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Dritter Band des gefühlvollen Fantasy-Liebesromans
Während sowohl Inea als auch Beata mit ihren Gefühlen kämpfen, treiben unregistrierte Schattenmagier ihr Unwesen im Taunus. Sogar ein Mitglied des Rates wird von einem liebeshungrigen Umbro verfolgt.
Leseprobe
Nein, ich kann sie jetzt unmöglich ansehen. Ihren Blick voller Schmerz und Enttäuschung könnte ich nicht ertragen. Stattdessen eile ich mit mächtigen Schritten aus dem Bad hinaus, durch den Flur und aus der Tür, die ich laut hinter mir ins Schloss knallen lasse, nicht aus Wut, sondern aufgrund der emotionsgeladenen Spannung, die mein Herz durchflutet: Schmerz, sie und auch mich selbst verletzt zu haben, Frust darüber, dass ich diese Gefühle nicht leben kann, Enttäuschung und Wut über mich selbst, dass ich mich zu diesem Kuss hinreißen ließ - all das vermengt sich zu einem Cocktail, der mich schier zum Bersten bringt und mir kaum Luft zum Atmen lässt. Ich flüchte mich in mein Auto und sause ganz gegen meine Gewohnheit mit quietschenden Reifen davon.
Flammentanz
Band I - Funken
Band II - Flammen
Band III - Feuer
Band IV - Brand
Band V – Glut (Finale)
Romantasy mit einem Hauch Erotik, ab 16 Jahren
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Inhaltsverzeichnis
Freitag
Neues Mitglied
Flammentanz
Flocke
Klempner
WG-Zuwachs
Majas Angst
Anschlag
Geburtstagsparty
Torins Sicht
Dunkelmagier
Nächstes Kapitel
Verfolgung
Aurigon
Erwachen
Zelle
Urotan
Fremde Welt
Tal der Verdammnis
Suche
Hortauren
Vereint
Nachwort und Danksagung
Ode an meine Testleser
Glossar
Impressum
FLAMMENTANZ
Feuer
Isabella Mey
Band III
Angst klammert eifersüchtig,
Liebe schenkt Raum zur Entfaltung
.
Inea, Freitagmittag
Oh, Himmel rette mich! Wovor? Na, vor mir selbst, meiner Liebe zur Unmöglichkeit, vor der Welt des Chaos im Allgemeinen und finsteren Magiern im Besonderen!
Markus hat die Tür zu meiner geliebten Wohngemeinschaft hinter sich geschlossen und mich zurückgelassen mit einem Alltag, der seit geraumer Zeit diese Bezeichnung nicht mehr verdient. OK, so lange ist es auch wieder nicht her, dass sich mein gemächlich vor sich hinplätscherndes Leben in einen Wildwasserbach mit Stromschnellen und Wasserfällen verwandelt hat, aber es kommt mir zumindest so vor.
Entgegen meines Entschlusses, mich mit Beata in Frauengespräche zu vertiefen, verkrieche ich mich in mein Zimmer. Ich verspüre das Bedürfnis, eine Weile alleine zu sein, um meine Gedanken und Gefühle zu sortieren und meine seelischen Abgründe zu reinigen. So schließe ich die Tür, lege mich auf meine Couch und lasse meinen Blick versonnen durch das große Fenster in die Ferne schweifen.
Die vergangen zwei Wochen waren dichter mit Abenteuern gespickt als das komplette Leben eines Max Mustermanns. Ich habe meine Feuermagie entdeckt und kontrollieren gelernt, habe zwei Mal mit einem Lichtmagier gekämpft und wurde von dieser liebeskranken Leyla entführt, vor der ich durch eine fremde Welt voller Untiere fliehen musste. Dann ist da auch noch dieser Lord der Schatten, zu dem nun die Körper- und angeblich auch die Liebesverbindung aufgelöst wurde. Ich kann allerdings nicht aufhören, letztere noch immer zu fühlen. Wenn ich so darüber nachdenke, hat mich dieser Mann schon vom ersten Blick in seine Augen in den Bann gezogen – damals am Main-Kai. Es war wie ein enormer Sog gewesen, der mich bis tief in seine Seele hat blicken lassen – unheimlich, rätselhaft aber auch irgendwie magisch. Zu diesem Zeitpunkt kann die Schattenmagierin ihre Finger noch gar nicht im Spiel gehabt haben, denn nach dem Gespräch mit Torin wurde klar, dass die gemeinsamen Träume auf dem Turm ein Symbol für die magische Liebesverbindung gewesen sind. Das wiederum müsste bedeuten, dass da etwas zwischen uns sein muss, etwas, das nichts mit dem Zauber zu tun hat, etwas Tiefes, unheimlich Intensives. Der Ausdruck Liebe auf den ersten Blick kann dieses Gefühl nicht annähernd beschreiben und dennoch frage ich mich, wie ein kurzer Augenkontakt ausreichen kann, um ein solches Feuer zwischen uns zu entfachen.
Ich muss ein wenig grinsen über die Doppeldeutigkeit dieses Satzes.
Torin!
Es fällt mir ungeheuer schwer, zu akzeptieren, dass er mich nicht haben will an seiner Seite. Mein Herz fühlt sich schwer an, wie ein Mühlstein, wenn ich nur an ihn denke.
Jemand klopft an meine Zimmertür.
»Ja?«
Beata öffnet und streckt ihren Kopf durch den Spalt.
»Ist er weg?«, fragt sie, während ihr Blick forschend durch den Raum schweift.
»Wer? Ach so! Ja, Markus ist schon gegangen. Ich habe mich nur zurückgezogen, um alles in Ruhe zu verdauen, aber komm ruhig rein.«
Sie hockt sich neben mich auf die Couch.
»Was hast du eigentlich gegen Markus?«, frage ich neugierig und auch ein wenig scheinheilig, weil mir der Schattenmagier ja bereits verraten hat, dass er ihrem Ex-Freund ähnelt.
Doch Beata weicht mir mal wieder aus, indem sie den Blick abwendet und etwas murmelt wie: »Gar nichts.«
Erfahrungsgemäß geht es nach hinten los, wenn ich weiterbohre. Außerdem hebt sie jetzt den Blick und wechselt abrupt das Thema:
»Aber jetzt erzähl doch mal! Dass du mit einem fingerlutschenden Leo durchgebrannt bist, war doch reine Erfindung, stimmt’s?«
Neugier sprüht aus ihren Augen und ich muss grinsen bei der Erinnerung an die entsprechende Szene, obwohl ich gleichzeitig ein wenig frustriert darüber bin, dass meine Freundin noch immer nicht bereit ist, sich zu öffnen.
»Na ja, wie man’s nimmt! Ein Körnchen Wahrheit steckt schon in der Geschichte«, beginne ich und hole tief Luft, um mit einer ausführlichen Erzählung zu beginnen, da unterbricht mich jedoch die Türglocke. Ich lasse meinen vor Schreck angehaltenen Atem hörbar entweichen. Dann springe ich auf, um zu öffnen, denn ich ahne bereits, wer das sein könnte. Wenn Liliana mich jetzt besucht, wäre das äußerst praktisch, denn dann brauche ich die Geschichte nicht doppelt erzählen.
Doch mit der Person, die mir nach dem Öffnen der Wohnungstür im Treppenhaus gegenübersteht, habe ich im Leben nicht gerechnet. Ich muss ein paar Mal blinzeln, weil ich sie im ersten Moment gar nicht erkenne und im zweiten Moment nicht glauben kann, was ich da sehe: Es handelt sich eindeutig um Tina Besset, zumindest bezüglich Gesicht und Figur. Und dennoch blickt mir hier ein anderer Mensch in die Augen – nicht nur, weil sie mir ihre Fassade zum allerersten Mal völlig ungeschminkt präsentiert und sie die langen roten Haare durch einen schlichten Pferdeschwanz bändigt, sondern auch, weil sich der gewohnt arrogante Ausdruck völlig aus ihren Gesichtszügen verabschiedet hat. Stattdessen wirkt sie weich und ein wenig unsicher. Mein verwunderter Blick bringt Tina Besset jetzt sogar zum Lächeln. Auch das wäre schon ein Eintrag in meinem Tagebuch wert – wenn ich denn eines führen würde.
»Hallo, Frau D’Orayla! Ähm, ich kann mir denken, dass Sie sich ein wenig wundern über meine Erscheinung! Ich, ähm … ich wollte mich bei Ihnen entschuldigen für mein überhebliches Auftreten in der Vergangenheit. Wir hatten kein besonders gutes Verhältnis und ich bedauere das.«
Nun bleibt mir auch noch der Mund offen stehen vor Verwunderung.
Hat man sie einer Gehirnwäsche unterzogen? Oder ist das ihre geklonte Zwillingsschwester?
»Äh … ja!« Mehr bringe ich nicht heraus.
Natürlich lassen auch die neugierigen Zwillinge nicht lange auf sich warten, weil sie ja immer wissen müssen, was in dieser WG so vor sich geht. Selbst Beata tritt jetzt hinzu, wohl um zu sehen, wer mich an der Tür aufhält.
»Ach, wen haben wir denn da? Eine Schwester von Tina Besset?«, platzt Moritz prompt hervor.
»Hallo, die Herren Sitake«, grüßt meine neue Nachbarin höflich.
Tatsächlich verschlägt es den Zwillingen für fünf komplette Sekunden die Sprache – ebenfalls ein denkwürdiges Ereignis, das eine Notiz wert wäre in dem Tagebuch, das ich nicht besitze.
»Sie könnte ein auf freundlich programmierter Android sein – möglicherweise ersetzen Außerirdische gerade alle rothaarigen Frauen durch derartige Attrappen!«, flüstert Moritz seinem Bruder so laut zu, dass wir es alle hören können.
Tina Besset hält sich die Hand vor den Mund und kichert ein wenig kindisch über den Kommentar meines Mitbewohners. Mit dieser Geste bringt sie jetzt die versammelte Mannschaft unserer WG dazu, sie mit offenem Mund anzustarren.
