Craving Kara - Nicole Jacquelyn - E-Book

Craving Kara E-Book

Nicole Jacquelyn

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Beschreibung

Bereits im zarten Alter von fünfzehn Jahren musste Kara MacKenzie lernen, dass sie ihre Lieben am besten schützt, indem sie ihnen Dinge verschweigt. Mit den Jahren wird sie immer besser darin, ihre Geheimnisse für sich zu behalten. Doch als Draco Harrison aus dem Gefängnis entlassen wird und nach Hause kommt, ist das nicht mehr so einfach. Denn es ist so gut wie unmöglich, einem Menschen Dinge zu verschweigen, der einen fast genauso gut kennt, wie man sich selbst. Also beschließt sie, ihm aus dem Weg zu gehen. Was ihr auch ziemlich gut gelingt. Das einzige Problem dabei ist, dass Draco andere Vorstellungen hat.

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Seitenzahl: 436

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Craving Kara

Next Generation Aces 7

Nicole Jacquelyn

© 2023 Sieben Verlag, 64823 Groß-Umstadt

© Umschlaggestaltung Andrea Gunschera

© Englische Originalausgabe Nicole Jacquelyn 2021

© Übersetzt von Sylvia Pranga

ISBN Taschenbuch: 9783967821024

ISBN eBook-mobi: 9783967821031

ISBN eBook-epub: 9783967821048

www.sieben-verlag.de

Für Biz und Danielle,

meine Cousinen und beste Freundinnen.Ich weiß nicht, wie ich ohne euch leben sollte.

Inhalt

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Epilog

Danksagungen

Die Autorin

Prolog

Draco

Ich behielt die Tür an der gegenüberliegenden Seite des Zimmers im Auge und knackte mit den Fingerknöcheln, das einzige äußere Anzeichen von Nervosität, das ich mir erlaubte. Es war einen Monat her, seit ich Kara das letzte Mal gesehen hatte, und ich wollte keine Sekunde ihrer Anwesenheit versäumen. Ich fühlte mich wie ausgehungert nach ihr. Es war wirklich armselig, wie ich ihre Besuche dafür benutzte, um weitermachen zu können. Und es war höchst unfair ihr gegenüber, weswegen ich sie nie merken ließ, wie wichtig mir ihre Besuche waren. Sie war jung, und seit ich saß, schien sich der kleine Altersunterschied zwischen uns exponentiell vergrößert zu haben. Sie ging noch zur Schule, wurde von ihren Eltern angeschrien und dachte darüber nach, bei welchen Colleges sie sich bewerben sollte, während ich den Morgen damit verbrachte, einen geschmuggelten Joint für einen Kerl namens Mutt mit mir herumzutragen, weil wir gehört hatten, dass seine Zelle durchsucht werden sollte, und ich ihm etwas schuldete.

Im Knast herrschte eine ganz andere Welt, und ich versuchte noch herauszufinden, wie ich mich am besten in ihr bewegen sollte. Manchmal hatte ich das Gefühl, es wäre besser, mein Zuhause zu vergessen. Ich hatte mich den ganzen Tag lang dagegen gewehrt, an das Leben draußen zu denken: an unser Haus, daran, was meine Eltern wohl machten, und ob Curt das Medienzimmer komplett demoliert hatte, weil ich nicht da war, um ihm zu sagen, wie er seinen Mist wieder in Ordnung bringen konnte. Doch jedes Mal, wenn ich mich abends schlafen legte, geriet ich in Panik und zwang mich, mich an alle kleinen Einzelheiten zu erinnern, denn ich hatte Angst zu vergessen, wie das wirkliche Leben war.

Mein Vater hatte mir geraten, die Füße still zu halten und meine Zeit abzusitzen. Der Club hatte für meinen Schutz im Knast gesorgt, was eine Erleichterung war, aber dieser Schutz unterlag Bedingungen. Mutt war der Hauptwachhund, was mir gut passte, denn ich mochte den Kerl tatsächlich. Er erinnerte mich ein wenig an meinen Onkel Grease. Doch es gab auch andere. Männer, die alle wissen ließen, dass sie mich verteidigen würden, wenn mir irgendjemand blöd kam. Allerdings hatte es Konsequenzen, dass ich davor beschützt wurde, in der Dusche vergewaltigt oder abgestochen zu werden. Ich musste Botengänge machen, Nachrichten weiterleiten und irgendwelchen Scheiß aufbewahren, der mich in ernsthafte Schwierigkeiten bringen konnte, und manchmal fungierte ich als Spitzel. Es war ein sehr fairer Handel, aber trotzdem ganz großer Mist.

Ich hasste es. Ich hasste, wie alles hier roch. Ich hasste, von Männern umgeben zu sein, die mir ebenso leicht die Kehle durchschneiden würden, wie sie mich ansahen. Ich hasste die Isolation und meine Zelle. Ich hasste das Essen. Ich hasste, dass ich nicht nach draußen konnte, bevor die mir zugewiesene Hofzeit anfing. Ich hasste die Langeweile und den Überdruss und das verfluchte fluoreszierende Licht, von dem ich inzwischen Migräne bekam.

Doch was ich am allermeisten hasste, und was ich niemandem sagen konnte, war das Gefühl einer Zielscheibe auf meinem Rücken. Ich hatte die ganze Zeit Angst. So viel Angst, dass ich am liebsten nach meiner Mommy geschrien hätte. Ich musste mich dazu zwingen zu erstarren, wenn mich jemand überraschte, statt jedes Mal zusammenzuzucken. Schwäche konnte mich umbringen, egal wie gut ich beschützt wurde.

