Jiors Brüder - Sandra Gernt - E-Book

Jiors Brüder E-Book

Sandra Gernt

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Beschreibung

Gay Fantasy Romance „Ich bin dein Licht, Jior. Dein Halt, bevor du in den Abgrund stürzt. Das einzige Wesen auf dieser Welt, das sich dafür interessiert, ob es dir gut geht. Du musst mir vertrauen. Ich bin dein Licht in der Dunkelheit.“ Jior ist ein Mitglied des Kleinen Volks und lebt mit seinem Clan auf einer idyllischen Waldlichtung. Maßlos verwöhnt von seinem Vater ist er isoliert von der Gemeinschaft und seine eigenen Geschwister hassen ihn. Hassen ihn so sehr, dass sie ihn eines Tages in die Fremde verkaufen, um ihn loszuwerden. Vom verhätschelten Liebling zum Sklaven erniedrigt muss Jior lernen, für sich selbst einzustehen – und Liebe zuzulassen, als sie ihm unerwartet begegnet. Tamu ist sein Licht in der Dunkelheit … Doch auch seine Brüder müssen lernen, mit ihrer Schuld umzugehen. Ca. 76.000 Wörter Im normalen Taschenbuchformat hätte diese Geschichte knapp 370 Seiten

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Gay Fantasy Romance

 

„Ich bin dein Licht, Jior. Dein Halt, bevor du in den Abgrund stürzt. Das einzige Wesen auf dieser Welt, das sich dafür interessiert, ob es dir gut geht. Du musst mir vertrauen. Ich bin dein Licht in der Dunkelheit.“

 

Jior ist ein Mitglied des Kleinen Volks und lebt mit seinem Clan auf einer idyllischen Waldlichtung. Maßlos verwöhnt von seinem Vater ist er isoliert von der Gemeinschaft und seine eigenen Geschwister hassen ihn. Hassen ihn so sehr, dass sie ihn eines Tages in die Fremde verkaufen, um ihn loszuwerden.

Vom verhätschelten Liebling zum Sklaven erniedrigt muss Jior lernen, für sich selbst einzustehen – und Liebe zuzulassen, als sie ihm unerwartet begegnet. Tamu ist sein Licht in der Dunkelheit …

Doch auch seine Brüder müssen lernen, mit ihrer Schuld umzugehen.

 

Ca. 76.000 Wörter

Im normalen Taschenbuchformat hätte diese Geschichte knapp 370 Seiten

 

 

von

Sandra Gernt

 

 

 

Inhalt

Kapitel 1: Ungeheuerliche Wünsche

Kapitel 2: Unvermeidliche Taten

Kapitel 3: Albtraum-Erwachen

Kapitel 4: Huleis Suche

Kapitel 5: Namenlose Gebete

Kapitel 6: Wölfe

Kapitel 7: Richtungswechsel

Kapitel 8: Verkaufsgespräche

Kapitel 9: Unerwartete Gesellschaft

Kapitel 10: Sturmklänge

Kapitel 11: Die Künste des Sihalla

Kapitel 12: Lehrreiche Zeiten

Kapitel 13: Göttergeschenke

Kapitel 14: Entscheidungen

Kapitel 15: Heimkehr

Epilog

 

 

 

Ungeheuerliche Wünsche

 

s war ein herrlicher Tag.

Der Herbst gab sein Bestes, um die noch frische Erinnerung an heiße Sommertage zu bewahren. Warm-goldener Sonnenschein, blauer Himmel, von keinem Wölkchen getrübt, laue Brisen, die nur sanft durch die noch belaubten Kronen der Bäume strichen. Kaum eines der Blätter wurde herabgerüttelt, die in Rot und Gold darum wetteiferten, wer am strahlendsten leuchtete.

Der würzige Duft von Pilzen und feuchter Erde schmeichelte Jiors Nase. Er liebte den Herbst, trotz der vielen Arbeit, die gerade in den nächsten Wochen auf alle Fardias warteten, die bereits alt genug waren, um mitanzupacken – und noch nicht zu alt dafür waren.

Die letzten Beeren mussten gesammelt werden, genau wie Nüsse, Kastanien, Blüten, Wurzeln, Pilze und alles, was sonst dafür geeignet war, um das Kleine Volk über den Winter zu bringen.

Kleines Volk – so wurden die Fardias, Jiors Leute, von den großfüßigen Elfen genannt. Die tanzten gerne in den Frühlings- und Sommermonden auf der Waldlichtung, wo Jiors Clan lebte. Auch die zarten, winzigen Blütenfeen nannten die Fardias so, obwohl sie selbst kaum groß genug waren, um Jior bis zu den Knöcheln zu reichen, und somit den Titel mehr verdient hätten.

Bald würde der Winter Einzug halten und das Land mit seinen weißen Tüchern zudecken, damit alles Leben schlief, bis im nächsten Frühjahr das große Erwachen und der Neubeginn anstanden. In dieser Zeit der Kälte und des Eises waren die Fardias in ihren Behausungen tief unter der Erde gefangen, die sie im Sommer kaum nutzten, wenn nicht gerade schwere Unwetter tobten. Niemand mochte diese Wochen der Starre wirklich gern, in denen sie eingesperrt waren, weil es an frischer Luft und Sonne mangelte und sie sich zudem vor den Saitchi hüten mussten – den Riesenwölfen, die im Winter aus den Bergen herabzogen in die Täler und Jagd auf alles machten, was sich bewegte.

Sie nutzten diese Phase der Stille bestmöglich, schmückten ihre Hallen und Kammern und Stollengänge, die sie mit den Kaninchen teilten, mit bunten Laternen, die magisches Licht und Wärme verströmten. In den Familiengemeinschaften und der großen Halle wurde gesungen und Geschichten erzählt, gutes Essen verteilt, Dinge repariert und erneuert, die im Laufe des Jahres kaputtgegangen waren. Jiors Großmutter hatte den Winter darum auch gerne die Weber- und Töpferzeit genannt.

Jetzt im Herbst suchten sie an trockenen, sonnigen Tagen wie heute große, schöne Baumblätter. Die Fardias des Birkenlichtungsclans besaßen spezielle Techniken, um diese Blätter zu Fasersträngen zu verarbeiten und aus diesen Stoff zu weben, aus dem sie Kleidung, Schuhe und sehr viele Gebrauchsgegenstände herstellten. Gerade für den ersten Arbeitsschritt, das Abwickeln der Blattfasern, wurden zuvorderst ältere Kinder, Schwangere und Alte eingesetzt. Es war eine einfache Tätigkeit, die kein besonderes Geschick erforderte, und in der großen Gruppe, wenn alle miteinander schwatzen konnten, kam auch keinerlei Langeweile auf.

Jior seufzte leise. Er war leider nach Ansicht seines Vaters zu alt, um diese Arbeit zu übernehmen, obwohl er sie immer sehr geliebt hatte. Inmitten der kleinen Kinder, die seine Anwesenheit besser duldeten als die Erwachsenen, hatte er sich beinahe als Teil der Gemeinschaft fühlen können.

