4,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 4,99 €
Ein Jahr Auszeit inmitten der Wildnis West-Kanadas klingt perfekt für Hotelmanagerin Sara. Die Luft ist wie erwartet frisch und rein, doch das Leben ohne Strom und fließend Wasser stellt sie vor ganz neue Herausforderungen - und bringt sie oft an ihre Grenzen. Das nächstgelegene Dorf nimmt sie zwar herzlich auf, aber es liegt zwei Stunden Bootsfahrt entfernt.
Ihr nächster Nachbar Matt - ein Ranger - ist scheinbar gar nicht begeistert von der neuen Gesellschaft. Immer wieder geraten die beiden aneinander. Aber trotz seines teilweise mürrischen Verhaltens, bringt er Saras Hormone ganz schön in Wallung ...
Eine einsame Hütte in den Weiten Kanadas, atemberaubende Natur und ein heißer Ranger - das alles findet ihr in der neuen prickelnden Romance von Helen Paris.
eBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 446
Cover
Grußwort des Verlags
Über dieses Buch
Titel
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
Epilog
Dankeschön
Über die Autorin
Weitere Titel der Autorin
Impressum
Liebe Leserin, lieber Leser,
herzlichen Dank, dass du dich für ein Buch von beHEARTBEAT entschieden hast. Die Bücher in unserem Programm haben wir mit viel Liebe ausgewählt und mit Leidenschaft lektoriert. Denn wir möchten, dass du bei jedem beHEARTBEAT-Buch dieses unbeschreibliche Herzklopfen verspürst.
Wir freuen uns, wenn du Teil der beHEARTBEAT-Community werden möchtest und deine Liebe fürs Lesen mit uns und anderen Leserinnen und Lesern teilst. Du findest uns unter be-heartbeat.de oder auf Instagram und Facebook.
Du möchtest nie wieder neue Bücher aus unserem Programm, Gewinnspiele und Preis-Aktionen verpassen? Dann melde dich für unseren kostenlosen Newsletter an: be-heartbeat.de/newsletter
Viel Freude beim Lesen und Verlieben!
Dein beHEARTBEAT-Team
Melde dich hier für unseren Newsletter an:
Ein Jahr Auszeit inmitten der Wildnis West-Kanadas klingt perfekt für Hotelmanagerin Sara. Die Luft ist wie erwartet frisch und rein, doch das Leben ohne Strom und fließend Wasser stellt sie vor ganz neue Herausforderungen – und bringt sie oft an ihre Grenzen. Das nächstgelegene Dorf nimmt sie zwar herzlich auf, aber es liegt zwei Stunden Bootsfahrt entfernt.
Ihr nächster Nachbar Matt – Ranger – ist scheinbar gar nicht begeistert von der neuen Gesellschaft. Immer wieder geraten die beiden aneinander. Aber trotz seines teilweise mürrischen Verhaltens, bringt er Saras Hormone ganz schön in Wallung …
HELEN PARIS
HERZSCHLAG DERWILDNIS
Sara
New York
Sara hob den Blick vom Handy, und ihr groteskes Ebenbild im Spiegel sprang ihr förmlich entgegen. Niemand würde sich Highlights ins Haar zaubern, wenn man dabei das Bild vor Augen hätte, wie dämlich man mit dieser Strähnchenhaube aussieht, ging es ihr durch den Sinn. Und dieser Gestank dazu! Wozu tat man sich das an?
Aber leider hatte die Natur sie nicht mit einem schönen Kastanienrot gesegnet, sondern eher mit einem Rotgold, was ihr als Kind auch den Spitznamen Karottenkopf eingebracht hatte. Mittlerweile waren die Haare zum Glück deutlich nachgedunkelt, und auch die Sommersprossen verblassten – nur wenige eigensinnige auf der Nase und dem Dekolleté hielten sich noch hartnäckig. Wie Simon immer behauptete, passten sie zu ihrem Charakter. Was immer das auch bedeuten sollte, man traute besser nie der Meinung eines Ex.
In dem Moment poppte eine Nachricht ihrer Assistentin Jennifer auf.
Termin 14 h CEO steht nicht in Ihrem Kalender.
So mussten sich die Wechseljahre anfühlen, auch wenn sie mit zweiunddreißig noch weit davon entfernt war. Eine Hitzewelle schoss durch ihren Körper, während sie schnell auf die silberne Cartier-Uhr an ihrem Handgelenk sah. Kurz vor eins. Der Geschäftsführer der großen Boutique-Hotel-Kette, Ruben Van Hagen, ließ sich selten persönlich im Royal Court blicken, das sie seit vier Jahren als General-Managerin leitete. Was er wohl von ihr wollte?
Welcher Termin?
Simon sagt, Sie wären informiert.
Vorsichtig ließ Sara ihre Blicke durch den elegant in Schwarz, Weiß und Rot gehaltenen Friseursalon schweifen. Das Publikum war um diese Uhrzeit bunt gemischt. Ältere Damen mit Blaustich im silbernen Haar oder das Grau jugendlich-blond überfärbt, junge Frauen in der Mittagspause, die sich hippe Frisuren schneiden ließen, oder auch Männer mit angesagten Haarschnitten oder ausrasierten Nacken.
Wie auch immer – laute Flüche waren hier momentan nicht angebracht, so schimpfte Sara stumm in sich hinein. Sie wollte Simon keine Absicht unterstellen. Oder seiner Assistentin Marian, die Jennifer während deren freien Tagen normalerweise zuverlässig vertrat.
Vorsichtig schob sie sich den Freisprech-Kopfhörer unter die Haube ins Ohr und wählte Simons Nummer. Er nahm sofort ab.
»Wieso weiß ich nichts von dem Termin heute um vierzehn Uhr?«, fragte sie mit gedämpfter Stimme, jedoch ohne die Schärfe darin zu verbergen.
»Aber ich habe es dir doch gestern Nachmittag erzählt. Jennifer hat schon gesagt, dass du sie nicht informiert hast. Es war auch nicht in deinen Kalender eingetragen. Gut, dass ich gerade noch mal nachgefragt habe.«
Dieser gönnerhafte Tonfall! Sara presste die Lippen zusammen. Sie könnte jetzt stundenlang darüber diskutieren, was da schiefgelaufen war, aber es half ja nichts. Ihr Ex würde es schaffen, das schönzureden und ihr das Gefühl geben, es wäre ihre Schuld.
»Ich bin auf jeden Fall da und kann übernehmen, falls du es nicht rechtzeitig schaffst«, säuselte er, vermutlich sollte sie das beruhigen.
Wenn er so weitermachte, würden ihre Fingernägel Halbmonde in die mit rotem Leder bezogene Stuhllehne graben.
Gut, ihrem Ex die Absicht zu unterstellen, sie vor der Geschäftsleitung bloßzustellen, wäre unfair. Eigentlich war das nicht sein Stil. Aber dass er vergessen hatte, sie zu informieren, und nun vermutlich selbst glaubte, er hätte es getan … Das würde sie nicht vom Tisch weisen. Solch einen wichtigen Termin würde sie nicht vergessen. Oder sollte sie ihm tatsächlich nicht zugehört haben, weil er die wichtige Nachricht in einen seiner wiederkehrenden Vorträge über ihren Gender-Bonus, den sie seiner Meinung nach bekam, eingebettet hatte?
Wie auch immer, Grübeln half ja nichts. Sie musste nun schauen, dass sie es rechtzeitig schaffte. Zum Glück lag der Friseursalon am Times Square unweit vom Hotel entfernt, und wenigstens war sie dann für das Gespräch gut frisiert. Eigentlich hatte sie eine ausgedehnte Mittagspause mit einem schönen Salatteller bei Joe’s geplant, aber das Essen konnte sie auch ausfallen lassen.
Nun musste sie nur Guiliano diskret zu verstehen geben, dass er sich etwas beeilen sollte, ohne seine sensible Künstlerseele zu verletzen. Denn unumwunden war das, was er mit ihren Haaren anstellte, die sich manchmal in Richtungen lockten, in denen sie nichts zu suchen hatten, ein echtes Kunstwerk.
Als hätte er gespürt, dass sie an ihn dachte, blieb er im Vorbeilaufen hinter ihr stehen, knetete kurz ihre Schultern, bevor er sie tadelnd ansah. »Entspann dich, Sweetheart!«
Zerknirscht blinzelte sie ihn an. »Kann ich nicht, ich musste gerade erfahren, dass ich um vierzehn Uhr einen Termin mit dem CEO habe.«
Guilianos Augenbrauen hoben sich bis an den Ansatz seiner kunstvoll zerzausten schwarzen Haare, bevor er theatralisch aufseufzte. »Was verlangst du von mir?«
»Es tut mir wirklich leid.«
»Schon gut. Wir werden es schaffen. Aber nur, weil du es bist.«
»Du bist ein Schatz.« Sara verbarg die Erleichterung nicht.
