Cookies mit Käsesauce - Sandra Gernt - E-Book

Cookies mit Käsesauce E-Book

Sandra Gernt

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Beschreibung

Gay Romance Danny hatte nie geplant, schon mit einundzwanzig alleinerziehender Vater zu werden, aber manchmal passieren Dinge, die niemand aufhalten kann. Er liebt seine Tochter über alles und es gibt nichts, was er für seinen fünfjährigen Engel nicht tun würde. So ist es auch selbstverständlich, dass er sie mit allen Mitteln beschützt, als ihre kleine Familie bedroht wird. Nick liebt seinen Job und sein Leben. Als Polizist kann er zwar nicht offen schwul sein und muss die Stadt wechseln, wenn er in Clubs abhängen will, aber für ihn ist es perfekt, so wie es ist. Eine enge Beziehung oder sogar eine Familie kommen für ihn auf keinen Fall infrage. Dann stolpert allerdings Danny in seine Arme und plötzlich wird es kompliziert … Ca. 53.000 Wörter Im normalen Taschenbuchformat hätte diese Geschichte knapp 260 Seiten.

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Gay Romance

 

Danny hatte nie geplant, schon mit einundzwanzig alleinerziehender Vater zu werden, aber manchmal passieren Dinge, die niemand aufhalten kann. Er liebt seine Tochter über alles und es gibt nichts, was er für seinen fünfjährigen Engel nicht tun würde. So ist es auch selbstverständlich, dass er sie mit allen Mitteln beschützt, als ihre kleine Familie bedroht wird.

Nick liebt seinen Job und sein Leben. Als Polizist kann er zwar nicht offen schwul sein und muss die Stadt wechseln, wenn er in Clubs abhängen will, aber für ihn ist es perfekt, so wie es ist. Eine enge Beziehung oder sogar eine Familie kommen für ihn auf keinen Fall infrage.

Dann stolpert allerdings Danny in seine Arme und plötzlich wird es kompliziert …

 

Ca. 53.000 Wörter

Im normalen Taschenbuchformat hätte diese Geschichte knapp 260 Seiten.

 

 

Von

Sandra Gernt und Brigitte Melchers

 

Dinge, die Mütter so tun

 

„Daddy, Daddy, Daddy!“

Danny stolperte lachend rückwärts, als seine Tochter ihm mit Schwung in die Arme sprang. Marie besaß für ihre fünf Jahre jede Menge Kraft und sie freute sich immer, wenn er sie nachmittags abholte, als wären sie jahrelang voneinander getrennt gewesen.

„Hey, mein Schatz!“ Er hob sie hoch und drückte sie fest an sich, um ihr einen Kuss auf die Wange zu geben. „Wie war dein Tag?“, fragte er sie. „Nein – lass mich raten. Du hast mit Wasserfarben gemalt. Und es gab etwas mit Tomatensauce zum Mittagessen.“

„Wieso weißt du das? Wieso weißt du immer alles?“, quietschte sie zwischen Empörung und Lachen.

„Du hast grüne Farbe in den Haaren.“ Er zupfte an ihren goldblonden langen Strähnen, die heute Morgen noch ein ordentlicher Pferdeschwanz gewesen waren. Die pinkfarbenen Einhorn-Haarspangen hingen kreuz und quer auf ihrem Kopf, sie hatte offenkundig ordentlich getobt. „Und selbstverständlich gibt es irgendwas mit Tomatensauce, wenn Daddy dumm genug war, dir ein weißes Sommerkleid rauszulegen.“

Marie grinste verlegen, als sie auf ihr Kleid hinabblickte. Man sah, dass jemand versucht hatte, die schlimmsten Flecken rauszuwaschen.

„Wir könnten Blümchen drumherum sticken. Das hat Rhonda gesagt“, meinte sie, bevor sie zappelte, um zurück auf den Boden zu kommen und ins Haus zu rennen. Dort stand Rhonda bereits mit Maries Schulrucksack und Strickjacke bereit. Sie war die Tagesmutter, die Marie von der Vorschule abholte und sie betreute, bis Danny gegen halb fünf kam. Sie versorgte Marie mit einem Lunch, spielte mit ihr, las ihr vor, ging mit ihr zum Spielplatz, wenn das Wetter schön war. Joshua, ihr eigener Sohn, war bloß ein Jahr älter als Marie, die beiden verstanden sich prima.

Danny überquerte den ordentlich gemähten, spätsommerlich verdörrten Rasen, um noch ein paar Worte mit Rhonda zu wechseln. Sie war Halb-Koreanerin, hier in Amerika geboren und aufgewachsen.

„War alles okay soweit?“, fragte er und beobachtete lächelnd, wie Marie sich von Joshua verabschiedete, als würde einer von ihnen beiden in den Krieg ziehen und sie sich niemals wiedersehen.

„Problemlos. Tut mir leid, ich wollte ihr ein Lätzchen geben, aber sie hat beim Kochen geholfen und sich schon vollgespritzt, bevor der Teller auf dem Tisch stand.“ Rhonda zuckte entschuldigend mit den Schultern.

„Ist nicht schlimm. Das Kleid ist ihr ja eigentlich schon zu klein, das war vermutlich sein letzter Einsatz. Das erzählen wir Marie natürlich nicht.“ Er drückte mit übertriebener Geste den Zeigefinger gegen die Lippen.

