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Herzergreifende Romantik, ein Strudel aus Intrigen und magische Kämpfe an einer elitären Universität! Legenden besagen, eine verräterische junge Frau habe vor 200 Jahren die Unterwelt zerstört und alle Hexen gezwungen, nach England ins Exil zu gehen. Die Kalten, eine gewissenlose Rebellenorganisation, sind davon überzeugt, dass jene Frau wiedergeboren wurde und sich an der magischen Eliteuniversität Bronwick Hall aufhält. Der junge Professor Henry Saints und die Studentin Blaine schleusen sich bei den Rebellen ein, um mehr über deren Pläne herauszufinden. Doch je tiefer sie in die Strukturen der Organisation eindringen, desto mehr erfährt Blaine über ihr wahres Schicksal … Bronwick Hall: Band 1: Dornengift Band 2: Dornenkrone
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© Piper Verlag GmbH, München 2024
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Cover & Impressum
Widmung
Vor 200 Jahren
1. Kapitel
Scherbenhaufen
2. Kapitel
Boshafte Stimmen
3. Kapitel
Leichen lügen nicht
4. Kapitel
In Gewahrsam
5. Kapitel
Unruhe und Blutvergießen
6. Kapitel
Entwirrung
7. Kapitel
Gefährliche Vergangenheit
8. Kapitel
Unerwartete Begegnungen
9. Kapitel
Die Jagd
10. Kapitel
Nachtschwärmer
11. Kapitel
Tarnung
12. Kapitel
Unser Verhängnis
13. Kapitel
Ein kalter Traum
14. Kapitel
Sanfter Blick
15. Kapitel
Erkenntnis
16. Kapitel
Smokes Nachricht
17. Kapitel
Briefe des Verhängnisses
18. Kapitel
Ruhe nach dem Sturm
19. Kapitel
Gebrochenes Versprechen
20. Kapitel
Waffenstillstand
21. Kapitel
Blasse Blüten
22. Kapitel
Verlust
23. Kapitel
Wortwechsel
24. Kapitel
Ein beschriebenes Blatt
25. Kapitel
Gemeinsam statt einsam
26. Kapitel
Feldzug
27. Kapitel
Vergeltung
28. Kapitel
Am Ende angelangt
29. Kapitel
Die andere Schwester
30. Kapitel
Wahrheit oder Tod
31. Kapitel
Dunkle Ecken
32. Kapitel
Missverständnis
33. Kapitel
Durchkreuzte Pläne
34. Kapitel
Im Ballsaal
35. Kapitel
Die Dornenkrone
36. Kapitel
Unser aller Ende
37. Kapitel
Danach
Danksagung
Inhaltsübersicht
Cover
Textanfang
Impressum
Für Dich,
meine liebe Leserin, mein lieber Leser.
Danke. Vielen, vielen Dank.
Ich blickte auf den leblosen Körper meiner Schwester. Ihr feuerrotes Haar mischte sich mit dem Blut, das aus ihrer offenen Wunde floss. Sie rührte sich nicht.
Meine Hände zitterten, als ich sie vor mein Gesicht hielt. Blut. Überall war Blut.
Ich spürte heiße Tränen auf meinen Wangen und fühlte mich ihrer nicht würdig. Ich hatte versagt. Ich hatte Schreckliches getan.
Seine Präsenz lag wie ein Schatten auf mir. Ich konnte ihn nicht ansehen und wandte mein Gesicht ab. Verzweifelt blieb ich auf dem kalten Boden sitzen. In der Stadt, überall, fand die Unterwelt ihr Ende. Die Titanen hatten sich gewandelt und zerstörten alles, was sich ihnen in den Weg stellte.
Ihr Zorn war unendlich.
Mein rasselnder Atem erweckte mich aus meiner Starre. Ich wusste, dass uns keine Zeit mehr blieb, dennoch wollte ich die Wahrheit nicht sehen.
»Was habe ich nur getan?«, flüsterte ich die Worte, die in meinem Kopf geisterten. »Sie sind alle tot. Ihr Blut wird für immer an meinen Händen kleben.«
»Du hast nicht …«, widersprach er mir augenblicklich. Bastien. Das Beste und Schlimmste in meinem Leben.
»Es war meine Schuld. Alles. Ich sollte nicht überleben. Ich sollte nicht …«
Die Welt drehte sich.
Die Tage flossen ineinander über. Eine riesige Lache, die mich einschloss und festhielt. Seit Alston von meinem Onkel entführt worden war, konnte ich kaum eine Stunde schlafen, ohne von Albträumen geplagt zu werden. Immer wieder war da die Vision aus meinem alten Leben, wie ich nun wusste. Ich erkannte nur mich selbst und meine Schwester. Bastien … Seinen Namen hatte ich heute das erste Mal vernommen. Vor zwei Nächten war die Vision in überraschender Deutlichkeit über mich gekommen. Mir war nicht ganz klar, woher ich das wusste, aber es mussten die letzten Momente meines alten Lebens gewesen sein.
Etwas war danach geschehen. Vielleicht war ich von den Titanen getötet worden. Vielleicht hatte ich es nicht rechtzeitig durch das Portal in die Menschenwelt geschafft und war verhungert. Vielleicht …
Letztlich war alles Spekulation, und wenn ich ehrlich zu mir selbst war, wollte ich es nicht mal wissen. Ich wollte nichts mit meinem früheren Leben zu tun haben. Ich wollte die alte Seele aus mir herausreißen. Ich war unfähig, sie mit meinem jetzigen Leben zu vereinbaren. Das war nicht ich.
Was auch immer mein Vater getan hatte, um mich zu kreieren, ich verabscheute es.
Das allein wäre schon genug gewesen, damit ich mich für lange Zeit in meinem Bett vergrub, aber es gab noch mehr. So viel mehr.
Erschöpft blickte ich vom Sandsack zu den Oberlichtern der dämmrigen Sporthalle. Der Tag neigte sich dem Ende zu. Abgesehen von mir hielt sich niemand mehr in der Halle auf. Die meisten Studierenden würden sich zum Essen begeben oder für die Examen in ein paar Wochen büffeln. Magie durfte überall auf dem Campus von Bronwick Hall verwendet werden, weshalb sich meine Mitstudierenden nur selten in die Lehrräume zum Üben begaben. Meistens erprobten wir unsere Fähigkeiten im großen Speisesaal, wenn dieser leer geräumt war, oder in unseren eigenen Zimmern. Nur für Alchemie und Bannzauber brauchte man wichtige Utensilien, die sich in den einzelnen Hörsälen und Werkräumen befanden.
Somit hatte ich die Halle ganz allein für mich und meine Sorgen. Einsam und mit finsterer Stimmung konnte ich an meiner Muskelkraft arbeiten. Mir vorstellen, Saints’ Gesicht würde sich auf dem Boxsack abzeichnen.
Keuchend wandte ich mich ihm – dem Boxsack und nicht Saints – wieder zu und schlug ein paarmal darauf ein. Meine Muskeln protestierten. Schweiß perlte mir von Stirn und Nasenspitze. Mein nasser Zopf klatschte unangenehm an meine Wange.
Ich sollte vielmehr die Kontrolle üben, damit ich problemlos alle sechs Magiearten wirken konnte, aber seit Saints mir eine Abfuhr erteilt hatte, fiel es mir schwer, mich darauf zu konzentrieren. Er war derjenige gewesen, der von Anfang an an mich geglaubt hatte. Er hatte durch meine Fassade geblickt und mein Potenzial erkannt.
Nun wollte Professor Henry Saints einfach so einen Rückzieher machen? Was war in ihn gefahren?
»Dieser. Verdammte. Mistkerl«, presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Ich untermalte jedes Wort mit einem weiteren Schlag.
Mich hatten bereits so viele verlassen. Warum konnte Saints nicht seinen Stolz runterschlucken und an meiner Seite bleiben?
Schluchzend musste ich den wackelnden Boxsack umklammern. Mir fehlte die Kraft, weiter auf ihn einzudreschen, und ich konnte mich kaum noch aufrecht halten. Nicht nur Saints war gegangen. Rees, mein nervtötender Cousin, hatte sich den Rebellen angeschlossen und Bronwick Hall verlassen. Zusammen mit Oakly hatte er gegen die Kaizerin und für meinen Vater gearbeitet.
Warum?
»Warum?«, schrie ich.
Niemand antwortete.
Nichts ergab einen Sinn. Ganz gleich, wie oft ich die Tatsachen in meinem Kopf hin- und herwälzte. Wie lange. Rees hatte ein gutes Leben gehabt. Durch unsere Großmutter, die sich tadellos mit der Kaizerin verstand, war seine Stellung in der Gesellschaft angesehen gewesen. Es hatte ihm nie an etwas gemangelt. Er hatte nie radikale Äußerungen getätigt.
Warum hatte er sich meinem Vater angeschlossen? Warum hatte er zugelassen, dass Oakly Karan vergiftete?
Ich wollte ihm nicht die Schuld dafür geben, dass ich letztlich Oaklys Vater getötet hatte, doch was blieb mir sonst? Wenn ich mir auch dafür die Schuld auflud, fürchtete ich, nicht mehr atmen zu können. Ich musste einen Teil davon loswerden, um weiterzumachen. Alston brauchte mich.
Langsam löste ich mich von dem Boxsack. Wieder kehrten meine Gedanken zu Saints zurück.
Ich hatte mir damals in seinem Bett geschworen, ihn nie wieder allein zu lassen. Für ihn da zu sein, auch wenn er mich von sich stieß. Als hätte ich sein Handeln bereits vorausgeahnt. Das machte es jedoch nicht weniger schmerzhaft.