Das kann doch gar nicht wahr sein! Was ist mit ihr geschehen? Nie und nimmer hätte sich Tina Besset früher so verhalten.
Genau wie ich, bringt Beata vor lauter Staunen kein Wort über ihre Lippen.
»Sie fragen sich sicherlich, weshalb ich mich so verändert habe …«
Die Zwillinge nicken heftig mit den Köpfen und ich platze vor Spannung, als sie fortfährt:
»… die Wahrheit ist, ich kann mich weder daran erinnern, wo ich gewesen bin noch was passiert ist. Ich weiß nur, dass ich in der Vergangenheit nicht besonders nett zu Ihnen gewesen bin, aber ich kann mir überhaupt nicht erklären, was da in mich gefahren ist. Eigentlich finde ich Sie alle sehr nett und ich würde Ihnen auch gerne das Du anbieten!« Sie streckt mir versöhnlich ihre Hand hin. »Tina!«
In meinen Augen muss sich noch immer eine Kolonie an Fragezeichen befinden. Die ganze Sache ist mir nicht geheuer, aber ich raffe mich trotzdem dazu auf, ihre Hand zu ergreifen und zögerlich zu schütteln.
»Inea«, flüstere ich tonlos.
Beata folgt meinem Beispiel, wobei ihr Gesichtsausdruck den meinen in seiner Ausdruckslosigkeit noch überbietet.
»Moment! Das geht aber anders. Komm doch rein Tinchen. Dann trinken wir Schwester-Bruderschaft«, erklärt Max bestimmt und ergreift auch sogleich Tina Bessets Hand.
Sie lässt sich tatsächlich kichernd von ihm in die Wohnung hineinziehen. Ich kann nicht anders, als ungläubig den Kopf zu schütteln. Da Moritz natürlich nicht außen vor bleiben kann, schnappt er sich Tinas andere Hand, sodass sie nun händchenhaltend von beiden Zwillingen in unser Esszimmer geleitet wird. Dabei kann sie gar nicht aufhören zu kichern. Eigentlich sollte ich ja mittlerweile daran gewöhnt sein, dass Dinge passieren, die ich bislang für unmöglich gehalten hatte, aber im Augenblick kommt mir Tina Bessets Wandlung um gute 180 Grad wie das größte aller Wunder vor.
Beata zuckt ebenso ratlos mit den Schultern wie ich selbst. Dann begeben wir uns zu den anderen ins Wohnzimmer. Ich muss diese neue Nachbarin noch ein wenig begutachten, bevor ich das alles glauben kann. Die Zwillinge haben Tina bereits zwischen sich auf dem Sofa platziert. Max öffnet mit einem lauten Plopp die Flasche Sekt, während Moritz ihm ein Glas entgegenstreckt, um den herausquellenden Schaum aufzufangen. Ursprünglich hatte ich ja vorgehabt, Beata von meinem Abenteuer zu erzählen, aber weil ich noch immer nicht fassen kann, was mit Tina geschehen ist, kann ich mich von ihrem Anblick partout nicht losreißen. Beata und ich lassen uns in den Ohrensesseln nieder, während Max den Sekt mit erstaunlich gekonnten Schwüngen auf die Gläser verteilt.
»Für mich nicht«, lehnen Beata und ich gleichzeitig ab, als er beim vierten der fünf Gläser ankommt.
»Die Wiedergeburt unserer lieben Nachbarin muss gefeiert werden«, verkündet Max.
Ungeachtet unseres Widerspruches fährt er fort, die Gläser zu füllen. Dann hebt das Trio auf der Couch fast synchron die Sektgläser.
»Wer zuerst?«, fragt Max.
»Ich natürlich«, antwortet Moritz rasch.
»Dann knobeln wir!«, entgegnet sein Bruder unter dem Kichern Tina Bessets.
»Nein, lass Tinchen entscheiden!«, schlägt Moritz vor.
»Oh, das ist schwer«, sagt diese lächelnd. »Vielleicht ist Knobeln doch keine schlechte Idee.«
Tatsächlich stellt Tina ihr Glas wieder ab und fischt unter animalischen Windungen ein Geldstück aus der Hosentasche ihrer hautengen Jeans.
»Zahl steht für Max, Kopf für Moritz«, erklärt sie geschäftig.
»Und wenn ich Einspruch erhebe, weil ich der Kopf sein will?«, mosert Max übertrieben beleidigt.
Tina bedenkt ihn lediglich mit einem milden Lächeln und wirft die Münze in die Höhe. Sie landet unter Spritzen in ihrem eigenen Sektglas, wo sie im verjüngten Ende stecken bleibt. »Oh«, macht sie nur und kichert, dann rücken die Augen der drei Beteiligten dicht an das Glas heran, um das Knobelergebnis zwischen den perlenden Bläschen abzulesen.
»Zahl! Ich habe gewonnen«, verkündet Max triumphierend.
Er und Tina heben nun ihre Gläser, überkreuzen die Arme und nippen an ihrem Sekt. Moritz zieht unterdessen einen Schmollmund und ich wundere mich darüber, dass es Tina nicht mal etwas ausmacht, dass noch immer das Geldstück in ihrem Glas steckt, während sie trinkt. Nachdem dieser Teil erledigt ist, wackelt Max erwartungsvoll mit den Augenbrauen und formt dabei einen Kussmund. Ich traue meinen Augen kaum, als Tina Max tatsächlich ein Küsschen auf die Lippen drückt – zwar nur kurz, aber doch so, dass der Zwilling selbst ganz perplex dreinschaut. Wir alle hatten erwartet, dass es maximal ein flüchtiges Wangenküsschen werden würde. Max nimmt augenblicklich die Farbe einer überreifen Erdbeere an. Ich schätze mal, das war der allererste Kuss, den er überhaupt jemals in seinem Leben von einer weiblichen Person auf diese Körperpartie bekommen hat.
»Hey ich will auch! Jetzt ich!«, ruft Moritz nun, wobei er die permanent kichernde Tina in seine Richtung zieht. Dann beginnt dieselbe Prozedur von vorne, nur dieses Mal mit dem anderen Zwilling. Er läuft nicht weniger rot an, obwohl er ja vorher schon ahnte, was ihm bevorsteht.
Beata und ich hocken in unseren Sesseln, als ob wir uns ein Schauspiel im Theater ansehen würden und genauso real erscheint es mir auch. Das Trio auf der Couch trinkt, lacht und schwatzt vergnüglich, während die Zwillinge nicht müde werden, immer neuen Alkohol nachzuschenken.
Da kommt mir plötzlich ein Verdacht, was diese Veränderung ausgelöst haben könnte. Ich lehne mich zu meiner Freundin hinüber und flüstere: »Du, Beata, meinst du, sie steht vielleicht unter Drogeneinfluss? Marihuana oder so etwas? Ich kenne mich damit ja nicht aus!«
»Hm, wäre schon möglich. Das würde Einiges erklären. Dann sollte sie aber keinesfalls auch noch Alkohol dazu kippen.«
Es klingelt mal wieder an der Tür.
Ob das jetzt endlich Liliana ist?
Aber ich werde schon wieder enttäuscht, denn dieses Mal blickt das erboste Gesicht Leon Friedrichs auf mich herab – weil er gut einen Kopf größer ist als ich.
»Wissen Sie eventuell, wo meine Partnerin steckt?«, fragt er mal wieder, ohne einen höflichen Gruß überhaupt in Erwägung zu ziehen.
Zzzz, er hält sich immer für was Besseres, benimmt sich mir gegenüber aber ohne jegliche Manieren. Das muss doch mal gesagt werden – naja, zumindest gedacht.
Eine Antwort brauche ich ihm sowieso nicht zu geben, denn das Gelächter meiner Nachbarin dringt vom Wohnzimmer übers Esszimmer in den Flur, durch die Eingangstür bis zu Leon Friedrich Steinbergs Ohren und von dort auf direkter Nervenleitung bis in sein Gehirn hinein.
Oh, oh, er sieht alles andere als amüsiert aus.
»Tina! Komm SOFORT hier her!«, ruft er mit der Strenge eines grimmigen Hundeführers.
Augenblicklich herrscht eisige Stille in der Wohnung. Kurz darauf schwankt die Angesprochene auf uns zu.
»Tina! Sag mal, was ist denn in dich gefahren! Du hast doch nicht etwa gemeinsam mit diesen Leuten getrunken?«, ruft Leon Friedrich fassungslos. »Ich erkenne dich gar nicht wieder!«
Damit ist er zumindest nicht allein.
Tina zuckt ein wenig unsicher mit den Schultern und will ihren Partner in die Arme schließen, doch dieser schiebt sie angewidert von sich fort.
»Ach, Schatz! Du duftest wie eine Schnapsleiche! Außerdem benötigst du dringend eine Dusche und ein frisches Styling! Was, wenn die Kunden dich so sehen?«
»Die Kunden? Ssssschonst interessiert dich nichts?«, erwidert Tina gekränkt und beduselt gleichermaßen.
Gerade als ich die Tür hinter den beiden schließen will, geht die Klingel erneut.
Das muss doch jetzt endlich Liliana sein.
Ich drücke den Summer und warte. Dabei bekomme ich noch immer den Streit meiner Nachbarn mit – aber das schien die beiden ja auch zuvor nicht gestört zu haben.
»Wenn der Drogentest bei der Polizei positiv ausgefallen wäre, dann könnte dies dein seltsames Verhalten ja wenigstens erklären! Aber was bitteschön ist vorgefallen, dass du dich dermaßen verändert hast, Tina?«
»Ich hab dir doch sch-schon gesagt, ich weiß es nnn-nicht! Aber was sss-schtört dich eigentlich daran, dass ich jetzt netter bin? Die kkk-kooooomische Zsssicke von damals kannst du doch nicht wirggglich gemocht haben«, lallt seine Partnerin beschwipst.
