalten worden, aber ein paar Sachen wurden trotzdem erwähnt. Zum Beispiel, dass Jakes einer Sohn, Edward, nach ebendiesem Großvater benannt worden ist. Ich weiß, dass Jake mit zweitem Namen Charles heißt, wie sein erster Sohn. Niemand würde mir glauben, dass ich keine Ahnung habe, wie sie aussehen. Das ist verrückt, und das gebe ich sogar zu, aber es stimmt! Edward und Charles Blackwells Gesichter sind weltberühmt, nur ich könnte vor ihnen stehen und keinen blassen Schimmer haben. Aufgrund vieler seltsamer Schicksalsfügungen und weil das Universum scheinbar wollte, dass ich völlig unvorbereitet hier aufkreuze. Weil ich mich bis vor einer Woche nicht für die Jungs interessiert habe, in der Bibliothek kein Bild zu finden war und ausgerechnet in dieser verdammten Woche kein einziges Klatschblatt etwas über sie geschrieben hat. Weil Mamma Tag und Nacht vor dem PC hing und meinte, sie könne mich nicht dranlassen, sonst würde sie wegen Inaktivität aus dem Chatroom gekickt, der aus irgendwelchen Gründen besonderer war als ihr Erstgeborenes.
Aber na ja. Immerhin weiß ich, dass es mit dem Auto acht Minuten vom Bahnhof zum Hotel dauert. Das meinte zumindest der Reiseführer am Telefon, nachdem er ausgiebig darüber gelacht hat, dass ich weder Laptop noch Tablet oder internetfähiges Handy besitze, um bei Google Maps nachzuschauen. Zwölf bei regem Verkehr, hat er hinzugefügt, was in dieser Kleinstadt mit fünftausend Einwohnern nur zur Saison der Fall sei.
Bei dem Tempo, mit dem der tödliche Reiter sein apokalyptisches Pferd durch die Straßen lenkt, sind es bestimmt höchstens vier Minuten bis zum Hotel. Darauf würde ich mein Buch verwetten. Norbert Nacktmull sowieso. Aber wir fahren bereits länger. Viel länger. Beinahe krampfhaft umklammere ich die Mitte des Kerls, während ich in jeder Sekunde dieses Grauens bete, nicht draufzugehen. Lieber Gott, wenn du mich das hier überleben lässt, werde ich nie wieder etwas tun, das sich nicht gehört. Ich werde nie wieder einen Punkt meiner To-do-Liste abhaken, obwohl ich ihn nicht erledigt habe. Ich werde nie wieder ein Eselsohr in meine Bücher knicken. Ich werde die Zeiger einer Autoparkscheibe nie wieder zu weit nach vorn stellen, um mir mehr Zeit zu verschaffen. Ich werde meinen Handyakku nie wieder auf null Prozent leer gehen lassen, obwohl in der Bedienungsanleitung steht, dass man das nicht tun soll. Und ich werde, bei allen guten Göttern, nie wieder mit einem Typen in Lederjacke auf ein verdammtes Motorrad steigen! (Entschuldige, verdammt werde ich auch nie wieder sagen, versprochen.)
»Mach dich locker, Paola!«, ruft er über den Fahrtwind hinweg. Ich kann ihn hören, weil er keinen Helm trägt. Signore Hot ist ganz offensichtlich lebensmüde. Als wolle er diesen Verdacht noch erhärten, hebt er in dieser Sekunde eine Hand und deutet in die Ferne. »Guck dir das an!«
Das tue ich. Und die Schönheit, der ich begegne, verschlingt mich. Ich vergesse zu atmen. Ich vergesse sogar, dass ich auf einer rasenden Hornisse sitze. Neben uns ziehen die Häuser vorbei. Ein reinstes Lichtermeer. Dahinter, und auch vor und rechts von uns, erstrecken sich die Berge und eine endlose Weite perlweißen Schnees. In der Ferne erkenne ich einen See inmitten einer kleineren Bergkette, darüber hinweg führt eine Seilbahn die hohen Gipfel hinauf.
Ich bin noch dabei, die atemberaubende Schneelandschaft auf mich wirken zu lassen, als ich plötzlich einen Ruck wahrnehme, der durch meinen ganzen Körper geht. Erschrocken sehe ich nach vorn und …
… werde von blankem Entsetzen gepackt.
»O mein Gott!«, kreische ich, doch es klingt nur gedämpft durch meinen Helm. Laxon scheint mich trotzdem gehört zu haben, denn seine Schultern beben vor Lachen. Aber ich finde das ganz und gar nicht lustig. Dieser Adrenalinjunkie ist auf die Schienen einer Bahnstation gefahren! In irrem Tempo rast er vorwärts, links und rechts von uns bloß verschneite Ebenen, bis sie plötzlich verschwinden. Mein Herz hört kurz auf zu schlagen, und das meine ich ernst. Ich kann nicht einmal mehr kreischen, weil meine Spucke sich irgendwo zwischen Rachen und Luftröhre verirrt hat. Sie hängt da auf halb acht, genau wie mein Leben, und das ist nicht das, was mein Verstand als richtig erachtet. Auch nicht die vom Grüntee illusionierte Version. Kein Funken in mir schreit nach diesem Abenteuer, dafür blinkt mein Gutes-Mädchen-Radar in besorgniserregendem Tempo. Ich fürchte, er geht kaputt, und dann wäre ich am Ende.