Er hatte Adalinds Lügen nicht geglaubt, trotzdem hatte er mich wie ein Kind behandelt. Mich belogen.
Ich war mir fast sicher, dass er gelogen hatte.
Es tat weh, dass er nicht für uns kämpfte. Trotzdem würde ich ihn nicht einfach loslassen.
Ich blickte auf meine bandagierten Hände hinab. Meinen goldenen Verlobungsring mit dem Smaragd hatte ich für die Dauer der Trainingseinheit abgenommen.
Karan hatte eigentlich mit mir trainieren wollen, doch er war spät dran.
Wir hatten uns darauf geeinigt, die Scharade unserer Verlobung weiterzuführen, damit sie mir als Alibi für meine geheimen Tätigkeiten diente. Es war seltsam, sie jetzt erst als Scharade zu bezeichnen. Obwohl sie dies bereits seit Beginn gewesen war.
Für Karan und mich hatte es nie auch nur die leiseste Chance einer ehrlichen Beziehung gegeben. Wie eine Ertrinkende hatte ich mich an ihn geklammert und gehofft, er würde mich retten. Wie falsch ich gelegen hatte. Wie erbärmlich ich gewesen war.
Selbst als mir bewusst geworden war, dass ich ihn und seine Familie ausnutzte, um mir eine Zukunft zu sichern, hatte ich mich unmöglich verhalten. Ich hätte viel früher lernen müssen, auf eigenen Beinen zu stehen. Für mich selbst zu kämpfen.
»Hey.« Karan kam durch die offen stehende Tür aus der Männerumkleide. »Du bist ja schon dabei.«
Er trug wie ich eine lockere Sporthose und ein T-Shirt. Darüber hatte er sich noch die passende Sweatshirtjacke geworfen. Alles in den Akademiefarben Grün, Blau und Schwarz.
»Du bist zu spät«, kommentierte ich nüchtern. Ich kam ihm entgegen, um leiser sprechen zu können. »Was ist passiert?«
»Nichts Wichtiges«, wich er aus. Sein Gesichtsausdruck verriet mir nicht das Geringste, trotzdem versuchte er, abzulenken, indem er sich aufwärmte.
»Kannst du mir nicht ehrlich sagen, was los ist?«
»Ich will dich nicht aufregen.« Er hielt dabei inne, seine Schultern mit kreisenden Bewegungen zu lockern.
»Ich bin keine Porzellanpuppe«, widersprach ich vehement.
»Daran muss ich mich erst gewöhnen«, nuschelte er.
Ich schnaubte verächtlich. »Als ob dich das vorher jemals aufgehalten hätte, mich nicht zu verletzen. Oder mir nicht die Wahrheit zu sagen.«
Er seufzte tief.
»Mimics wollten wissen, warum ich nicht in den Speisesaal gehe. Nichts weiter«, antwortete er prompt. Da wollte wohl jemand nicht über unsere Vergangenheit sprechen. »Schätze, Templett meint es ernst. Dass sich hier ein paar Dinge ändern werden und so.«
Ich ballte die Hände zu Fäusten. Mimics waren Unterweltlerinnen und Unterweltler, die in unserer Gesellschaft – ähnlich wie Polizisten – für Recht und Ordnung sorgten. Seit dem Angriff der Rebellen auf unsere Akademie und Alstons Entführung gingen sie hier ein und aus.
»Hm, wir müssen uns einfach unter dem Radar bewegen«, zwang ich mich zu sagen, anstatt mich aufzuregen. Ich hatte Karan zwar in meine Pläne eingeweiht, aber ich traute ihm nicht mehr mit meinen Gefühlen.
Er hakte nicht weiter nach.
Wenig später hielt ich den Boxsack fest, damit er auch ein paar Schläge austeilen konnte.
Mittlerweile hatte er seine Jacke ausgezogen, sodass ich die Muskelstränge unter seiner dunkelbraunen Haut erkennen konnte. Sie bewegten sich bei jeder Attacke und hätten mich noch vor einem Jahr um den Verstand gebracht. Heute spürte ich nichts außer milde Neugier darüber, wer von uns beiden wohl stärker war.
»Das ist so ungewohnt«, sagte er, als wir die Plätze tauschten. Meine Arme zitterten bereits.
»Was?«
»Dir dabei zuzugucken, wie du aus Spaß trainierst.« Er grunzte, als ich dem Sack einen besonders harten Schlag verpasste und er dadurch nach hinten gedrückt wurde.
»Es ist nicht aus Spaß«, entgegnete ich angesäuert. »Ich mache es zum Überleben. Du solltest das wissen.«
»Das tue ich«, beeilte er sich zu sagen. »Glaub mir. Ehrlich.« Ich gab ein unbestimmtes Geräusch von mir, bevor ich vom Boxsack abrückte. Mein Energielevel war unten angelangt. Im gleichen Moment trat jemand anderes in die Halle. Ich rief instinktiv meine Elementarmagie, um mich zu verteidigen, falls mein Onkel oder mein Vater aufgetaucht war, um mich mitzunehmen.
Doch es war nur Linden. Meine beste Freundin und Zimmergenossin.
Sofort entspannte ich mich.
»Hier seid ihr«, sagte sie mit einem unsicheren Lächeln.
Sofort überbrückte ich den Abstand zwischen uns und drückte ihren Unterarm.
»Wir wollten ein bisschen trainieren«, sagte ich.
Karan näherte sich uns und zog im Gehen die weißen Haftbandagen von seinen Händen.
Linden strich sich ihre geflochtenen Zöpfe über die linke Schulter. Ihr elfengleiches Gesicht und die riesigen braunen Augen waren mir so vertraut wie mein eigenes Äußeres. Lange Zeit hatte ich mich gegen unsere Freundschaft gewehrt. Mittlerweile gab es kaum etwas, wofür ich dankbarer war.
»Also habt ihr nicht weiter über deinen Plan geredet?«, fragte sie, nachdem ich sie losgelassen hatte.
»Nicht hier, Linden«, ermahnte ich sie sanft. Die Türen zu den Kabinen standen sperrangelweit offen. Jeder könnte sich in den Fluren versteckt halten, um uns zu belauschen.
»Sorry.« Betreten rieb sie sich den Nacken.
»Ich habe mir Gedanken darüber gemacht«, sagte ich nach einem kurzen Moment, um sie versöhnlich zu stimmen. Leiser noch fügte ich hinzu: »Wir treffen uns heute Nacht. Bis dahin ist es besser, wenn wir uns so verhalten wie besprochen. Keine Freundschaft mehr in der Öffentlichkeit.«
Es tat schon weh, das zu sagen, noch mehr, es von ihr zu verlangen. Aber es war richtig so. Templett hatte es auf mich abgesehen, und ich konnte nicht riskieren, dass sie Linden gegen mich verwendete. Bei Karan sah die Sache anders aus. Für ihn würde ich nicht durchs Feuer gehen wie für meine beste Freundin.
»Es fällt mir schwer, Blaine«, gestand sie. »Besonders wenn ich wirklich den Plan durchziehen soll und wir unterschiedliche Zimmer bekommen …«
»Mir geht es auch so«, gestand ich. »Trotzdem gibt es keine andere Lösung, bis Templett die Akademie verlässt.«
»Und was ist mit Karan? Ihr nehmt keinen Abstand voneinander, oder?«
Karan kratzte sich am Unterarm. Ich konnte meine Gedanken wohl kaum aussprechen, ohne ihn zu verletzen.
»Sie wird sich nicht trauen, ihm zu schaden. Nicht, nachdem er wie die Tochter der Kaizerin durch unser Wunder geheilt worden ist. Aller Augen sind auf ihn und Felicitas gerichtet.« Linden sah nicht gänzlich überzeugt aus. »Außerdem bedeutet er mir nicht das Gleiche wie du«, fügte ich dann doch hinzu.
Das schien sie aufzumuntern.
»Wow, danke«, bemerkte Karan trocken.
Ich verdrehte die Augen in seine Richtung. »Bist du wirklich darüber verärgert?«
»Als ob.«
Ich glaubte ihm. Ein neuartiges Gefühl. Normalerweise log er mich an, wie ihm der Sinn danach stand. Es schien sich tatsächlich etwas zwischen uns geändert zu haben.
»Ich geh dann mal, bevor mich jemand hier sieht.« Lindens Lächeln war etwas fröhlicher, obwohl ich sie mit meiner Bitte um Abstand mehr oder weniger rauswarf. Ich hoffte jedoch, dass sie es mir nicht übel nahm. Vielleicht könnten wir heute Nacht noch einmal ausführlich darüber sprechen.
Und über alles andere, was ich vor Karan nicht erwähnen wollte. Meinen Herzschmerz zum Beispiel.
»Es scheint alles zu eskalieren, oder?«, sagte Karan, nachdem Linden gegangen war.
Ich hatte mich auf eine der Holzbänke gesetzt und wischte mir mit einem Handtuch den Schweiß von der Stirn.
»Was meinst du?«
»Ich habe noch am Anfang des Semesters gedacht, dass das Schwierigste werden würde, dich dazu zu bringen, die Verlobung aufzulösen. Jetzt scheint alles den Bach runterzugehen. Und Oakly …« Er seufzte, bevor er meinen Blick erwiderte. »Es tut mir leid, dass ich so blind gewesen bin.«
»Wir haben es beide nicht sehen wollen. Sowohl was Oakly betrifft als auch Rees.« Ich erhob mich und warf mir das Handtuch über die Schulter. »Es bringt jedoch wenig, sich Vorwürfe zu machen.« Leichter gesagt als getan. »Wir müssen nach vorne blicken und Alston retten. Bevor mein Vater ihm etwas antun kann.«
Alston. Er war mein jüngerer Bruder, doch er war auch eine fremde Person, mit der ich nie auch nur ein Wort gewechselt hatte.
