BlauVioletter Engel - Isabella Mey - E-Book

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Isabella Mey

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Beschreibung

BlauVioletter Engel

Was geschieht, wenn jemand alles vergisst, was er war und was er ist?
Während Maja ihr persönliches Höllental durchwandert, müssen sich zwei der Helden genau dieser Herausforderung stellen.

Leseprobe

Beinahe fühlte es sich an, als wäre Maja aus einem bösen Traum erwacht, doch auch hier auf der Erde würde Felix seine Meinung sicher nicht ändern, bloß weil Valía weg war.
Oder?
Zumindest hat er das gesagt. Tatsächlich hatten sie sich auf der Erde immer besser verstanden als auf Fabolon.
Jetzt nimm ihn schon!, forderte Kiro.
»Was soll ich nehmen?«
Na, den Stein natürlich. Durch ihn macht Felix alles, was du willst ...


Bunte All Age Fantasy, angereichert mit Magie und gewürzt mit Romantik, empfohlen ab zwölf Jahren.

Fabolon

  1. FarbelFarben
  2. Goldenes Glück
  3. StaubNebelNacht
  4. RostRoter Rubin
  5. SchneeFlockenBlüten
  6. BlauVioletter Engel

In der gleichen Welt: Romantasy

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Inhaltsverzeichnis

Prolog

In der Falle

Verwitterte Badhütte

Identifikationsplakette

Tante Likante

Die Einbeinigen

Spinnwandler

Rackreck

Kontrollverlust

Nächtlicher Gesang

Raubwolfwald

Die Vergessenen

Jeroni und Jaroman

Gleichklang

Abschied

Karawane

Am Rande des Niedergangs

Stachelklinker

In der Falle

Blauvioletter Engel

Verhängnisvolle Begegnung

Danksagung und Nachwort

Ode an meine Testleser

Lexikon

Impressum

FABOLON

BlauVioletter Engel

Isabella Mey

Band VI

Regeln des Verstandes behindern das Handeln aus dem Herzen.

Prolog

Fabolon, Faresia, 1214 Najan 6

Beylon lehnte sich in seinem Sessel zurück und streckte die speckigen Beine von sich. Wie bei allen Radon kleidete ein schwarzer Anzug seinen massigen Körper. Die Füße steckten in breiten Lederstiefeln, deren glatte, dunkle Oberfläche die Umgebung matt reflektierte. Ähnliches Phänomen zeigte seine Glatze, auf der das Flackern der Fackeln zuckte.

Tief unter den Kellern des Schlosses hatte man sich im großen Fackelsaal versammelt, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Acht korpulente Männer saßen in ihren Sesseln im Halbkreis um einen brennenden Kamin herum. Die Wände des vollständig mit schwarzem Vulkangestein ausgekleideten Saals verschluckten nicht nur jegliches Licht der Flammen, sondern auch jeden Laut, der es wagen sollte, diese geheime Besprechung auf magische oder mechanische Weise zu belauschen. Die einzige, mit scharfkantigen Nadeln bespickte Luftzufuhr befand sich hinter der Feuerstelle, wogegen die Abluft durch einen langen Kamin gesogen wurde, um sich hoch über den Dächern des Schlosses in schwarzen Rauchwolken zu verflüchtigen. Da der Fackelsaal ansonsten rundherum von massivem Gestein umgeben war, musste man sich entweder selbst hineinzaubern oder von einem Radon hineinzaubern lassen. Obwohl sie als Halbwesen von menschlichen Frauen geboren wurden, und ihre Existenz kaum einer Seele bekannt war, zählten sie zu den mächtigsten dunklen Farbelwesen Fabolons.

»Der Jo läuft frei herum. Noch immer! Wie kann das sein?« Bufo rümpfte seine fette Nase, wie er es stets tat, wenn er sich über etwas aufregte. »Wie blöd sind diese dummen Wächter? Eigentlich.«

»Fang ihn doch selbst«, entgegnete Boom schmatzend und nahm einen weiteren ergiebigen Schluck aus seinem mit schwarzem Wasser gefüllten Kelch. Aus seinen wurstigen Fingern schaute davon lediglich der goldene Fuß des Gefäßes unten heraus. Auch die anderen Radon labten sich genüsslich schmatzend an ihrem Getränk, wofür sie sich deutlich mehr zu interessieren schienen, als für die Diskussion.

»Wozu?«, mischte sich nun Beylon ein. »Wir haben schon einen neuen Jo.«

»Aber der alte kann uns verraten«, meinte Bufo.

»Der Jo stottert. Niemand kennt ihn. Keiner glaubt ihm. Diesem Dummkopf«, entgegnete Beylon, der Anführer der Radon.

Boro hingegen interessierte etwas ganz anderes: »Wann holen wir die Monda?« Sein Mund verzog sich zu einem freudigen Grinsen allein beim Gedanken an Hänka. Die rassige Fremdländerin hatte es ihm angetan. Bedauerlicherweise beruhte das nicht auf Gegenseitigkeit, doch er würde ihr schon noch zeigen, wer hier auf Fabolon das Sagen hatte. Genau wie bei allen Radon war auch sein Leib umringt von Speckfalten, selbst wenn seine Wölbungen bei ihm etwas geringer ausfielen als bei den anderen.

»Die Monda machen Unruhe«, nörgelte Boom. »Sie sollen verschwinden.«

Jetzt blickten doch einige Radon von ihren Kelchen auf und drehten entschieden die Köpfe zur Seite, zum Zeichen ihrer Ablehnung.

»Die Monda bringen viel schwarzes Wasser«, protestierte Bufo, wobei ihm selbiges aus den Mundwinkeln herabrann. Als jüngerer Radon maß er in der Körpergröße etwas weniger als die anderen, was er durch seinen beachtlichen Bauchumfang jedoch wieder ausglich. Ansonsten war äußerlich kein Unterschied zu den anderen Halbwesen seiner Art festzustellen, lediglich charakterlich hatte sich die typische Trägheit der Erwachsenen noch nicht verfestigt.

»Wir waren noch nie so mächtig wie jetzt«, meinte auch Beylon, »Wir werden noch mehr Macht bekommen. Mit den Monda. Mehr schwarzes Wasser.« Schmatzend hob er die fleischigen Hände, und drehte sie mehrmals im Kreis, woraufhin sich Kamordon, Hänka und Kormud vor dem Kamin materialisierten. Alle drei blickten ziemlich verdattert drein.

»Wo sind wir?« Reflexartig stellte sich Hänka mit dem Rücken zu Radon auf und zog kampfbereit die Peitsche, während sich Kormud vor einer vermuteten Attacke wegduckte.

Nach einem tiefen Atemzug hatte Kamordon, der Anführer der Monda, die Lage erfasst und erhob zornig das Wort: »Was fällt euch ein, uns ohne Vorwarnung einfach hier herzuzaubern?«

Beylon nippte an seinem Kelch. »Ihr wolltet eine Besprechung. Streng geheim«, entgegnete er ungerührt.

»Das nächste Mal fragt ihr uns«, wetterte Kamordon, »bevor ihr uns wegzaubert. Verstanden?«

»Du befiehlst uns nichts!«, brummte Boom. »Monda sollen verschwinden.«

Einige Radon runzelten erschrocken die Stirn und Beylon hob beschwichtigend die Hände. »Die Monda bleiben. Wir fragen vorher«, lenkte er nickend ein. Mit dem Verlust der Fremdländer sah er bereits jede Menge des schwarzen Wassers versickern.

Boro war das Gespräch egal geworden. Er betrachtete Hänka mit zuckenden Mundwinkeln und wiegte dabei seinen schwabbeligen Körper auf dem Sessel hin und her. Die Kämpferin würdigte ihn jedoch keines Blickes, was sie in seinen Augen nur um so begehrlicher machte.

Allmählich entspannten sich die Monda wieder und Hänka verstaute ihre Peitsche in der dafür vorgesehenen Schnalle auf dem Rücken. Für die Besucher standen Holzbänke ums Feuer herum bereit, doch die Monda bevorzugten es, stehenzubleiben.

»Welche Pläne habt ihr?«, wollte Beylon nun wissen.

»Wir haben unseren Minister von Dorma kommen lassen. Er wird euch erklären, auf welche Weise wir das Sklavensystem in unserer Heimat über viele Jahrtausende hinweg aufbauen und erhalten konnten. Der Name des Ministers ist Kamiska.«

»Noch mehr Monda …«, brummte Boom unwillig.

»Herzaubern!« Bufo stellte seinen Kelch in die dafür vorgesehene Vertiefung am Ende der Sessellehne und klatschte in die schwabbeligen Hände.

»Erst fragen«, hatte sich Belyon gemerkt.

»Nun, ich denke, in diesem Fall können wir ihn einfach hinzuholen«, meinte Kamordon. Ein weiteres Hin- und Herzaubern, um seinen Minister vorzuwarnen, wäre zu viel des Schlechten, vor allem, weil es mit einer widerlichen Übelkeit einherging.

Beylon führte eine Handbewegung aus und schon erschien Kamiska neben Hänka. Der Minister war ein schlaksiger, kleiner Mann, dessen dunkle Augen den Anführer der Radon mit listigem Blick durchschauten. Statt sich über den unvermittelten Ortswechsel zu wundern, sagte er: »Du lechzt schon nach schwarzem Wasser, nicht wahr, Beylon?«

»Lechzt?« Dieses Wort war ihm unbekannt.

»Du verzehrst dich nach der Magie, die es dir verleiht und dürstest nach dem bitter-süßen Geschmack des Getränks.«

Bei den Ausführungen des Ministers rann einigen Radon der Speichel aus dem Mund. Sie setzten fast synchron ihre Kelche an die Lippen und schlürften.

Nur Beylon widerstand der Versuchung, schluckte jedoch heftig und brachte ein schmatzendes »Ja« über die Lippen.