Leider ließ sein Vater auch nicht zu, dass er an anderen interessanten Tätigkeiten teilnehmen durfte. Er konnte nicht wie die übrigen jungen Männer des Clans Pilze ernten oder im nahgelegenen See nach essbaren Pflanzen tauchen. Nicht einmal mit den Beerensammlern ließ Hulei ihn ziehen. Weil Hulei, Jiors Vater, der Clanführer war, bestimmte er allein, wer welche Arbeiten übernahm. Genau wie er auch über alles andere entschied, was zum Wohl des Clans zu geschehen hat. Viel Verantwortung lag somit auf seinen Schultern. Als Juve, Jiors Mutter noch lebte, hatte er sich diese Bürde mit ihr geteilt, so wie es bei den Fardias eigentlich üblich war. Seit ihrem Tod trug er sie allein.

Jior hatte seine Mutter nicht wirklich kennen lernen dürfen, sie war an einem Fieber gestorben, als er noch nicht einmal seinen zweiten Winter erlebt hatte. Sie war Huleis zweite Gefährtin gewesen, Jior das einzige Kind der beiden. Anscheinend war dies der Grund, warum Hulei ihn sehr viel beschützender behandelte als seine älteren Geschwister, die aus der Verbindung zwischen Hulei und Merrit stammten, seiner ersten Gefährtin. Merrit hatte in einem besonders harten Winter den Tod gefunden, als sie an die Oberfläche gegangen war, um Baumrinde zu holen, und von einem Raubvogel tödlich verletzt wurde.

Jedenfalls musste Jior daheim bleiben, während so ziemlich jedes andere Clanmitglied fleißig sein durfte und sein musste. Seine frohe Stimmung über den herrlichen Tag war inzwischen dahin und er kehrte in den unterirdischen Stolleneingang zurück, der unter der mächtigen alten Buche verborgen lag. Gestern hatte es den ganzen Tag geregnet, da hatte sein Vater ihn nicht einmal aus dem Schlafgemach herauskommen lassen. Hoffentlich durfte er sich heute irgendwie nützlich machen, wenn er lange genug darum bettelte. Manchmal ließ sein Vater sich erweichen, gestattete ihm, einfache Aufgaben zu übernehmen. Jior fühlte sich schrecklich, wenn er als Einziger untätig blieb, und es war auch sehr langweilig. Zumal er keine Gesellschaft hatte, mit der er angenehme Dinge tun könnte, um sich die Zeit zu vertreiben. Sein Vater wollte dies nicht verstehen, ihm war es bloß wichtig, dass Jior sich keinem Risiko aussetzte, sich ruhig verhielt, nichts Schweres hob, nicht allein in den Wald hinausging. Selbst dieser kleine Ausflug ins Freie, den Jior sich gerade gegönnt war, war heimlich geschehen.

Er fand Hulei im Gespräch mit Ineri, der Schnitzmeisterin des Clans. Niemand verstand es so gut wie sie, mit Schnitzmesser, Hammer und Beitel ebenso nützliche wie schöne Dinge herzustellen, gleichgültig ob Werkzeug oder Dekoration, um das Herz zu erfreuen. Geduldig stellte Jior sich in die Nähe der beiden. Sie sollten ihn bemerken, stören wollte er sie selbstverständlich nicht. Die Diskussion behandelte sicherlich die Menge an Holz, die angeschafft werden musste, und welche Rohstoffe außerdem gebraucht wurden, um alle Arbeiten verrichten zu können, die notwendig oder erwünscht waren. Das reichte von einfachen Möbeln über Kinderkrippen bis zum Austausch von Stützbalken in den Stollengängen.

„Mindestens siebzehn Hände Walnussholz!“, sagte Ineri, als Jior gerade in Hörweite angekommen war. Eine Hand entsprach dem Durchmesser und der Größe einer elfischen Männerhand und somit einer durchschnittlichen Birkenholzstammscheibe. „Außerdem zweihundert Köpfe an Ahornrinde“, fuhr sie fort und gestikulierte dabei so wild, dass ihre dicken, schwarzen Zöpfe tanzten. Zehn Walnussschalen, sorgfältig nebeneinander aufgereiht, entsprachen ungefähr dem Kopfumfang eines erwachsenen Fardias. „Dazu fünfunddreißig Fadenlängen an Buchengeäst in verschiedener Dicke. Das sollte hoffentlich für alle Projekte genügen.“ Eine Fadenlänge war so viel wie die Länge eines gewöhnlichen erwachsenen, männlichen Fardias, von Kopf bis Fuß bemessen.

„Wir tun, was wir können, aber das ist viel Holz“, sagte Hulei nachdenklich und nickte ihr zu. Es war seine behäbige Art, er machte lieber keine Versprechungen, die er nicht halten konnte. Er würde sich bemühen, Ineris Wünsche zu erfüllen, das war gewiss. Normalerweise sollte es keine Schwierigkeit darstellen, ausreichend hochwertiges Holz für sie zu beschaffen. Hulei war da einfach zu vorsichtig.

„Ihr habt ja noch einige Wochen Zeit, ich bin zuversichtlich, dass es in den nächsten Tagen trocken bleiben wird. Schick deine Leute aus, wir haben mindestens drei morsche Balken im Ostteil der Ganganlage, also sollten sie Interesse daran haben, sich anzustrengen. Wenn uns die Stollen wegbrechen, ist es zu spät.“ Ineri bedankte sich huldvoll bei ihm und verabschiedete sich mit einem entschlossenen „ich geh dann mal wieder an die Arbeit“, und einem missbilligenden Blick auf Jior. Sie mochte ihn nicht. Niemand mochte ihn, mit Hulei als einzige Ausnahme.

Jior trat nun an seinen Vater heran. Hier in diesem dämmrigen Eingang waren sie um diese Zeit allein, so war es gut für Jiors Bedürfnisse. Er wollte keine Zuhörer und Beobachter, wenn er sich gleich mit seinem Vater stritt, was leider unausweichlich war. So verlief es schließlich bei jeder Begegnung zwischen ihnen, sobald Jior gegen die maßlose Verwöhnung aufzubegehren versuchte.

Huleis Miene verdüsterte sich, als er ihn musterte. „Versuch es gar nicht erst“, sagte er streng. „Ich weiß, du willst mich beknien, dich mit den Sammlern ziehen zu lassen. Du weißt es doch besser, mein Junge. Die Antwort lautet nein, nein und noch einmal nein! Ich lasse nicht zu, dass du dich den Gefahren da draußen aussetzt. Du weißt, wovon ich rede. Raubtiere. Insekten. Gefährliche Dornengewächse. Du weißt es, du weißt, dass ich das nicht zulassen kann. Nicht bei dir. Deine Mutter musste ich gehen lassen. Du wirst mir erhalten bleiben.“

„Vater – ich bin neunzehn Jahre alt“, sagte Jior und straffte sich, um größer zu wirken. Er verlor diesen Streit Tag für Tag, seit mehreren Jahren schon, und dennoch konnte er nicht aufgeben. „Jeder andere in meinem Alter ist längst draußen und tut, was getan werden muss, damit wir alle überleben. Bitte lass mich wenigstens Blätter abfädeln, wenn ich nicht mit den Beerensammlern losziehen darf. Du musst mir eine vernünftige Arbeit zuweisen, Vater. Ich flehe dich an, lass mich bitte irgendetwas tun. Diese Nutzlosigkeit meines Daseins ist unerträglich!“