Trotzdem würde ich mein eigenes Leben für ihn aufs Spiel setzen. War dies Segen und Fluch von Blutsbanden?
Karan nickte entschlossen. »Sehen wir uns nachher?«
»Spätestens in der Nacht«, wisperte ich. »Ich weiß nicht, ob ich mir die schockierten Blicke der anderen antun kann.«
Mein Magen knurrte lautstark.
Karan zwinkerte mir zu. »Ich bleib an deiner Seite, wenn du willst. Du kannst nicht nur trainieren, du musst deinen Körper auch mit Nahrung stärken.«
»Du klingst wie Heilerin Preston.« Ich ließ das Handtuch spielerisch in seine Richtung klatschen.
Ausweichend lachte er, bevor er seine Jacke vom Boden klaubte und sich dann in die Umkleide verabschiedete. Ich harrte einen Moment länger im Halbdunkel aus und starrte ins Nichts, bevor ich mir einen Ruck gab. Mit Nichtstun würde ich meine Ziele auch nicht erreichen.
An die Frauenumkleide schloss sich ein kalter Raum mit Waschbecken und Duschkabinen an. Ich hängte ein großes Handtuch an den Haken neben der hintersten Kabine, die weiß gekachelt war, und zog mich dann aus. Der Hahn quietschte, als ich das Wasser aufdrehte. Erst war es zu heiß, dann zu kalt, ehe ich eine angenehme Temperatur eingestellt hatte. Sobald ich das prasselnde Wasser auf meiner Kopfhaut spürte, seufzte ich wohlig.
Ganz gleich, was meine Gedanken umherwirbeln ließ, es gab kaum etwas, das beruhigender war, als unter einem heißen Wasserstrahl zu stehen.
Ich strich mir übers Gesicht und durch die Haare, die ich endlich aus dem festen Pferdeschwanz lösen konnte. Mit den Fingern zerpflügte ich die einzelnen Strähnen und schäumte sie anschließend ein. Das Shampoo hatte mir Linden zu meinem letzten Geburtstag geschenkt. Es roch nach süßen Rosen.
Als mich der Duft einhüllte, fühlte ich eine Schwerelosigkeit in mir aufsteigen. Ich blinzelte. Schon jetzt erkannte ich die Anzeichen einer herannahenden Vision.
Ängstlich kämpfte ich dagegen an, von den Erinnerungen meines alten Lebens überwältigt zu werden. Vergebens.
Ich öffnete meine Lider und befand mich nicht länger in der Dusche in Bronwick Hall, sondern auf einer förmlichen Dinnerparty. Leises Klaviergeklimper mischte sich zu dem brummenden Stimmengewirr. Ich stand abseits an einer Wand. Die Arme vor meinem Körper verschränkt. Obwohl ich an mir herabgucken wollte, um zu sehen, was ich trug, konnte ich nichts tun. Es war nicht mein Körper. Nur eine Erinnerung. Ein anderes Leben. Ein anderes Ich.
Und trotzdem wurde ich zu ihr, und sie war ich. Wir waren eins.
Ohne es zu wollen, sah ich zur Seite. In das Gesicht meines Partners, der mir hoffentlich schon bald einen Antrag machen würde. Bastien. Seine sanften grauen Augen bewegten sich kaum jemals von mir weg, wenn wir uns in einem Raum befanden. Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen, als sich unsere Blicke trafen.
Mein Herz machte einen Satz. Ich löste meine Arme und zog ihn mit einer Hand am Ärmel, damit er sich zu mir runterbeugte. Er glaubte, ich würde ihm etwas ins Ohr flüstern wollen, dabei presste ich stattdessen meine Lippen auf die empfindliche Stelle direkt darunter.
»Benimm dich«, maßregelte er mich scherzhaft und lachte auf. Ein warmer Laut, der mich erschauern ließ. Er legte einen Arm um meine Mitte. »Deine Eltern sind hier.«
Ich winkte ab. »Meine Schwestern nehmen sie völlig ein. Sieh nur. Jede von ihnen will ihre Aufmerksamkeit, ihr Lob haben. Bäh.« Ich streckte die Zunge raus. »Viel zu anstrengend.«
»Sie alle können stolz auf ihre jeweiligen Errungenschaften sein.«
»Was für Errungenschaften? Wir sind alle bloß auf eine Magieart spezialisiert. So außergewöhnlich ist das nicht.« Ich unterdrückte ein Seufzen. »Eher erbärmlich.«
»Wäre es, wenn ihr durchschnittlich talentiert wäret. Ihr seid aber mehr als das. Was du mit Elementarmagie anstellen kannst …« Er ließ den Satz offen. Wir wussten beide, dass ich begabt war. Und auch, wenn ich dies früher liebend gern von anderen bestätigt bekommen hatte, bedeutete es mir nur noch wenig, seit ich Bastien kennengelernt hatte.
Er war zu meinem Mittelpunkt geworden.
»Außerdem könnt ihr allesamt auch die anderen Magiearten wirken und manchmal sogar besser noch als der Durchschnitt. Rede das nicht klein.«
Er hatte recht. Trotzdem wollte ich mir darauf nichts einbilden.
»Sieh nur, Louise ist da!«, rief ich, als meine Schwester den weitläufigen Salon betrat. Sie trug ein eisblaues Kleid, das ihre Figur wie ein Wasserfall umgab. Anders als erwartet, war sie nicht allein.
Die Stimmen wurden lauter, dringlicher. Köpfe wurden gereckt. Der Pianist verspielte sich, und eine Reihe an Misstönen durchbrach den Schock über Louises Begleiter. Bei ihm handelte es sich um niemand anderes als um den …
»… Sohn der Kaizerin«, wisperte eine Hexe unmittelbar neben mir. Sie hob erschrocken eine behandschuhte Hand an ihre dunkel geschminkten Lippen.
»Ist das ein Verlobungsring?«, fragte ihre Begleiterin. Gleichzeitig versuchte sie, einen besseren Blick auf das Paar zu erhaschen, das sich nun einen Weg zu meinen Eltern bahnte.
»Willst du zu ihnen?«, fragte Bastien.
Ich blickte in sein Gesicht und stellte mir die gleiche Frage. Das Auftauchen von Anthony überraschte mich am allermeisten. Eigentlich hatten Louise und ich ein gutes Verhältnis zueinander. Warum hatte sie mir nichts von ihm erzählt?
Ich schüttelte den Kopf, während ich die unschönen Kommentare der Anwesenden über meine Schwester mitanhören musste. Sie nannten sie Betrügerin, magielos, gerissen … Alles bloß, weil sie sich in den Augen aller den begehrtesten Bachelor im gesamten Reich geschnappt hatte.
Mir wurde schwindelig, und ich sackte herab. Bastien fing mich nicht auf. Ich raste weiter nach unten. Blitze zuckten vor meinem Gesicht und erhellten tiefste Schwärze. Ich hörte meine Stimme. Oder war es die einer anderen Person? Wer war ich? Hannah oder …
Brauche ich einen Grund?
Einen Grund, um das zu tun? Um böse zu sein? Um mich lebendig zu fühlen?
Muss ich …
Darf ich …
Darfst du …?
Mit einem brutalen Schlag fand ich mich in der Dusche wieder. Gerade so konnte ich mich an dem metallenen Hahn festkrallen, bevor ich zu Boden sackte. Das Wasser war mittlerweile eiskalt. Ich zitterte, und meine Zähne klapperten aufeinander. Meine Magie floss in Strömen aus mir heraus. Wie ein blasser Regenbogen, der aus mir hervorquoll, ehe ich sie zurückhalten konnte.
Ich brauchte einige Anläufe, bevor es mir gelang, den Wasserhahn zuzudrehen und mich in das raue Handtuch zu wickeln. Mühsam kämpfte ich mich zu den Waschbecken. Meine Lippen waren blau vor Kälte, erkannte ich, als ich einen Blick in den Spiegel warf.
Lautes Knirschen erschreckte mich. Unbewusst hatte ich wieder den Griff um meine Magie verloren. Das Waschbecken, um das ich meine Hände gekrallt hatte, zerbrach und krachte lautstark auf den Boden. Fliesen knackten protestierend. Splitter stoben in die Luft und zogen Risse in meine nackten Beine. Blutige Kratzer blieben zurück.
Überwältigt stolperte ich zurück. Weitere Splitter bohrten sich in meine Sohlen, ehe ich genügend Abstand zum zerstörten Becken bringen konnte.
»Beherrsche dich«, presste ich hervor. »Lass dich nicht beherrschen.«
Mit den Händen in den Haaren hielt ich inne und versuchte, zu Atem zu kommen.
Früher oder später musste ich lernen, den Ansturm der Visionen zurückzuhalten. Ihn zu kontrollieren.
Aber wer konnte mir helfen?
Langsam richtete ich mich auf. Saints würde mich hochkant aus seinem Arbeitszimmer werfen, bevor ich ihn um Hilfe bitten könnte. Ich biss die Zähne zusammen. Mir wurde übel bei dem Gedanken, jemand anderes in meine Geheimnisse einzuweihen. Dann musste ich mich eben mehr anstrengen und es allein schaffen. Irgendwie würde das schon gehen.
