Citymord - Lutz Ullrich - E-Book

Citymord E-Book

Lutz Ullrich

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Beschreibung

Sommer in der City. Die Hitze steht seit Tagen in den Häuserschluchten. Im Stadtwald zelebriert die Eintracht einen neuen Spieler und am Main wird gefeiert. Die Eiscafés sind überfüllt und im Beach-Club sollte ein Pool für Abkühlung sorgen. Doch eines Morgens treibt dort eine Leiche ... Ein neuer Fall für die Frankfurter Mordkommission. Hochspannend und mit viel Lokalkolorid

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LASP

 

 

Der Autor

 

Lutz Ullrich, Jahrgang 1969, studierte Politik und Rechtswissenschaften, schrieb für verschiedene Zeitschriften, betätigte sich in der Politik und arbeitet heute als Rechtsanwalt. Er lebt mit seiner Familie in der Nähe von Frankfurt. Mehr Informationen gibt es unter www.lutzullrich.de.

 

 

In der Tom-Bohlan-Reihe sind bisher folgende Bücher erschienen:

Der Kandidat (2009)      

Tod in der Sauna (2010)

Tödliche Verstrickung (2011)

Stadt ohne Seele (2012)

Mord am Niddaufer (2013)

Das Erbe des Apfelweinkönigs (2014)

Kristallstöffche (2015)

Klaa Pariser Blut (2017)

 

Außerdem der Kurzkrimi:

Bohlan und das geheimnisvolle Manuskript

 

Außerdem erhältlich

Wie aus Herbert Willy wurde (2016)

 

Alle Bücher sind auch als E-Book erhältlich

 

 

 

Citymord

Ein Kriminalroman von Lutz Ullrich

© 2018 Lutz Ullrich

Lektorat: Stefanie Reimann

Korrektorat: Thomas Stichler

LASP-Verlag, Schwalbach am Taunus – Frankfurt am Main

www.lasp-verlag.de

www.lutzullrich.de

Inhalt
Citymord
Prolog
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
13.
Epilog

Prolog

 

Es roch nach Fisch und Wasser und Ebbelwei. Der Mann war alleine mit einem Glas gegorenen Apfelsaftes, der mit Sprudel verlängert war. Sauer gespritzt, wie man es hier nannte. Die einzige Alternative, ihn nicht pur zu trinken. Das Mischen mit Limonade war erst ein paar Meter weiter über den Main hinweg erlaubt. Dazu musste man die Stadtgrenze nach Offenbach überschreiten.

Der Mann war schicker gekleidet als gewöhnlich, hatte eine lange Leinenhose angezogen. Dazu trug er ein weißes kurzärmeliges Hemd, dessen beide oberen Knöpfe nicht zugeknöpft waren. Das lag im Trend. Schlips und Fliege waren out. Man gab sich offen, nicht zugeknöpft. Er hatte es des Öfteren im Fernsehen gesehen. Selbst die seriösen Journalisten und Politiker machten das jetzt so. Für ihn war es auf eine andere Art ungewohnt. Normalerweise trug er T-Shirts, ab und an ein Polohemd, lieber aber Sportklamotten. Und samstags ein Fußballtrikot. Wenn die Eintracht kickte, zog er es sich über. Dann floss seine Energie in die Spieler. Zumindest glaubte er das, und es war auch eine schöne Vorstellung. Vielleicht ein bisschen nostalgisch, vielleicht ein wenig verträumt. Spieler und Fans kämpften gemeinsam – das war es, woran er glaubte.

Deshalb trug er auch keine neuen Trikots, die völlig überteuert vor jeder Saison feilgeboten wurden und deren Marktwert sich im Laufe der Saison nahezu halbierte. Seine waren aus Baumwolle, mal in Rot und Schwarz gehalten, mal schlicht in Weiß, und das Design stammte aus den Siebziger- und Achtzigerjahren.

Im Moment war Sommerpause. Zeit zum Durchschnaufen. Zeit, die Seele baumeln zu lassen. Zeit, die Stadt zu spüren.

Es war ein milder Abend. Eine leichte Brise wehte über die Stadt hinweg, nahm die dicke, stickige Luft mit sich. Zumindest konnte man diesen Eindruck erlangen, wenn man direkt am Wasser saß. Um ihn herum erklang ein leises Stimmengewirr. Das war einer der Vorteile von Freiluftlokalen. Die Geräuschkulisse dröhnte nicht, setzte sich nicht aufdringlich im Gehirn fest. Das Gelächter und die Stimmen waren frei, flogen durch die Luft, waren in keinem Raum gefangen.

Er saß am Ufer des Mains auf einem Holzsessel. Links führte eine Brücke über den Fluss. Die A 661 in Richtung Kaiserlei. Rechts schwammen ein paar Boote im Wasser. Sie gehörten zu einem Wassersportclub. Dahinter lag das Vereinshaus des angrenzenden Schwimmvereins. Bald würde die Sonne untergehen und die Skyline im künstlichen Licht erstrahlen. Ihm war das egal.