„O nein, wir wollen ja keinen Weltuntergang riskieren.“

Wie üblich hörte Marie nicht für eine Sekunde auf zu plappern, während sie Hand in Hand nach Hause gingen. Es waren bloß drei Straßen bis zu ihrem kleinen Haus und das Wetter war so frühherbstlich schön und angenehm, dass Danny gerne auf das Auto verzichtete.

Er musste sowieso viel zu viel sitzen, er arbeitete in der Rechnungsabteilung einer großen Bankfiliale. Bankbuchhaltung war nicht gerade der aufregendste Job dieser Welt. Der Verdienst war allerdings unschlagbar gut, er hatte geregelte Arbeitszeiten, quasi nie Überstunden, jedes Wochenende frei, drei Wochen Urlaub im Jahr und eine perfekte Krankenabsicherung. Dafür war ihm die Langeweile einerseits, die große Verantwortung beim Umgang mit Vermögenswerten absolut wert.

Danny liebte diese Phase am Tag, wenn Marie ihn rigoros in ihre kleine Welt holte. Wenn alles sich darum drehte, was sie erlebt und gedacht und gefühlt hatte, sie stolz berichtete, was sie heute lernen durfte, wie sie in der Pause schneller gerannt war als Louis LeGrand, der sonst immer der schnellste Junge war. Sie plapperte und plapperte und er hörte ihr zu, während er fühlte, wie er die Bank, seinen Alltag, die teils anstrengenden Kollegen, die störenden Telefonate, die vielen großen und kleinen Sorgen und Probleme abstreifte wie einen unbequemen Mantel. Morgen früh würde er ihn wieder anziehen müssen, doch bis dahin würde er ausschließlich Maries Dad sein. Er liebte diese Phase ganz einfach.

Als sie am Haus von Mrs. Vanniger vorbeikamen, zog Danny den Kopf ein, sobald er sah, dass sie im Vorgarten arbeitete. Leider bemerkte sie ihn dennoch und kam wie üblich auf ihn zugeschossen.

„Guten Tag“, grüßte er höflich.

„Danny, mein Lieber. Marie. Wie geht es euch beiden?“, fragte sie und verrenkte ihren arg übergewichtigen Körper auf merkwürdige Weise, um über den Zaun auf Marie herabblicken zu können.

„Dein Pulli passt nicht zu der Leggins“, entgegnete Marie mit entwaffnendem Lächeln. „Daddy sagt immer, Rot und Weiß, das trägt nur der Weihnachtsmann.“

Danny krümmte sich innerlich. Ja, das knallige Rot war schon schwierig, zumal Mrs. Vannigers Haar violett gefärbt war. Dazu die viel zu enge weiße Leggins, die absolut keine gute Wahl für Gartenarbeit war. Leider hatte die Dame generell einen etwas merkwürdigen Geschmack, was ihre Bekleidung anging, wozu auch ihre riesigen Ohrringe und das halbe Dutzend Ketten aus bunten Plastikperlen gehörten. Wie oft hatte Danny seiner Tochter bereits gesagt, dass sie solche Dinge nicht laut aussprechen sollte!

„Hach, so süß, die Kleine …“ Zum Glück war die Frau vollkommen resistent gegen jegliche Form von Kritik. „Danny, Sie MÜSSEN am Wochenende Zeit für mich finden. Meine Tochter kommt zum Grillen und ich bin wirklich traurig, dass wir dieses Jahr noch gar nicht zusammengekommen sind. So als gute Nachbarn …“ Sie zwinkerte anzüglich. Nicht dass sie ihn selbst anzuflirten versuchte, wofür Danny ihr sehr dankbar war. Immerhin war sie mit ihren zweiundfünfzig Jahren exakt doppelt so alt wie er. Nein, sie versuchte mit erstaunlicher Beharrlichkeit, ihn mit ihrer Tochter Faye zu verkuppeln. Die war ein Jahr jünger als Danny und sogar recht nett. Trotzdem wollte er nicht mit Faye ausgehen und sie nicht mit ihm. Mrs. Vanniger war nicht allzu empfänglich für das Wörtchen „Nein“, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. In ihrer Vorstellung konnte ein alleinerziehender Vater einfach nicht existieren. Sie wollte ihn retten, sie wollte Marie eine Mutter verpassen und sie wollte um jeden Preis, dass Faye diese Mutter sein würde. Egal wie oft ihre Tochter ihr erklärte, dass sie mit ihrem Jurastudium vollkommen ausgelastet war und das Thema Familie aktuell noch keine Rolle in ihrem Leben spielte.

Es kostete auch diesmal wieder einiges an Kampf und Ausreden und Notlügen, um Mrs. Vanniger so schonend wie möglich abzusagen.