Dann verschwinden die beiden in ihrer Wohnung und geraten damit außer Hörweite. Dafür taucht nun endlich meine Tante im Treppenhaus auf. Ihre silbrig langen Haare flattern fast ebenso von ihrer stürmischen Bewegung, wie das weite, weiße Kleid mit dem grün glitzernden Motiv einer Schlingpflanze darauf. Liliana nimmt eilig die letzten Stufen, um mich in ihre Arme zu ziehen.
»Inea! Kind, bin ich froh, dass dir nichts passiert ist! Obwohl … so kann man das nun wirklich nicht ausdrücken, bei dem, was du durchmachen musstest! Ach herrje!«
Sie drückt mich an sich und streichelt dabei immer wieder über mein Haar. »Geht es dir auch gut, mein Schatz?«
»Ja, alles Okay, Liliana. Mir geht’s prima.«
In Wirklichkeit ist das übertrieben, näher an die Realität käme ich mit der Aussage, dass es mir den Umständen entsprechend gut geht. Beata nickt Liliana dabei freundlich zu und schickt sich dann an, ihr Zimmer aufzusuchen.
»Beata, hast du noch Zeit für ein Gespräch?«, frage ich, weil ich den beiden Frauen endlich berichten will, was ich alles erlebt habe.
Meine Freundin nickt und dann versammeln Liliana, Beata und ich uns – genau wie vor gar nicht allzu langer Zeit - zu einem geheimen Gespräch auf meiner Couch. Jetzt kann ich endlich meine Abenteuergeschichte loswerden. Nachdem ich Torin dies alles schon erzählt habe, fällt es mir nun viel leichter, über die Stunden des Schreckens und der Angst zu sprechen. Ich muss zugeben, dass ich die Ereignisse ein Stück weit verdrängt hatte, doch die schockgeweiteten Augen der beiden Frauen machen mir noch einmal bewusst, was für ein Horrortrip das gewesen ist. Aber es geht mir nicht mehr so schlecht damit, wie noch bei den ersten Ereignissen dieser Art. Inzwischen konnte ich etwas Abstand zu all dem gewinnen, vielleicht macht es mir deshalb nicht mehr so viel aus. Oder aber es liegt daran, dass ich mit der Zeit doch abgebrühter geworden bin. Neben den Schauergeschichten gibt es jedoch auch etwas Lustiges zu erzählen, denn die Vorstellung, wie der kleine Steinbock dem Lord der Schatten auf Schritt und Tritt folgt, bringt uns alle zum Lachen.
»Dann ist diese Körperverbindung tatsächlich aufgelöst?«, hakt Liliana sichtlich erleichtert nach, als ich meine Geschichte beendet habe.
»Ja, Torin hat es getestet!«, erkläre ich. Um meine Tante nicht weiter zu beunruhigen, verschweige ich jedoch, dass mich noch immer Liebesgefühle plagen.
Im Grunde ist das aber sowieso unwichtig, da Torin mich ja eh nicht haben will, denke ich traurig.
»Dann wirst du ihn jetzt auch nicht wiedersehen?«, fragt Beata, was meinen lose zugeschütteten Schmerz wieder an die Oberfläche bringt. Und damit beginnt wieder der leidige Kampf gegen die Ansammlung von Salzwasser in meinen Augen.
Brennt Liebeskummer immer so schrecklich in der Brust? Fühlt sich der Bauch jedes Mal so an, als ob darin die Waschmaschinentrommel nasse Wäsche hin- und herdreht, in üblen Phasen sogar schleudert?
Als Sven mich verlassen hatte, spürte ich Ansätze davon, aber so schlimm wie bei Torin war es nie. Ich fürchte schon, Liliana könnte meinen Kummer bemerken, aber zum Glück rettet mich in diesem Augenblick die Türklingel.
Wer ist denn das nun wieder?
Wenn das so weitergeht, kann ich die Tür heute gleich offen lassen! Ich springe rasch auf, um meinen Emotionen zu entkommen, eile in den Flur und reiße die Wohnungstür auf. Im Hausflur steht niemand, daher nehme ich den Hörer der Gegensprechanlage ab. Keine Sekunde zu früh, denn auch die Zwillinge sind mal wieder sofort zur Stelle, um den Neuankömmling zu begutachten.
»Hallo, wer ist da?«, quäke ich nicht besonders eloquent in den Hörer.
»Inea? Hier ist Benedikt!«, höre ich unter sphärischem Knistern der Leitung.
»Oh, Bene!«, rufe ich überrascht aus und drücke sogleich den Summer.
»Bene?«, fragen die Zwillinge synchron.
»Gehe ich recht in der Annahme, dass es sich hierbei um dein Date von vor etwa zwei Wochen handelt?«, fragt Max neugierig.
»Äh, ja!«, gestehe ich verlegen und hoffe, dass sie sich nicht weiter darüber auslassen, denn ich kann Benedikt bereits auf der Treppe hören.
Aber wer die Zwillinge kennt, weiß nur zu gut, dass diese Hoffnung natürlich vergebens ist.
»Das wären dann jetzt bereits vier: Wie war das noch? Bene, Markus, Leo und wie hieß eigentlich dieser mürrische Kerl? Hat das Beata nicht mal erwähnt?«, zählt Moritz zu meinem Leidwesen auf, als Bene gerade die obersten Stufen zu diesem Stockwerk erklimmt.
»Torin!«, ruft Max viel zu laut als Antwort auf Mortiz` Frage.
Bene blickt uns sichtlich irritiert an, wie wir zu dritt im Türrahmen auf ihn warten, während Max ihn scheinbar mit dem Namen eines anderen Mannes anspricht.
»Torin?«, fragt er in die Runde. »Wer soll das sein?«
»Uhhh, eine von Ineas Flammen! Ein ziemlich düsterer Typ, wenn du mich fragst!«, plappert Moritz drauf los und ich muss meinem Ellenbogen ziemlich gut zureden, damit er dem Zwilling nicht kräftig in die Rippen stößt.
Sicherlich hätte er sich mit dieser Aktion durchgesetzt, wenn ich sie vor Bene hätte verbergen können. Stattdessen wippe ich verlegen von einem Bein auf das andere.
Oh je, Bene sieht aus, als wollte er am liebsten gleich wieder gehen.
»Ach, nimm die beiden Quatschköpfe bloß nicht so ernst. Aber Hallo erstmal!«
Ich versuche mich in einem heiteren Lächeln, was mir nur halbwegs gelingt. Um meine Unsicherheit zu überspielen, gebe ich Bene in französischer Manier jeweils ein Küsschen auf die stoppeligen Wangen. Das versöhnt ihn offensichtlich, denn nun lächelt er mich an.
»Hallo Inea! Schön dich zu sehen! Ich hab dich schon vermisst die Tage!«
Jetzt muss ich schnell etwas sagen, das ihn ablenkt, bevor er fragt, wo ich war und die Zwillinge schlimmstenfalls damit beginnen, ihre Leo-Anekdoten zum Besten zu geben. Aber was?
Ich grinse ein wenig dämlich, während es in meinem Hirn aufgeregt rattert.
»Äh, ja, ich war leider verhindert. Aber komm doch rein, Bene. Was führt dich zu mir?«
Vielleicht reicht es ja schon aus, ihn von mir abzulenken. Außerdem sollte ich die neugierigen Zwillinge rasch loswerden.
»Und ihr beiden geht mal wieder husch, husch in euer Körbchen!«
Ich wedele mit den Händen, als wollte ich zwei Hunde verscheuchen. Doch die einzige Reaktion der Brüder besteht in einem verzerrten Schmollgesicht und einem widerspenstig gekläfften »Wau, wau«. Obendrein kommen jetzt auch noch Liliana und Beata in den Flur. Wahrscheinlich wurde ihnen das Warten in meinem Zimmer zu lang.
»Oh, Frau Frenchizca! Guten Tag«, grüßt Bene meine Tante, als er sie erblickt und reicht ihr höflich die Hand.
»Hallo Benedikt! Schön dich zu sehen«, erwidert Liliana wohlwollend den Gruß.
Da wir jetzt alle im Flur versammelt sind, nutzen das die Zwillinge aus, um sich selbst sowie sämtliche Anwesende vorzustellen – inklusive all diejenigen, die sich bereits kennen.
»…und Inea Chulia D’Orayla, darf ich dir vorstellen: deine Tante Liliana Frenchizca. Sie arbeitet als Leiterin des Kindergartens, in dem du die Pinguin-Gruppe betreust«, erläutert Max gewichtig.
Beata verdreht die Augen, Bene schmunzelt, Liliana lächelt milde und ich seufze extra geräuschvoll. Irgendwie erscheint mir alles beim Alten zu sein - zumindest mit den Scherzen der Zwillinge hat mich der Alltag wieder voll im Griff.
»Ach nee!«, bringe ich voller Ironie hervor. »Da das jetzt ausführlich geklärt wurde, könnt ihr euch gerne in eure Zimmer zurückziehen. Ich komme mit meinem Besuch ganz gut alleine klar«, erkläre ich nachdrücklich.
Ganz langsam tippeln Max und Moritz nun rückwärts, während sie sich permanent leicht vor uns verbeugen.
»Möchtest du einen Kaffee? Wir könnten uns alle gemütlich ins Wohnzimmer setzen!«, schlage ich Bene vor.
»Nein, nein, mach dir keine Umstände, Inea. Ich kann auch nicht lange bleiben. Du warst die letzten Tage nicht im Kindergarten, ansonsten hätte ich dir die Einladung schon viel früher gegeben.«
»Eine Einladung?«
Meine Augenbrauen zucken überrascht in die Höhe.
»Eine Einladung?«, ertönt ein männliches Echo durch zwei halbgeöffnete Zimmertüren und gleich darauf lugen die zugehörigen Blondschöpfe neugierig hervor.
»Mein Schatz, ich möchte nicht länger stören …«, hebt Liliana nun an, sich zu verabschieden und auch Beata wendet sich Richtung Küche.
Die Zwillinge stürmen euphorisch auf Benedikt zu, was die beiden Frauen doch noch innehalten lässt.
»Das ist aber nett, dass du uns alle einladen willst! Ich freu mich ja schon so«, jauchzt Max.