„Warum nimmst du das Geschenk nicht als das, was es ist?“, fragte Hulei ungehalten. „Warum belästigst du mich jeden Tag aufs Neue, obwohl du die Antwort kennst? Jeder andere wäre glücklich, von schwerer Arbeit ausgenommen zu werden. Warum bist du nur so undankbar, mein Junge? Ich würde doch alles dafür tun, damit du mir erhalten bleibst. Du bekommst, was immer du dir wünschst. Warum genügt das denn nicht?“

„Ich werde ausgegrenzt“, erwiderte Jior und duckte sich zugleich. Er hätte das nicht laut sagen dürfen, das wusste er. Es war schwierig, sich gegen die Liebe seines Vaters aufzulehnen. Hulei liebte ihn, daran bestand kein Zweifel. Zwei Gefährtinnen hatte dieser Mann verloren, davor hatte er sie nicht bewahren können. Doch warum beschützte er nur ihn mit solcher Gewalt und Verzweiflung, warum schickte er jeden anderen ohne zu zögern hinaus? Er hatte schließlich noch weitere Söhne, die er nicht auf diese Weise verwöhnte.

„Wovon sprichst du?“, verlangte Hulei zu wissen, obwohl er alle Tatsachen längst kannte.

„Niemand will mit mir befreundet sein“, flüsterte Jior, konnte nicht zurückhalten, was ihn so sehr bewegte. „Jeder hält mich für faul und verwöhnt, weil alle anderen schuften müssen, während mir Zugeständnisse und Ausnahmen aufgedrängt werden. Ich will … Ich will doch bloß dazugehören. Sein wie jeder andere. Vater … Meine eigenen Brüder können mich nicht leiden, weil ich alles bekomme, was sie haben wollen und nicht haben können …“ Seine Stimme versagte unter dem wütenden Blick seines Vaters. Ihr Götter, hatte er das schon wieder laut ausgesprochen?

„Immer noch?“, rief Hulei anklagend. „Ich dachte, ich hätte deinen Geschwistern klargemacht, was ich davon halte, wenn sie grausam zu dir sind. Sie sollen dich gefälligst lieben und beschützen! So gehört es sich für ältere Brüder! Sie wissen genau, dass ich ihre Verfehlungen nicht dulden kann.“

„Vater …“ Jior fluchte innerlich über seine eigene Schwäche. Er wollte nichts weiter als Beeren sammeln gehen, verdammt! Auf keinen Fall war es der Plan gewesen, seine Brüder einmal mehr in Schwierigkeiten zu bringen, und sich somit noch weiter von ihnen zu entfernen. Sollte das überhaupt noch möglich sein.

„Jior, ich bestehe darauf! Du musst es mir sofort sagen, wenn deine Brüder dich schlecht behandeln!“, dröhnte Hulei, tiefrot im Gesicht vor Zorn.

„Halt, nein, nein, ich habe mich falsch ausgedrückt“, rief Jior verzweifelt. Es war bereits zu spät, um noch etwas zu retten, wurde ihm klar, sobald er den entschlossenen Blick seines Vaters erkannte, der sich abrupt umwandte und den Gang entlang ins Freie strebte.

„Neve! Matteo! Eleas! Yori! Kommt sofort her!“, brüllte er über die gesamte Lichtung. Dutzende Fardias starten aufgeschreckt zu ihnen herüber. Ungehaltene Blicke trafen Jior. Jeder wusste, es war sein Verschulden, dass seine älteren Brüder von der Arbeit fortgeholt und bestraft werden würden. Es war noch nie anders gewesen, Jior war der Augapfel des Clanführers, seine größte Schwäche.

Als Kind hatte Jior es sogar ausgenutzt, sich Gefälligkeiten erschlichen, die ihm nicht zustanden. Hatte dafür gesorgt, dass er unangenehmen Pflichten entgehen konnte. Hatte Unfug begangen und seine Brüder dafür die Strafe tragen lassen. Bis er begriffen hatte, wie bösartig und falsch dieses Verhalten war. Wie sehr er sich selbst damit schadete. Leider glaubte niemand daran, dass er sich geändert hatte. Dass er die Bevorzugung gar nicht mehr wollte, sondern lieber einer von ihnen wäre. Die maßlose Liebe des Vaters machte ihn so unendlich einsam …

 

 

„Ich hasse ihn!“, stieß Matteo verbittert hervor, und die anderen murmelten bestätigend. Nur Eleas schwieg. Er war der jüngste, von Jior abgesehen, und er erinnerte sich kaum an die Zeit, als ihre eigene Mutter Merrit noch gelebt hatte. Wie es war, bevor ihr Vater Juve zur Gefährtin nahm und diese Jior gebar.

Die anderen sprachen darüber, als wäre es das goldene Zeitalter gewesen, das von Jiors Ankunft in Finsternis gestürzt wurde. Tatsache war: Hulei hatte seit Juves Tod nur noch Augen für Jior. Er war mehr als bloß ein Sohn, er war ein Juwel, eine lebendige Erinnerung an die viel zu früh verstorbene Gefährtin. Jior glich ihr offenkundig bis auf das letzte Haar, was die Sache wohl nicht vereinfachte. Hulei verehrte ihn maßlos, und jede Beleidigung gegen ihn wurde geahndet wie Hochverrat an dem gesamten Clan.

Heute Morgen hatten sie alle einfach nur ihre Arbeit verrichten wollen, Nahrung für den Winter sammeln, Vorräte in die Stollen bringen, solange die Tage noch mild und die Nächte nicht zu frostig waren. Der Nussmond war die arbeitsreichste Zeit im Jahr, da zählte jede Stunde Tageslicht, und jede Hand wurde gebraucht. Da keiner von ihnen in den letzten Wochen auch nur mit dieser kleinen, abgezogenen Ratte gesprochen hatte, musste er sie aus reiner Boshaftigkeit an Hulei verpetzt haben. Hätte er das nicht wenigstens gestern tun können, als es zu stark geregnet hatte, um draußen arbeiten zu können? Wenn ihm schon langweilig war und er meinte, alle anderen deswegen leiden lassen zu müssen …

Nein, auch Eleas besaß keine hohe Meinung vom Charakter ihres jüngsten Bruders. Hulei, ihr Vater, hatte sie vor dem gesamten Volk auf- und niedergebrüllt und ihnen dann Holzhacken im nahe gelegenen Moor als Strafe für ihr Vergehen aufgetragen. Nun war Totholz schlagen durchaus nützlich, es wurde schließlich gebraucht, doch zu dieser Zeit im Jahr, nach den ersten schweren Stürmen, lag mehr als genügend davon im Wald frei am Boden. Es gab keinen Grund, die Gefahren des Moors auf sich nehmen zu müssen, um das wertvolle Holz zu gewinnen. Keinen, außer Huleis Wunsch, sie büßen zu lassen, damit sie Jiors niemals wieder anrührten. Als ob noch irgendjemand freiwillig mit ihm sprechen oder interagieren würde, geschweige denn, ihm irgendetwas anzutun!