Wobei sie ganz bestimmt keine Vorzugsbehandlung im Sinn gehabt hatte, als sie Guiliano und seinen Lebenspartner mit der gemeinsamen Tochter kürzlich für einige Tage in einer freien Suite im Royal Court untergebracht hatte. Sie hatte die drei doch nicht auf der Straße sitzenlassen können, nachdem deren Wohnung von einem Wasserrohrbruch geflutet worden war.
Doch Guiliano hielt sein Versprechen. Fünfundvierzig Minuten später eilte sie frisch frisiert, mit neu gefärbten Wimpern und getrimmten Augenbrauen, zu der wartenden Rikscha. Normalerweise ging sie die Strecke zu Fuß, selbst in High Heels konnte sie mit der Geschwindigkeit der anderen New Yorker mithalten, die in einer sich stets in Bewegung befindlichen Masse über die Gehsteige von Manhattan rotierten. Doch die schulterlangen Haare fielen so locker, sie wollte nicht riskieren, völlig verschwitzt am Royal Court anzukommen.
Obwohl sie an die blinkenden Leuchtreklamen und den Verkehr auf dem Times Square gewohnt war, stresste sie der Trubel und der Lärm heute irgendwie. Selbst das Hufgeklapper der beiden berittenen Polizisten, das sie sonst eher romantisch fand, kam ihr hektisch vor.
Zumindest heftete sich Amal, der fixe Rikscha-Fahrer, der auch viele Fahrten für ihre Gäste ausführte, an die Fesseln der Polizeipferde, als sie den Weg freibahnten.
Das reichliche Trinkgeld, das sie Amal zusteckte, hatte er sich wahrlich verdient. Mit einem »Tausend Dank, Miss Hastings« verabschiedete er sich strahlend.
Acht Minuten vor zwei stieg sie am Royal Court aus.
Gerade rechtzeitig für einen Gang zum Waschraum. Kaum hatte sie ihr dunkelblaues Kostüm geglättet, sich versichert, dass die weiße Bluse sorgfältig geschlossen war, und sich auf ihrem Bürostuhl niedergelassen, da summte die Sprechanlage, und Jennifer kündigte den CEO an. Sofort stellte ihre Assistentin Getränke und Gebäck bereit – einen Kaffee und Wasser für Sara und einen schwarzen Tee mit Milch für ihren Chef.
Ruben Van Hagen kam niemals zu spät. Vermutlich würde er bei völlig blockierten Straßen direkt mit dem Fallschirm über dem Royal Court abspringen, um pünktlich zu einer Verabredung zu kommen. Bei seinem geschniegelten Anblick war Sara froh, frisch vom Friseur zu kommen, und sie konnte nur mühsam widerstehen, sich das Kostüm nicht nochmals glattzustreichen.
Die grauen Haare des CEO waren akkurat gescheitelt, kein Härchen lag schief, das weiße Hemd war frisch gestärkt, die bordeauxrote Krawatte makellos gebunden, und der anthrazitfarbene Maßanzug zeigte keinerlei Falten, als wäre Ruben auf einem Segway stehend angereist.
Auch keiner seiner Zähne, die sie nun grellweiß anstrahlten, wagte es, auch nur einen Millimeter aus der Reihe zu tanzen. »Sara. Wie schön, Sie zu sehen.«
Sie schüttelte die dargebotene Hand mit demselben kräftigen Händedruck. Ihr Boss war kein Mensch, der sich viel mit Small Talk aufhielt, sie konnte direkt zum Punkt kommen. »Ruben, es ist mir eine Freude. Bitte, nehmen Sie Platz. Welcher Umstand verschafft mir die Ehre dieses unerwarteten Besuchs?«
Für einen Moment blitzte Sorge in seinen Gesichtszügen auf, bevor er wieder ganz der stets kontrollierte, erfolgreiche Geschäftsmann war. »Ich habe gute Neuigkeiten für Sie: Wir werden hier komplett neu renovieren.«
»Oh.« Sie schluckte. »Hat es etwas mit den Gebäude-Inspektoren zu tun, die kürzlich hier waren?«
Ruben hob erstaunt die sorgfältig getrimmten Augenbrauen, bevor er einen Schluck von seinem Tee nahm. »Sie sind clever, Sara. Niemand hat etwas von Inspektoren gesagt.« In seiner Stimme lag eine Frage.
»Nun ja, ich kenne normale Handwerker – und diese Männer waren keine.«
»Wer weiß noch davon?«
»Niemand. Und ich habe mit niemandem darüber gesprochen«, fügte sie sofort hinzu, da Ruben nun ehrlich besorgt schien.
»Gut. Ich will offen zu Ihnen sein. Wir möchten das nicht an die große Glocke hängen, aber es gibt einen Hausschwamm, also einen holzzerstörenden Pilz, in diversen Wänden des Gebäudes. Keine tragenden, aber doch so relevant, dass eine Kernsanierung erforderlich ist. Es besteht keinerlei Gefahr für die Gäste, aber dennoch sollte davon nichts nach außen dringen, um keine Panik hervorzurufen. Deshalb auch diese etwas unkonventionelle Besprechung. Wir verschönern, das ist die offizielle Version.«
»Puh, das hört sich tatsächlich nicht gut an. Das heißt, wir schließen komplett?«
»Ja, die Arbeiten werden vermutlich rund ein Jahr dauern, es muss von Grund auf saniert werden – und wenn wir uns schon daran wagen, soll die Renovierung natürlich gleich zukünftig einen Mehrwert bilden. Aber dank Ihres Einsatzes erfreuen wir uns solch einer großen Beliebtheit, dass wir davon ausgehen, dass die Buchungen danach ebenso gut laufen werden wie momentan, wenn nicht noch besser.«
Es war tatsächlich ihr Verdienst gewesen, das Lob konnte sie ohne falsche Bescheidenheit annehmen. Dennoch rasten die Gedanken durch ihren Kopf. »Was wird dann aus unseren Leuten?«
»Wir versuchen natürlich, so viele Mitarbeiter wie möglich für die Übergangszeit gut unterzubringen. Erstellen Sie mir bitte eine Liste mit dem Personal, das Sie unbedingt nach der Renovierung weiterbeschäftigen möchten, um die Personen kümmern wir uns vorrangig.«
Ihr Geschäftssinn lief auf Hochtouren. »Was passiert mit den noch offenen Reservierungen ab April? Wir haben Stammgäste, die schon ein Jahr im Voraus buchen.«
»Ich weiß, da kommt mit den Stornierungen viel Arbeit auf Sie zu. Es wäre natürlich hervorragend, wenn so viele Buchungen wie möglich auf das Folgejahr verschoben oder vielleicht auf unsere anderen Hotels umgebucht werden könnten. Wir stellen Ihnen ein Budget zur Verfügung, mit denen Sie die treuen Gäste nach Ihrem Gutdünken mit einer besonderen Entschädigung bedenken sollten.«
»In Ordnung, danke schön.« Bevor sie die Frage formulieren konnte, was aus ihr wurde, lächelte Ruben.
»Wir möchten Sie natürlich auf jeden Fall weiterhin das New Yorker Royal Court leiten lassen. Für die Übergangszeit haben wir jedoch schon etwas für Sie geplant: Unser City-Hotel in Detroit benötigt dringend eine kompetente Leitung. Und da dachten wir an Sie. Hätten Sie denn Interesse, in dem Jahr dem dortigen Royal Court ein etwas ansprechenderes Flair zu geben? Unsere Gäste sind zwar hauptsächlich Geschäftsleute, die nur kurz dort verweilen, aber dennoch sollen sie sich auch in der begrenzten Zeit wohl- und zu Hause fühlen.«
Überrumpelt nahm Sara einen Schluck Wasser, um die Antwort hinauszuzögern. Detroit? Mit der Stadt verband sie überhaupt nichts. Zwar waren der Eriesee und der Lake St. Clair in unmittelbarer Nähe, aber beim ersten Gedanken kam ihr sofort Industrie in den Kopf, vor allem Autos. New York lag unweit vom Meer entfernt, Manhattan inmitten der beiden Flüsse, und es besaß dieses ganz eigene multikulturelle Flair …
»Das kommt jetzt alles sehr überraschend«, erwiderte sie schließlich langsam.
»Natürlich, das ist mir bewusst. Sie können selbstverständlich gern darüber schlafen. Wie viel Bedenkzeit benötigen Sie?«
Hatte der CEO etwa erwartet, sie würde mit wehenden Fahnen nach Detroit eilen? Er klang etwas enttäuscht.
