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Gay Romance Solomon Eppstein, genannt Sol, ist Bauunternehmer aus Boston. Er hat Erfahrung mit schwierigen Projekten, doch diesmal wird er auf die Probe gestellt. Weil er vor Ort bleiben muss, was in der winzigen Provinzstadt auf dem Land ebenfalls eine Herausforderung bedeutet, mietet er sich in einer gemütlichen kleinen Pension ein. Hier trifft er auf William Monroe – möglicherweise die größte Herausforderung seines ganzen Lebens. Will ist aus dem Militärdienst heimgekehrt, doch wirklich angekommen ist er noch lange nicht. Im Haus seiner Schwester versucht er sein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Als Sol bei ihnen ein Zimmer bezieht, ist es schlagartig vorbei mit der Ruhe, die Will so dringend benötigt. Oder vielleicht benötigt er auch etwas vollkommen anderes? Ca. 45.000 Wörter Im normalen Taschenbuchformat hätte diese Geschichte knapp 220 Seiten.
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Gay Romance
Solomon Eppstein, genannt Sol, ist Bauunternehmer aus Boston. Er hat Erfahrung mit schwierigen Projekten, doch diesmal wird er auf die Probe gestellt. Weil er vor Ort bleiben muss, was in der winzigen Provinzstadt auf dem Land ebenfalls eine Herausforderung bedeutet, mietet er sich in einer gemütlichen kleinen Pension ein. Hier trifft er auf William Monroe – möglicherweise die größte Herausforderung seines ganzen Lebens.
Will ist aus dem Militärdienst heimgekehrt, doch wirklich angekommen ist er noch lange nicht. Im Haus seiner Schwester versucht er sein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Als Sol bei ihnen ein Zimmer bezieht, ist es schlagartig vorbei mit der Ruhe, die Will so dringend benötigt. Oder vielleicht benötigt er auch etwas vollkommen anderes?
Ca. 45.000 Wörter
Im normalen Taschenbuchformat hätte diese Geschichte knapp 220 Seiten.
in Riverglenn Field
von
Sandra Gernt
Inhalt
Kapitel 1: Absoluter Ernst
Kapitel 2: Immer schön im Takt
Kapitel 3: Uncoole Gespräche
Kapitel 4: Shoppingspaß mit Dogge
Kapitel 5: Unten am See
Kapitel 6: Zufriedenstellende Lösungen
Kapitel 7: Improvisierte Zärtlichkeit
Kapitel 8: Richtige Zeit, richtiger Ort
Kapitel 9: Brückengespräche
Kapitel 10: When the night has come…
Kapitel 11: Schmerzen der Realität
Kapitel 12: Getrennte Wege
Kapitel 13: Tiefdunkelschwarz
Kapitel 14: Worte der Weisheit
Kapitel 15: Willige Küsse
Epilog: Einige Jahre später …
r. Goodmann, ich hoffe, Sie wollen mich verarschen?
Sol spürte, dass ihm die Adern auf der Stirn pochten. Scheiße. Verdammte Scheiße!
Sein Doktor würde ihn hassen und er hätte ihm eine Menge zu sagen. Und Sol würde ihm zustimmen. Er fand es auch nicht gut, wenn sein Blutdruck in schwindelnde Höhen getrieben wurde. So etwas war ungesund und garantierte den Herzinfarkt mit spätestens fünfzig. Na ja. Bis dahin hatte er noch achtzehn Jahre Zeit, und er musste sich jetzt um diesen gottverdammten Scheißdreck kümmern.
Sol atmete bewusst mehrfach tief durch. Mr. Goodman konnte nichts dafür, dass die Dinge hier gerade aus dem Ruder liefen und es half nicht, wenn er ihn beleidigte. Oder seinen Impulsen nachgab, um ihn anzuschreien oder noch besser, ihm die Faust ins Gesicht zu rammen. Schlimmstenfalls bekäme Sol dafür einen Extratrip ins Gefängnis und von dort aus könnte er diese Katastrophe schließlich auch nicht managen. Also atmen.