Nach einem vollen Tag harter Plackerei im Moor, vielen gefahrvollen Momenten, wo jeder von ihnen mindestens einmal im brackigen Wasser gelandet war und Yori beinahe ertrunken wäre, hätte Matteo ihn nicht rechtzeitig herausgezogen, mussten sie sich in Jiors Schlafgemach versammeln.

Natürlich besaß er eine große, gemütliche Wohnhöhle ganz für sich allein, während Eleas sich mit seinen Brüdern einen kleineren Raum teilen musste.

Auch heute hatte Jior den gesamten Tag mit seligem Müßiggang zugebracht, wie meistens. Er übernahm allenfalls leichte Arbeiten, die man ansonsten kleinen Kindern zuwies, und selbst das war ihm wohl zumeist noch zu viel. Man sah ihn jedenfalls häufig genug mit Hulei diskutieren, der natürlich nicht in der Lage war, dem Lieblingssohn ein Begehren abzuschlagen. Fast immer saß Jior anschließend müßig auf der Birkenlichtung oder in seinen Räumlichkeiten, statt zu arbeiten. Der Reihe nach hatten sie sich vor Jior verneigen und ihn um Vergebung bitten müssen. Das war wohl der schlimmste Teil der Strafe, sie alle hätten liebend gerne stattdessen noch die Nacht im Moor verbracht und sich von Insekten – oder Schlimmerem – attackieren lassen. Und das, wo eine Mückenattacke für Fardias sehr gefährlich werden konnten.

„Dieser arrogante kleine Widerling“, stieß Neve voller Verachtung hervor und konnte sich sichtlich kaum zurückhalten, nicht auf den Boden zu spucken. „Nicht mal antworten konnte er uns, um uns seine Vergebung zu gewähren! Starrt bloß zur Seite, als wäre unser Anblick eine Beleidigung! Als wäre seine Vergebung irgendetwas wert.“

„Und was, wenn es Scham war?“, fragte Yori. „Ich finde, er sah beschämt aus, nicht überheblich.“

Ein Gedanke, den Eleas auch schon einige Male gehegt hatte, bei anderen Gelegenheiten wie diesen, um ihn dann doch zu verwerfen.

„Warum sollte er sich schämen?“, fragte er hitzig. „Wenn er nicht will, dass wir bestraft werden, muss er ja bloß damit aufhören, zu Vater zu laufen und sich über uns zu beschweren. Zwingt ihn schließlich keiner dazu!“

Die anderen murmelten zustimmend, und auch Yori nickte mit einem Seufzen.

„Lasst uns schlafen“, sagte Matteo, ihre Stimme der Vernunft, und scheuchte sie zu ihren Betten hinüber. Aus feinster Birkenrinde waren sie gefertigt, und die Kissen mit gemahlenen Kiefernadeln gefüllt. Dadurch duftete es wundervoll nach Wald in ihrem Schlafraum. Es war praktisch der einzige Luxus, den Hulei ihnen zugestand. Wenn man es mit dem verglich, womit Jior überhaupt wurde … Schwierig, da keinen glühenden Neid zu empfinden. „Es wird morgen wieder ein harter Tag, Brüder“, fuhr Matteo fort. „Lasst uns hoffen, dass die kleine Ratte uns zufrieden lässt, damit wir sinnvolle Dinge tun können.“

Eleas löschte die magische Laterne, indem er die Elfenkristalle trennte, die nur dann für Licht und Wärme sorgten, wenn sie aufeinander lagen. Solche Dinge gab es überreichlich, jeder Fardia besaß mehrere solcher Laternen. Dann kroch er unter seine mit Flaumfedern gefüllten Decke. Die Federn sammelten sie am Seeufer ein, wo zahlreiche Enten und Gänse landeten und rasteten, bevor sie weiter gen Süden zogen. Er hatte es warm und behaglich und konnte die Schmerzen in seinen Muskeln und Gliedern vergessen.

Hm – vielleicht hatten sie keinen Schmuck oder Bücher oder anderen sinnlosen Luxus, aber dafür hatten sie Freunde, den Zusammenhalt als Familie, wurden vom gesamten Clan geachtet. War das nicht viel mehr wert?

Mit diesem Gedanken schloss er die Augen. Egal was Jior ihnen antat, die Freude am Leben konnte er ihnen nicht nehmen.

„Wäre es nicht schön, wenn er einfach fort wäre?“, hörte er einen seiner Brüder in der Dunkelheit flüstern. Eleas erkannte nicht, wer diese Worte gesprochen hatte, und es war auch nicht wichtig. Bedeutsam waren die Worte als solche, die viel zu gewaltig waren, um sie begreifen zu können. Was für eine ungeheuerliche, unvorstellbare Idee, was für ein Gedanke! Jior – einfach fort? Wie wäre ihr Leben dann wohl in der Birkenlichtung?

In den Minuten, bevor die Erschöpfung ihn übermannte und hinab in den Schlaf zog, stellte Eleas sich ein solches Leben vor. Traurig wäre ausschließlich Hulei. Niemand sonst würde Jior für einen Moment vermissen, das war gewiss. Der große Raum, den er beanspruchte, könnte für eine ganze Familie genutzt werden. So viel wertvoller Stoff, den Hulei für ihn verschwendete, all die gute Kleidung könnte neu verteilt werden. Genau wie zahlreiche andere Vorräte und Kostbarkeiten, die an Jior vergeudet waren. Die Bücher und den Schmuck könnten sie an die Händler verkaufen und damit ein Vermögen für den Clan erhalten. Niemand wäre mehr da, dessen bloße Anwesenheit für Unbehagen sorgte. Niemand mehr, der Eleas und seine Brüder verleumdete und sie irgendwelcher Vergehen beschuldigte, die sie nicht getan hatten! Ihr Götter, ein solches Leben musste schön sein …

 

Unvermeidliche Taten

 

ior bürstete sich das Haar. Es war schulterlang und elfenblond, was in ihrem Clan extrem selten vorkam. Seine Mutter Juve hatte ebenfalls dieses helle Blond besessen. Allein durch diese Besonderheit unterschied er sich von jedem anderen hier und man erkannte ihn selbst von hinten in einer Gruppe. Sein Vater liebte diese Farbe. Jior hingegen hatte schon häufig darüber nachgedacht, es sich schwarz zu färben, damit er besser zu den anderen passen könnte.

An seinen wirklich schlechten Tagen träumte er davon, es sich mit Gewalt auszureißen, oder zumindest abzuschneiden. Was ihn davon abhielt, war zum einen pure Feigheit, denn sein Vater würde ausrasten; zum anderen das Wissen, dass es ihm in keiner Weise helfen würde – und womöglich auch tiefe, innere Erschöpfung.