Es war noch nicht spät genug. Das war mein erster Gedanke, als ich mich mit Karan durch die dämmrigen Korridore auf den Weg in die große Mensa machte. An Marmorstatuen und Wandteppichen in gedeckten Farben vorbei und unter Kronleuchtern hindurch.
Ich hatte eigentlich gedacht, dass abends um Viertel vor acht die meisten Studierenden, Schülerinnen und Schüler ihr Essen beendet hatten. Damit sie noch ein bisschen Zeit in den Freizeiträumen verbringen konnten, bevor die neue Sperrstunde einsetzte.
Wie so oft konnte ich mich nicht auf meine Einschätzung verlassen. Der Speisesaal, auf dessen linker Seite mehrere hohe Fenster eingelassen waren, war überfüllt. Bei meinem Eintreten drehten sich ein paar Wenige auf ihren Sitzplätzen an den runden Tischen zu mir um. Diejenigen, die von dem Kampf auf dem Friedhof gehört hatten und neugierig waren. Auch Karan wurde mit Blicken bedacht und hin und wieder auf Oakly angesprochen. Soweit ich mitbekommen hatte, hatte er jedes Gespräch über sie im Keim erstickt.
Die Aufmerksamkeit der anderen störte mich nicht. Damit kam ich zurecht, solange sie nicht bösartiger Natur war.
Einzig die Mimics, die an den Ein- und Ausgängen postiert waren, bereiteten mir Unbehagen. Das würde ich mir vor Herzogin Templett jedoch niemals anmerken lassen. Auch wenn ich sie auf den ersten Blick nicht entdecken konnte, würde sie mich mit Argusaugen beobachten und jede vermeintliche Schwäche für sich zu nutzen wissen.
Ich und paranoid? Minimal.
»Kopf hoch, wir können uns nicht für immer verstecken«, sagte Karan und stieß mich leicht mit dem Ellbogen in die Seite.
Ich nickte, bevor ich mich neben ihm zur Essensausgabe bewegte.
»Ich hab gehört, sie hat Oaklys Dad einfach so getötet«, vernahm ich eine Studentin im Vorbeigehen.
»Klappe«, sagte Karan und ging weiter.
Die Studentin besaß immerhin den Anstand, beschämt wegzuschauen.
Ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen, auch wenn es mich verletzte. Immerhin schienen die meisten Anwesenden noch nicht dieser vorgefertigten Meinung zu sein, dass ich ein Monster war.
Und die Studentin und einige wenige andere glaubten bloß, ich hätte Oaklys Vater kaltblütig ermordet, weil Templett den Gerüchten keinen Einhalt gebot. Wahrscheinlich schürte sie diese gar, um den Druck auf mich zu erhöhen. Dass sie mich dadurch entschlossener in meinem Handeln werden ließ, war ihr nicht bewusst. Ansonsten würde sie sich eine andere Strategie überlegen.
Wegen der fortgeschrittenen Uhrzeit mussten Karan und ich uns in keiner Schlange einreihen und konnten mit unseren Tabletts einfach an der Essensausgabe entlanglaufen.
Mein Griff um das graue Tablett wurde fester, als mich die Erinnerung an den Tod von Mr Remington einzuholen drohte. Umherschießende Magieströme, Oaklys Aufschrei, mein eigenes Unvermögen, den entscheidenden Schlag aufzuhalten … Das Ende. Das Danach.
Ich konnte es nicht verhindern. Am Ende der Essensausgabe musste ich meine Augen einen kurzen Moment schließen und durchatmen. Die Panik kratzte an der Oberfläche. Ich hatte einen Mann getötet, der sich ergeben hatte.
Es würde noch sehr lange dauern, bis ich damit abgeschlossen hätte. Wenn das überhaupt jemals geschehen würde.
Seit dem Vorfall war ich nicht mehr dort gewesen, aber ich hatte gehört, dass bereits ein Ersatz-Grablicht aus Aurum gekommen war, um die Geister zu beruhigen und an ihren Gräbern zu verankern. Einige hatten fliehen können. Ich hatte nicht nachgefragt, ob auch Poseys Geist darunter gewesen war.
Vielleicht war ich ein Feigling.
Vielleicht war das der Grund, warum mich Templett und Adalind hassten und Saints sich von mir abgewendet hatte. Wenn Alston nicht gewesen wäre, hätte ich mir vermutlich nicht mal die Mühe gemacht, dagegen anzukämpfen.
Nein. Das war falsch. So war ich nicht. Ich würde immer für meinen Platz hier kämpfen, weil er mir zustand. Nur weil mein Dad ein Rebell war, bedeutete das nicht, dass ich nicht zur Gesellschaft gehörte.
»Alles in Ordnung?« Karan sah mich fragend an.
»Erinnerungen«, sagte ich leise.
»Komm. Da vorne ist was frei.«
Seine zuvorkommende Art war so neu, dass sie mir beinahe schon unangenehm war.
Wir steuerten einen leeren Tisch neben einem Sprossenfenster an. Ich knallte das Tablett lautstark auf die schmutzige Oberfläche und brachte Karan zum Schmunzeln.
»Was denn?«
»Es ist richtig erfrischend, wenn du deine Gefühle nach außen trägst.«
»Ich glaube nicht, dass das viele so sehen wie du«, entgegnete ich und zerschnitt meine Gemüseteigtasche.
»Ist das denn so wichtig?«
Darauf hatte ich keine Antwort und senkte den Kopf über meinen Teller.
»Sie sollte es uns allen leichter machen und Bronwick Hall verlassen«, sagte eine Studentin aus meinem Jahrgang.
»Wirklich. Vielleicht würden sich dann die Sicherheitsvorkehrungen wieder verringern«, stimmte ihr ein Typ zu.
Ich stopfte einen riesigen Löffel Reis in meinen Mund, um mich selbst davon abzuhalten, eine Schimpftirade loszulassen.
Karan wollte wieder einen Kommentar ablassen, doch ich schüttelte den Kopf.
Nach ein paar Minuten hatte sich der Saal weiter geleert. Ted kam an unseren Tisch geschlendert und begrüßte mich mit einem knappen Nicken. Er gehörte wie Karan, Linden und ich zur Elite.
»Hey, ich stecke bei dem Aufsatz für Professor De Lacey fest. Du meintest ja, du kannst mir helfen?«
Karan warf mir einen kurzen Blick zu.
»Schon okay. Ich brauche keinen Aufpasser. Geh nur.«
Noch zögerte er ein paar Sekunden, bevor er uns allen einen Gefallen tat und nickte.
»Mach keinen Scheiß in meiner Abwesenheit«, witzelte er.
»Würde ich nicht wagen.« Ich zwang mich, zu lächeln, auch wenn mein Herz bei dem Gedanken härter klopfte, hier allein zurückzubleiben. Nicht weil ich einen Angriff erwartete, sondern weil ich mich daran gewöhnt hatte, Freunde zu haben.
Seltsam.
Ich blickte Karan und Ted bis zur offen stehenden Flügeltür des Saals nach, dann widmete ich mich wieder meinem Essen. Karan hatte recht. Es war wichtig, dass ich regelmäßig Nahrung zu mir nahm, um meinem Vater magisch und körperlich etwas entgegensetzen zu können. Schwach zu bleiben war keine Option für mich.
Mein Nacken begann nach wenigen Minuten zu kribbeln. Ich musste nicht aufsehen, um zu wissen, dass Templett den Saal betreten und mich anvisiert hatte. Was mich allerdings überraschte, waren die beiden Mimics, die neben mir auftauchten und eine selbstzufrieden aussehende Templett flankierten.
»Ms Harlow.« Es war keine Frage. Nur die Spur von Höflichkeit. Gerade genug, um ihr Gesicht zu wahren, falls jemand zuhörte. Ich hätte alles darauf verwetten können, dass sie mir am liebsten den Nachnamen meines verräterischen Vaters, Thackeray, an den Kopf werfen wollte. Es schien, als wäre ich nicht die Einzige, die um Selbstbeherrschung ringen musste.
»Ja?« Langsam legte ich den Löffel aufs Tablett, ohne den Blick von ihr zu wenden.
Sah man Herzogin Tara Templett zum ersten Mal, so fiel einem wahrscheinlich zunächst der kahl rasierte Schädel auf. Nicht weil sich keine Haare mehr darauf befanden, sondern weil das schwarze Tattoo auf ihrer Kopfhaut gleichzeitig furchteinflößend und beeindruckend war. Schnörkel und geometrische Figuren, die miteinander verbunden waren. Ein religiöses Zeichen zu Ehren der Titanen.
Wenn man dieses Gebilde dann verarbeitet hatte, wurde der Blick direkt auf ihre blutrot geschminkten Lippen gelenkt. Es war immer die gleiche Nuance, die ihren Wangen ein tieferes Goldbraun schenkte. Einerseits sollte es ein Kontrast sein, andererseits harmonierten Rot und Braun so, wie es von ihr beabsichtigt war.
Abgesehen davon schien sie eine normale Hexe zu sein. Plump gar in ihrer Figur, die sie heute in einer dunkelgrünen Robe verhüllte. Doch ihr Gesicht … Niemals würde jemand Tara Templett als normal bezeichnen.
Ich hätte jedoch gewünscht, sie wäre es gewesen. Und sie hätte mich nicht als ihre Feindin auserkoren.
»Begleiten Sie uns bitte nach draußen«, befahl sie mir.
Würde sich ein Aufstand lohnen? Oder eine Provokation?
Noch nicht.