Wir fahren über eine verdammte Eisenbahnbrücke! Jetzt ist um uns herum gar nichts mehr außer gähnender Tiefe in verlassenen Bergebenen. Laxon lacht wie ein Verrücktgewordener.
»Du bist völlig irre!«, brülle ich. Nun habe ich meine Stimme scheinbar doch wiedergefunden. »Dreh sofort um!«
»Geht nicht!«, brüllt er zurück. Ich kann es nicht fassen, dass dieser Vollidiot nicht einmal einen Helm trägt! Und in seiner Lederjacke muss ihm auch schweinekalt sein. »Wenn ich bremse, könnte uns ein Zug rammen!«
What the …
»Bring uns hier runter!« Meine Stimme ist mindestens drei Oktaven höher geklettert. »Du bist ja völlig durchgeknallt!«
Er lacht schon wieder. »Ich weiß!«
Die Brücke führt in einen Berg hinein. Einen Berg! Nicht zu glauben, dass ich vor weniger als einer halben Stunde St. Moritz erreicht habe und jetzt schon im Inneren eines Berges stecke! Ich! Die amigurumihäkelnde, klassikervernarrte Paola – mit einem Rebell in Lederjacke und Badboy-Militär-ich-brech-die-Herzen-aller-Mädchen-Haarschnitt und zweihundert Stundenkilometern in einem Berg! Hallo, Universum, in welche Dimension hast du mich gesandt, und, ähm – zum Teufel! – könntest du mich bitte wieder zurückschicken?
Das Universum erhört mich natürlich nicht. Nur das Licht des Motorrades erhellt uns den Weg, was zugegebenermaßen beruhigend ist, weil es bedeutet, dass kein Zug von hinten angerauscht kommt. Und trotzdem bebt mein Körper und versucht, das Adrenalin des Überlebensmodus irgendwie auszuhalten und zu verarbeiten.
»Wenn wir je lebend von diesem Ding steigen«, schreie ich, »bringe ich dich um!«
Er lacht einfach. Dieser Idiot lacht!
Der Tunnel endet. Eiskalte Luft empfängt mich, lässt meine Glieder schlottern. Und plötzlich gefriert alles in mir zu Eis, denn hinter uns …
… dröhnt die Hupe eines Zuges. Ich höre das Rattern der Schienen.
»Wir gehen drauf!«, kreische ich, als auch schon ein erneuter Ruck durch meinen Körper geht: Laxon hat sein Motorrad über die Schienen gelenkt und rast den Berg hinunter. Schnee wirbelt um uns herum auf. Ich sehe gar nichts mehr außer Tannen, die an uns vorbeirauschen, weißen Flocken und seine breite Silhouette, doch dann …
Wir kommen zum Stehen. Der Adrenalinfreak atmet schnell und hektisch, auf seinen Wangen sind rote Flecken, aber seine Saphiraugen funkeln, als hätte er gerade einen Schatz gestohlen.
Er reckt die Faust in die Höhe. »Der absolute Wahnsinn!« Sein Schrei hallt in den Bergen nach. Der Typ strahlt vor Glück. Diese lebensmüde Fahrt scheint ihn in ungeahnte Euphorie versetzt zu haben. Er hat einen Knall. Völlig einen weg. Er und Meth-Norbert, sie wären die besten Freunde.
Er dreht sich zu mir um, nimmt mir in aller Seelenruhe den Helm ab. »Wir haben einen kleinen Umweg genommen, aber da sind wir nun. Darf ich vorstellen? Dein neues Zuhause.« Er macht eine ausladende Handbewegung. »Mi casa es su casa.«
Ich bin noch wie erstarrt von dem, was ich gerade erleben musste. In unendlicher Langsamkeit wandert mein Blick über seine Schulter hinweg. Jetzt stockt mir sogar mein zuvor noch hektischer Atem. Vor uns, am Fuße eines Berges, nah an einem riesigen See gelegen, thront ein gewaltiges, schlossartiges Gebäude. Tannengrüne Spitzdächer auf den Türmen, eine imposante Architektur, unzählige Fenster, hinter denen warm goldenes Licht erstrahlt und mit seinem Schein den Innenhof beleuchtet. Ich erkenne Pferde im Kutschgespann, aus dem in diesem Augenblick Personen vor dem edlem Eingang des Gebäudes aussteigen. Über den hohen Doppelflügeltüren verkünden goldene Lettern den Namen des Palasthotels: Blackwell Palace.
Das Gebäude nimmt mich völlig in seinen Bann. Klar, ich habe es schon in den Büchern der Bibliothek von San Luca gesehen. In der Fernsehdoku auch. Aber in echt ist das hier ein anderes Level. Ganz ehrlich, das Hotel der Blackwells sieht aus wie der Buckingham Palace.