Gestern Abend war ihm wirklich und wahrhaftig klar geworden, wie sinnlos es war, kämpfen zu wollen. Hulei gestattete ihm nicht, ein ganz normaler Fardia zu sein. Statt ihn zu beschützen und zu lieben, wie es für einen Vater statthaft war, behandelte er ihn wie einen Schatz, der vor einem Drachen gehütet werden musste. Er war weniger ein lebendiges Wesen als ein Edelstein. Ein Mahnmal, ein lebendiger Gedenkstein, um die Erinnerung an seine Mutter aufrecht zu halten. Gegen all diese erstickende Liebe, die keine war, konnte und wollte er sich nicht länger auflehnen. Jeder Versuch endete damit, dass andere verletzt wurden, insbesondere seine Brüder, denen er wirklich kein Leid wünschte. Jedes bisschen Trotz seinerseits schürte den Hass und Zorn des Clans gegen ihn, es enttäuschte seinen Vater und er … Er selbst gewann nichts dadurch. Wie gerne hätte er sich gestern Abend vor seinen Brüdern auf die Knie geworfen und sie angefleht, dass sie ihm vergeben sollten! Stattdessen hatte er ihre mit steinernen Mienen und kalten Augen geheuchelten Entschuldigungen ertragen müssen, jedes Wort ein Dolchstoß in sein Herz.

„Es ist sinnlos“, flüsterte er und betrachtete mit tränenblinden Augen seine Umrisse im Spiegel. Dieser hatte einst seiner Mutter gehört, wie die meisten Dinge in dem Raum, der mehr ein Schrein zu ihren Ehren als der Schlafraum eines jungen Fardia-Mannes war. Jior liebte diesen Spiegel sehr, er war von elfischen Silberschmieden geschaffen und somit von höchster Kunstfertigkeit und atemberaubender Schönheit. Das schöne Volk, so nannten die Fardias die Elfen, denn alles, was sie taten, war der Vollkommenheit gewidmet.

Die Fardias betrieben regen Handel mit ihnen, lieferten ihnen den kostbaren Baumblattstoff, den die Elfen Mirramir nannten. Im Gegenzug erhielten sie Werkzeug, Nützliches und Dekoratives aus Glas, Stahl, Silber und Kristall, alles auf ihre Größe passend geschmiedet und gewirkt.

„Ich wünschte, ich wäre gestorben an deiner Stelle, Mutter“, wisperte Jior, und das nicht zum ersten Mal. Juve war vom gesamten Clan geliebt und verehrt worden, sie wurde bis zum heutigen Tag vermisst, und er wusste durchaus, jeder Einzelne dort draußen jenseits der schützenden Zimmertür würde sich sofort für sie entscheiden, könnten sie wählen, ob Juve aus dem Totenreich heimkehren sollte, wenn Jior dafür ihren Platz einnahm. Als Kind hatte er zumindest einige Leute auf seiner Seite gehabt, die ihm ein Lächeln und freundliche Worte geschenkt hatten. Eben weil er ein unschuldiges Kind gewesen war. Sobald er sich in ein selbstsüchtiges, eitles Monster verwandelt hatte, das nur an seinen eigenen Vorteil dachte, war es damit vorbei gewesen. Somit war er zu einem wütenden, einsamen Jungen herangereift … Und nun war er nur noch müde. Sogar zu müde, um sich selbst das Leben nehmen zu wollen.

Es klopfte dreimal kurz.

Jior wartete, bis die leichten Schritte vor der Tür verklungen waren, bevor er sie öffnete und das Tablett mit seinem Frühstück hereinholte. Seit Jahren speiste er nicht mehr mit dem Clan. Hulei fand das irritierend, hatte sich jedoch damit abgefunden. Vermutlich fand er es insgeheim besser so, sicher wusste Jior es nicht. Jedenfalls konnte ihn auf diese Weise niemand missbilligend anschauen.

Lustlos betrachtete er die Schüssel mit dem Brombeermus, das flache Brotstück aus Nussmehl, den in Kräutern ausgebackenen Steinpilz. Appetit verspürte er schon ewig nicht mehr. Zumeist zwang er sich einige Brocken hinein. Viel benötigte er nicht, er tat doch den lieben langen Tag nichts! Heute genügten ihm einige Brotkrümel, bevor er den Becher mit dem Kräutertee vom Tablett nahm und zur hinteren Stollentür schritt.

„Kwittwittwitt!“, rief er. Wie üblich dauerte es kaum einen Moment, bevor eines der Wildkaninchen herbeigehoppelt kam. Rund zwanzig von den Langohren lebten mit ihnen auf der Lichtung, teilten sich die unterirdischen Stollen mit ihnen. Die Fardias beschützten sie vor Wölfen, Füchsen, Mardern und anderen Feinden. Im Gegenzug gruben die Kaninchen ihnen die Tunnel und Höhlen, so wie die Fardias sie brauchten. Meistens vermieden sie es, den Fardias zu nah zu kommen, blieben scheu unter sich – im Gegensatz zu den gezähmten Kaninchen, die ihnen als Reit- und Lasstiere dienten. Jior hatte sich mit einigen der wilden Hoppler angefreundet, so gut es möglich war. Zwei oder drei von ihnen nahmen gerne gelegentlich ein Stück Pilz oder Kräuter von ihm an.

„Hallo, Lubia“, sagte er, als er das Weibchen mit dem weißbraun gefleckten Fell erkannte. Sie schnupperte an ihm, ließ zu, dass er sie am Hals tätschelte. Jior war in etwa genauso groß wie sie, und er mochte ihr sanftes, neugieriges Wesen. „Magst du?“, fragte er sie und wies auf den Pilz, den er am Boden abgelegt hatte. Lubia beschnüffelte das Geschenk, nahm es an und hoppelte dann davon. Die Kaninchen blieben nie lang bei ihm. Immerhin hassten sie ihn nicht.

Bleierne Erschöpfung und namenlose Dunkelheit wallten in ihm, als er in sein Verlies zurückkehrte. Die Türen waren offen, niemand hinderte ihn daran, umherzulaufen. Doch wohin sollte er schon gehen? Sein Vater gestattete nicht, dass er auch nur einen Finger krümmte und sicherlich war die Wiese der Lichtung kalt und nass nach frostkühler Nacht. Da hatte er auch keine Lust, draußen zu sitzen und den anderen zuzuschauen. Zumal Hulei es bevorzugte, wenn er in seinem Raum blieb.

Jior trank den Tee und schritt dann zum Regal. Es gab wohl keinen einzigen Fardia auf dieser Welt, der noch belesener und gebildeter war als er. Niemand sonst hatte die Zeit, so viele Bücher zu lesen und Hulei liebte es, ihm unentwegt neue Werke zu kaufen. Sämtliche Händler wussten davon, sogar die Elfen hatten es längst erfahren und fanden Freude daran, ihm ihre Geschichten aufzuschreiben und kunstvoll gestaltete Bücher in Fardia-Größe zu schicken. Blindlings zog er eines davon heraus. Es interessierte ihn nicht sehr, was es war. Jedes davon war geeignet, ihm die endlosen Stunden des Tages zu vertreiben. Er ließ sich auf dem bequem gepolsterten Liegestuhl nieder, den bereits seine Mutter geschätzt hatte, um darin zu entspannen, holte die magische Lichtlaterne näher heran, um genügend sehen zu können, und vertiefte sich in eine Legende über die Bergtrolle, die einst eine der großen Elfenstädte angegriffen hatten.