„Du hast geschwindelt, Daddy!“, stellte Marie gnadenlos fest, als sie endlich weitergehen konnten. „Das ist böse.“

„Ich weiß, mein Schatz. Leider ist es sehr kompliziert mit uns großen Leuten. Wir wollen ja immer die Wahrheit sagen. Mrs. Vanniger will die Wahrheit bloß nicht hören, eben dass ich nicht bei ihr zum Barbecue eingeladen werden möchte und es mir keinen Spaß macht, Zeit mit ihr und ihrer Tochter zu verbringen. Das würde sie sehr verletzen. Also muss ich Lügen erfinden, wie beschäftigt wir zwei am Wochenende sind und wie viele Termine wir haben. Damit sie nicht verletzt wird. Lügen ist besser, als anderen weh zu tun.“

„Okay, Daddy.“ Marie schien noch immer skeptisch, aber sie ließ sich mit der Frage ablenken, was es zum Dinner geben sollte, kaum dass sie ihr Haus betreten hatten. „Mac’n Cheese, Mac’n Cheese!“, krähte sie sofort und begann wie ein kleiner Kobold zu hüpfen.“

„Nein, mein Schatz, nein!“ Danny schüttelte lachend den Kopf. „Du hattest schon zweimal Käsesauce diese Woche und heute Mittag hattest du Pasta. Du wirst noch selbst zur Käsesauce, wenn du so weitermachst!“

„Ach menno! Käsesauce ist das besteste Essen der Welt! Außer Cookies. Cookies sind noch besser. Bitte, Daddy? Biiiiitte?“ Sie warf sich auf den Boden und umklammerte seine Beine, bis Danny sie zu kitzeln begann.

„Keine Käsesauce, keine Nudeln und erst recht keine Cookies!“, sagte er gespielt streng, während er zusammen mit ihr lachte.

„Na gut. Dann halt diese Reisbällchen.“

Er durfte sämtliche Gemüsesorten nur dann auf den Tisch bringen, wenn sie kleingeschreddert und in Reis versteckt waren. Überbacken aus dem Ofen statt frittiert waren die Bällchen gesund genug, um von der Nachbarschaftspolizei durchgewinkt zu werden.

Danny wusste, wie scharf er unter Beobachtung stand. Ein alleinerziehender Vater mit Tochter in einem wohlhabenden Großstadtvorort, ein Mann, der keine Dates hatte, der nicht einmal versuchte, eine neue Frau zu finden, das war extrem verdächtig. Er musste seinen Garten ordentlicher halten als alle anderen, das Haus von innen wie außen immer im bestmöglichen Zustand präsentieren, wenn unvermutet Leute aus der Nachbarschaft hereinschneiten – vorgeblich, um über Straßenbeleuchtung, Wohltätigkeitssammlungen oder Ärger mit dem Zeitungsjungen zu reden. Marie musste stets gut gekleidet und ordentlich sein und selbstverständlich ging er brav am Sonntag mit ihr in die Kirche und ließ sich auf größeren Veranstaltungen blicken.

Verdächtig blieb er dennoch. Ein gutaussehender Mittzwanziger mit Kind und Job, der alles in perfekter Ordnung hielt, freundlich und hilfsbereit war und dennoch keine Frau abbekam … Könnte ja auch ein Serienkiller sein … Verdammt, wann sollte er denn Zeit zum Daten finden?

 

 

 

 

„Hey, Nick!“

Er fuhr leicht zusammen, als Luca ihm krachend auf den Rücken schlug. Beinahe hätte er sein Handy fallen gelassen, er konnte es gerade noch auffangen.

„Wo bist du denn schon wieder mit deinen Gedanken, Kumpel, hm?“ Luca grinste müde und öffnete seinen Spind, um sich umzuziehen. Sie hatten beide Feierabend und wie üblich hatten sie ihn sich hart verdienen müssen. Es war eben immer was los in New York.

„Meine Mom will, dass ich am Wochenende vorbeikomme.“ Nick ließ das Handy seufzend in seinen Rucksack fallen. Er liebte seine Eltern von ganzem Herzen, aber er hatte andere Pläne am Wochenende. Außerdem war seine Tante Aubrey ebenfalls eingeladen. Sie und ihr Mann konnten ziemlich anstrengend sein und er hatte sich wirklich auf den Trip nach New Jersey gefreut. Es war schon wieder eine Weile her, dass er sich das letzte Mal ausgetobt hatte. War es albern, die Stadt zu wechseln, nur weil man einen schwulen Club besuchen wollte? Definitiv, zumal New York mehr als groß genug war und er lediglich Brooklyn meiden müsste. Trotzdem konnte er da nicht aus seiner Haut raus, seit er als Teenager zum ersten Mal auf die Piste gegangen war und im Club – der nicht spezifisch queer war – einem Bekannten aus der Nachbarschaft in die Arme lief. Die Sorge, dass die falschen Leute herausfanden, wie er tickte, drückte zu sehr, er brauchte die Sicherheit, den Rückhalt unter seinen Kollegen. Jeder andere dürfte es gerne wissen, er würde es sogar vor laufender Kamera eingestehen, ohne sich zu schämen, denn er war wirklich gerne schwul. Sein Job war ihm bloß wichtiger als das und es konnte den Unterschied ausmachen, ob man überlebte oder nicht, wenn es hart auf hart kam. Infolgedessen konnte er allerdings auch nur raus, wenn er frei und keine Bereitschaft hatte und definitiv abschalten durfte. Das kam selten genug vor. Warum musste Tante Aubrey dabei sein? Ohne sie hätte er kein Problem mit der Einladung.