Noch hatte er Zeit, die Aussicht zu genießen. Er nippte an seinem Gerippten. Er musste aufpassen, durfte auf keinen Fall zu viel trinken. Der Abend konnte lang werden. Da galt es, einen kühlen Kopf zu bewahren. Ein kurzer Blick auf die Armbanduhr verriet ihm, dass er noch etwa eine Viertelstunde warten musste. Dann fand an einem der Tische etwas weiter oben ein Treffen statt, das er auf keinen Fall verpassen durfte. Dann sollte auch er sich die Treppen hinaufbegeben, einen Platz auf der Terrasse einnehmen und schauen, dass er möglichst viel von dem mitbekam, was besprochen wurde. Allerdings würde er sich auch so platzieren müssen, dass man ihn nicht bemerkte. Darin lag die besondere Schwierigkeit.

 

Sie trafen nacheinander ein. Erst der junge Mann. Groß, sportlich, gut aussehend. Er hatte dunkelblonde, kurz geschnittene Haare, einen dieser leichten Bärte, die die Männer trugen, die sich für besonders hip hielten. Seine athletische Gestalt war in einen hellen Anzug gehüllt. Er sah genauso aus wie auf dem Bild, das er im Internet gefunden hatte. Paul Wernecke. In natura wirkte er allerdings nicht so weichgespült wie auf dem Foto. Wer etwas auf sich hielt, ließ die Fotos, die verbreitet wurden, bearbeiten. Mäkel wurden kaschiert. Ecken und Kanten schadeten dem Erfolg. Wernecke sprach mit einem der Kellner. Dieser deutete auf einen Tisch direkt an der Brüstung. Wernecke nickte zufrieden, nahm dann aber an der Bar Platz.

Sie traf fünf Minuten später ein. Wie es sich gehört. Die Frau ließ den Mann immer ein wenig warten. Das war ein Naturgesetz.

Sie sah umwerfend aus. Auch ohne Photoshop. Heute Abend noch etwas besser als gewöhnlich. Sollte ihm das zu denken geben? Sie waren doch nicht zu einem Date verabredet. Es war ein Arbeitsessen. Wollte sie Wernecke beeindrucken? Gehörte es zur Strategie, um das Gespräch erfolgreicher zu gestalten? Sie trug ein kurzes Sommerkleid. Ganz in Schwarz und sehr figurbetont. Die schwarzen Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Auf ihren Lippen lag ein dunkler Rotton. Ihre Augen strahlten in Grün.

Er war hin und weg.

Und Wernecke schien überrascht. Er musterte sie, und sein Blick verriet, dass er Witterung aufgenommen hatte. Jedenfalls erhob er sich und begrüßte sie mit einem charmanten Lächeln. Vielleicht hatte er nicht mit einer jungen, gut aussehenden Gesprächspartnerin gerechnet.

Er kniff die Augen zusammen, wollte jede Reaktion, jede Emotion registrieren. Es war ein Unterfangen, das auf die Entfernung nicht so einfach war, zumal immer wieder andere Gäste durch sein Blickfeld liefen.

Wernecke deutete auf den Tisch, den ihm der Kellner kurz zuvor gezeigt hatte. Ein leichtes Nicken ihrerseits signalisierte Einverständnis. Sie schlängelten sich durch die Tischreihen und nahmen Platz.

Er ließ den Blick suchend über das Gelände gleiten. Er brauchte einen Tisch, der näher am Geschehen lag. Doch das war leichter gesagt als getan. Das »Blaue Wasser« war in zwei Bereiche aufgeteilt: Im oberen standen Tische und Stühle unter einer Art Pergola, dort wurde Essen serviert. In den unteren Bereichen standen Loungemöbel in lockerer Reihung. Die mittlere Ebene beherbergte ebenfalls Tische und Stühle, einen größeren freien Platz zum Tanzen und dahinter eine illuminierte Bar, die aber um diese Zeit noch nicht besetzt war.

Er überlegte. Wernecke war nicht das Problem. Er kannte ihn nicht. Für ihn musste er nicht unsichtbar sein. Aber sie dürfte ihn auf keinen Fall entdecken. Der Restaurantbereich schied aus. Dort konnte er sich nicht unbemerkt niederlassen. Zwar könnte er sich hinter ihrem Rücken platzieren, aber es war nicht unwahrscheinlich, dass sie mal aufstand. Und dann würde sie ihn mit Sicherheit bemerken. Er überlegte. Die Toiletten befanden sich im Haus. Der Weg dorthin führte also nicht durch den Außenbereich. Demnach gab es zwei Möglichkeiten: Entweder blieb er hier unten am Wasser sitzen, oder er begab sich an einen der Tische in der mittleren Ebene. Dort könnte er auch etwas zu essen bestellen – ein weiterer Vorteil. Er ließ den Blick über die Tische wandern. Tatsächlich war ein kleiner runder mit zwei Plätzen unbesetzt. Jetzt aber schnell. Er griff nach dem halb vollen Glas und marschierte mit zügigem Schritt die Treppe hinauf. Keine Minute später saß er an dem Tisch und stellte zufrieden fest, dass er einen wundervollen Ausblick sowohl auf den Main als auch auf Wernecke hatte. Er bestellte einen Hamburger mit Kartoffelspalten und einen weiteren Ebbelwei, kniff die Augen zusammen, um schärfer sehen zu können. Wernecke ließ die große Nummer auffahren. Bestellte Austern und Sekt, danach teuren Fisch. Die beiden saßen direkt an der Brüstung zum Ufer. Hinter ihnen verschwand die Sonne am Horizont und tauchte dabei gekonnt den Himmel in ein romantisches Rot.