»Ich gebe Ihnen am Montag Bescheid.« Das Wochenende musste er ihr schon Bedenkzeit gewähren, für solch eine weitreichende Entscheidung. Gut, es war nur ein Jahr, aber der Gedanke löste momentan eine Abwehrreaktion in ihr aus.
»Glauben Sie mir, wir hätten das Ihnen und uns äußerst gern erspart.« Für einen Augenblick machte Ruben stets machtvolle Aura wieder den Sorgen Platz, bevor er die Schultern straffte. »Wir möchten Sie auf keinen Fall verlieren, Sara. Entscheiden Sie sich in Ruhe.« Ungewöhnlich vertraut legte er die Hand auf ihre. »Wir finden auf jeden Fall gemeinsam eine Lösung, wenn Ihnen diese nicht zusagt. Die Arbeiten beginnen am ersten April. Ich überlasse es Ihnen, ob Sie Ihre Mitarbeiter direkt informieren. Oder ob Sie sich zuerst Gedanken über die Personalliste machen möchten. Wir werden die Schließung offiziell in vierzehn Tagen bekannt geben.«
»Und … was wird aus Simon?« Sie waren zwar kein Paar mehr, aber schließlich waren sie nach wie vor eng verbunden, und sie hatten sich einst geliebt.
»Wir benötigen einen Ansprechpartner vor Ort, der die Bauarbeiten überwacht. Dabei hatten wir an ihn gedacht.«
Für Bauarbeiten ist natürlich der Mann gefragt, schoss es ihr durch den Kopf. Doch sofort schalt sie sich albern.
Als hätte Ruben den Gedanken gespürt, fügte er hinzu: »Es sei denn, Sie möchten das übernehmen? Ihre Vorschläge, was bei der Renovierung zu berücksichtigen wäre, sind auf jeden Fall gefragt. Sie waren mir dafür eigentlich zu wichtig, und ich dachte, Sie freuen sich vielleicht auf eine neue Herausforderung. Es gibt wenige Menschen, die sich so kompetent mit Feuereifer in neue Aufgaben stürzen wie Sie, Sara.« Das Lächeln war ungewöhnlich herzlich. »Zudem wollte ich Ihnen den ständigen Baulärm ersparen.«
Der Gedanke war tatsächlich albern gewesen. »Nein, Simon ist eine hervorragende Wahl, er hat einen ausgeprägten Sinn für Innendesign. Ich werde direkt mit ihm sprechen.«
»Prima, und vielen Dank. Ich bin überzeugt, dass Sie die richtige Entscheidung treffen.« In einer geschmeidigen Bewegung erhob er sich, schüttelte ihr die Hand, und schon war Ruben, nach einem letzten Gruß, aus der Tür.
Sara schlüpfte aus ihrem Blazer und ließ sich auf den weich gepolsterten Bürostuhl sinken. Ungeachtet ihrer neuen Frisur presste sie den Kopf gegen die Nackenstütze. Das Royal Court war die letzten Jahre ihr Zuhause gewesen. Sie war eine der jüngsten General-Managerinnen in New York. Hatte viel bewirkt, das Royal Court war ihr Herzensprojekt.
Es war albern, aber mit einem Mal fühlte sie sich heimatlos. Der Aufbau des Royal Court NYC zu einem florierenden Unternehmen hatte sie viel Kraft gekostet. Obwohl sie sonst nicht an ihren Fähigkeiten zweifelte, fragte sie sich auf einmal, was wäre, wenn ihr dies in Detroit nicht gelänge. Oder kamen die plötzlichen Zweifel daher, dass sie keinerlei Lust dazu verspürte, dort ein neues Zuhause aufzuschlagen?
Natürlich könnte sie sich auch auf eine Stelle in einem der ansässigen Hotels bewerben, aber leitende Positionen wuchsen nicht auf Bäumen. Und im Grunde wollte sie nicht weg von der Royal-Court-Gruppe, sie mochte den Respekt, den sie hier genoss. Woanders müsste sie vermutlich bei null anfangen, auch wenn sie in den hiesigen Kreisen einen guten Ruf genoss.
Sie nahm ihr Handy und schrieb eine Nachricht an ihre Freundin Hailey.
Notstandssitzung! Heute Abend 20 Uhr im Sláinte?
Der Irish Pub, der in einem unscheinbaren Hinterhof zwischen Wolkenkratzern lag und in dem nur wenige Tische Platz hatten, war der ideale Ort für eine Krisensitzung. Sara war es nach dem ausgefallenen Mittagessen nach einer ordentlichen Portion Irish Stew oder etwas anderem Herzhaften, mit einem frisch gezapften Guinness. Oder zwei.
Die Antwort war ein Smiley mit aufgerissenen Augen und einer mit zwei Daumen nach oben.
Das war typisch Hailey. Wenn man sie brauchte, war sie da, ohne viele Worte. Schon der Gedanke, auch diese dann von Detroit aus nicht mehr jederzeit sehen zu können, wenn ihr danach war, lag Sara wie ein Stein im Magen. Wie das Gespräch, das ihr nun bevorstand.
Wobei die räumliche Distanz zu Simon ihnen beiden sicherlich guttun würde. Sie hatten sich hier im Haus kennengelernt und als Team super zusammengearbeitet. Dass sie ein Paar geworden waren, war irgendwie die logische Konsequenz gewesen. Alles war gut gegangen, bis der alte General-Manager in den Ruhestand gegangen war und sie sich beide auf die Stelle beworben hatten. Dass Sara Simon vorgezogen worden war, war der Anfang vom Ende gewesen.
Es kratzte immer noch an Simons Ego, ihr unterstellt zu sein, obwohl Sara ihm gegenüber sicherlich nie die Chefin hatte raushängen lassen und ihn stets in die Entscheidungen einband. Doch immer wieder ließ er eine Bemerkung über den angeblichen »Gender-Bonus« fallen, was Sara schließlich dazu gebracht hatte, die Beziehung zu beenden. Auch, dass er nun weniger verdiente, hatte Simon sehr zu schaffen gemacht. Wobei sie beide vor lauter Arbeit ohnehin kaum Zeit zum Geldausgeben fanden.
Auf Saras Investmentfondssparplan hatte sich inzwischen ein ordentliches Sümmchen angesammelt.
Nur widerwillig straffte sie ihre Schultern und bat ihre Assistentin über die Sprechanlage, Simon zu ihr zu schicken. Es war das Beste, Unangenehmes direkt hinter sich zu bringen.
Matt
British Columbia, Moosehead Lake Nature Reserve
»Ich hoffe, wir sehen uns noch mal?« Es war mehr Frage als Aussage, und der schmachtende Blick aus den smaragdgrünen Augen war ebenso unmissverständlich wie die Finger, die seine nicht loslassen wollte. Matt fuhr sich mit der freien Hand durch die nackenlangen dunklen Locken und unterdrückte ein Seufzen, als er zu seiner Volontärin hinuntersah.
Angie war wirklich äußerst sympathisch, und in ihrer Zeit als Freiwillige beim Moosehead-Lake-Naturschutzgebiet hatte sie sich mit Herz und Seele ihrer Aufgabe der Katalogisierung des Baumbestandes gewidmet. Den Verdacht hatte er schon länger gehegt, aber wie es aussah, hing ihr Herz nun wirklich nicht ausschließlich an der hiesigen Natur. Bevor er sich eine diplomatische Antwort überlegen konnte, fügte sie schon mit einem koketten Augenaufschlag hinzu: »Du bist ja nun nicht mehr mein Vorgesetzter …«
Da hatte sie wohl recht, die Ausrede war hinfällig geworden. Er wusste selbst nicht so recht, warum er das offensichtliche Angebot nicht freudenstrahlend annahm. Angie war äußerst hübsch, und dass sie mit ihren vierundzwanzig zehn Jahre jünger als er war, spielte keine Rolle. Doch würde sie wirklich lediglich eine kurze Affäre erwarten? Es war von vorneherein klar, dass dies nur »ein bisschen Spaß« bedeuten konnte, schließlich ging Angie in einigen Tagen zurück in ihre Heimat nach Ottawa. Oder hoffte sie auf mehr? Ihr Blick ließ es vermuten. Ab Herbst gab es nur noch die festangestellten Mitarbeiter hier im Nationalpark, nur für die Hauptsaison von Frühjahr bis Herbst wurden die Hilfskräfte benötigt.
Seit Chrystal nicht mehr da war, hatte Matt seinen Körper ziemlich vernachlässigt und seine Bedürfnisse weitgehend ignoriert. Nun feuerte der ihn vehement an, das offensichtliche Angebot anzunehmen. Doch bevor er dem Ruf folgen konnte, stellten sich die inneren Abwehrborsten wieder auf, und ein bedauerndes Lächeln breitete sich auf seinen Zügen aus. »Es tut mir sehr leid, ich muss morgen früh nach Wilson Town und habe dort einiges zu erledigen.« Das war nicht einmal gelogen.