Ich hielt den Atem an, als sich die Tür öffnete und die Besucher hereinströmten. Ich hob überrascht die Brauen, als Charlie und Curt mit meiner Mom hereinkamen. Bei der Gruppe musste sich immer ein Erwachsener befinden, wenn sie mich besuchte, was unglaublich ironisch war, denn Curt war mein Zwillingsbruder. Und ich lebte in diesem Gefängnis, verdammt noch mal. Aber egal. Wo war Kara?

„Hey“, sagte Charlie und ließ sich auf die Bank mir gegenüber fallen. „Wie geht’s dir? Ist alles in Ordnung?“

„Hallo, Bruder“, sagte Curtis trocken und warf Charlie einen Blick zu, der besagte, dass er chillen sollte.

„Hey, Baby“, sagte meine Mom, die sich als Letzte setzte. Ihr Kiefer war angespannt. Sie gab sich die größte Mühe, um zu verbergen, wie sehr sie es hasste, dass ich hier drin war, doch es gelang ihr nicht, jeden Gesichtsausdruck zu maskieren. Ihre Abscheu gegenüber den Wärtern, die jedes Mal Befehle bellten, wenn sie mir zu nahe kam, war spürbar. Wenn sie eine Waffe ins Gefängnis hätte mitbringen können, hätte sie wohl etwas Dummes getan.

Ich wartete eine Minute darauf, dass sie mir erzählen würden, wo sie war. Doch als niemand etwas sagte, tat ich es.

„Nicht, dass ich mich nicht freuen würde, euch zu sehen“, sagte ich zu der kleinen Gruppe. Ich räusperte mich. „Aber ich dachte, dass Kara auch kommen würde?“

Himmel, ich fühlte mich schon bei der Frage armselig. Das hasste ich auch.

„Sie hat mich gestern Abend angerufen und mir gesagt, dass sie es heute nicht schaffen würde“, sagte meine Mom und zuckte mit den Schultern. „Also habe ich Charlie Bescheid gesagt, weil sie als Nächste an der Reihe war.“

„Warum?“, fragte ich und sah Charlie an. „Geht es ihr gut?“

„Soweit ich weiß“, antwortete Charlie und nickte. „Vielleicht geht es nur um Familienkram oder so. Ich weiß es nicht. Ich habe nicht mit ihr gesprochen.“

„Du solltest dich versichern, dass alles in Ordnung ist“, sagte ich. Die Worte sprudelten aus meinem Mund, bevor ich sie aufhalten konnte. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Kara einen Besuch versäumte, außer es stimmte etwas nicht.

Ich wusste, was sie sahen, wenn sie mich anblickten. Ich wusste, dass sie die Lässigkeit und die coole Miene durchschauten. Sie erkannten, wie verzweifelt ich mir wünschte, Kara zu sehen, dass ich mir Sorgen um sie machte, mich nach ihr sehnte und mich auf nichts anderes als auf sie konzentrieren konnte. Ich konnte mir keinen Grund vorstellen, warum sie einen Besuch absagen sollte, außer es hatte einen Notfall gegeben. Doch die Mienen meiner Familienmitglieder sagten, dass sie es nicht so sahen wie ich.

„Ihr geht es gut“, sagte Curt trocken. „Meinem Baby allerdings nicht. Irgendjemand hat die Reifen der armen Roxanne aufgeschlitzt.“ Roxanne war seine vollständig restaurierte Chevelle. Ich verdrehte die Augen, folgte aber seinem Themenwechsel.

„Weißt du, wer es war?“, fragte ich, beugte mich vor und stützte mich auf den Ellbogen ab. Wir hatten seit dem Tag, als ich einen unserer Klassenkameraden zusammengeschlagen hatte, viele Konsequenzen ertragen müssen, aber ich hoffte, dass mein Bruder jetzt, da ich im Knast war, in Ruhe gelassen wurde. Ich wurde bereits bestraft, sie mussten nicht auch noch auf ihn losgehen.

„Es könnte Caleb Carson gewesen sein“, sagte Curt und biss sich auf die Lippe, um ein Lächeln zu unterdrücken. „Tatsächlich bin ich ziemlich sicher, dass er es war.“

„Ja, weil dein Auto vor dem Haus seiner Freundin parkte, während ihre Eltern nicht in der Stadt waren“, sagte Charlie angeekelt.

„Sie hat mir beim Lernen geholfen“, sagte Curt mit ernster Miene. „Sie ist wirklich klug.“

Ich kannte Calebs Freundin April. Süß, hübsch und lustig waren passende Beschreibungen für sie. Klug nicht. Ich schnaubte.

„Ich weiß“, sagte meine Mom und verdrehte die Augen. „Es wird wirklich schön sein, wenn ihr beide alt genug seid, um ihn ohne mich zu besuchen. Ich liebe es, hier zu sein, aber es geht gegen meine Natur, mir diesen Scheiß anzuhören.“

Wir schwiegen alle eine Weile, denn die Realität schien wie eine Bombe in der Mitte des Zimmers zu explodieren. Wenn Curt und Charlie nicht mehr minderjährig waren und mich daher allein besuchen durften, würde ich immer noch hier sein.