Er schloss die Augen, zählte bis zehn. Dann versuchte er es noch einmal mit Ruhe und Besonnenheit. Immerhin war er der Besitzer dieser Baustelle und es schauten gerade ungefähr siebzig Leute zu. Leute mit Smartphones. Dieser Gedanke gab den Ausschlag, nicht bloß durchzuatmen, sondern endlich den Kopf wieder einzuschalten.
„Kommen Sie, setzen wir uns in den Container da drüben.“ Mr. Goodmann war sein Baustellenleiter. Der Container, zu dem Sol hinüberwies, diente als Büro. Zwei weitere waren als Umkleide- und Aufenthaltsraum für die Arbeiter aufgestellt worden, wo sie sich Kaffee kochen und zum Essen hinsetzen konnten, wenn sie ihre Pausen nahmen. Mr. Goodmann wirkte sehr erleichtert, dass Sol wieder zivilisierte Töne anschlug. Er war ein Mittvierziger mit Glatze und angegrautem Schnauzbart, der aussah, als hätten Motten daran gefressen. Wahrscheinlich hatte er ihn sich seit gestern tüchtig gerupft. Das wäre jedenfalls das, was Sol getan hätte, würde er sich nicht zumeist glatt rasieren, wenn ihn der Drei-Tage-Bart zu nerven begann. Auch sonst wirkte Mr. Goodmann reichlich gestresst. Sein rotes Karohemd hing unordentlich aus der Hose, was seinen Bierbauch zumindest halb vertuschte, und die Ringe unter seinen Augen wirkten tief genug, um darin Hundewelpen zu ertränken.
Er bot ihm Wasser, Tee und sogar Cookies an, als sie sich an den Planungstisch setzten. Sol machte sich sonst nicht viel aus Keksen, diese allerdings wirkten selbstgebacken und es fühlte sich so an, als könne er den kleinen Zuckerschock gebrauchen, darum griff er zu und nahm auch eine Tasse Früchtetee an. Er war noch komplett nüchtern, wurde ihm bewusst, es tat gut, etwas zu sich zu nehmen.
„Jetzt noch mal ganz langsam“, sagte er, sobald er den heißen Becher in den Händen hielt. „Wir haben also mindestens drei Skelette auf dem Baugelände und die Behörden gehen jetzt davon aus, dass es sich um Ureinwohner handeln muss und die örtlichen Interessenverbände der Native American drohen uns auf Leib und Leben zu verklagen, sollten wir hier weitermachen, weil sie glauben, das Gebiet müsse heiliger Grund sein. Habe ich das Problem vollständig erfasst, ja?“
Mr. Goodmann seufzte bloß stumm und nickte dem Tisch zu.
„Phil – ich darf Phil sagen?“ Mr. Goodmann nickte erneut, darum fuhr Sol fort: „Es war absolut korrekt und wichtig, dass Sie mich gestern Abend angerufen haben. Ich hätte es trotzdem bevorzugt, die schlechten Nachrichten sofort am Telefon zu erfahren, statt damit vertröstet zu werden, dass Sie mir das lieber persönlich vor Ort erklären wollen. Ich habe die ganze Nacht wachgelegen und mir Sorgen gemacht, und mein Anfall vor versammelter Mannschaft ist mir jetzt sehr peinlich. Das ist aber tatsächlich der einzige Vorwurf, den ich Ihnen gerade mache.“ Sol hatte aufgrund von Terminen erst heute Morgen aufbrechen können, hatte sich ein Auto gemietet und war danach stundenlang ins Niemandsland namens Riverglenn Field gefahren. Was man eben tat, wenn der eigene Baustellenleiter einen anrief und sagte: „Sir, es gibt ein großes Problem und Sie müssen bitte so schnell wie möglich kommen!“ Er war müde, er war frustriert, er war wütend. Nicht mehr länger auf Philipp Goodmann, denn der konnte nun wirklich nichts dafür, dass die Bagger menschliche Knochen ausgebuddelt hatten.
„Seth, unser Baggerführer … Also der ist auch ein Native American. Als er die Knochen auf der Schaufel gesehen hat, hat er nicht als Erstes nach mir gerufen, sondern Fotos gemacht und sie seinem … Wie heißt das, Guru, Schamane, Medizinmann …?“
„Spiritueller Führer. Passt schon. Also dem hat Seth die Bilder geschickt, und dann ging es rund?“, fragte Sol.
