Tod in der Sauna - Lutz Ullrich - E-Book

Tod in der Sauna E-Book

Lutz Ullrich

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Beschreibung

Als der Startrainer Klaus Momsen tot in der Sauna seines Fitness-Studios gefunden wird, herrscht allgemeine Fassungslosigkeit. Hauptkommissar Tom Bohlan und seine Kollegin Julia Will beginnen mit ihren Ermittlungen und stoßen schon bald auf einige Ungereimtheiten. Warum musste der erfolgreiche Trainer sterben? Warum war er mit Dopingmitteln voll gepumpt? Und was hat das alles mit Momsens DDR-Vergangenheit zu tun? Das Ermittlungsduo Bohlan/Will versinkt zunehmend in einem Morast aus Leistungsdruck, Doping und persönlichen Abhängigkeiten.

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LASP

Der Autor

Lutz Ullrich, Jahrgang 1969, studierte Politik und Rechtswissenschaften, schrieb für verschiedene Zeitschriften, betätigte sich in der Politik und arbeitet heute als Rechtsanwalt. Er lebt mit seiner Familie in der Nähe von Frankfurt. Mehr Informationen gibt es unter www.lutzullrich.de.

In der Tom-Bohlan-Reihe sind bisher folgende Bücher erschienen:

Der Kandidat (2009)

Tod in der Sauna (2010)

Tödliche Verstrickung (2011)

Stadt ohne Seele (2012)

Mord am Niddaufer (2013)

Das Erbe des Apfelweinkönigs (2014)

Kristallstöffche (2015)

Außerdem der Kurzkrimi:

Bohlan und das geheimnisvolle Manuskript

Alle Bücher sind auch als E-Book erhältlich

Tod in der Sauna

© 2016 Lutz Ullrich

Umschlag, Foto: Lutz Ullrich

Lektorat: Stefanie Reimann

LASP-Verlag, Schwalbach am Taunus – Frankfurt am Main

Satz: Udo Lange

ISBN 978-3-946247-08-1

www.lasp-verlag.de

www.lutzullrich.de

Neubearbeitete Ausgabe.

Die Originalausgabe ist 2010 im Röschen-Verlag erschienen.

Printed in Germany

Für Ute und Josef

Inhaltsverzeichnis

Prolog
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
29. Kapitel
30. Kapitel
31. Kapitel
32. Kapitel
33. Kapitel
34. Kapitel
35. Kapitel
36. Kapitel
37. Kapitel
38. Kapitel
39. Kapitel
40. Kapitel
41. Kapitel
42. Kapitel
43. Kapitel
44. Kapitel
45. Kapitel
46. Kapitel
47. Kapitel

Prolog

Papiere, Bücher und Kisten stapelten sich in dem engen, kleinen Raum. Hinter dem Schreibtisch, auf dem selbst für den Laptop nur wenig Platz war, saß Klaus Momsen in seinem großen Schreibtischstuhl aus schwarzem Kunstleder und schaute gebannt auf das Video, das ihm ein Freund vor wenigen Minuten per Mail aus Amerika geschickt hatte. Es war ein Amateurfilm, aufgenommen aus den hinteren Reihen eines Versammlungssaals irgendwo in Arizona. Der Vorstandsvorsitzende des amerikanischen Leichtathletikverbandes sprach vor Vertretern der amerikanischen Nahrungsergänzungsmittelindustrie. Der sportliche, ältere Herr mit den weißen Haaren war für klare Worte bekannt. Die Veranstalter hätten sich also denken können, was sie sich einhandeln, wenn sie ihn reden lassen. Was er jedoch heute zu sagen hatte, musste allen Anwesenden in den Ohren schallen.

„In welcher Kultur wissen schon Neunjährige über die Wirkung von Steroiden und fragen ihre Trainer danach? In einer Kultur, in der Nahrungsergänzungsmittel dazu genutzt werden, die Jugendlichkeit zurückzuholen, Gewicht zu verlieren, die Verdauung zu regulieren, Muskeln zu vergrößern, Falten verschwinden zu lassen, Geschlechtsorgane zu vergrößern und Fußpilz zu bekämpfen.“

Der Mann nahm einen Schluck aus dem vor ihm stehenden Wasserglas und blickte kurz auf sein Redemanuskript. Momsen tippelte nervös mit den Fingern auf der Armlehne des Stuhls. Obwohl der Mann englisch sprach, verstand Momsen jedes Wort. In seiner langen Trainertätigkeit hatte er sich viele Fähigkeiten angeeignet. Das Erlernen fremder Sprachen war eine davon. Angefangen hatte er – systembedingt – mit Russisch. Dann, in der Zeit nach dem großen Umbruch, war Englisch natürlich die wichtigste Sprache geworden. Momsen sprach aber auch französisch und spanisch und zudem noch ein paar Brocken chinesisch.

„Doping war der einzige Weg, Olympiamedaillen zu gewinnen. Das glaubten alle. Auch die Trainer glaubten es und lernten um. Statt guter Techniktrainer wurden sie zu guten Apothekern – und guten Drogendealern.“

Der Mann beendete seine Rede. Das Videobild auf dem Bildschirm des Laptops blieb stehen. Klaus Momsen fixierte kurz die Gesichtszüge des Funktionärs und versuchte die stahlblauen Augen hinter den Brillengläsern zu durchdringen. Dann klickte er das Bild weg.