Nicht zum ersten Mal drehten sich meine Gedanken darum, ob das, was ich getan hatte, es wert gewesen war. Unweigerlich tauchte Karas Gesichtsausdruck vor meinem inneren Auge auf, als sie das Video sah, das jemand von ihr aufgenommen hatte, als sie halbnackt und verletzlich war. Diese Erinnerung blitzte immer auf, wenn ich mir selbst leidtat, und ich kam jedes Mal zu derselben Schlussfolgerung. Wenn ich in der Zeit zurückreisen könnte, würde ich das Arschloch, das das Video aufgenommen hatte, wieder krankenhausreif schlagen. Ich würde es nur nicht wieder vor so vielen Zeugen tun.

Kapitel 1

KaraVier Jahre später

„Willst du eine Bohne?“, fragte ich und beugte mich aus dem Fenster zu dem großen Truck und dem dicken alten Mann darin.

„Das weißt du doch, Darling“, antwortete er und lächelte.

Ich gab ihm zwei, einfach so.

„Hier, bitte schön“, sagte ich und gab ihm seinen Kaffee. Die beiden kleinen Kaffeebohnen rollten darauf herum. „Eine Sekunde, gleich kommt der für deine Frau.“

„Danke, Süße“, rief seine Frau vom Beifahrersitz. Ich konnte ihr Gesicht nicht sehen, außer sie beugte sich vor, aber ich konnte sie mir perfekt vorstellen. Ihr Haar fiel ihr wie ein langer, grauer Wasserfall den Rücken hinunter, der obere Teil war zurückgekämmt und wurde mit einer Haarspange zusammengehalten. Und in den Augenwinkeln hatte sie viele Lachfältchen.

Bill und Hazel waren zwei meiner besten Stammgäste. Ich liebte sie, wahrscheinlich weil sie mich an meine Großeltern erinnerten, die ich nicht oft genug sah.

Ich drückte den Deckel auf Hazels Kaffeebecher, räusperte mich und sah auf die Uhr. Nur noch zwei Stunden, bis ich den kleinen Kaffeestand schließen konnte, aber es fühlte sich an, als würde es noch zwei Wochen dauern.

„Hier, bitte schön“, sagte ich und machte mir nicht die Mühe, Bohnen in Hazels halbsüßen Mokka zu tun, weil sie der Meinung war, dass sie wie Schuhsohlen schmeckten.

„Erzähl es niemandem“, sagte Bill, als er mir den Kaffeebecher vorsichtig aus der Hand nahm, „aber du bist meine Lieblingsverkäuferin.“

„Das bist du wirklich“, sagte Hazel, die sich vorbeugte, um mich anzusehen. „Er schaut immer nach, ob dein Jeep vorne parkt.“

„Nun“, antwortete ich und blickte mich verschwörerisch nach beiden Seiten um, bevor ich fortfuhr. „Ihr seid auch meine Lieblingskunden.“

Bill johlte und legte verträumt eine Hand auf sein Herz, was mich zum Lachen brachte.

„Und jetzt verschwindet hier“, sagte ich und sah zum Himmel hoch.

„Du solltest auch abhauen“, sagte Bill und startete den Truck. Er musste über das Geräusch des Dieselmotors hinweg schreien. „Es kann nicht gut für dich sein, dass du da drin arbeitest.“

„Mir geht’s gut“, versicherte ich ihm. „Ich bin hier fast fertig, und dann fahre ich nach Hause.“

„Pass auf dich auf“, schrie Hazel.

„Ihr auch“, antwortete ich.

Ich räusperte mich wieder, als sie vom Fenster wegfuhren, unterdrückte ein Husten und beugte mich zu dem Truck, der ihren Platz eingenommen hatte.

„Hey, wie geht’s“, sagte ich automatisch.

„Jetzt besser“, antwortete Draco.

Ich schnaubte und lächelte ihn schief an, wobei ich zu verbergen versuchte, wie nervös ich war. Ich kannte Draco fast mein ganzes Leben lang, und wir hatten eine dramatischere Vergangenheit als die meisten Paare, die über fünfzig Jahre verheiratet waren. Doch zwischen uns war es mehr als nur ein wenig merkwürdig. Ich versuchte nach ihm Ausschau zu halten und hatte normalerweise eine Sekunde, um mich zu wappnen, bevor er ans Fenster kam. Doch dieses Mal war ich zu abgelenkt gewesen.

„Willst du das Übliche?“, fragte ich und warf einen Blick auf die Autoschlange hinter ihm.

„Ja, bitte“, bestätigte er und lächelte. Mein Gott, es sollte gegen die Naturgesetze sein, so gut auszusehen.

„Ich weiß nicht, warum du hier durchfährst, um einfachen schwarzen Kaffee zu kaufen“, antwortete ich, trat zurück und bereitete sein Getränk zu. „Den könntest du zu Hause kochen.“

„Das könnte ich“, sagte er leichthin, als ich ihm den einfachen Filterkaffee gab.

Ich winkte ab, als er mir Geld geben wollte. Charlie und ich ließen unsere Leute nie bezahlen. Wir sagten ihnen, dass das der Vorteil daran war, die Baristas zu kennen. In Wahrheit bezahlten wir den Kaffee nach dem Ende der Schicht von unserem Trinkgeld. Wir sahen es als gerecht an, weil wir während der Arbeit Besuch bekamen. Außerdem gaben sie uns immer reichlich Trinkgeld, obwohl sie nicht bezahlten, also endete es schließlich doch damit, dass sie bezahlten.