„Und wie! Als die anderen mich dazu geholt haben, standen bereits ein Dutzend fremder Leute auf dem Gelände und haben lebhaft diskutiert. Ich hab die Behörden dazu gerufen. Es folgten Streit, sehr viel Gebrüll, mehrere Anwälte in teuren Anzügen sind regelrecht aus dem Boden gewachsen. Es ist unklar, ob das Stück Land hier historisch zu den Wampanoag-Tribes gehörte oder eventuell zu den Nipmuc. Die sind staatlich nicht als Stamm anerkannt, kämpfen aber um ihre Rechte. Wir sind hier offenkundig im Grenz- oder auch Niemandsland. Was die Sache noch komplizierter macht, falls herauskommen sollte, dass die Knochen tatsächlich von Ureinwohnern stammen sollten, denn dann werden die Stammesältesten sich untereinander bekriegen, wem dieses geheiligte Stück Land tatsächlich gehört. Es war jedenfalls sehr laut und sehr anstrengend, bis der Sheriff sich endlich durchgesetzt, das ganze Gebiet abgesperrt und die Leute weggejagt hat. Ich habe Sie erst danach angerufen Sir, was mir leidtut. Bin nur noch nach Hause und hab mir zwei Flaschen Bier reingekippt, damit ich irgendwie schlafen konnte. Das tut mir auch leid. Also meinem Kopf tut es leid.“
Man sah dem armen Mann an, wie schlecht es ihm ging. Geschlafen hatte er heute Nacht sicherlich auch keine fünf Minuten und er war jetzt sicherlich heilfroh, die Verantwortung für das Desaster abgegeben zu haben. Sol nahm sich noch ein Plätzchen und trank seinen Tee aus. Er hatte keine Ahnung, wie es jetzt weitergehen sollte.
Draußen klopfte es plötzlich Sturm an der Tür.
„Boss?“, rief eine tiefe Stimme. „Boss, du solltest kommen!“
Sol und Phil sahen einander resigniert an, bevor sie sich hochrafften und zur Baustelle hinübergingen.
Es war ein riesiges, brachliegendes Gelände. Sols Baufirma hatte den Zuschlag erhalten, hier Infrastruktur für das gesamte umliegende Gebiet zu erschaffen. In den kommenden zwei Jahren sollten ein Krankenhaus, eine Schule und ein Kindergarten entstehen. Davon würden auch die Native American profitieren, für die erstens Arbeitsplätze entstanden und zweitens die Grundversorgung erheblich verbessert wurde. Aus diesem Grund hatte es auch keinerlei Widerstand von deren Interessenverbänden gegen die geplanten Bauvorhaben gegeben. Er hatte sich auf dieses Großprojekt gefreut, weil es wirklich etwas in dieser Region bewegen konnte – und nun das. Verdammte Scheiße!
Ein halbes Dutzend Männer stand an dem ziemlich kleinen Loch in der Landschaft, das normalerweise jetzt schon großflächig und tief sein müsste, um als Basis für das Krankenhaus zu dienen. Sie diskutierten mit den beiden Police Officers, die die Baustelle bewachen sollten.
„… unser Recht und unsere Pflicht!“, rief einer der Männer gerade, als Sol und Phil dazukamen.
„Guten Tag“, sagte Sol höflich. „Ich bin der Eigentümer der Baufirma. Was ist das Problem, meine Herren?“ Er hob sofort energisch die Hand, als alle gleichzeitig losreden wollten. „Nur einer!“, setzte er streng hinzu. Der Älteste aus der Gruppe der Eindringlinge, ein grauhaariger Mann um die sechzig in Jeans und leichter Winterjacke, übernahm das Wort.