Ich weiß nicht, wie lange ich so dasitze und es einfach nur anstarre, als mir plötzlich wieder bewusst wird, wie ich hierhergekommen bin.
»Du!« Ich hüpfe von der Maschine und bohre Laxon meinen Zeigefinger in die Brust. »Hast du sie eigentlich noch alle?«
»Hmm.« Er steigt ebenfalls ab und tut, als würde er überlegen. Plötzlich umschließt er meine Hand und lässt sie sinken. Mich durchfährt ein unerwünschter Stromschlag. »Ich glaube nicht.«
»Wir hätten sterben können!«
»Beruhige dich«, sagt er.
»Ich soll mich beruhigen?« Meine Stimme überschlägt sich. Mit zittrigem Finger deute ich in die Ferne. »Da war ein Zug! Direkt hinter uns!«
Er lächelt, und es sieht einen Hauch mitleidig aus, als würde er mich und meinen Aufruhr niedlich finden. »Ich fahre diese Strecke fast jeden Tag, little secret. Ich weiß ganz genau, wie schnell ich bin, und ich weiß ganz genau, wann welcher Zug fährt.« Er zwinkert. »Vertrau mir.«
»Das wäre das Letzte, was ich tun würde«, murmele ich.
Er zuckt die Achseln. »Auch gut. Nun, ich gehe.«
»Wie bitte?«
Mit dem Kinn deutet er in die gegenüberliegende Richtung des Hotels. Seine Türme ragen in einer Entfernung von weniger als hundert Metern in den nebelverschleierten Himmel. Ein gewundener Weg führt zu dem gefrorenen See, der gesäumt ist von Häusern und Cafés. Das ist vermutlich das Zentrum von St. Moritz. Ob das Hotel absichtlich näher an der Bergkette ist, damit Touristen diese atemberaubende Aussicht genießen können, aber genauso schnell ins Zentrum verschwinden können? Zu Fuß würde ich den Spazierweg den Pfad entlang auf eine Viertelstunde schätzen, und ich freue mich jetzt schon auf etliche Mitternachtsmomente unten am See.
Gedankenfreiheit.
Ich erkenne ein süßes Gebäude, eine Mischung aus luxuriösen goldenen Akzenten und Lebkuchenoptik. Davor haben es sich viele Personen auf Bänken an den langen Holztischen mit einer Wolldecke gemütlich gemacht. Kellner und Kellnerinnen wuseln zwischen ihnen umher. Über der Tür des Cafés prangt der Name in beleuchteten goldenen Lettern: Coffee o’ Clock. »Ich bringe dich ins Hotelcafé. Dort triffst du Emma, deine Zimmerpartnerin und Kollegin. Sie arbeitet heute im CoC und kann dich direkt unter ihre Fittiche nehmen.«
Laxon stapft voran durch den Schnee, ohne sich nach mir umzudrehen. Die Spuren, die er hinterlässt, sind riesig. Ich glaube, der Typ ist so einer. Er stapft los, und er hinterlässt Spuren. Im Schnee. Im Leben anderer. Überall.
Ich bleibe, wo ich bin, hole Stift und Notizbuch aus dem Rucksack und schlage es auf dem Sitz des Motorrads auf. Ich kann es gar nicht eilig genug haben, diesen verdammten Punkt meiner Liste hinzuzufügen.
Punkt 4: Mit einem Rebell Motorrad fahren.
Lösung: Nie wieder mit einem Rebell Motorrad fahren!!!
Einen kurzen Moment zögere ich, dann kritzle ich direkt darunter:
Punkt 5: Norberts Augen.
Lösung: kleinere Maschen.
Als ich aufsehe, neigt Laxon den Kopf, sieht mich aber nicht an. »Willst du ewig maulen oder dein neues Leben antreten, Paola?«
Ich verstaue das Notizbuch wieder im Rucksack. Neben mir rieselt Schnee von einer Tanne auf meine Schulter. Meine Beine sind noch immer taub, als ich mich in Bewegung setze. »Was ist mit deinem Motorrad?«
Er wedelt mit der Hand durch die Luft. »Hole ich ab, wenn mir danach ist.«
Ich schließe langsam auf. Inzwischen laufe ich fast neben ihm, aber der Kerl ist groß, und er macht genauso große Schritte. Ich muss irgendetwas sagen, um die Wut in mir zu vertreiben und mich zu beruhigen. »Wohnst du im Hotel?«
»Ja.«
Interessant. Merken, Paola, merken. Der Typ könnte dir für das, was du vor hast, vielleicht noch nützlich sein.
»Warum?«
Er zuckt die Achseln. »Warum nicht?«
»Sag schon.«
»Weil ich es kann.«
Frustriert stoße ich Luft aus.