»Beata und die Inea-Tante sind doch auch eingeladen, oder? Aber wozu eigentlich? Eine Eltern-Kind-Party mit Mehrstocktorte und Sackhüpfen vielleicht?«, plappert Moritz aufgeregt drauf los.
»Ihr jungen Männer«, fährt jetzt Liliana tadelnd dazwischen. »Das geht nun wirklich zu weit! Das Angebot galt ausschließlich Inea! Es ist äußerst unhöflich, sich selbst einzuladen.«
Bene, der zwar ein wenig überrumpelt wirkt, lächelt dennoch milde.
»Ähm, ist schon gut, Frau Frenchizca, ich würde mich sehr freuen, Sie ebenfalls auf meiner Geburtstagsfeier begrüßen zu dürfen, ebenso alle anderen Bewohner dieser WG«, fährt Bene fort.
Dies bewirkt, dass sich die blonden Brüder bei den Händen fassen und freudig singend im Kreis tanzen:
»Wir sind eingeladen! Wir sind eingeladen!«
Beata nickt Bene kurz zu und verschwindet dann doch in der Küche.
»Das ist lieb von dir Benedikt, aber du musst das jetzt nicht tun, nur weil du dich verpflichtet fühlst«, bekräftigt Liliana.
»Nein, ich meine es ehrlich! Ich freue mich, wenn Sie dabei sind!«, beteuert er noch einmal und es klingt aufrichtig.
»Gut, dann bedanke ich mich recht herzlich. Wann und wo findet das Fest denn statt?«, will Liliana wissen und auch ich bin gespannt, endlich mehr über diese Einladung zu erfahren.
»Die Party beginnt am Sonntag um 11 Uhr auf dem Grillplatz am Weiherbach. Wisst ihr, wo das ist?«
Liliana und ich nicken, wobei die Zwillinge anfangen, vor lauter Übermut abwechselnd zu reimen:
»Weiherbach!« »Eierbach!« »Schleierbach!« »Reiherbach!« »Rathausdach!« »Kinderkrach!« »Ich-bin-wach!« »Du-bist-schwach!« »Ich-mach-gleich-krach!« »Matt-im-Schach!« »Dass-ich-nich-lach!«
»Ja, also, ich muss dann mal wieder los!«, unterbricht Bene den Reimwettkampf der Blondschöpfe. »Ich freue mich schon auf euch alle!«
»Herzlichen Dank, ich komme gerne«, antworte ich reichlich verspätet, aber bei dem Trubel hier kommt man ja kaum noch zu Wort.
Liliana verabschiedet sich jetzt ebenfalls, wobei die Zwillinge mal wieder ihre Scherze treiben müssen, indem sie sich voller Ehrerbietung mehrfach vor meiner Tante und Bene verbeugen.
Als mein Besuch verschwunden ist, gehe ich zu Beata in die Küche – im Gleichschritt mit zwei Ulknudeln, die mir folgen. Draußen dämmert es bereits und es wird Zeit für das Abendessen. Meine Freundin kurbelt an der handbetriebenen Brotschneidemaschine, als wir eintreten. Die Zwillinge und ich beginnen Teller, Besteck und Aufschnitt auf dem Servierwagen zu stapeln. Nachdem alles fertig ist, nehmen wir unser abendliches Mahl im Esszimmer ein. Während Beata und ich unseren Gedanken nachhängen, registriert mein Bewusstsein im Hintergrund die gewohnten Scherze von Max und Moritz. Ich kaue gerade auf meinem Käsebrot und beobachte dabei versonnen Max beim Durchforsten einer dieser kostenlosen Zeitungen.
»Edler Bull-Terrier im Forst von Eppstein entlaufen! Hört auf den Namen Walter von der Heide!«, liest er vor. »Haha, den Hund möchte ich sehen, der auf Walter von der Heide hört. Walter von der Heide, komm Gassi gehen«, spottet Max und blättert dann weiter. »Hey, da bietet jemand eine grüne Mamba zum Kauf an!«
»Kommt nicht in Frage!«, rufe ich sofort alarmiert.
Der Ärger mit den Fauchschaben hat mir gereicht und eine Giftschlange kommt mir schon gar nicht in die Wohnung. Außerdem weiß ich ja nicht, wie lange sich die Persönlichkeitsumkehr meiner Nachbarin noch hält. Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie sie hysterisch durchs Treppenhaus stürmt, sollte ihr dort eine Schlange begegnen und in diesem Fall läge der Unterschied zu meiner eigenen Reaktion lediglich in Nuancen der Schreitonhöhe.
»Ooch!«, machen die Zwillinge im Chor und ziehen synchron einen Schmollmund.
Max vertilgt den letzten Bissen seines Brotes, ohne den Blick von der Taunus-Zeitung zu nehmen.
»Hey, da ist ein Artikel über mich! Schau mal Brüderchen:
WER IST DER MANN, DER HESSENS FRAUEN REIHENWEISE DAS HERZ BRICHT?
Seit gut zwei Wochen gehen wiederholt Suchanzeigen nach einem dunkelhaarigen Mann mit braunen Augen ein. Allesamt stammten von Frauen, die eine außergewöhnliche Nacht mit diesem Unbekannten verbracht haben. Nach kurzer Zeit verschwand dieser jedoch spurlos.
Passanten behaupten zudem, Anfang letzter Woche auf offener Straße eine ganze Traube von Frauen beobachtet zu haben, die einem Mann folgten, gleich dem Rattenfänger von Hameln.«
»Haha, zeig mal!«, ruft Moritz aus, reißt seinem Bruder die Zeitung aus der Hand und überfliegt den Artikel mit großen Augen. »Den Typen möchte ich auch kennenlernen. Aber du kannst das wohl kaum gewesen sein, schließlich haben wir keine Sekunde getrennt voneinander verbracht und eine Traube von Frauen wäre mir mit Sicherheit aufgefallen.«
»Das ist bestimmt nur eine Zeitungsente!«, winkt Beata ab, nachdem sie nun ebenfalls aus der Versenkung ihrer Gedanken aufgetaucht ist.
»Soweit ich weiß, ist der 1. April schon lange vorbei!«, widerspricht Max.
»Seltsame Sache! Vor allem aber finde ich es komisch, dass die Zeitung über so etwas berichtet. Wahrscheinlich handelt es sich um einen Heiratsschwindler, der so viel Charme versprüht, dass ihn die Frauen wiederhaben wollen, statt ihn anzuzeigen«, mutmaße ich.
»Hoffentlich kommt er nicht nach Eppstein und schnappt uns alle unsere Groupies vor der Nase weg«, sorgt sich Moritz.
»Dieser Typ erhält in jedem Fall Hausverbot für unsere Vorstellung! Nur zu dumm, dass kein Foto dabei ist. Ansonsten sollten wir für alle schwarzhaarigen Männer mit braunen Augen den Zutritt ausschließlich mit Keuschheitsgürtel gewähren«, pflichtet Max bei.
»Stimmt! Dieser Gürtel wäre im Übrigen auch eine gute Idee für unseren Assistenten Markus!«
Ich bemerke, wie sich über Beatas Gesicht ein Schatten legt, als Moritz Torins Freund erwähnt.
»Du, Bruder, glaubst du, Markus könnte dieser Mann sein, hinter dem alle Frauen her sind?«, argwöhnt Max.
»Möglich wäre es … aber da sollten wir besser Inea fragen!«
»Nein, das kann ich mir nicht vorstellen! Außerdem war er meistens entweder mit mir oder mit Torin zusammen.«
»Eigentlich schade, sonst könnten wir uns bei ihm Tipps einholen.«
Beata erhebt sich so abrupt von ihrem Stuhl, dass dieser beinahe umkippt. Ohne ein weiteres Wort marschiert sie in ihr Zimmer. Die Zwillinge zucken ratlos mit den Schultern.
Ich seufze, weil mir nichts Besseres einfällt. Dann räume ich gemeinsam mit Max und Moritz den Tisch ab und spüle das Geschirr.
Torin, Freitagmorgen
Eine seltsame Stimmung herrscht auf Sko'Falkum seit ich wieder zurück bin. Auch wenn Inea nicht mehr auf meiner Burg weilt, lauert mir ihr Geist in jedem Winkel auf und lässt mich nicht zur Ruhe kommen. Ihre Gegenwart ist für mich förmlich fühlbar, selbst wenn sie im Augenblick sogar in einer anderen Welt weilt. Ich befinde mich gerade auf dem Weg in den Burghof, als der tiefe Klang der großen Glocke am Eingangstor das Gemäuer in Schwingung versetzt. Ich ahne bereits, wer dort wartet und irre mich nicht:
Vor dem Burgtor steht ein alter Mistarianer1. In dem vom Wetter gegerbten Gesicht erkenne ich den alten Karrenbesitzer wieder. An einem Seil führt er den jungen Steinbock. Der Alte blickt aus seinen graubraunen Augen mit einer Mischung aus Angst und Ehrfurcht zu mir auf. Seine Anspannung lockert sich jedoch, als das Tier auf mich zuspringt und seinen Kopf an meinem Umhang reibt.
»Danke!«, sage ich kurz angebunden, drücke dem Mistarianer ein zweites Goldstück in die Hand und führe den Steinbock dann an seiner Leine in die Burg. Ich kann das Tier nicht ansehen, ohne dass Bilder vor meinem inneren Auge aufflackern, die unweigerlich mit der Feuermagierin verknüpft sind.
»Leo hat sie dich genannt? Ach, diese Frau!«, seufze ich.
Wir sind im Burghof angekommen und hier nehme ich dem Steinbock die Leine ab. Aber statt seine neue Umgebung zu erkunden, schmiegt sich das Jungtier immer wieder an mich. Unwillkürlich bücke ich mich zu ihm hinunter und kraule Leo zwischen den winzigen Hörnern. Er sieht mich mit seinen großen, dunklen Augen zutraulich an und legt den Kopf schief.