Trotzdem murrte die innere Stimme: Du bist ein Idiot, Matt Dawson!
Für einen Moment wirkte Angie, als wollte sie widersprechen, dann nickte sie nur, ohne die Enttäuschung zu verbergen. »Vielleicht sehen wir uns ja nächste Saison wieder?«
Matt zwang sich zu einem warmherzigen Lächeln. »Ich bin auf jeden Fall da.«
Kurz überkam ihn das Bedauern, als Angie die Ranger-Station mit hängendem Kopf verließ. Er konnte förmlich die Stimme von Denise, der Frau seines Cousins, in den Ohren hören, dass er endlich wieder anfangen sollte zu leben. Doch so einfach war das nicht.
Keinesfalls würde er etwas mit einer Frau anfangen, der er womöglich etwas bedeutete. Angie wusste nichts von der Schuld, die so schwer auf ihm lastete …
»Verdammt, Matt, du warst ja schon früher ein Frauen-Magnet, aber diese Nummer mit der Unnahbarkeit scheint wirklich verdammt gut zu ziehen. Erst Esther, nun Angie … Vielleicht sollte ich das auch mal probieren? Sie hatte ja förmlich ›Nimm mich‹ auf der Stirn stehen.« Die Worte seines Kollegen Leonard Whitehall rissen ihn aus den Gedanken.
Matt biss die Zähne zusammen und ballte die Hände zu Fäusten. Leonard, besser gesagt Lenny, wie ihn jeder nannte, war kein schlechter Kerl – immerhin war er sein bester Freund und ein hervorragender Ranger –, aber in puncto Frauen wies er einen ziemlichen Verschleiß auf. Was ihm die meisten – zu Matts Erstaunen – nicht übel zu nehmen schienen, denn Lenny besaß zu seiner Sorglosigkeit und dem jungenhaften Aussehen auch eine gehörige Portion Charme.
Auf eine Diskussion hatte Matt jedoch jetzt keine Lust. »Glaubst du, du schaffst es, deinen allgegenwärtigen Drang zu unterdrücken und dich unnahbar zu geben?«
Einstecken konnte Lenny, er lachte nur. »Vermutlich nicht. Aber vielleicht kann ich sie ja ein bisschen trösten …« Er schnappte sich seinen Hut und eilte Angie hinterher.
So richtig wusste Matt nicht, ob er lachen oder den Kopf schütteln sollte. Ohne einen weiteren Gedanken an die Situation zu verschwenden, setzte er sich an seinen Schreibtisch, um die Bilder der Fotofallen auszuwerten, die sie im Nationalpark aufgestellt hatten. Auch dieser Teil seines Jobs war unumgänglich, dennoch war er viel lieber draußen im Wald und beobachtete die Natur live: wie sie langsam ihr buntes Herbstkleid anlegte und sich die Welt für die nächste Zeit in Nebel hüllen würde, bis der Moosehead Lake vollkommen zufror.
Sara
New York
Sara schob den Colcannon mit der Gabel auf ihrem Teller hin und her. Obwohl sie heute noch nicht viel gegessen hatte und den irischen Kartoffelpüree mit Wirsing und Grünkohl eigentlich liebte, weil er sie immer an ihre Großmutter erinnerte, hatte sie nicht so richtig Appetit. Die Entscheidung, die sie zeitnah fällen musste, lag ihr schwer im Magen.
Hailey, die im Takt der irischen Folk-Musik auf den Tisch getrommelt hatte, hielt inne und warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu. »Du willst nicht nach Detroit, oder? Dann sag ihnen das doch.«
Sara seufzte. Sie musste es nicht aussprechen, ihre beste Freundin merkte ihr den Widerwillen auch so an. Äußerlich waren sie zwar das krasse Gegenteil. Die Lateinamerikanerin war mit eins achtundsiebzig einen halben Kopf größer als sie selbst, mit einem dunklen Teint und einer sportlichen Figur, während Sara mit ihren irischen Vorfahren trotz der restlichen Sommerbräune eher der helle Typ war und weiblichere Rundungen besaß. Aber innerlich waren sie einfach »Soulsisters«, wie sie sich gern bezeichneten. Und sie wussten instinktiv, was die andere empfand – manchmal, bevor dieser das selbst klar wurde.
»Findest du, ich sollte gehen?«
»Ich bin etwas erstaunt, weil du sonst jede Herausforderung sofort ergreifst und ich eigentlich gedacht hätte, dass es dich reizt, ein Hotel neu aufzubauen.«
»Eigentlich schon, da hast du recht. Aber …« Sara zuckte mit den Schultern.
»Was sagt Simon denn dazu?«
»Na, was wohl? Im Grunde gefällt es ihm total, die Innenausstattung mitzugestalten, das ist genau sein Ding. Trotzdem war seine erste Frage, ob sie in Detroit wohl eine Gender-Ungleichheit hätten, weil der CEO mich dort haben will, während er die Bauarbeiten überwachen soll.«
»Ich verstehe, dass es schwierig für ihn sein muss, dauerhaft die zweite Geige zu spielen und das Gefühl haben zu müssen, er wäre nicht so gut wie du. Aber dennoch ist es …« Hailey biss sich auf die Unterlippe, als müsste sie sich eine unflätige Bemerkung verkneifen.
»Sag es ruhig: Es ist ziemlich scheiße von ihm.« Sara hatte früher wirklich gedacht, sie wären arbeitstechnisch ein Dream-Team. Dass sich ihre Beziehung trotz dieser »Wir bleiben Freunde«-Nummer zunehmend distanzierter entwickelte und sie um alles kämpfen musste, belastete sie. »Am liebsten würde ich …« Nun war sie es, die verstummte.
»Willst du die Bauarbeiten überwachen?«
»Nein, eigentlich nicht. Momentan bin ich es leid, mich ständig gegen einen oder mehrere Männer behaupten zu müssen. Vielleicht bin ich auch nur ausgelaugt.«
»Das wäre kein Wunder, so hart wie du geschuftet hast.« Haileys Blick wurde noch forschender, die investigative Journalistin kam zum Vorschein. »Was willst du dann machen? Dich in New York neu bewerben? Chancen hättest du sicherlich, dein guter Ruf eilt dir voraus.«
Sara nahm einen großen Schluck Guinness, um Zeit zu schinden, damit sie ihre Gedanken sortieren konnte. »Was, wenn ich während der Renovierungsarbeiten einfach eine Pause einlege?«
»Wie? Willst du etwa freiwillig deine Achtzig-Stunden-Arbeitswoche aufgeben, an der du doch so hängst?«, neckte Hailey liebevoll. »Und was willst du mit der vielen freien Zeit anfangen?«
Sara schob sich eine Gabel voll Colcannon in den Mund, das schon halb kalt war. Obwohl es nicht viel zu kauen gab, ließ sie sich Zeit, bis sie schluckte. »Ich könnte eine Auszeit nehmen und nach Kanada gehen, in die Wildnis.«
Hailey ließ ihr Glas sinken, aus dem sie soeben getrunken hatte, schlug die Hand vor den Mund und schluckte hörbar. »Was? Jetzt hätte ich gerade beinahe mein Guinness herausgeprustet, weil ich dachte, du hättest gesagt, du könntest ein Jahr in die kanadische Wildnis gehen.«
»Deinen Spott kannst du dir sparen. Ich meine das ernst.«
Hailey riss die Augen auf. »Du meinst das tatsächlich ernst?«
»Davon haben wir beide als Jugendliche doch immer geträumt. Als Selbstversorger die großartige Landschaft erforschen, Bären und Elche sehen …« Sara merkte selbst, wie sie in Verteidigungsstellung ging.
Hailey nickte langsam. »Das haben wir. So, wie ich mir auch vorgestellt habe, dass sich der süße Ryan Reynolds unsterblich in mich verliebt.« Sie grinste schelmisch.
Unwillkürlich zog sich auch ein Grinsen über Saras Gesicht. »Nun ja, mein Schwarm Bradley Cooper wird mir wohl auch nicht mehr verfallen, aber das ist ja kein Grund, den Traum von einer Auszeit in Kanada sausen zu lassen.« Sie setzte sich auf und schob den Teller endgültig von sich. Aufregung überkam sie. Nun, da sie es laut ausgesprochen hatte, wurde das Ganze plötzlich erschreckend real. »Du bist doch immer die, die Vorkommnisse als einen Wink des Schicksals sieht. Vielleicht ist das Jahr Auszeit jetzt genau die Gelegenheit, um mir diesen Wunschtraum zu verwirklichen.«
Was bislang vage in Saras Geist herumgespukt hatte, verwandelte sich plötzlich in eine konkrete Vorstellung, für die sie zu brennen begann.