„Wir wollen lediglich ein Gebetsritual ausführen, doch diese Männer versuchen uns daran zu hindern.“
„Ich verstehe. Nun, es ist keineswegs bewiesen, dass es sich bei den sterblichen Überresten um Stammesangehörige handelt. Es könnten durchaus Leute sein, die in den Sechzigern von einem ortsansässigen Farmer beim Diebstahl erwischt, über den Haufen geschossen und verbuddelt wurden, um es mal ganz salopp auszudrücken.“
Sämtliche Anwesende starrten ihn intensiv an. Zu seiner Überraschung widersprach niemand, weswegen er fortfuhr: „Wir müssen jetzt die Labore ihre Arbeit erledigen lassen. Phil, wie lange wird das ungefähr dauern?“
„Ich fürchte, wir müssen uns auf zwei bis drei Wochen, vielleicht auch mehr einrichten.“
Sol schluckte hart an dieser bitteren Pille. Damit hatte er nicht gerechnet, ihm war so etwas einfach noch nie passiert. Im Studium wurde seltsamerweise auch nicht erwähnt, wie man mit solchen Situationen am besten umzugehen hatte.
„Wäre wohl zu viel verlangt, dass es wie bei CSI New York innerhalb von sechs Stunden erledigt ist, hm?“, murmelte er. „Wow. Mr. ähm …?“ Er blickte seinen Gesprächspartner fragend an.
„Holt. John Holt. Wir mögen es einfach, sprechen Sie mich an, wie Sie wollen.“
„Okay. Mr. Holt. Es ist mir eine Freude. Ich bin Solomon Eppstein, Verzeihung, ich hatte mich noch nicht vorgestellt. Im Moment sind wir glaube ich alle ein bisschen gestresst. Hören Sie, wenn ich in diesem Bereich nicht arbeiten lassen kann, verstehe ich das vollkommen. Ich kann allerdings nicht einen halben bis ganzen Monat alles brachliegen lassen. In dieser Zeit muss ich die Maschinen und Männer ja trotzdem voll bezahlen, wenn ich die Zeitvorgaben nicht einhalte, zahle ich immense Strafen. Ich würde also pleitegehen, was Ihnen vollkommen zurecht völlig egal wäre. Dann müsste der Auftrag allerdings auch neu ausgeschrieben werden, wodurch sich der Bau von Krankenhaus und Schule möglicherweise um Jahre verzögert oder schlimmstenfalls nie stattfindet. Das wäre für niemanden wünschenswert.“
„Nein. Wir haben große Hoffnung, dass unsere Situation sich mit dem Krankenhaus verbessert.“ Mr. Holt hielt die Arme vor der Brust verschränkt und starrte ihn ausdruckslos an.
„Wäre es also möglich, dass wir diesen Bereich hier aussparen und in einem anderen Bereich mit der Arbeit beginnen?“, fragte Sol hoffnungsvoll.
„Auf gar keinen Fall! Dies könnte ein riesiger Friedhof sein, in dem noch hunderte von unseren Ahnen begraben liegen!“, rief Mr. Holt. Sein Blick wurde nun definitiv furchterregend und da ging sie hin, die Hoffnung, ohne größeren Schaden aus dieser Sache rauszukommen.
„Nächster Vorschlag“, sagte Sol langsam. „Ich besorge ein mobiles Radargerät. Ground Penetrating Radar. Ein Bodensonargerät, mit dem wir das gesamte Areal abschreiten. Dann wissen wir, was im Boden steckt. Wenn dies hier tatsächlich ein riesiger Friedhofsbereich ist, dann will ich das am liebsten vorgestern erfahren. In dem Fall gibt es nämlich kein Krankenhaus und keine Schule und ich kann die Regierung auf meine bisherigen Kosten verklagen und derweil einen harten Schnitt machen, um mich sofort anderen Projekten zu widmen.“
Die Männer berieten sich leise miteinander. Schließlich nickte Mr. Holt ihm zu.