Er quittiert diese Reaktion mit einem leisen Lachen. »So neugierig, little secret?«
Ich schenke ihm ein bittersüßes Lächeln. »Die Neugier steht immer an erster Stelle eines Problems, das gelöst werden will.«
Er hebt eine Braue. »Du denkst, ich bin ein zu lösendes Problem?«
»Und wie du das bist, Mr. Ich-rase-auf-Schienen-durch-einen-Berg.«
Wir erreichen den Pfad und nähern uns dem See. Ich erkenne, wie hochmütig er einen Mundwinkel in die Höhe zieht. »Ich bezweifle, dass diese Fahrt der wahre Grund für das problematische Erachten meiner Wenigkeit ist.« Er macht eine kurze Pause, ehe er hinzufügt: »Aber ich finde es äußerst faszinierend und gewissermaßen schmeichelhaft, dass du mich mit den Worten Galileo Galileis beschreibst.«
Verwundert sehe ich ihn an. »Du weißt, dass das Zitat von ihm ist?«
»Nur, weil mein Bruder es so oft erwähnt hat, dass ich fürchte, ich könnte diese Worte im Schlaf auskotzen.«
Wie schon gesagt, ich habe keine Ahnung, wer Laxon Caville ist, aber zwei Dinge meine ich zu wissen: Erstens, so gewählt, wie er sich teilweise ausdrückt, muss er eine fabelhafte Erziehung und mit Sicherheit auch Bildung genossen haben. Zweitens, so lebensmüde, wie er agiert, so rebellisch, wie er sich kleidet, gibt es irgendetwas in seinem Leben, auf das er mit Gegenwehr reagiert.
Er ist heiß, er ist classy, und er ist wütend aufs Leben, weil er heiß und classy ist. Das denke ich über ihn. Aber ich weiß nicht, ob es schlau ist, überhaupt so intensiv über ihn nachzudenken. Ich sollte dringend damit aufhören, Menschen zu analysieren. Ich bin eine von Feuerameisen besiedelte, vom überdosierten Grüntee illusionierte und von deutschen Klassikern romantikverstrahlte Halbitalienerin. Zwar schlagfertig und meinungsstark, aber im Grunde eher introvertiert. Keine gute Voraussetzung, um mich mit dem apokalyptischen Reiter näher auseinanderzusetzen, wenn ich nicht plötzlich in meiner ganz persönlichen dramatischen Tragödie festsitzen und auf Romeo warten will, nur um ihn am Ende sterben zu sehen.
»Okay, da wären wir«, sagt der Kerl irgendwann, nachdem wir eine ganze Weile schweigend durch den Schnee gestapft sind. Direkt vor uns erglimmen die Abendlichter von St. Moritz. Es ist eine atemberaubende Kulisse vor dem gefrorenen See. Die Häuser drum herum und in der Ferne wirken, als würden sie glühen, und hinter ihnen, in aufsteigenden Bergebenen, liegen verschneite Tannen auf den Hängen, so weit das Auge reicht. Ihre Kronen küssen eine lange Wolke weißen Nebels. Über ihnen ragen die Gipfel der Alpen in den Himmel.
»Wahnsinn«, flüstere ich, meine Stimme fortgetragen von der Melodie des friedlichen Abends. Die Stadt ist viel kleiner als in meiner Vorstellung, und sie erstreckt sich um diesen See herum. Es ist, als könnte ich von diesem Punkt aus den gesamten Ort überblicken, eingerahmt von einer gewaltigen Bergkette. Ein gemütliches Tal, viel zu niedlich für all die prekären High-Society-Geschichten, die an diesem Ort ihren Ursprung finden. Ich stehe hier, am Fuße des Palasthotels, etwas abseits vom Zentrum, und spüre eine Art inneren Glücks, als ich mein neues Zuhause betrachte. Diese zuckerwattenweiche Harmonie im Anblick der golden leuchtenden Schönheit ist etwas, das mein Herz ertrinken lässt. Es ertrinkt in Wärme, weil es zum ersten Mal richtig baden darf. Zum ersten Mal schwindet die Kälte, die sich in den vergangenen Jahren dort eingenistet hat wie ein eisiges Klauenmonster. Ein wohliger Schauer rieselt meine Wirbelsäule hinab. Langsam, weil ich mich kaum losreißen kann von dieser winterlichen Schönheit, wandert mein Blick von Haus zu Haus, bis ich beim Coffee o’ Clock angekommen bin. Inzwischen stehe ich fast genau neben dem Gebäude, kann die edlen Holztische und gemütlichen Stühle im Außenbereich erkennen, die warmen Felle, die darüber liegen, und die Gäste, die es sich darauf gemütlich gemacht haben. Fast alle stecken in teuer aussehenden Mänteln und Boots.
»Und da arbeitet meine Zimmerpartnerin?« Ich verenge die Augen, um einen besseren Blick auf die schnell umherwirbelnden Mitarbeiter zu erhaschen. Sie sehen alle aus wie Goldkehlchen in ihrer schwarz-weißen Uniform samt mattgoldener Fliege. »Welche von denen?«
Aber meine Frage verliert sich in der Stille, nur unterbrochen vom Summen der Cafégespräche und einer angenehmen Pianomelodie, die aus dem Inneren des Gebäudes stammen muss. Ich bekomme keine Antwort. Verwundert werfe ich einen Blick über die Schulter, nur um festzustellen, dass der Adrenalinfreak … O mein Gott, was?!