Ich war also nicht überrascht, als sich Draco weiter aus dem Fenster des Trucks lehnte und zwanzig Dollar in das Trinkgeldglas legte.

Ich seufzte dramatisch, widersprach aber nicht. Er würde den Zwanziger nicht zurücknehmen, auch wenn es viel zu viel war. „Danke.“

Er saß da, sah mich an und trank einen Schluck von seinem Kaffee. „Viel besser, als wenn ich ihn zu Hause gemacht hätte“, sagte er ruhig. „Hast du bald Feierabend?“

„Ziemlich bald“, sagte ich, obwohl es noch Stunden dauern würde.

„Gut“, sagte er und sah mir weiterhin in die Augen. „Es wird hier draußen langsam unangenehm.“

„Ich komme schon klar.“

„Lass mich wissen, wenn du etwas brauchst.“

Ich nickte und schluckte schwer. Wir wussten beide, dass erst die Welt untergehen musste, bevor ich ihn um Hilfe bat. Und wahrscheinlich würde ich es nicht einmal dann tun.

„Wir sehen uns, Süße.“

Ich nickte und winkte unbehaglich, als er den Gang des Trucks einlegte und losfuhr. Sobald er so weit entfernt war, dass er mich nicht mehr sehen konnte, trat ich einen Schritt in den Hänger zurück, schüttelte die Hände aus und glättete mein Haar. Es war egal, wie oft er auftauchte, um sich Kaffee zu holen, ich war danach jedes Mal völlig fertig.

Ich räusperte mich, zwang mich, mich wieder aus dem kleinen Fenster zu lehnen und zu lächeln. „Hey, was kann ich Ihnen bringen?“

Während der nächsten Stunde behielt ich mein Lächeln bei, während meine Augen tränten und die Luft sogar noch schwerer wurde. Als meine Chefin mit ihrem Mann auftauchte und das Neonschild OFFEN ausschaltete, war meine Nase so verstopft, dass ich beim Sprechen wie eine quäkende Gans klang.

„Du fährst jetzt nach Hause“, sagte sie und rieb mir kurz den Rücken, als sie sich in dem engen Raum an mir vorbeidrängte. „Wir ziehen den ganzen Wagen vorerst hier weg. Wir bringen ihn irgendwo unter, wo ich mir keine Sorgen um ihn machen muss.“

„Schreibst du mir später eine Nachricht?“, fragte ich und stellte keine anderen Fragen, während ich meine Schürze abband.

„Ich schicke in ein paar Stunden eine Gruppennachricht raus“, sagte Mallory und nickte mir zu, während sie schnell Vorräte und Geräte auf den Arbeitsflächen und in den Spülbecken sicherte. „Fahr nach Hause.“ Sie hob den Kopf und sah mich an. „Melde dich bei mir, okay? Lass mich wissen, ob alles in Ordnung ist.“

„Mach ich“, stimmte ich zu, winkte und wandte mich der Tür zu. Weniger als eine Minute später war ich auf dem Weg nach Hause. Ich hätte wahrscheinlich bleiben und Mallory anbieten sollen, ihr beim Zusammenpacken zu helfen, aber ich wusste, dass ich ihr nur im Weg sein würde. Außerdem konnte ich es nicht erwarten, unter die Dusche zu kommen. Ich stank wie ein Aschenbecher.

Als ich bei meiner Haustür ankam, war jeder Gedanke an eine Dusche verschwunden, und ich hatte das Gefühl, durch Schlamm zu waten. Verdammt, ich war so müde. Nachdem ich in der Nacht zuvor kaum Schlaf bekommen und danach ab vier Uhr früh die Schicht im Kaffeewagen übernommen hatte, war ich wie erschlagen. Gott sei Dank hatte Mallory den Wagen früher geschlossen. Ich war mir nicht sicher, ob ich bis zum Ende meiner Schicht durchgehalten hätte.

„Süße, ich bin zu Hause“, rief ich, nachdem ich die Haustür geöffnet und meine Handtasche auf die Couch geworfen hatte. „Du auch?“

„Ja“, antwortete meine Mitbewohnerin und beste Freundin und tauchte hinter der Arbeitsplatte in der Küche auf. Ich schrie überrascht auf.

„Himmel, hast du dich versteckt?“, fragte ich und streifte meine Schuhe ab.

„Nein, ich habe nach der Käsereibe gesucht, die ich mir von meiner Mutter geliehen habe, damit ich sie zurückgeben kann.“

„Inzwischen hat sie wahrscheinlich eine neue gekauft“, sagte ich und ging an ihr vorbei zu meinem Schlafzimmer.

„Ja, ich weiß“, antwortete Charlie und folgte mir. „Aber wenn ich ohne die Reibe zu ihr komme, nervt sie mich die ganze Zeit deswegen.“

„Wahrscheinlich“, stimmte ich zu, zog mein Telefon hervor und kontrollierte es an diesem Tag zum zehnten Mal. Die Nachrichten sagten, dass sich der Waldbrand in unserer Gegend näherte. Keinerlei Eindämmung waren die genauen Worte. Unberechenbare Winde. „Mallory hat den Shop geschlossen“, sagte ich zu Charlie und setzte mich auf die Bettkante. „Sie wollte den Wagen aus der Gefahrenzone ziehen.“

„Schön“, antwortete Charlie. Wir arbeiteten beide in dem Shop, hatten aber nur selten dieselbe Schicht, was, wenn ich ehrlich war, wahrscheinlich gut so war.