Die beiden unterhielten sich angeregt.

Anfangs hatte sie noch Notizen auf einen Block gekritzelt, wie es sich für eine anständige Journalistin gehörte. Doch irgendwann ließ sie es bleiben. Sie war ganz auf Wernecke fokussiert, klebte an seinen Lippen.

In seiner Magengrube brodelte es. Es war ein unwürdiges Schauspiel, das sich nur wenige Meter von ihm entfernt abspielte. Obwohl er sich sehr bemühte, konnte er nichts von den Lippen ablesen. Darin war er nicht geübt.

Der Kellner balancierte die Teller weg. Wernecke fischte die Sektflasche aus dem Kühler und verteilte die letzten Tropfen in die Gläser. Sie lächelte, strich sich dabei auffallend langsam durchs Haar. Das Haargummi, das den Pferdeschwanz zusammengehalten hatte, hatte sie längst abgestreift. Werneckes Blick blieb an ihrer Hand hängen.

Er sagte etwas. Sie kicherte und streckte ihm die Hand entgegen. Sie sagte etwas. In ihren Augen lag etwas Verwegenes. Sie drehte an einem ihrer Ringe herum, als ob dadurch irgendwelche Wunder passieren könnten.

Was zum Teufel ging dort vor? Er wurde daraus nicht schlau. Offensichtlich verstanden sich die beiden ziemlich gut. Viel besser als für ein Interview notwendig, bei dem es um Hintergrundinformationen gehen sollte. Er spürte, wie die Eifersucht in ihm aufstieg. Wernecke war ihm spontan unsympathisch. Er war einer von diesen Typen, die glaubten, die Welt gehöre ihnen. Und die Frauen sowieso. So einer, der sie benutzte, solange er wollte, um sie anschließend wegzuwerfen wie einen dreckigen Putzlumpen.

Jetzt machte er ihr schöne Augen. Bezirzte sie. Spielte an ihrer Hand herum. Und sie ließ es geschehen! Warum? Nie im Leben hätte er gedacht, dass sie sich so leicht um den Finger wickeln ließe. Sie wirkte so stark, so selbstbewusst.

Er musste an den Morgen denken, als sie ihm von dem Plan für das Treffen mit Wernecke berichtet hatte. Sie wollte freundlich zu ihm sein, vielleicht auch ein wenig flirten. Aber nur, um ihn gesprächiger zu machen. Dass sie sich mit Sekt abfüllen und begrapschen lassen wollte, davon war nie die Rede gewesen. Er hätte versucht, ihr das auszureden.

 

Und es sollte noch schlimmer kommen. Wernecke schnippte mit den Fingern. Der Kellner tauchte wieder am Tisch auf. Überreichte die Rechnung. Wernecke zahlte mit Karte und besprach irgendwas mit ihm. Der Kellner verließ den Tisch, verschwand hinter die Theke und griff zum Telefon.

Ein Taxi!, schoss es ihm durch den Kopf. Der Kellner orderte für Wernecke ein Taxi. So musste es sein! Die beiden hatten eindeutig zu viel getrunken, um selbst ein Auto steuern zu können.

Für einen Moment dachte er daran, die Beschattungsaktion abzubrechen. Was sollte es noch bringen? Entweder ließ Wernecke erst sie und dann sich nach Hause fahren, oder … Er weigerte sich, den Gedanken zu Ende zu denken.

 

Als die beiden aufstanden und durch die Stuhlreihen scharwenzelten, erhob auch er sich und steuerte gezielt in Richtung Ausgang. Als er die Tür zum schummrigen Innenraum passierte, erklang hinter ihm eine Stimme.

»Haben Sie schon bezahlt?«

Er drehte sich um und blickte in das mürrische Gesicht des Kellners, der ihn bedient hatte.

»Ich wollte eigentlich nur aufs Klo.«

Der Kellner sah ihn misstrauisch an. Natürlich glaubte er ihm kein Wort und blickte vielsagend auf die Tasche, die über seiner Schulter hing.

»Da sind einige Wertsachen drin, die ich nicht am Tisch zurücklassen wollte. Aber, wo Sie gerade da sind, kann ich auch zahlen. Es dauert ja ganz schön lange, bis Sie an den Tischen vorbeikommen.«

Der Kellner schnaubte innerlich, wahrte aber die Contenance: »Selbstverständlich.«

Ohne die Rechnung abzuwarten, drückte er ihm einen Fünfzig-Euro-Schein in die Hand und drehte sich um.

»Moment mal!«, protestierte der Kellner.