»Nun, wir haben unser System über viele Jahrtausende hinweg etabliert, dabei kann Gier und Ungeduld alles recht schnell zum Kippen bringen, daher zügelt euren Durst und lasst uns Schritt für Schritt vorgehen.«

Diese Worte lösten allgemeine Missbilligung aus, was die Radon durch unwilliges Grunzen und die anderen Monda durch ausdruckslose Mienen bekundeten. Dennoch wagte keiner einen Widerspruch, vor allem, weil sie gespannt auf weitere Ausführungen Kamiskas warteten: »Wie ich erfahren habe, erhält sich die Ordnung in eurem Lande lediglich durch ungeschriebene, veränderbare und auf individuelle Bedürfnisse angepasste Regeln. Diese müssen nach und nach durch starre Gesetze ersetzt werden.«

»Wozu das?«, brummte Boom.

»Nun, zum einen zwingen flexible Regeln den Menschen längst nicht in ein so enges Korsett wie starre Gesetze, zum anderen besteht der Unterschied zwischen einer Regel und einem Gesetz in der damit verbundenen Bestrafung. Vor allem kleinere Regelbrüche bleiben häufig ohne Konsequenzen, wohingegen Gesetzen fest definierte Strafen zugeordnet werden, die im Idealfall konsequent durchgesetzt werden.«

»Kompliziert. Verstehe ich nicht«, grunzte Boom, doch Beylon hob die Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen.

»Gesetze sind gut für Strafen«, hatte der Anführer kapiert.

»Wir beginnen mit wenigen Gesetzen, um die Menschen daran zu gewöhnen und damit es keine Revolten gibt, müssen wir ihnen den Nutzen dahinter verkaufen: Die Strafen sollen abschrecken, damit keiner raubt, stiehlt und tötet.«

»Aber dann keine schlechten Gefühle und kein schwarzes Wasser?« Verwirrt runzelte Bufo die Stirn.

»Glaubt mir, es wird dennoch genug solcher Taten geben, dafür sorgt bereits die Ungleichheit in euren Ständen und vor allem die Abhängigkeit der Grauen. Abhängigkeiten zu schaffen ist ein weiterer wichtiger Faktor. Aber auch hier sehe ich im gelben Stand eine neue Möglichkeit.«

»Im gelben Stand?«, wunderte sich Beylon.

»Der Vorteil beim gelben Stand ist dessen Beliebtheit. Die Masse der Braunen, Grünen und Grauen hat das Gefühl, etwas Besseres zu sein, wenn sie in diesen Stand aufsteigen, daher werden viele Menschen danach streben, ohne zu bemerken, dass sie dort im Grunde nutzlose Arbeit verrichten, welche jedoch gut bezahlt wird, denn wir werden neue Aufgabenfelder erschaffen«, fuhr Kamiska fort. »Beispielsweise geht es nicht an, dass Menschen ihren Beruf einfach so ausüben können, ohne vorher eine Eignungsprüfung abzulegen. Den Nutzen, den wir den Leuten mit dieser Reform verkaufen, liegt in der Qualität der Arbeit, für die wir in späteren Schritten Standards einführen werden. Für all dies benötigen wir Prüfer und Kontrolleure.«

»Kompliziert …«, murrte Boom und gähnte herzhaft.

»Doch wir dürfen nichts überstürzen. Die Leute müssen langsam an Neues gewöhnt werden und zwar immer so, dass sie glauben, es wäre zu ihrem Besten, ansonsten hätten wir schneller einen Aufstand als wir neue Wachen zaubern können.«

Kamordon, Hänka und Kormud wurde das Herumstehen nun doch zu dumm, sodass sie sich auf den Holzbänken um das Feuer niederließen.

»Gesetze sind gut für Strafen«, wiederholte Beylon, um das neu Gelernte zu verinnerlichen. »Strafen machen schlechte Gefühle. Schlechte Gefühle bringen schwarzes Wasser.«

»Exakt«, bestätigte Kamiska. »Im Laufe der Jahre werden wir immer mehr Gesetze erlassen, die bis in die intimsten Lebensbereiche des Menschen eindringen. Diese zunehmenden Einschränkungen der Freiheit bringen ein allgemeines Gefühl der Bedrängung, Einengung und des Überwachtseins mit sich. Die ständige Sorge, etwas falsch zu machen, begleitet das Leben, wobei die Gewohnheit wiederum dafür sorgt, dass die Ursache für dieses Unwohlsein aus dem Bewusstsein verschwindet. Sobald sich die Menschen mehr nach den äußeren Regeln und Gesetzen orientieren, entgehen sie zwar der Sorge vor Bestrafung und Missfallen, da sie jedoch verlernen, ihrem eigenen Antrieb zu folgen, etabliert sich aufgrund dieser Fremdbestimmung mehr und mehr ein Sinnlosigkeitsgefühl in der Bevölkerung. Über ein Belohnungssystem, das zwar kurzfristig Glücksgefühle erzeugt, aber langfristig in die Irre führt, kann dieser Effekt noch verstärkt werden. Um Menschen auf diese Weise in die Fremdbestimmung zu führen, müssen sie so weit wie möglich in Abhängigkeit gebracht werden. In diesem Zusammenhang spielt das Geld eine zentrale Rolle. Davon dürfen die Leute immer weniger zur Verfügung haben, um Existenzängste zu erzeugen, welche sie gefügig machen. So belohnen wir auf der einen Seite, um die Richtung zu weisen, auf der anderen Seite erheben wir hohe Steuern und Abgaben, um einen steten Mangel zu erzeugen.«

»Äh, wie geht das?« Beylon blinzelte müde. Die langen Sätze und komplizierten Ausführungen überforderten ihn zunehmend. Zwei Radon waren mittlerweile eingeschlafen und begleiteten die Besprechung mit ihrem Schnarchkonzert.

»Durch ein ausgeklügeltes Steuer- und Abgabensystem. Welche Steuern setzt ihr bereits ein?«

»Was sind Steuern?« Beylon gähnte herzhaft.

»Beim Duwora! Ihr treibt keinerlei Steuern ein? Wie finanziert ihr denn alles?«

»Was heißt finanziert?«, erkundigte sich Bufo.

»Woher nehmt ihr das Geld: die vielen Mons, Montons und Meerkristalle?«, grunzte Hänka ungeduldig. Auch ihr ging die Besprechung allmählich auf die Nerven. Das nächste Mal sollte Kamiska das alles besser ohne ihr Beisein regeln, dann bliebe ihr dieses Herumgezaubertwerden erspart. Ohne irgendeinen Zugang gab es nun mal keine andere Möglichkeit, in den unterirdischen Bunker der Radon hineinzugelangen.

»Aus den Goldminen«, antwortete Beylon.

»Und Meer …kristall …minen«, gähnte Bufo.

»Aha, aus euren Minen erzeugt ihr also selbst euer Geld, das ist schon mal positiv. Aber wie steht es mit den gehobenen Ständen, den Roten und Rosanen? Wenn sie etwas bauen wollen, woher nehmen sie das Geld dafür?«

»Die haben viel Land. Mit Wald für Holz. Oder Steinbruch oder Reederei«, wusste Bufo. »Für neue Straße sammeln sie Montons. Leute spenden.«

»Aha, also, wenn man etwas für die Allgemeinheit bauen lassen will, wird Geld dafür eingesammelt. Ich nehme an, den Überschuss behalten die höheren Stände dann für sich selbst ein. Dieses Modell ist nicht ganz schlecht, doch die Freiwilligkeit erzeugt zu wenig Druck. Das Individuum muss den Eindruck gewinnen, dass es sich dem Wohle der Mehrheit beugt, wenn zum Beispiel eine Straße gebaut werden soll, quer durch ihre Gärten und Häuser. Aber auch diese Praktiken können erst allmählich realisiert werden, wenn sich das neue System in der Allgemeinheit verfestigt hat. Man beginnt mit kleineren Projekten, die der Mehrheit genehm sind, wobei eine kleine Minderheit darunter leidet. Bestenfalls eine Minderheit, die sich ohnehin keiner großen Beliebtheit erfreut.«

»Kompliziert …«, murmelte Boom verschlafen und klappte die Lider zu.

»In jedem Fall muss der gelbe Stand deutlich vergrößert werden. Neben Kontrolleuren und Prüfern benötigen wir sehr viel mehr Ärzte, Schlichter und Lehrer. Da so viele Leute in diesem Stand nicht benötigt werden und daher ihr Verdienst zu gering zum Überleben wäre, werden wir eine Versicherung einführen, die all diese Berufe finanziert, und nur wer den monatlichen Beitrag bezahlt, erhält auch eine entsprechende Dienstleistung. Man könnte sich auch gegen Raub, Brand und Ähnliches versichern und dann Straftäter dazu anstiften, die nicht Versicherten zu überfallen, doch hierbei handelt es sich bereits um eine fortgeschrittene Eskalationsstufe.«

Nun öffnete auch Beylon seinen gigantischen Mund für ein herzhaftes Gähnen und wackelte mit dem fetten Hintern auf seinem Sessel, um sich wach zu halten. »Was machen wir jetzt? Gesetze?«

»Genau. Beginnen wir mit zehn in Stein gemeißelten Gesetzen, die überall, bis in jedes kleinste Dorf hinein, an den Gemeinschaftshäusern angeschlagen werden, damit niemand behaupten kann, er hätte nichts davon gewusst.«

»Dann schreib die zehn Gesetze rasch auf, damit wir endlich von hier verschwinden können«, knurrte Kamordon.

»Diese besprechen wir zum Schluss, doch für ein effektives Bestrafungssystem ist es essenziell, dass jeder im Land registriert wird, um ihn eindeutig zu identifizieren.«

»Indenti … hä?«, grunzte Bufo.

»Wenn da zwei mit Namen Bufo sind, muss man unterscheiden können, welcher der ist, den man sucht«, erklärte Hänka ungeduldig.

»Zwei Bufos!? Nicht möglich!« Zornig ballte der Radon die fetten Fäuste.