„Wir sind uns einig, dies ist die beste Vorgehensweise“, sagte er zu Sols Erleichterung. „Ein Bodenradar ist die schnellste Methode, um weitere sterbliche Überreste aufzuspüren, ohne die Ruhe und Würde der Toten zu stören. Wir brauchen diese Gewissheit.“
„In Ordnung. Können wir somit einen Deal machen, Mr. Holt? Sie und Ihre Leute verlassen das Gelände und warten mit den Geisterritualen, bis das Labor uns mitteilt, mit wem wir es zu tun haben. Ich beziehungsweise mein tüchtiger Mr. Goodmann hier reißen uns beide Beine gleichzeitig aus, um so schnell wie möglich ein solches Sonargerät herbeizuschaffen. Sobald es da ist, kontaktieren wir Sie, damit Sie den Vorgang bezeugen können. Und sobald wir Gewissheit haben, entscheiden wir über das weitere Vorgehen der Bauarbeiten.“
Ein letztes Mal wurde Sol von misstrauischen dunklen Augen seziert. Schließlich nickte Mr. Holt ihm sparsam zu. „Einverstanden!“, sagte er und besiegelte das Abkommen per Handschlag. Dann verschwanden er und seine Leute friedlich und ohne weiteren Widerstand.
Sol atmete erleichtert durch und blickte den Polizisten ins Gesicht.
„Am liebsten hätte ich jetzt einen Schnaps“, sagte er. Die beiden grinsten lediglich.
„Phil, wie schnell können Sie den Radar klarmachen?“, fragte er dann. „Geld spielt keine Rolle. Jede Stunde, die der ganze Scheiß hier länger dauert, kostet mich ein Vermögen.“
Phil verzog unglücklich das Gesicht, zögerte herum, verschwand schließlich mit seinem Handy in der Hand. Sol wartete mit erzwungener Geduld. Die Arbeiter lungerten nach wie vor herum und warteten auf Anweisungen. Sie alle sollten eigentlich gerade eifrig den Boden ausschachten, verflucht! Als ein kalter Windstoß ihn traf, klappte er den Kragen seines langen Mantels hoch. Er war Kälte gewohnt, schließlich lebte er in Boston, wo die Winter zumeist kalt und schneereich waren. Hier im Hinterland von Massachusetts war es allerdings noch kälter und windiger. Dabei sollte laut Kalender eigentlich schon der Frühling begonnen haben.
Phil kehrte zurück, und er wirkte nicht, als hätte er gute Nachrichten im Gepäck.
„Ich bekomme morgen Mittag ein Gerät“, verkündete er und hielt dabei Abstand von Sol, als hätte er Angst, von ihm niedergeschlagen zu werden.
„Kommt ein Haken?“, fragte Sol. „Morgen Mittag ist nicht so schlimm, wie ich es gerade befürchtet hätte.“
„Kein Haken, ich dachte bloß … Heute noch wäre natürlich besser …“
„Natürlich wäre es am schönsten, wenn es in der nächsten halben Stunde per Helikopter eingeflogen werden könnte, aber wir sind hier in der Provinz und ich bin Realist. Also steht es fest, dass wir das Gerät in vierundzwanzig Stunden geliefert bekommen? Vorzugsweise zusammen mit jemandem, der es bedienen kann?“
„Ich habe Archäologen geordert, Sir. Sie werden das gesamte Gelände für uns abschreiten und die Befunde auswerten. Wenn ich das machen würde, ich könnte einen Stein nicht von einer Baumwurzel unterscheiden.“
„Guter Mann.“ Sol klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. „In Ordnung. Schicken Sie die Leute nach Hause. Für morgen sollen sie sich ab Mittag auf Abruf bereithalten. Vielleicht geschieht ja ein Wunder, wer weiß das schon? Ich werde mit den Behörden telefonieren und sie davon unterrichten, wie der aktuelle Stand der Dinge ist. Können Sie mir bitte eine Unterkunft empfehlen? Ich brauche jetzt Kaffee, ein Frühstück und ein Dach über dem Kopf für heute Nacht.“
Phil stutzte ein wenig über den abrupten Themenwechsel, doch dann nickte er verständig.