Genug jetzt! In letzter Zeit ertappe ich mich viel zu oft bei unnützer Gefühlsduselei.
Ich richte mich abrupt auf und marschiere mit großen Schritten zum Ausgang. Der Steinbock will mir folgen, aber ich verschließe die Tür hinter mir. Im Hof gibt es genug Kräuter und Gras, an dem sich das Tier gütlich tun kann.
Auf dem Weg hierher hatte mich Smirnow kontaktiert, um mir mitzuteilen, dass es Neuigkeiten in der Sache der unregistrierten Umbro gibt. Zudem hat einer meiner eigenen Wächter jemanden beobachtet, der sich auffällig bewegte - nicht weit entfernt von Majas Quartier. Diese Angelegenheit hat allerhöchste Dringlichkeitsstufe, daher war es notwendig, für heute Nachmittag eine weitere Sitzung einzuberufen, selbst wenn die Ratsmitglieder langsam mürbe werden, von der hohen Frequenz der Zusammenkünfte. Doch wer Verantwortung trägt, muss dafür auch etwas leisten, Macht und Privilegien, welche der Berechtigungsstatus eins mit sich bringt, erhält man nicht zu seinem privaten Vergnügen.
Markus betritt zeitgleich mit mir den Sitzungssaal durch das Tor. Wir sind heute die Ersten und haben auch Maja etwas früher herbestellt, um sie bei der Befragung nicht der gesamten Meute auszusetzen. Zögerlich betritt die Femia-Tia jetzt den Raum. Ihre ehemals langen Wellen hat sie zwischenzeitlich in einen Kurzhaarschnitt verwandelt. Das gefrorene Blau ihrer Augen schielt kurz in meine Richtung, während sie an mir vorüber auf ihren Platz am Ratstisch zusteuert.
Ich möchte dieses Mal den Saal nicht verlassen, da ich selbst noch einige Fragen zu stellen gedenke, aber ich überlasse meinem Freund wie abgesprochen die Gesprächsführung. Etwas abseits lasse ich mich auf einem aus dem Fels gehauenen Vorsprung nieder.
»Maja, wie geht es dir?«, beginnt Markus die Unterhaltung.
»Es geht! Ich fühle mich fortwährend beobachtet!«, antwortet sie leise.
»Ein weiterer Umbro hat dich aber seither nicht besucht, oder?«
Sie schüttelt langsam den Kopf.
»Nein, aber ich spüre, dass er hinter mir her ist!«
»Hast du denn eine Idee, warum es diese Schattenmagier ausgerechnet auf dich abgesehen haben könnten?«
»Nein, ich habe keine Ahnung!«, flüstert die junge Femia-Tia und ihre Augen beginnen feucht zu glänzen.
Frag sie doch noch einmal, wann und wo genau sie den drei Umbro jeweils begegnet ist, sende ich meinem Freund in Gedanken, um Maja nicht zu erschrecken.
»Maja, du sagtest, auf den ersten dieser Umbro bist du vor drei Wochen gestoßen und er hat dich auf der Straße verfolgt. Wo ist das genau passiert?«
Maja schluckt heftig, bevor sie antwortet:
»Das war auf dem Markt von Olyntha, auf … auf dem Heimweg!«
»Ach, in Atlatica! Diesem Detail hätten wir schon viel früher Beachtung schenken müssen!«, ruft Markus erstaunt aus. »In Olyntha steht dein Haus, nicht wahr?«
»Ja!«, antwortet Maja unter sanftem Nicken. »Das Haus gehörte meiner Großmutter. Nach ihrem Verschwinden erbte es meine Mutter. Aber sie starb bei meiner Geburt. Mein Vater zog mit meiner Schwester und mir nach Niedernhausen, wo ich auch aufgewachsen bin. Später kehrte ich dann in das Haus meiner Mutter nach Olyntha zurück, meine Schwester dagegen blieb in Niedernhausen.«
»Aber die anderen beiden Umbro haben dir doch in Niedernhausen aufgelauert, hattest du erzählt, richtig?«
»Ja, ich … wollte fort aus meinem Haus in Olyntha, weil ich mich dort nicht mehr sicher fühlte. Ich dachte, in der Niedernhausener Wohnung meiner Schwester Sina würde es mir bessergehen. Sie ist auf Weltreise und da wir uns die Wohnung auch früher schon geteilt hatten, kann ich jederzeit darin wohnen.«
»Doch auch dort lauerte dir wieder ein unregistrierter Umbro auf?«
»Nicht ganz in Niedernhausen. Ich habe seine Gegenwart schon in der S-Bahn gefühlt. A...an meinem Körper, verstehst du … Ich bin an der nächsten Haltestelle ausgestiegen und weggerannt, so schnell ich konnte, aber … die Gefühle wurden so übermächtig, dass meine Beine … zitterten. Da war ein Park in der Nähe und da … im Gebüsch …«
Ihre Stimme bricht und Tränen bahnen sich über ihre Wangen.
»Ist gut Maja, das musst du nicht erzählen. Dieser Umbro war aber ein anderer als der Erste, da bist du dir sicher?«
Sie schluchzt und holt dann tief Luft.
»Ja, das war der, den ihr vor zwei Wochen erwischt und registriert habt. Ganz sicher ist es ein anderer gewesen. Seine Wangenknochen traten stärker hervor und er trug eine kleine Narbe auf der Wange. Der auf Atlatica war ein wenig kräftiger um den Bauch.«
»Tja, den hattest du ja auch schon identifiziert. Das war der Zweite, den wir gefasst haben. Den Dritten kanntest du aber nicht, oder?«
Maja schüttelt den Kopf.
»Dann fasse ich mal zusammen:
Zuerst konnten wir einen nicht registrierten Umbro in Offenbach festnehmen, dieser hatte dich jedoch in Atlatica überfallen. Ich nenne ihn mal Primus, weil er sich weigerte, uns seinen Namen zu nennen. Um den Bauch wirkte Primus etwas kräftiger.
Dann folgte die zweite Festnahme von Secundus: Er wurde in Rodgau verhaftet, du bist ihm aber niemals begegnet.
Die dritte Festnahme war Tertius, ein recht junger Umbro von etwa 19 Jahren, der dir in der S-Bahn von Niedernhausen auflauerte. Tertius ist nachweislich in Frankfurt am Main geboren und trägt den Namen José Maria Vargas. Seine Mutter erklärte, dass er bei einem One-Night-Stand gezeugt wurde und sie den Vater danach nie mehr wiedergesehen hat. Logischerweise beschrieb sie ihn mit den Merkmalen eines typischen Umbro, aber ohne besondere Kennzeichen, was uns leider nicht weiterbringt. Das ist der Kerl mit der Narbe und den hervortretenden Wangenknochen. Diesen haben wir in Niedernhausen festnehmen können.
Kommen wir zu Quartus: Er hat zwar mit dir geschlafen, wir konnten ihn aber bislang nicht ausfindig machen. Quartus lauerte dir ebenfalls in Niedernhausen auf, richtig?«
»Ja, ich … ich wollte gerade die Haustür aufschließen, da ist mir die Einkaufstasche geplatzt. Der Umbro eilte wie aus dem Nichts herbei und half mir, die Sachen umzupacken. Ich muss gestehen, er war mir im ersten Moment sogar sympathisch und ich habe es zugelassen, dass er mir hilft, die Einkäufe die Treppen bis zur Wohnung meiner Schwester hochzutragen. Dann aber … ich spürte seine Magie und mich überkam Panik, dass schon wieder … Aber ich konnte mich nicht dagegen wehren, seine Energie war viel zu mächtig.«
Maja senkt den Blick und streicht eine Träne von ihrer Wange. Mein Freund wendet sich mir zu.
»Was hältst du davon, Torin? Vor allem, dass Primus offensichtlich von Atlatica nach Offenbach gelangen konnte? Das muss ja zwangsläufig bedeuten, er kann die Tore passieren!«
»Eine erschütternde Erkenntnis!«, muss ich zugeben. Und in Gedanken sende ich Markus:
Insbesondere, weil wir bei keinem der unregistrierten Umbro Amulettsplitter gefunden haben. Das weist erneut darauf hin, dass wir es mit mindestens einem Verräter in unseren Reihen zu tun haben. Ob diese Sache in irgendeiner Weise mit dem Namenlosen zusammenhängt, ist jedoch vollkommen unklar.
»Ich traue mich kaum noch aus dem Haus. Und der Wächter kann ja auch nicht Tag und Nacht vor meiner Wohnung stehen«, schluchzt Maja nun sichtlich geknickt.
»Wir werden sehen, ob wir weitere Kapazitäten aufbringen können, um die Bewachung zu verstärken«, versichere ich ihr, während ich aufstehe und zum Ratstisch zurückkehre.
Ich höre entfernte Stimmen. Von meinem Platz aus habe ich einen direkten Blick auf den Eingang und kann auf diese Weise den Gesichtsausdruck der eintreffenden Ratsmitglieder durchleuchten, in den Sekundenbruchteilen, bevor sie mich wahrnehmen und ihre Masken aufziehen.
Als erstes betritt Curlhair den Saal, begleitet von Danae Karadima. Es scheint, als wären sie ein Paar, so vertraut, wie sie miteinander scherzen. Beim besten Willen kann ich mir nicht vorstellen, dass die beiden hinter all dem stecken. Andererseits ist unser Verräter äußerst intelligent und da wir bislang kaum einen Anhaltspunkt zu seiner Identität haben, könnte er zudem ein guter Blender sein, jemand, der sich äußerst geschickt verstellen kann. Im Schlepptau der beiden befindet sich noch eine weitere Person, die ich überhaupt nicht kenne. Ich mustere sie in einer Mischung aus Erstaunen und Missfallen, denn sie passt so gar nicht in unsere Runde: Ihre schwarzen, langen Haare sind durchsetzt von grell roten und grünen Strähnen. Tiefschwarzer Lidschatten umrahmt ein wild funkelndes Augenpaar. Ihr Kiefer führt permanente Kaubewegungen durch, was der Ehrerbietung dem Vorsitzenden gegenüber vollkommen zuwiderläuft.