»Stimmt schon, und es ist reichlich Trinkgeld dabei«, konterte er, ohne sich noch einmal umzudrehen.

 

Als er den Türsteher passierte und ins Freie trat, sah er sie auf der Rückbank eines Mercedes-Taxis verschwinden. Wernecke, ganz Gentleman, schloss die Tür, um auf der anderen Seite einzusteigen.

Er huschte in die andere Richtung und hoffte, dass sie ihn nicht sah. Aber vermutlich hatte sie nur Augen für Wernecke.

Er wusste nicht, auf wen er mehr sauer war. Hastigen Schrittes eilte er zu seinem Auto und klemmte sich hinters Steuer. Zum Glück hatte er nicht allzu weit entfernt geparkt. Als der Motor ansprang, bog das Taxi um die Kurve.

Sein Herz klopfte, sein Magen rumorte. Seine Seele war ein Sammelsurium an Gefühlen. Dort braute sich einiges zusammen. Ein gefährlicher Gefühlscocktail. Und wie es so ist beim Mixen: Man weiß nie, was am Ende dabei herauskommt. Putscht der Cocktail auf, oder verursacht er einen Kater? Haut er lediglich den Konsumenten um, oder setzt er Energien frei, die imstande sind, ein Inferno auszulösen?

 

 

 

 

1.

 

Obwohl die Sonne noch tief über den Dächern der Mainmetropole stand, entwickelte sie bereits eine beträchtliche Intensität. Ein weiterer heißer Tag stand denen bevor, die diesen Sommer in der Stadt geblieben waren. Wer frei hatte, würde sich früh auf den Weg in eines der Schwimmbäder oder zu einem der Badeseen im Umland machen. Wer arbeiten musste, dem blieb nur die Hoffnung auf eine funktionierende Klimaanlage. Kommissarin Julia Will parkte den Wagen in der obersten Ebene des Parkhauses in der Töngesgasse und stieg die Metalltreppe, die zum »Citybeach« führte, empor. Sie hatte die dunkelbraunen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden und trug ein buntes Sommerkleid. Vor nicht einmal einer Dreiviertelstunde hatte das Präsidium sie darüber verständigt, dass hier oben eine Leiche gefunden worden war. Auf dem Weg von Niederursel in Richtung Innenstadt hatte sie Steinbrecher eingesammelt. Kollege Steininger wollte direkt zum Tatort kommen. Die Sonne blendete sie, als sie die letzte Stufe erklomm. Reflexartig schob sie die große braune Designersonnenbrille von der Stirn vor die Augen und versuchte, das Areal abzuchecken. Der Kontrast zur Parkebene hätte nicht größer sein können. Unten nackter Beton, der einen Geruch nach Benzin und Urin ausstrahlte, hier oben dunkle Holzplanken, Palmen, Sand und Liegestühle, durchzogen von einem leichten Chlorgeruch.

Irgendwie surreal.

»Schau dir dieses Panorama an.« Die tiefe Stimme gehörte Walter Steinbrecher, der ihr bislang schweigend gefolgt war und nun breitbeinig vor der Brüstung des Parkhausdaches stand. Sein klobiger Körper hinterließ einen unförmigen Schatten auf den Holzpaneelen.

Zusammen mit Jan Steininger hielten sie seit einer Woche die Stellung in der Frankfurter Mordkommission, während Tom Bohlan Urlaub am Wannsee machte. Will verharrte einen Moment hinter ihrem Kollegen und ließ den Blick über Dom und Römer gleiten. Das Ende einer selbstgedrehten Zigarette verschwand in Steinbrechers Mundwinkel. Kurz darauf flackerte die Flamme eines Streichholzes auf. »Und da sag’ noch einer, man könne den Sommer nicht in der Stadt genießen. Wie wär’s mit einem Morgenkaffee unter einem der Schirme?«

Für einen kurzen Augenblick ließ sich Julia Will zu dem Gedanken hinreißen, was alles hier oben über den Dächern der Stadt möglich wäre. Chillen auf einer der Liegen, eine Runde Beachvolleyball im anderen Eck oder tatsächlich ein Cappuccino und das Gefühl, irgendwo in Italien zu sein. Als krönender Abschluss bliebe noch die Abkühlung im Pool.

Doch dieser Gedanke riss sie jäh in die Realität zurück, erinnerte sie daran, warum sie hier waren und nicht vor einem der Ventilatoren im Präsidium saßen. Will drehte der Skyline den Rücken zu und machte ein paar Schritte in Richtung Pool.

»Wo wollen Sie hin?«

Will wusste nicht, wo der dunkelhäutige Mann plötzlich herkam, der sich wie ein Schrank vor ihr aufbaute. Er trug ein weißes kurzärmliges Hemd, das die Ansätze wohlgeformter Brustmuskeln deutlich erkennen ließ. Seine Haare waren kurz geschoren, und eine Sonnenbrille verhinderte den Blick in die Augen. Security oder Servicepersonal, dachte Will und zückte den Polizeiausweis.

»Kripo Frankfurt. Guten Morgen.«

Der Mann musterte erst den Ausweis, dann Will und schließlich Steinbrecher.