„Wenn Mama ruft, sollte man Folge leisten, das weißt du. Und am Ende wird es bestimmt wieder lustig sein und sie gibt dir zehn Pfund Essen mit. Damit du armer Kleiner nicht vom Fleisch fällst.“ Luca lachte, wie üblich. Er gehörte zu den Typen, die dem Leben ins Gesicht lachten, egal was es aufbot, um ihn kleinzukriegen. Als Polizist war das nicht die schlechteste Art von Partner, die man an seiner Seite haben konnte. Zum einen wurde es mit ihm nie langweilig, zum anderen weckte er mit seiner offenen, freundlichen Art Vertrauen und manch brenzlige Situation wurde entschärft, bevor es ernst werden konnte.

„Gehen wir noch was trinken?“, fragte Luca.

Nick schaute auf die Uhr. Es war schon spät und morgen mussten sie wieder zur üblichen Zeit raus.

„Nein. Morgen Abend gerne, da ich ja ein braver Sohn bin und übermorgen zu Mama fahre, statt unartige Dinge zu treiben. Aber heute will ich pünktlich ins Bett.“

„Hast recht, Kumpel. Okay! Dann grüß mir das Buch, das du gleich liebend in die Arme schließt. Ich schau dann mal, was Netflix zu bieten hat, um mir das Hirn zu Brei zu kochen.“

Nick grinste bloß. Es war ein Running Gag zwischen ihnen, dass er wieder mehr lesen sollte, was er sowieso nicht tun würde.

„Okay, wir zwei haben also morgen ein Date. Ich mach mich hübsch, keine Sorge.“ Luca klimperte mit den Lidern und spitzte die Lippen, bis Nick ihm einen spielerischen Boxhieb versetzte.

„Idiot! Sieh zu, dass du nach Hause kommst. Und vielleicht suchst du dir am Wochenende mal wieder ein richtiges Date.“ Luca schleppte gerne Frauen aus Clubs ab, genoss heißen Sex und hatte auch nichts dagegen, am Morgen danach mit ihnen zu frühstücken. Spätestens dann war allerdings Schluss. Feste Beziehungen waren ihm zu kompliziert, er hatte es häufig genug ohne Erfolg versucht. Zu wenige Leute hatten Verständnis dafür, was der Job forderte.

Nicht zum ersten Mal dachte Nick darüber nach, sich Katzen anzuschaffen. Zwei kuschelige Stubentiger, die sich freuten, wenn er nach Hause kam, die er verwöhnen und umsorgen konnte. Ja, das würde ihm ganz gut gefallen. Leider war seine Wohnung sehr, sehr klein und das wäre für zwei Katzen, die auf keinen Fall in den Freigang durften, weil sich die Lebenserwartung dann schlagartig auf wenige Stunden reduzierte, eine echte Quälerei.

 

 

„… und wenn sie nicht gestorben ist, dann backt sie noch heute ihre köstlichen Kuchen und Plätzchen.“

Danny beendete Maries „Jetzt ist Schlafenszeit“-Vorlesebuch. Es handelte von einem Mädchen, das lieber Bäckerin werden wollte als Prinzessin sein zu müssen und mithilfe einer freundlichen guten Fee ihren Traum erfüllen konnte, indem sie den Platz mit einem anderen Mädchen tauschen durfte, das sich nichts sehnlicher wünschte, als eine Prinzessin zu sein. Ein kindgerechtes Märchen darüber, dass es für jeden Menschen den richtigen Platz auf der Welt gab.

„So, mein kleiner Lieblingscookie.“ Er gab ihr einen Kuss auf die Nase. „Zeit zum Schlafen.“

„Daddy.“ Sie blickte ihn auf eine Weise an, bei der ihm sofort das Herz sank. Wenn Marie sehr ernst und leise wurde, dann bedrückte sie etwas, und das ertrug er nicht gut. Diese Welt war kompliziert und grausam und er wünschte sich nichts weiter, als dass sein kleines Mädchen unbeschwert glücklich sein durfte. So lange das eben irgendwie möglich war – spätestens mit der Pubertät endete die Unbeschwertheit.

„Daddy, heute hat Siobhan etwas ganz Gemeines zu mir gesagt.“

Siobhan war ein Mädchen aus Maries Gruppe und eigentlich mochten die beiden sich sehr gerne. Marie war bereits bei ihr zu Hause zum Spielen gewesen und Siobhan hatte sie zum Geburtstag eingeladen.

„Was war denn los, Schatz?“, fragte Danny.

„Sie meinte, wenn meine Mommy weggelaufen ist, als ich noch ein richtig kleines Baby war, dann muss ich böse sein, denn Mommys würden niemals weglaufen und ihre Babys im Stich lassen. So etwas macht eine Mom einfach nicht.“

„Oje, mein Engel.“ Kummervoll drückte er ihr einen Kuss auf die Stirn und nahm sie dann fest in den Arm. „Siobhan hat insoweit recht, dass die meisten Mommys ihre Babys niemals im Stich lassen würden. Und die meisten Daddys natürlich auch nicht. Man liebt seine Kinder schließlich sehr. Deine Mom war allerdings noch sehr jung und ihr ging es überhaupt nicht gut. Deshalb wollte sie, dass du bei mir bist. Sie wollte, dass du versorgt und geliebt wirst, was sie selbst nicht tun konnte. So lieb hatte sie dich, dass sie dich aufgeben konnte, damit du es richtig gut hast. Denn natürlich hätte sie dich viel lieber für sich behalten. Aber dann wäre es schlimm für dich geworden. Sie konnte ja kaum für sich selbst sorgen.“