Ich sollte besser herausfinden, was hier vor sich ging, bevor ich mein gesamtes Waffenarsenal auf sie losließ. Vielleicht wartete ja die Kaizerin auf mich …
Mein Appetit war so oder so vergangen. Unter den Blicken aller Übrigen folgte ich Templett durch den Saal ins Foyer. Die Mimics hatten mich nicht im Rücken wissen wollen. Nur deshalb hatten sie mich vorgehen lassen.
Templett blieb auf dem steinernen Wappen im Boden stehen und wartete, bis ich zu ihr aufgeschlossen hatte.
»Was gibt’s?« Eine verdeckte Herausforderung in Form von fehlender Höflichkeit konnte ich mir dann doch nicht verkneifen.
»Es wird Zeit für Ihre Vernehmung.«
Wenn ich nicht von allen Seiten beobachtet worden wäre, hätte ich mir mit der flachen Hand gegen die Stirn geschlagen. Natürlich. Linden und Karan waren längst vernommen worden. Ich hatte mich schon gefragt, wann sich die Untersuchung von Mr Remingtons Tod auf mich ausweiten würde. Schließlich war ich diejenige, die ihn …
Und obwohl ich darauf gewartet hatte, war es Templett irgendwie gelungen, mich zu überraschen. Wieder mal kam mir der Gedanke, dass ich ihr nicht gewachsen war. Sie war eine gestandene Hexe, die Herzogin von Bronwick, und ich war eine junge Studentin, die bis vor Kurzem nicht mal richtig trainiert hatte.
»Und dafür mussten Sie mich persönlich abholen?« Abweisend verschränkte ich die Arme.
»Es besteht Fluchtgefahr«, antwortete sie knapp. Sie mochte es nicht, wenn ich sie auf ihr Verhalten ansprach. Interessant. Also war sie sich bewusst, wie kindisch sie sich benahm.
»Fluchtgefahr?«, wiederholte ich ungläubig.
»Sie haben jemanden getötet, Ms Harlow. Niemand von uns nimmt das auf die leichte Schulter.« Sie wartete einen Moment, doch ich verkniff mir einen Kommentar. »Das Verhör findet im Nekromantie-Lehrraum statt. Folgen Sie mir, ohne einen Aufstand anzuzetteln.«
Als sie mir den Rücken zuwandte, zog ich eine Grimasse. Vielleicht war ich die kindischere von uns beiden.
Die Mimics näherten sich mir bedrohlich, weshalb ich beschloss, nicht zu trödeln. Ich wollte mich nicht kleinkriegen lassen, aber ich wollte auch nicht in Ketten gelegt werden.
Der Lehrraum befand sich im Untergeschoss. Abgesehen vom Schwimmbad, an das ich gerade jetzt nicht denken wollte, war dies im Ranking meiner liebsten Aufenthaltsorte nicht weit oben.
In der einen Hälfte des »Kellers« – so hatten wir Studierende den Ort getauft –, befanden sich die privaten Räumlichkeiten der Bediensteten sowie Küche und Vorratsräume. In der anderen die Waffenkammer, das Schwimmbad und der Lehrraum für Nekromantie. Diese Magieart wurde nicht von mir favorisiert, auch wenn ich bereits mit ihr gekämpft hatte.
Templett öffnete die schwere Massivholztür, und ich folgte ihr in den rechteckigen Hörsaal, der am anderen Ende eine Art Bühne besaß. Auf ihr befand sich eine leere Liege aus Metall, die das fahle Licht der Glühbirnen an den vertäfelten Wänden reflektierte. Die hölzernen Sitzreihen waren fächerförmig angeordnet und für mehr Zuhörer gedacht, als sich letztlich hier während der Unterrichtsstunden einfanden. Ich persönlich kannte niemanden, der eine außerordentliche Begabung für Nekromantie aufwies oder unabhängig davon eine Karriere als Cleaner einschlagen wollte.
Cleaner arbeiteten größtenteils in der Menschenwelt und reinigten Tatorte, die meist von Rebellen und Scheusalen hinterlassen wurden. Neben den Mimics lag es an ihnen, unsere Existenz vor den Menschen geheim zu halten. Unsere Akademien und die Hauptstadt Aurum waren zwar gute Rückzugsorte, doch es gab genug Unterweltlerinnen und Unterweltler, die ein Leben in der Menschenwelt vorzogen. Sie mussten zwar des Öfteren in die magischen Bereiche zurückkehren, weil unsere Magie irgendwann in der Menschenwelt verrücktspielte, doch das nahmen sie in Kauf für ein Leben in Freiheit. Ihre Worte, nicht meine.
Man konnte auch als Hüter arbeiten, wenn man Nekromantie besonders gut beherrschte. Hüter wurden manchmal auch »Grablichter« genannt, weil sie auf unseren Friedhöfen dafür sorgten, dass die Geister mit ihren Körpern verbunden blieben. Ein Licht in der Dunkelheit.
Wie Oaklys Vater.
Es war sicherlich kein Zufall, dass mein offizielles Verhör hier und nicht in einem der anderen, näher gelegenen Hörsäle stattfand.
Ich stieg hinter Templett die Treppenstufen zur Bühne hinab, auf der bereits jemand auf uns wartete. Professorin Backster. Sie war mir immer sympathisch erschienen und hatte mich in Ruhe gelassen. Ihre Vorträge und Lehrstunden waren interessant gewesen – dafür, dass mich das Thema eigentlich wenig bis gar nicht reizte. Ich erinnerte mich plötzlich an eine der letzten Stunden, in denen sie davon erzählt hatte, dass besonders talentierte Hexen und Hexer Tote mit Nekromantie dazu bringen konnten, Vorhersagen zu tätigen. War ich etwa deswegen hier? Sollte mein Schicksal als Kriminelle bestätigt werden, damit Templett mich endlich wegsperren konnte?
Durch die offen stehende Tür schräg hinter der wartenden Professorin trat eine dritte Mimic hervor. Ich war noch nie in dem Zimmer gewesen, aber ich wusste, dass sich dort die Kühlkammer befand. Während der Schulzeit war davon bloß gemunkelt worden, in meinem ersten Semester war dann von uns verlangt worden, Nekromantie an echten Toten zu erproben. Ich hatte die Stunden nur mit Mühe und Not hinter mich gebracht. Tote aus der Ferne zu sehen war etwas anderes, als ihre eiskalte, weiche Haut zu berühren. Allein bei dem Gedanken schüttelte es mich.
»Es ist alles vorbereitet«, sagte die Hexe, die die dunkle Uniform der Mimics trug. Abgesehen von dem Titanid auf ihrer Brust trug sie keine Abzeichen, was darauf schließen ließ, dass sie noch nicht lange bei der Truppe war.
Die anderen beiden Mimics betraten hinter mir die Bühne und nickten bestätigend.
Professorin Backster rang sich ein unsicheres Lächeln in meine Richtung ab, das ich nicht erwidern konnte. Ich verlor von Moment zu Moment mehr von meinem Mut und wusste nicht, wie ich Templett weiter etwas vorspielen sollte, das ich nicht empfand.
»Was genau machen wir hier?«, fragte ich, als ich einen kurzen Augenblick ohne Templett erwischte. Backster, der wartende Mimic und ich hatten die Kühlkammer betreten. Templett und die zwei übrigen Mimics blieben zurück. Ich hörte ihre leisen Stimmen, die zu uns herüberwehten, aber ich konnte nicht ausmachen, worüber sie sich unterhielten.
»Hat Ihnen Herzogin Templett nichts erzählt?« Professorin Backster sah mich schockiert an. Sie war ganz in dunkelgrün gekleidet, eine Seidenbluse und ein karierter Rock, der ihr bis zu den Knien reichte. Strähnen ihres grauen Haares fielen gelockt in ihr spitzes Gesicht. Eine zierliche Brille saß auf ihrem Nasenrücken. Ich schüttelte den Kopf. »Wir sind hier, um Mr Remington zu befragen.«
Backster zeigte auf die linke Seite des kalten weißen Raumes. Dort befand sich von Wand zu Wand reichend ein Metallschrank mit rund zwanzig Türen. Hinter jeder Tür könnte sich jeweils ein Leichnam befinden. Eine der Türen wurde von der anwesenden Mimic aufgezogen.
Unwillkürlich tat ich einen Schritt zurück. Doch meine Sorge war vorerst unbegründet. Ein weißes Tuch verhüllte den leblosen Körper von Oaklys Vater. Mein Herz klopfte wild.
»Sie wollen ihn zum Sprechen bringen? Ist das notwendig?«
»In den Augen der Herzogin schon«, antwortete Backster ausweichend. Sie berührte mich leicht am Oberarm.
»Mein Wort reicht nicht aus …«, murmelte ich. »Natürlich nicht.«
»Es wird schnell vorbeigehen. Machen Sie sich keine zu großen Sorgen.«
Dieses Mal zwang ich mich zu einem Lächeln, obwohl ich innerlich am Boden war. Mir war heiß und kalt gleichzeitig, weil ich nicht wusste, was Remington sagen würde.
Die Wahrheit war unbestreitbar – ich hatte ihn mit meiner Magie getötet. Ich war fahrlässig gewesen und hatte im Kampf die Kontrolle verloren. Dafür müsste ich bestraft werden. Irgendwann. Aber nicht jetzt. Nicht wenn ich die Einzige war, die alles aufs Spiel setzte, um Alston zu finden.
Ich zwang mich, die Fäuste an meinen Seiten zu lösen und tief durchzuatmen. Sobald Remingtons Aussage auch nur einen minimalen Spielraum ließe, würde ich ihn für mich zu nutzen wissen. Ich würde nicht zulassen, dass mich Templett mit dieser listigen Nummer besiegte.