»Hier oben ist Rauchverbot.«

Steinbrecher verzog das Gesicht und ließ den Glimmstängel auf den Boden fallen, wo er die Glut zertrat – ein Vorgang, den der Mann missmutig beäugte.

»Dennis Schulz«, sagte er. »Geschäftsführer. Gut, dass Sie so schnell gekommen sind. Folgen Sie mir.«

Der Name passte so gar nicht zu Schulz’ Äußerem, dachte Will. Allerdings blieb ihr keine Zeit, weiter über diese Frage zu philosophieren.

»Das ist der Grund meines Anrufs«, sagte Schulz, als sie unmittelbar vor dem Pool standen. Seine Stimme klang distanziert. Will starrte auf das Wasser.

Das Becken war nicht besonders groß. Vielleicht fünfzehn mal zehn Meter. Allenfalls. Und tief konnte es auch nicht sein, sonst stünden nicht überall diese Warnschilder herum: »In den Pool springen verboten!«

Der Grund des morgendlichen Einsatzes schwamm mitten im Wasser, als wollte er die ersten Sonnenstrahlen genießen. Ein regloser, nackter männlicher Körper. Beinahe ein friedliches Bild. Inspiration für ein sommerliches Stillleben. Will ging bis zum Beckenrand. Steinbrecher blieb ihr auf den Fersen, positionierte sich neben ihr. Die Kommissarin kniff die Augen zusammen, versuchte erste Hinweise zu erfassen.

»Für ’ne Wasserleiche recht appetitlich«, stellte Steinbrecher kühl fest. »Sie kann also noch nicht allzu lange hier liegen.«

»Ich schätze mal, maximal sechs Stunden oder so«, ergänzte Will und wandte sich an Schulz: »Wann haben Sie Betriebsschluss?«

»Um Mitternacht. Bis alle weg sind und abgeschlossen ist, wird es aber meistens eins, halb zwei.« Dennis Schulz starrte wie elektrisiert auf den Leichnam, während er sprach.

»Kennen Sie den Mann?«, fragte Will.

»Ich glaube, ja.«

»Glauben?«

»Sein Gesicht sieht verändert aus. Nicht mehr so lebensfroh wie sonst. Aber ja, ich bin mir ziemlich sicher, dass es Paul ist.«

»Paul?«

»Sein Nachname fällt mir gerade nicht ein. Er ist der Freund einer unserer Angestellten. Lara Guth. Sie müsste jeden Moment auftauchen.«

Will notierte die Namen. Zu mehr kam sie nicht mehr, weil eine Stimme über die Dachterrasse hallte:

»Ich glaube, hier ist etwas!«

Der Mann steckte in einem weißen Overall und gehörte unverkennbar zum Team der Spurensicherung. Erst jetzt registrierte Will, dass die Kollegen bereits vor Ort waren. Der Mann beugte sich über eine Liege in der dritten oder vierten Reihe hinterm Pool. Kurz darauf präsentierte er eine kleine Sporttasche.

Als Will und Steinbrecher neben ihm standen, surrte der Reißverschluss. Kleidungsstücke kamen zum Vorschein. Eine Jeans, ein knalliges Poloshirt der Marke »Ralph Lauren«, dunkellila mit grünem Reiter, sowie ein Lederportemonnaie, das alles andere als billig aussah. Der Mann von der Spurensicherung klappte es auseinander und zauberte nach kurzer Suche den Personalausweis hervor.

»Paul Wernecke, geboren 1986, wohnhaft Musikantenweg. Das ist in Bornheim.«

»Ich weiß«, pflichtete Steinbrecher bei. »Ich wohne ein paar Straßen weiter.«

»Kennst du ihn?«, wollte Will wissen.

»Nein, nicht, dass ich wüsste.«

Will notierte die Daten. Das Portemonnaie verschwand in einem Plastikbeutel.

»Sind zufällig auch die Wohnungsschlüssel in der Tasche?«, wollte Steinbrecher wissen.

»Moment.« Der Mann legte den Plastikbeutel zur Seite und ließ seine Hände in einer Seitentasche verschwinden. Ein leises Klimpern war zu vernehmen. »Ja, hier.«

Das Metall der Schlüssel blinkte in der Sonne, ungefähr zeitgleich war ein Klirren zu hören. Irgendetwas musste auf den Boden gefallen sein.

»Mist!«, schimpfte der Mann.

»Was war das?«, fragte Will.

»Vermutlich ein Ring oder ein Geldstück«, murmelte der Mann und verschwand unter der Liege. »Ah, hier. Hab’ ihn.«

Kurz darauf lag auf der Plastiktüte, die das Portemonnaie enthielt, ein silberfarbener Ring.

»Der Ring der O«, bemerkte Steinbrecher.

Will sah ihren Kollegen verständnislos an.