„Josies Cottage“, sagte er. „Liegt in der Nähe. Wunderschön, direkt am See. Josie Monroe. Sie vermietet im Sommer Zimmer an Gäste, zu dieser Jahreszeit steht das Haus für gewöhnlich leer. Ich rufe sie mal kurz an und frage, ob eine Unterkunft zu haben ist. Sehr sauber und gemütlich, vielleicht etwas einfacher, als Sie es gewohnt sind, Sir.“
Sah er aus, als würde er normalerweise im Luxus schwelgen, Drinks mit Goldflocken schlürfen und abends seine mit Diamanten besetzten Socken ausziehen, bevor er sich in die seidenen Laken legte? Sol blickte unwillkürlich an sich herab. Nun ja, der Mantel war sichtlich teuer, die Uhr kein Modell von der Stange und die Autovermietung hatte ihm einen leicht protzigen BMW hingestellt – sein eigenes Auto war stadttauglich, sprich, klein, wendig, passte auch in schmale Lücken. Wollte er sich mit Kunden treffen, mietete er sich etwas Schickes. Er musste einen gewissen Stil präsentieren, um von Geschäftspartnern ernst genommen zu werden. Das bedeutete nicht, dass er sich für etwas Besseres hielt.
„Josie bereitet ein Zimmer vor. Vollpension“, meldete Phil. „Ich hab ihr die Lage erklärt und sie weiß, dass man noch nicht sagen kann, wie lange Sie das Zimmer benötigen werden. Das ist kein Problem für sie.“ Er beschrieb Sol ausführlich, wie er das Cottage finden konnte, nannte ihm sicherheitshalber auch die genaue Adresse, bevor er sich an die Mannschaft wandte, um die Leute nach Hause zu schicken.
Sol rieb sich den schmerzenden Kopf und ging zum Auto. Bevor er sich um die ungefähr zwanzigtausend Telefonate kümmerte, die er jetzt sofort zu führen hatte, um diese Sache hier zu klären und seine anderen Baustellen am Laufen zu halten, brauchte er jetzt sofort einen Kaffee. Viel, viel Kaffee …
ill? Will!“ Josie klopfte ihm auf die Schulter, und als Will nach wie vor nicht reagierte, griff sie zum Äußersten: Sie rupfte ihm seine Bluetooth-Kopfhörer aus den Ohren. Beinahe hätte er seine Axt fallen lassen.
„Hey! Du weißt, dass man mich nicht stören sollte, wenn ich Holz hacke!“, rief er empört und starrte sie möglichst strafend an. Sie zuckte vollkommen unbeeindruckt die Schultern.
„Wenn du mir halt nicht zuhörst, ich aber jetzt sofort mit dir reden muss und nicht erst, wenn du diese Tanne zerlegt hast, was bleibt mir denn sonst übrig?“, fragte sie. Wie üblich trug sie ihre dick gefütterte weiße Daunenjacke, den riesigen selbstgestrickten Schal und eine Mütze, unter der sie die türkis gefärbten Haare versteckte. Josie gehörte zu jenen Frauen, die selbst im Hochsommer noch froren und sich am liebsten unter einer Wolldecke einkuschelten. Er selbst stand hier in Jeans und Hemd, ihm war warm genug von der harten Arbeit.
„Was machst du eigentlich hier?“, fragte er mit gefurchter Stirn. Es war noch nicht einmal zehn Uhr früh, also konnte sie weder Feierabend noch Mittagspause haben.
„Das ist es, worüber ich mit dir reden will. Wir bekommen einen Übernachtungsgast. Möglicherweise für länger.“ Sie erklärte ihm, dass es bei der geplanten Großbaustelle fünf Meilen entfernt Probleme gab, weil man menschliche Knochen gefunden hatte, und der Bauunternehmer sich bei ihnen einquartieren wollte.
„Brauchen wir wirklich einen solchen Großstadtschnösel?“, fragte Will wenig begeistert. Er hatte gehofft, dass frühestens Ostern die ersten Gäste einlaufen würden. Von der Vorstellung, dass er es bis dahin zurück auf eigene Füße geschafft haben könnte, hatte er sich allerdings schon verabschiedet – man musste Realist bleiben. Vergangenen Oktober war er als dienstuntauglich ehrenhaft aus dem Militär entlassen worden. Seitdem lebte er hier bei seiner Schwester und versuchte herauszufinden, was er mit dem Rest seines Lebens anfangen sollte. Weit war er damit noch nicht gekommen, also ja, er würde die nächste Touristensaison zweifellos durchstehen müssen. Was nicht bedeutete, dass er bereits heute damit anfangen wollte.