Das Wissen, wie erleichtert jedes einzelne Mitglied seines Clans war, weil er brav in seiner Kammer blieb, statt herauszukommen und unzufrieden Dinge einzufordern, die ihm offenkundig nicht zustanden …

Seltsam. Es fühlte sich beinahe befreiend an. Nicht kämpfen zu müssen vereinfachte die Dinge so sehr …

 

 

„Schau, eine Karawane kommt“, sagte Neve und stieß Eleas energisch an. Der wischte sich die verschwitzten schwarzen Haarsträhnen aus der Stirn, bevor er sich aufrichtete. Ihm war bewusst, dass er damit auch Brombeersaft in seinem Gesicht verteilte, doch das war ihm gleichgültig. Sie klebten sowieso alle, waren zerstochen und zerkratzt von der mühsamen Sammelarbeit, der schweren Schutzkleidung zum Trotz, die sie als Beerensammler anlegen mussten – gerade Brombeergesträuch mit seinen wehrhaften Stacheln führten jedes Jahr aufs Neue zu ernsten Verletzungen. Immerhin waren Fardias klein, manche der Stacheln waren so lang wie der Arm eines Fardia-Kindes.

Sie befanden sich am Nordende der Birkenlichtung. Noch war nicht viel zu sehen, von hühnenhaften Schatten abgesehen. Hören konnte man die Karawane hingegen schon sehr deutlich, das Fauchen und Schnarren der Landschildkröten, die Rufe der Treiber, das Klappern, wenn die Leitstöcke gegen die Panzer geschlagen wurden, um den Tieren die Richtung zu weisen.

Dazu das feine Klingen der Glöckchen, das den Kaninchen umgeschlungen wurde, die den Händlern als Reittiere dienten. Es war sehr schwierig, das Vertrauen eines Kaninchens zu gewinnen und es dazu zu bringen, einen Fardia dorthin zu tragen, wo er es wollte. Die sensiblen, scheuen Tiere fürchteten sich in der Wildnis vor jedem Schatten und jeder abrupten Bewegung. Man musste ihnen von Geburt an beibringen, sowohl den Fardias als auch den recht wehrhaften Schildkröten zu vertrauen. Nicht zu fliehen, wenn sie sich ängstigten, sondern sich stattdessen flach niederzulegen und zusammengekauert zu warten, bis die – oft vermeintliche – Gefahr vorübergezogen war.

Die Glöckchen dienten zum einen dazu, Raubtiere zu verscheuchen. Die hiesigen Marder, Füchse und sonstigen Feinde kannten das Geräusch und wussten, dass mit Speeren und Bögen bewaffnete Fardia dazugehörten. Zum anderen hielt es männliche Wildkaninchen fern, die sich andernfalls womöglich den durchweg weiblichen zahmen Tieren nähern würden. Die größte Gefahr, die verblieb, waren Raubvögel, die sich von den Glöckchen nicht weiter beeindrucken ließen. Händler waren darum allesamt ausgebildete Krieger, die ausgesprochen wehrhaft mit ihren Waffen umzugehen verstanden und sich mutig jeder Gefahr stellten. Nicht von ungefähr kam es, dass so ziemlich jeder heranwachsende junge Fardia, gleich ob Junge oder Mädchen, davon träumte, einst ein Händler zu werden und die Welt auf den Rücken von Kaninchen und Schildkröten zu erobern. Für die wenigsten von ihnen wurde dieser Traum jemals wahr …

Eleas hatte sich schon lange davon verabschiedet. Sein Geschick mit Pfeil und Bogen war viel zu gering gewesen, um die jährliche Auswahl zu bestehen, die unter den acht- bis zwölfjährigen Kindern gehalten wurde. Wer sich mit besonderem Talent hervortat, wurde eventuell den Händlern übergeben, doch das hing von der Entscheidung der Eltern und des Clanführers ab, gleichgültig wie groß das Talent sein mochte. Eleas hatte nicht einmal die Zielscheibe getroffen bei seiner ersten Auswahl, und bei der letzten hatte es kaum besser ausgesehen. Nicht dass man ihm viel Zeit gelassen hätte, seine Fertigkeiten zu trainieren … Zudem wusste er heute, als Erwachsener, dass Hulei ihn sowieso niemals hätte gehen lassen. Auch wenn ihr Vater nicht so sehr an seinen älteren Söhnen hing wie an Jior, gänzlich gleichgültig waren sie ihm dennoch nicht.

Das hohe Gras teilte sich und die ersten Kaninchen der Karawane hoppelten auf die Lichtung, dicht gefolgt von den Schildkröten. Die Tiere hielten an, als sie Eleas und seine Brüder bemerkten. Der Karawanenführer sprang vom Rücken des schwarzfelligen Kaninchens, das misstrauisch schnupperte.

„Aleos!“, rief Matteo erfreut und trat auf den Führer zu. Der kahlköpfige, kräftig gebaute Mann verneigte sich respektvoll vor ihnen. Man kannte sich, Aleos trieb bereits seit vielen Jahren Handel mit ihnen, so wie sein Vater und dessen Vater zuvor es getan hatte.

„Matteo, es ist gut, dich bei Kraft und Gesundheit zu erblicken“, sagte Aleos förmlich und verneigte sich ein weiteres Mal. „Und auch die anderen jungen Herren haben die Monde seit unserer letzten Begegnung nicht zu ihrem Schaden verbracht, wie ich sehe.“

Eleas schmunzelte stumm und verneigte sich rasch vor ihm. Aleos hatte eine merkwürdige Art zu sprechen und verhielt sich oft, als wäre er ein Thaia. Thaias waren Künstler im weiteren Sinne, Schausteller, Sänger, Tänzer, Musiker. Sie lebten in den Städten, wo sich teilweise Tausende Fardias auf einmal angesiedelt hatten. Thaias waren in der Regel frei. Sie boten ihre Unterhaltungskunst unter dem Schutz eines Herrschers an und mussten zwar tun, was ihnen befohlen wurde, dafür, dass sie ansonsten keine Arbeit zu verrichten hatten. Doch sie waren freie Bürger und konnten von einer Stadt zur nächsten wechseln, wenn sie das wollten, und brachten mit ihren feinen Künsten viel Geld ein. Viel mehr wusste Eleas nicht mit Sicherheit, obwohl er schon einige Male Vorführungen von Thaias genießen durfte – Hulei lud leider niemals Schausteller ein, auch dann nicht, wenn es ein besonderes Fest zu feiern gab, doch bei Besuchen in der nächstgelegenen Stadt hatte Eleas für Schauspiel und Gesang bezahlt und war jedes Mal auf seine Kosten gekommen.

„Vater weiß Bescheid“, verkündete Neve, der plötzlich schnaufend angerannt kam. Eleas hatte nicht einmal mitbekommen, dass sein Bruder davongerannt war. „Wir freuen uns alle sehr! Vermutlich seid ihr die letzte Karawane in diesem Jahr, die ihren Weg zu uns findet.“

„Das kann ich bestätigen“, entgegnete Aleos, während er seinen Leuten mit Handzeichen Signale gab, schon ohne ihn weiterzuziehen. „Ich habe in Torak mit Nalsu, Irmai und Ferul gesprochen. Sie sagten mir, dass sie erst nach der Schneeschmelze wieder so weit in den Norden ziehen wollen, um auch dieses wunderschöne Gebiet abzudecken. Damit war mein Entschluss gefestigt, auf jeden Fall herzukommen. Ich weiß, ihr benötigt Honig, Bronze und Elfenweihkraut für den Winter.“

Honig war ein wertvolles Stärkungsmittel für Schwangere, Alte und Kranke. Aus Bronze konnten sie trotz ihrer unterlegenen Fertigkeiten in der Schmiedekunst einfaches Werkzeug und Waffen selbst herstellen, was bedeutend günstiger war, als Stahl oder fertige Ware zu kaufen. Elfenweihkraut wiederum war ein machtvolles Heilmittel, das so weit im Norden nicht wuchs und auch nicht gezüchtet werden konnte. Es benötigte viel Sonne und trockene Böden. Seinen Namen hatte es aufgrund des silbrigen Glanzes der Blätter und der schönen weißen Blüten verliehen bekommen.