»Kennst du nicht?«

»Nein«, grummelte Will und musterte den Ring. Er hatte die Form eines Siegelrings, auf seiner Oberseite waren drei kreisähnliche Verzierungen. »Sollte ich?«

»Das kommt auf deine sexuellen Vorlieben an. Nur, wenn du auf BDSM stehst.«

»Du etwa?«

»Nein, aber ich hatte mal vor Jahren einen Fall, bei dem das eine Rolle spielte.«

Will musterte Steinbrecher. Während sie darüber sinnierte, ob er geflunkert hatte, setzte dieser zu weiteren Erklärungen an:

»Literarische Vorlage ist der Roman ›Geschichte der O‹. Dort wird den Sklavinnen nach erfolgter Ausbildung ein solcher Ring verliehen. Sie sind dann verpflichtet, sich jedem Mann, der die Bedeutung des Rings kennt, zu unterwerfen. Angeblich tragen dominante Personen den Ring an der linken Hand, die anderen an der rechten. So kann man gleich erkennen, ob man an den richtigen Partner geraten ist.«

»Interessant«, murmelte Will. »Und was ist mit Personen, die den Ring in ihrer Sporttasche tragen?«

»Spannende Frage«, entgegnete Steinbrecher.

 

***

 

Obwohl Hannah Wollenberg spät in der Nacht nach Hause gekommen war, brauchte sie nicht viel Schlaf, um wieder munter zu werden. Nach einer ausgiebigen Dusche stellte sie das Wasser ab und hüllte ihren schlanken Körper in ein großes Badehandtuch. Ihre Lippen pfiffen die Melodie von Max Giesingers Song ›Roulette‹, der gerade im Radio lief. Das Lied passte zu diesem Morgen wie der Bembel zum Ebbelwei.

Sie hatte den Abend mit einem äußerst attraktiven Mann verbracht. Doch es war nur ein Spiel, dessen Ausgang völlig offen war. Und sie war sich nicht sicher, ob sie strategisch wie beim Schach agieren oder auf das Glück einer Kugel vertrauen sollte, wie beim Roulette.

Noch vor wenigen Monaten hätte sie sich nicht vorstellen können, die Nacht mit einem Mann zu verbringen, nur um an Informationen zu gelangen. Damals war sie euphorisch in den neuen Job als Lokalreporterin bei der Frankfurter Zeitung gestartet. Mit Mitte zwanzig und einem Master in Publizistik glaubte sie sich auf der Überholspur. Doch relativ schnell hatte sie einsehen müssen, dass sich der Alltag einer Lokalreporterin irgendwo zwischen Kleintierzucht und Sportverein abspielte. Und wenn es tatsächlich um die Aufdeckung eines Skandälchens ging, dann war das Chefsache und nicht Aufgabe der Neuen.

Hätte Barbara sich nicht bei ihr gemeldet, wäre es vermutlich so weitergegangen. Die erfahrene Journalistin arbeitete beim Fernsehen, und Hannah hatte dort ein Praktikum gemacht. Das war fast ein Jahr her. Seitdem hatte sie nichts von ihr gehört. Bis zu jenem Anruf, der es in sich hatte.

Jemand hatte an die Fernsehredaktion vertrauliches Material geschickt und um Kontaktaufnahme gebeten. Der Informant hatte ein paar Verträge aus dem internationalen Fußballgeschäft als »Appetithappen« angeboten und angekündigt, dass er noch viel mehr in petto hätte. Barbara war die Sache zu heiß. Sie moderierte Sportsendungen. Recherche war nicht so ihr Ding.

Zwei Tage später hatte Hannah Kontakt zu diesem Informanten, der sich Marcel nannte, hergestellt. Er schickte weitere Dateien. Hannah verstand nicht viel vom Fußballgeschäft und von Lizenzverträgen noch viel weniger. Sie ging ab und an mit ihrem Großvater ins Stadion und freute sich mit ihm, wenn die Eintracht gewann. Für die Hintergründe des Profigeschäftes hatte sie sich bislang nicht besonders interessiert. Marcels Stoff indes schien brisant genug, um ihr Interesse zu wecken. Je mehr sie sich einlas, umso stärker juckte es in ihren Fingern. Das war etwas anderes als die Berichte über Kleingartenfeste und die Besuche bei Ortsbeiräten, wo Möchtegernpolitiker über Straßenschilder und Ampelschaltungen stritten. Einer der Verträge betraf ein Transfergeschäft, bei dem auch ein Frankfurter Spieler eine gewisse Rolle spielte. Ein möglicher Ansatzpunkt, die Story ihrem Chef schmackhaft zu machen.

Hannah stand jetzt vor dem Spiegel im Bad. Die Bürste strich langsam durch die schwarzen Haare. Sie konnte sich noch genau an jenen Morgen erinnern, an dem sie Marcel zum ersten Mal getroffen hatte. Sie hatte schlecht geschlafen, was vermutlich an der brüllenden Hitze gelegen hatte, die schon damals die Stadt terrorisierte. Eigentlich wäre die einzig sinnvolle Beschäftigung der Besuch an einem der Badeseen im Umland gewesen. Und wenn das schon nicht möglich war, dann zumindest in einem städtischen Schwimmbad.