»Was hat diese Person hier zu suchen?«, frage ich an Benjamin Curlhair und Danae Karadima gewandt.
»Sie heißt Saskia Schätzig! Sie ist die Nächste auf der Liste!«, erklärt Danae. »Ich dachte, nachdem Leyla Aydin ihre Strafe jetzt auf Inferior verbüßt, bringe ich heute gleich ihre Nachfolgerin mit!«
Verflucht! Noch mehr Kindergarten kann ich in diesen Reihen nun wirklich nicht gebrauchen!
»Wie alt ist sie?«, will ich wissen.
»Ich bin 17! Was dagegen?«, quakt Saskia respektlos dazwischen.
»Du redest nur, wenn du gefragt wirst, verstanden?«, entgegne ich kalt und blitze Leylas Nachfolgerin böse an.
»Uuuh, bist du etwa Torin, der berüchtigte FINSTERE LORD?«, bringt Saskia übertrieben betont hervor, wobei sie ein verängstigtes Mädchen mimt.
So etwas ist mir noch nicht untergekommen! Selbst der eifersüchtigen Leyla würde ich dieser kindischen Schattenmagierin den Vorzug geben.
»Als erstes entleerst du deinen Mund. Während einer Ratssitzung wird weder gekaut noch gegessen. Der Lord der Schatten wird mit Ihr und Euch angesprochen und derartig pubertäres Betragen ist in diesen Hallen fehl am Platz. Solltest du das nicht ändern können, wirst du die gesamte Sitzung in dem Gefängnis dort drüben verbringen!«, entgegne ich mit einer Kälte in der Stimme, die Saskia nun doch heftig zum Schlucken bringt. Dann lässt sie sich wortlos von Danae zu ihrem Platz geleiten.
Inzwischen haben auch Ilios D’Ardano, Ava Riordan und Alan Nowak den Raum betreten und ihre Plätze bezogen. Aber davon habe ich, entgegen meines Vorhabens, herzlich wenig bemerkt.
»Wie kommt es, dass eine so junge Femia-Soa Leylas Nachfolgerin werden kann?«, frage ich an Danae gewandt.
»Mylord, das liegt schlichtweg daran, dass nur noch vierzehn Femia-Soa überhaupt existieren. Fünf davon wurden nach Inferior verbannt oder haben den Status 4, sind also für den Posten im Rat ungeeignet. Von den verbleibenden neun haben sich nur Saskia, Sebeb Semura und ich selbst zur Wahl gestellt, während drei weitere als Wächter arbeiten und sich nicht für den Posten beworben haben. Es blieb uns nichts anders übrig, als Saskia in unsere Runde aufzunehmen, um das Gleichgewicht der Geschlechter und der Magierichtungen aufrecht zu erhalten.«
»Nun gut! Aber ich warne dich, auch Respektlosigkeit steht unter Strafe und ich werde nicht zögern, dich nach Inferior zu verbannen, solltest du hier aus der Reihe tanzen«, drohe ich mit zusammengekniffenen Augen.
In Angriffshaltung beuge ich meinen Oberkörper über den Ratstisch, während ich meine Arme gegen das Holz stemme und die junge Femia-Soa mit Blicken erdolche.
»Jawohl, Mylord!«, antwortet Saskia übertrieben gehorsam und funkelt mich dabei zynisch an.
Es geht mir nicht darum, einen Machtkampf mit ihr zu gewinnen, das Problem liegt darin, dass mich diese kleine Hexe den notwendigen Respekt im Rat kosten kann, sollte sie sich nicht fügen. Wenn es mir nicht gelingt, Macht zu demonstrieren, herrscht bald ein fatales Chaos im Rat. Das dulde ich nicht, es gibt wichtige Aufgaben zu erledigen, die keinen Raum für interne Querelen lassen.
Auch Nikolay Lew Smirnow, Sebeb Semura und Olga Tarassow haben sich inzwischen in unserer Runde eingefunden. Die anderen Zauberer mustern Saskia mit ähnlichem Missfallen wie ich selbst.
»Da nun alle Mitglieder des Rates anwesend sind, eröffne ich hiermit die Sitzung!«, verkünde ich feierlich.
»Warum eigentlich schon wieder? Wenn das so weitergeht, können wir auch gleich hier in der Festung übernachten!«, wirft Alan Nowak unmutig ein.
Ich seufze innerlich. Wenn mir heute noch weitere Magier in den Rücken fallen, wird es schwer werden, befriedigende Ergebnisse zu erzielen. Diesem Verfall an Respektlosigkeit muss unbedingt Einhalt geboten werden! Rückendeckung erhalte ich jedoch unerwartet von einem anderen Schattenmagier:
»Niemand zwingt Euch, Ratsmitglied zu werden, Alan Nowak! Ihr könnt jederzeit zurücktreten, um einem fähigen Magier den Platz zu räumen!«, wirft Nikolaj Smirnow unwirsch ein.
Seine Feindseligkeit wundert mich nicht. Wenn es nach dem Umbro Smirnow ginge, würden lediglich Magier dunkler Magie die Herrschaft übernehmen. Markus hält sich zurück, was gut ist, denn fast jeder hier weiß, dass wir privat befreundet sind und es könnte mir als Schwäche ausgelegt werden, wenn der Eindruck entstünde, ich benötigte seine Unterstützung.
»Wir fechten in dieser Runde weder interne Kämpfe aus noch wird man Mitglied im Rat, um seine Zeit und Privilegien für private Vergnügen zu vergeuden! Wir tragen eine hohe Verantwortung über viele Menschen, dem sollte sich jeder hier bewusst sein und wer nachweislich gegen das Wohl aller arbeitet, kann vom Plenum der Gemeinschaft auch wieder seines Amtes enthoben werden!», sage ich streng und fixiere dabei insbesondere unser jüngstes Mitglied.
Statt eingeschüchtert den Blick zu senken, begegnet sie mir mit einem dreisten Grinsen. Davon lasse ich mich zwar nicht provozieren, aber sollte sich diese Saskia nicht in unsere Ordnung einfügen, werde ich nicht zögern, sie des Saales zu verweisen.
»Die nächste Femia-Soa auf der Wahlliste nach Leyla Aydin ist Saskia Schätzig. Aufgrund ihres geringen Alters, der mangelnden Erfahrung und ihrer offenbar instabilen Persönlichkeit, schlage ich vor, ihr die Splitter für die Tore erst nach einer Bewährungsprobe von einem Jahr auszuhändigen! Weiterhin werden die Wächter, die Leyla Aydin unterstellt waren, bis zu diesem Zeitpunkt von mir ihre Befehle erhalten. Auch ihre Kommissura behält bis dahin den Status drei. Sollte sich Saskia Schätzig nach einem Jahr als würdiges Mitglied erweisen, erhält sie die üblichen Privilegien und kann sich ihre eigenen Wächter erwählen. Gibt es Gegenstimmen?«
Keiner der Ratsmitglieder hebt die Hand, dafür aber protestiert die Betroffene lautstark:
»Ey, man ey! Instabile was? Das kannste knicken, ey! Wozu bin ich denn jetzt in diesem Spießerclub gelandet?«
Lediglich das süffisante Grinsen von Alan Nowak zeugt davon, dass er unserem Neuzugang in gewissem Maße Sympathien entgegenbringt, alle anderen Gesichter bleiben entweder ausdrucks-, fassungs- oder empathielos.
»Ja, wozu denn? Erzähle es uns doch!«, fordert sie Danae Karadima auf.
Saskia zuckt mit den Schultern.
»Pfff, was Cooles erleben?«, schlägt sie schulterzuckend vor.
»In diesem Falle bist du hier völlig fehl am Platz, aber es steht dir jederzeit frei, von deinem Posten zurückzutreten!«, fordere ich sie kalt auf.
»Phh, das könnte euch so passen! Wie ich das sehe, benötigt ihr dringend jemanden, der den Laden mal so richtig aufmischt!«
Mir ist klar, dass weitere Diskussionen zu nichts führen und nur unnötig Zeit vergeuden, daher beschließe ich, jegliche Kommentare dieser aufmüpfigen Femia-Soa zu ignorieren und sie kurzerhand des Saales zu verweisen, sollte sie eine Grenze überschreiten – und auf dieser tänzelt sie im Augenblick mit einem Bein überm Abgrund.
»Mindestens ein unregistrierter Umbro treibt noch immer sein Unwesen. Ich schlage vor, die Bewachung um Maja Andersson zu verstärken, da sie aus bislang unbekannten Gründen häufig zum Ziel der Abtrünnigen geworden ist und sich noch immer beobachtet fühlt. Gegenstimmen?«
Niemand meldet sich.
»Wer könnte einen seiner Wächter zur Verfügung stellen?«
Wieder bleiben alle Hände unten, doch gleich darauf bricht eine wilde Diskussion aus, welche Aufgabe welches Wächters eventuell entbehrt werden könnte.
»Ruhe! Es wird nur gesprochen, wenn ich jemanden dazu auffordere!«, rufe ich die Magier zur Ordnung. »Da offenbar keiner Kapazitäten zur Verfügung stellen will, werde ich selbst einen meiner Wächter dazu abkommandieren, denn diese Aufgabe ist von höchster Priorität!«
»Wieso denn überhaupt? Lasst sie doch einfach in Ruhe! Was können diese Abtrünnigen denn schon groß anrichten?«, plappert Saskia dazwischen, wobei sie dem Wort "Abtrünnigen" eine ironische Betonung zukommen lässt. Doch ich habe jetzt keine Nerven dazu, ihr essentielles Hintergrundwissen zu vermitteln.
»Gibt es Neuigkeiten zu diesem Fall?«, frage ich in die Runde.
Sebeb Semura und Nikolaj Smirnow heben synchron die Hände. Die dunkelhäutige Magierin beteiligt sich eher selten an Gesprächen und es überrascht mich, dass sie sich nun meldet.