„Warum nicht?“

„Weil … Nun, weil es ihr so schlecht ging, konnte sie nicht arbeiten gehen und sie hatte Schwierigkeiten, sich eine Wohnung zu leisten.“ Danny suchte fiebrig nach Worten und Erklärungen, die Marie verstehen konnte. In Wahrheit erinnerte er sich kaum an Stella und wusste nichts über sie. Er war auf einer Collegeparty an sie geraten, irgendjemand hatte sie angeschleppt. Sie waren beide betrunken gewesen, hatten miteinander getanzt, gelacht, hatten Sex im Badezimmer. Er bildete sich ein, dass er dabei ein Kondom benutzt hatte, aber irgendwas war ganz offensichtlich schief gegangen. Ein Dreivierteljahr später hatte es an seiner Tür im Collegewohnheim geklopft. Morgens um vier hatte es eine Weile gedauert, bis er sich aus dem Bett gequält hatte und beinahe über die Sporttasche gefallen wäre, die jemand dort abgestellt hatte. Eine Tasche mit einem Neugeborenen darin, dazu ein Zettel, auf dem stand, dass dies seine Tochter wäre und er sich gefälligst um sie kümmern solle. Alle hatten gelacht, fanden das irgendwie spannend, weil es an Harry Potter erinnerte. Leider war es kein Scherz und keineswegs zauberhaft, auch wenn er das Baby absolut entzückend fand, für das er die Polizei rufen musste. Einen Vaterschaftstest später wusste er, dass er tatsächlich mitverantwortlich dafür war, dass dieses kleine Geschöpf die Welt betreten hatte, und er hatte trotz des Schocks die Verantwortung übernommen. Anfangs hatten seine Eltern ihn unterstützt, damit er das Studium nicht unterbrechen musste. Ziemlich schnell konnte und wollte er aber selbst für Marie sorgen, außer in den Prüfungsphasen – da war die Kleine für zwei Wochen zu seinen Eltern gegangen, damit er sich optimal vorbereiten konnte.

Natürlich hatte er alles versucht, um Stella wiederzufinden. Niemand erinnerte sich, woher sie gekommen war, wohin sie gehörte. Sie war einfach irgendeine junge Frau, die ihre neugeborene Tochter abgeschoben hatte. Für Danny war es tröstlich gewesen, dass sie sehr sicher gewusst hatte, wer der Vater sein musste. In seiner Erinnerung war sie vielleicht ein wenig dünn gewesen, aber keineswegs verwahrlost oder drogensüchtig. Warum sie Marie nicht haben wollte, blieb darum ihr Geheimnis.

All diese Dinge konnte man einer Fünfjährigen natürlich nicht erklären, zumal er die Antworten auf die wichtigsten Fragen ja selbst nicht kannte. Er mühte sich also, Marie zu beschwichtigen. Ihr zu versichern, dass ihre Mom aus Liebe gehandelt hatte, selbst zu krank und zu schwach gewesen war, um Marie bei sich zu halten. Dass er selbstverständlich auch für sie gesorgt hätte, doch Stella wollte es anscheinend nicht, denn sie hatte nicht danach gefragt.

„Wenn sie irgendwann gesund wird, kommt sie mich dann besuchen?“, fragte Marie schließlich. Sie war schon sehr müde, die Augen wurden ihr schwer und dennoch konnte sie nicht aufhören.

„Ich weiß es ehrlich gesagt nicht, Süße“, entgegnete Danny zögerlich. „Da ich sie nie wieder gesehen habe und nicht weiß, wo sie jetzt ist, kann ich dir das nicht sagen.“

Marie umklammerte ihr Lieblingskuscheltier, eine braune, zottelige Kuh namens Mathilda, die schon ziemlich zerliebt war.

„Wenn Mommy irgendwann gesund wird, besucht sie mich“, plapperte sie und schloss die Augen. Danny seufzte innerlich. Na ja. Für jetzt reichte das wohl. Mit den Jahren würde er es ihr deutlicher erklären können. Es war nicht einfach, sich ungewollt zu fühlen. Die Mutter ein Leben lang suchen zu müssen, weil dieser wichtige Teil der eigenen Wurzeln fehlte. Irgendwann würde sie verstehen, dass sie ein Zufall gewesen war. Ein Unfall, der aus Versehen geschehen war. Das wollte niemand hören … Bis dahin musste er seiner Tochter klar gemacht haben, wie sehr er sie liebte. Wie wichtig sie für ihn war und wie dankbar, dass Stella das Kind tatsächlich ausgetragen hatte.