Vielleicht im »Brentanobad«, alternativ im »Stadionbad«. Doch der Beruf ging vor. Marcel war schnell, was das Senden von Dateien betraf. Doch sie wollte ihn persönlich treffen, und er zierte sich. Erst nach gefühlt tausend Mails hatte er sich zu einem Treffen bereit erklärt.

Hoffentlich hielt der Kontakt, was er versprach. Sie wusste nicht viel über den Mann. Nur, dass er Marcel hieß und dass er es geschafft hatte, an geheime Informationen aus der Fußballszene zu gelangen. Wie er das angestellt hatte, war sein Geheimnis. Vermutlich handelte es sich um einen Nerd, der die Tage damit verbringt, sich durchs weltweite Netz zu hacken. Aber wie sah der Mann aus? War er groß oder klein, dick oder dünn? Hannah fühlte sich wie bei einem Blind Date. Und in etwa so nervös war sie auch. Allerdings hatte sie mit Blind Dates mehr Erfahrung als mit dubiosen Informanten. Normalerweise sollte es bei Journalisten eher umgekehrt sein. Doch dafür war sie noch nicht lange genug im Geschäft.

 

Als Treffpunkt war der Kurfürstenplatz ausgemacht. Hannah war gut eine halbe Stunde zu früh. Sie hatte in einem Backshop auf der Leipziger einen Coffee to go und die aktuelle Ausgabe der Tageszeitung erstanden. Nun saß sie auf einer schattigen Bank, hielt den Pappbecher in der Hand und starrte auf den rötlichen Brunnen aus Mainsandstein, in dessen Mitte Wasser aus einem Obelisken plätscherte.

Sie versuchte, einen Bericht auf der Titelseite zu lesen, konnte sich aber nicht konzentrieren. Immer wieder schaute sie nervös auf die Uhr. Noch fünf Minuten bis zum verabredeten Zeitpunkt. Sie ließ den Blick durch die Grünanlage wandern und musterte die Menschen, die sie durchquerten. Vielleicht war Marcel schon da? Vielleicht war er genauso nervös wie sie. Vielleicht verbarg er sich hinter einem Baum oder an einer der Häuserwände in den umliegenden Straßen? Beobachtete er sie? Auf einer Bank gegenüber fütterte ein älterer Mann Tauben. Ein Obdachloser wühlte in den Papierkörben nach weggeworfenen Pfandflaschen. Eine Frau schob einen Kinderwagen in Richtung Spielplatz. Alles machte einen ganz alltäglichen Eindruck.

Nach einem weiteren Schluck aus dem Pappbecher schaute Hannah erneut auf die Uhr. Zwanzig Minuten waren mittlerweile vergangen, ohne dass sich etwas getan hatte. Sie scannte nochmals die Umgebung ab. Die Feuerwache, die St.-Elisabeth-Kirche, eine Trinkhalle an der Ecke zur Schloßstraße. Nirgendwo eine Spur von Marcel. Sie beschloss, allenfalls noch eine halbe Stunde zu warten. Sollte der Kerl dann nicht aufgetaucht sein, würde sie unverrichteter Dinge nach Hause gehen müssen. Der Sack mit den Badesachen stand gepackt in der Ecke.

Sie setzte erneut den Pappbecher an. Die Temperatur des Kaffees war mittlerweile sehr angenehm.

»Hast du ’nen Euro für mich?«, fragte eine raue Stimme. Hannah schreckte auf. Direkt vor ihr stand der Obdachlose, der vorhin im Mülleimer gewühlt hatte. In der einen Hand hielt er eine fast leere Plastiktüte, die andere streckte er ihr entgegen.

»Wenig Ausbeute heute?«, erwiderte Hannah.

»Stimmt, nur zwei Flaschen bisher.«

Hannah kramte aus der Hosentasche eine Münze hervor und legte sie in die ausgestreckte Hand.

»Vielen lieben Dank«, sagte ihr Gegenüber. »Ich will ja nicht unverschämt sein, aber kann ich auch die Zeitung haben?«

Für einen Moment verstand Hannah nicht, doch dann fiel ihr die Tageszeitung ein, die achtlos neben ihr auf der Bank lag.

»Klar, die können Sie auch haben.« Hannah reichte ihm die Zeitung.

»Tausend Dank«, sagte der Mann und trottete weiter.

Hannah trank den Kaffee aus und wollte gerade aufstehen, als sie eine Bewegung neben dem Toilettenhäuschen wahrnahm, das etwas versteckt hinter einer Hecke lag.

Ihr Instinkt befahl ihr, noch einen Moment zu warten. Tatsächlich schälte sich eine Gestalt aus dem Schutz der Hecke und schlenderte in ihre Richtung. Ein junger Typ mit Baseballkappe. Dunkle Locken lugten unter ihr hervor. Er trug eine ausgeleierte Jeans und ein schwarzes T-Shirt. Eine schwarz umrandete Brille und Bartstoppel charakterisierten das Gesicht. Vom Äußeren her könnte er genauso gut ein Penner wie einer dieser neuen Pop-Poeten sein, die zurzeit die Charts dominierten.