Dieser Idiot ist tatsächlich abgehauen! Vermutlich auf dem Weg zu seinem nächsten Abenteuer. Ich fasse es nicht.
»Okay, Paola«, murmle ich, wobei eine eisige Kältewolke vor meinem Gesicht entsteht. Ich reibe die Handschuhe aneinander und richte meinen Schal. »Dann findest du es eben selbst heraus.«
Meine Entschlossenheit und der Anflug Mut sinken mit jedem Schritt, den ich durch den Schnee wate. Als ich schließlich mitten im Außenbereich des Cafés stehe, fühle ich mich wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Die Blicke der Leute sind nicht gaffend, aber subtil präsent. Immer wieder sehen sie von ihren Tischen zu mir, und mir entgeht nicht, wie abschätzend sie mich mustern. Meine Cordjacke, die billigen Stiefel, den ausgeblichenen Rucksack. Es verlangt mir einiges ab, erhobenen Hauptes an den Gucci- und Dior-Täschchen vorbeizugehen, geradewegs in das Lebkuchenhäuschen hinein. Wenn sie wüssten, dass ich in meinem Leben schon so viel Geld verdient habe, dass ich jetzt locker mit ihnen mithalten könnte, ohne eine schwarze Amex von Mama und Papa in der Tasche. Wenn sie wüssten, dass ich mir von dem Verdienst in verschiedenen Sternerestaurants in der Toskana, Rom und Milano eine ganze Erstausstattung an Willkommen-in-St.-Moritz-Designertäschchen hätte kaufen können, wenn ich nicht jeden Cent gegeben hätte, um Gabe auf die Privatschule zu schicken und davor zu bewahren, in der Zukunft wie sein erbärmlicher Stiefvater irgendwelche Handlangerjobs für San Lucas Mafia zu erledigen … Ich habe es getan, weil es das einzig Richtige war. Und ich bereue es nicht. Wirklich nicht. Aber jetzt gerade, in dieser Sekunde, überkommt mich ein schlimmer Stich, der sich wie ein giftiger Pfeil in meine Arterien bohrt und mich wünschen lässt, einfach für mich gelebt zu haben.
Und gleich darauf fühle ich mich grauenvoll. Aber ich kann den Strudel dieser Gedanken nicht aufhalten, denn in diesem Moment spüre ich mehr denn je, dass Laxon mit seiner These voll ins Schwarze getroffen hat: Ich gebe mich gern schlagfertig, weil ich niemandem meine Unsicherheit zeigen will. Schwäche macht Menschen verletzlich, und das kann ich mir im Blackwell Palace nicht erlauben. Nicht bei dem, was ich vorhabe. Was ich tun muss.
Der Duft von hochwertigen Kaffeebohnen weht mir in die Nase, gefolgt von dem klopfenden Geräusch, als eine Thekenkraft mit dicken blonden Locken und blauen Augen einen Siebträger der beeindruckenden, in Edelstahl glänzenden Kaffeemaschine ausleert. Sie wird beleuchtet von schwachen Scheinwerfern, genauso wie die mit köstlich aussehendem Bergkäse belegten Brote, buttrigen Croissants und die berühmte Engadiner Nusstorte in der Gebäckauslage. Statt der hölzernen Stühle und Tische von draußen füllen bequeme Sofas und Sessel den Raum, manche von ihnen aus Samt, andere aus Kord. In der hinteren Ecke sitzt ein attraktiver Mann, etwa in meinem Alter, in schwarzem Anzug hinter einem weißen Klavier und spielt eine klassische Melodie. Sie sperrt die Kälte, die sich draußen in meine Glieder gefressen haben, von jetzt auf gleich aus. Auf dem Holzboden liegen Wollteppiche, Kerzen flackern auf den Tischen, und in der gemauerten Wand rechts von mir züngelt ein großzügiges Feuer im Kamin. Die Personen, die es sich in der Sitzgruppe davor gemütlich gemacht haben, lachen laut über etwas und prosten sich zu. Unwillkürlich frage ich mich, worüber sie so gackern. Und dann denke ich, dass ich das auch will. Kopfleere Abende. Serotonin in den Adern. Freundinnen, denen ich erzählen kann, dass ich mit einem scheinbar verrückten, aber hochattraktiven Typen auf dem Motorrad hergefahren bin. Ich will das auch alles. Aber jemandem wie mir scheint das nicht zuzustehen, denn wer bin ich schon? Nur irgendein Mädchen aus Italien, das lieb aussieht, aber seine Krallen ausfährt, sobald es Gefahr riecht.
