Glut - Isabella Mey - E-Book

Glut E-Book

Isabella Mey

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Beschreibung

Der Flammentanz geht ins FINALE
Wird es gelingen, die Entführten zu befreien? Was ist mit Liliana geschehen? Und schafft es Feodora, ihre volle Macht zu entfalten? Diese quälenden Fragen begleiten Inea auf ihrer schier aussichtslosen Mission.

Leseprobe
Ich nicke verhalten, aber der dicke Wollknäuel in meinem Hals verhindert eine Antwort. Feuchtigkeit sammelt sich zu Tränen, die meine Wangen benetzen. Es fühlt sich an wie ein Abschied für immer. Nie waren wir uns so nah, nie fühlte sich eine Umarmung Torins so innig an.
Ist das immer so, dass alle Mauern erst dann fallen, wenn man am Abgrund steht?
Es klingt paradox, doch im Moment der Trennung ist nichts mehr von dem übrig, was uns so lange Zeit voneinander trennte.
Torin nimmt mein Gesicht in beide Hände und küsst mich auf die Stirn. Mein Herz wiegt zentnerschwer und ich entdecke sogar in den Augen des Schattenlords ein feuchtes Schimmern. Er lächelt gequält und streichelt mir über die Wange.
»Jetzt geh, Inea!«, flüstert er.

Flammentanz in fünf Bänden
Band I - Funken
Band II - Flammen
Band III - Feuer
Band IV - Brand
Band V/Finale - Glut

Romantasy mit einem Hauch Erotik, ab 16 Jahren

In der gleichen Welt:

Lichtertanz
1912 wird Atlatica vom grausamen Lord Sorbat beherrscht.
Band I – Die Magie der Glanzlichter
Band II – Die Magie der Goldwinde
Band III – Die Magie der Lichtkristalle (Finale)

Schattentanz
Julia, die Tochter des Schattenlords und einer Feuermagierin, fühlt sich zur Außenseiterin verdammt.
Band I - Windschatten
Band II - SchattenMeer
Band III - SchattenRiss (Finale)


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Inhaltsverzeichnis

Gedankengespräche

Herr und Meister

Tareni

Nachricht der Rufer

Besessen

Verlies

Abschied

Falle

Gefangen

Feuerseelen

Inferior

Irre

Ratstisch

Rückkehr

Hauptquartier

Waldversteck

Leylas Sehnsucht

Elixier

Suche

Verwirrung

Überlistet

Mission

Schlachtplan

Feuermonster

Kampf

Flammentanz

Danksagung

Weitere Bücher der Autorin

Ode an meine Testleser

Glossar

Impressum

FLAMMENTANZ

Glut

Isabella Mey

Band V

Angst verharrt in Gewohnheit,

Mut führt auf den Pfad des Herzens.

Gedankengespräche

Inea

Etwas quetscht mir die Lungen unangenehm zusammen. Schlaftrunken greife ich nach dem Gewicht, das zwischen meinen Brüsten ruht, und streife mit den Fingern über behaarte Haut. Das lässt mich erschrocken die Lider aufreißen. Als ich jedoch die Gestalt erkenne, die zu dem Körperteil gehört, entspanne ich mich sofort wieder.

Ich liege mit Torin im Bett, Arme und Beine kreuz und quer ineinander verhakt. Den Druck auf meine Brust verursacht der Unterschenkel des Schattenmagiers. Die genaue Lagebeschreibung unserer Gliedmaßen würde die halbe Seite füllen, weshalb ich darauf lieber verzichten möchte. Ich schiebe Torins Bein von meinem Oberkörper herunter, um wieder frei atmen zu können und richte mich auf. Gerädert von den Aktivitäten der Nacht strecke ich mich ausgiebig und betrachte dann den Mann in ›meinem‹ beziehungsweise Leylas Bett.

Wie friedlich und entspannt Torin wirkt, wenn er schläft …

Im Kontrast dazu offenbaren die halblangen, zerzausten Haare und die Bartstoppeln seine verwegene Natur. Während ich Torin betrachte, muss ich an die letzten Tage denken: Nach dem Besuch Edens und wilden Verfolgungsjagden haben der Schattenlord und ich Zuflucht ausgerechnet in Leylas Anwesen gefunden, während sie selbst gemeinsam mit Rahl in einer Zelle Inferiors festsitzt. Lieber möchte ich mir nicht vorstellen, was sie täte, wenn sie wüsste, dass Torin und ich eines ihrer Betten eingeweiht haben.

Ich knie mich neben den Schattenlord und streichele ihm sanft über die Wange, da schlägt er plötzlich die Augen auf, packt mein Handgelenk und dann geht alles so schnell, dass ich gar nicht weiß, wie mir geschieht. Mit geschmeidiger Schnelligkeit schleudert mich Torin auf den Rücken, wirft sich auf mich, legt die Hände auf meine Kehle und drückt zu.

Nicht einmal mehr ein Röcheln bringe ich zustande.

Dann höre ich ihn wie aus weiter Ferne »Inea!« rufen. Noch mit demselben Herzschlag lässt der Druck auf meinen Hals nach und ich blicke in das von blankem Entsetzen gezeichnete Gesicht des Schattenlords. Ich huste und schnappe gierig nach Luft, aber es scheint alles noch ordnungsgemäß zu funktionieren.

Torin stöhnt frustriert und streichelt sanft über meine Kehle, im verzweifelten Versuch, den Angriff wiedergutzumachen.

»Inea, ich bedaure das sehr. Es war ein übler Reflex. Ich bin es nicht gewohnt, dass mich eine Frau im Schlaf berührt.«

»Äh, habʼ ich mir fast gedacht!«, flüstere ich, noch ein wenig benommen vom Schreck.

»Geht es dir gut? Hast du Schmerzen?«

»Es ist alles in Ordnung«, versichere ich und bringe jetzt sogar ein Lächeln zustande. »Vor dem Raubtier in dir muss ich mich wohl in Acht nehmen.«

»Nur, wenn es im Schlaf Freund und Feind nicht auseinanderhalten kann. Ansonsten sollte es sich in der Gegenwart von Feuermagierinnen weitgehend zahm gebärden.«

Ein warmes Lächeln strahlt mir entgegen. Kaum hatte ich für möglich gehalten, dass Torin jemals dazu im Stande sein würde. Ich versinke in seinen dunkelbraunen Augen. Da zuckt plötzlich ein Satz durch mein Bewusstsein: ›Mit ihr könnte ich mich Tag und Nacht vereinen, pausenlos …‹

Das müssen Torins Gedanken gewesen sein, die ich aufgenommen habe. Aber heißt das, ich besitze doch diese telepathische Fähigkeit? Nur bei ihm oder auch bei anderen Menschen?

›Sie fragt sich, ob sie Gedanken lesen kann? Bisher war mir der Zugang zu den ihren verwehrt, doch nun scheint es, als ob sie sich mir geöffnet hat …‹

Unwillkürlich halte ich den Atem an, weil mir klar wird, dass wir uns gerade gegenseitig in den Kopf schauen.

›Torin? Verstehst du mich?‹

›Ja.‹

›Das ist genial! Wir können telepathisch kommunizieren!‹

Doch da wendet der Schattenmagier den Blick zum Fenster und seufzt.

»Es widerstrebt mir zutiefst, dass du in die Schatten meiner Seele zu schauen vermagst.«

»Du brauchst keine Angst haben, ich schnüffele dort schon nicht herum«, versuche ich ihn zu beruhigen.

Um ehrlich zu sein, habe ich allerdings keine Ahnung, wie ich ihn nicht ›belauschen‹ soll. Aber es hat eine halbe Ewigkeit gedauert, bis er sich mir so weit geöffnet hat, da will ich nicht riskieren, dass er sich jetzt schon wieder verschließt.

›… ist ein Ding der Unmöglichkeit, mich nackt und durchleuchtet …‹, höre ich in meinem Kopf, obwohl Torin aufgestanden ist und mich nicht mehr ansieht. Also der Augenkontakt ist schon mal nicht notwendig für die Telepathie. Aber ich würde das jetzt gerne auch mal abschalten können.

»Ähm, hast du Hunger? Wollen wir was essen?«, frage ich.

»Ja«, antwortet er knapp und schlüpft in seine schwarze Jeans.

Mist, jetzt ist Torin wieder reserviert. Bestimmt habe ich ihn mit dieser Telepathiegeschichte verscheucht.

›… darf sie nicht ansehen, ohne die Selbstbeherrschung zu verlieren. Diese sinnlichen Lippen …‹

Okay, es liegt doch nicht am Gedankenlesen, dafür wird mir jetzt leicht schummerig im Kopf von dem Schwall an erotischen Fantasien, die der Schattenlord am liebsten mit mir ausleben würde. Ich muss heftig schlucken, während ich den durchtrainierten Männerkörper beim Anziehen beobachte.

»Steh auf! Wir haben einiges zu erledigen!«, befiehlt der Schattenmagier in gewohnt schroffem Ton.

›… wenn sie noch länger so unbekleidet dort liegt und mich dabei anschmachtet, kann ich für nichts mehr garantieren …‹

›Anschmachtet?‹ wiederhole ich im Geiste und da erst fällt mir auf, dass im Prinzip nur noch der Sabber fehlt, der mir aus dem Mund läuft.

Okay, ich sollte schleunigst wieder zur Besinnung kommen.

Also reiße ich mich vom Anblick der Verlockung los und suche nach den Spuren meiner Kleidung, was sich als Herausforderung erweist, denn wir sind beim Ausziehen nicht gerade zimperlich gewesen.

Als wir endlich beide kaum noch nackte Haut offenbaren, sieht mich Torin wieder an.

›Rucht Femmock1! Was kann mich jetzt noch davon abhalten, ihr die Kleider vom Leib zu reißen?‹, schimpft der Schattenmagier in meinem Kopf.

Verflixt, und warum muss ich jetzt so dämlich grinsen?