Apropos, über was auch immer sie sich noch mit den Mimics unterhalten hatte, sie war damit fertig. Ich bildete es mir höchstwahrscheinlich bloß ein, aber die Temperatur im Raum sackte noch einmal um fünf Grad ab. Ich erzitterte, und auf meiner Haut bildete sich eine Gänsehaut. Lautlos erfreute ich mich daran, dass ich nicht die Einzige war, die fror. Templett rieb sich über ihre Ärmel, ehe sie meinen Blick auffing und in der Bewegung innehielt.
Ich hob eine Augenbraue, als würde ich sie damit provozieren wollen. Anstatt sich davon einschüchtern zu lassen, lächelte sie. Magie flammte auf, und sie hüllte sich darin ein.
Verflucht.
Sollte ich es ihr nachtun? Doch dann würde ich meine eigene Schwäche offenbaren und … Ich sträubte mich dagegen, meine Magie vor ihr in irgendeiner Art einzusetzen. Als wäre sie ihrer nicht würdig. Außerdem fürchtete ich, sie würde es so verdrehen, als hätte ich sie angreifen wollen oder dergleichen. Ihr würde sicherlich noch etwas Absurderes einfallen.
»Sie fragen sich bestimmt, warum wir hergekommen sind«, sagte sie an mich gewandt.
»Nein.«
»Nein?« Sie blinzelte wie ein Reh im Scheinwerferlicht.
Ich seufzte übertrieben laut auf, als würde ich ihr einen großen Gefallen tun. Mein altes Ich hatte sich längst verabschiedet, und mir wurde plötzlich mit überraschender Klarheit bewusst, dass ich nicht mehr zu ihm würde zurückkehren können. Ich war über meinen Schatten gesprungen und hatte das Sonnenlicht auf meiner Haut gefühlt. Es gab keinen Grund, warum ich die Gerüchte und die Beleidigungen nicht ertragen könnte. Warum ich Respekt vorspielen sollte, wenn ich ihn nicht empfand.
»Professorin Backster hat mir in Ihrer Abwesenheit freundlicherweise alles erklärt«, sagte ich mit einer Arroganz in der Stimme, wie ich sie jahrelang an Posey miterlebt hatte. Die ehemalige Prisma und ich waren uns vor ihrem tragischen Tod nicht nahe gewesen, aber ich hatte ihr Selbstbewusstsein stets bewundert. »Sie wollen Mr Remington zum Sprechen bringen, weil Sie mir nicht vertrauen. Wahrscheinlich haben Sie es darauf abgesehen, dass er Ihnen deutlich sagt, dass ich ihn kaltblütig ermordet habe.«
Der Mimic, der schräg neben mir stand, sog scharf die Luft ein und erntete einen vernichtenden Blick seines direkten Vorgesetzten.
»Das wollen wir keineswegs, Ms Harlow«, ereiferte sich Templett prompt. Fast glaubte ich ihr.
Ich setzte zu einer Erwiderung an, als sich jemand Neues zu uns gesellte.
»Direktorin Hutcherton«, begrüßte Templett sie aalglatt. »Wie schön, dass Sie es einrichten konnten, zu uns zu stoßen.«
»Ich habe eben erst Ihre Nachricht erhalten«, sagte die Direktorin leise, aber mit festem Unterton. Ich konnte die Beziehung zwischen ihr und der Herzogin nicht ganz einordnen, aber ich meinte eine gewisse Abneigung auszumachen.
Nicht dass sie mir nützen würde.
»Es macht keinen Unterschied, was Sie wollen. Er wird Ihnen die Wahrheit sagen. Es sei denn, Sie fabrizieren irgendetwas im Hintergrund«, pfefferte ich in Richtung Templett zurück, weil ich sie nicht gewinnen lassen wollte.
»Ms Harlow«, knurrte sie beinahe. Eine Warnung. »Sie sollten darauf achten, wie Sie mit uns Anwesenden sprechen. Ihre Großmutter wird allseits respektiert und sogar von der Kaizerin geschätzt. Sie haben jedoch mittlerweile nicht nur einen faulen Apfel, sondern gleich drei in Ihrer Familie.« Rees, mein Vater und mein Onkel. »Wenn Sie mich fragen, wird der vierte bald schon entlarvt. Und Ihre Großmutter wird Sie nicht vor Ihrem Schicksal bewahren können.«
»Ich soll auf meine Worte achten, während Sie sich bereits ein Urteil über mich gebildet haben? Es riecht doch etwas nach Doppelmoral für mich.« Unwillkürlich machte ich einen Schritt in ihre Richtung. »Warum das ganze Prozedere nicht überspringen und mich direkt einsperren?«
»Glauben Sie mir, Sie werden früher oder später in Seyfair landen«, zischte sie. Ihre Augen hatten sich zu Schlitzen verengt. Es war die ehrlichste Reaktion, die ich ihr entlocken konnte, und es machte mich stolz, dass sie ihr Gesicht im Beisein von Mimics, einer Professorin und der Direktorin verloren hatte. Das war mein Plan gewesen.
Ich konnte nicht abschätzen, wie viel Macht die anderen über meinen Fall hatten, aber immerhin konnten sie bezeugen, dass Herzogin Templett bereits eine vorgefertigte Meinung über mich hatte.
Professorin Backster räusperte sich. Nur dadurch wurden Templett und ich bei unserem Blickduell unterbrochen.
»Lassen Sie uns beginnen«, verkündete Templett, als hätte sie sich ohne äußeren Einfluss zusammengerissen.
Ich fragte mich, ob bloß ich mich derart über sie ärgerte oder ob es allen so ging. Die Wahrscheinlichkeit war gering, dass ich es herausfinden würde. Kaum jemand würde sich gegen eine Herzogin stellen. Allein die Kaizerin könnte ihr Einhalt gebieten.
Schlechte Aussichten für mich.
»Halten Sie es immer noch für eine gute Idee, es nicht uns tun zu lassen?«, fragte der Vorgesetzte der Mimics in Richtung Templett.
»Professorin Backster ist eine Koryphäe auf diesem Gebiet«, antwortete Templett, ohne sich ihm zuzuwenden. Sie beobachtete Backster dabei, wie sie das weiße Tuch vom Kopf des Toten nahm. »Ich erlaube keine Fehler. Auch wenn ich Ihrer Begabung vertraue, liegen Ihre speziellen Fähigkeiten doch woanders.«
Der schwarzhaarige Mimic knirschte mit den Zähnen. Anscheinend wurde er nicht gerne kritisiert. Immerhin konnte er seinen Ärger kontrollieren, was nicht unbedingt zu meinen Gunsten war. Ein bisschen Drama, das nichts mit mir zu tun hatte, wäre in dieser Situation willkommen gewesen.
Als ich den Moment lange genug hinausgezögert hatte, blickte ich von dem Mimic zu Mr Remingtons Leiche.
Mein Magen verknotete sich augenblicklich.
Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann ich zuletzt einen älteren Leichnam gesehen hatte. Die letzten Vorlesungen in Nekromantie schienen Ewigkeiten her zu sein. Hatten alle anderen Toten auch einen derart schmerzverzerrten Gesichtsausdruck gehabt? Das Einzige, was mich erleichterte, waren die geschlossenen Lider. Ich wusste nicht, ob ich den anklagenden Blick aus den braunen Augen hätte ertragen können.
Unwillkürlich wich ich zurück, bis die Kante des metallenen Arbeitstisches gegen meine Hüfte drückte. Ich krallte die Finger um dessen kalte Oberfläche und kämpfte gegen die unzähligen Schauer an, die nicht nur durch die niedrigen Temperaturen hervorgerufen wurden.
Immer noch traute ich mich nicht, meine Magie einzusetzen, auch wenn in diesem Augenblick alle Aufmerksamkeit auf Mr Remington gerichtet war.
Ich war nie zuvor bei einer vorübergehenden Auferstehung dabei gewesen. Laut meiner Lehrbücher galt dies als eine der schwierigsten Künste und wurde meistens nur während der Ausbildung zum Mimic gelehrt. Das, was wir im Unterricht taten, war nicht damit zu vergleichen. Wir setzten Nekromantie ein, um die Körper Lebender und Toter zu bewegen, aber wir bedienten uns nicht der Seele des Toten.
Nach dem Ableben blieb der Geist für sieben Tage an den Körper gefesselt, dann musste dieser beerdigt und von einem Grablicht bewacht werden. Andernfalls würde die Seele ziellos umherirren und im schlimmsten Fall andere angreifen. Wie es auf dem Friedhof geschehen war.
Da Mr Remington vor … Nein. Da ich Mr Remington vor weniger als einer Woche getötet hatte, war seine Seele noch hier mit uns im Raum. Nur deshalb konnte Professorin Backster tun, was Herzogin Templett von ihr verlangte.
Kurz schloss ich die Augen und sammelte all meinen Mut. Ich durfte mich nicht kampflos geschlagen geben. Ich durfte Templett nicht für eine Sekunde den Sieg überlassen, weil Alston nur mich hatte.
Anders als seine Adoptiveltern würde ich Moral, Regeln und Gesetze brechen, um ihn heil zurückzubekommen.
Entschlossen löste ich die Finger von der Kante des Tisches und überbrückte den Abstand bis zu Professorin Backster. Sie hatte noch nicht mit dem eigentlichen Ritual begonnen, sondern erst ihr Inventar begutachtet, das auf einem rechteckigen Rolltisch neben ihr ausgebreitet lag.