»Wenn du dir etwas in den Kopf gesetzt hast, bist du nur schwer zu bremsen.«
»Ich habe die letzten Jahre wie eine Irre gearbeitet, mir also eine Auszeit verdient. Wenn nicht jetzt, wann dann? Vielleicht klappt es ja doch irgendwann noch mit einem Heim und einer Familie. Jetzt bin ich noch ungebunden, kann es mir finanziell leisten … Warum sollte ich mich bremsen?«
Hailey legte grinsend die Hand auf Saras Arm. »Zum Beispiel, weil du mir schrecklich fehlen wirst?« Sie wurde wieder ernst. »Aber wenn du das tatsächlich durchziehen willst, dann unterstütze ich dich natürlich mit all den mir zur Verfügung stehenden Mitteln.« Ein spitzbübisches Funkeln trat in ihre Augen. »Und überlege mir schon mal, wann ich dich dann in meinem Urlaub besuchen kann …«
Den Rest des Abends verbrachten sie damit, sich Saras Aufenthalt in Kanada in den buntesten Farben auszumalen. Was als Hirngespinst begonnen hatte, rückte plötzlich in greifbare Nähe.
In den folgenden Tagen merkte Sara zum ersten Mal, wie sehr sie die viele Arbeit der letzten Jahre doch in Anspruch genommen hatte. Da sie im Hotel lebte, war sie immer rund um die Uhr verfügbar gewesen und hatte sich »in ihrem Zuhause« für alles verantwortlich gefühlt. Freizeit hatte lediglich in den wenigen Stunden existiert, die sie sich für die Treffen mit Hailey gestohlen oder im externen Sportstudio trainiert hatte, da sie nicht schweißtriefend vor ihren Gästen ertappt werden wollte. Selbst ihre letzten beiden Urlaube hatte sie in Royal Court Hotels verbracht, um sich dort zu Neuerungen für die New Yorker Niederlassung inspirieren zu lassen. Eine richtige Auszeit brachte ihr sicherlich wieder die erforderliche Ruhe und Gelassenheit.
Die nächsten Wochen war Sara damit beschäftigt, die Renovierungszeit des Hotels vorzubereiten und ihren Trip zu planen. Nun zahlte es sich aus, dass sie sich trotz der Größe des Hotels mit einhundertzwanzig Zimmern stets bemüht hatte, mit den Gästen ins Gespräch zu kommen und sich um deren persönlichen Belange zu kümmern.
So fiel ihr Mrs. Blackthorne ein. Sie war eine der treuen Stammgäste, die immer zum City Trip nach New York kam und im Royal Court abstieg, wenn ihr Mann nach West-Kanada zum Jagen ging.
Anscheinend sollte es wohl wirklich Saras Schicksal werden, in die Wildnis zu gehen. Mr. Blackthorne verschaffte ihr den Kontakt zu einem Bekannten, der eine Jagdhütte in Kanada besaß. Da die Trapper-Lizenz ausgelaufen war, durfte er dort nicht mehr jagen, und so war sie nutzlos für ihn. Die kleine Blockhütte lag am Moosehead Lake im nördlichen British Columbia, südlich des Yukon. Die Pacht lief zwar auf zehn Jahre, aber die Lizenzen waren heiß begehrt, sodass Sara keine Sekunde mit der Zusage zögerte. In einem Jahr, wenn sie wieder zurück nach New York gehen würde, fänden sich sicherlich einige Interessenten, die ihr die Hütte dann wieder abnahmen.
Ruben Van Hagen nahm es wie erwartet nicht mit Begeisterung auf, dass sie das Angebot für Detroit ablehnte, dennoch wünschte er ihr sogar überraschend herzlich alles Gute für das Jahr Auszeit. Und fast konnte man meinen, dass er sie beneidete.
Zwischen den Weihnachtsfeiertagen und Neujahr unterschrieb Sara den Vertrag für die Hütte. So konnte sie am Jahreswechsel, den sie mit Hailey auf dem für die Gäste geschlossenen Dach des Royal Court verbrachte, direkt auf ihr kommendes Abenteuer anstoßen.
Während sie die funkelenden Lichter der zahlreichen Feuerwerke beobachtete, die ganz New York in ein bunt zuckendes Lichtermeer hüllten, fragte sie sich, wo sie wohl das nächste Silvester verbringen würde. Und mit wem?
Matt
British Columbia, Moosehead Lake Nature Reserve
Matt schirmte mit der Hand die Augen ab. Trotz der dunklen Brille blendete die grelle Sonne, die auf den Resten des Schnees reflektierte. Ein Knacken unterbrach die Stille, die in den letzten Monaten dominiert hatte. Es knackte abermals, gefolgt von einem Seufzen, das fast klang, als atmete die Natur auf. Das Eis begann zu tauen, die ersten Risse auf dem Moosehead Lake wurden zu freien Flächen. Matt liebte es, die Veränderungen der Natur so hautnah mitzuerleben. Der Frühling nahte in großen Schritten.
Das Rauschen des Funkgerätes zerstörte das Gefühl, der einzige Mensch auf der Welt zu sein. Sein Labrador Retriever Buddy hob den Kopf, bellte kurz auf und hechelte weiße Wölkchen in die klare Luft. Matt drehte an der Rauschunterdrückung des Funkgerätes und steckte es wieder in die Tasche, nachdem kein Ruf folgte. Vielleicht waren es nur atmosphärische Störungen. Er bückte sich, um seinen Hund hinter den Ohren zu kraulen. Am dunkelbraunen Fell hingen winzige Eiszapfen.
»Oh, du wirst mir wieder eine Sauerei ins Haus bringen, wenn das schmilzt. Wir müssen dich auf jeden Fall vorher auskämmen.«
Buddy liebte es, seinen Kopf in jede Schneewehe zu stecken, als könnte sich etwas Spannendes darunter verbergen. Leider hatte er bei solch einer Aktion auch schon mal den Bau eines Stinktiers aufgestöbert, das sich gegen die rüde Störung mit einer Duftwolke zur Wehr gesetzt hatte. Buddy hatte noch tagelang danach gerochen.
»Komm, wir sind genug herumgestromert. Lass uns zurück ins Haus gehen.« Obwohl das Thermometer nach einigen Tagen von minus vierzig nun nur »milde« minus zwei Grad anzeigte, pfiff teilweise noch ein eisiger Wind über den See, der sich einen Weg durch jede Schicht von Matts Goretex-Jacke bahnte.
In dem Moment ertönte ein erneutes Rauschen im Funk, und dieses Mal folgte auch ein Ruf: »Dawson, Dawson, Dawson für Basis, bitte kommen!« Lenny klang so förmlich, das war ein schlechtes Zeichen.
»Basis, hier Dawson.«
»Gehen wir auf den privaten Kanal?«
Matt wechselte die Frequenz. »Was gibt’s?«
»Es geht um dein Spezialgebiet. Kannst du bitte kommen?«
Wölfe? Matt wurde es eiskalt.
»Wurde … jemand angegriffen?« Diese wundervollen, eigentlich eher menschenscheuen Tiere besaßen zwar leider gemeinhin einen schlechten Ruf, aber zum Glück hatte er bisher nie selbst miterleben müssen, dass sie tatsächlich Menschen angegriffen hätten.
»Nein«, kam es sofort von Lenny zurück. »Wilderer haben ein ganzes Wolfsrudel abgeschlachtet, mitsamt dem frischen Wurf. Nur ein Junges hat überlebt.« Trotz der Verzerrung durch die Funkwellen konnte Matt den Zorn heraushören.
Schmerz und Wut wallten gleichermaßen in Matt auf. »Ich starte direkt. Schick mir die Koordinaten!«
»Kommt sofort auf dein Satphone. Bring für das Kleine bitte Nahrung mit.«
»Roger. Over and out.«
Er musste unverzüglich los, solange die Spuren noch frisch waren. Für heute Nacht waren wieder Niederschläge angekündigt, und der Neuschnee würde jegliche Verfolgung unmöglich machen. Buddy spürte die Aufregung, bevor Matt den Befehl zum Einsteigen in den Hundekorb auf dem Gepäckträger des Schneemobils gegeben hatte. Mit geübten Griffen gurtete er seinen Hund fest, schnappte sich den Rucksack mit der Notfallausrüstung, befreite den Sattel von Feuchtigkeit, schwang sich darauf und startete den Motor.