»Äh, ich röste uns schon mal den Toast«, schlage ich vor.

»Gut, dann brate ich die Spiegeleier.«

›Femmock! Die Hose spannt. So geht das nicht weiter!‹

Unwillkürlich rutscht mein Blick zur deutlichen Wölbung in seiner Jeans. Rasch drehe ich mich um und steuere auf die Küche zu, denn auch mir fällt es alles andere als leicht, mich zu beherrschen. Diese Anziehung ist kaum auszuhalten.

Während Torin die Spiegeleier in der Pfanne brutzelt, decke ich den Tisch. Obwohl im Haus eine angenehme Kühle herrscht, ist mir unnatürlich heiß. Ich kann mich kaum auf meine Tätigkeit konzentrieren, weil immer wieder Gedankenfetzen des Schattenmagiers durch meinen Kopf flitzen, die ich besser nicht mitbekommen sollte. Auf meine Hirnprodukte erhalte ich jedoch keine Reaktion und ich frage mich, ob sie der Schattenmagier nicht ›hört‹ oder sie schlichtweg ignoriert.

›Torin?‹, teste ich mal aus.

›Wo hat die verfluchte Femia das Salz versteckt?‹

Der Schattenlord durchsucht erfolglos das Gewürzregal, weil der Salzstreuer vor mir auf dem Tisch steht. Ich angele mir das gute Stück und halte es Torin vor die Nase. Er mustert mich mit gerunzelter Stirn.

»Sag jetzt nicht, du hast in meinen Gedanken gelesen, dass ich das Salz suche.«

Ich zucke entschuldigend mit den Schultern und sende ihm ein gedachtes ›Doch. Tut mir leid.‹

»Das kann nicht sein, ich hatte mich abgeschottet. Außerdem hatten wir gerade weder Augen- noch Körperkontakt«, stößt er beinahe panisch hervor.

»Äh, ich werde versuchen, nicht hinzuhören«, piepse ich kleinlaut.

Allerdings weiß ich wirklich nicht, wie ich dem entgehen soll und zum ersten Mal kann ich verstehen, wie sich Markus fühlen muss, wenn er Gedanken ›hört‹, ohne es zu wollen. Torin rauft sich frustriert die Haare, dann schnappt er das Salz aus meiner Hand und konzentriert sich auf seine Eier.

Das Frühstück verläuft nicht wirklich schweigend, wenn ich die stummen Dialoge in meinem Kopf mit einbeziehe. Der einzige Vorteil an der Sache ist, dass man getrost mit vollem Mund telepathieren2 kann, ohne sich zu verschlucken oder dass es komisch klingt. Der große Nachteil besteht darin, dass man nicht vorher überlegen kann, was man nachher denken möchte, sondern dass alles live und ungefiltert übertragen wird – keine Chance, Peinlichkeiten oder Unwahrheiten vor dem anderen zu verbergen.

Die Gefühlsduselei um meinen finsteren Lord hilft mir wenigstens dabei, die Ängste und Sorgen um meine Freunde für eine Weile in den Hintergrund zu verbannen. Irgendwann, zwischen dem letzten Bissen in meinen Frühstückstoast und einem Schluck Milchkaffee, meldet sich jedoch das schlechte Gewissen darüber, dass ich hier so friedlich mit Torin frühstücke, während sie irgendwo da draußen vielleicht gerade um ihr Überleben kämpfen.

››Du hast recht, wir sollten sofort aufbrechen, um sie zu suchen‹‹, stimmt mir der Schattenlord zu, statt mir die Gewissensbisse zu nehmen.

››Glaubst du, Markus und die anderen leben überhaupt noch?‹‹, frage ich bange.

Wenn ich wenigstens wüsste, dass es ihnen den Umständen entsprechend gutgeht …

››Hätte man sie umbringen wollen, wären sie schon lange tot‹‹, antwortet der Schattenlord nüchtern. ››So etwas kann man sofort erledigen, dafür braucht man sich nicht die Mühe machen, jemanden zu entführen.‹‹

››Nicht wirklich beruhigend. Diese ganze Entführung ist doch reiner Irrsinn. Was soll das?‹‹

››Du bist eben eine Gegnerin, die sie zu lange unterschätzt haben und mit deinen Freunden haben sie ein gutes Druckmittel in der Hand!«

››Das heißt dann aber doch, dass die Entführer ihnen etwas antun werden, wenn ich mich nicht ergebe.‹‹

››Zunächst müssen sie erst einmal Forderungen stellen und das können sie ja nur, wenn sie Kontakt zu dir aufnehmen. Deshalb müssen wir uns beeilen, das Versteck so rasch wie möglich ausfindig zu machen. Vielleicht gelingt es uns, die Gefangenen zu befreien, bevor man Druck auf dich ausübt.‹‹

››Glaubst du wirklich, das können wir schaffen? Für mich klingt es wie ein Ding der Unmöglichkeit!«

›In Wirklichkeit halte ich das ebenfalls für unwahrscheinlich. Aber wenn ich ihr die Wahrheit erzähle, läuft sie dieser Feuerhexe doch geradewegs in die Arme.‹

»Gewiss werden wir Markus und die anderen vorher befreien. Lass uns gleich aufbrechen!«, antwortet Torin, während er aufsteht, um die Teller abzuräumen.

Viel lieber möchte ich glauben, womit er mich zu beruhigen versucht, als das, was mir seine Gedanken verraten haben. Man wird mich suchen, verfolgen und mir eine Falle stellen, die immer und überall auf mich lauern könnte. Das alles bereitet mir solche Angst, dass ich es am liebsten dauerhaft verdrängen würde.

Geistesabwesend helfe ich Torin beim Abspülen. Dann packen wir die notwendigsten Sachen zusammen und begeben uns zum Brunnenschacht. Torin trägt den Rucksack, den wir am Tag zuvor gekauft haben. Da er schlecht harmoniert mit seinem Umhang, musste der Schattenlord diesen zu seinem großen Leidwesen in Leylas Anwesen zurücklassen. Aber wichtiger als der Mantel erschien uns dann doch Proviant, Wasser, Schlafsack und Regenkleidung. Mich wollte Torin den schweren Rucksack auf keinen Fall schleppen lassen. Zwar hätte ich mich über dieses Machogehabe beschweren können, aber um ehrlich zu sein, bin ich froh, dass ich nichts tragen muss und der Schattenlord scheint das Gewicht nicht einmal zu spüren.

»Warte!«, sage ich, nachdem mich Torin ein paar Schritte durch die Finsternis geführt hat.

»Was ist?« Torins Worte hallen von den Wänden des Tunnels zu Leylas Hexenküche.

»Es ist ja toll für dich, dass du im Dunkeln sehen kannst, ich brauche aber Licht!«

Ich entfache mein Feuer und erschrecke damit gehörig den Schattenmagier, der dicht bei mir stehend meine Hand hält. Er zuckt keuchend zurück, obwohl ich ihn nicht verbrannt habe.

»Inea!«, stößt er vorwurfsvoll hervor.

»Ich versuche, es herunterzudimmen!«

Stattdessen entscheide ich mich aber dafür, einen Feuerfunkenstrahl über meinem Kopf hervorsprühen zu lassen, denn wenn mein gesamter Körper brennt, sind die diffusen Flammen auch für meine Sicht nicht besonders förderlich. Ich spiele verschiedene Varianten durch und ende schließlich bei einem hellgelben Glimmen der Haare, das wundervoll die Umgebung ausleuchtet. Torin, der mich aus sicherer Distanz beobachtet, schüttelt fassungslos den Kopf.

›Meine Feuermagierin verfügt über wahrhaft fantastische Fähigkeiten. Nie hätte ich dies für möglich gehalten! Und wie magisch dieses Glühen ihr Gesicht erhellt … Ob ich jemals dem Zauber dieser Frau zu widerstehen vermag?‹

»Ähm, gehen wir dann weiter?«, frage ich verlegen, weil ich mal wieder unbeabsichtigt seinen Gedanken gelauscht habe.

»Sicher!«

›Femmock, sie spioniert schon wieder in meinem Kopf!‹

»Geh voraus!«, befiehlt er schroff, aber mir ist schon klar, warum er jetzt so ruppig reagiert.

»Tut mir leid, ich weiß wirklich nicht, wie ich das abstellen soll!«, antworte ich.

»Schon gut! Im Grunde bin ich das von Markus gewohnt! Nur gegen den konnte ich mich abschotten, wenn ich wollte.«

»Warum geht das bei mir nicht? Glaubst du, es liegt an dieser Seelengefährten-Sache?«

»Möglich!«, brummt Torin. »Damit kenne ich mich nicht aus. Vielleicht liegt es auch an den wachsenden Fähigkeiten deiner Feuermagie. Wer weiß das schon!«

Wir gelangen über die Treppe in Leylas Hexenküche und von dort über das Tor in mein ehemaliges Verlies. Sofort fühle ich mich zurückversetzt in den Horror meiner Entführung. Kalte Schauer jagen durch meine Adern. Ich fühle mich beklommen von den Erinnerungen, die mich überschwemmen. Die lange Zeit des Wartens, das ewige Tropf-Tropf und die Angst, dieser Leyla ausgeliefert zu sein, sind in dieser Höhle so präsent wie nie. Ich zittere und schrecke zusammen, als Torin unvermittelt seinen Arm um mich legt. Ein paar Herzschläge lang wiegt er mich tröstend ein wenig hin und her und ganz langsam kehrt wieder Ruhe in mich ein.

Wir gehen zur Zelle mit dem geheimen Ausgang und Torin lässt mir den Vortritt für den Aufstieg am Gitter. Nun kommt der Teil mit der falschen Mauer. Ich tauche ein, halte die Luft an und klettere weiter, bis das schleimige Gefühl meinen Oberkörper wieder verlässt. Puh, das ist so widerlich, aber wenigstens bleiben keine Rückstände haften. Rasch steige ich im Schornstein empor, damit Torin nachrücken kann. Wir klettern und klettern und klettern, bis wir endlich oben ankommen. Den Weg kenne ich ja schon. Es geht öde immer geradeaus.