„Ja, aber es ist nur schön, bis es Zeit ist, die Miete zu zahlen“, antwortete ich und verzog das Gesicht.

„Wir kommen klar, wir schaffen es doch immer. Sie sagen, man soll in den Häusern bleiben, weil die Luft so schlecht ist“, sagte Charlie und lehnte sich gegen den Türrahmen. „Was bedeutet, dass dir für heute Morgen eigentlich eine Gefahrenzulage zusteht. Du riechst wie ein Lagerfeuer. Fährst du zu deinen Eltern, um den Scheiß dort abzuwarten?“

„Ja, klar“, antwortete ich und schnaubte. „Ich will da nicht hängenbleiben. Die Jungs würden mir wahrscheinlich den halben Kopf rasieren, während ich schlafe oder so etwas.“

„Vor ein paar Monaten hast du doch dort übernachtet“, sagte Charlie trocken.

„Das war damals, jetzt ist jetzt“, sagte ich und ließ mich auf mein Bett fallen. „Wirst du bei deinen Eltern bleiben?“

„Das hatte ich vor. Darum habe ich nach der Käsereibe gesucht“, sagte sie und verschränkte die Arme vor der Brust. „Aber ich will dich hier nicht allein lassen. Das ist Mist.“

Ich lachte. „Ich kann durchaus allein in unserer Wohnung bleiben.“

„Ja, klar“, antwortete sie stur.

„Das ist keine große Sache. Ich fahre zu meinen Eltern, wenn es zu schlimm wird.“

„Und das ist noch nicht schlimm genug?“ Charlie grunzte verärgert. „Warum kommst du nicht mit mir zu meinen Eltern? Es wird wie in alten Zeiten sein.“

Ein Dutzend Momentaufnahmen blitzten in meinem Kopf auf, Erinnerungen an die Zeiten, als ich als Kind bei ihr übernachtet hatte und an den Menschen, der ich damals war. Ich schüttelte den Kopf. Ich war nicht in Stimmung für einen Ausflug in die Vergangenheit.

„Ich komme klar“, antwortete ich und machte mit den Händen eine scheuchende Bewegung. „Ich behalte die Nachrichten im Auge. Es wird eine schöne Pause sein, fast wie Urlaub.“

„Ein Urlaub, in dem du ganz allein und von Feuer umgeben bist“, sagte Charlie und verzog das Gesicht. „Klingt nach unheimlich viel Spaß.“

„Verschwindest du jetzt mal endlich?“, sagte ich und warf ein Kissen nach ihr. „Ich meine es ernst. Ich komme klar. Wenn es zu schlimm wird, fahre ich zu meinen Eltern. Es ist keine große Sache.“

„Wenn du sicher bist“, sagte sie zögernd.

„Offensichtlich habe ich mich nicht klar genug ausgedrückt“, antwortete ich sarkastisch. „Aber du kannst wirklich gehen.“

„Ist gut“, sagte sie und richtete sich auf. „Aber wenn du deine Meinung änderst, bin ich sicher, dass mein alter Herr dich abholen würde.“

„Ich weiß“, sagte ich und lächelte. „Ich bin der Liebling deines Dads.“

„Das liegt daran, dass er glaubt, du hältst mich von Schwierigkeiten fern“, sagte Charlie, kicherte und ging.

Sobald sie außer Sichtweite war, verblasste mein Lächeln. Gott, ich konnte nicht glauben, was passierte. Wir hatten es noch nie mit solchen Waldbränden zu tun gehabt, wie sie jetzt durch unseren Staat rasten. Klar, es gab Feuer, und zwar jedes Jahr, aber nicht so dicht an unserem Wohngebiet. Zum Glück befand sich unsere Wohnung ziemlich nah bei der Innenstadt, und ich war sicher, dass, wer immer auch die Verantwortung trug, Himmel und Hölle in Bewegung setzen würde, um den Schaden in der Stadt auf ein Minimum zu begrenzen.

Das Haus meiner Eltern stand auch innerhalb der Stadtgrenzen und war wahrscheinlich sicher, aber eine Menge Menschen hatten nicht so viel Glück. Charlies Schwestern und Eltern wohnten alle in den Außenbezirken. Das traf auch auf die meisten Leute zu, die wir kannten. Zur Hölle, sogar das Clubhaus der Aces und ihre Werkstatt, wo ich meine halbe Kindheit verbracht hatte, lagen in den Wäldern.

Obwohl die ganze Situation Mist war, würde ich trotzdem versuchen, die Zeit, in der ich nicht arbeiten musste, zu nutzen. Man sollte immer die positiven Aspekte sehen, oder? Ich hatte vor, mich auf die Couch zu setzen und meine Zeit mit Lesen und Schlafen zu verbringen, wenn ich mir nicht gerade die Nachrichten ansah.

Natürlich bestand immer die Möglichkeit, dass die Feuerwehr die Waldbrände in unserer Gegend unter Kontrolle bekam, und dann würde ich wie gewöhnlich arbeiten. Ich rümpfte die Nase. Das wäre wirklich das beste Szenario, aber ich glaubte nicht, dass es passieren würde. Wir hatten es noch nie zuvor mit solchen Waldbränden zu tun gehabt. Sie breiteten sich schnell aus und waren höllisch furchterregend.