»Wären Sie so freundlich, mich zu unterweisen?«, fragte ich leise, aber bestimmt. »Ich denke nicht, dass die Gelegenheit bald noch einmal kommt, so etwas mitzuerleben.«
Die Atmosphäre im Raum änderte sich sofort. Niemand hatte damit gerechnet, dass ich mich in das Prozedere einbringen würde. Ein Zeichen dafür setzte, wie entspannt ich der Sache entgegensah.
Was absolut nicht der Fall war, doch das mussten sie nicht wissen.
»Ms Harlow …«, wies mich Direktorin Hutcherton zurecht. Das Gaslicht neben ihr flackerte trotz des Glases darum, als sie sich in meine Richtung bewegte.
Backster hob jedoch eine behandschuhte Hand in ihre Richtung. »Zunächst muss ich überprüfen, ob die Seele tatsächlich noch mit dem Körper verbunden ist«, sagte Backster ohne Umschweife.
»Ist dies nicht immer der Fall? Für sieben Tage?« Das ist es. Ich musste mir nur vorstellen, dass es sich hierbei um eine Vorlesung handelte, dann würde ein Teil der Nervosität ganz von allein verschwinden.
»Gut aufgepasst, Ms Harlow«, lobte sie mich. »Doch darauf können wir uns nicht immer verlassen. Manchmal ist die Verbindung zwischen Körper und Geist schon zu Lebzeiten fadenscheinig, und der Tod ist das Werkzeug, das sie vollkommen trennt. Es passiert nicht oft, aber wir müssen sichergehen. Schließlich wollen wir mit Mr Remingtons Seele sprechen und nicht mit einer anderen herumirrenden, die sich an seinen Körper geheftet hat.«
»Das geht?«, rief ich überrascht.
Backster wirkte für einen Moment amüsiert über mein Interesse, ehe sie wieder ernst wurde. »Selten.«
Ich verschränkte die Hände abwartend vor meinem Körper und beobachtete, wie Backster ihre linke Handfläche über Mr Remingtons Schädel hielt. Von Nahem wirkte er noch unheimlicher. Die Haut war kalkweiß, die Brauen schienen buschiger, als ich sie in Erinnerung gehabt hatte, und die Schatten unter den Augen tiefer. Ein süßlicher Geruch hatte sich mittlerweile überall im Raum ausgebreitet. Er musste seinen Ursprung in Backsters Magie haben. Sie hatte uns verraten, dass die Leichen zwar in einer Kühlkammer aufbewahrt wurden, aber dass ein Hauptgrund für die mangelnde Dekomposition in ihrer Magie lag. Sie war dafür verantwortlich, dass die Körper in einer Art Starre blieben, bevor sie beerdigt werden konnten.
»Ich setze meine nekromantische Energie ein, um die Verbindung zu fühlen. Versuchen Sie es auch«, wies mich Backster nach ein paar Sekunden an. Ihre Augen hielt sie geschlossen. »Wir sind dies Ende des letzten Semesters durchgegangen. Dazu sollten Sie fähig sein.«
»Ich bin nicht sicher, ob das zulässig ist«, mischte sich Templett ein.
»Die Mimics und ich werden aufpassen, dass Ms Harlow nichts an der Verbindung ändert«, entgegnete Backster ruhig. Es war kurios, sie plötzlich mit diesem Selbstbewusstsein reden zu hören. Vermutlich ließ sich dies darauf zurückführen, dass sie sich gerade jetzt in ihrem Element befand. Hier konnte ihr niemand etwas vormachen. Diese Art von Selbstsicherheit konnte ich verstehen.
Und Templett offenbar auch, denn sie presste lediglich die Lippen zusammen.
Zögerlich streckte ich meine Hand oberhalb von Mr Remingtons Körper in die Luft und schloss ebenfalls die Augen. Es fiel mir nicht schwer, meine Magie zu rufen. Auch wenn ich mit der Elementarmagie eine stärkere Verbindung spürte, konnte ich problemlos meine anderen Magien rufen, seit ich meine Begabung nicht mehr verschleiern musste.
Im Gegensatz zur Elementarmagie fühlte sich Nekromantie rau und unangenehm an. Als besäße man ein Fell, das jemand die ganze Zeit entgegen der Wuchsrichtung streicheln würde.
Die Schwärze wurde nach und nach von Mr Remingtons Aura ersetzt, die sich hell und heiß in die Innenseite meiner Lider zu brennen schien. Ich musste dagegen ankämpfen, meine Augen nicht aus Reflex zu öffnen.
»Ich sehe seine Aura«, sagte ich. »Sie umgibt seinen gesamten Körper. Ein warmes Blau.«
Jede Unterweltlerin, jeder Unterweltler und jeder Mensch besaß seine eigene einzigartige Aura, die sich meistens nur in Nuancen von anderen unterschied. Es gab einen Katalog, der den Farben verschiedene Bedeutungen beimaß, aber soweit ich wusste, war nichts davon hundertprozentig belegt.
»Die Aura, also der Geist, existiert damit. Jetzt müssen wir nur noch überprüfen, ob es auch Mr Remingtons ist«, klärte mich Backster auf. »Wie bewerkstelligen wir das?«
Ich öffnete den Mund und schloss ihn wieder. »Ähm …« Schweigen. »Wahrscheinlich hätte ich besser aufpassen sollen.«
»Sie müssen tiefer gehen mit Ihrer Magie. In seinen Körper hinein.« Backster ließ sich nicht von meiner Unfähigkeit aus der Ruhe bringen.
Konzentriert drang ich durch die Aura, bis meine Magie durch Mr Remingtons Körper stob. Und dann sah ich sie. Die einzelnen Verbindungen. Dunkelrote, fadenartige Verknüpfungen von Geist und Körper. Es existierten unzählige von ihnen, doch sie lösten sich bereits vor meinem inneren Auge auf. Mit jeder verstreichenden Sekunde gab es weniger von ihnen, und schon in den kommenden Tagen würden sie sich vollkommen aufgelöst haben. Seine Seele wäre dann frei.
»Es ist seine«, schlussfolgerte ich und öffnete die Augen. Meine Magie zog ich samt meiner Hand zurück.
Professorin Backster nickte anerkennend.
»Beim nächsten Teil werden Sie bloß zusehen müssen, Ms Harlow. Passen Sie dennoch auf«, erklärte Backster. Sie nahm eine lilafarbene Phiole in ihre Hand und öffnete sie. Das Aroma von Ringelblumen breitete sich aus, als sie zwei Tropfen davon auf die Stirn von Mr Remington träufelte. Backster musste dieses Vorgehen nicht erklären.
Auch wenn Nekromantie im Normalfall nichts anderes brauchte, als die eigene inhärente Magie, halfen einzelne Aromen dabei, die Wirkung zu verstärken.
Sie legte die wieder verschlossene Phiole zurück und griff nach Tuch und Skalpell, bevor sie eine etwa einen Zentimeter lange Linie zwischen seine Brauen schnitt. Die Wunde blutete nicht, aber als sie das Tuch darauf presste, blieben drei rote Punkte zurück. Auch dieses Vorgehen würde Backsters Zugang zu Mr Remington erleichtern. Eine minimale Überschneidung von Nekromantie und Blutmagie.
Als Mr Remington wenige Sekunden später die glasigen Augen öffnete, musste ich mir auf die Unterlippe beißen, um keinen entsetzten Schrei zu verlieren.
Ich hörte jemanden hinter mir scharf den Atem einziehen, abgesehen davon war es ruhig. Mein Herz klopfte unermüdlich. Jetzt kam die Stunde der Wahrheit. Der Moment, in dem sich mein vorläufiges Schicksal entscheiden würde.
Nachdem ich mich für wenige Minuten hatte täuschen und in Sicherheit wiegen lassen, würde ich nun nicht mehr davonlaufen können.
Das ehemalige Grablicht setzte sich auf. Das Tuch fiel von seinen behaarten Schultern und bauschte sich in seinem Schoß. Es war das erste Mal, dass ich die magische Wunde sah, die ich ihm zugefügt hatte. Ein perfektes rundes Loch, das in seiner bleichen Brust klaffte und dessen Ränder verkohlt waren.
Ich spürte Übelkeit in mir aufsteigen. Säure prickelte in meiner Speiseröhre, stieg hoch und mischte sich mit dem Blut meiner aufgebissenen Unterlippe. Am liebsten hätte ich kehrtgemacht und wäre davongerannt.
Ich zwang mich, stehen zu bleiben. Man würde mich sowieso nicht aus dem Zimmer lassen.
»Sind Sie Thomas Remington, der Hüter von Bronwick Hall?«, fragte der ranghöchste Mimic. Er hatte sich neben mich gestellt und blickte den Leichnam ungerührt an.
»Ja.« Ein Schauder rann meinen Rücken hinab. Ich konnte mich noch genau an Mr Remingtons Stimme erinnern, doch sie hatte kaum mehr etwas mit dem Kratzen gemein, das aus der Kehle dieses Toten kam. Gleichzeitig war sie unverkennbar die seine.
Mir kam der Gedanke, dass Tote niemals sprechen sollten. All dies hier war widernatürlich.
Ich hasste es, ein Teil dessen zu sein.