Ich muss an Liliana denken. Wenn ich doch nur wüsste, ob sie entkommen konnte … Da fällt mir etwas ein:

»Sag mal, hat Liliana nicht auch so einen Kommunikationskristall? Könnte man sie darüber erreichen? Ich werde noch wahnsinnig, nicht zu wissen, wie es ihr geht.«

»Das muss warten, Inea! Selbst wenn ich einen Kristall hätte, würde ich ihn nicht nutzen, denn sobald man ihn aktiviert, kann seine Position auf den magischen Karten geortet werden – genau wie bei einer Kommissura mit Status vier!«

Ich seufze frustriert. Am liebsten würde ich sofort dorthin fahren, wo ich als Kind ein Wasserrad gebastelt habe. Diesen versteckten Hinweis hat Liliana mir zu ihrem Aufenthaltsort gegeben. Aber wenn sie es geschafft hat zu entkommen, wird sie meine Hilfe höchstwahrscheinlich nicht so dringend benötigen, wie meine Freunde. Und sollte man sie gefangengenommen haben, dann müssen wir ohnehin dieselbe Spur verfolgen, wie jetzt auch – wobei Spur reichlich übertrieben klingt, bei den mehr als vagen Informationen, die Torin von der Sphäre Edens erhalten hat.

Wir verfallen zunehmend in einen schweigenden Trott, allerdings irritiert mich, was ich dabei von den Gedanken des Schattenmagiers mitbekomme:

›Rot OP3 doppelte Schwingung 9, Grün AT4 einfacher Satz 2‹

Auf diese Weise rattert es permanent in meinem Hirn. Bei unserer Höhlenwanderung wirkt Torin genauso gedankenversunken, wie es sich in meinem Kopf anhört. Er trabt voraus, ich hinterher. Zunächst wage ich nicht nachzufragen, weil ich ihn nicht schon wieder darauf hinweisen will, dass ich mithöre, aber irgendwann siegt dann doch die Neugier.

»Äh … was hat das alles zu bedeuten?«

Natürlich weiß er sofort, worauf ich anspiele, also führe ich es besser nicht weiter aus.

»Wie? Ach, das ist ein uraltes magisches Spiel.«

»Oh! So wie Quiddich?«

»Wie was?«

Torin fährt mit gerunzelter Stirn herum. Das Glühen meiner Haare leuchtet geheimnisvoll in seinen Pupillen.

»Ein magisches Spiel aus einem Fantasyroman. Man könnte es weit entfernt mit Fußball vergleichen, nur dass es drei Tore auf jeder Seite gibt und man auf Besen fliegt«, erkläre ich.

»Natürlich ist Troygon kein Spiel aus einem Roman!«, schnaubt Torin verächtlich. »Es lässt sich vergleichen mit Schach, nur dass es dreidimensional gespielt wird und jede Figur über vier festgelegte Zauber verfügt. Außerdem erhält jede Partei ein Kontingent an Magiesteinen, mit denen die Stärke des zu wirkenden Zaubers bestimmt werden kann.«

»Wow! Klingt mächtig kompliziert. Und das kannst du nur im Kopf spielen?«

Ich bewundere ja schon Leute, die eine Schachpartie in Gedanken austragen können, aber dieses Troygon klingt noch um ein Vielfaches komplizierter.

»Mehr oder weniger«, weicht er aus und runzelt die Stirn.

›Tatsächlich versage ich kläglich beim Versuch, mir alle Positionen und Magiesteine zu merken, doch es gilt, meine Gedanken vor Inea …‹

Warum nur, muss ich ihn jetzt so dämlich angrinsen?

›Verflucht! Grün AL3 halber Wechsel 2!‹

Torin fährt herum und marschiert so schnell weiter, dass ich Mühe habe, ihm zu folgen. Erst vor der falschen Wand wartet er auf mich. Er lässt mir den Vortritt, was mich ja wahnsinnig begeistert, weil ich so schrecklich auf schleimige falsche Wände stehe!

Ich bringe den Durchtritt rasch hinter mich und komme wie erwartet in der Tropfsteinhöhle zum Vorschein. Viel hat sich hier nicht verändert seit dem letzten Besuch, wenigstens bin ich dieses Mal nicht alleine und weiß genau, dass ein Ausgang existiert. Wie ich allerdings da hingelange, daran erinnere ich mich nicht mehr. Der Schattenmagier hat für dieses Problem jedoch vorgesorgt: Nachdem er aus dem schleimigen Hindernis heraustritt, holt er aus seinem Rucksack ein paar bunte Kindermalkreiden.

»Sollen wir damit den Weg markieren? Ich bezweifele, dass sich die Kreide bei dem feuchten Klima in der Höhle lange hält.«

»Grün TR1 einfache Sch …«, sagt Torin laut und setzt dann ein grimmiges Gesicht auf, wahrscheinlich zur Vorbeugung, damit ich ihn nicht auslache. »Solange wir uns auf der Suche nach dem Ausgang befinden, wird die Farbe halten«, erwidert er kurz angebunden und malt mit grüner Farbe einen dicken Kreis neben den Durchtritt.

»Und was, wenn wir auf diesem Weg wieder zurückkehren wollen? Dann sind die Zeichen verwischt. Warum verwenden wir keine Farbe, die länger hält?«

»Weil dann jeder diesen geheimen Zugang finden könnte und das gilt es zu vermeiden. Falls wir unseren Rückweg durch die Höhle antreten müssen, warten wir bis zur Dämmerung, dann kann ich meinen Schatten auf den Weg schicken. Ich lege hier einen Gegenstand auf den Boden, damit der Schatten weiß, wonach er suchen muss.«

Neugierig beuge ich mich vor, um zu sehen, was Torin hier abzulegen gedenkt.

»Einen Stöckelschuh? Wo hast du den denn her? Ist das Leylas?«, rufe ich überrascht aus.

»In der Eile blieb keine Zeit, mir darüber Gedenken zu machen und es spielt keine Rolle, um was für einen Gegenstand es sich handelt.«

So beginnen wir unseren Irrweg durch das Tropfsteinlabyrinth. Dank der Kreidezeichen kommen wir dieses Mal zwar schneller voran als ich damals, aber dennoch dauert es eine ganze Weile, bis wir endlich den Gang erreichen, der zur Leimargrube führt.

»Hier kenne ich mich aus. Wir müssen dort entlang!«, erkläre ich und gehe voraus.

»An dieser Abzweigung bin ich gewiss noch nie gewesen. Offenbar führen mehrere Wege nach draußen«, antwortet Torin und folgt mir bis zu der Stelle, an der die grünen ›Pfefferminzkörner‹ den Boden bedecken. Ich will gerade hindurchwaten, als mich der Schattenlord am Arm packt und zurückzieht.

»Das ist das Nest eines Leimars! Da solltest du nicht durchgehen!«

»Ich weiß, ich habe dir doch davon erzählt. Aber ich habe ihn damals getötet.«

»Du musst wissen …« Weiter kommt Torin nicht, denn pfeilartig sausen lauter kleine Würmer aus dem grünen Sand heraus, direkt auf uns zu. Es müssen hunderte sein und es folgen immer mehr. Der Schattenmagier reißt mich zu Boden, gleichzeitig entweicht seiner freien Hand ein schwarzer Wirbelwind. Kaum trifft dieser Strudel auf die grünen Miniwürmer, explodieren sie zu Schaumspritzern. Der schwarze Wirbel fräst sich durch den grünen Sand hindurch, wobei dieser ebenfalls zu schäumen beginnt. Auf dem Boden liegend beobachte ich, wie vor uns nach und nach eine grün schäumende Suppe entsteht, die ekelhaft nach einem Gemisch aus Fäulnis, Brackwasser und Pfefferminz stinkt.

»Iiih, was war das? Mini-Leimare?«, frage ich, als sich endlich nichts mehr rührt.

Ohne die Ekelsuppe aus den Augen zu lassen, richtet sich Torin auf. Wachsam scannt er die Felswände ab, während er antwortet:

»Leimare sind Zwitter, die sich auch selbst befruchten können. Die reifen Eier bewahren sie in ihrem Körper auf. Dort sammeln sie während ihres Lebens recht viele davon an. Wenn ein Leimar stirbt, schlüpfen die Jungen aus und ernähren sich vom Kadaver des Elterntiers. Sollte sich keine Beute in das Nest verirren, schwärmen die Jungtiere aus und suchen nach Nahrung oder sie werden zu Kannibalen und fressen sich gegenseitig, bis ein einziger Leimar übrigbleibt.«

Mir wird schlecht. Ich stehe auf und gehe ein paar Schritte rückwärts, um Abstand zu gewinnen.

»Ich weiß schon, warum Leimare zu meinen ›Lieblingstieren‹ gehören!«, antworte ich angewidert. »Und was jetzt? Ich hoffe, du schlägst nicht vor, dass wir durch diese eklige Brühe waten.«

»Nein, das würde uns schlecht bekommen. Der Schaum enthält aggressive Verdauungsenzyme, die die Haut verätzten.«

»Aber …«, beginne ich, doch da Torin seinen Blick angespannt auf die Felswand richtet, halte ich inne.

Ein weiterer Wirbel verlässt seine Hand und dieses Mal fräst er sich in die nackte Felswand hinein. Es staubt und klingt annähernd wie eine Mischung aus Kreissäge und Donnergrollen, allerdings nicht besonders laut. Als der Strudel seine Arbeit beendet hat, liegt der Schaumsee von einer dicken Steinstaubschicht bedeckt vor uns. Dafür hat die rechte Felswand ein gutes Stück ihrer Breite eingebüßt, sodass ein leicht erhöhter Sims entstanden ist.

»Bitteschön! Nach dir!«, weist mich Torin mit einer Geste seines ausgesteckten Armes an.