Du hast leicht reden, dachte Momsen, griff nach seiner Wasserflasche und schaute einige Minuten gedankenlos aus dem Fenster, bevor er den Laptop ausschaltete und die Hälfte des Wassers in einem Zug austrank. Wenig später zog er den Reißverschluss seiner Trainingstasche zu, griff im Hinausgehen nach seinem Handy, schloss die Haustür ab und machte sich auf den Weg zu seinem VW Touareg.

Klaus Momsen, der die Fünfzig bereits vor ein paar Jahren überschritten hatte, sah deutlich jünger aus und sein Trainingszustand war besser als der manch Dreißigjähriger. Seine Haut war durch Sonne und Solarium lederartig und braun gegerbt. Die dunkelblonden, vollen Haare waren kurz geschnitten und standen stoppelartig nach oben. An den Schläfen konnte man, trotz der aufgetragenen Haarfarbe, ein leichtes Grau erkennen. Momsen stieg in seinen schwarzen Wagen und fuhr die wenigen Kilometer von seinem Einfamilienhaus in der Rudolf-Hilferding-Straße nach Niederursel.

Neben Momsens Fitness-Studio beherbergte der Gebäudekomplex eine Kneipe, ein Ballettstudio und verschiedene kleine Büros. Die Gäste der Kneipe mit dem Namen „Zum kleinen Ochsen“ schätzten die von asiatischem Personal hergerichtete deutsche Küche. Schnitzel, Leber, Grüne Soße und freitags Pangasiusfilet hatten auch in einer Welt aus Pizza, Kebab und Sushi ihren Platz, dachte Momsen. Das marktplatzähnliche Treiben vor der Kneipe hatte in den letzten Monaten für erhebliche Missstimmung zwischen Wirt und Besitzern der angrenzenden Häuser gesorgt. Schimpfworte wechselten täglich über die Grundstücksmauer. Polizei und Ordnungsamt gehörten zum Stammpublikum, die eine oder andere Unterschriftensammlung hatte bereits für Hetze und schlechte Stimmung gesorgt. Unlängst war sogar das Privatfernsehen aufgetaucht und hatte eine Reportage für die Reihe „Streit in der Nachbarschaft“ gedreht.

Momsen, der sein Auto auf dem Parkplatz des ortsansässigen Autohauses abgestellt hatte, wühlte sich an Werbetafeln und Rauchern vorbei. Gerade als er das Gebäude betreten wollte, dudelte sein Handy. Da der Empfang im Gebäude schlecht war, musste er das Gespräch zu seinem Leidwesen vor dem Eingang führen.

Danach ging er – ein wenig verärgert – in das Fitness-Studio. Als er an den Schließfächern für Wertsachen vorbeikam, blieb er stehen. Er blickte vor und zurück und vergewisserte sich, dass er unbeobachtet war. Dann öffnete er das Schließfach mit der Nummer zweiundfünfzig und entnahm einen sichtlich gefüllten Umschlag, der ein dickes Bündel grüner Euroscheine enthielt. Momsen ließ das Geld über die Daumenspitze blättern. Dann steckte er den Umschlag in seine Jackentasche, entnahm seiner Sporttasche eine kleine Schachtel und stellte sie in das Schließfach. Als er den Schlüssel abgezogen hatte, schaute er noch einmal vor und zurück, nahm das Geldbündel wieder aus der Jackentasche, zählte einige Scheine ab und legte sie in ein anderes Schließfach, das er ebenfalls schloss. Wieder schaute er um sich und ging, eine Melodie vor sich hin summend, in die Umkleide.

Als er das Fitness-Studio betrat, trainierten dort zwei Personen. Der junge Mann, der gerade auf der Hantelbank lag, war seit einem halben Jahr sein Kunde. Er war fleißig und durchtrainiert, aber für Momsen wenig interessant. Die andere Athletin war neunzehn Jahre alt, hatte einen makellos durchtrainierten Körper, blonde Haare, grüne Augen und ein ebenmäßiges Gesicht. Sie gehörte seit ein paar Wochen zu seiner Läufergruppe. Momsen ging mit einer freundlichen, auf Distanz achtenden Begrüßung an ihr vorbei und atmete den Duft ihres Parfums voller Vorfreude ein. Dem jugendlichen Sportler an der Hantelbank schenkte er ein freundliches Gesicht. Er bestieg den Ellipsentrainer, steckte die Kopfhörer seines iPods in die Ohren und begann sein Training. Die beiden Athleten arbeiteten akribisch die vorgegebenen Trainingspläne ab. Nach einer halben Stunde beendete Momsen das Ausdauertraining und setzte sich an die Bauchmaschine. Der jugendliche Sportler packte seine Sachen und verabschiedete sich. Es war jetzt halb zehn. Um zehn war die offizielle Trainingszeit beendet. Als der Sportler draußen war, ging Momsen zu der Athletin, die an der Beinpresse arbeitete, nahm ihren Trainingsplan und kontrollierte die Eintragungen. Er nickte zufrieden. Die Athletin drückte zum letzten Mal die Gewichte hoch.