»Vermutlich existieren keine zwei Bufos deiner Art, doch es kann immer mal wieder Leute mit ähnlichen Namen oder ähnlichem Aussehen geben«, lenkte Kamiska ein. »Außerdem eröffnet uns eine eindeutige Identifikationsplakette vielfältige Möglichkeiten. Wir haben sie bereits in der Jakeiterburg erfolgreich getestet. Darin können sämtliche Informationen über die Personen gespeichert werden. Uns unbequeme Leute können damit sogar geortet, überwacht und eingefangen werden. Für Menschen ohne spezielle Berechtigungen könnten zudem bestimmte Bereiche versperrt werden, was zusätzlichen Unmut auslöst und die Gesellschaft weiter spaltet. Zur Krönung werden wir alle Plaketten so ausstatten, dass sie die negative Gefühlsenergie direkt absaugen und zu uns leiten.«

»Was?« Beylon riss die Augen weit auf, um nicht einzunicken.

»Plaketten saugen schlechte Gefühle und bringen viel schwarzes Wasser«, fasste Kamordon, zusammen. Dieser Punkt gefiel auch ihm durchaus, denn die negativen Emotionen erzeugten nicht nur schwarzes Wasser für die Radon, sondern auch Energien, die er und seine Leute zum Ausbau ihrer Macht nutzen konnten.

»Dann macht endlich eure Plaketten, damit wir endlich fertig werden«, knurrte Hänka.

Kamiska trat zur Seite, um Kamordon Platz zu machen, der sich nun gegenüber von Beylon positionierte. Die beiden Anführer hoben ihre Hände, woraufhin das schwarze Halbwesen eine dunkle, wabbelige Masse in der Luft zwischen ihnen erscheinen ließ. Der Monda richtete nun seine Konzentration darauf und sofort begann sich die Masse zu verformen. Mithilfe seiner Gedankenkraft projizierte Kamordon präzise Bilder und Vorstellungen in das Plasma, wobei es mehr und mehr an Form und Festigkeit gewann, bis schließlich ein hüfthoher Haufen an Plaketten auf den Boden herabprasselte und die Schuhe der Anführer überschwemmte. Anders als bei denen der Jakeiter, war darauf keine in Silber gehaltene Farellichte zu sehen, sondern das Schloss des Jo auf farbigem Hintergrund – je nach Stand von Grau bis Violett.

Kamiska pickte sich eine davon heraus und betrachtete sie wohlwollend von allen Seiten. »Genauso habe ich mir das vorgestellt.« Nun tippte er mit dem Zeigefinger aufs Silberschloss, woraufhin drüber ein Hologramm erschien. Neben der Nummer 000001 leuchteten die Worte »Name, Wohnort, Geburtsdatum, Stand, Beruf, Restriktionen« sowie »Vermerke« auf.

»Ausgezeichnet.« Kamiska nickte zufrieden. »Nun müssen zunächst alle Boten des Landes einberufen werden, um die Neuerungen zu verbreiten. Und den Monda wird die Aufgabe übertragen, alle Einwohner Fabenias zu registrieren.«

»Muss das sein?«, knurrte Kormud.

»Die Aufgabe übernimmst du selbst, Kamiska«, wehrte Kamor­don ab.

»Das wird eine doppelte Ewigkeit dauern«, brummte Hänka.

»Nicht, wenn wir überall einen Bezirks- oder Dorfvorsteher auswählen, dem wir diese wichtige Aufgabe übertragen. Dieser wird natürlich in den gelben Stand gehoben und gebührend belohnt.«

»Dennoch benötigen wir wesentlich mehr Leute unseres Volkes, um uns hier auf Fabolon zu unterstützen und das gesamte Land unter unsere Kontrolle zu bringen«, wandte Kamordon ein. »Diese Radon scheinen zwar mächtige Zauberer zu sein, doch in solchen Angelegenheiten sind sie keine Hilfe.« Da sämtliche schwarzen Halbwesen inzwischen eingenickt waren, erhob keiner von ihnen Einsprüche.

In der Falle

Fabolon, Faresia, 1214 Najan 6

Das Treffen mit Dario auf dem Dach des Schlosses der Litanias hatte in Majas Traum eine süße Fortsetzung gefunden, die dieses Gefühl mit in ihr Tagesbewusstsein transportierte. Doch je wacher sie wurde, desto schwerer wog ihr Herz. Hinzu kam, dass vom Flur her die Stimme ihres Freundes den Halbschlaf störte.

»Echt? Du weißt nicht, wie man mit der Zunge schnalzt?«, brachte Felix gut gelaunt hervor.

»Nein. Wie machst du das?« Valía gab ein verzweifeltes Schmatzen von sich, das sogar durch die geschlossene Zimmertür zu hören war.

»Leg die Zunge so zurecht.«

Maja konnte sich lebhaft vorstellen, wie Felix Valía seinen Mund präsentierte und schon stahl sich die Eifersucht wie eine giftige Kröte in ihr Herz.

Jetzt lachen sie auch noch zusammen!

Versteinert lag Maja in ihrem Bett und kräuselte grimmig die Augenbrauen.

Was willst du denn mit diesem albernen Spaßmacher?, mischte sich Kiro mal wieder ein. Dario passt viel besser zu dir.

Dario! Der kommt doch aus einer völlig anderen Welt. Das ginge nicht gut. Und Felix holt mich aus diesem dunklen Sog heraus, ich kann ihn nicht einfach gehen lassen. Er lacht mit Valía. Mit mir hat er schon lange nicht mehr gelacht oder Späße gemacht …

Obwohl sich Maja schuldig fühlte für ihre Eifersucht, gelang es ihr nicht, dieses widerliche Gefühl abzuschütteln, das sich in ihrer Brust ausbreitete und die kalte Wut hochkochen ließ. Ein weiteres unerträglich fröhliches Lachen trieb sie endgültig aus dem Bett. Dem musste sie schleunigst Einhalt gebieten, bevor noch mehr dieser Geräusche ihre Seele peinigen konnten. Sie steuerte die Tür an, riss sie auf und starrte auf die beiden Gestalten, die für ihren Geschmack viel zu dicht beieinanderstanden: Felix hatte die Hände an Valías Kiefer gelegt, um ihren halb geöffneten Mund zu begutachten. Beide fuhren erschrocken auseinander und wirkten eindeutig ertappt.

Am liebsten hätte Maja jetzt herumgeschrien in ihrem verletzteN Zorn über die freudige Nähe der Beiden, eine Vertrautheit, an der sie nicht teilhaben konnte. Diese Blöße wollte sie sich allerdings auch wieder nicht geben, daher perlte lediglich ein sarkastisches »Guten Morgen!«, über die Lippen. In einträchtiger Synchronität murmelten Felix und Valía einen unverständlichen Gruß, während sich Maja vorbeidrängte, um die Toiletten aufzusuchen. Doch plötzlich bemerkte sie, dass sie lediglich Unterwäsche am Leib trug. Zornig knurrend kehrte sie auf dem Absatz um, stakste zum Jolina­zimmer zurück und knallte die Tür hinter sich ins Schloss.

Als Maja in ihre grüne Fabolon-Kleidung schlüpfte, war es jetzt totenstill auf dem Flur.

Na, hab ich’s dir nicht gesagt? Dieser Felix ist nichts für dich, außerdem mag er Valía viel lieber, meldete sich da schon wieder Kiros Stimme in ihrem Kopf.

»Sei still!«, zischte Maja und in Gedanken setzte sie hinzu: Du hast mich übrigens mal wieder belogen. Immer hast du es so aussehen lassen, als ob du die Weltensprünge verursachen würdest, aber gestern haben wir ganz eindeutig gesehen, dass es Lisas Echse war, die uns für einen Moment auf die Erde gebracht hat.

Eine Antwort blieb jedoch aus, dabei hatte Maja gerade so richtig Lust bekommen, ihren ganzen Frust an der schwarzen Echse auszulassen. Sie versuchte, sich mit Träumereien von Dario in eine bessere Stimmung zu bringen, doch der gestrige Abend war leider nicht durchweg positiv verlaufen und gerade drängte sich die eine unschöne Szene immer wieder in den Vordergrund:

Darios Küsse waren immer drängender geworden, wobei es sich anfühlte, als ob seine dunkle Magie die ihre in Besitz zu nehmen versuchte. Maja hatte sich zunehmend schwach und ausgeliefert gefühlt, bis sie den Zustand nicht mehr ausgehalten und ihn zurückgestoßen hatte, um vor ihm zurückzuweichen. Immerhin war er ihr nicht gefolgt, sondern wortlos übers Dach davongeschlichen, wo er sich in den Schatten aufzulösen schien. Mit jedem Schritt, den sich Maja von Dario auf dem Weg in ihr Bett entfernte, zog das Band der Sehnsucht wieder stärker an ihrem Herzen, sodass sie mit dem Aroma seiner Küsse auf den Lippen in süße Träume hineingeglitten war.

Lisa, die heute als Erste aufgestanden war, hatte beschlossen, ihr Frühmahl getrennt von den anderen einzunehmen, um sie vor ungewollten Geschmacksverirrungen zu bewahren. Daher hockte sie im Wohnraum, der zwei Stöcke überspannte, und kostete von dem kunstvoll zu einem Wirbel gedrehten Wattasbrot, welches der Koch mit würzigen Kräutern verfeinert hatte. Renío und Gianna spielten Fangen, wobei sie freudig lachend um Couch und Springbrunnen herumjagten. Die Litanias saßen gemeinsam auf der Polsterbank und betrachteten die Kinder mit Wohlwollen.

»Denkst du dasselbe wie ich, Tamando?«, fragte Liana schließlich.

»Nun, wenn du meinst, dass der Junge dringend ein schönes, neues Zuhause benötigt, dann ja. Die Jeni sind so glücklich zusammen, aber solch ein Schritt will gut überlegt sein.«

Liana schloss die Augen, wie um sich tief in ihre Gedanken zu versenken, und sagte dann selig lächelnd: »Meine gute Überlegung gibt von ganzem Herzen ihre Zustimmung.«

»Nun, dann fragen wir ihn«, schmunzelte Tamando.

Lisa hielt mitten im Kauen inne, als die Litanias die beiden Fangen-Spieler zu sich riefen. Auch ihr war natürlich aufgefallen, wie positiv sich diese Familie auf den jungen Jakeiter auswirkte.