Ich stand vom Bett auf, ging im Zimmer herum und stöpselte mein Telefon, den Laptop und den E-Reader ein. Ich redete mir ein, dass ich das tat, um die stille Wohnung voll und ganz zu nutzen, während Charlie weg war, und nicht, weil ich Angst hatte, dass meine elektronischen Geräte ausfallen und ich keinen Kontakt mehr zur Außenwelt haben würde.

„Kara!“, rief Charlie fröhlich aus dem Flur.

„Charlie!“, schrie ich zurück und ging zu ihrem Zimmer.

„Mann“, sagte sie und warf mir eine Gesichtsmaske zu, sobald ich im Türrahmen auftauchte.

Ich fing sie nicht rechtzeitig und sie fiel zu Boden.

„Ich habe dich gewarnt“, sagte Charlie genervt.

„Du hast ‚Mann‘ gesagt“, widersprach ich, bückte mich und hob die Maske auf.

„Ich werde nie verstehen, wie grauenhaft deine Reflexe sind.“

„Ich werde nie verstehen, wie du eine Murmel fangen kannst, die dir jemand aus zwanzig Metern Entfernung zuwirft. Das ist nicht normal.“

„Ich bin außergewöhnlich“, antwortete sie sachlich. „Aber sieh mal“, sie wies auf die Maske in meiner Hand. „Mark hat sie mir vor einem Jahr mit nach Hause gegeben. Setz sie auf, wenn du nach draußen gehst.“

Ich sah sie verständnislos an.

„Mein Schwager ist praktisch ein Prepper, der sich auf den Weltuntergang vorbereitet. Er hat sich wirklich auf alles vorbereitet“, sagte sie. „Das hilft, den Dreck aus deinen Lungen fernzuhalten.“

„Cool“, antwortete ich.

„Oh, mein Gott“, sagte sie und lachte. „Setz die verdammte Maske einfach auf, okay? Ernsthaft. Die kleine Infografik in den Nachrichten hat angezeigt, dass die Luftqualität in unserer Gegend im roten Bereich ist.“

„Nun, wenn die Luft rot ist“, scherzte ich und nickte.

„Benutz die verfluchte Maske“, befahl sie und zeigte darauf.

„Wie sehe ich aus?“, fragte ich und zog die Maske über Mund und Nase.

„Wie ein Trottel“, antwortete sie und lachte. „Aber es sollte funktionieren. Mark weiß über solchen Scheiß Bescheid, und er meinte, dass diese Masken die besten sind, wenn man keine Gasmaske hat.“

„Dann bin ich froh, dass er dir diese hier mitgegeben hat, denn ich gehe nicht mit einer verdammten Gasmaske in den Supermarkt“, sagte ich und schüttelte die Maske an ihren elastischen Bändern.

„Ich habe auch eine für Rebel“, sagte sie. „Ich frage mich, ob sie in der Lage ist, sie zu benutzen?“

Unsere andere beste Freundin, meine Cousine Rebel, hatte ein paar Wahrnehmungsstörungen. „Es kann nicht schaden zu fragen“, sagte ich und zuckte mit den Schultern. „Sie will wahrscheinlich das machen, was wir tun.“

Charlie nickte und imitierte Darth Vaders Atemgeräusche hinter ihrer Hand. Sie lehnte sich gegen den Schrank und sagte: „Du weißt, dass du Besuch bekommen wirst, wenn man herausfindet, dass du noch hier bist.“

„Dann lüg, wenn du gefragt wirst“, antwortete ich. Ich wusste, dass sie recht hatte. Ich wusste auch, wie ihre Antwort auf meine Forderung lauten würde, bevor sie etwas sagte.

„Das mache ich nicht“, sagte sie, während ich ihre Worte stumm mit den Lippen mitformte.

Ich sah verwirrt zu, wie sie eine Motorradbrille hervorzog und zufrieden schnaufte. Ich hatte keine Ahnung, was sie damit vorhatte, denn wir sollten uns ja nicht draußen aufhalten.

„Ich mache bei dieser Sache, die du mit Draco am Laufen hast, nicht mit“, sagte sie kategorisch, womit sie meine Aufmerksamkeit von der Schutzbrille ablenkte. „Damit müsst ihr beide allein fertigwerden.“

„Ich weiß nicht, was ich davon halten soll, weil keiner von euch seine Nase heraushalten kann“, schoss ich zurück und begegnete ihrem Blick.

Wir hatten dieses Gespräch schon an die hundert Mal geführt, und ich wusste, dass es wie bei den unzähligen Malen zuvor keine Lösung geben würde, egal wie lange wir uns im Kreis drehten.

„Wenn ihr in der Gruppe, in der ihr aufgewachsen seid, alles höllisch unbehaglich macht, ist es irgendwie schwierig zu ignorieren“, schnappte sie.

„Wir machen nichts unbehaglich“, sagte ich und bemühte mich, meine Stimme ruhig zu halten. „Es ist nur peinlich, dass ihr anderen immer versucht, uns beide zusammenzubringen.“

„Wenn du glaubst, dass irgendjemand anders außer Draco darauf drängt, dann bist du blind“, antwortete sie. „Wir bemühen uns nur alle, uns von dem Explosionsbereich fernzuhalten.“

„Dann bleibt dort weg“, sagte ich und riss verbittert einen Arm hoch. „Ich brauche keine Bemerkungen darüber, ob ich Besucher haben werde oder nicht, und ich lege keinen Wert darauf, dass du sagst, wo ich bin, auch wenn gefragt wird. Ich habe einen Dad, ich brauche nicht noch einen.“

Sie starrte mich an. „Ich glaube kaum, dass Draco die Rolle deines Vaters übernehmen will.“

„Curt war es scheißegal, wo ich war oder was ich machte, als Draco weg gewesen ist. Aber jetzt interessiert es ihn urplötzlich? Was zur Hölle soll das?“

„Sag du es mir“, meinte sie, wobei eine Anspielung mitklang.