»Diese Schattenmagie kann ziemlich praktisch sein!«, stelle ich fest. Dann gehe ich voraus, dem Tageslicht entgegen.

Draußen angekommen, atme ich erst einmal tief die frische Luft der Freiheit ein und lösche das gelbe Glimmen meiner Haare. Dunkle Gänge und Höhlen sind nichts für mich. Und der Blick ins Tal hat seit dem letzten Mal nichts von seiner Schönheit eingebüßt.

›… sie so bezaubernd in der Sonne steht. Nein, ich sollte mich nicht abermals von ihrer Anziehung beherrschen lassen …‹

Entgegen seiner abwehrenden Gedanken, schlingen sich auf einmal zwei starke Arme von hinten um meine Hüfte, pressen meinen Rücken sanft gegen den männlichen Körper und wiegen mich hin und her. Torins Kopf schmiegt sich an meine Wange. Er bläst eine meiner Haarsträhnen fort, die der Wind um seine Nase gewickelt hat.

Himmel, wenn wir jetzt nicht um unsere Freunde und die Welt bangen müssten, wie sehr würde ich diese innige Vertrautheit nach so langer Zeit des Sehnens genießen!

›… muss mich von ihr lösen! Wir haben eine dringliche Mission vor uns!‹

Doch statt seine Gedanken in die Tat umzusetzen, schmiegt er sich enger an mich, vergräbt das Gesicht zwischen meiner Schulter und meinem Ohr, wo er den Ansatz des Halses mit keuchenden Küssen versieht. Ich schließe die Lider und neige genüsslich den Kopf zur Seite, lasse mich fallen in die herrlichen Gefühle, die zwischen uns schwingen.

Ein Schnalzgeräusch lässt den Schattenlord gleichermaßen wie mich selbst zusammenzucken. Sofort ist die Erinnerung an die Muckies wieder da, die mich vor nicht allzu langer Zeit mit Steinen attackiert haben. Torins wundervolle starke Arme ziehen sich zurück. Wir sehen uns beide suchend um, doch bei der hervorragenden Tarnung ihres Fells ist es kein Wunder, dass wir keines der Tiere entdecken können.

»Wir sollten weiter gehen!«, bestimmt Torin unterkühlt und macht sich dann ohne mich noch einmal anzusehen, einfach an den Abstieg.

Aber das kenne ich ja schon und dank der vielen Einblicke in seine Gedankenwelt weiß ich nur allzu gut, dass das abweisende Verhalten ausschließlich dazu dient, seine Gefühle unter Kontrolle zu halten. Daher brauche ich mich auch nicht wie eine liebestolle, zurückgewiesene, beleidigte Zicke benehmen, indem ich Torin in endlosen Beziehungsdiskussionen festnagle, sondern kann mich getrost darauf konzentrieren, ihn einzuholen. Schließlich legt er ein halsbrecherisches Tempo vor und das mit der Geschicklichkeit einer Bergziege. Wobei zu ihm besser der Steinbock passt, die Ziege wäre dann ich, wenn ich mich nur halb so geschmeidig bewegen könnte wie dieser dunkle Magier vor mir.

Immerhin beruhigt es mich, dass ich kein weiteres Schnalzgeräusch höre. Die Muckies scheinen dieses Mal nicht an einer Verfolgung interessiert. Dafür habe ich alle Mühe, mit Torin Schritt zu halten und es dauert nicht lange, da sehne ich nichts weiter als einen Schluck Wasser und eine Pause herbei. Weil ich aber ungerne den Eindruck einer empfindlichen Mimose erwecken möchte, halte ich wortlos durch. Wir haben inzwischen die Talsohle erreicht und folgen dem Ufer des Flusslaufes. Hin und wieder schicke ich Feuer in meine Füße, um die Blasen zu heilen. Für mein nächstes Abenteuer benötige ich auf jeden Fall passendes Schuhwerk. Die Chucks sind zwar bequem, aber mit der Zeit kommt es mir so vor, als ob sich die Musterung des Untergrundes bis zu meinen Füßen hindurchdrückt.

Torins Gedanken rauschen einfach so durch mich hindurch, wechseln zwischen aktuellen Problemen, Troygon und meiner Person in allen Facetten. Schon interessant, die männliche Sicht eines Schattenlords auf seine Seelenpartnerin live mitzubekommen.

»Ich kann nicht mehr!«, japse ich, als ich den unwiderstehlichen Drang verspüre, mich einfach so auf den bemoosten Waldboden zu werfen.

»Nicht hier, Inea!«, widerspricht Torin, ohne sich umzudrehen.

Hat er mich nicht richtig verstanden? Ich kann nicht mehr!

Demonstrativ lasse ich mich zwischen den Wurzeln eines knorrigen alten Baumes nieder, der aus einer Sage entsprungen sein muss. Überhaupt hat sich die Landschaft immer mehr dem angenähert, was ich mir unter einem Märchenwald vorstelle: Knorpelige, dicke, mit Moos bewachsene Bäume, von denen Pflanzen in langen Fäden herunterhängen, die ein wenig an Farne erinnern. Der ebenfalls bemooste Boden ist bespickt mit lauter violetten, roten und blauen Miniblumen. Außerdem müssen hier irgendwo heiße Quellen sein, denn fortwährend ziehen Dampfschwaden durch die Wipfel, die das Sonnenlicht in Streifen unzähliger Lichtpunkte durch die Zweige scheinen lassen.

Aber all das kann mich nicht von der dringend notwendigen Ruhepause abhalten. Keinen Herzschlag später packen mich kräftige Hände an den Armen und hieven mich in die Senkrechte.

»Nicht hier, Inea!«, schimpft Torin.

»Warum denn nicht? Ist das hier …«

›gefährlich?‹, wollte ich fragen, doch der Baum, an den ich mich gelehnt hatte, scheint plötzlich zum Leben erwacht – oder vielmehr, die fadenförmigen Pflanzen, die von den Ästen herabhängen. Sie sausen herab wie von einer Pistole abgeschossen und wickeln sich blitzschnell sowohl um Torins Körper als auch um meinen. Arme, Beine, Bauch und Kopf werden von klebrigen, grünen Schlingen eingewickelt. Reflexartig entfache ich mein Feuer, doch das Grünzeug ist zäh. Ich spüre nur ein leichtes Nachlassen des Zuges, während ich das Gefühl habe, hoch in die Luft gehoben zu werden.

Aaahhh? Was ist das? Das Werk von einem Inkanta oder eine fleischfressende Riesenpflanze?

Endlich zeigt mein Feuer Wirkung. Die grünen Fesseln lösen sich. Ich knalle auf einen dicken Ast und schaurecke vier Riesenaugen eines … Sumpfkrokodils? Das gezähnte Maul und die Schuppen deuten jedenfalls darauf hin, im Gegensatz zum Körper, der aus einer mächtigen Kugel besteht – zwei Ineas könnten da drin bequem Platz finden. Statt Beinen ragen unzählige lange, grüne Fäden wie Haare aus seinem Körper. Diejenigen, die unter meinen Flammen gelitten haben, fallen einfach ab, dafür beobachte ich mit einer Mischung aus Faszination und Horror, wie an den Bruchstellen bereits neue Fasern aus dem grünen Körper herauswachsen.

Bestimmt wohnt das Biest immer auf diesem Baum, denn ich kann mir nicht vorstellen, wie es ohne Arme und Beine jemals hier runterkommen sollte. Wenn ich die spärliche Gesichtsmimik richtig deute, schaut es mich misstrauisch an, lässt sein Maul aber geschlossen. Wahrscheinlich hat es eingesehen, dass Feuer nicht gut schmeckt.

»Inea, spring runter!«, ruft Torin plötzlich.

Ich blicke zum Waldboden, wo er mit ausgebreiteten Armen steht, um mich aufzufangen, allerdings in über acht Metern Tiefe!

»Äh, aus dieser Höhe kann ich doch nicht springen!«, protestiere ich.

Außerdem bin ich ja immer noch erschöpft. Allerdings hat das durch den Schreck ausgeschüttete Adrenalin wohl eine versteckte Kraftreserve mobilisiert, denn ich fühle mich immerhin in der Lage, hinunterzuklettern – genug Äste hat der Baum ja. Zwischenzeitlich lösche ich mein Feuer, wer weiß, wozu ich die magische Energie hier noch benötige.

Auf den letzten zwei Metern gibt es keine Äste mehr. So lasse ich mich herabbaumeln und dann einfach plumpsen. Der Schattenlord hat offenbar kein Problem mit meinem Gewicht, als ich in seinen Armen lande, denn er schwankt nicht einmal.

»Ich hatte doch gesagt, nicht hier!«, schimpft Torin.

Entgegen seinem Tonfall hält er mich jedoch wohlig im Arm. Ich fühle mich zurückversetzt zu dem Tag, als er mich nach dem Sumpf-Schmeigel-Biss bis Mistad getragen hat.

»Und ich hatte doch gesagt, ich kann nicht mehr!«, erwidere ich trotzig, was mich aber nicht davon abhält, meinen Kopf an Torins Brust zu schmiegen und dem Pochen seines Herzens zu lauschen.

»Gut, dann muss ich dich wohl oder übel tragen, sonst katapultiert dich gleich der nächste Kroschalm in die Wipfel. So werden wir nie ankommen«, beschwert sich der Schattenlord und stapft bereits mit großen Schritten vorwärts.

Im Grunde könnte er mich immer tragen, schließlich läuft er mit mir genauso schnell wie ohne mich.