»Renío.« Liana räusperte sich. Die beiden Kinder eilten herbei und schauten neugierig zu ihr auf, als ahnten sie, dass nun etwas Bedeutsames anstand. »Wie würde es dir gefallen, bei uns zu bleiben?«

Ein Strahlen erhellte sein blasses Gesicht. »Gut!«, stieß er heftig nickend hervor und Gianna hüpfte vor Freude klatschend über das Polster, auf dem ihre Eltern saßen, und rief dabei immer wieder: »Ich habe einen neuen Bruder!«

Der nächste Bissen von Lisas Wattas-Brot nahm unvermittelt einen lieblich-süßen Geschmack an. Das war nicht schlecht, doch musste sie sich unbedingt abgewöhnen, ihr Essen unbedacht anzusehen.

In diesem Moment betraten Richard, Pipp, Nio, Valía und Felix den Wohnraum.

»Was ist denn hier los?«, wollte Valía wissen, woraufhin die Litanias von ihrer Entscheidung berichteten.

»Ich habe einen neuen Bruder«, sang Gianna, quer durch den Saal tanzend.

»Nun, das ist eine recht erfreuliche Entwicklung«, stimmte Richard ein.

Aus Angst vor Majas Eifersucht hatte Felix den Platz neben Tamando ergattert, wobei sich Valía zu Lisa setzte.

»Schläft Maja noch?«, erkundigte sich diese kauend.

»Äh, nein, sie zieht sich wohl noch an«, gab Felix verlegen zurück, wobei er das drückende Schuldgefühl aus seinen Eingeweiden zu verdrängen suchte.

Unterdessen hörte man das Geklapper von Geschirr aus dem Speisesaal, wo die Köche das Frühmahl anrichteten. Johannius hatte sich zu ihnen gesellt. In seiner Angst, entdeckt zu werden, tat er alles dafür, seine neue Rolle als ein in grau gekleideter Bediensteter gut auszufüllen. Der Duft von frischem Gebäck stahl sich bereits durch die Ritzen der Flügeltür bis in den Wohnraum herüber.

»Wo steckt eigentlich dein Schatten Valía?«, wollte Pipp wissen, wobei er sich auf eine freie Polsterbank fallen ließ. »Schläft er seinen Herzschmerz aus?«

»Von mir aus kann Tilliam ruhig noch länger schlafen. Das Gesinge gestern Nacht ging mir ja ziemlich auf die Nerven.«

»Nicht nur dir …« Felix gähnte herzhaft. »Sein Ständchen hat uns um Mitternacht wahrscheinlich alle aus dem Schlaf gerissen.«

»Oh wirklich? Der arme Junge. Herzschmerz ist schon eine schlimme Sache«, bedauerte Liana. »Ich habe aber gar nichts davon gehört, du Tamando?«

Der Hausherr schüttelte den Kopf. »Doch mir scheint, mit dem jungen Friesus stimmt etwas nicht.«

»Er hat irgendeinen Liebestrank erwischt und deshalb weicht er mir nicht mehr von der Seite«, erklärte Valía. »Vorher konnte er mich überhaupt nicht leiden. Das ist ziemlich lästig.«

»Ein Liebestrank«, nickte Tamando wissend. »Ein äußerst kostspieliges und seltenes Elixier. Doch generell verfliegt die Wirkung nach einigen Tagen wieder.«

»Zum Glück«, Valía atmete erleichtert auf.

»Doch das Erste, was dieser Jung-Friesus tun wird, ist zu den Jakeitern zurückzurennen, um uns zu verpetzen«, gab Pipp zu bedenken.

»Dann müssen wir eben wieder weiterreisen«, meinte Nio leicht abwesend. Er brachte es kaum fertig, seine Augen von Lisa zu wenden. Die Sorge, dass sie auf der Erde durch die Bombe sterben könnte, hatte ihm noch einmal die tiefe Verbundenheit zu ihr ins Bewusstsein gerufen. Er saß neben seinem Bruder und Richard auf der Polsterbank.

»Doch wird es Sie nicht in Schwierigkeiten bringen, wenn herauskommt, dass Sie uns bei sich aufgenommen haben?«, sorgte sich Richard, den Litanias zugewandt.

»Nun, es kann uns niemand dafür anklagen, Freunde bei uns aufzunehmen, von deren Unschuld wir überzeugt sind«, sagte Tamando fest. »Ihr seid unsere Gäste, so lange es euch beliebt. Falls es gefährlich werden sollte, werden wir Renío und euch in unserem geheimen Versteck unterbringen.«

»Was denn für ein geheimes Versteck?«, fragte Renío neugierig und holte sich die Antwort bereits selbst, indem er Tamando am Handgelenk anfasste. »Huiii!«, rief er sogleich aus.

»Aber wenn das hier funktionieren soll, lieber Junge, dann musst du unsere Privatsphäre respektieren«, tadelte Liana. »Frage vorher, ob du in fremde Erinnerungen eindringen darfst!«

»Na gut.« Renío schlug die Augen nieder und nickte.

»Bei mir darfst du alles sehen«, bot Gianna an und streckte ihrem neuen Bruder bereitwillig den Arm hin.

»Hab ich schon …«, gab er zu.

»Soso. Dann musst du mich jetzt aber fangen!« Sie hüpfte vom Schoß ihrer Mutter. Gefolgt von Renío jagte sie davon.

Der Koch öffnete die Flügeltür und ein herrlicher Duft verbreitete sich im Wohnraum. Alle außer Lisa erhoben sich, um sich an den gedeckten Tisch zu setzen, wo die in Grau gekleideten Bediensteten (inklusive Johannius) schon mit wässrigem Mund auf sie warteten. Tamando hatte festgestellt, dass sich der Koch wesentlich mehr Mühe bei der Zubereitung gab, seit sie alle gemeinsam das Essen einnahmen, wobei es auch vorher schon gut gewesen war, aber die kulinarischen Genüsse, die er nun zauberte, übertrafen selbst höchste Ansprüche der gehobenen Küche. Auch herrschte eine sehr viel angenehmere Atmosphäre in ihrem Zuhause, seit man trotz der Standesunterschiede auf einer Ebene miteinander kommunizierte. Die Bediensteten gehörten eben mit zur Familie.

»Kommst du nicht mit rein?« Nio sah sich nach Lisa um.

»Nein, lieber nicht. Ich habe schon gegessen und will eures nicht verderben.«

Renío und Gianna liefen als Letzte in den Speisesaal, dann wurden die Flügeltüren geschlossen. Drinnen begann nun ein Flötist mit seiner Darbietung.

Lisa lehnte sich gemütlich auf der Polsterbank zurück und schaute dem Wasser im Brunnen beim Gluckern zu, bis ihre Blase zu drücken begann und sie zum Aufstehen zwang. Gerade als sie an der Portaltreppe vorbeikam, um die Toiletten aufzusuchen, ließ sie ein leises Geräusch auf der Treppe aufhorchen.

Maja oder Tilliam?, fragte sie sich, als sie in diesem Moment eine Bewegung hoch über ihr wahrnahm. Sie schaute zu einem Papierflieger empor, der durch ein offenes Fenster hereinsegelte. Da tauchte Tilliam oben am Treppenabsatz auf und eilte die Stufen hinunter, während der Papierflieger zeitgleich über seinem Kopf herabsegelte. Lisa war am unteren Treppenabsatz angekommen, als der Jungfriesus innehielt, um missmutig auf sie herabzusehen: »Mach den Platz frei, Unwürdige!«, zischte er, obwohl sich die Treppe am unteren Ende fließend verbreiterte und sich das Geländer in Schnörkeln nach außen wand, sodass gut zehn Personen nebeneinander darauf Platz finden könnten. Aber Tilliam hatte sich ausgerechnet die Mitte ausgesucht, dort wo Lisa zum Papierflieger hinaufschaute und deshalb zu spät reagierte, nicht weil sie sich mit ihm anlegen wollte. So kam es, dass Tilliam schnaubend einen Bogen um sie herum beschritt und sie dabei leicht anrempelte, wohingegen der Papierflieger weiter geradeaus flog, um auf Lisas Kopf zu landen. Sie packte ihn und betrachtete ihn neugierig.

Ob das einer dieser berühmten Findeflieger ist?

Da entdeckte sie plötzlich die Aufschrift: Für Tilliam Ajan Arles da Heresius

Der Jung-Friesus hatte bereits die Haustür erreicht und war im Begriff, sie zu öffnen.

»Äh, Tilliam …« Lisa schluckte. Nach allem, was sie bisher erlebt hatte, sollte sie jetzt eigentlich mutiger sein, aber es war doch etwas völlig anderes, sich Monstern und sonstigen Todesgefahren zu stellen, als eine soziale Phobie zu überwinden. Und bei einem verdrießlichen Kerl wie diesem, hätte sie am liebsten überhaupt nichts gesagt.

Wie er nun herumfuhr und sie zornig anblitzte, gefiel ihr überhaupt nicht: »Wage es nicht, mich derart jovial anzurufen! Mit Eure Lordschaft Tilliam Arles Najan hast du mich zu titulieren.«

Doch das wäre zu viel der Demut für diesen aufgeblasenen Kerl, deshalb sagte Lisa lediglich: »Da ist ein Brief für dich.« und streckte ihm den Findeflieger entgegen.

»Ein Brief. Für meine Großartigkeit?«

Er redet beinahe wie dieser eingebildete Friesus von Frombolie, dachte Lisa, sein Name wollte ihr jedoch nicht mehr einfallen.

Tilliam riss ihr den Findeflieger aus der Hand und fischte einen schmuddeligen zusammengerollten Zettel aus seinem Inneren – genaugenommen sah es eher nach einem Stück Rinde aus.