Langsam gehe ich einen Schritt weiter hinein. Ich lasse die Tür los. Sie fällt hinter mir ins Schloss. Überall hängen Lichterketten. An der Theke. Den Fenstern. Über der Tür zur Toilette. An dem verschnörkelten Eisengeländer der Wendeltreppe, die zu der höheren Empore führt. Eine offene Galerie, wie ich feststelle, als ich den Kopf in den Nacken lege. Auch oben stehen vereinzelte Tische. Von der Decke baumelt ein Messingkronleuchter mit dicken Kerzenstumpen. Mir ist bewusst, dass sie nur fake sind, aber das flackernde Licht wirkt täuschend echt. Langsam lasse ich den Kopf wieder sinken. Ich registriere alles, nehme jede Kleinigkeit auf wie eine Verdurstende das Wasser. Bücher über Bücher in den Regalen an den Wänden, die langen Finger des Pianospielers, die in flinken Bewegungen auf den Tasten tanzen, die Tassen auf den Tischen vor den Gästen, manche mit Sahnehäubchen, andere dampfend und herrlich nach Zimt, Chai oder Kaffee duftend.
Dieser Moment ist eine von den Polaroid-Sekunden. In meinem Kopf höre ich sogar das Klick!-Geräusch, obwohl meine fette schwarze Kamera aus den Neunzigern irgendwo unter Norbert in meinem Rucksack liegt. Aber der Anblick, der sich vor mir auftut, die Wärme, die mich in Empfang nimmt und sich an mich kuschelt, als wäre sie ein lang vermisster Freund, brennt sich in jene Nervenzelle meines Körpers, die für den Botengang des Dopamins zuständig ist. Der Moment ist eine direkte Glücksseilbahn in mein Hirn.
Und weil ich einfach nicht anders kann, als den Anblick später meiner »Besondere Momente für Paola«-Sammlung in meinem Notizbuch hinzuzufügen, lasse ich den Rucksack auf den Boden sinken und öffne ihn. Der halbe Inhalt fällt heraus. Norbert Nacktmull starrt jetzt an die Decke. Aber gerade interessiert mich nur die schwarze Polaroid, die meine nonna, Mutter meiner Mamma, mir vor vielen Jahren geschenkt hat. Bevor die einzige Bezugsperson, die ich anstelle meiner Ich-scheiß-auf-alles-bin-seit-Paolas-Geburt-im-mental-Breakdown-Mutter hatte, fortging. Seit Nonnas Tod klafft ein großes Loch in meinem Herzen. Ich unterdrücke den Schmerz, wie ich es in den letzten Jahren perfektioniert habe, richte mich auf und presse mir die Polaroid ans Auge. Akribisch achte ich darauf, dass auch jeder Winkel der buttergelben Lichterketten-Gemütlichkeit auf dem Bild ist, dann drücke ich ab. Das Foto folgt sofort. Mit einem Lächeln betrachte ich, wie es Gestalt annimmt, strecke es vor, nur damit das Polaroid vor dem realen Hintergrund mir beweisen kann, dass ich nicht träume. Fotos lügen nicht. Nimm das, Grünteeherrscher! Keine Illusion, keine Wunschvorstellung in meinem Kopf, weil ich auf leerem Magen zu viel von dem Zeug gekippt habe.
Pure Realität in Form von Glück.
»Hey, ähm, ich will nicht unhöflich sein, aber du musst diese Ratte da wieder aufheben.«
Das Polaroid verschwimmt vor meinen Augen, als hätte eine Kamera den Fokus verändert. Blinzelnd wende ich mich der Thekenkraft mit den hellen Augen zu, die in diesem Moment mit einem beladenen Tablett neben mir steht, ein entschuldigendes Lächeln auf den Lippen. In der unteren steckt ein silbernes Ringpiercing.
»Was?«
Mit dem Finger deutet sie zu Boden. »Das da. Hast du doch gerade aus dem Rucksack geholt, oder nicht?«
Ich folge ihrem Blick. Ein Fehler, denn da sind sie. Norberts Augen. Es starrt mich erbarmungslos nieder, dieses Monster.
»Entschuldige«, murmle ich, während ich schnell in die Knie gehe und das Amigurumi und mein Angstbuch mitsamt der Kamera zurück in den Rucksack stopfe. Mit einem Räuspern erhebe ich mich. »Und es … Also, es ist ein Nacktmull.«
»Ernsthaft?« Das Mädchen hebt die Brauen in die Stirn. »Diese fleischige Ratte soll ein Nacktmull sein?«
»Na ja, im Grunde genommen sind Nacktmulle fleischige Ratten.« Ich seufze. »Aber da bist du nicht die Erste, die das sagt, ähm …«, mein Blick gleitet zu dem goldenen Namensschild an ihrer Brust hinab, »Emma.« Noch während die Buchstaben meinen Mund verlassen, blinzle ich mehrmals schnell hintereinander, gefolgt von einem langgezogenen »Oooooh!«
»Peeeeee«, entgegnet sie belustigt, ihre Stimme begleitet von einem fragenden Ton. »Wollen wir das ganze Alphabet durchgehen? Kein Problem, ich habe Ausdauer. Also: Kuuuuu, Eeeeeeer …«
»Nein, tut mir leid, ich meine …« Ich schüttle den Kopf. »Mir wurde gesagt, ich soll dich hier treffen. Du bist meine Zimmerpartnerin, kann das sein?«
»Ach, du bist Paola?« Emma klingt beinahe feierlich, und das will nicht so recht passen. Ich bin kein Anlass dafür. Ich bin nur … ich.