„Schatzi, deine Rente ist zwar ganz niedlich, trotzdem brauchen wir jeden Cent. Also ja, dieser Großstadtschnösel ist uns willkommen und du wirst superhöflich zu ihm sein. Er kommt gleich. Ich muss jetzt leider sofort zurück in den Laden, sonst macht Tina mich einen Kopf kürzer. Ich habe Frühstück für den Mann vorbereitet, darum hatte er gebeten. Du zeigst ihm das Eckzimmer, gibst ihm das Essen, lässt ihn die Papiere ausfüllen. Und wenn er dich um irgendetwas sonst bittet oder etwas wissen will, dann gibst du es ihm. Klar soweit? Enttäusch mich nicht!“ Sie musterte ihn jetzt sehr streng.
„Yes, Ma’am!“, entgegnete Will und salutierte zackig. Das war sein Zeichen, dass er mit der Situation unglücklich war, aber trotzdem gehorchen würde. Natürlich brauchten sie das Geld. Seine Militärrente reichte kaum für die Medikamente, die er bei Bedarf nehmen musste und er war Josie wahnsinnig dankbar, dass sie ihn aufgenommen hatte.
„Guter Junge. Wenn irgendetwas ist, ruf mich an. Ich wäre dir allerdings wirklich dankbar, wenn es dafür keinen Grund geben sollte.“ Sie tätschelte ihm die Wange, bevor sie sich umdrehte und über das riesige Gartengrundstück eilte. Ihre Chefin, eine sehr anstrengende Frau, wartete sicherlich schon ungeduldig. Josie arbeitete als Friseurin im einzigen Haarsalon von Riverglenn Field. Gerade vormittags war jeden Tag viel los. Will blickte ihr für einen Moment nach, bevor er die Axt schulterte und zum Haus marschierte. Wenn der Gast bereits unterwegs war, musste er sich beeilen, um ihn halbwegs gewaschen und sauber umgezogen in Empfang zu nehmen. Hoffentlich war das nicht so ein arroganter Snob, der an allem etwas auszusetzen hatte!
Sol parkte auf dem Kiesstreifen vor dem hübschen Cottage. Ein einstöckiges weißes Haus mit schwarzem Dach und grünen Fensterläden. Von der Größe her könnte es fast schon als kleine Villa durchgehen, die Bezeichnung Cottage hatte es wohl nur erhalten, weil es recht klassisch gebaut wurde. Es lag malerisch an einem See, mit riesigem Grundstück und altem Baumbestand. Gerade kämpfte sich die Sonne durch die dunkelgrauen Wolken und tauchte die Szenerie in goldenes, warmes Licht. Wow! Wenn man kein Problem mit der Einsamkeit hatte, musste es wundervoll sein, an einem solchen Ort zu leben. Er atmete die frische, klare Luft ein und spürte, wie er ruhiger wurde. Die drängenden Sorgen – immerhin konnte diese verdammte Sache ihn nach wie vor in den Bankrott treiben, wenn es richtig schlecht laufen sollte – traten ein wenig in den Hintergrund. Er konnte nichts tun, um den Prozess zu beschleunigen. Es war nicht seine Schuld, dass es so gelaufen war. Niemand trug die Schuld daran. Sollte sich herausstellen, dass mehrere hundert Skelette auf dem Gelände bestattet worden waren, die alle mindestens zweihundert Jahre oder älter sein sollten, tja, dann hatte er einfach Pech gehabt. Er musste abwarten und entsprechend reagieren, sobald er die notwendigen Informationen besaß. In den meisten Fällen sollte es möglich sein, sich aus dem Vertrag herauszukämpfen. Sol hoffte, es würde nicht notwendig werden, diese Region brauchte dringend bessere ärztliche Versorgung.
Er schnappte sich seine Aktentasche mit seinem Laptop, sowie den Handkoffer, in den er leider bloß eine Notfallzahnbürste und einmal Wechselwäsche gepackt hatte. Er war fest davon ausgegangen, dass er allerspätestens morgen früh wieder auf dem Heimweg sein würde, weil er sich kein Problem hatte vorstellen können, das seine Anwesenheit noch länger erfordert hätte. Sol war von einem schweren Arbeitsunfall ausgegangen, möglicherweise mit einem oder mehreren Toten. So etwas war ein Albtraum, den sich kein Bauunternehmer wünschte. Leider waren Unfälle auf jeder Baustelle Realität und Todesfälle nie auszuschließen, egal wie viel man in gutes Material und Arbeitssicherheit investierte.