»Th!«, schnaubte der Jung-Friesus erbost. »Was für ein äußerst geschmackloser Scherz! Nie und nimmer handelt es sich bei diesem schmuddeligen Gekrakel um die Handschrift meiner Mutter!«, regte er sich dermaßen auf, dass sein sonst eher blasses Gesicht nun glutrot leuchtete. »Ihr Dummpatsche glaubt wohl, mich mit fingierten Hinweisen in die Irre führen zu können, aber das funktioniert nicht mit einem da Heresius. Ich weiß ganz genau, dass ihr meine Mutter irgendwo gefangen haltet und ich werde alles dafür tun …« Er hielt inne, verengte die Augen zu Schlitzen, als ob er bereits zu viel verraten hätte. Dann schleuderte er Lisa das Rindenstück gegen die Brust und machte auf dem Absatz kehrt, um das Schloss zu verlassen.

»Was war denn das?« Der Krach im Flur hatte Maja nun doch aus dem Zimmer getrieben. Nach ihrem blamablen Auftritt war ihr sämtlicher Appetit vergangen, daher hatte sie sich düstere Gedanken wälzend aufs Bett gehockt und vor sich hingestarrt.

Lisa, die gerade das Rindenstück aufhob, schaute zu ihrer Freundin empor. »Ähm, Tilliam glaubt, wir hätten einen Hinweis fingiert.« Sie zog die zu einer Rolle gekräuselte Rinde auseinander und versuchte, das Gekrakel zu entziffern.

»Zeig mal her!« Maja kam die letzten Stufen herunter und stellte sich daneben, um ebenfalls einen Blick darauf zu erhaschen.

Das Material ähnelte den weißen Fetzen, die man erhält, wenn man die obersten Schichten der Birkenrinde abzieht, allerdings um einiges dicker und reißfester. Darauf hatte jemand mit roter Tinte eine Nachricht hinterlassen – die Schrift wirkte unsauber, weil die Striche mal dicker, mal dünner wurden, und es gab auch kleinere Kleckse und einen roten Fingerabdruck am unteren Rand.

»G-glaubst du, das könnte B-Blut sein?« Lisa schluckte.

»Wenn das da unten der Name der Friesa ist …« Maja drehte ihren Kopf hin und her. Für beide war die fabolonische Schrift noch immer nicht leicht zu entziffern. »… dann ist es sehr wahrscheinlich, dass sie es irgendwie geschafft hat, aus ihrer Gefangenschaft heraus diese Nachricht zu schicken. Aus Mangel an normaler Tinte hat sie wahrscheinlich ihr Blut zum Schreiben verwendet. Soweit ich das entziffern kann, steht da: Hilfe! Bin gefangen. Waldhütte nördlich von Lostonko. Oder Lostana?

Feonore Otavia An Fam …

Wahrscheinlich soll das vor dem Klecks Familie bedeuten.

Rosanera

Pfff, ich glaube es ja nicht, Tilliam meint tatsächlich, wir hätten diesen Hinweis gefälscht?«

»Ja.« Lisa nickte. »Und danach hat er das Haus verlassen. Wahrscheinlich hat der Liebestrank seine Wirkung verloren.«

»Wir müssen sofort den anderen Bescheid geben«, sagte Maja, dankbar dafür, dass sie jetzt etwas hatte, was sie von den düsteren Gedanken ablenkte.

Die beiden Mädchen stürmten in den Speisesaal und präsentierten den anderen aufgeregt die Rinde aus dem Findeflieger. Das meiste vom Buffet war bereits verspeist worden, sodass Lisas Blicke nicht mehr allzu viel anrichten konnten.

»Ein Hinweis über den Verbleib der Friesa?« Tamando ließ sich die Nachricht geben. Wie alle anderen war er aufgestanden, um sich das Rindenstück anzusehen. »Sie befindet sich also in der Nähe von Lastonko – eine recht abgelegene, doch sehr schöne Gegend. Der nächstgelegene Ort Tobel ist ein kleiner Touristenmagnet; wegen der aufregenden Landschaft.«

Ein ziemliches Durcheinander an Fragen und Vermutungen brach in diesem Moment los, bis der durchdringende Ruf eines Raubvogels alle zum Schweigen brachte. Sämtliche Blicke wanderten zu Pipp, der sich auf diese Weise Gehör verschafft hatte: »Wir haben keine Zeit für solche Diskussionen. Nachdem der Jung-Friesus nun draußen ist, wird seine Aktion sein, uns die Wachen an den Kragen zu hetzen.«

»Da-das darf nicht sein«, stammelte Johannius, der Jangtalus, mit schreckgeweiteten Augen.

»Wohl wahr«, stimmte Tamando zu. »Nun, dann begebt euch vorsichtshalber schon einmal in das Versteck eine Etage tiefer.«

Doch kaum folgten alle den Litanias zur Bibliothek, wurde ein guter Bekannter von einem Wachmann hereinbegleitet: der Weise Alte von Fedo.

»Ardo!«, rief Valía freudig aus und musste sich zurückhalten, ihm nicht in die Arme zu fallen.

Stattdessen trat Richard auf seinen Freund zu, um ihn herzlich zu begrüßen. »Du kommst genau zur rechten Zeit, Ardo. Doch vorerst gilt es, ein Versteck aufzusuchen. Dort können wir ausführlich alles bereden.«

Auch die Hausherren grüßten den neuen Gast, woraufhin sie den Mechanismus in Gang setzten, der die Treppe in die Tiefe gleiten ließ. Nacheinander begaben sie sich an den Abstieg, während Valía nicht anders konnte, als Ardo schon mal von den vergangenen Ereignissen zu berichten. Der Weise Alte zeigte sich bestürzt über die Vorgänge bei den Jakeitern, die durch den Einweihungstrank einen Teil ihres kritischen Urteilsvermögens verloren hatten. Der Anblick des Wasserbeckens beschwor bei Nio die Erinnerungen herauf, wie er sich dort unten vor den Litanias versteckt hatte, die ihm damals noch weit weniger wohlgesonnen waren. Auch Felix sah sich wieder im Kampf mit dem Glux, als er durch die offene Tür in den entsprechenden Raum hineinspähte. Doch zwischenzeitlich hatten die Hausherren daraus einen Turnraum gestaltet, der überall mit Matratzen ausgelegt war. In einer Wandnische standen mehrere Becher und Schalen mit Knabberzeug. Rasch wandte Lisa den Blick ab. Das Einzige, was sie davon schon mal gesehen hatte, waren die gesalzenen Flusskörbiskerne und die getrockneten Papfelbeerringe, die sie natürlich nicht geschmacklich verändern wollte.

Von der Decke baumelten mehrere Seile und in die Wände waren Spalten und Griffe gemeißelt worden.

»Hier übe ich Klettern«, rief Gianna, während sie sich an einem der Seile empor hangelte, um dann damit zum nächsten zu schwingen. »Ich will das nämlich mal genauso gut können, wie ein Jakeiter.«

Renío folgte ihr. Verglichen mit anderen Jakeitern war er zwar nicht besonders geschickt, aber um es mit Gianna aufnehmen zu können, reichte es allemal, was einen äußerst positiven Effekt auf sein Selbstbewusstsein ausübte.

»Ich bleibe hier unten bei Renío«, verkündete Gianna fröhlich kletternd.

Die anderen ließen sich auf den Matten nieder, auch Johannius hatte sich im Keller eingefunden und hockte sich etwas abseits auf eine Polsterrolle. Lediglich Tamando und Liana verabschiedeten sich: »Wir werden etwaige Wachen oben in Empfang nehmen und ihnen erzählen, dass ihr diesen Ort bereits wieder verlassen habt – was beinahe der Wahrheit entspricht, je nachdem, was man unter diesemOrt versteht«, meinte der Hausherr augenzwinkernd.

»Wir sind euch sehr zu Dank verpflichtet.« Richard verneigte sich ergeben.

»Aber nicht doch«, winkte Tamando ab und wandte sich gemeinsam mit seiner Frau zum Gehen.

»Jetzt haben wir endlich eine Möglichkeit, zu beweisen, dass wir die Friesa nicht entführt haben«, meinte Valía. »Wir müssen nur noch zu diesem Lastoko-Irgendwas hingehen und sie retten.«

»Schwesterchen, du scheinst noch immer nicht zu kapieren, dass uns jemand reingelegt hat, der genau weiß, dass wir unschuldig sind«, wandte Pipp ein. »Wenn wir die Friesa befreien, wird er alles in Bewegung setzen, um uns zu vernichten.«

»Behandele mich doch nicht immer wie einen Dummpatsch!« Sie stieß den Bruder zu ihrer Linken mit der Faust in die Hüfte. »Natürlich ist mir schon klar, dass Lanero dahintersteckt, weil du ihn mit dem Gluxtier-Farbelwesen ertappt hast, aber trotzdem fehlen ihm dann immerhin die Argumente.«

»Was vollkommen egal ist, solange die Jakeiter ihm durch den Einweihungstrank hörig sind«, meinte Maja, die ausnahmsweise mal weder an Dario dachte noch Eifersucht verspürte. Vielleicht lag es daran, dass Felix dicht neben ihr auf der Matratze saß und den Arm um ihre Schulter gelegt hatte.

»Geschätzter Ardo, existiert eine Möglichkeit, die Wirkung dieses Trankes aufzuheben?«, erkundigte sich Richard. Er hatte sich, genau wie der Weise Alte, auf einer rosa gepunkteten Polsterrolle niedergelassen.

Ardo wiegte den Kopf hin und her. »Sehr diffizil … Generell bindet ein solcher Schwurtrank fürs ganze Leben, es sei denn, die Eingeweihten wurden betrogen, doch müsste man wissen, welche Zutaten der Trank enthält, dann gäbe es vielleicht eine Möglichkeit …«

»Aber wie sollen wir das denn rausfinden?«, stöhnte Valía.

»Gar nicht«, meinte Pipp grimmig und dachte dabei an Túlipa, die höchstwahrscheinlich bis an ihr Lebensende nicht kapieren wird, welch hinterhältiges Spiel ihr Vater treibt.

»Können wir irgendetwas gegen die schwarzen Farbelwesen im Palast unternehmen?«, wechselte Lisa das Thema. Diese Frage erschien ihr doch die Drängendste für das ganze Land.