„Schlaf gut, mein Schatz.“ Ein letzter Kuss, dann löschte er das Licht und schlich sich aufgewühlt aus dem Kinderzimmer. Niemand hatte je behauptet, dass Eltern sein leicht werden würde …

 

Überfall

 

„Kannst du das bitte mitnehmen?“ Margaret schob eine Akte über den Schreibtisch. Danny nickte seiner Kollegin lächelnd zu. Sie stand kurz vor der Rente und vermied gerne Stress, wie sie es formulierte, während sie sich den fünften Kaffee innerhalb von zwei Stunden besorgte. Eine Etage tiefer zu gehen, um dem Bankdirektor Unterlagen zur Unterschrift vorzulegen, war keineswegs der beliebteste Job. Mr. Howard war eben leider in jeder denkbaren Beziehung ein lebendes Fossil. Mit seinem stolzen Alter von neunundsiebzig Jahren sollte er eigentlich längst den Platz für einen jüngeren, dynamischeren Nachfolger geräumt haben. Bedauerlicherweise war er fest entschlossen, auf seinem Stuhl sitzen zu bleiben, bis man ihn mit den Füßen voran aus dem Gebäude tragen musste.

Da die anderen wichtigen Entscheidungsträger jung genug und ehrgeizig waren und ein alter weißer Mann in konservativen Bankerkreisen mit Hochachtung und Loyalität rechnen durfte, würde ihnen Mr. Howard wohl noch ein Weilchen erhalten bleiben. Mit all seinen Macken, misogynen Grundeinstellungen und der zunehmenden Verwirrung, die sich bislang noch weglächeln ließ.

Auch wenn wirklich gar nichts niedlich daran sein konnte, wenn der Direktor einer großen, internationalen Geldinstitution Schwierigkeiten hatte, sich an seine Termine zu erinnern und seine Gesprächspartner mit dem richtigen Namen anzusprechen.

Mr. Howard wirkte immer ein wenig irritiert, wenn Danny zu ihm kam. So, als könne er sich nicht erinnern, ihn jemals zuvor gesehen zu haben. Da der gute Mann daran gewöhnt war, von freundlich lächelnden Anzug-und-Krawatte-Trägern Dokumente vorgelegt zu bekommen, mit kleinen Post-it-Aufklebern, wo genau die Unterschriften benötigt wurden, ließ sich das Schauspiel mehrfach täglich recht gut überstehen. Danny wechselte sich mit seinen Kollegen ab, zumeist konnten sie es den Frauen ersparen, diese Unannehmlichkeit durchstehen zu müssen. Bei ihnen erinnerte er sich auch nicht an die Namen, glich es aber mit anzüglichem Lächeln, „Schätzchen“ und „Liebchen“ aus, zwang sie, ihm Kaffee zu holen, obwohl er eine Sekretärin hatte, die den Job übernahm und gelegentlich rutschte ihm auch die Hand aus und er tatschte dorthin, wo seine Finger nichts zu suchen hatten. Ein echtes Fossil eben, aus Zeiten, in denen solches Verhalten genauso wenig okay gewesen war, aber toleriert wurde. Da Erziehungsmaßnahmen sinnlos waren, musste man es als Frau möglichst vermeiden, ihn seine Nähe zu kommen, oder in der Hierarchie hoch genug aufsteigen, um sich Widerworte erlauben zu können, ohne den Job zu riskieren.

Vollbepackt mit Akten, Ordnern und diversen Verträgen mit Bankkunden fuhr Danny vom dritten Stock hinab ins Erdgeschoss. Mr. Howards Büro befand auf derselben Ebene wie der Filialraum, wo die Kundschaft ein- und ausging und die Gesprächsräume waren, in denen den Leuten Hypotheken, Kredite und Versicherungen dargelegt wurden. Dank Onlinebanking waren heutzutage generell weniger Kunden im Haus, lange Schlangen vor den Geldschaltern gehörten der Vergangenheit an. Mr. Howard fand das ziemlich ungehörig, alle anderen freute es – weniger Personal bedeutete weniger Kosten und eine Konzentrierung auf große, internationale Geschäfte.

„Guten Morgen, Sir!“ Es war jedes Mal wie eine Audienz beim König, dieses Altmänner-Büro zu betreten. Schwere, dunkle Tropenholzmöbel, schweres dunkles Leder, Goldakzente, Kristall. Der dünn gewordene Mann im schwarzen Anzug passte nicht mehr so recht hinter den wuchtigen Schreibtisch. Gebeugt und kahl wirkte er nicht mehr imposant genug, um diesen Raum auszufüllen. Einige Bilder an der Wand, auf denen er mit breiten Schultern und zufriedenem Lächeln wichtigen Persönlichkeiten die Hände schüttelte, bewiesen deutlich, dass dies vor einigen Jahrzehnten anders gewesen war.

Danny wartete geduldig, die Hände auf dem Rücken gefaltet, während sein Boss sich durch die Papiere kämpfte, alles genau anschaute, unterzeichnete, das nächste Dokument an sich nahm. Ein Prozess, der in völligem Schweigen standfand. Derweil überlegte Danny, was er am Wochenende alles mit Marie unternehmen wollte. Das schöne Wetter, das angekündigt war, sollte genutzt werden, denn es würde nicht mehr lange dauern, bis die berüchtigte Ostküstenkälte mit Stürmen und Eis und Schnee sie wieder im Haus einsperren würde. Vielleicht könnten sie morgen noch einmal in den Wasserpark fahren, den er im Sommer entdeckt hatte, Marie hatte es dort geliebt. Da sie sicherlich gerne eine ihrer Freundinnen dabei haben wollte, musste er schauen, ob sich das organisieren ließ. Die Eltern der anderen Mädchen ließen ihn nicht gerne allein mit ihren Töchtern fahren und er konnte es ja durchaus verstehen … Egal wie anstrengend dieses ewige Misstrauen auch sein mochte, es war gut und wichtig, dass diese Leute ihre Kinder beschützen wollten.