Mir blieb der Mund offenstehen. „Fick dich“, schoss ich zurück. „Tu nicht so, als würdest du glauben, dass zwischen mir und Curtis etwas ist. Du weißt ganz genau, dass es nicht so ist.“

Charlie seufzte. „Du hast recht. So etwas Beschissenes hätte ich nicht sagen sollen.“

Im Zimmer war es eine Weile still.

„Bist du sicher, dass du nicht mit mir zu meinen Eltern kommen willst?“, fragte sie erneut. Der Themenwechsel war schnell und einfach. Wir hatten den Streit über Draco seit langer Zeit immer wieder. Es änderte nichts an unserer Freundschaft, und wir wurden deswegen nicht mehr wütend. „Du weißt, dass es bei Farrah immer gute Snacks gibt.“

„Nein, danke. Und hör auf, deine Mutter Farrah zu nennen“, sagte ich und schüttelte den Kopf. „Du könntest mir allerdings ein paar Cheetos mitbringen.“

„Auf keinen Fall“, sagte sie und warf ihre Schneestiefel mitten auf den Boden. „Wer rastet, der rostet. Und wenn ich das will, nenne ich sie Farrah. Ich glaube, ihr gefällt das sogar.“

Ich schnaubte. Charlies Mom wollte definitiv nicht, dass ihre Tochter sie beim Vornamen nannte. Ich konnte schon nicht mehr zählen, wie oft Farrah sie über die Jahre hinweg korrigiert hatte.

„Ich gehe schnell zum Supermarkt und kaufe Lebensmittel, damit ich später nicht raus muss“, sagte ich und fürchtete schon den Gang zu meinem Auto. „Bist du noch hier, wenn ich zurückkomme?“

„Nein, ich bin mit dem Packen fast fertig“, sagte Charlie und stand auf. „Aber schreib mir, wenn du wieder zu Hause bist, okay? Die Leute werden sich wie die Verrückten benehmen.“

„Ja, Mom“, scherzte ich und ging in den Flur. Ich bezwang den Drang, meinen Kopf wieder in das Zimmer zu stecken, denn ich wusste, dass ich eine absolute Heuchlerin war. „Schreib mir, wenn du bei deinen Eltern angekommen bist.“

„Ja, Mom“, antwortete sie.

Das hatte ich verdient.

Die Fahrt zum Supermarkt verlief ereignislos, wenn man davon absah, dass die Leute einige Regale leergeräumt hatten, weil sie wohl Angst hatten, bald von allem abgeschlossen zu sein. Es brachte mich immer zum Lachen, was Menschen während einer Naturkatastrophe als lebensnotwendig betrachteten. Ich war keine Expertin, aber ich war ziemlich sicher, dass sie überleben würden, ohne das ganze Toilettenpapier, einzelne Wasserflaschen, Thunfischdosen und Bagles aufzukaufen. Ich schüttelte den Kopf, als ich ein paar viereinhalb-Liter-Behälter Wasser hineintrug. Davon hatte es mindestens noch hundert gegeben, sie standen unberührt in perfekten Reihen über den leeren Regalen.

Wasser war Wasser, und die Leute waren dumm.

Ich schloss die Tür hinter mir ab, trug die Behälter in die Küche und war ziemlich stolz auf mich. Ich hatte Wasser, Limo und Lebensmittel für mindestens vier Tage. Ich hatte sogar ein paar Bier und eine Flasche Wein, die jemand im Kühlschrank gelassen hatte, falls ich dafür in Stimmung sein sollte. Ich würde mich wahrscheinlich schlecht fühlen, wenn ich so viel Junkfood essen würde, aber das Risiko war ich bereit einzugehen. Außerdem konnte sich der Wind immer drehen, sodass die Feuer die Richtung ändern würden. Vielleicht würde alles schneller wieder zur Normalität zurückkehren als alle erwarteten.

Als ich Charlie schrieb, dass ich jetzt erst einmal zu Hause war, klingelte mein Telefon und erschreckte mich.

Ich meldete mich ganz formell. „Hallo, Vater.“

„Hallo, Tochter“, antwortete er, wobei seine raue, tiefe Stimme amüsiert klang. „Wie geht es meinem Lieblingsmädchen?“

„Das lässt du besser nicht Rose hören“, scherzte ich.

„Rose ist eine erwachsene Frau, Süße“, antwortete er.

„Sei nicht so gemein“, forderte ich ihn leichthin auf. „Was gibt es?“

„Ich rufe nur an, um von dir zu hören“, sagte er. „Ich habe die Nachrichten gesehen. Man macht sich Sorgen, dass sich die Feuer in unsere Richtung bewegen. Kommst du her?“

„Ich denke, ich sitze es einfach hier aus“, antwortete ich.