»Kro-was? Was sind das für komische Wesen?«

»Kroschalm! Woraus sie hervorgingen, ist nicht ganz klar, aber vermutlich waren Pflanzen und Krokodile beteiligt. Wie du selbst gesehen hast, leben sie auf Bäumen und angeln sich mit ihren klebrigen Faserhaaren Beutetiere.«

»Aha, und warum greifen sie jetzt nicht an, sondern erst, nachdem ich mich hingesetzt habe?«

»Bewegte Objekte sind für sie schwer zu orten. Erst wenn die Beute innehält, richten sich die Fasern auf das Ziel aus.«

»Und du hast dich wahrscheinlich mit diesem schwarzen Strudel befreit, oder?«

Zu gerne möchte ich mehr über Torins Magie erfahren. Darüber weiß ich ja noch nicht allzu viel.

»Der Schwarze Sog! Er wird nur von wenigen Magiern beherrscht. Im Augenblick kenne ich mit dem kleinen Jungen Simeo genau vier, die ihn überhaupt zustande bringen. Allerdings können nur Rahl und ich ihn in seiner vollen Macht und Perfektion nutzen. Das erfordert jahrelanges, hartes Training.«

»Und was kannst du sonst noch so für Zauber?«

»Das unterliegt der Geheimhaltung!«, knurrt Torin unwirsch.

»Deswegen bin ich ja besonders neugierig!«, bohre ich weiter. »Außerdem verrate ich dir doch auch alles über meine Feuermagie!«

Torin springt leichtfüßig über eine dicke Wurzel und seufzt.

»Ich beherrsche es, kleine Feuermagierinnen zur Weißglut zu bringen!«

»Tatsächlich? Und wie stellst du das an?«, frage ich schelmisch.

»Indem ich sie auf die Folter spanne und schweige.«

»Ich werde es schon noch rauskriegen.«

Schweigen!

Noch immer Schweigen!

Lautes Gebrüll lässt mich plötzlich zusammenzucken. Torin hält ebenfalls inne und da taucht auf einem Felsen direkt über uns eine ganze Familie dieser Riesenluchse auf – zwei große und zwei kleine Tiere.

Torin stellt mich hastig auf die Beine, stellt sich vor mich und zückt sein Schwert. Seltsamerweise kommt bei mir nicht die geringste Furcht auf.

›Schön, dich wiederzusehen, Inea!‹, höre ich eine vertraute Stimme in meinem Kopf. Das war doch der Riesenluchs aus der Leimarhöhle, der mich später vor den Muckies gerettet hat.

Es war also doch kein Traum! Er hat damals tatsächlich telepathisch mit mir gesprochen!

Das größte der Tiere springt auf uns zu und ich kann Torins Schwertarm gerade noch zurückziehen, bevor er zum Angriff übergeht.

»Warte, das ist …«

Welchen Namen hatte der Luchs mir genannt?

›Mein Name ist Lucor!‹

»Er heißt Lucor und er hat mich damals vor den Muckies gerettet, sonst hätten sie mich gesteinigt.«

Torins Blick wandert misstrauisch zwischen dem riesigen Raubtier und mir hin und her.

»Er tepathiert3 mit dir?«, fragt Torin verwundert.

»Äh, wenn dieses Wort bedeutet, dass er sich telepathisch mit mir unterhält, dann ja! Ich hatte schon gedacht, ich habʼ das alles nur geträumt, aber jetzt ist er wieder hier und tepa-dingsbumst mit mir.«

Torin lässt sein Schwert sinken, beobachtet das Tier jedoch weiter argwöhnisch, während es langsam auf mich zu geht. Lucors mächtiger Kopf reicht mir bis zum Hals. Als er bei mir ist, legt er sich auf den Bauch und leckt mir mit seiner großen Zunge die Füße beziehungsweise die Schuhe. Das kitzelt und ich muss lachen. Endlich entspannt sich auch Torin.

›Dort oben steht meine Familie. Ich habe sie noch rechtzeitig gefunden. Mein Widersacher hatte sie wochenlang verfolgt, wollte sich mein Weibchen schnappen und meine Kinder töten. Lange hätten sie das ohne mich nicht mehr durchgehalten. Aber ich konnte meine Familie retten und das habe ich dir zu verdanken, Inea! An dem Leimar wäre ich ohne dich nicht lebendig vorbeigekommen. Solltest du in Not geraten, kannst du auf meine Hilfe zählen!‹

»Danke, das gleiche gilt für dich Lucor! Schließlich hast du mich auch gerettet!«, antworte ich laut und dann kraule ich ihn am Hals, bis er zu schnurren beginnt.

Plötzlich springt der Riesenluchs wieder auf die Pfoten und sieht mich an.

›Leb wohl, Inea! Wir müssen zurück in die Berge! Die nächste Stadt ist nicht mehr fern und die Menschen dort können uns gefährlich werden.‹

»Leb du auch wohl, Lucor! Und viel Glück!«, rufe ich ihm nach, als er zusammen mit seiner Familie davonläuft.

Ich fühle mich wieder ein wenig gestärkt, sodass ich jetzt neben Torin hergehe. Dabei berichte ich ihm, was Lucor mir erzählt hat.

»Der Bergluchs muss entweder dein Seelentier sein oder du beherrschst die Gabe, mit Tieren zu tepathieren. Trat dieses Phänomen auch bei anderen Tieren auf?«, will Torin wissen.

»Ja, bei einem! Es nennt sich gemeiner Schattenlord, ist zeitweise nachtaktiv und … Aua! Der gemeine Schattenlord neigt dazu, einen in die Hüfte zu kneifen, wenn man ihn ärgert!«, lache ich.

Und mit einem kräftigen Schwung liege ich wieder in seinen Armen.

»Bei deinem Schritttempo werden wir heute Nacht noch unterwegs sein!«, erklärt er, doch ich hege den Verdacht, dass dies nicht der einzige Grund ist, weshalb er mich trägt. Jedenfalls weisen Torins Gedanken entfernt darauf hin, dass er mich nicht gerade ungern im Arm hält …

Atlaticanisches Schimpfwort↩

Eine Wortschöpfung, deren Sinn sich selbst erklärt↩

tepathieren: sich telepathisch unterhalten.↩

Herr und Meister

Beata, Atlatica, kurz nach der Entführung

Was ist das für ein Typ mit diesem kantigen Gesicht und weshalb hängt Markus bewusstlos über seiner Schulter?

Beata folgt dem Mann im schwarzen Gewand auf einem Trampelpfad durch den Wald. Warum sie das tut, weiß sie nicht. Die Gegend wirkt fremd, sowohl der Gesang der Vögel als auch die Pflanzen könnten einer Traumwelt entsprungen sein. Sogar einen Baum mit blau schillernden Blättern hat sie entdeckt. Plötzlich schwirrt eine riesenhafte Libelle dicht an ihrem Gesicht vorbei und entlockt Beata einen schrillen Schrei, während sie rückwärts springt. Das Insekt hat die Spannweite ihres Armes und feuerrot glitzernde Flügelränder.

»Aua«, ruft ein Zwilling hinter ihr.

»Hey, Beati! Erschreck uns doch nicht so!«, beschwert sich sein Bruder.

Beata fährt herum. Moritz reibt sich den Hinterkopf, während Max stöhnend seine Stirn betastet.

»Weil du so geschrien hast, tragen wir jetzt beide eine schwere Gehirnerschütterung davon!«, jammert Max vorwurfsvoll.

»Was kann ich denn dafür, wenn hier Riesenlibellen vor meiner Nase umherschwirren?«

»Hättest du leiser geschrien, hätte Moritz nicht plötzlich angehalten, ich wäre nicht in ihn reingelaufen und mein Schädel wäre heil geblieben!«

Max nickt zustimmend und zieht ein extra leidendes Gesicht auf.

»Vielleicht passt ihr einfach besser auf, wo ihr hinlauft!«, erwidert Beata missmutig.

Dann reibt sie sich nachdenklich die Stirn und mustert die zwei Frauen mit dem feuerroten Haar, die nun zu ihnen aufschließen. Die beiden kennt sie doch von irgendwo her …

»Los, ihr Zuckerschnecken! Geht weiter!«, flötet die eine, während sich die andere verwirrt umschaut.

Beata schüttelt sich unwillig, setzt ihren Weg jedoch fort.

Irgendetwas ist hier faul, nur was?

Sie schließt wieder zu dem schwarz gekleideten Mann auf, dem Markus über der Schulter hängt.

Ist das dieser Schattenlord?

Die Verwirrung in ihrem Kopf beginnt sich Stück für Stück zu lichten und für den Wimpernschlag einer Eule dringt die Erkenntnis zu ihr durch. Doch im selben Moment bleibt der Mann in Schwarz abrupt stehen und fixiert Beata eindringlich mit seinen dunkelbrauen Augen.

›Wir befinden uns auf geheimer Mission durch feindliches Terrain. Ich muss den Befehlen des Meisters Folge leisten, sonst werden die Monster der Finsternis von mir Besitz ergreifen!‹

Die Monster der Finsternis? Wo sind sie?

Beata späht ängstlich in den Wald hinein.

Da, ein dunkler Schatten! Und hat sich dort drüben nicht etwas bewegt? Der leise Wind könnte die Monster bereits ankündigen! Besser ich bleibe meinem Herrn dicht auf den Fersen, damit mir nichts zustößt!

»Geh endlich weiter, Brüderchen! Es ist so gruselig hier!«, drängt Max bange.

So kennt Beata den Zwilling gar nicht, aber bei dieser Bedrohung ist es auch kein Wunder, dass er Angst hat. Sie wandern gemeinsam bis zum Waldrand. Vor ihnen erhebt sich ein Hügel, auf dem Kühe grasen.

Aber sind das wirklich Kühe?

Sie sehen so anders aus, viel fetter als Beata diese Tiere kennt, außerdem haben sie alle ein seltsames Leuchten um die Hörner. Die kleine Gruppe steigt den Hügel hinauf und jetzt kann Beata erkennen, dass die Hörner der Tiere tatsächlich eine leichte Transparenz aufweisen und hellgelbes Licht ausstrahlen. In der Dunkelheit würden die Hörner jetzt bestimmt wie kleine Laternen leuchten.