»Was hast du denn vor?«, fragte Felix. »Wir spielen die Superhelden, stürmen den Palast und nehmen gleich mehrere schwarze Halbwesen samt der anderen dunklen Typen fest?«

»N-n-nein! Da-das könnt ihr nicht!«, rief Johannius bestürzt. »D-die Ra-Radon sind sehr mä-mächtig. Sie können sich te-teleportieren, wo-wohin sie wo-wollen und eu-euch genauso.«

Gekränkt presste Lisa die Lippen zusammen. »Ich meine auch eher so was wie einen Aushang für die Leute. Die Menschen müssen doch wissen, wer das Land eigentlich regiert.«

»Nun, das ist wohl wahr«, meinte der Weise Alte nickend und verschaffte Lisa damit ein Wohlgefühl. »Diese Aufgabe könnten Boten übernehmen, doch wir sollten uns klar darüber sein, dass ein solches Vorgehen zu viel Unruhen und Zweifeln führt. Wenn etwas derart Dramatisches verbreitet wird, reagieren viele Menschen häufig mit Unglauben und Abwehr. Wir müssen damit rechnen, dass die Boten, die so etwas verbreiten, als Lügner dargestellt werden. Dennoch gebe ich dir Recht, mein Kind, die Wahrheit muss ans Licht kommen.«

»Also sollten wir als nächstes so vielen Boten wie möglich davon erzählen«, meinte Nio, der es genauso sah wie Lisa. Diese ungeheuerliche Sache durfte nicht länger im Geheimen bleiben.

»Und was ist mit der Friesa? Soll sie so lange in ihrem Gefängnis leiden?«, kam Valía auf das andere Thema zurück.

»Ach, das lässt sich sicher alles miteinander verbinden«, meinte Felix schmunzelnd. »Während unserer Flucht vor den Wachen, suchen wir auf dem Weg zur Friesa, nach Boten. Alleine bei der Vorstellung fühle ich mich jetzt schon wie Superman.« Er ließ zwei blinkende Strahlen aus seinen Händen durch den Raum wandern.

»Superman?« Valía legte den Kopf schief und runzelte die Stirn. »Du meinst, dann bist du ein super Mann?«

»Ach, so nennt sich ein Held aus einem Film auf der Erde.«

»Ja, ich will eine Heldin sein!«, rief Valía begeistert.

Lisa fühlte sich jedoch überhaupt nicht wie eine Heldin. Sie hätte sich am liebsten irgendwo verkrochen. Es war eher wie ein äußerst unangenehmer innerer Drang, der sie manchmal nach vorne preschen ließ, weil der Gedanke an die schlimmen Dinge in dieser Welt noch unerträglicher war als die Flucht davor.

»Es gibt jedoch noch ein Problem, das dringlicher ist als alle anderen«, gab Ardo zu bedenken. »Die grauen Flecke breiten sich unaufhörlich aus und noch immer wissen wir nicht mit Gewissheit, worin die Ursache dafür liegt. Und so lange wir diese nicht eindeutig identifiziert haben, können wir sie auch nicht beseitigen. Ein Fischerdorf im Süden ist bereits arg in Bedrängnis geraten und ich gedenke demnächst, dort hinzureisen, unter anderem, weil in der Gegend eine Gruppe Senguans gesehen wurde. Für den Magieausgleichstrank benötige ich dringend noch mehr ihrer Krallen. Ach, da fällt mir ein …«

Der Weise Alte kniete sich auf den Boden und fischte aus seiner Umhängetasche einen ganzen Haufen an leeren Phiolen. Diese stellte er vor sich ab und entstöpselte sie. »Dass ich darauf nicht schon viel eher gekommen bin …«, murmelte er kopfschüttelnd. »Damit ihr nicht zu jedem grauen Fleck mitkommen müsst, um eure Magie hineinzuschicken, gebt doch bitte einfach etwas davon hier hinein. Lisa, bitte beginne du zuerst. Hier habe ich etwas von der Quelle vom Tempel des Wassers mitgebracht.« Er reichte ihr eine Flasche. Bereitwillig spendeten die Erdoni etwas von ihrer Magie und beobachteten, wie in den Phiolen die Farbe wechselte. Zuletzt gab Ardo noch je einen Tropfen seines Elixiers hinzu, der sich mit dem bunten Mischmasch darin zu einem reinen, leuchtenden Weiß vermengte.

»Oh! Was ist das?«, wollte Gianna wissen. Er und Renío waren herzugekommen und beobachteten neugierig, was der Weise Alte da zusammenbraute.

»Grandios!«, freute sich Ardo. Er reichte Gianna und Renío je eine Phiole. »Wenn jemand von euch wegen eines grauen Fleckes in Not geraten sollte, träufelt ihr einen oder mehrere Tropfen davon darauf.«

Die Kinder nahmen die Fläschchen ehrfürchtig entgegen und verwahrten sie sorgfältig in ihrer Kleidung.

Außer an Johannius reichte Ardo nun den anderen je zwei der Phiolen, die restlichen geschätzten dreißig Stück steckte er selbst ein.

»Jetzt kann also jeder von uns graue Flecke auflösen!«, rief Valía begeistert.

»Ja, doch verwendet sie weise. Es sind zu viele große Stellen, um das Elixier wahllos zu verteilen, daher sollte es nur verwendet werden, wenn jemand dadurch in Not geraten ist.«

»Ist doch klar«, meinte Valía.

»Nun, da ihr nach Lastonko aufbrecht, habe ich noch eine weitere Aufgabe für euch«, fuhr Ardo fort. »Es liegt zwar nicht ganz in der Nähe, aber die Richtung stimmt zumindest. In der Takuma-Wüste gibt es einen verborgenen Ort. Ich werde euch ganz genau beschreiben, wie man zum Eingang gelangt, denn über einen anderen Weg werdet ihr ihn nicht finden.«

»Was sollen wir denn in einer Wüste?« Majas Blick verdüsterte sich. Das, was ihr dabei vor allem missfiel, war der Gedanke an Dario. Er scheute die Sonne, wovon es in einer Wüste normalerweise im Überfluss gab, dafür aber eher wenig Schattenmöglichkeiten, um sich vor ihr zu verbergen. In die Wüste würde er Maja also sicher nicht begleiten, was ihr Herz spürbar beschwerte.

»Dort befindet sich ein Farbelwesen namens Blauvioletter Engel. Es handelt sich um magisches Quellwasser, dem man eine einzige Frage stellen kann, bevor es sich verflüchtigt.«

»Das ist ja wunderbar!«, rief Gianna aus. »Ich will auch mitkommen, um den Blauvioletten Engel zu sehen.«

»Nun, das solltest du mit deinen Eltern besprechen«, meinte Richard. »Überhaupt halte ich diese Mission für zu gewagt, um sie Kindern und Jugendlichen anzuvertrauen.«

»Wir haben bei den Jakeitern viel gefährlichere Sachen gemacht«, fuhr ihn Valía an. »Und so eine Quelle zu suchen klingt für mich jetzt nicht gerade schwer.«

»Nun, wie jede Wüste bietet auch die Takuma verschiedene Gefahren, doch wenn ihr meine Anweisungen genauestens befolgt, wird euch vermutlich nichts passieren.«

»Vermutlich …« Der Schulrektor schnaubte, verkniff sich jedoch weiteren Widerspruch, da ihm natürlich auch die große Bedeutung dieser Mission für den Planeten bewusst war, auch wenn er die gefühlte Verantwortung für die Jugendlichen nicht einfach ablegen konnte.

»Aber Ardo, warum hast du eigentlich nicht schon viel früher die Quelle gefragt? Wenn du doch so genau weißt, wo sie ist.«

»Nun, der Haken an der Sache ist, sie fließt nur etwa alle fünfzig Jahre einmal. Ich bin schon sehr häufig dort gewesen, doch nie war das Becken darunter gefüllt. Entweder kam mir jemand zuvor und hat das Wasser bereits für seine eigene Frage verwendet oder sie ist in dieser Zeit nicht geflossen.«

»Und woher weißt du dann überhaupt davon? Vielleicht ist alles nur ein Märchen«, gab Nio zu bedenken.

»O nein. Vor langer Zeit bin ich selbst einmal in den Genuss gekommen, diesem Quellwasser meine Frage zu stellen.«

»Und was wolltest du damals wissen?«, erkundigte sich Gianna neugierig. Doch Ardo lächelte nur verschmitzt und zog rasch seinen Arm fort, als Renío versuchte, nach seinem Handgelenk zu greifen. »Es ging um etwas Persönliches …«

Lisa beobachtete, wie sich die Wangen des Alten leicht röteten.

Vielleicht war er auch mal verliebt. Ja, ganz bestimmt sogar …

»Also, dann fliehen wir vor den Wachen, suchen die Boten auf, um ihnen von den Radon zu erzählen, befreien die Friesa und fragen den Blauvioletten Engel nach den grauen Flecken«, fasste Felix zusammen. »Das klingt nach einem umfangreichen Plan.«

Der Weise Alte hatte gerade angefangen, die Details zu erklären, wie man zum Blauvioletten Engel gelangt, als Tamando im Türrahmen auftauchte. »In der Tat waren eben einige Wachen bei uns, die sich nach dem Verbleib der geflüchteten Ex-Jakeiter erkundigten. Nachdem sie euch jedoch nicht vorfanden, verließen sie unser Anwesen.«

»Puh, das ging ja echt schnell«, meinte Valía. »Dann können wir jetzt wieder nach oben gehen?«

»Zur Sicherheit sollten wir besser noch eine Weile hierbleiben«, meinte Ardo, als in diesem Moment die Geräusche von schweren Schritten auf der Treppe lautwurden. Tamando fuhr erschrocken herum und Lisas Puls schnellte in die Höhe.

Wir sitzen in der Falle!

Verwitterte Badhütte

Fabolon, Faresia, 1214 Najan 7

»Verlasst sofort diese privaten Gemächer!«, rief Tamando, nachdem er die Tür zum Turnraum hinter sich geschlossen hatte und den Eindringlingen geistesgegenwärtig entgegentrat.