„Alles in Ordnung?“, fragte sie ihren Trainer.

„Ja, sehr fleißig.“

Momsen schaute auf seinen Schützling herunter. Der Anblick ihres jungen Körpers ließ ein Verlangen in ihm aufsteigen.

„Was kann ich noch tun, um besser zu werden?“

„Du willst gut werden, richtig gut? Du willst an die Weltspitze?“

„Ja, ich will alles aus mir herausholen und hart arbeiten.“

„Um ganz nach oben zu kommen, muss alles zusammenpassen: Talent, Fleiß, gute Technik, ein eiserner Wille und noch etwas.“

„Was noch?“

„Du musst bereit sein, alles, wirklich alles diesem Ziel unterzuordnen. Du musst hart sein gegen dich selbst und du musst mir vertrauen. Ich kann dir etwas geben, was dich dabei unterstützt.“

Momsen beugte sich ein wenig tiefer. Die Nähe zu ihr erregte ihn. Sein Mund war ihrem Ohr sehr nahe.„Vertraue mir. Ich habe ein Pulver entwickeln lassen, das dir hilft, das harte Training besser zu überstehen und zu regenerieren.“

„Ist es ein Dopingmittel?“

„Na, na, na. Wie kommt ein so böses Wort in einen so hübschen Mund? Du kannst beruhigt sein, das Pulver steht auf keiner Liste. Ich kann dir einen genauen Plan aufstellen. Wenn du dich an ihn hältst, kann nichts passieren.“

Momsens Hand griff nach ihrem Kinn und drehte ihren Kopf, sodass er tief in ihre Augen schauen konnte.

„Denk immer dran, du willst nach oben. Du hast die Veranlagung, es zu schaffen. Früher stand in unserer Trainingshalle ein Satz, der hatte viel Wahrheit: „Talent hat nur, wer das Training übersteht.“ Und ich sage dir jetzt: Du wirst das Training, das dich zu einer Großen im Geschäft macht, nur überstehen, wenn du dir von mir helfen lässt.“

Momsen durchdrang ihre Augen und er konnte den unbedingten Siegeswillen erkennen. Er war sich sicher, dass sie einwilligen würde.

„Geben Sie mir das Pulver.“

Momsen erkannte die Gier in ihrer Stimme.

„Es ist nicht ganz billig.“

„Sie wissen, dass ich wenig Geld habe.“

Momsen schaute kurz zur Seite und tat so, als dachte er nach. Dann schaute er sie wieder an, legte die Hand auf ihren Oberschenkel.

„Es gibt auch anderes als Geld.“

Sie hatte verstanden und nickte kurz.

Weder die Athletin noch ihr Trainer bemerkten, wie jemand in das Studio schlich und sich an Momsens Tasche zu schaffen machte. Das Klacken, das durch das Schließen der Tür verursacht wurde, ging in Momsens Luststöhnen unter. Einige Zeit später lag Klaus Momsen zufrieden und alleine in der kleinen Sauna, die sich zwischen den beiden Umkleideräumen befand. Er hatte ein wenig Orangenextrakt in das Aufgusswasser tröpfeln lassen und atmete nun den fruchtigen Duft ein. Die ersten Schweißperlen bildeten sich auf seinen Schultern. Dann schlief er für immer ein.

1. Kapitel

Die Nachmittagssonne brannte unermüdlich auf das Hausboot nieder. Die auf dem Main auftreffenden Sonnenstrahlen wurden schimmernd und glitzernd in die Welt zurückgeworfen. Kleine Wellen kräuselten sich auf der ansonsten glatten Wasseroberfläche und Lichtstrahlen tanzten über das Wasser direkt auf die Terrasse, die sich auf dem Achterdeck des alten, in den letzten Jahren restaurierten Kahns befand. Dort saß Hauptkommissar Tom Bohlan in einem Liegestuhl. Er hatte die Augen geschlossen und genoss den Nachmittag. Auf seinem Schoß lagen Teile der aktuellen Tageszeitung, die er in ihre Einzelteile zerlegt hatte. Auf einem Tischchen neben ihm stand ein alkoholfreier Cocktail, halb ausgetrunken. Daneben schlummerte ein schnurloses Telefon. Aus der offenen Tür drangen Gitarrenklänge auf das Deck. Mark Knopfler versuchte so gut zu singen, wie er Gitarre spielte. Es gelang ihm nicht. Der vierzigjährige Hauptkommissar der Frankfurter Kriminalpolizei war bemüht, eine Leere in seinem Kopf entstehen zu lassen. Alle Ecken und Wickel seines Bootes waren aufgeräumt und durchgesehen. Jedes Staubkorn, das Almasa hinterlassen haben könnte, war entfernt. Die große Wohnküche, die genau in der Mitte des Bootes lag, sah aus wie geleckt. Die breite, in die Wand eingelassene Couch und der lange Esstisch aus Ahorn warteten auf neue Gäste und neue Abenteuer. Das Leben konnte mit Wucht wieder Fahrt aufnehmen.