Aber Emma scheint das anders zu sehen. Sie strahlt förmlich vor Aufregung und legt eine Hand auf meinen Oberarm, während sie mit der anderen noch immer das Tablett balanciert. »Du hast ja keine Ahnung, wie ich mich gefreut habe, als Elias Van Dyk meinte, ich würde bald nicht mehr allein wohnen! Fast ein Jahr lebte in dem Zimmer außer mir nur gähnende Leere, und ich hasse gähnende Leere, weil ich der Inbegriff von quasselnder Fülle bin!« Sie lacht. Ich auch. Aber sie lauter. Glockenklarer. Schöner.
»Ich freue mich auch«, sage ich, das Lächeln auf meinen Lippen so breit, so ungewohnt, dass mir schon die Wangen schmerzen.
»Pass auf.« Emma sieht sich im Raum um, bis sie mich mit sich winkt und an einen kuschligen Lesesessel direkt neben einem Bücherregal verweist. Dieser Ort ist das Paradies! »Warte hier. Meine Schicht ist gleich zu Ende, dann erkläre ich dir alles und gebe dir eine Führung durch den Palast, bevor wir aufs Zimmer gehen, ja?«
Ich nicke.
Die Sitzgruppe neben mir ist voll besetzt. Bis gerade haben sie noch getuschelt, aber jetzt heben alle ihre Tassen an den Mund und tun, als würden sie trinken, während sie mich eingehend mustern. Ich erkenne zwei Frauen in meinem Alter, die eine aschblond, in Momjeans und schwarzem Rollkragenpulli, die andere hat einen braunen Kurzhaarschnitt mit Undercut. Ihr Oberkörper steckt in einem Cardigan, die Beine werden bedeckt von einem langen schwarzen Flatterrock. Neben ihr sitzt ein Typ mit schwarzer Vampirfrisur und bleicher Haut. Er trägt offenbar die Housekeeping-Uniform. Vor seinen Füßen liegt ein weißer Cocker-Pudel in einem flauschigen Kissen.
»Leute, das ist Paola«, richtet Emma das Wort an sie. Die Augen der Personen leuchten augenblicklich auf, als hätten sie nun des Rätsels Lösung vor sich. Meine Damen und Herren, die Antwort, warum ein mitgenommenes Kaninchen die Höhle der Löwen aka High Society betritt, lautet: Es arbeitet für sie. Oder auch: Es bietet sich ihnen zum Fraß an.
Emmas Locken wirbeln herum, als sie sich wieder mir zuwendet. »Und Paola, das sind Blair«, sie deutet auf die Blonde, »Lisbeth«, die mit den kurzen Haaren, »und Ignotus.«
Ich dachte, damit meint sie den Hund. Wirklich. Eine andere Erklärung gibt es dafür nicht, dass ich daraufhin den Mund öffne und sage: »Ist das ein süßer kleiner Kerl!«
Blöd nur, dass die folgende Stille mehr sagt als tausend Worte. Das, und … die roten Bäckchen auf der bleichen Haut meines lieben neuen Freunds, dem Vamp. Er räuspert sich und sagt dann sehr leise, sehr undeutlich: »Das ist Puffel. Ich bin Ignotus.«
»Oh!« Fahrig reibe ich mir über die Strumpfhose. »Sorry. Ich, ähm, dachte …«
»Schon gut.«
»Tja, also …« Emma kichert leise. »Das war peinlich.«
Ja, war es. Himmel noch mal. Wer nennt seinen Sohn bitte Ignotus? Schätze, das passiert, wenn man seine Nase zu lang in High-Fantasy-Epen vergräbt …
Gott sei Dank spricht Emma sofort weiter, sodass sich die unangenehme Energie nicht drückend ausbreiten kann. »Magst du Cappuccino, Paola? Du siehst aus, als könntest du einen vertragen. Mit Sicherheit hattest du eine lange Reise. Von wo kommst du noch mal?«
»San Luca.«
»Oh, Bella Italia, Baby«, sagt Blair.
»Das Wetter da unten ist der Traum aller Träume«, schwärmt Lisbeth.
Ich schenke ihr ein warmes Lächeln, ehe ich mich wieder an Emma wende. »Und, ja, Cappuccino wäre super.«
»Geht auch mit veganer Milch?«
»Ähm, klar.«
»Perfekt, dann kannst du nämlich den hier haben.« Sie wirkt erleichtert, als sie mir die Tasse von dem Tablett reicht. »Xenia wollte Kuhmilch. Und braucht jetzt schnell einen neuen, weil unsere kleine Miss Universe sonst wütend wird.« Emma sieht kurz über die Schulter. »Sie erdolcht mich schon mit ihren Blicken. Ja, ich weiß. Sorry, Lisbeth. Ich sollte nicht so über andere Frauen sprechen. Girlpower, oder nicht? Aber, unter uns …« Sie beugt sich vor, flüstert: »Sie ist wirklich unausstehlich zu mir!«
»Konzentrier dich lieber auf Laxon«, sagt Blair mit einem kecken Grinsen im Gesicht. »Der ist eben im Wettbereich aufgekreuzt und …«
Bevor sie noch etwas hinzufügen kann, schneidet Emma ihr mit einem mahnenden Blick das Wort ab und verschwindet zur Theke.