Obwohl er gern mit Vollgas losgebrettert wäre, zwang sich Matt, langsam zu fahren, um kein Wild aufzuschrecken. Und das war gut so, immer wieder sah er am Rand Abdrücke von Pfoten oder Hufen.
Am Tatort wartete Lenny bereits, die Arme hielt er vor der Brust verschränkt.
Noch bevor Matt etwas sah, empfing ihn der Geruch nach Aas und geronnenem Blut, und beim Anblick der toten Tiere machte sich Wut in ihm breit. Die Elterntiere waren enthauptet, daneben lagen zwei circa Einjährige und drei ziemlich frisch geborene Welpen. »Welch ein sinnloses Töten. Schlimm genug, dass sie Bären für die Gallen, Klauen oder das Fell schlachten, oder Elche für das Geweih töten und nur einen Bruchteil davon essen, aber hörte das nie auf? Für den Kopf des Leitwolfs als Trophäe das gesamte Rudel töten? Ich möchte bloß wissen, wer das war – dem würde ich gern mal ein paar Fragen stellen«, stieß Matt zwischen den Zähnen hervor und ballte die Hände zu Fäusten. Die Abdrücke im Schnee neben den Kadavern sahen aus, als hätte dort jemand für Fotoaufnahmen posiert.
»Du sagst es«, knurrte Lenny, ebenso sichtlich aufgebracht.
Matt wurde von dem kleinen Fellbündel abgelenkt, das Lenny ihm nun in die Handschuhe drückte. Es verschwand regelrecht in der Kuhle seiner Hände. Die kleine Wölfin war noch halbnackt und zitterte, sie musste noch ganz jung sein. Die Augen waren gerade leicht geöffnet, also war sie vermutlich um die drei Wochen alt. Vorsichtig drückte er ihr mittels einer Spritze etwas Aufbaunahrung in den Mund, die sie gierig verschlang. Anschließend massierte er ihr den Bauch, um die Verdauung anzuregen, was normalerweise die Zunge der Mutter übernahm. Kurzerhand öffnete er seine Jacke und schob die Kleine dann an seinen Brustkorb, um sie warm zu halten. Zum Glück brachen die Zähne noch nicht richtig durch. Eigentlich hätte er gern vermieden, sie an Menschen zu gewöhnen, aber es würde ihnen nichts anderes übrigbleiben, um sie durchzubringen. Immerhin verhielt sich die Kleine relativ ruhig, vielleicht war sie einfach schon zu entkräftet, um sich zur Wehr zu setzen.
Jetzt musste er sich zuerst einmal um die Fährte kümmern, jede Minute zählte. Er legte Buddy die Leine an und dirigierte ihn von den Wölfen weg, die sein Hund nur zu gern inspiziert hätte.
»Weiter vorn gibt’s Spuren.« Lenny deutete nach Nordosten.
Bevor sie aufbrachen, legten sie ihre Schneeschuhe an.
Wie immer verstand Buddy sofort, was Matt von ihm wollte, als er ihn an den Fußspuren schnüffeln ließ. Er hob die Nase und zog an, während Matt und Lenny ihm stumm folgten. Eine Weile war nur Buddys Hecheln, das Kratzen ihrer Kufen im Schnee und das gelegentliche Knacken von Ästen zu hören. Sie mussten nicht weit laufen, bis sie Spuren von Schneemobilen entdeckten. Buddy zog zwar zielsicher in die Richtung, er roch die Täter wohl immer noch, aber Matt pfiff ihn zurück.
»Lass uns zu unseren Schneemobilen zurückgehen und damit den Spuren folgen«, schlug er Lenny vor. Er war gar nicht so undankbar umzukehren, dadurch dass er die Jacke geöffnet hatte, um dem Wolfsmädchen genügend Luft zu lassen, kühlte er zunehmend aus. Zumindest schien es der Kleinen den Umständen entsprechend gut zu gehen, denn sie saugte an seinem behandschuhten Finger, als er nach ihr griff.
Als sie zurückeilten, sah Lenny ihn von der Seite an. »Du bekommst also eine neue Nachbarin, habe ich gehört?«
Matt schnaubte, eine dichte weiße Atemwolke stieg auf. »Erinnere mich nicht daran. Eine Städterin, die noch nie länger in der Wildnis war. Hotelmanagerin aus New York City, vermutlich war sie noch nicht mal campen. Und dann gleich für ein ganzes Jahr in die Wildnis ziehen zu wollen …« Er verkniff sich fortzufahren, schüttelte nur verständnislos den Kopf und versuchte, die Bilder von Chrystal zu verdrängen, die ihn unwillkürlich überkamen. Auch sie hatte den Aufenthalt in der Wildnis anfangs romantisiert, da war sie kein Einzelfall.
Die Nachbarn »hier draußen« halfen einander gern, und er bildete da absolut keine Ausnahme. Schließlich hatten sie nur einander. Aber normalerweise waren die meisten in der Gegend aufgewachsen oder lebten zumindest schon eine ganze Weile hier, hatten sich mit dem Leben fernab einer größeren Stadt arrangiert. Auch wenn es vermutlich nicht besonders nachbarschaftlich war, war er froh, dass es zwei Stunden Fußweg quer durch den Wald von der benachbarten Cabin zu seinem Blockhaus waren, da würde »die Neue« nicht wegen jeder Kleinigkeit bei ihm anklopfen.
Lenny grinste. »Vielleicht ist sie hübsch?«
»Du bist unverbesserlich.« Matt musste lachen.
»Na, zumindest bekomme ich keine Konkurrenz von dir.« Lenny zwinkerte ihm zu.
»Definitiv nicht. Wenn sie um Hilfe ruft, weil sie das Hermelin unter ihrer Hütte für eine Albino-Monsterratte hält, dann lasse ich dir den Vortritt.«
»Du meinst, wie die eine im Camp?« Lenny lachte auf. »Dann werde ich mich sehr gern als Retter erweisen.«
»Es ist dir ja damals auch gut gelungen, sie abzulenken.«
»Sie schreibt mir immer noch und plant schon den nächsten Urlaub hier.«
»Du solltest nur schauen, dass du nicht mal aus Versehen zwei deiner Affären gleichzeitig herbestellst, sonst wird’s stressig.«
»Ein schrecklicher Gedanke.«
Die toten Wölfe kamen in Sicht, und sie wurden beide wieder ernst.
Wie befürchtet verlor sich die Spur der Schneemobile auf der Hauptstraße in Richtung Blackhorse, wo Reifenabdrücke davon zeugten, dass sie auf den Hänger eines größeren Fahrzeugs verladen worden waren. Sie konnten nur die Behörden informieren, damit in der Umgebung die Augen und Ohren offen gehalten wurden, ob sich jemand mit den Trophäen brüstete.
Wölfe waren hier in der Gegend nicht vom Aussterben bedroht, und der Bestand von der Regierung teilweise selbst reguliert, aber dennoch war das eigenmächtige Jagen ohne Lizenz strafbar. Wenn es nach Matt ging, konnten die Strafen für sinnloses Töten von Tieren nicht hoch genug sein.
Es wurde schon wieder langsam dunkel, als Matt zurück zu seinem Blockhaus kam. Die kleine Wölfin, die er Luna getauft hatte, würde er erst morgen in die Aufzuchtstation bringen, heute Abend war sie sein Schützling. Zum Glück war Buddy daran gewöhnt, dass sein Herrchen gelegentlich Tieren Schutz gewährte, sodass er sich nach kurzem Beschnuppern von Luna entschied, dass sie keine Gefahr für seine Obermachtstellung hier im Hause bedeutete. Er ließ es sogar zu, dass Matt sie ihm anvertraute, um den Boiler im Bad anzufeuern.
Als er vom Duschen in den Wohnraum kam, hatte sich Luna vor dem prasselnden Kaminfeuer zwischen Buddys Beine gekuschelt. Sofort nahm Matt das Handy, um den Anblick festzuhalten. Er verband sich mit dem Hotspot seiner Satellitenanlage, um es noch zu verschicken, bevor die Niederschläge ihm vielleicht den Empfang nahmen. Schnell sendete er es an Lenny und Denise, die ihm sofort mit einigen Herzchen-Smileys antwortete.
Dann wandte er sich an das ungleiche Paar zu seinen Füßen: »Was haltet ihr beiden von Futter? Also ich habe schrecklichen Hunger.«
Buddy stimmte ihm mit einem erfreuten Kopfheben und Hecheln zu, sein Schwanz schlug rhythmisch auf den Holzboden, und als hätte es Luna verstanden, fiepte auch sie.