Bohlan war froh, dass das leidige Kapitel Almasa endgültig abgeschlossen war. Diese Affäre hatte nicht nur eine Freundschaft zerstört, sondern auch die Ermittlungen in seinem großen Fall im letzten Jahr fast zu einem Desaster werden lassen. Almasa war die langjährige Freundin seines Freundes Leonardo gewesen. Deren Beziehung war ein wenig in die Jahre gekommen und die schlanke Blondine war in einem unvorsichtigen Moment in Bohlans Bett gelandet. Die Schlafzimmeraffäre tobte mehrere Monate und fand ihren Höhepunkt in Almasas Flucht aus Leonardos Klauen. In der Folgezeit hatte sie einige Tage auf dem Hausboot zugebracht und wäre dabei fast von Leonardo erwischt worden, während Bohlan, in einer gesundheitlichen Krise steckend, mit dem damals aktuellen Mordfall zu kämpfen hatte.

Nach Almasas Auszug hatte sich herausgestellt, dass sie nicht nur eine Affäre mit ihm, sondern noch mindestens zwei anderen Männern gehabt hatte. Bohlan hatte sich noch einige Male mit ihr getroffen, aber schließlich entschieden, einen Schlussstrich zu ziehen. In ihrem letzten großen Auftritt hatte sie ihm Unaufrichtigkeit und Verlogenheit vorgeworfen und ihm ins Gesicht gespuckt.

Er blickte zufrieden über das Wasser. Der Tag näherte sich dem Feierabend und die Freunde des Rudersports würden sicher den frühen Abend für die eine oder andere Trainingseinheit nutzen. Der Kommissar dachte an seinen Schreibtisch im Präsidium, der ebenso leer wie aufgeräumt war. Seine derzeitige Situation glich fast einem Sechser im Lotto. Mit einem Schmunzeln auf den Lippen führte er das Cocktailglas zum Mund und genoss den süßen Geschmack des Fruchtsaftgemisches. Es könnte ein perfektes Wochenende werden: Sommer, Sonne, Zeit. Noch dazu hatte Julia Will, seine Kollegin, morgen Geburtstag und zu einer Grillparty eingeladen. Er stellte das Glas ab und tastete nach seinem Telefon.

Am späteren Abend schlenderte Bohlan einige Hundert Meter am Ufer entlang zum Strandcafé. Dort, zwischen Main, Höchster Altstadt und der Großbaustelle des städtischen Energieversorgers, wurde seit einigen Jahren in den Sommermonaten eines jener Cafés aufgebaut, das den Gästen das Gefühl gab, irgendwo am Mittelmeer zu sitzen. Abgeschirmt von Bambuspflanzen, die in großen schwarzen Kübeln gepflanzt waren, chillten Radfahrer und Vergnügungssüchtige in gemütlichen Liegestühlen und Sitzgruppen aus Polyrattan. Bohlan ließ seinen Blick über das Areal wandern und entdeckte tatsächlich einen freien Tisch mit zwei Liegestühlen direkt am Wasser. Dort ließ er sich nieder und wartete, bis ein vertrautes Donnern über den anliegenden Parkplatz schallte. Bohlan brauchte nicht aufzuschauen. Obwohl er kein Experte in Sachen Motorrädern war, konnte er das Geräusch von Steinbrechers Harley immer erkennen. Tatsächlich schlenderte wenig später Walter Steinbrecher durch die Tischreihen. Trotz der Hitze trug er eine schwarze Lederhose, dazu ein schwarzes T-Shirt. Steinbrecher war von stämmiger Gestalt. Sein Haar war dicht gelockt und ergraut. Als er Bohlan erblickte, signalisierte er durch Mimik und Zeichensprache, dass er kurz vor dem Verdursten war. Bohlan grinste und gab seinem Kollegen zu verstehen, dass auch er noch auf dem Trockenen saß. Steinbrecher machte auf den Fersen kehrt und suchte sich einen Weg zur Theke. Nach wenigen Minuten kehrte er, bewaffnet mit zwei Caipirinhas, zurück. Er stellte die Cocktailgläser auf den Tisch, ließ sich in den freien Liegestuhl fallen und grinste Bohlan breit an.

„Willst uns wohl besoffen machen?“ Bohlan grinste zurück.

„Ne, das stecken wir doch locker weg, ist grade Happy Hour!“

„Na dann Prost!“ Bohlan erhob sein Glas.

Die beiden Kommissare nuckelten an den Strohhalmen, blickten auf das Wasser und lauschten der Chill-out-Musik, die aus den Boxen der Musikanlage dudelte.

„Was für ein herrlicher Abend“, murmelte Steinbrecher.