Es war tatsächlich Marcel. Und er schlug nach einer kurzen Begrüßung vor, irgendwo zu frühstücken. Wenig später betraten sie das »Stattcafé«. Die Tische waren nur zur Hälfte besetzt. Die meisten Gäste saßen draußen. Hannah begrüßte die Bedienung und marschierte zielstrebig in den hinteren Bereich, wo alle Tische frei waren und man sich diskret unterhalten konnte. Marcel folgte ihr, wobei seine Augen jeden Winkel der Räumlichkeiten absuchten. Er bestand darauf, mit dem Rücken zur Wand zu sitzen, um das ganze Café im Blick zu haben. Kaum hatten sie Platz genommen, drückte die Bedienung ihnen die Karte in die Hand. Hannah bestellte Müsli mit Obst und einen Milchkaffee. Marcel orderte einen dreifachen Espresso, dazu Rührei mit Speck.

»Ich habe die letzte Nacht kaum geschlafen. Deshalb das viele Koffein.«

»Hast du das Frankfurter Nachtleben ausprobiert?«, lachte Hannah.

»Wo denkst du hin! Ich saß vorm Rechner. Daten sichten.«

Hannah musterte Marcel, versuchte, in seinem Gesicht zu lesen. Es sah ziemlich hinüber aus. Aschgraue Haut und dunkle Ränder unter den Augen. Wahrscheinlich war es nicht die erste durchgemachte Nacht gewesen.

»Wo kommst du her?«

»Das tut nichts zur Sache. Ich lebe mal hier und mal dort. Mehr braucht dich nicht zu interessieren.«

Die Bedienung brachte die Getränke. Marcel schüttete den Espresso in sich hinein und orderte gleich Nachschub.

»Ich verstehe, dass du anonym bleiben willst. Aber ich muss schon die Vertrauenswürdigkeit meiner Informanten checken«, sagte Hannah, nachdem die Bedienung außer Hörweite war.

Marcel lehnte sich breitbeinig zurück und streckte beide Arme zur Seite.

»Sehe ich unglaubwürdig aus?«

Hannah kniff die Augen zusammen. In dem Zustand, in dem er sich präsentierte, war nichts auszuschließen. Er konnte ein Scharlatan sein oder ein Gangster, ein Hochstapler oder der Messias. Alles war möglich.

»Entweder vertraust du mir oder du lässt es bleiben. Kein Problem«, forderte Marcel mit ernster Miene.

»Ich vertraue dir«, sagte Hannah eilig. Sie wollte auf keinen Fall, dass Marcel Zweifel an ihren Absichten hegte.

»Also«, brummte er und stützte die Ellenbogen auf den Tisch auf. Sein Gesicht näherte sich dem ihren.

»Hast du meine Infos gelesen?« Sein Atem streifte ihre Nase. Er roch erstaunlich frisch. Trotz der durchgemachten Nacht hatte er sich vor dem Treffen die Zähne geputzt. Immerhin.

»Ja. Natürlich. Sonst wäre ich nicht hier.«

»Ich will ehrlich sein«, sagte Marcel und rückte seine Nase noch näher zu Hannah. »Du lässt dich auf ein gefährliches Spiel ein. Bist du dir sicher, dass du das willst?«

»Ja«, sagte Hannah mit fester Stimme.

»Ich habe etwas über dich recherchiert. Als Journalistin bist du ein eher unbeschriebenes Blatt.«

»Jeder fängt mal klein an, oder?«

Marcel nickte.

»Also gut. Barbara hat sich für dich ins Zeug gelegt. Wenn sie das macht, vertraue ich ihr. So bin ich eben.«

Hannah wusste nicht, was sie darauf sagen sollte. Also schwieg sie und sah Marcel fest in die Augen. Insgeheim wunderte sie sich allerdings, dass er Barbara näher kannte.

»Es gibt ein paar Regeln, die du einhalten musst. Sonst ist unsere Zusammenarbeit sofort beendet.«

»Welche sind das?«

»Erstens: Ich bleibe anonym. Du schreibst nichts über mich, nicht wo ich herkomme, wie ich aussehe, was ich mache. Absolut nichts. Ist das klar?«

»Klar«, sagte Hannah. »Was soll ich auch schreiben? Ich weiß ja nichts.«

Marcel ging nicht auf die kleine Spitzfindigkeit ein.

»Von mir aus kannst du irgendeinen fiktiven Informanten erfinden, wenn das für deine Story wichtig ist. Aber diese Erfindung darf nichts mit mir zu tun haben.«

»Von mir aus kannst du den Artikel gegenlesen, bevor ich ihn abgebe«, retournierte Hannah.

Marcel musterte Hannah mit einem durchbohrenden Blick.

»Warum nicht!«

Die Bedienung näherte sich mit dem Frühstück. Marcel lehnte sich wieder zurück. »Dann wollen wir uns erst mal ein wenig stärken, was?«

 

Hannah legte die Bürste zur Seite und griff zum Föhn. Zielsicher steckte sie den Stecker in die Steckdose. Die warme Luft wehte durch ihre langen schwarzen Haare. Ihre Gedanken kehrten zum ersten Treffen mit Marcel zurück.