Sara
British Columbia, Wilson Town
Azurblau erstrahlte der Himmel, an dem nur einige linsenförmige Wolken hingen. Links und rechts der asphaltierten Straße säumten unzählige Nadelbäume ihren Weg, ganz am Rand gab es sogar eine Stromleitung. Irgendwo in der Gegend musste es ein Dieselkraftwerk geben, hatte auf einer Website gestanden. Kein anderes Fahrzeug begegnete ihnen auf der wenig befahrenen Strecke, Sara und der Fahrer schienen um die Mittagszeit die Einzigen auf dieser Route zu sein.
Als sie aus dem Wald herauskamen, schob sich die schneebedeckte Bergkette in ihren Blick. Eine unendliche Weite, wohin man auch schaute! Sara lächelte, und endlich überwog wieder die Vorfreude den Stress der letzten Tage des Aufbruchs.
Sie konnte sich gar nicht sattsehen an dem atemberaubenden Panorama, vor allem nicht, als hinter einer Kurve ein See türkisblau erstrahlte, in dem noch einige Eisschollen schwammen.
»Oh, wie wundervoll!«
»Der Moosehead Lake«, erwiderte der bislang wortkarge Fahrer.
Durch das Fenster, das er ungeachtet der eher winterlichen als frühlingshaften Temperaturen halb geöffnet hatte, drang immer wieder der Duft nach Kiefern und Waldboden, es war trotz der Kälte einfach herrlich frisch. Aufgeregt spähte Sara links und rechts in den Wald, in der Hoffnung, Tiere zu entdecken, aber abgesehen von einem Hasen und einem Raubvogel ließ sich kein Wild blicken, schon gar nichts Großes.
Als sie nach Wilson Town einfuhren, musste Sara sich ein Lächeln verkneifen. »Town« war eine schamlose Übertreibung für die Ansammlung von Häusern, die eher dörflich wirkten. Gut, hier hatten wohl einst zu Goldgräberzeiten fünftausend Einwohner ihr Zuhause gehabt – heute lebte nicht einmal mehr ein Zehntel davon hier.
Jedes der meist aus Holz gebauten, teilweise bunt gestrichenen Häuser stand auf einem recht großen Grundstück und war vom Nachbarn durch unzählige Bäume abgegrenzt. Doch am beeindruckendsten war der Blick auf das Bergpanorama, das irgendwie allgegenwärtig schien. Egal um welche Kurve sie bogen, die schroffen Felsen erhoben sich majestätisch in den Himmel – eine großartige Kulisse.
Der einzige Wermutstropfen war, dass es hier tatsächlich kein Mobilfunknetz zu geben schien, wie ihr der verstohlene Blick auf ihr Handy zeigte. Aber darauf hatte sie sich ja eingestellt.
Zum Eingewöhnen hatte sich Sara vorerst für einige Tage hier in der Stadt in einer privaten Zimmervermietung eingebucht. Der Fahrer hielt vor einem wunderschönen dunkelblau gestrichenen Holzhaus mit weißen Fensterläden und einer ebenso weiß getünchten Veranda, auf der einige Stühle und Tische mit Blick zum See standen. Die Fenster waren mit lustigen Disney-Fensterfiguren verziert, dahinter hingen weiße Spitzenvorhänge. Über dem Eingang prangte ein Schild: »Booklovers and Hot Chocolate«. Sie waren am örtlichen Büchercafé angekommen.
Da sagte der Fahrer auch schon: »Wir sind da, Lady. Willkommen in Wilson Town.«
»Vielen Dank, Mr. Townsend.«
»Phil. Nennen Sie mich einfach Phil, wir sind hier nicht so förmlich.«
»Ich bin Sara.«
Er half ihr mit einer überraschend jugendlichen Energie beim Ausladen, und als sie für die Fahrt bezahlte, fing er an, in den Taschen seiner dunkelblauen Arbeitslatzhose zu kramen.
»Nein, das stimmt so«, wehrte Sara ab.
»Aye?« Sein Erstaunen schien nicht gespielt, er zog die buschigen grauen Augenbrauen zusammen.
»Ja, der Rest ist Trinkgeld.« Nun war es an ihr, überrascht zu sein. In New York gab sie immer um die fünfzehn bis zwanzig Prozent mehr. Das war eine lange Strecke gewesen, hundertfünfundsiebzig Kilometer, da war der Betrag doch eher günstig. War das hier nicht üblich? Oder lag es daran, dass Phil eher privat fuhr?
Sie hatte gedacht, sie hätte sich im Vorhinein wirklich gut informiert, aber anscheinend konnte sie hier noch einiges lernen.
Phil tippte sich mit zwei Fingern an die nicht vorhandene Mütze. »Dann danke ich schön, Ma’am.«
»Sara«, korrigierte sie, da wurde sie von einer aufgestoßenen Tür abgelenkt.
Eine Frau mit langen dunklen Haaren – vielleicht ein paar Jahre älter als sie selbst, aber noch keine vierzig – eilte mit einem solch strahlenden Lächeln auf sie zu, dass die dunklen Augen fröhlich aufblitzten. »Du musst Sara sein. Ich bin Denise Turner.«
Und schon fand sich Sara in einer herzlichen Umarmung wieder, die sich unwillkürlich nach Heimkommen anfühlte.
Denise deutete auf die Tür zum Café. »Komm erst mal rein und lass uns etwas trinken. Ich bringe dich später zu deinem Zimmer.« Über die Schulter gewandt rief sie: »Danke, Phil!«
Der winkte nur mit seinen von der Gicht verformten Händen und wünschte ihnen noch einen schönen Tag, bevor er umständlich hinter den Fahrersitz des Pick-ups stieg und davonbrauste.
Obwohl Saras Trekking-Rucksack Denise, die einen Kopf kleiner als Sara war, fast bis zu den Knien reichte, ließ sie es sich nicht nehmen, ihn ins Innere zu wuchten.
Sara folgte ihr mit den restlichen Taschen. Sie stieß einen entzückten Laut aus, als sie das Büchercafé betrat. Bis auf die Fensterfront waren alle Wände mit Bücherregalen aus hellem Fichtenholz bedeckt, in denen sich ein Buch ans nächste reihte. Auch zwischen den gemütlich aussehenden dunkelblauen Sesseln mit Bistrotischen standen kleinere Holzregale als Raumteiler, sodass genügend Privatsphäre zwischen den Tischen blieb. Grünpflanzen lockerten die darin aneinandergereihten Bücher auf. Es roch lecker nach süßem Gebäck, Kaffee und Schokolade.
Es war nur ein Tisch belegt, an dem ein Pärchen saß.
Denise deutete auf einen Platz am Fenster, auf den die Sonnenstrahlen fielen, griff eine Wasserkaraffe und füllte Sara ein Glas. »Setz dich. Was möchtest du trinken? Vielleicht einen Kaffee nach der langen Fahrt, um die Lebensgeister zu wecken?«
»Oh, das klingt ganz hervorragend. Das ist jetzt genau das Richtige.«
Ein verschmitztes Grinsen zog sich über Denises Züge. »Eigentlich ist Kaffee ja zu jeder Zeit das perfekte Getränk.«
»Da bin ich ganz deiner Meinung.«
»Wie möchtest du ihn denn? Zucker, Milch, geschäumt oder nicht? Als Latte oder Cappuccino?«
»Oh, es gibt eine Latte macchiato?«
»Was hast du gedacht? Dass wir das hier im ›Outback‹ nicht kennen?« Denise zwinkerte ihr neckend zu und deutete auf den chromblitzenden Vollautomaten. »Unser Freund hier kann alles.«
»Nein, nein, ich freue mich nur einfach darauf.«
»Wenn du dich solange ins WLAN einloggen magst, das Passwort lautet ›wildandfree‹, alles klein geschrieben.«
»Oh, super, danke.« Eigentlich genoss sie es, dass momentan das Handy nicht alle paar Minuten mit einer neuen Nachricht vibrierte. Und sie hatte Hailey schon vom Flughafen getextet. Dennoch konnte sie nicht widerstehen, sich kurz einzuloggen und zu schauen, was es in der Welt »da draußen« Neues gab.
Schon kurz darauf intensivierte sich der leckere Kaffeeduft, und im Handumdrehen hatte sie eine köstlich aussehende Latte macchiato vor sich stehen, bei der ihr direkt das Wasser im Mund zusammenlief. Nachdem sie sah, dass sich auch Denise eine Tasse mitbrachte, loggte sie sich schnell aus, sie wollte nicht unhöflich sein und dauernd aufs Handy schielen.
Ihre Gastgeberin stellte einen Teller mit lecker aussehenden Kugeln auf den Tisch. »Das ist eine kanadische Spezialität. Magst du Süßes?«
Sara tätschelte grinsend ihre Hüften. »Leider ja.«
Lachend griffen sie beide zu.