„Manchmal ist die Welt einfach perfekt. Ich hoffe nur, dass an diesem Wochenende nicht wieder jemand austickt und uns mit einem Mord das Karibik-Feeling verhagelt.“

„Apropos Karibik, warst du schon mal im …“

Der Rest von Bohlans Frage ging im Lärm unter, den eine Gruppe junger Radfahrer verursachte, die gerade eingetroffen war. Vielleicht sechs oder sieben. Leuchtende Farben und schrille Schriftzüge prangten auf ihren Trikots. Arme und Beine waren von der Sonne braun gefärbt. Bohlan erinnerte sich an das alljährliche Radrennen, das vor wenigen Wochen die nordwestlichen Vororte und den Taunus in ein mittleres Verkehrschaos gestürzt hatte. Die Rennfahrer stellten ihre Räder ab und ließen sich an einem der größeren Tische gegenüber nieder.

„Urinprobe oder Spritze? Was meinst du?“

Walter Steinbrecher hatte seinen Kopf gedreht und ebenfalls die Neuankömmlinge beäugt.

„Wie meinst du das?“

„Na ja, die sind doch alle gedopt, diese Radfahrer.“

„Ein bisschen Bewegung könnte auch dir nicht schaden.“

„Soll aber auch nicht immer nur gesund sein.“

„Nicht jeder, der mit einem Trikot durch die Straßen heizt oder irgendwo Gewichte stemmt, ist auf Droge.“

„Vielleicht nicht jeder, aber viele. Nimmst du nicht auch Nahrungsergänzungsmittel?“

„Nein, vor Jahren habe ich mal Aminosäuren geschluckt.“

„Aminosäuren?“ Steinbrecher verzog den Mund, als müsste er sich übergeben.

„Die schmecken nicht, wie sie klingen, sind völlig unschädlich und helfen wirklich.“

„Ich hol lieber noch zwei Gläser Alkohol, da weiß man, was man hat.“

2. Kapitel

Als Tom Bohlan am nächsten Morgen gegen zehn Uhr vor dem alten Haus in der Hohemarkstraße in Niederursel seinen Lupo parkte, war die leichte Abkühlung, die die Nacht gebracht hatte, schon wieder verschwunden. Der Himmel strahlte in Azurblau und die Sonne heizte bereits mit einer beträchtlichen Intensität. Bohlans Schädel dröhnte immer noch, obwohl es kein Vergleich mehr mit den hämmernden Kopfschmerzen war, die heute Morgen den Wecker ersetzt hatten. Er hatte sich elend gefühlt und seine Unvernunft zum Teufel gewünscht. Der Versuch, die Nachwirkungen des vorherigen Abends mit Aspirin zu bekämpfen, waren zum Scheitern verurteilt. Als der Kommissar sich dies schweren Herzens eingestanden hatte, brühte er einen starken Kaffee, verrührte diesen mit frisch gepresstem Zitronensaft und kippte das scheußlich schmeckende Gebräu mit zusammengekniffenen Augen in sich hinein. Obwohl er dieses Hausmittel in den letzten Monaten des Öfteren angewendet hatte, war er jedes Mal aufs Neue von dessen erstaunlicher Wirkung fasziniert. Er beschloss, Oma Will, die ihn mit diesem Gesöff vertraut gemacht hatte, einen Blumenstrauß zu schenken.

„Oh, vielen Dank, das wäre wirklich nicht nötig gewesen“, schnatterte Julia Will, als sie die Haustür öffnete und Bohlan erblickte, der mit zwei Blumensträußen an der Gartentür stand. Julia Will war Ende zwanzig, hatte dunkelbraunes, leicht gewelltes Haar, das ihr über die Schultern fiel, und zwei braune Rehaugen, die manchen Mann zur Verzweiflung treiben konnten. Sie trug ein leuchtendes Sommerkleid mit schmalen Trägern und aufgedruckten Blumen in allen möglichen Farben. Ihre Gesichtshaut strahlte glatt und fruchtig. Offensichtlich hatte sie den Freitagabend zum Ausruhen genutzt.

„Nur mal langsam. Alles Gute zum Geburtstag.“

Bohlan umarmte seine Kollegin und überreichte ihr einen der beiden Sträuße.

„Und für wen ist der andere?“

„Für eine äußerst attraktive ältere Dame, deren Wissen und Fähigkeiten mir mal wieder den Tag gerettet haben.“

„Das haben Sie aber nett formuliert.“ Oma Will tauchte hinter Julia Wills Rücken auf und nahm den zweiten Strauß entgegen.

„Hast du gestern Abend mal wieder einen über den Durst getrunken?“, wollte Will wissen.

Bohlan verzog ertappt sein Gesicht.

„Es war aber nicht meine Schuld. Steinbrecher hat mit den unvernünftigen Sachen angefangen.“

„Ja, es sind immer die anderen. Hauptsache, du bist jetzt einsetzbar.“

„Klar, dank der Rezepte deiner Oma. Was ist zu tun?“

Die nächste halbe Stunde verbrachten Bohlan und Will damit, Biertische und Bänke im Garten aufzubauen. Als Will gerade die letzte Auflage auf eine der Bänke gelegt hatte, schreckte Bohlans Handy die beiden auf.

„Soll ich wirklich drangehen? Es ist Klaus Gerding.“

Will verzog ihr Gesicht und Bohlan stierte einige Sekunden auf das Display. Er wußte genau, dass die schöne Partystimmung gleich jäh beendet sein würde. Anrufe von Klaus Gerding brachten meist nur Probleme und Arbeit mit sich. Er drückte auf den grünen Knopf und hielt sich das Handy ans Ohr.