„Das wäre alles?“, fragte Mr. Howard mit dünnem Stimmchen.

„Das wäre alles für den Moment, Sir. Vielen Dank, Sir.“ Danny nahm die gesammelten Unterlagen wieder an sich. Der alte Herr konnte einem irgendwie leidtun. Mrs. Howard war vergangenes Jahr gestorben, friedlich im Schlaf. Der älteste Sohn, der den Posten übernehmen sollte, war an Krebs dahingegangen, die anderen Kinder lebten mit den Enkeln weit fort, teilweise auf anderen Kontinenten. Es gab keinen Grund für ihn, in Rente zu gehen. Zu Hause wartete nichts auf ihn. Nichts und niemand.

Danny durchquerte den Vorraum, wo Rebecca die Front hielt. Auch sie war schon Mitte sechzig und hatte ihr gesamtes Berufsleben als Sekretärin von Mr. Howard zugebracht. Wer es sich mit ihr verscherzte, hatte fortan ein schweres Leben und sollte sich besser einen neuen Job suchen, denn sie konnte jedem den Zutritt ins Allerheiligste verbieten, einfach weil sie es wollte. Sie zwinkerte ihm schelmisch zu; Danny verstand sich gut mit ihr und achtete darauf, sie stets mit gehörigem Respekt zu behandeln. Er erwiderte die Geste, ging zur Tür, die ihn zurück in den Filialraum führte. Trat hinaus.

Ein Mann stand vor ihm. Groß. Seltsam gekleidet. Was genau wirklich seltsam an ihm war, begriff Danny erst, als es zu spät war: Er trug eine Maske über dem Kopf und eine automatische Waffe in der Hand.

„Aus dem Weg, Arschloch!“ Dunkle Augen starrten ihn finster an, drohten ihm, bloß keinen Widerstand zu leisten.

Ein heftiger Schlag ins Gesicht. Danny stürzte zu Boden. Der Kerl hatte ihm mit der Waffe ins Gesicht geschlagen! Sämtliche Akten und Papiere lagen verteilt auf dem blanken schwarzen Marmor. Er starrte hilflos auf das Desaster, unfähig sich zu bewegen oder Angst zu empfinden oder überhaupt irgendetwas, abgesehen von seinem wild pumpenden Herzen. Der Kerl hatte ihn geschlagen! Die Brust wurde ihm eng, er bekam kaum noch Luft. Was hier gerade geschah … So etwas sollte, es durfte nicht geschehen!

Ein zweiter Mann erschien. Ebenfalls mit Maske, ebenfalls mit einer Waffe.

„Beweg dich!“, brüllte er Danny an und wies in den Raum hinein. Überall kauerten Menschen auf dem Boden, die Arme über den Köpfen verschränkt. „Leg dich da hin, Arschloch! Sofort“

Die völlige Starre löste sich. Danny kam auf die Beine, eilte zu den anderen hinüber. Warf sich zu ihnen auf die Erde nieder. Ein Überfall! Das waren Bankräuber! Er wollte nicht sterben. Seine Gedanken kreisten unentwegt um Marie. Sie wäre elternlos, sollte ihm etwas passieren, das würde er niemals zulassen. Niemals! Unweit von ihm lag Javon, der Bankwächter. Er war ohnmächtig. Blut klebte an seiner Stirn, sickerte über die dunkle Haut. Doch er atmete, er lebte. Kein Schuss war gefallen.

Im Hintergrund war wütendes Geschrei zu hören. Rebecca versuchte alles, um Mr. Howard zu verteidigen. Ihre Schreie verstummten abrupt. Danny wimmerte vor Angst und vor Scham. Warum hatte er nichts getan? Warum hatte er nicht versucht, die Menschen zu warnen, die ahnungslos in ihren Büros saßen?

Ein Bewaffneter stand in der Nähe der Tür. Er war vollkommen ruhig. Seine Anwesenheit ließ sie allesamt still am Boden bleiben. Niemand sprach. Verängstigte, bleiche Gesichter und panische Augen. Nichts anderes war zu sehen. Panik in weit aufgerissenen Augen. Danny zitterte, während er von Atemzug zu fiebrigen Atemzug weiterlebte und das wilde Pumpen seines Herzens ertrug. Marie! Er wollte zu Marie!

Die beiden anderen Bankräuber erschienen. Sie trugen eine schwere silberne Kiste. Natürlich – es war Freitag. Ein Geldtransport musste angestanden haben. Frisch eingetroffen, noch nicht im sicheren Safe verstaut. Keine riesige Summe, vielleicht zweihunderttausend Dollar. Durch drei geteilt immer noch viel, viel Geld für wenig Aufwand und Risiko – zwei Wachleute im Safebereich, Javon hier oben.

Dannys Gedanken rasten. Die Bankräuber hatten Mr. Howards Code und einen Irisscan benötigt, um die Sicherheitstür zum Safebereich öffnen zu können. Es gab weitere Berechtigte, doch Mr. Howard war derjenige, der am besten zu greifen gewesen war.