Lisbeth sieht zu mir. »Laxon ist Emmas heimlicher Schwarm.«
»Ist ein offenes Geheimnis, also fallen wir ihr nicht in den Rücken und können es dir erzählen«, fügt Blair hinzu. »Sie steht seit einer gefühlten Ewigkeit auf ihn.«
»Aber die Gespräche, die sie mit ihm geführt hat, lassen sich an einer Hand abzählen«, brummt Ignotus.
Ich kann nicht antworten, denn ich bin wie erstarrt, seit der Name Laxon gefallen ist. Meine Lippen haben sich einen Spaltbreit geöffnet, meine Augen blicken kurz ins Leere, bis ich blinzle. »Wo … Wo ist der Wettbereich?«, frage ich.
»Da hinten.« Blair wickelt sich die blonden Strähnen um den Finger und deutet in einen angrenzenden Bereich neben der Toilettentür. Ich erkenne eine zweite Theke mit Spirituosen dahinter, Personen auf Barhockern, die Blicke aus den bodentiefen Fenstern gerichtet.
»Gleich beginnt der Eisschnelllauf«, sagt Lisbeth. »Deshalb geiern die alle so nach draußen. Es ist immer das Gleiche. Erst sind sie alle heiß auf die Hunderter, dann verlieren sie alles und verschwinden als einheitlicher Mob, der sooooo«, sie streckt eine Hand zu Boden, die andere über ihren Kopf, »eine Fresse zieht, nach draußen.«
»Außer Anneli. Die nutzt die Gunst der Stunde, um sich zu beschweren, weil sie nichts mehr liebt als negative Vibes. Und jetzt gerade …« Ignotus streicht sich den fettigen schwarzen Pony aus der Stirn und versucht sich an einem Grinsen, aber es wirkt eher wie eine missglückte Fratze. Es ist gruselig. »… geht sie schon wieder auf den Barkeeper los.«
Ich strecke den Kopf, um zu erkennen, wen er meint. Mein Blick fällt auf eine füllige Frau in Housekeeping-Tracht, die mit wild gestikulierenden Händen auf den Mann hinter der Bar einredet. Er wirft verzweifelte Blicke über die Schulter, wirkt aber hoffnungslos, als wüsste er bereits, dass ihn niemand retten kommt. Von Laxon ist jedoch weit und breit nichts zu sehen, und ich weiß nicht, ob ich die Enttäuschung, die sich daraufhin in meiner Brust ausbreitet, gutheißen soll.
Blair seufzt. »Ich wette, heute erzählt sie ihm, wie unverschämt es ist, dass der Gast in Süd 405 sein Toupet in der Dusche hat liegen lassen. Davon redet sie schon den ganzen Tag.«
»Warum macht man das? Wieso liegt überhaupt ein Toupet in der Dusche?«, ahmt Lisbeth eine tiefe herrische Stimme nach. »Ich dachte, es wäre ein toter Igel! Wisst ihr eigentlich, was das mit mir gemacht hat?«
Und dann, als wäre das ein Dauerbrenner von dieser Anneli, fassen sich alle an die Brust und sagen unisono: »Vor Stress kriege ich noch Polypen!«
Sie kichern. Puffel dreht sich auf den Rücken, aber sein Schnodder scheint ihm von der kleinen Nase ins Hirn zu laufen, denn er niest und wirbelt auf den Bauch zurück.
»Alsooo.« Blair streckt den Kopf an Lisbeth vorbei, um mich anzusehen. »Du bist also die berüchtigte Paola, von der die ganze Belegschaft seit einigen Tagen spricht.«
Beinahe hätte ich mich an meinem Cappuccino verschluckt. »Wie bitte?«
»Na ja …« Lisbeth lässt sich tief in ihren Sessel sinken. Sie ist klein und die hohe Lehne überragt sie deutlich. »Die Bewerbungsrunden des Blackwell Palace gehen über Wochen, wie du selbst wissen solltest. Mal davon abgesehen, dass die Bewerbungsfrist für diese Saison längst verstrichen ist.«
Lisbeth sieht mich nicht einmal an. Sie betrachtet das Etikett auf ihrer Limo, streicht über den Dunstfilm und kratzt dann mit dem Nagel über ein Luftbläschen. Dennoch kommt es mir vor, als würde sich ihre bohrende Neugier direkt in mich hineinbegeben und bereits am ersten Tag aufdecken, was ich tief in mir vergraben halte.
»Ich habe schon letztes Jahr an der Bewerbungsrunde teilgenommen«, sage ich. »Eigentlich wurde ich genommen, aber dann habe ich mir das Bein gebrochen. Stattdessen haben sie mich also auf diese Saison verschoben. Und Sommelièren gibt es ja nicht so viele.«
»Ahaaa.« Lisbeth wirkt skeptisch und als wolle sie noch etwas entgegnen, aber Blair kommt ihr zuvor.