Aber so etwas gibt es doch gar nicht! Diese Tiere müssen ein übles Werk der Monster der Finsternis sein! Oder haben sie sich vielleicht als Kühe getarnt?

›Wir befinden uns auf geheimer Mission durch feindliches Terrain. Ich muss Befehlen des Meisters Folge leisten, sonst werden die Monster der Finsternis von mir Besitz ergreifen!‹

Ängstlich schließt Beata zu ihrem Herrn auf. Die Zwillinge folgen dicht hinterher.

»Du Moritz, findest du das nicht auch gruselig hier?«

Beata glaubt, ein dünnes »Mh« zu hören. Es folgt eine Pause des ängstlichen Schweigens.

»Weißt du, wenn ich mich nicht so fürchten würde, dann würdʼ ich dir vorschlagen, wir beide angeln uns je eins dieser Mädels hinter uns!«, flüstert ein Zwilling.

»Ja, und wenn mir das Herz nicht so in der Unterhose hängen würde, dann würdʼ ich antworten: Gebongt Brüderchen, ist ja für jeden was da und wir können auch austauschen, wennʼs nicht passt!«, antwortet sein Bruder gedämpft.

Beata fährt stirnrunzelnd zu den beiden herum, jedoch ohne ihr Schritttempo zu verlangsamen.

»Wie könnt ihr jetzt an so etwas denken, wo hier überall Gefahren auf uns lauern! Beeilt euch lieber!«, keucht sie atemlos.

Endlich haben sie die Bergkuppe erreicht und es folgt der Abstieg. Eine Straße im Tal durchschneidet die Hügellandschaft. Wald und Seen verteilen sich wie Inseln unterschiedlicher Größe über die Landschaft. In der Ferne kann Beata einen Jungen ausmachen, der einen metallisch glänzenden Eimer und einen Schemel unterm Arm trägt. Er lässt sich neben einer dieser seltsamen Kühe nieder und beginnt sie zu melken.

Sind wir hier im Mittelalter gelandet? Was ist das für eine fremdartige Gegend und was machen wir hier überhaupt?

›Wir befinden uns auf geheimer Mission durch feindliches Terrain. Ich muss Befehlen des Meisters Folge leisten, sonst werden die Monster der Finsternis von mir Besitz ergreifen!‹

Ja, das muss ich, sonst bin ich für immer verloren!

* * *

Beata weiß nicht, wie ihr geschieht. Sie blickt aus dem Fenster einer Pferdekutsche, die über Kopfsteinpflaster holpert. Gegenüber sitzen die Zwillinge zusammen mit einer der Rothaarigen. Dem dunklen Typ rücken Beata und die andere Rothaarige links und rechts ängstlich auf die Pelle. Markus liegt bewusstlos auf dem Boden zwischen uns und wird heftig durchgerüttelt. Außer den paar bekannten Gesichtern ist Beata alles andere fremd. Sie verspürt Durst und wird immer wieder von Panikattacken heimgesucht, schmiegt ihren zitternden Körper schutzsuchend an den ihres Herrn. Die Zwillinge scheinen nicht weniger von Furcht geplagt zu sein, doch bei ihnen wechselt das Gefühl ab mit zunehmend begehrlichen Blicken und Gesten in Richtung der rothaarigen Frau, die den Platz in ihrer Mitte eingenommen hat. Diese wiederum versieht Beatas Herrn und Meister mit einem süffisanten Lächeln und scheint sich keineswegs an den plumpen Annäherungsversuchen der Brüder zu stören. Der finstere Typ beobachtet die Szene mit ähnlichem Missfallen in seinem kantigen Gesicht wie Tina Besset neben ihm – endlich erinnert sich Beata wieder an ihren Namen!

Wollten die Zwillinge nicht eigentlich mit ihr zusammen sein? Weshalb flirten sie denn jetzt im Wettstreit um diese andere Frau? Ist das nicht Feodora?

Doch bevor die Verwirrung einer Erkenntnis weichen kann, erinnert Beata die Stimme in ihrem Kopf erneut an die allgegenwärtige Bedrohung durch die Monster der Finsternis.

* * *

In dem dunklen Gang kann Beata nichts sehen, nur in der Ferne flackert ein Licht. Sie lässt ihre Hand über die poröse Oberfläche der Wand gleiten, stolpert unsicher vorwärts, dem Geräusch der Schritte ihres Herrn folgend. Endlich kommt eine Fackel in Sichtweite. In ihrem Licht tanzen die Schatten der Gestalten im Tunnel. Beatas Herr trägt Markus wieder über der Schulter. Nicht ein einziges Mal ist er bisher aufgewacht und Beata sorgt sich, dass ihm die Monster bleibende Schäden zugefügt haben könnten.

»Nur einen Kuss, holde Maid!«, fleht Max die Rothaarige an.

»Aber ich komme zuerst an die Reihe, ich bin schließlich der Ältere von uns beiden, wenn auch nur um ein paar Minuten.«, mischt sich Moritz ein.

Beata kann die Streitereien nicht mehr hören. Auf der Fahrt haben sie irgendwann damit angefangen, um diese Frau zu streiten und dann ging es so in einem fort – in stetem Wechsel mit angstvollem Gejammer und Gewimmer!

Und diese blöde Feodora lacht auch noch verzückt, statt die beiden auf Abstand zu halten oder den Streit zu schlichten! Feodora? Was haben wir mit dieser Tussi hier in einer dunklen Höhle zu suchen? Oh Gott, ich erinnere mich! Der Schattenmagier hat uns entführt! Was mache ich denn jetzt?

Die Gruppe betritt einen großen Saal. Bizarre Felsformationen ragen von der Decke. Der Boden besteht aus glatt polierten Steinplatten, die rotes Licht ausstrahlen. Bei genauerem Hinsehen jedoch, handelt es sich um dickes Glas, unter dem in der Tiefe rote Lava glüht. Die Hitze in diesem Raum treibt Beata kleine Schweißperlen aus den Poren.

Im Zentrum des Saales steht als einziges Möbelstück ein Podest. Beata zählt insgesamt acht Torbögen in den schroffen, schwarzen Wänden, hinter denen es über Flure oder Treppenaufgänge weitergeht. Im Boden eingelassene Eisenstäbe, an deren Enden Fackeln brennen, vollenden die mystische Stimmung.

Was jetzt? Wo sind wir hier? Wenn Markus doch wenigstens aufwachen würde!

Beata erinnert sich daran, wie Inea einmal erwähnte, dass Magier normalerweise nichts gegen Feuer ausrichten können. Ohne weiter zu überlegen, schnappt sie sich im Vorübergehen eine der Fackeln. Blitzschnell dreht sie sie nach unten und verbrennt dem düsteren Typen vor ihr die Beine – höher geht leider nicht, da dort Markus hängt.

Der Entführer fährt schreiend herum, dabei gleitet seine Last zu Boden.

»Beati, was tust du? Das ist unser Herr und Beschützer!«, protestiert Moritz bestürzt.

Doch statt zu antworten, setzt Beata blitzschnell nach, vollführt eine Drehung und versetzt ihrem Widersacher einen gekonnten Tritt gegen das Kinn. Von der Wucht wird dieser in die Luft geschleudert, vollführt einen unfreiwilligen Rückwärtssalto und landet ächzend auf dem Bauch.

Beata hält die Fackel kampfbereit wie ein Schwert und sieht sich rasch nach den anderen um. Tina und die Zwillinge starren entsetzt auf die Szene.

Aber da war doch auch noch diese Feodora! Wohin ist die denn verschwunden?

Schon springt der dunkle Typ wieder auf die Füße. Großen Schaden hat die Fackel ihm nicht zugefügt, dazu war die Berührung zu kurz. Beata will gerade auf ihn zustürmen, da kommen Gedanken in ihr Hirn, die sie weder versteht noch haben will.

›Ich muss den Befehlen des Meisters Folge leisten, sonst werden die Monster der Finsternis von mir Besitz ergreifen!‹

Meister? Monster? Was geht denn jetzt ab? Denke ich das wirklich gerade? Kann doch nicht sein!

›Ich muss den Befehlen des Meisters Folge leisten, sonst werden die Monster der Finsternis von mir Besitz ergreifen!‹

Welche Monster denn? Wo sind sie? Ich sehe keine!

›Ich lege die Fackel auf den Boden und folge bedingungslos meinem Herrn und Meister!‹

Beata legt die Fackel ab, während der Meister Markus über seine Schulter wirft.

»Mann, hier geht was ab! Gehört das zum Programm, Beati? Wo hatten wir den Abenteuerurlaub noch mal gewonnen, Brüderchen?«, will Max wissen.

»Abenteuerurlaub?«, piepst Tina kaum hörbar. »Ich verzichte gerne auf die Monster der Finsternis. Kann uns der Herr nicht wieder nach Hause bringen?«

»Genug jetzt! Folgt mir!«, fährt der Meister dazwischen und steuert auf eines der Tore zu.

Beata und die anderen folgen ihm, nur die zweite Rothaarige bleibt verschwunden.

Tareni

Inea

Mistad stellt sich als größer heraus, als ich das Dorf beim letzten Besuch wahrgenommen hatte. Das liegt wohl daran, dass viele der Häuser mehr oder weniger im Wald stehen. Aus der Ferne betrachtet habe ich automatisch angenommen, dass mit der Waldgrenze auch die Ortsgrenze erreicht wäre, was sich aber als falsch herausstellt.

Gefolgt von einigen Kindern geht Torin mit mir im Arm an verschiedenartigen Häusern vorüber. Die Baustile wirken wie ein zusammengewürfeltes Sammelsurium aus natürlich gewachsenen Baumhäusern, einfachen Holzhütten, burgartigen Gebäuden aus grobem Stein und Anwesen aus hellem Marmor, deren Dächer von mehreren Säulen getragen werden. Im Zentrum jeder Straße plätschert ein schmaler Bach. Alle Bäche entspringen den Brunnen auf den Plätzen, die die Knotenpunkte des sternförmig angeordneten Straßennetzes bilden. Hin und wieder überqueren wir eine Brücke, unter der sich ein rosa Glitzerbach hindurchschlängelt. Der typische Duft verrät mir, dass es sich hier um Ausscheidungen der Mugoks handeln muss – ein vorbildliches Musterbeispiel biologischer Abwasserreinigung.