»Sebeb! Was habt Ihr zu berichten?«
Sie holt eine Zeitung aus ihrer Ledertasche und schiebt mir eine Seite davon über den Tisch. Mein Blick fällt sofort auf einen Artikel mit dem Titel: WER IST DER MANN, DER HESSENS FRAUEN REIHENWEISE DAS HERZ BRICHT?
Ich lese für alle laut vor, was dort geschrieben steht.
»Dabei könnte es sich in Tat um das Werk eines der gesuchten Umbro handeln. Wobei wir nicht wissen, welche der Vorkommnisse den Umbro zuzuordnen sind, die sich bereits auf Inferior befinden und welche dem noch flüchtigen. Weiterhin bleibt zu hoffen, dass das Problem lediglich in Hessen besteht.«
Jetzt schiebt mir Sebeb einen Zettel zu, auf den sie kleine ausgeschnittene Anzeigen geklebt hat. Jede Anzeige ist mit einem Datum versehen. Bei genauerer Betrachtung sehe ich, dass allesamt von Frauen aufgegeben wurden, die nach einem dunkelhaarigen Mann mit braunen Augen suchen. Manche schwärmen darin von wundervollen Liebesnächten, andere sind erbost über das plötzliche Verschwinden des Mannes, weitere sind recht neutral gehalten. Die Orte, welche genannt werden, befinden sich alle rund um Frankfurt, den Taunus, Offenbach und Rodgau. Die Anzeigen mit jüngerem Datum dagegen betreffen ausschließlich den Taunus, insbesondere die Gegend um Niedernhausen herum – dort, wo jetzt auch Maja wohnt.
In Eppstein lebt doch meine Inea! Ist das nicht ein Nachbarort von Niedernhausen?, fällt mir siedend heiß ein.
Unwillkürlich drängen sich Bilder in meinen Kopf, wie dieser Umbro sie in Erregung versetzt, wie sich meine Inea nicht gegen die überwältigenden Gefühle zu wehren vermag und sich von ihm …
NEIN!
Ich schiebe die Vorstellung vehement beiseite.
Auf jeden Fall werde ich sie warnen müssen.
Ich reiche das Blatt weiter, sodass auch die anderen Ratsmitglieder einen Blick darauf werfen können, für den Fall, dass einem von ihnen dazu etwas einfällt.
»Danke Sebeb, diese Artikel zeigen, dass der Umbro vor allem im Taunus, insbesondere um Niedernhausen herum sein Unwesen treibt. Daher sollten wir diese Gegend besonders im Auge behalten.«
Maja, die jetzt einen Blick auf die Anzeigen wirft, murmelt kaum hörbar: »Manchmal kann Naivität auch ein Segen sein.«
Niemand scheint ihrem Kommentar Beachtung zu schenken, aber ich kann sie sehr gut verstehen. Diese Frauen ahnen nicht einmal, dass die intensiven Gefühle und die überwältigende Erregung nicht aus ihnen selbst entsprang und dass all dies nur ein Produkt magischer Manipulation war. Daher haben sie jetzt lediglich mit dem Liebeskummer zu kämpfen, den der vermeintliche Liebesgott durch sein Verschwinden hinterlassen hat. Maja hingegen war sich sehr bewusst, welcher Manipulation sie unterlag. Für sie hatte es nichts mit Lust zu tun, sich mit aller Gewalt gegen die ihr aufgezwungene Erregung zu wehren. Nachdem alle die Artikel überflogen haben, aber niemand etwas dazu anzumerken hat, fahre ich mit der Befragung fort:
»Nikolaj, was habt Ihr zu berichten?«
»Mylord, einer meiner Wächter konnte einen der gesuchten Umbro ausfindig machen. Bedauerlicherweise ist ihm dieser entkommen. Es sieht aber so aus, als ob sich der Abtrünnige getarnt als Handwerker Zutritt zu Wohnungen alleinstehender Frauen verschafft und auf diese Weise unter anderem zu Kost und Logis kommt. Ob dahinter auch ein Machtgedanke steht, lässt sich nicht ausschließen, aber es wäre ebenso denkbar, dass der junge Umbro noch unwissend ist bezüglich der Möglichkeiten, die er gemeinsam mit seinen männlichen Nachkommen hätte.«
Dem muss ich zustimmen.
»Insofern muss ich Euch beipflichten, dass die Vorgehensweise der Abtrünnigen nicht besonders zielgerichtet erscheint. Die Handlungen wirken eher chaotisch und ausgerichtet auf schnelles, unverbindliches Vergnügen als auf nachhaltigen Machtgewinn. Dabei kann es sich jedoch auch um ein geschicktes Täuschungsmanöver handeln. Außerdem macht das Untertauchen in wechselnden privaten Wohnungen den Täter nur schwer auffindbar für uns.«
»Mylord, diese Gefahr muss umgehend bekämpft werden! In zwei Tagen wird Karkow seine Aufgabe in Atlatica beendet haben, dann werde ich ihn mit der Suche nach den Abtrünnigen beauftragen«, erklärt sich Nikolaj Smirnow jetzt doch bereit.
»Danke Nikolaj! Gibt es sonst noch Neuigkeiten zu diesem Thema?«
Niemand zeigt auf und so gehe ich zum nächsten Tagesordnungspunkt über, der mal wieder die mangelnde Infrastruktur auf Atlatica betrifft.
Nach Sitzungsende kehre ich gemeinsam mit Markus zu meiner Burg zurück.
»Kannst du denn tatsächlich Wächter erübrigen für das Aufspüren des Umbro oder wolltest du nur mit gutem Beispiel vorangehen?«, will Markus wissen, als wir unter uns sind.
Die Frage ist berechtigt, denn von den 103 noch lebenden registrierten Magiern befinden sich vierzehn auf Inferior, zwölf sind im Rat vertreten und unter den verbleibenden 77 Magiern hat knapp die Hälfte den Wächter-Status, darunter befinden sich jedoch zwölf Kinder und einige Heiler, die mit ihrer eigenen Aufgabe völlig ausgelastet sind. Ratsmitglieder suchen sich ihre Wächter selbst aus und meist ist es so, dass sie Magier der gleichen Magieform zum Wächter erwählen. Liliana als meine Wächterin gehört dabei zu den wenigen Ausnahmen. Jedem Ratsmitglied unterstehen zwischen zwei und fünf Wächter, in meinem Fall sind es sechs. Zwei davon sind auf Atlatica mit Aufgaben betraut, Liliana kümmert sich um Inea und drei meiner Wächter arbeiten als Kriminalbeamte, einer davon in Hamburg. Die drei Wächter, die ich statt Saskia von Leyla übernommen habe, haben wichtige Kontrollfunktionen an zentralen Punkten Atlaticas, daher kann ich diese keinesfalls abziehen.
»Nein, ich kann keinen meiner Wächter für diese Aufgabe abziehen, aber ich werde diesen Umbro selbst aufspüren«, antworte ich auf Markus’ Frage.
Er grinst extra breit, als habe er meine Hintergedanken erraten – heimlich gelauscht haben kann er nicht, denn während Ratssitzungen achte ich immer sehr darauf, mich abzuschotten. Dabei geht es mir nicht nur um Majas Wohl und das Abwenden einer unkalkulierbaren Gefahr. Ich muss mir eingestehen, dass ich den Gedanken kaum ertrage, dass sich dieser Kerl in der Umgebung von Inea herumtreibt. Darüber will ich mich aber vor Markus nicht rechtfertigen.
»Die kleine Saskia setzt dir ganz schön zu, was?«
Ich schnaube verächtlich.
»Dass ich mich nun auch noch mit so was rumschlagen muss, während in unseren Reihen ein Verräter nur darauf wartet, mir in den Rücken zu fallen und dieser unregistrierte Umbro ungehindert sein Unwesen treibt, das grenzt beinahe an Folter.«
»Vielleicht ist es besser, du schenkst ihr einfach keine Beachtung.«
»Sicher, aber wenn ich durch ihre Respektlosigkeit im Rat an Autorität verliere, kann ich das unmöglich durchgehen lassen.«
»Klar, das verstehe ich und glaube mir, in deiner Haut möchte ich keine Sekunde lang stecken.«
Sein Verständnis tut mir gut und einmal mehr schätze ich mich glücklich, einen vertrauenswürdigen Magier wie ihn meinen Freund nennen zu dürfen. Wir befinden uns in dem kleinen Raum, der das Tor zum Messeturm freigibt. Kurz darauf fahren wir mit dem Aufzug in die Höhe.
»Willst du wieder in dem Hotel in Eppstein übernachten?«, erkundigt sich Markus.
»Ja, aber zuerst besorge ich mir ein Auto, dann musst du mich nicht fortwährend durch die Gegend kutschieren.«
»Oh, tatsächlich! Ich bin nicht mehr dein Chauffeur?«, fragt Markus ungläubig.
»Nur noch bis zum nächsten Autohaus«, antworte ich.
Wir müssen dieses Mal ein Stück weit gehen, um Markus’ Sportwagen zu erreichen, weil er in der Nähe des Messeturms keinen Parkplatz gefunden hat.
»Ein Smartphone wäre auch recht hilfreich, dann könntest du sogar mit deiner Inea telefonieren, SMS schreiben oder ihr Fotos deines Mittagessens posten«, fällt Markus ein.
Dabei springt mir der Schalk aus seinem Gesicht förmlich entgegen. Was mein Freund mir vorschlägt, hat tatsächlich etwas Verlockendes, doch mit dieser neumodischen Technik kann ich mich nicht recht anfreunden.
»Nein«, entgegne ich ohne weitere Erklärung.
»War ja nur ein Vorschlag! Dann muss ich wohl im Hotel für dich anrufen, um nach einem Zimmer zu fragen. Auch für solche Dinge ist ein Mobiltelefon übrigens äußerst praktisch.«
Ich schnaube abfällig.