„Was auch immer du willst: Ich habe keine Zeit.“

„Es tut mir leid, Tom, aber ihr müsst die Partyvorbereitungen kurz unterbrechen. Es gibt einen Toten, nur wenige Minuten von euch entfernt.“

„Kurz ist gut. Kann das nicht jemand anderes machen?“

„Es tut mir wirklich leid, aber du weißt um unsere Personalprobleme, und dazu kommt noch die Urlaubszeit. Bitte. In einem Fitness-Studio in eurer Nähe liegt ein Toter. Das ist wirklich nur ein Katzensprung entfernt. Julia Will kennt den Weg bestimmt. Die Spurensicherung ist schon verständigt. Ich will nur, dass ihr euch einen Überblick verschafft. Ich freue mich doch auch auf die Party heute Abend.“

„Also gut, Klaus. Wir machen aber nur das Nötigste. Der Rest muss dann warten.“

Gerding konnte Bohlans Worte nicht mehr hören. Er hatte bereits vorher aufgelegt. Bohlan nahm das Handy von seinem Ohr, schaute wutentbrannt auf das Display und pfefferte das Handy auf den Rasen. Will sah Bohlan an.

„Aufgelegt! Er hat einfach aufgelegt!“ Bohlan konnte es immer noch nicht fassen. Will hob das Handy auf und brachte es ihrem Kollegen.

Als die beiden vor dem Gebäudekomplex erschienen, war ein klobiger Arbeiter im Blaumann damit beschäftigt, den Hof mit einem Wasserschlauch abzuspritzen. Aus der offenen Gaststättentür bahnte sich der zitronenhaltige Duft von Putzmitteln seinen Weg und fünfzehn kleine Mädchen, alle komplett in Rosa gekleidet, wuselten vor dem Eingang zum Ballettstudio. Die beiden Kommissare folgten der Beschilderung zum Studio. Auf halbem Weg kam ihnen ein wutschnaubender Sportler mittleren Alters entgegen, der ihnen seine geschulterte Sporttasche fast ins Gesicht stieß. Am Ende der Treppe sahen sie den Grund des Unmuts. Vor der Eingangstür des Studios prangte ein rot-weißes Band und ein Mann, mit Polohemd und kurzer Hose bekleidet, versperrte den Weg.

„Kriminalpolizei. Guten Morgen“, stellte sich Bohlan vor.

Der Mann wollte gerade etwas erwidern, wurde aber vom Eintreffen der Streifenpolizisten unterbrochen. Sie übernahmen unverzüglich die Absicherung des Gebäudes und die Spurensicherung stellte den Gang mit Koffern und Gerätschaften voll.Der Studioleiter, der sich als Frank Meier vorstellte, führte die beiden Kommissare über den Umkleidebereich der Männer in den vor der Sauna gelegenen Ruheraum.

„Das ist natürlich für alle hier eine große Aufregung.“

Die drei standen vor der offenen Saunatür und starrten hinein. Auf der obersten Bank lag ein Mann, braun gebrannt, muskulös, nackt und tot.

„Wer ist es?“, wollte Bohlan wissen.

„Klaus Momsen. Eigentümer dieses Studios und einer der fähigsten deutschen Trainer. Er hat eine Menge erstklassiger Spitzensportler in der Leichtathletik hervorgebracht.“

Meier hielt kurz inne und wischte sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn, bevor er fortfuhr.

„Ich kann das gar nicht verstehen. Normalerweise schaltet sich die Sauna abends um zehn Uhr selbst aus. Als Momsen heute Morgen gefunden wurde, war sie noch in Betrieb. Er muss quasi die ganze Nacht sauniert haben.“

Bohlan betrachtete die unversehrt wirkende Saunatür und bewegte sie nachdenklich hin und her.

„Heute Morgen war sie natürlich geschlossen und mit einem der Bodenwischer versperrt. Ist das nicht furchtbar? Eingesperrt in der Sauna. Momsen muss innerlich verglüht sein.“

Bohlan schaute noch nachdenklicher und warf einen Blick auf seine Kollegin, die den Ruheraum inspizierte.

„Das kann ich mir eigentlich nicht vorstellen.“

„Wie meinen Sie das?“

„Überlegen Sie mal, wenn Sie in einer Sauna eingesperrt wären, was würden Sie tun?“

„Ich weiß nicht, vermutlich würde ich versuchen, auf mich aufmerksam zu machen. Schauen Sie mal, wir haben hier sogar extra einen Notknopf, mit dem man Alarm auslösen kann.“

Meier streckte den Kopf durch die Tür und deutete auf einen roten Knopf. Bohlan fuhr sich mit der Hand über den Kopf, als wollte er die nicht mehr vorhandenen Haare in Form bringen.

„Richtig. Vermutlich wird man um Hilfe schreien. Wahrscheinlich wird man versuchen, die Tür zu öffnen, zumindest setzt man sich auf den Fußboden oder auf die unterste Bank.“ Bohlan schaute zu seiner Kollegin, die sich wieder zu ihnen gesellt hatte.