»Warum beachtet uns niemand, außer den Kindern, die uns folgen?«, fällt mir plötzlich auf.

»Du weißt doch, dass ich einen Verschleierungszauber beherrsche. Bei Kindern wirkt er allerdings nicht immer.«

»Ach so! Ich kann mir schon denken, woran das liegt. Die Kleinen nehmen die Welt noch anders wahr als Erwachsene, mit viel mehr Neugier und Interesse.«

Torin brummt zustimmend. Zwar habe ich mich in der Zwischenzeit etwas erholt und könnte theoretisch auch wieder zu Fuß gehen, aber solange Torin sich nicht beschwert, halte ich mich damit zurück. Außerdem hege ich den vagen Verdacht, dass er mich gerne im Arm hält, eventuell weil ihm mein Schritt viel zu langsam ist, oder? Jedenfalls redet er sich das selbst immer wieder ein, wenn ich seinen Gedanken lausche.

Wirklich aufschlussreich, was ihm so alles durch den Kopf schießt!

Schade, dass ich das nicht schon viel früher hören konnte, dadurch hätte ich sehr viel mehr Verständnis für ihn gehabt.

»Was glaubst du, weshalb das mit der Telepathie zwischen uns plötzlich so gut funktioniert?«, frage ich.

Torin grunzt unwillig.

»Dich interessiert, weshalb du meine Gedanken lesen kannst, ich deine aber nur, wenn wir Augenkontakt haben?«, knurrt er mürrisch.

›Lange halte ich es nicht mehr aus, ihren Körper so nah…‹, stiehlt sich prompt in mein Bewusstsein.

Ich muss kichern über den Kontrast zwischen dem, was Torin denkt und dem, was er sagt.

»Verflucht, Inea!«, schimpft er. »Es ist anzunehmen, dass die Kraft deiner Feuermagie weiter zugenommen hat.«

»Aber müsste ich dann nicht auch die Gedanken anderer Menschen hören? «

»Das ist korrekt, das müsstest du! Nimmst du sie etwa nicht wahr?«

»Nein, bei mir kommt nur das an, was du denkst!«

»Das ist in der Tat rätselhaft. Wie sieht es aus, wenn du dich willentlich auf eine Person konzentrierst? Nehmen wir diesen Obsthändler zum Beispiel.«

Torin nickt in Richtung eines Marktstandes, dessen Wände sich aus zahllosen miteinander verwobenen Ästen zusammensetzen. In der Auslage stapeln sich exotische Früchte in allen erdenklicher Form- und Farbvarianten. Dahinter steht ein dickbauchiger Mann im grasgrünem Gewand. Ein spitzer Hut in gleichem Farbton bedeckt seinen Kopf. Darunter quillt weißes Haar hervor und mischt sich mit dem langen Bart. Torin bleibt dicht neben dem Stand stehen, sodass mir ein Mischmasch an süßlichen Düften reifer Früchte in die Nase steigt. Ich versuche, mich nicht von dem Hungergefühl beeindrucken zu lassen, das meinen Mund wässrig werden lässt, sondern fixiere die hellblauen Augen des Verkäufers und frage mich, was wohl gerade in seinem Hirn vorsichgehen mag. Aber ich finde seine Gedanken nicht. Es sei denn, es handelt sich bei der Person, die sich vorstellt, mir die Kleider vom Leib zu reißen, doch um den Obstverkäufer. Da dieser jedoch gerade eine Ladung Kameitschas (die einzige Frucht, die ich kenne) in eine Holzkiste einsortiert, ohne mich dabei anzuschmachten, schätze ich die Wahrscheinlichkeit dafür doch eher gering ein.

»Kannst du hören, was er denkt?«, fragt Torin.

»Nein! Das klappt nur bei dir. Vielleicht hat die Telepathie ja auch gar nichts mit meiner Feuermagie zu tun, sondern mit dieser Seelengefährtensache!«

Zum wiederholten Male schnaubt der Schattenmagier unwillig.

»Weder schätze ich es, in meinen Gedanken durchleuchtet zu werden noch an einen Menschen gebunden zu sein. Weiterhin erschließt sich mir nicht die Bedeutung einer Seelengefährtin.«

»Tja, ich hab´ mir das auch nicht ausgesucht, so einen düsteren, mürrischen Schattenlord mögen zu müssen!«, necke ich ihn.

Torins dunkle Augen mustern mich mit einer Mischung aus Zorn und Verlangen. Dann stellt er mich mit hölzernen Bewegungen auf dem Kopfsteinpflaster ab und marschiert einfach davon. Hätte ich keinen Zugang zu seinen Gedanken, würde ich jetzt wahrscheinlich annehmen, mein Kommentar hätte ihn gekränkt. So aber weiß ich, dass er nur mal wieder mit seiner Beherrschung zu kämpfen hat. Mir bleibt ohnehin nichts anderes übrig, als ihm zu folgen, also setze ich diese Notwendigkeit unverzüglich in die Tat um und laufe so lange hinter ihm her, bis er vor einem mächtigen Baumstamm mit rotbrauner Rinde stoppt. Ich frage mich gerade, was wir hier wollen, als eine Strickleiter von oben herabfällt. Endlich sieht sich der Schattenlord nach mir um. Der muss sich ja sehr sicher gewesen sein, dass ich ihm nachlaufe!

»Klettere hinauf, Inea!«, befiehlt er streng.

Mir wird mulmig zumute, als ich nach oben sehe, denn die Leiter schwingt aus luftiger Höhe. Misstrauisch ziehe ich an einer der hölzernen Sprossen. Sie scheinen stabil genug, doch das kann mich nicht endgültig davon überzeugen, dass die Stricke halten werden. Bevor ich es mir noch anders überlegen kann, packen mich zwei kräftige Hände an der Hüfte und hieven mich auf die unterste Sprosse. Gleich darauf schmiegt sich der Körper des Schattenlords von hinten heran und ich spüre die warme Luft seines Keuchens in meinem Nacken. Eine detaillierte Ausführung der zugehörigen Gedanken erspare ich mir mit Rücksicht auf den Jugendschutz.

»Steige hinauf!«, keucht Torin widerwillig und tritt zeitgleich zurück, sodass die Strickleiter etwas von der stabilisierenden Wirkung seiner Umklammerung einbüßt, und mit mir hin- und herschaukelt. Da die Schwingung unten heftiger ausfällt als oben und ich es endlich hinter mich bringen will, beeile ich mich hochzuklettern. Es ist alles andere als einfach, eine frei in der Luft hängende Strickleiter zu erklimmen und ich tue mich recht schwer damit, bis Torin auf die glorreiche Idee kommt, die Leiter festzuhalten und zu spannen. Von unten konnte ich es zwar nicht sehen, aber die naheliegende Vermutung, dass sich hier oben ein Baumhaus befindet, bestätigt sich, als ich die hölzerne Plattform erreiche. Eine Frau in grünem Glitzerkleid begrüßt mich mit freundlichem Lächeln. Ihr weißes Haar, das zu einem Dutzend Zöpfen verflochten wurde, reicht bis zu ihrer Hüfte. Für eine Frau ihres Alters wirkt es ungewohnt voll und kräftig. Auch die helle, leicht runzelige Haut steht im Widerspruch zu ihrer aufrechten, dynamischen Körperhaltung.

»Wen haben wir denn da? Es wird doch nicht etwa ein Wunder geschehen sein, dass sich der Schattenlord eine neue Gefährtin erwählt hat?«

Irgendetwas an dieser Person vermittelt mir den Eindruck von ›bekannt‹, wobei ich nicht den Hauch einer Ahnung habe, was das sein könnte. Bevor ich mir weiter darüber Gedanken machen kann, kommt Torin auf der Plattform an.

»Sei gegrüßt Tareni! Könntest du uns für eine Nacht Quartier gewähren?«, fragt er.

»Aber sicher, lieber Torin! Doch wo bleiben deine Manieren? Willst du mir nicht diese sympathische junge Frau vorstellen?«

»Das ist Inea DʼOrayla!«

Die Alte kichert und mustert mich von oben bis unten.

»Uiah1, war das schon alles, was ich an Erklärung erhalte? So wie ich das sehe, hast du die richtige Wahl getroffen mit dieser jungen Frau! Ich hoffe, er behandelt dich gut, Majdchen2!«

»Ähm, naja! Darf ich fragen, wer Sie … äh, wer Ihr seid?«

»Uiah, Majdchen, da habe ich mich selbst noch gar nicht vorstellt! Doch ich nahm an, der gute Torin hätte dies vorab geklärt. Mein Name ist Tareni Sendling und du kannst gerne auf die formelle Anrede verzichten.«

»Sendling?«, murmele ich nachdenklich.

»Tareni ist Markusʼ Mutter!«, erklärt Torin.

Oh, jetzt bin ich baff. Ich hatte nicht gedacht, dass sie schon so alt sein würde. Überhaupt habe ich mir wenig Gedanken über seine Eltern gemacht. Aber vielleicht war es das, was mir gleich bekannt vorkam. Und wenn ich jetzt das schelmische Funkeln ihrer Augen betrachte, weiß ich auch, woher ihr Sohn das hat.

»Uiah, du kennst meinen Sohn? Was treibt Markus? Wenn ihr ihn wiederseht, zieht ihm die Nase3 lang. Er könnte seine Mutter ruhig öfter mal besuchen!«

Mir wird mulmig im Bauch. Seine arme Mutter weiß ja noch nichts davon, dass ihr Sohn entführt wurde.