Seufzend schob er die Gedanken zur Seite, bevor sie ihn vollständig runterziehen konnten, und klopfte an die Haustür des Cottages, nachdem er vergeblich nach einer Klingel gesucht hatte. Rasch wurde ihm geöffnet. Ein Mann stand vor ihm. Etwas größer als er. Vielleicht Mitte bis Ende zwanzig und somit etwas jünger als Sol mit seinen zweiunddreißig Jahren. Breit in den Schultern, fit und durchtrainiert. Modisch geschnittenes blondes Haar. Glatt rasiert. Stechend blaue Augen, die ihn ein wenig zu intensiv musterten. Etwas an der Art, wie er sich hielt, verriet den Soldaten. Oder eventuell auch Polizisten. Sol war sich aber ohne jede Begründung sicher, dass der Mann zum Militär gehören musste.
„Verzeihung, Sir“, sagte er unsicher, als der Mann nicht weiter auf ihn reagierte. „Bin ich hier richtig bei Josies Cottage? Mir wurde diese Adresse genannt.“
„Hm.“ Der Mann nickte und trat zur Seite. Wohl nicht unbedingt der gesprächige Typ.
Innen warteten dunkles Holz, weiße Wände und eine Rezeption, wo Sol erst einmal seine Daten auf einem Dokument eintragen und seinen Führerschein als Beleg vorweisen musste. Dann wurde er durch eine Tür geführt und landete schließlich in seinem Reich für die nächsten Tage. Ein gemütliches Zimmer war es, geschmackvoll im klassischen Stil eingerichtet. Das Bad war klein, aber modern und der Blick aus dem Fenster ging zum See hinaus. Sol sah einen Schwarm Vögel, der aus dem Schilf aufflog. Wirklich sehr malerisch hier! Hoffentlich konnte er bei so viel Stille heute Nacht überhaupt schlafen, er war nicht mehr daran gewöhnt.
Es klopfte an der Tür, einen Moment später kehrte der schweigsame Krieger zurück, mit einem Tablett in den Händen.
„Frühstück“, brummte er und stellte es auf dem Schreibtisch am Fenster ab. Es gab eine große Tasse Kaffee, Sandwiches mit Eier und Salat, frisch gebackene Pfannkuchen mit Apfelmus. Dazu eine kleine weiße Tonvase mit einer Tulpe. Sol ging davon aus, dass dies ein Gruß von Josie sein musste, denn er schätzte den Mann nicht so ein, als würde er Blumendekoration für notwendig halten.
„Zwei Fragen hätte ich noch“, sagte Sol rasch, als sein schweigsamer Gastgeber zur Tür strebte. „Zum einen hätte ich gerne eine Thermoskanne mit Kaffee, wenn das möglich wäre? Ich muss heute noch arbeiten und die Nacht war sehr kurz.“
„Klar“, lautete die gebrummte Antwort.
„Und gibt es vielleicht WLAN? Ich würde auch extra zahlen.“
„Nicht nötig.“ Der Mann beugte sich über den Schreibtisch und zog die Schublade auf. Darin befanden sich Broschüren und ein laminierter Zettel mit dem freien WLAN-Passwort.
„Wunderbar. Oh, und doch noch was: Kann man hier irgendwo Klamotten kaufen? Ich hatte nicht damit gerechnet, länger bleiben zu müssen. Ich weiß nicht, ob Ihre Frau Ihnen gesagt hat, warum ich überhaupt vor Ort bin.“
Der Mann stutzte, bevor sich die Andeutung eines Lächelns in seine Mundwinkel schlich.
„Josie ist meine Schwester. Ich bin William. Will. Und ja. In Riverglenn Field kann man shoppen. Ist allerdings eher nicht fancy.“ Er musterte Sols schicke Anzugshose, das teure Hemd, den Mantel, den er an der Garderobe bei der Tür aufgehängt hatte.
„Das ist in Ordnung, Jeans und einfache Pullis stören mich nicht.