»Als nächstes schlägst du mir sicherlich vor, mich mit Hay Day zu entspannen und meine Energie für das Beladen virtueller Schiffe zu vergeuden.«
»Sollte ich es jemals fertigbringen, dich dazu zu bewegen, gelobe ich einjährige Abstinenz.«
»Du meinst, dann verzichtest du auf Gemüse?«
Es kommt selten genug vor, aber manchmal lasse ich mich von den Kabbeleien meines Freundes so sehr anstecken, dass ich sogar zurückschlage.
»Nein, ich meinte das eigentlich bezogen auf die Fleischeslust, aber für den unwahrscheinlichen Fall, dass du das Spiel nur ausprobieren solltest, um mich zu ärgern, entscheide ich mich sicherheitshalber lieber für den Verzicht auf Süßigkeiten.«
Wir haben endlich Markus` Auto erreicht. Als ich auf dem Beifahrersitz Platz nehmen will, fällt mir ein quadratisches Tütchen ins Auge, das den Sitz besetzt. Ich halte es meinem Freund unter die Nase, während ich mich niederlasse.
»Oh, das Kondom kannst du gerne behalten! Man kann ja nie wissen, wann man mal in Verlegenheit kommt, nicht wahr, Tori? Leider hatte sich in meine Hosentasche ein fieses Loch eingeschlichen und jetzt liegen die Dinger überall verstreut herum.«
Das zu kommentieren liegt unter meiner Würde. Stattdessen verstaue ich das Gummi-Verhütungsmittel im Handschuhfach.
»Wofür benötigst du so etwas überhaupt? Durch die Kommissura bist du doch ohnehin unfruchtbar und die üblichen Infektionskrankheiten können Umbro nicht bekommen«, interessiert mich dann doch.
»Stimmt, aber wie soll ich das den Nimagfrauen2 erklären? Die halten mich ohne Verhütung doch für einen verantwortungslosen Draufgänger!«
Mein Freund zückt jetzt sein Smartphone und lässt sich mit dem Hotel in Eppstein verbinden. Bedauerlicherweise ist dort kein Zimmer mehr frei. Markus versucht es in anderen Hotels rund um Frankfurt und auch in der Stadt selbst.
»Nichts zu machen, Tori. Es ist mal wieder Messe und alle Hotels sind restlos ausgebucht. Aber du kannst bei mir wohnen, wenn dich der Frauenbesuch nicht stört!«, erklärt mein Freund nach weiteren erfolglosen Anrufen.
Das fehlte gerade noch!
»Na gut, aber nur so lange, bis die Messe vorüber ist«, gebe ich seufzend zurück.
Wenn es mir zu bunt wird, muss ich eben jedes Mal durchs Tor in meine Burg zurückkehren. Dies würde mich jedoch wertvolle Zeit kosten.
* * *
Ich kämpfe mich mit meinem neuen Auto durchs Einbahnstraßenlabyrinth des Frankfurter Westends bis ich endlich in der Nähe von Markus’ Altbauwohnung einen freien Parkplatz aufspüre. Da es mir an Fahrpraxis mangelt, benötige ich mehrere Anläufe, bis ich den Wagen in die enge Lücke eingefädelt habe. Mein Freund hat mir einen Wohnungsschlüssel überlassen, sodass ich nicht zu klingeln brauche. Ich fische die Einkaufstüten vom Rücksitz und schließe dann die schwarze Limousine per Funkschloss ab. Nachdem ich durch das schmiedeeiserne Tor getreten bin, passiere ich einen schmalen Vorgartenstreifen mit weißen Kieselbeeten und kugelförmigen Buchsbäumen. Hinter der schweren Eingangstür windet sich eine steinerne Treppe zu den oberen Etagen. Markus wohnt im ersten Stock. Natürlich bin ich schon mehrfach bei ihm gewesen, deshalb ist das alles nicht neu für mich.
Als ich die Wohnung betrete, vernehme ich ein surrendes Geräusch aus der Küche. Vom sechseckigen Flur gehen ebenso viele Türen ab: drei führen zu großzügig angelegten Zimmern, eine zur geräumigen Küche, in der sogar ein Esstisch Platz findet, eine endet im Tageslichtbad und die Wohnungstür schließe ich gerade hinter mir. Neben einem Wohn- und einem Schlafzimmer dient Markus der dritte Raum als eine Art Rumpelkammer, in der er alles abstellt, was eigentlich entsorgt werden müsste. Im Grunde ist die Wohnung viel zu groß für einen Single, aber da ich selbst ganz allein eine riesige Burg bewohne, steht es mir sicherlich nicht zu, daran Kritik zu üben. Als ich nach der Ursache der Geräusche forsche, finde ich Markus in der Küche vor, wie er gerade eine weißliche Flüssigkeit mit einem elektrischen Gerät verquirlt. Er trägt dabei eine geblümte Küchenschürze, was ein recht ungewohntes Bild abgibt.
»Was wird das?«, frage ich und erschrecke ihn damit dermaßen, dass er das Gerät ruckartig aus dem Gefäß herauszieht. Weiße Flüssigkeit spritzt wild durch die Gegend und verziert Gesicht und Oberkörper meines Freundes mit einem fleckigen Punktemuster.
»Verflixt! Torin! Wie kannst du mich nur so erschrecken?«, schimpft er empört und stellt endlich das Gerät ab.
Es ist sonst nicht meine Art, über derartige Dinge zu lachen, aber mein gepunkteter Freund in seiner geblümten Küchenschürze hat etwas äußerst Amüsantes an sich, was meinen Mundwinkeln ein leichtes Zucken entlockt. Gleich darauf ärgere ich mich jedoch darüber, dass die Ereignisse der Vergangenheit meine sonst für Emotionen undurchlässige Oberfläche bereits so porös haben werden lassen.
»Du hast meine Frage noch nicht beantwortet!«, erwidere ich unangemessen streng.
»Du hast meine Frage noch nicht beantwortet«, äfft mich Markus sichtlich verärgert nach. »Du meine übrigens auch nicht. Das hätte ein Milchshake werden sollen, wenn es dich wirklich interessiert. Ich erwarte nämlich nachher Besuch von Steffi.«
Jetzt wandert sein Blick zu den Tüten, die ich noch immer mit mir herumtrage.
»Hey, du warst einkaufen? Welchem denkwürdigen Ereignis haben wir dieses Wunder zu verdanken?«, will Markus wissen, wobei er sich das Gesicht mit der Schürze abwischt.
Darauf antworte ich nicht, sondern wende mich einfach ab.
»Wo kann ich meine Sachen ablegen?«, erkundige ich mich stattdessen.
Mein Freund gesellt sich zu mir und öffnet mir die Tür zum Wohnzimmer.
»Komm hier entlang! Du kannst auf der Gästecouch übernachten.«
Ich stelle meine Einkaufstaschen auf einem Sessel ab, der schon wieder von so einem Kondom-Tütchen besetzt wird. Ich drücke es meinem Freund in die Hand, welcher es breit grinsend in seiner Hosentasche verschwinden lässt.
»Danke! Weißt du, davon kann man nie genug haben, vor allem nicht, wenn man heißen Besuch erwartet.«
Ich lasse mich in einem der Ledersessel nieder, was Markus dazu nutzt, um neugierig in meine Einkaufstüten hineinzulinsen. Mir ist das nicht recht, doch wenn ich widerspreche, wird ihn das umso mehr zu wilden Spekulationen verleiten. Daher gönne ich meinem Freund seine kindische Freude, die er bei jedem einzelnen herausgefischten Gegenstand zum Ausdruck bringt.
»Eine Zahnbürste und Zahnpasta – prima, das verspricht frischen Atem und glänzend weiße Zähne. Schwarze Hemden und Hosen, dazu passende Unterwäsche und Socken im exakt gleichen Farbton«, zählt er grinsend auf. »Es gibt so viele tolle Farben, willst du nicht mal was anderes ausprobieren?«
»Nein! So ist es am Einfachsten, es spart Energie und Zeit, die ich nicht damit zu vergeuden gedenke, Moderichtungen oder Farbkombinationen auszuprobieren.«
»Na gut. Was haben wir da noch? Einen Deo-Roller! Rasierklingen, oh und schicke, schwarze Lederschuhe. Und was ist in der anderen Tüte? Aha, Essen willst du also auch etwas. Äpfel und Bananen. Aber… mehrere Packungen Müsliriegel? Schmeckt dir so was?«
Er blickt mich fragend an.
»Das ist irrelevant. Sie bieten eine effektive Methode rascher Energiezufuhr.«
»Wie kann man den Genuss von Essen nur so nüchtern betrachten?«, seufzt mein Freund.
Darauf gehe ich nicht ein. Ich habe jetzt schon mehr als genug Zeit vergeudet. Wir sollten nach Eppstein fahren, um Inea vor dem unregistrierten Umbro zu warnen.
»Ich wechsele jetzt meine Garderobe. Kann ich dein Bad benutzen?«
»Du willst doch nicht jetzt noch bei Inea aufkreuzen. Es dämmert bereits und bis du bei deinem Fahrstil dort ankommen wirst, schläft sie sicher schon tief und fest«, neckt mich mein Freund schelmisch grinsend.
Möglicherweise ist es tatsächlich schon zu spät dafür. Auch wenn es mir absolut nicht passt, muss ich mir eingestehen, dass die Wahrscheinlichkeit gering ist, dass der Umbro ausgerechnet Inea zu seinem nächsten Opfer erwählen könnte. Aber Statistiken haben mich noch nie beruhigt und wir wissen einfach zu wenig über die Hintergründe, um auszuschließen, dass der Feuermagierin in diesem Zusammenhang eine besondere Rolle zukommt.
»Nun gut, dann zeige mir doch bitte, wie ich mit diesem Ding dort die Nachrichten sehen kann.«
Ich deute auf den Bildschirm an der Wand.
»Das ist nicht irgendein DING! Du solltest meinem 48 Zoll Flachbildschirm mit HD-Tripel-Tuner, DTS TruSurround und HDTV deutlich mehr Respekt entgegenbringen! Also, hier ist die Fernbedienung. Dort musst du draufdrücken, hier verstellst du die Lautstärke und … «
»Gut, stell mir nur die Nachrichten ein.«