Hulei erschien mit großem Gefolge und begrüßte den Karawanenführer herzlich.

„Ich habe so sehr gehofft, dich noch vor dem Winter zu Gast in meiner Halle zu haben!“, rief er überschwänglich. „Kommt nur, kommt!“ Er winkte eifrig und schloss dabei nicht nur die Mitglieder der Karawane mit ein. Für heute waren die Arbeiten erledigt und sämtliche Clanmitglieder schulterten ihre Ernten und strebten aufgeregt schwatzend und lachend in Richtung der Stollen. Da es in etwa einer halben Stunde sowieso zu dämmrig für die Arbeit geworden wäre, war es kein großer Schaden, der Tag war gut geworden.

Eleas schnallte sich den Tragekorb mit den Brombeeren um, die er heute den Dornen entringen konnte. Die Früchte würden sie nicht für lange Zeit lagern können, dazu verschimmelten sie zu rasch. Darum wurden sie zu einem kleinen Teil zusammen mit Süßkraut zu einem köstlichen Mus eingekocht, zum größten Teil hingegen gedörrt und getrocknet. Ähnlich wurde mit den anderen Früchten und Pilzen verfahren. Es war harte Arbeit, auf diese Weise genügend Vorräte zusammenzutragen, um den gesamten Clan mit seinen rund hundertzwanzig Mitgliedern durch den Winter zu bringen.

Gemeinsam mit seinen Brüdern reihte er sich hinter Hulei und Aleos ein. Die beiden unterhielten sich laut über Neuigkeiten aus Torak, der weit entfernt im Süden befindlichen Hauptstadt des Fardia-Reiches, über Magul, der nächstgelegenen Großsiedlung, über zahlreiche Ereignisse im Elfen-, Feen- und Fardiareich, über Sichtungen von Trollen, über Probleme mit der Kaninchenzähmung, über dies, das, jenes … So froh und munter erblickte man Hulei tatsächlich nur, wenn ein Händlerzug zu ihnen kam.

Während viele fleißige Hände mithalfen, um die Schildkröten und Kaninchen abzuladen und die Tiere wohlversorgt in eigens für sie vorgesehene Stallungen unterzubringen, stiegen Aleos, Hulei und Eleas mit seinen Brüdern in das Tunnelsystem hinab.

„Hast du an meine Wünsche gedacht?“, fragte Hulei plötzlich im leisen, vertraulichen Tonfall an Aleos gewandt; zweifellos im Glauben, nur er könne ihn hören.

„Aber gewiss! Es ist ein wundervolles Stück, du wirst vor Freude weinen! Und für zwanzig Stoffballen soll es dir gehören“, wisperte Aleos zurück, gerade laut genug, dass Eleas die Worte aufschnappte. Er ließ sich zurückfallen, drängte seine Brüder in einen Seitentunnel, berichtete ihnen im Flüsterton, was er belauscht hatte.

„Zwanzig Ballen!“, zischte Matteo angewidert. „Es kann ja nur wieder ein Elfenbuch für Jior sein. Mit Silber beschlagen und aus Seidenpapier gefertigt, von der Elfenkönigin persönlich mit Gedichten gefüllt … Zwanzig Stoffballen! Das ist fast unser gesamter verbliebener Vorrat an Baumblattstoff! Ja, wir werden natürlich jetzt im Winter neue Bahnen weben, aber wo soll das denn hinführen?“

„Vater muss völlig von Sinnen sein“, sagte Yori hitzig, der normalerweise der Besonnenste von ihnen war. Sein sonst so gutherziges Gesicht war gerötet und von Wut verzerrt. „Das ist einfach Wahnsinn! Es war klar, dass diese Elfenbücher, mit denen er Jior verwöhnt, ein Vermögen kosten müssen. Aber so viel! Kein Wunder, dass er niemanden mehr in das Ballenlager lässt und den Schlüssel dazu beständig um den Hals trägt …“

Sogar ein von Elfenschmieden gefertigtes Schloss für die Tür hatte Hulei vor zwei Sommern dafür gekauft und es damit begründet, dass Motten im Stollen gesichtet wurden und somit das Vermögen des Clans in Gefahr war. Man müsse größte Vorsicht walten lassen, so selten wie möglich den Lagerraum betreten, um Feuchtigkeit, Insekten und jeden anderen denkbaren Schaden fernzuhalten … Er persönlich trug die Ballen hinein und auch wieder hinaus. Für einen Stoffballen gewebten Baumblattstoff wurden fünftausend Blätter benötigt. Um ein einziges Blatt abzufädeln, die Fasern zu reinigen, möglichst bruchfrei zu wickeln, zu Fäden zu spinnen, die daraus gewonnenen Knollengebilde erneut zu reinigen, einzufärben und schließlich zu buntem Stoff zu weben, kostete einen fleißigen Fardia mindestens sechs Arbeitsstunden. Jeder Ballen war also das Ergebnis von unglaublich viel Zeit, Kraft und Mühe. Mit dem Geld, das sie damit verdienten, wurde alles das eingekauft, was sie nicht selbst herstellen, sammeln oder anderweitig gewinnen konnten, darunter Werkzeug und Heilkräuter. Jeder Ballen war also dafür gedacht, das Überleben des Clans zu sichern.

Es war unerträglich! Es war untragbar, dass Hulei in seiner Verblendung nicht aufhören konnte, den Clan ausbluten zu lassen, nur damit Jior ihn dankbar anlächelte.

„Überlasst es mir“, sagte Matteo finster. „Ich werde mit ihm reden. Aleos wird zukünftig seine teuren Elfen-Fardiabücher woanders verkaufen müssen! Was dennoch kein Problem für ihn sein sollte, ich bin mir sicher, auch in der Hauptstadt gibt es mehr als genug Abnehmer für solche Verrücktheiten.“

Eleas atmete erleichtert auf. Es war gut, dass Matteo die Verantwortung übernahm. Er war der zukünftige Clanführer und egal, was man ihm vorwerfen konnte – Matteo war engstirnig, humorlos und neigte zu Jähzorn – er war mit den Jahren gereift und die Belange des Clans, die Bedürfnisse der Fardias, kamen für ihn stets an erster Stelle. Nun, und was den Jähzorn anbelangte, in jüngster Zeit hatte man ihn häufiger mit Amiu reden sehen. Sie war eine zartgliedrige Schönheit, einst ein Mitglied einer Karawane. Nach einer schweren Verletzung hatte sie dieses harte Leben als Kriegerhändlerin aufgeben müssen und um Aufnahme in ihrem Clan gebeten. Sie würde eine würdige Gefährtin für Matteo sein, ihm die Stirn bieten können, seinen Zorn mildern, mit Klugheit und Wissen den Clan bereichern. Vielleicht würde Hulei freiwillig zurücktreten, wenn Matteo sein Ehebündnis geschlossen hatte … Matteo war und blieb die Stimme der Vernunft auf der Birkenlichtung!