Er blickte hoch. Die drei Bewaffneten waren fort. Polizeisirenen erklangen in der Ferne. Der Überfall war vorbei. Blitzschnell durchgezogen. Ein Profijob. Er kam auf die Beine, stolperte ins Büro, das er eben erst verlassen hatte. Rebecca lag vor ihrem Schreibtisch. Sie bewegte sich, das Gesicht von schierer Todesangst verzerrt. Ein dunkler Fleck breitete sich auf der tränenüberströmten Wange aus, gemeinsam mit verschmiertem Mascara. Es sah bizarr aus, doch sie würde leben. Er hetzte weiter zum Fahrstuhl. Der stand offen, weil Mr. Howard ihn blockierte. Aschgrau war das alte Gesicht und er atmete angestrengt.

„Wir brauchen einen Arzt!“, rief Danny über die Schulter. Hinter ihm kam allmählich Bewegung in die Menschen, die zu begreifen begannen, dass sie überlebt hatten. Dass die tödliche Gefahr vorübergezogen war wie ein Tornado, der sie lediglich gestreift hatte. „Mr. Howard, ganz ruhig. Sie sind in Sicherheit“, sagte Danny. Er kniete neben seinem zutiefst verstörten Boss nieder, fasste ihn behutsam an den Armen. „Die Polizei ist fast da, hören Sie? Es besteht keine Gefahr mehr. Die Verbrecher sind weg.“

„Wer sind Sie?“, stammelte Mr. Howard mit dünner Stimme.

„Ihr Angestellter, Mr. Howard. Bleiben Sie ganz ruhig sitzen.“ Obwohl er selbst von Kopf bis Fuß bebte, quälte er sich in die Höhe, ließ den alten Mann zögerlich zurück. Er musste sich bewegen, um ihm Hilfe zu bringen. Darum eilte er den Polizisten entgegen, die sich auf der Straße versammelten.

„Wir brauchen einen Arzt!“, rief er. „Der Bankdirektor hat einen Herzanfall, glaube ich und es gibt mehrere Verletzte. Die Räuber sind fort. Bitte, beeilen Sie sich!“

 

 

Nick hasste Banküberfälle. Wer skrupellos genug war, am helllichten Tag in ein Gebäude zu stürmen und mit vorgehaltener Waffe dutzende Menschen zu bedrohen, um Geld an sich zu raffen, kümmerte sich in der Regel nicht darum, wie viele Opfer dabei hinterlassen wurden. Diesmal war niemand erschossen worden und die Räuber hatten sich strikt professionell verhalten. Keine unnötige Gewalt, die bloß Zeit gekostet hätte. Keine Geiseln, keine Toten, die zum Henkersstrick wurden, wenn man die Täter schnappte. Nein, die Kerle hatten zielgerichtet und fokussiert gearbeitet und die Leute professionell eingeschüchtert. Schläge ins Gesicht verhinderten in der Regel, dass noch Gegenwehr erfolgte.

Nick kauerte sich zu dem jungen Mann nieder, der vorhin zu ihnen auf die Straße gerannt war. Das war die richtige Entscheidung gewesen, denn sonst wären kostbare Minuten verstrichen, in denen Nick und seine Kollegen erst einmal versucht hätten herauszufinden, ob die Bankräuber fort waren oder eine Geiselsituation vorlag.

Der junge Mann saß inzwischen mitten im Filialraum, lehnte mit dem Rücken an einen der Kassenschalter und starrte ins Leere. Um ihn herum wurde gearbeitet. Zeugen wurden verhört, die Spurensicherung war bereits tätig, eine Reihe von Angestellten aus den oberen Etagen, die überhaupt nichts von dem Überfall mitbekommen hatten, standen verloren herum und blickten schockiert auf das Geschehen.

„Mr. Kessler?“, fragte Nick behutsam. Der Name stand auf einem edel aussehenden, dezenten Schild, das an dem ebenso edlen und dezenten Anzug des jungen Mannes befestigt war. Gepflegtes blondes Haar. Schöne blaue Augen, denen man das Entsetzen ansah, der Schock, der gerade erst durchgestanden worden war. Ein sanftes, junges Gesicht. Herrje. Wären sie in einem Club, würde Nick ihn jetzt angraben, zur Not bis auf Mariannengrabenniveau. Es wurde wirklich Zeit, dass er sich mal wieder austoben ging. Er durfte nicht auf jeden hübschen Jungen anspringen, der seinen Weg kreuzte!

„Mr. Kessler?“, wiederholte er und berührte ihn vorsichtig am Arm. Ein heftiges Zucken, die erschrockenen Augen weiteten sich und Nick schmolz dahin wie Eis in der Sonne. Genau sein Typ. So hübsch!

„Sorry.“ Der junge Mann hatte offenkundig begriffen, wer ihm gegenübersaß und riss sich nun zusammen. „Ich bin Daniel Kessler. Danny. Sie können mich gerne Danny nennen“, sagte er etwas hektisch.

„Okay. Erzählen Sie bitte, was genau sich zugetragen hat, Danny, können Sie das für mich tun?“

„Ja. Hm – hier sind überall Kameras. Sicherlich wurde alles mit den Kameras aufgezeichnet?“

„Ja, das stimmt und wir werten die Aufnahmen selbstverständlich aus.

---ENDE DER LESEPROBE---