»Mmh, super lecker. Was ist das?«
»Die sind ganz einfach zu machen, man muss sie nicht backen. Sie werden aus zerbröselten Vollkornkeksen, Kokosraspeln, zerlassener Butter, Kondensmilch, Vanille-Extrakt und Schokostücken gemacht. Meine Töchter haben mir dabei geholfen. Man nennt sie …« Denise legte eine bedeutungsvolle Pause ein. »Moose Farts.«
Sara gluckste. Elch-Fürze?
Denise nickte und zog eine Grimasse. »Vorwiegend kommen sie aus dem Osten, um die Gegend Ontario, aber nun weißt du, warum sie meine Mädels so gern zubereiten.«
Sara konnte sich das Lachen nicht mehr verkneifen. »Verstehe ich vollkommen, hätte ich früher auch. Bestimmt geht das mit ganz viel Gekicher einher.«
»Du sagst es. Und den passenden Geräuschen.«
»Wie alt sind deine Töchter denn?«
»Ruby ist dreizehn, Emma zehn und Mia fünf Jahre alt. Die beiden Älteren sind noch in der Schule, und Mia ist bei einer Freundin. Du wirst sie heute Abend alle kennenlernen, wie auch meinen Mann Stephen.«
An dem Strahlen in Denises Blick konnte sie sehen, dass die beiden wohl glücklich verheiratet waren – es überhaupt eine zufriedene kleine Familie war.
»Ich freue mich.«
Es war schon seltsam, wie man manchmal Menschen traf, die einem auf Anhieb sympathisch waren und bei denen man sich fühlte, als würde man sie schon länger kennen. So ging es ihr mit der unkomplizierten Denise, die ein Herz aus Gold zu haben schien.
Deshalb wagte es Sara, die Frage zu stellen, die ihr am brennendsten auf der Zunge lag. »Erzählst du mir ein bisschen was über die Leute hier? Gibt es Dos and Don’ts in der Gegend? Womit kann ich mich direkt unbeliebt machen?«
Denise nippte nachdenklich an ihrem Kaffee. »Ich denke, es ist überall dasselbe: Die Leute mögen es nicht, verglichen zu werden – zumindest nicht zu ihrem Nachteil. Wir leben nun mal anders als in der Großstadt, und du solltest dich auf gewisse Einschränkungen gefasst machen. Den Touristen macht es am meisten zu schaffen, dass wir hier keinen Handyempfang haben. Das sind sie wohl nicht mehr gewohnt.«
Sara schlug die Hände vors Gesicht und linste zwischen den Fingern hindurch. »Ich bekenne mich schuldig. Ich fürchte, das wird auch eine Umstellung für mich werden. Aber ich bin offen gestanden auch froh darüber, nicht mehr rund um die Uhr verfügbar sein zu können.«
»Das ist die richtige Einstellung. Sobald Nicky da ist, die das Büchercafé mit mir betreibt, führe ich dich im Ort herum, zeige dir die wichtigsten Plätze und stelle dir die Leute vor, die du kennen solltest.«
Erleichterung überflutete Sara. »Du weißt gar nicht, wie viel mir das bedeutet, dass du mir so zur Seite stehst. Eigentlich bin ich ja nicht schüchtern, aber mich allein in einer so ganz ungewohnten Umgebung einzufügen …« Sie verstummte verschämt.
»Ich weiß, was du meinst. Frag nicht, wie es mir ginge, wenn ich allein in New York wäre.«
Sara stimmte in das herzliche Lachen ein. »Sicherlich turbulent, nicht so schön friedlich wie hier. Kennst du die Gegend, in der meine Hütte liegt?«
Denise nickte. »Ja, Matt Dawson, der Cousin meines Mannes und ein Parks Canada Ranger, ist dein Nachbar.«
Ein Ranger war schon mal nicht verkehrt, vielleicht konnte er ihr einiges über die Natur beibringen. »Zu Hause habe ich schon die Karte studiert und mich erkundigt. Es hat sich immer so angehört, als läge die Hütte ganz abgeschieden. Ich habe also einen Ranger als direkten Nachbarn?«
Denise schmunzelte. »Okay. Bei uns ist der Begriff der Nachbarschaft dehnbarer als in New York. Es sind rund zwei Stunden Fußweg. Oder vielleicht zwanzig Minuten über den See mit dem Boot. Ich glaube, ein Stück ist auch ausgebaut als Weg für ein Quad oder ein Schneemobil, aber hinter deiner Hütte ist erst einmal dichter Wald.«
»Okay, alles klar. Also mein ›Nachbar‹. Hat er Familie?«
Überraschend glitt ein Schatten über Denises Gesichtszüge, als sie den Kopf schüttelte. »Er … lebt allein dort.«
Tausend Fragen brannten Sara auf der Zunge. War dieser Kerl ein Eremit? Oder was stimmte nicht mit ihm, so betroffen wie Denise geschaut hatte? Doch instinktiv spürte sie, dass ihre neue Freundin nicht darüber sprechen wollte. »Gibt es sonst noch irgendwelche Nachbarn oder vielleicht auch Nachbarinnen in der Nähe?«
»Nach Osten nicht, dort beginnen kurz darauf die Berge, aber ein Stück nordwestlich gibt es ein Reservat und rundum einige private Hütten der First Nations. Am nächsten zu Matt wohnen die Shaws, Bob und Naomi. Sie ist unsere ›Kräuterfee‹.« Nun kam das spitzbübische Funkeln zurück. »Für Naturkosmetik und Naturheilmittel oder auch die richtige Bestimmung der Pflanzen und deren Wirkung ist sie die perfekte Ansprechpartnerin.«
»Ist sie …« Sara biss sich auf die Lippen. Was war die richtige Bezeichnung: First Nation? Indigene? Ureinwohnerin? War es überhaupt vermessen, davon auszugehen, dass jemand, der sich mit Naturheilkunde auskannte, einem der hiesigen Stämme angehören musste? In New York wohnten acht Millionen Menschen völlig unterschiedlichster Abstammung auf engstem Raum, sodass man eher danach unterschied, ob jemand von der Upper Eastside oder aus Harlem kam, unabhängig von der Nationalität oder Hautfarbe.
Denise hatte sie auch so verstanden. »Naomis Vater kommt aus Europa, ich glaube Norwegen, er ist Biologe, aber ihre Mutter ist eine Tlingit. Das ist der örtliche Stamm. Ich denke, beide haben Naomi viel Wissen über die Natur mitgegeben.«
»Ich muss ja gestehen, dass es ein absoluter Kindheitstraum von mir war, mich völlig selbst zu versorgen. Ich habe alles an Literatur verschlungen, was es über naturverbundene Völker gab – ob hier in Nordamerika, Afrika oder auch die Maya, Inka oder Quechua.«
»Wir haben auch Literatur aus der Gegend«, warf Denise geschäftstüchtig ein und zwinkerte ihr zu.
»Das steht schon auf meiner Liste. Und ich werde Naomi bestimmt mal einladen oder ihr einen Besuch abstatten, wenn sie denn welchen empfängt.« Sie sah Denise fragend an.
»Das macht sie beides bestimmt liebend gern. Wir freuen uns hier über neue Gesichter, wenn sie sich …« Nun verstummte Denise sichtlich verlegen.
»Gut benehmen?«, ergänzte Sara.
Denise hob in einer entschuldigenden Geste die Hände. »Du glaubst nicht, wie rücksichtslos sich manche aufführen. Lassen den Müll liegen, lärmen im Wald herum und wundern sich, dass sie keine Tiere zu Gesicht bekommen …« Sie seufzte. »Und von denen, die einfach querfeldein durchs Gebüsch poltern und Wild aufschrecken, oder den schießwütigen Typen bei der Jagd ganz zu schweigen.«
»Ich verspreche dir, dass ich alles gebe, um mich vorbildlich einzufügen.« Fast fühlte Sara sich ein bisschen feierlich dabei, es kam ganz ernst heraus.
Denise nickte und drückte verständnisvoll ihren Arm. »Davon bin ich überzeugt. Es sollte jetzt auch nicht überheblich rüberkommen …«
»Ist es nicht. Es ist immer schwierig, sich in einem anderen Kulturkreis zurechtzufinden, selbst wenn die Unterschiede nicht so riesig sind. Bei uns verstoßen die Touristen eben auf andere Art gegen die Etikette. Männer, die vom Park mit bloßem Oberkörper in einen Dunkin’ Donuts oder Starbucks stürmen, oder Frauen im Bikinioberteil …« Sie leerte ihr Glas. »Na ja, ich denke, wir haben noch ausgiebig Gelegenheit, uns über die unterschiedlichen Gepflogenheiten unserer Wohnorte auszutauschen.«
»Bestimmt. Bist du in New York geboren?«