»Das übernehme ich persönlich. Dennoch trage ich eine gewisse Mitschuld daran, denn wie du sicher mitbekommen hast, geht es drunter und drüber im Rat. Da hat er alle Hände voll zu tun!«

»Uiah, ich habe entfernt eine Durchsage gehört, doch auf meine alten Tage kümmere ich mich nicht groß um diese Belange. Außerdem steige ich nicht mehr so oft hinab ins Dorf. Ich genieße die Ruhe hier oben und die netten Jungen von nebenan bringen mir ja alles herauf, was ich benötige. Und sie besuchen mich immer gerne, um mit den Najas zu spielen. Die Kinder lieben sie! Aber jetzt kommt endlich mit ins Haus! Ich koche euch eine leckere Greinpilzsuppe4.«

»Habt Dank, Tareni!«, sagt Torin und ich bedanke mich ebenfalls.

Die Plattform mit der Strickleiter bildet einen Balkon in schwindelnder Höhe. Von hier aus gelangen wir durch eine unförmige Tür ins Innere des natürlich gewachsenen Hauses. Der Stamm und vor allem, dicke ineinander geschlungene Äste formen Wände, Dächer, Treppen, Boden, Türen, Tische, Stühle – einfach alles, was man sich aus Holz bauen könnte. Wir betreten einen großen Raum, von dem aus Hängebrücken und Treppen zu unterschiedlichen Bereichen der mächtigen Baumkrone führen. Plötzlich kommen uns zwei Tiere entgegengehüpft, die ich so noch nie gesehen habe, aber das ist auf Atlatica ja nichts, was besonders erwähnt werden müsste.

Diese hier sehen zur Abwechslung mal relativ normal aus, nämlich wie hellbraune Äffchen, nur dass das Gesicht mehr an Teddybären erinnert. Wenn Sonnenstrahlen aufs Fell treffen, schillert es wie ein Regenbogen. Das Gezwitscher, welches sie von sich geben, hätte auch von Vögeln stammen können. Die Tiere sind nicht größer als Hauskatzen, was sie jedoch nicht davon abhält, mit einem einzigen Satz auf Tarenis Kopf und Schulter zu hüpfen. Die alte Dame kichert.

»Nicht so stürmisch, ihr beiden! Na, ihr kommt wohl, um unsere Gäste zu begutachten!«

Sie nimmt die ›Äffchen‹ herunter und legt sie in ihre Arme, von wo aus sie Torin und mich mit einer Mischung aus Neugier und Scheu betrachten. »Das sind meine Najas. Sie heißen Nito und Tajana. Komm Inea, von dir lassen sie sich bestimmt streicheln!«, fordert mich Tareni mit leuchtenden Augen auf.

Diese goldigen Tierchen möchte ich sehr gerne mal berühren. So streichele ich sanft über Nitos Köpfchen. Das Fell fühlt sich an wie weiche Watte. Der kleine Kerl greift mit seinen winzigen Fingerchen nach meiner Hand und schmiegt sein Köpfchen hinein.

»Du musst wissen, Inea, es gibt nicht sehr viele Najas auf Atlatica. Ich hatte mal eine ganze Zucht, doch sie sind leider nicht besonders fruchtbar.«

»Das ist aber schade! So niedliche Haustiere hätte ich auch gerne. Sind Sie, …ähm, ich meine, bist du denn eine Lichtmagierin mit Talent zum Tiere züchten?«

»Oh nein!«, lacht Tareni. »Ich bin keine Magierin, nur eine ganz normale alte Frau! Markusʼ Vater war einer von ihnen, ein wundervoller Mann und …«

Tarenis Blick verklärt sich und wird dann plötzlich traurig. Ich warte, bis sie weiter spricht, doch es kommt nichts mehr. Gerne hätte ich gewusst, wie alt sie wohl sein mag, aber so etwas fragt man sicherlich auch auf Atlatica nicht.

›Mistad beherbergt gute Heiler und es gibt magische Tränke, die die Atlaticaner auch im Alter noch fit und gesund halten, sofern man sich diesen Luxus leisten kann‹, erklärt Torin gedanklich.

Offenbar hat er direkt durch meine Pupillen hindurch in mein Hirn geschaut.

»Verzeih, Tareni, aber könnte ich den Mugok füttern5?«, fragt er – diesmal mit den Lauten seiner Stimmbänder.

»Oh, natürlich, natürlich, Torin! Du kennst dich ja hier aus. Und es wäre mir eine große Freude, wenn ich dir, liebe Inea, in der Zwischenzeit mein Zuhause zeigen dürfte.«

Neugierig, wie ich auf diese Welt bin, willige ich gerne ein. Und so führt mich Tareni, gefolgt von ihren Haustieren, überall herum. Ich komme gar nicht heraus aus dem Staunen und unsere Gastgeberin freut sich wie ein kleines Kind über meine Reaktion. Nach Torins Mugok-Fütterung begleitet er uns ebenfalls. Dass dieses Baumhaus sogar eine Toilette mit tiefer im Astwerk gelegenem Mugok-Becken beherbergt, kann ich gar nicht genug bestaunen.

Auf dem höchsten Punkt des Baumes befindet sich eine Aussichtsplattform. Ich muss bestimmt nicht extra erwähnen, dass mir der Blick von hier oben den Atem raubt.

Das Badezimmer besteht aus einem zwiebelförmig gewachsenen Raum, in dessen Mitte sich ein Wasserbecken befindet. Im Zentrum sprudelt eine kleine Fontäne.

Und all das auf einem Baum! Erstaunlich, was Magie zustande bringen kann!

Als nächstes betreten wir eine von Schlingpflanzen und Blüten umwundenen Ruhezone. Winzige, hellblau schillernde Vögel sitzen hier in den Zweigen. Ihr Gesang erinnert an sphärische Traummusik und allein vom Hören schleicht sich Müdigkeit in meine Glieder.

Drei runde Schlafzimmer ragen wie Baumtürme aus dem Kronendach hervor. Eines erreicht man über eine Treppe, die anderen sind durch Hängebrücken miteinander verbunden. Tareni öffnet die Tür zu einem der Schlafräume. Wie in den anderen Zimmern auch, befinden sich relativ gleichmäßig verteilt eingewachsene Fensterscheiben in Wänden und Decke. Sie variieren sowohl in Form als auch in Größe und das Glas ist nicht so klar, wie ich es kenne, sondern leicht milchig, mit marmorierten Strukturen im Inneren. Durch die Vielzahl der Fenster wird der Raum von Licht geflutet, welches von der untergehenden Sonne einen leicht rötlichen Schimmer annimmt.

»Möchtet ihr ein Zimmer gemeinsam belegen oder lieber zwei getrennte?«, fragt Tareni mit demselben schelmischen Grinsen im Gesicht, das ich nur zu gut von Markus kenne.

»Gemeinsam!«, antworte ich.

»Getrennt!«, erwidert Torin zeitgleich.

Unsere Gastgeberin kichert wissend, doch ich bin enttäuscht. Bei dem Blick auf das naturgewachsene Himmelbett erwachen bereits atemberaubende Szenen in meinem Kopf zum Leben.

›Wenn ich die Nacht mit der Feuermagierin hier verbringe, finden wir keine einzelne Sekunde Schlaf!‹, lausche ich zur Abwechslung mal wieder Torins Gedanken. Bei all der Aufregung habe ich es tatsächlich eine Zeit lang fertiggebracht, die Kopfgespräche auszublenden.

Allerdings bringt mir der Blick auf das Bett noch eine weitere Empfindung ins Bewusstsein: Meine Erschöpfung kehrt zurück und ich muss herzhaft gähnen.

»Uiah, Inea Majdchen! Komm, ruhe dich ein wenig aus, ich bereite dir in der Zwischenzeit eine stärkende Suppe zu!«

Ich nicke und steuere das einladende Bett an, welches bis auf Matratze und Decke aus miteinander verwobenen Ästen besteht. Die Polsterung erscheint mir zu weich, aber ich bin so müde, dass ich sowohl auf Watte als auch auf hartem Felsen schlafen könnte.

»Und du, mein lieber Torin, darfst mir erzählen, was du so alles erlebt hast in den letzten zwei Jahren. Außerdem wüsste ich allzu gerne, wie du an dieses sympathische Majdchen gekommen bist.«

Ich kann förmlich spüren, wie sich der Schattenmagier ein unwilliges Grunzen verkneift.

› ..keine persönlichen Details preisgeben!‹, höre ich in meinen Gedanken.

Dann schließt Tareni die Äste-Tür und ich bleibe alleine zurück. Müde streife ich die Schuhe ab und sinke aufs Bett.

Nur ganz kurz ausruhen! Gleich werde ich nochmal aufstehen, um die staubige Kleidung auszuziehen und die Patchwork-Tagesdecke zurückzuschlagen.

Seit wann sind Augenlider denn so schwer? Gleich werde ich …

Typischer Ausruf der Atlaticaner. Er bedeutet so viel wie ›ach‹↩

Auf Atlatica gebräuchlicher Ausdruck für ›junge Frau‹↩

Im atlaticanischen Sprichwort verwendet man die Nase statt der Ohren↩

Besonders schmackhafte Pilze Atlaticas↩

Atlaticanischer Ausdruck für »die Toilette benutzen«↩

Nachricht der Rufer

Torin, nach dem Gespräch mit Tareni

Wie ein Tiger um seine Beute schleiche ich um ihr Gemach. Es ist nicht gut, derart besessen zu sein von einer Frau und doch bricht sie jeglichen Widerstand in mir. Am Ende bleibt mir ohnehin nichts anderes übrig, als mich meinem Schicksal zu fügen, mich damit abzufinden, dass sie jede meiner Mauern durchdringt, bis in meine geheimsten Gedanken hinein und ich mein Herz auf alle Zeit an sie verloren habe. Dem nachzugeben bringt nie gekannte Leidenschaft und Hochgefühle, die die Sucht nach ihrer Nähe jedoch weiter anheizen.