„Das Komische ist, dass der Tote auf der obersten Bank liegt. Zudem sieht er sehr gelassen und friedlich aus. Nicht gerade wie jemand, der in Panik verfallen ist. Ist das nicht seltsam?“

Bohlan starrte zu Meier, dieser auf den Toten. Nach kurzer Zeit des Schweigens räumte Meier ein: „Sie haben recht. Das habe ich nicht bedacht. Aber was hat das zu bedeuten?“

„An was Momsen auch immer gestorben ist, jedenfalls nicht an einem zu langen Saunabad.“

„Aber voran dann? Vielleicht hatte er einen Herzinfarkt.“

„Vielleicht. Vielleicht steckt auch etwas anderes dahinter. Das muss die Gerichtsmedizin klären. In jedem Fall spricht die versperrte Tür dafür, dass es nicht unbedingt ein natürlicher Tod war.“

„Wer hat den Toten eigentlich gefunden?“ Es waren Julia Wills erste Worte, seit sie das Gebäude betreten hatte.

„Ich, als ich die Saunaautomatik starten wollte.“

Bohlan zückte seinen Block und machte sich einige Notizen.

„Das ist übrigens die Sporttasche von Momsen.“

Meier deutete in den Umkleideraum und ging zielstrebig auf die Tasche zu.

„Halt!“, rief Bohlan, der gerade noch rechtzeitig von seinem Block aufgesehen hatte. Meiers Hand war der Sporttasche schon gefährlich nah gekommen.

„Nicht anfassen, wir müssen noch die Spuren sichern.“

„Oh, ja, natürlich“, stammelte Meier. „Sie müssen entschuldigen. Das ist alles eine sehr ungewohnte Situation für mich.“

„Kommen Sie. Sie können uns noch das Fitness-Studio zeigen.“ Will zog Meier am Arm hinaus. Bohlan winkte Spurensicherung und Gerichtsmedizin in die Sauna und gab einige Instruktionen. Während der Fotograf begann, den Tatort aufzunehmen, betraten die Kommissare und Frank Meier den Kraftraum. Etwa zwanzig Geräte standen dort dicht an dicht und glänzten silberfarben und schwarz. Boden und Wände waren in Orange und Gelb gehalten.

„Wir haben für jede Muskelpartie etwas, schauen Sie hier …“ Bohlan versuchte wegzuhören und schritt die Räumlichkeiten ab. Alles machte einen sehr sauberen und aufgeräumten Eindruck. Als er wieder bei Will und Meier angekommen war, wandte er sich an Meier.

„Sagen Sie mal, wann wird hier eigentlich geputzt?“

„Jeden Morgen bevor wir öffnen.“

„Aha, auch heute Morgen.“

„Davon gehe ich aus.“

„Warum wurde der Tote dann nicht von der Putzfrau gefunden?“

Meier trat von einem Bein auf das andere.

„Na ja, wissen Sie, sie ist nicht so gewissenhaft. Manchmal lässt sie was weg, um früher fertig zu werden.“

Bohlans Blick fiel unwillkürlich in eine Ecke, er konnte aber keinen Dreck entdecken. Will schaltete sich ein.

„Wir bräuchten dann natürlich noch ein paar Daten.“

„Selbstverständlich. Lassen Sie uns ins Büro gehen.“

Meier schritt voraus. Erst jetzt fiel Bohlan auf, dass sein Gang sehr ungewöhnlich war. Er lief nicht rund, sondern zog den rechten Fuß bei jedem Schritt nach.

3. Kapitel

Als die beiden Kommissare das Gebäude verließen, saßen schon die ersten Gäste mit gefüllten Krügen vor sich und lockeren Sprüchen auf den Lippen im Biergarten. Der Leichenfund hatte sich schnell herumgesprochen, was weitere Gäste anzog. Bohlan und Will setzten sich zu Achim Zeller, dem Wirt der Gaststätte, als das unnachahmliche Donnern einer Harley Davidson sie aufblicken ließ. Walter Steinbrecher, wie immer mit schwarzer Lederhose und schwarzem T-Shirt bekleidet, fuhr direkt bis zu dem Verkaufsstand, der vor der Gaststätte aufgebaut war.

„Hey, siehst du nicht, dass ich hier Gemüse verkaufe? Du verstellst den Weg und rußt die Tomaten voll!“, blökte ihn ein graumelierter Endvierziger mit Jeans und Wildlederweste an.

Seelenruhig stieg Steinbrecher von der Harley, klemmte sich den Helm unter den Arm und schaute den Westenträger mit versteinertem Gesicht an. „Schnauze, Spargeltarzan.“

Steinbrecher erblickte Bohlan und marschierte durch die Stuhlreihen, gefolgt von einem wütenden Gemüseverkäufer. Dann ging alles sehr schnell. Steinbrecher begrüßte Bohlan und Will. Zellers Gesicht verformte sich vor Entsetzen zu einer Fratze. Bohlans Hand stieß nach vorne und warf das Glas Wasser um, das auf dem Tisch gestanden hatte. Das Wasser spritzte gegen Steinbrechers Hose. Das Glas fiel zur Erde und zersprang in tausend Scherben. Steinbrecher bückte sich schimpfend und die Faust des Westenträgers schlug mit voller Wucht auf den Tisch. Er heulte auf vor Schmerz, griff aber trotzdem nach Steinbrecher, der sich wieder aufgerichtet hatte. Zeller ging dazwischen.