 

 

Jior hasste es, wenn Karawanen kamen. Zum einen musste er dann in die Gemeinschaftshalle kommen und an dem Fest teilnehmen, das vollkommen selbstverständlich für die Helden ausgerichtet wurde, die fürchterliche Gefahren auf sich nahmen, um Waren von einer Fardia-Siedlung in die nächste zu tragen. Zum anderen ließ sein Vater es sich nie nehmen, etwas Besonderes zu kaufen, was er ihm, Jior, vor allen Augen überreichen musste. Selbstverständlich wurde damit der Neid der anderen geweckt, die nichts erhielten. Insbesondere seine Brüder mussten das ertragen, die zusätzlich noch dem Mitleid des Clans ausgesetzt waren, weil sie leer ausgingen, obwohl sie doch auch Huleis Söhne waren. Nichts daran war gerecht. Nichts daran war richtig.

Dennoch raffte Jior sich hoch, spielte die Rolle, die ihm aufgezwungen war. Legte die schönsten Kleider an, die sein Vater ihm geschenkt hatte, trug den Schmuck, den Hulei an ihm liebte, schmückte sein blondes Haupt mit dem silbernen Elfendiadem, in dem er sich lächerlich vorkam. Wenn er all dem doch nur entfliehen könnte!

Die Halle, in der sämtliche Clanmitglieder Platz fanden, war bereits hell erleuchtet mit hunderten von Elfensteinlaternen, die ihr magisches, warmes Licht verströmten. Fünfundzwanzig riesige Holztische standen bereit, damit jeder bequem sitzen konnte. Ineri und ihre Zöglinge, die ihr bei den Holzarbeiten halfen, trugen gerade die letzten Bänke herein.

Zahlreiche Männer und Frauen wuselten durcheinander, um Sitzkissen, Teller, Besteck und Trinkbecher zu verteilen. Der Duft von frisch gekochtem Essen strömte aus der Großküche durch die Gänge und zauberte ein vorfreudiges Lächeln auf die Gesichter. Jior hingegen spürte nichts als Übelkeit bei dem Gedanken, gleich essen zu müssen und dem auch nicht entfliehen zu können, weil hunderte Augenpaare ihn beobachten würden. Weil ihm nichts anderes übrigblieb, bahnte er sich seinen Weg zum Haupttisch, an dem Hulei, Jior, seine Brüder und die Ehrengäste sitzen würden. Wie üblich nahm er seinen Platz an Huleis Seite ein, der normalerweise der Gefährtin des Clanführers gebühren würde.

„Es ist immer eine solche Freude, dich zu sehen, Jior“, sagte Aleos schmeichelnd. „Wie hat dir das letzte Buch gefallen, mein Junge?“

„Ich liebe es sehr“, entgegnete Jior lächelnd, was der Wahrheit entsprach. Er liebte jedes seiner Bücher, auch wenn er stets einige Tage benötigte, um sich damit abzufinden, dass sie ihm zu einem hohen Preis aufgedrängt wurden. Letztendlich waren Bücher seine besten Freunde, seine Flucht in Welten, die so viel schöner als die waren, in der er leben musste.

„Ich kann dir versprechen, du wirst heute noch vor Freude weinen, Jior. Warte es nur ab!“ Aleos zwinkerte ihm zu, Hulei strahlte wie die Sonne selbst. Dennoch sank die Temperatur am Tisch spürbar, denn Jiors Brüder starrten ihn finster an.

„Ah, ich kann nicht länger warten!“, rief Hulei ungeduldig und zog ein Päckchen hervor, das er in Jiors bebende Hände legte. Für ein Buch war es schwer, also musste es eine weitere Elfenschöpfung sein. Jiors Herz sank, diese Kleinode waren so unglaublich schön und viel zu teuer dazu. Weil es nicht zu ändern war, öffnete er das Seidenpapier, in dem sein Geschenk eingeschlagen war, vorsichtig, darauf bedacht, nichts zu zerstören, damit es noch einmal wiederverwendet werden konnte.

„Vater!“ Schockiert starrte er auf das Buch nieder. Nie zuvor hatte er ein Schöneres erblickt. Blütenweißes Leder. Goldene Beschläge. Ein großer, grüner Edelstein war in der Mitte des Buchdeckels eingelassen, ein Smaragd, wie es schien. Filigrane Blüten und Blätterranken aus Gold und Silber umwoben den Stein. In jeder Ecke des Buches war ein weiterer, kleinerer, schwarzer Edelstein eingelassen, diese in Tropfenform geschliffen. Dieses Buch musste mehr Wert haben, als alles, was der Clan zusammentragen konnte, um es zu bezahlen.

„Vater, das ist zu kostbar!“, flüsterte er erschrocken.

„Nein, nein“, entgegnete Hulei vergnügt. „Sieh, der Stein unten rechts hat einen minimalen Fehler, den man zwar kaum bemerkt, doch es mindert den Wert, weswegen ich es beinahe umsonst erwerben konnte. Außerdem, du weißt es doch, für meinen Sohn ist mir nichts zu teuer. Ich will, dass du glücklich bist!“

Jior liefen Tränen über die Wangen, und er konnte nichts tun, um sie aufzuhalten. Welch ein Irrsinn! Er glaubte für keinen Moment, dass dieses Kunstwerk beinahe kostenlos abgegeben wurde. Wäre er stark und mutig, würde er diese Gabe ablehnen und von Aleos zurückfordern, was auch immer der von Hulei genommen hatte. Doch er war schwach, denn er wollte dieses Buch, wollte es unbedingt haben! Schon weil er seinem Vater nicht die Freude zerstören konnte, aber vor allem, weil es die Legende von Urmiz und Thala enthielt, Elfenkrieger aus der Vorzeit. Diese Legende war schon häufiger in anderen Büchern erwähnt worden, doch nie hatte Jior sie tatsächlich lesen können, und keiner der Händler, die den Clan aufsuchten, kannte sie.

Vorsichtig öffnete er das Buch, genoss das leise Knacken des Buchrückens, als dieser sich gegen die Bewegung spannte. Atmete den unvergleichlichen Duft ein, den lediglich Bücher verströmen konnten. Diese Mischung aus Leder, Papier und Tinte war mit nichts zu vergleichen und berührte ihn tief.

Mit Gold war die Geschichte geschrieben, in einer klaren, nur leicht verschnörkelten Schrift, die das Lesen nicht erschwerte. Auf jeder Seite waren Illustrationen zu finden, Ornamente, Blütenranken, winzige Vögel, Elfengesichter, Bäume …

„O Vater“, flüsterte Jior hilflos.

„Ich wusste es! Ich wusste, du würdest vor Freude überquellen! Hach, das macht auch mich so glücklich“, sagte Hulei und klopfte ihm zutiefst befriedigt auf die Schulter. Jior blieb wie erstarrt sitzen, während das Essen aufgetragen wurde.

---ENDE DER LESEPROBE---