»Können Sie sich an das Letzte erinnern, das Ihnen widerfahren ist?«
»Ja.«
»Erinnern Sie sich, wie Sie gestorben sind?«
»Ja.«
»Erzählen Sie uns davon.«
»Ich befinde mich auf dem Friedhof von Bronwick«, begann er. Seine Augen blieben durchgehend nach vorne auf den Metallschrank gerichtet. Allein seine blutleeren Lippen bewegten sich. »Meine Tochter hat mich gefunden. Sie will mich dazu bringen, mit ihr zu fliehen. Sie hat sich den Rebellen angeschlossen. Ich versuche, etwas von dem zu verstehen, was sie sagt, aber sie redet zu schnell.« Jedes Wort, jeder Satz wurde ohne jegliche Emotion hervorgebracht, als wäre die Seele des Toten nicht mehr fähig, etwas zu empfinden. Die Kälte und das Raue in seiner Stimme trugen zur gespenstischen Atmosphäre bei. Ich wünschte, ich hätte mir die Hände auf die Ohren pressen können. »Wir sind nicht mehr allein. Zwei Studierende haben uns gefunden. Wir können nicht fliehen. Ein blutmagischer Kreis hält uns fest. Ich kann meine Tochter nicht verlieren. Nicht, nachdem ihre Mutter bereits in ihrem Beisein starb. Es war mein Fehler. Ich habe nicht aufhören können, unser Geld zu verspielen.«
»Konzentrieren Sie sich bitte, Mr Remington«, unterbrach ihn der Mimic. »Was ist als Nächstes geschehen?«
»Wir kämpfen. Ich lösche die Lichter und hoffe, dass die Geister Ablenkung genug sind. Sie sind es nicht. Oakly kämpft weiter. Ich weiß nicht, ob sie gegen die zwei anderen gewinnen kann. Mir ist es gleich, wie, aber ich muss gewinnen. Ich kämpfe gegen die Studentin. Ich kann sie nicht töten. So bin ich nicht. Ich ergebe mich. Doch sie hat ihre Magie bereits losgelassen. Ich kann nicht ausweichen. Sie kann sie nicht zurückrufen. Ich spüre starke Schmerzen. Dann ist alles dunkel.«
Mr Remingtons letzte Worte verklangen in dem weißen sterilen Raum. Nur das Atmen der Anwesenden und das leise Rascheln von Kleidung füllten die Stille, die zunehmend von dem Rauschen in meinen Ohren übertönt wurde.
Ich beobachtete Backster nicht dabei, wie sie das Grablicht aus ihrem Griff entließ. Unwillkürlich hatte ich mich Templett zugewandt, um deren Mund sich ein vergnügter Zug zeigte. Als auch der Mimic in ihre Richtung sah, verwandelte sie ihr Gesicht in eine nüchterne Maske. Als würde sie nicht das Geringste empfinden. Dabei musste sie sich fühlen wie bei einer verfrühten Bescherung.
»Gehen wir für die weitere Besprechung in den Hörsaal«, kam ihr Direktorin Hutcherton zuvor.
Wahrscheinlich musste ich mich glücklich schätzen, dass immerhin eine Person auf meiner Seite war, auch wenn die Direktorin kein Mitspracherecht in Bezug auf meine Verurteilung haben würde.
Zum ersten Mal spürte ich Todesangst in mir aufsteigen.
Trotzdem gelang es mir, der Herzogin in den Hörsaal zu folgen. Lediglich Professorin Backster blieb zurück, um sich um den Leichnam zu kümmern. Ich wünschte, sie wäre bei mir geblieben, damit sie mir zusammen mit Hutcherton moralischen Beistand leisten konnte.
Ich stellte mich neben den angestrahlten Tisch auf der Bühne. Alle anderen standen im Halbkreis um mich herum und beobachteten mich ganz genau. Sobald ich bloß Anstalten machen würde, meine Magie einzusetzen, würden sie sich auf mich stürzen.
»Haben Sie etwas dem Bericht von Mr Remington hinzuzufügen, Ms Harlow?«, fragte der ranghöchste Mimic.
Ich war froh, dass er mit mir sprach und nicht Templett. Allein ihre Stimme würde meine zum Zerreißen gespannten Nerven ihrem vorzeitigen Ende näherbringen.
»Alles, was er gesagt hat, ist die Wahrheit. Das leugne ich nicht«, antwortete ich. Mit jedem Wort fühlte ich mich sicherer und straffte zur Untermalung meiner Position die Schultern. Gleichzeitig kämpfte die Panik gegen die Sicherheit an. Ich musste mit etwas zurückschlagen, das es mir ermöglichen würde, für den Moment auf freiem Fuß zu bleiben. Auch wenn ich selbst daran glaubte, dass alles meine Schuld wäre, durfte ich dem Druck nicht nachgeben. »Ich wollte den Angriff unterbrechen. Es war nicht meine Intention, ihn zu töten. Bis zu diesem Augenblick hat er sich im Kampf mit einem Schild geschützt. Als ich sah, dass er seine Magie losließ, um sich zu ergeben, war es zu spät. Ich konnte nicht aufhören.«
»Sie konnten nicht aufhören?«, echote der Mimic und nahm erfolgreich meinen Köder auf. Templetts Miene verdüsterte sich. »Erklären Sie sich!«
»Für sehr lange Zeit hat man mich nicht vernünftig trainiert«, antwortete ich sofort. »Erst vor Kurzem ist mein wahres Potenzial sichtbar geworden, und ich wurde speziell unterrichtet. Das war jedoch nicht genug. Sie können Conciliar Saints dazu befragen. Er wird Ihnen bescheinigen, wie sehr es mir an Kontrolle aller Magiearten mangelt. Während ich immer das Gegenteil behauptet habe. Ich habe meine Fähigkeiten und meine Kontrolle überschätzt. Es war nicht meine Absicht, Mr Remington zu töten. Es war ein Unfall. Mir tut es wirklich leid, und ich werde meine Tat jeden Tag bereuen.«
Ich blickte auf meine Fußspitzen hinab.
»Nehmt sie fest«, zischte Templett. Sie deutete mit einem zitternden Finger auf mich. Ihre ausdruckslose Miene war längst verschwunden. Wut verzerrte ihr Gesicht.
»Aber Herzogin Templett, denken Sie doch …«, begann Hutcherton, Templett ließ sie allerdings nicht ausreden.
»Nehmt sie jetzt fest!«, verlangte sie von den Mimics. »Vergessen Sie nicht, für wen Sie arbeiten.«
Der oberste Mimic neigte ihr verärgert den Kopf zu. »Wir wissen ganz genau, für wen wir arbeiten, Herzogin.« Der kurze Hoffnungsschimmer wurde schnell von der Realität verschluckt. »Bitte strecken Sie Ihre Hände aus, Ms Harlow.«
Panisch blickte ich jedem Einzelnen ins Gesicht. Das konnte nicht passieren.
»Was? Aber ich habe Ihnen doch gesagt … Es war ein Unfall.«
»Bitte machen Sie es nicht schwerer, als es bereits ist«, bat mich der Mimic mit enervierender Ruhe. »Sie haben einen Hexer getötet, und nun müssen Sie dafür die Konsequenzen tragen. Seien Sie nicht so überrascht.«
Weil sich mir keine Alternative offenbarte, streckte ich meine Hände aus. Ich zitterte am gesamten Körper. Angst schnürte mir die Kehle zu.
Ich hatte das Gefühl, mich in einer meiner schrecklichen Visionen wiederzufinden. Das hier konnte unmöglich mein Leben sein.
Während der Mimic Seile um meine Handgelenke knotete, fing ich Templetts selbstzufriedenen Blick auf. Sie hatte gewonnen. Ich hatte verloren.
Ohne Umwege wurde ich zum Tor geführt, durch das wir nach Aurum reisen würden. Ein paar Hausangestellte kreuzten unseren Weg, aber keiner meiner Kommilitoninnen, Kommilitonen oder jemand vom Lehrpersonal. Niemand, der eine Nachricht an Saints hätte weiterleiten können. Was vielleicht auch gut war. Er hatte sich von mir losgesagt und würde mir ohnehin nicht helfen.
Ich war auf mich allein gestellt. Und wie der Mimic gesagt hatte, würde ich für mein Tun die Konsequenzen tragen müssen. Das Einzige, was mich mein Schicksal nicht akzeptieren ließ, war Alston. Wie sollte ich ihn aus dem Gefängnis heraus retten?
Ich wurde neben zwei Mimics in eine Gondel gesetzt, die sich daraufhin durch das tunnelartige Portal fortbewegte. Es dauerte nur wenige Minuten, bis man die Distanz von Bronwick nach Aurum überbrückt hatte. Magie machte das möglich.
Oft genug waren mir diese Minuten zu lang erschienen, weil das rhythmische Schaukeln Übelkeit in mir hervorrief. Heute fühlten sie sich dagegen viel zu kurz an. Am liebsten hätte ich noch zwei oder drei Stunden in der Gondel verharrt, um mir einen Ausweg überlegen zu können.
In meinem Kopf herrschte gähnende Leere. Ich war mit meinen Plänen am Ende angelangt. Meine Arroganz hatte mir das Genick gebrochen. Auch wenn mich Saints davor gewarnt hatte, hatte ich es nicht sehen wollen. Immer noch hatte ich geglaubt, klüger und gerissener als alle anderen zu sein. Kein Wunder, dass ich damit auf die Nase fiel. Doch es war falsch, dass Alston darunter am meisten zu leiden hätte.
Alston. Mein kleiner Bruder, den ich nie hatte kennenlernen dürfen, um ihm nicht mit meiner Reputation und der meines Vaters zu schaden. Er war in einer Adoptivfamilie aufgewachsen und hatte ein gutes Leben gehabt. Bis der Schatten meiner eigenen Familie auf ihn übergesprungen war.
Ich hasste meinen Vater am allermeisten dafür. Die Schmerzen, die er mir zugefügt hatte, waren für mich erträglich, aber Alston in dieses dunkle Spiel zu zerren … Das war unverzeihlich.