»Ihr versteckt Kriminelle in euren Gemächern«, antwortete ein tiefer Männerbass, der sicher nicht zu einer dieser magischen Wachen gehörte.

»Dem muss ich entschieden widersprechen. Das Einzige, was hier kriminell ist, ist euer widerrechtliches Eindringen in unseren Besitz. Was habt ihr im Übrigen mit meinen Wachen gemacht?«

»Eine Wolke aus Schlafstaub bewirkte wahre Wunder, doch lenke nicht ab und gib den Weg frei, ansonsten zwingst du uns, Gewalt anzuwenden.«

Im Raum dahinter hockten alle steif vor Schreck da und dachten fieberhaft über einen Ausweg nach. Vor allem Johannius konnte sich sein ängstliches Wimmern kaum verkneifen. Da erhob sich plötzlich der Weise Alte, winkte die Kinder herbei und flüsterte ihnen etwas zu: »Ihr beiden tanzt jetzt lachend durch diese Tür und spielt Fangen miteinander, dann verschwindet ihr nach oben, damit seid ihr schon mal außerhalb ihrer Reichweite.«

»Na gut.« Gianna nickte, fasste Renío dann an der Hand. Ardo öffnete die Tür und beide stürmten lachend hinaus.

Lisa konnte sich die verdutzten Blicke der Wächter lebhaft vorstellen, die sicherlich nicht erwartet hatten, hier unten zwei spielende Kinder anzutreffen.

»Nun, wie ihr seht, habe ich hier unten Spielräume für den Nachwuchs eingerichtet«, bemerkte Tamando.

Daraufhin trat auch der Weise Alte aus dem Saal. »Ah, ich hörte, dass Wachen vor Ort sind. Wie gut, dass ich euch hier treffe. Mein Name ist Ardo aus der Familie Taron und ich wurde von den Jakeitern beauftragt, die grauen Flecke zu beseitigen, die sich überall ausbreiten. Eine äußerst wichtige Mission, doch nun verfolgt mich schon seit geraumer Zeit ein junger Mann, der sich als Friesus ausgibt und nicht ganz richtig im Kopf ist. Er erzählt wirres Zeug und hält mich für einen dieser gesuchten Ex-Jakeiter. Könntet ihr mir bitte Geleitschutz geben, damit ich unbehelligt die Stadt verlassen und diese dringliche Mission erfüllen kann?«

»Nun …« Im Hirn der Wachen arbeitete es fast hörbar. Lisa und auch die anderen im Saal dahinter hielten die Luft an. »Wenn dem so ist … dann komm mit.«

Die Schritte entfernten sich und auch Tamando tauchte nicht mehr auf. Die Stille rauschte in Lisas Ohren. Keiner rührte sich, niemand sprach ein Wort, angespannt lauschten alle auf jedes noch so sanfte Geräusch. Umso erschrockener zuckten sie zusammen, als Johannius plötzlich heftig schluchzend in Tränen ausbrach. Er zitterte jämmerlich und verbarg das Gesicht in der Armbeuge.

Wer weiß, was er in seinem Palast alles ertragen musste, dachte Lisa mitfühlend, und das von klein auf.

Der Impuls, ihn zu trösten, erstarb jedoch im Nichts. Irgendwie erschien es Lisa unpassend vor all den Leuten im Saal. Glücklicherweise beruhigte sich der Jangtalus genauso schnell wie er in Tränen ausgebrochen war. Er zog die Nase hoch und verkroch sich beschämt hinter seiner Polsterrolle. Nie im Leben würde jemand auf die Idee kommen, dass er den höchsten Stand Fabenias bekleidete – zumindest formal. Noch immer erschien es Lisa unfassbar, dass es sich bei den eigentlichen Herrschern um schwarze Halbwesen handelte, die sich in geschickter Weise unangreifbar im Hintergrund hielten.

Haben sie etwas mit den grauen Flecken und den Monstern zu tun oder ist das alles unabhängig voneinander entstanden?

»Puh, sind sie jetzt endlich weg, oder tauchen die Wachen gleich noch einmal hier auf?«, stöhnte Valía.

»Mir scheint, als ob Ardos Ablenkungsmanöver tatsächlich geglückt ist«, meinte Felix.

»Wahrlich ein vortrefflicher Plan.« Auch Richard hatte seine Sprache wiedergefunden, selbst wenn die Haut um seine Nase noch recht blass schimmerte. »Auf diese Weise konnte ein Kampf vermieden werden.«

Die Erdoni und Faboloni harrten noch eine ganze Weile aus, dann begannen sie, bis auf Richard und Johannius, an den Wänden und Seilen herumzuklettern, um sich die Zeit zu vertreiben. Während sie verstrich, war das Knabberzeug bald aufgebraucht und alle übermannte eine gelangweilte Müdigkeit. Johannius hatte sich so weit beruhigt, dass er nun begann, die Kellerräume zu inspizieren.

Weshalb kehrt Tamando nicht zurück?, fragte sich Lisa immer öfter, je länger es dauerte, und auch alle anderen wurden allmählich ungeduldig. Die meiste Zeit verbrachte sie damit, heimlich zu Nio zu schielen, um ihre Gedanken vor lauter schlechtem Gewissen gleich wieder auf Tim zu lenken. Die Jungs vertrieben sich die Zeit mit Gesprächen über die Unterschiede der beiden Welten und Felix erklärte die Regeln eines Fußballspiels. Valía hing förmlich an seinen Lippen, während Maja auf einer Matratze lag und geistesabwesend zwischen den Seilen hindurch zur Decke starrte. Wie so oft hielt Richard die Geschehnisse ausführlich in seinem Tagebuch fest, einschließlich Ardos Anweisungen, wie man zum Blauvioletten Engel gelangte.

Es war Liana, die schließlich ins Turnzimmer hereintrat: »Nun habt ihr lange ausgeharrt. Mein Gemahl und ich gehen davon aus, dass es nun sicher für euch sein müsste, in die oberen Räumlichkeiten zurückzukehren.«

»Wir danken euch herzlich für eure Unterstützung«, sagte Richard, erhob sich von der Polsterrolle und reckte seine steifen Glieder. »Doch ich denke, wir sollten alsbald aufbrechen. Wir haben dringliche Missionen zu erledigen. Wie spät ist es?«

»Der blasse Mond hat den Zenit bereits überschritten.«

»Ja, nun, so schlage ich vor, wir schlafen uns sicherheitshalber hier unten noch aus und brechen dann bei Tagesanbruch auf.«

»Unser Schulrektor hat mal wieder die Führung an sich gerissen«, stichelte Felix grinsend. »Aber von mir aus.«

»In diesem Falle lasse ich im Brunnensaal nebenan etwas für euch auftischen. Ihr müsst wahrlich umkommen vor Hunger«, sagte sie mit Blick auf die leeren Knabberzeugschalen.

»Ganz so schlimm ist’s nicht«, meinte Pipp. »Der Unterzucker beschert mir lediglich erquickende Schwindelanfälle und der Muskelschwund wirkt sich positiv auf meine schlanke Linie aus.« Er beendete seine Ausführungen mit dem Gejaule eines sterbenden Gurluxes.

»Also, wenn du wieder solche Scherze treiben kannst, wirkt der übermächtige Hunger erstaunlich positiv auf deine Laune«, kommentierte Nio.

Ein unerträgliches Ziehen an Majas Herzen hielt sie wach. Sie lag auf ihrer Matratze und starrte zwischen den Seilen hindurch zur Zimmerdecke. Sanftes Atmen füllte die Ruhe im Kellerraum, nur hin und wieder unterbrach ein lauter Schnarcher von Richard oder ein Wimmern von Johannius die friedliche Stille. Durch die Lichtlöcher in der Decke drang lediglich ein matter Schimmer des blassen Mondes, sodass Maja die Umrisse der Gegenstände und Menschen im Raum höchstens schemenhaft wahrnehmen konnte.

Bestimmt wartet Dario auf dem Dach …, dachte sie, wobei sie erbitterte Schlachten mit dem Drang austrug, hinaufzugehen. Plötzlich nahm sie aus den Augenwinkeln eine schattenhafte Bewegung an der Tür wahr und fuhr mit pochendem Herzen in die Höhe. Mit jeder Pore ihres Seins konnte sie Darios Anwesenheit spüren.

Aber wie kann das sein? Wie hat er den Weg hier hinuntergefunden?

Maja strengte sich an, die Schwärze um sie herum zu durchdringen und glaubte, einen Schatten in der Gestalt eines Mannes im Türrahmen zu erkennen. Schwer atmend rappelte sie sich auf und stelzte vorsichtig um die Matten herum auf ihn zu.

»Dario?«, wisperte sie atemlos.

»Schscht!«, zischte er und packte Maja am Handgelenk, um sie aus dem Raum hinauszuziehen. Vor Schreck stolperte sie beinahe über ihre eigenen Füße. Sachte zog Dario die Tür zu, sodass Majas tiefer Atem nur noch vom sanften Sprudeln des Brunnens begleitet wurde. Im Wasser hat jemand Lichter eingebaut, die magische Reflexe über die Höhlenwände tanzen ließen. Auch Darios Haut und Haar schimmerte in sanftem Blauton.

»Bleib bei mir!«, hauchte er aus rauer Kehle und zog sie so fest in seine Arme, dass sie das kräftige Pochen seines Herzens an ihrer Brust spüren konnte. Ein leidenschaftlicher Kuss zerteilte ihre Lippen, den sie nur allzu willig erwiderte, nachdem die Sehnsucht sie beinahe zerfressen hatte. Und aufs Neue spürte Maja, wie ihre Magie mit der seinen einen Reigen tanzte, wie sich die Energien in einem dunklen Wirbel vermengten. Doch gleichzeitig fühlte sie sich dieser gewaltigen Macht, die sie gemeinsam entfesselten, zunehmend unterlegen, je länger der Kuss andauerte. Alle Kraft schwand aus ihrem Leib, die Knie gaben nach. Maja wäre eingeknickt, hätte Dario sie nicht festgehalten.