„Lass gut sein, Peter. Das sind alles Polizisten.“

Peters Gesicht lief rot an und dann schlich er murmelnd von dannen.

„Nehmen Sie es ihm bitte nicht übel. Er ist ein Hitzkopf.“

„Wir haben Wichtigeres zu tun“, entgegnete Bohlan, und Steinbrecher, der die ganze Szene gar nicht richtig mitbekommen hatte, setzte sich auf den freien Stuhl.

„Also noch mal, Herr Zeller. Wie war das gestern Abend genau?“, nahm Will das Gespräch wieder auf.

„So genau kann ich Ihnen das natürlich auch nicht sagen. Es war recht viel los. Ich habe Momsen kommen gesehen, so gegen neun muss das gewesen sein. Kurz bevor er in den Keller gegangen ist, bekam er noch einen Anruf auf seinem Handy. Er wirkte ziemlich verärgert.“

Achim Zeller war Mitte fünfzig, hatte ein rundes Gesicht und einen ebensolchen Bauch. Kleine Schweißperlen standen auf seiner Stirn und man merkte seiner Aussprache die Berliner Herkunft deutlich an.

„Haben Sie verstanden, worum es in dem Telefonat gegangen ist?“

„Nein, das mit dem Handy weiß ich auch nur, weil es mir die Verena, also meine Abendbedienung, erzählt hat. Momsen stand einige Zeit auf der Treppe und somit im Weg herum.“

„Wann ist die Verena wieder da?“

„Immer abends.“

„Wissen Sie, wer außer Momsen gestern Abend noch im Fitness-Studio war?“

„Nee, ich kontrolliere doch nicht die ganzen Besucher.“

„Das habe ich auch nicht gemeint. Aber vielleicht ist Ihnen jemand aufgefallen?“

„Warten Sie mal, ich glaube, kurz vor zehn ging so ein junger Sportler. Der ist oft hier. Ich weiß aber den Namen nicht.“

„Achim, kommst du bitte mal!“ Der Blaumann, der vorhin den Hof abgespritzt hatte, lugte aus der Eingangstür. „Es gibt ein Problem mit dem Bierfass.“

„Sie entschuldigen mich einen Moment“, murmelte Zeller im Aufstehen.

„Sicher.“

Als Zeller außer Hörweite war, berichtete Will den bisherigen Stand und Bohlan schimpfte über Klaus Gerding.

„Ich glaube, du tust Klaus unrecht. Er muss auch sehen, wo er Leute herbekommt. Die Personalnot zehrt uns alle auf.“

„Deswegen muss er aber nicht einfach den Hörer auflegen.“

„Was weißt du, was heute Morgen schon wieder alles los war? Und Diskussionen mit dir sind auch nicht immer leicht.“

Bohlan grummelte etwas vor sich hin.

„Immerhin hat er mich angerufen und gebeten, euch abzulösen. Steininger müsste auch gleich hier sein. Also macht euch vom Acker. Wir machen hier weiter.“

„Das ist ja mal eine positive Nachricht.“

„Darf ich Ihnen noch etwas zu trinken anbieten?“ Achim Zeller war aus dem Gastraum zurückgekehrt. Die Schweißperlen auf der Stirn waren deutlich mehr geworden und auch auf seinem Hemd zeichneten sich Flecken ab. Steinbrecher orderte einen Kaffee. Bohlan und Will verabschiedeten sich. Als sie das Gelände verließen, stießen sie mit Jan Steininger zusammen, der um die Ecke gehechelt kam. Steininger, ein junger Kommissar Ende zwanzig, war groß gewachsen. Er trug seine blonden Haare kurz geschnitten und links gescheitelt. Haargel sorgte für die bleibende Form. Hinter seiner kantigen Silberrandbrille blitzten zwei blaue Augen. Er war der vierte Mann in Bohlans Ermittlungsgruppe und bildete meist mit Walter Steinbrecher ein Team. Außer ihrer Namensähnlichkeit hatten sie indes wenig Gemeinsamkeiten. Anfänglich war es deshalb zu einigen Reibereien gekommen, doch mittlerweile hatten sie zueinandergefunden und sich schätzen gelernt. Lediglich Steinbrechers Tabakkonsum führte noch zu gelegentlichen Dissonanzen.

„Morgen“, drückte Bohlan heraus.

Steininger begrüßte die beiden mit einem entschuldigenden Lächeln.

„Sorry, dass ich so spät komme, aber mein Auto ist kaputt und samstags mit der U-Bahn hier raus, das dauert. Was ist passiert?“

Bohlan fasste die Ereignisse des Vormittags kurz zusammen und verwies auf Steinbrecher. Dann machten sich Bohlan und Will auf den Rückweg.

4. Kapitel