Was ist das? Was passiert hier mit mir?

Keuchend versuchte sich Maja loszureißen, doch sie fühlte sich viel zu schwach für eine Gegenwehr und schaffte es gerade mal, den Kopf wegzudrehen.

»Lass mich …«, keuchte sie. »Deine Magie … raubt mir alle Kraft …«

Für einen Moment hielt Dario regungslos inne, als müsste er erst einmal verarbeiten, was sie gesagt hatte.

»Es liegt daran, dass du dich selbst blockierst. Lasse deine Magie fließen …«

»Nein.« Kraftlos stieß ihn Maja von sich. »Das ist zu gefährlich, außerdem sollte ich das hier überhaupt nicht tun.«

»Du widerstehst dieser skurrilen Verführung genauso wenig wie ich, doch du hast Recht, du solltest dich fern von mir halten. Diese unerträgliche Anziehung behindert den klaren Verstand und sollte ein für alle Mal beseitigt werden.« Entgegen seinen Worten schloss er sie fester in seine Arme – zu fest.

»Lass mich los!« Während sich Maja herauszuwinden versuchte, spürte sie, wie sich ein Schwall dunkler Magie in ihr zusammenbraute.

»Leite es in den Boden!«, befahl Dario plötzlich, wobei er nun tatsächlich lockerließ, wohl in Erinnerung an ihr Zusammentreffen auf dem Turm der Jakeiterburg, wo Maja beinahe durch die Implosion ihres eigenen Zaubers gestorben wäre. »Wie kann man nur so ungeschickt mit der Magie umgehen«, fügte er ärgerlich hinzu, während sich Maja nun darauf konzentrierte, die überschüssige Energie in den Boden zu leiten.

»Doch nicht so!« Dario bückte sich, um die komisch wabernden Schatten auf dem Untergrund zu beseitigen. »Visualisiere dabei, wie es sich in der Materie auflöst.«

»Woher soll ich das alles wissen?«, zischte Maja. »Mir hat das niemand beigebracht. Wie kommst du überhaupt hier herunter?«

»Ein läppisches Fingerspiel für den Herrscher über die Schatten. Mir bleibt nichts verborgen, auch nicht diese lächerlichen Kämpfer, die heute Nacht über die Mauer geklettert sind, um sich rundherum zu postieren.«

»Welche Kämpfer? Die Wachen der Litanias oder die Wachen von gestern?«, erkundigte sich Maja aufgeregt.

»Kämpfer von der Burg, auf der auch du gewesen bist«, bemerkte Dario schulterzuckend. »Ein lächerliches Spiel, das sie da spielen in der Dunkelzeit.«

»Kein Spiel! Die sind hier, um uns einzufangen. Deshalb haben wir uns ja hier unten versteckt. Wir müssen aber dringend zu einem Ort namens Lokano, oder so ähnlich.«

Selbst im fernen Brunnenlicht konnte Maja den Schatten erkennen, der sich über seine Miene legte. »Bleib bei mir!« Obwohl es nach einem Befehl klang, brachte der leidende Ausdruck seiner Augen ihr Herz zum Flattern.

»Und dann? Was soll ich bei dir machen, den ganzen Tag über? Oder eher die ganze Nacht, weil am Tag kannst du nicht mal in die Sonne, oder Farella. Was wäre das für ein Leben?« Sie schüttelte den Kopf. »Ich gehöre zu Felix.«

Dario schnaubte abfällig. »Was willst du mit diesem Weichlich?« (ein Schimpfwort der Monda für schwächliche Angsthasen). Zornig packte er ihr Handgelenk und zog sie besitzergreifend zu sich heran. »Bleib!«

»Nein«, keuchte Maja, betört von der körperlichen Nähe einerseits, von der Empörung über seine Zudringlichkeit andererseits, und versuchte, sich aus der Umklammerung zu winden. »Du sagst doch selbst, ich sollte mich fern von dir halten, weil die Anziehung den klaren Verstand raubt.«

»Dann verschwinde auf Ewig aus meinen Augen!«, knurrte Dario mit der Stimme eines verletzten Tieres, wobei er sie nun von sich stieß und gleich einem körperlosen Schatten in der Dunkelheit des Ganges verschwand.

Maja fühlte sich ähnlich elend wie am Abend zuvor, als sie Dario ebenfalls abgewiesen hatte. Es funktionierte einfach nicht mit ihm.

Wie könnte man mit so einem schwarzmagischen Typen aus einer anderen Welt auch eine normale Beziehung führen? Anziehung hin oder her, das kann nicht gutgehen. Ich sollte ihn besser nie wiedersehen und endgültig vergessen.

Doch bei jedem einzelnen Wort dieser Gedanken perlten Tränen aus Majas Augen und rannen über ihre Wangen.

Warum tut das so weh? Was ist das zwischen uns?

Sie hockte sich auf den Boden und vergrub ihr Gesicht in den Händen.

»Maja?« Es war Felix. Erschrocken hielt sie die Luft an, als sich ihr Freund näherte, um sich neben ihr niederzulassen. »Hast du geweint?«, erkundigte er sich betroffen. »Ist alles nicht leicht, hm?« Er legte seinen Arm um ihre Schulter.

»Ähm, ja.« Das mit Dario konnte und wollte sie ihm nicht erzählen, aber wie sollte sie ihren Zusammenbruch sonst erklären? »Da draußen lauern die Jakeiter auf uns«, fiel ihr plötzlich die nicht unerhebliche Information von Dario ein.

»Was? Woher weißt du das?«

Mist!

»Ich weiß es eben …«, brummte sie unwillig.

»Du hast aber nicht deshalb geweint, oder?«

»Nein, natürlich nicht.« Maja rappelte sich auf. Sich von Felix wegen Dario trösten zu lassen, war absolut unpassend.

»Aber woher willst du es dann wissen? Warst du etwa draußen?«, fragte er, während er sich ebenfalls erhob.

»Jetzt hör endlich auf zu fragen! Ich weiß es einfach, okay?«, fuhr sie ihn nun zornig an.

»Jaja, hab schon verstanden.« Felix hob abwehrend die Hände. »Irgendein Geheimnis, das ich nicht wissen darf und das wahrscheinlich mal wieder mit diesem unsichtbaren Typen zusammenhängt.«

Maja schnaubte unwillig.

»Siehst du, da du ja nicht mal an ihn glauben willst, brauche ich dir auch nichts von ihm zu erzählen, oder?«

»Also war er hier?«, bohrte Felix weiter. »Hier unten?«

»Ja, aber das ist doch jetzt auch egal. Draußen lauern die Jakeiter und wir müssen die anderen wecken und uns überlegen, wie wir hier rauskommen.«

»Wenn sie wirklich da draußen sind, hast du natürlich recht, aber dann frage ich mich, was passiert ist, dass du uns das nicht schon erzählt hast und stattdessen heulend hier herumsitzt.« Mit den letzten Worten wurde seine kritische Stimme deutlich weicher.

»Mir ist einfach alles zu viel, die schwarze Magie, die ständige Flucht, meine Eifersucht … manchmal wünschte ich mir, dass das alles für immer aufhört …«

Felix schluckte merklich und trat auf Maja zu, um sie in die Arme zu schließen, was sie unter heftigem Schütteln nun doch über sich ergehen ließ. »Hey, das kann ich verstehen. Du wirst sehen, es wird wieder alles besser werden. Und irgendwann lernst du auch, mit deiner Magie zurechtzukommen.«

Maja erwiderte nichts darauf, doch sie bezweifelte das. Bisher war überhaupt nichts besser, sondern eher schlimmer geworden. Ein Problem folgte dem nächsten und wenn sie das Gespräch mit Dario wirklich ernst nahm, dann würde ihr Herz wohl an der ewigen Sehnsucht irgendwann zerbrechen. Außerdem war es nur eine Frage der Zeit, bis sie sich oder jemand anderen durch ihre schwarze Magie schwer verletzte, dazu hatte sie die, in ihr wachsende Kraft viel zu schlecht unter Kontrolle.

»Komm, dann wecken wir mal die anderen«, fuhr Felix fort. »Wenn draußen tatsächlich Jakeiter auf uns lauern, kommen sie bestimmt auch bald ins Schloss rein. Außerdem haben ihnen die Wachen höchstwahrscheinlich von diesem Kellerversteck berichtet, so gesehen hätten wir genauso gut auch oben übernachten können.«

Doch es war gar nicht mehr notwendig, die anderen zu wecken, die bereits aufrecht saßen, als Felix und Maja eintraten. Graublaue Lichtstrahlen schienen durch einige Deckenlöcher in den Saal, woran man erkennen konnte, dass der Morgen bereits angebrochen war.

»Maja hat das Gefühl, dass die Jakeiter draußen auf uns lauern«, eröffnete Felix, was Maja zwiespältig aufnahm, einerseits klang es so, als könnte es auch ihrer Einbildung entspringen, andererseits war sie ihm dankbar, dass er Darios Rolle dabei verschwieg.

»Neeeiiinnn …« Johannius schlug sich die Hände vors Gesicht.

»Misch dich doch unter die anderen Grauen. Dort wird sicher niemand auf dich aufmerksam werden«, schlug Nio vor. »Das ist auf jeden Fall sicherer, als sich bei uns zu verstecken. Schließlich werden wir gesucht.«

Der Jangtalus nickte heftig und beeilte sich, zum Ausgang zu kommen und auch die anderen folgten ihm. Da die Treppe jedoch noch hochgeklappt war, kamen sie nicht hinaus.

»Und was, wenn die Jakeiter gerade jetzt dort oben auf uns lauern?«, sorgte sich Lisa. »Sollten wir nicht lieber hier unten warten, bis uns Tamando oder Liana holen?«

»Quaritsch. Das kann viel zu lange dauern«, meinte Valía. »Ich habe langsam die Nase voll davon, tatenlos herumzuhocken, außerdem wissen die Jakeiter doch bestimmt schon von diesem Versteck und hier unten sitzen wir in der Falle, wenn sie kommen.«