„Du verarschst mich, oder?“, fragte er ungläubig. „Warum zur Hölle solltest du so etwas tun?“

„Weil ich eine Erwachsene bin und meine eigene Wohnung habe?“

„Deine Wohnung hat aber keinen Generator, wenn der Strom ausfallen sollte“, erwiderte er. „Ist Charlie bei dir?“

„Sie ist zu Casper und Farrah gefahren.“

„Oh, okay, dann ist wenigstens eine von euch vernünftig. Das ist gut“, brummte er. „Ich hätte nicht gedacht, dass es die Verrückte ist, aber okay.“

Ich musste lachen. „Ich komme schon klar“, versicherte ich ihm und fing an, die Lebensmittel wegzuräumen. „Ich habe Essen und Getränke, und Charlie hat mir sogar eine Maske dagelassen, falls ich aus irgendeinem Grund nach draußen muss. Außerdem kann ich die Nachrichten ebenso gut hier schauen wie bei euch zu Hause.“

„Du wirst mich dazu bringen, bei diesem Irrsinn loszufahren und dich zu holen“, sagte er und ignorierte meine Bemerkung. „Sobald du genug Angst hast. Und ich werde da draußen mit diesen Idioten sein, die nicht wissen, wohin sie wollen oder was sie tun, und die rumrennen wie Hühner, denen man den Kopf abgeschlagen hat.“ Er schnaubte.

„Ich werde dich nicht bitten, hierher zu kommen, versprochen“, antwortete ich.

„Sag das bloß nicht“, schnappte er. „Wenn es nötig ist, dass ich komme und dich hole, dann komme und hole ich dich.“

Ich lächelte.

„Okay, ich verspreche, ich rufe dich an, wenn ich dich brauche“, erwiderte ich. „Aber, ehrlich, Dad, ich werde nur rumliegen und lesen. Wir wissen nicht mal, ob der Strom ausfallen wird.“

„Es sieht nicht gut aus, Prinzessin“, widersprach er. „Der Energiekonzern sagt, dass sie den Strom vielleicht aus Sicherheitsgründen abstellen.“

„Auch wenn sie das tun, komme ich klar. Es ist ja nicht so, als würde ich dann erfrieren.“

„Es ist wahrscheinlicher, dass dich die Hitze umbringt“, stimmte er zu. „Ich melde mich immer wieder mal, okay?“

„Natürlich.“

„Ich liebe dich, Kleine.“

„Ich liebe dich auch.“

Nicht lange nachdem wir das Gespräch beendet hatten, wurde meine Angst stärker. Ich saß mit meiner Tüte Brezeln auf der Couch, scrollte durch die Nachrichtensender auf meinem Handy und versuchte, die aktuellsten Neuigkeiten zu finden. Zum Glück hatte sich nichts verändert, seit ich das letzte Mal nachgesehen hatte. Die Brände wüteten immer noch außerhalb der Stadt, und für unseren Apartmentkomplex galt immer noch die Evakuierungsstufe Eins, was nur bedeutete, dass wir darauf vorbereitet sein sollten zu gehen.

Ich konnte mir nicht vorstellen, dass die Brände die Stadt erreichen würden, doch ich spürte einen leichten Anflug von Panik, als ich an das Gespräch mit meinem Dad dachte. Er hatte nach außen hin nicht wirklich besorgt gewirkt, aber die Situation schien ihn definitiv zu beunruhigen.

Mein Dad war im Allgemeinen nie beunruhigt.

Ich legte mir das Telefon auf die Brust, lehnte den Kopf gegen die Sofalehne und schloss die Augen. Ich hatte ein paar freie Tage, musste nirgendwohin und hatte die Wohnung für mich allein. Ich musste das ausnutzen und würde damit anfangen, ein Schläfchen zu machen.

Ich öffnete die Augen, nahm mein Telefon wieder zur Hand und vergewisserte mich, dass das Klingeln aktiviert war – nur für den Fall.

Obwohl ich mir Sorgen machte, schlief ich innerhalb von Minuten ein.

Ich schlief so tief, dass ich desorientiert war, als ich ein paar Stunden später aufwachte. Was machte ich auf der Couch? Wie spät war es? Wo war Charlie? Kam ich zu spät zur Arbeit? Zum Glück setzte mein Verstand in weniger als einer Minute wieder ein. Ich sah wieder auf mein Telefon, um mich zu vergewissern, dass ich keine Anrufe erhalten hatte, und aktualisierte die örtliche Nachrichtenseite.

Die Wohnung unterlag immer noch Stufe Eins, aber etwas schien sich verändert zu haben, als ich mir die kleinen roten, gelben und grünen Bereiche auf der Karte ansah. Hatten sich die Grenzen verschoben? Ich konnte es nicht sagen.

Ich rappelte mich von der Couch hoch, ging in mein Zimmer und rief Charlie an.

„Was gibt’s?“, fragte sie. „Kommst du her?“

„Nein“, sagte ich und lachte. „Wir sind immer noch bei Stufe Eins, aber ich glaube, ich sollte bereit sein ernster nehmen und ein paar Sachen packen, falls ich verschwinden muss.“

„Gute Entscheidung“, antwortete sie. „Mach dir um meinen Krempel keine Gedanken, ich habe schon alles mitgenommen, ohne das ich nicht leben kann, falls unsere Wohnung in einem Feuerinferno untergeht.“

„Wann?“, fragte ich überrascht.

„Als sie uns auf Stufe Eins gesetzt haben.“

„Warum habe ich das nicht bemerkt?“

„Wahrscheinlich, weil ich nicht so wahnsinnig viele Sachen habe, ohne die ich nicht leben kann“, erwiderte Charlie. „Ich habe meine Elektronikgeräte, wichtige Papiere, etwas Schmuck und ein paar andere Dinge. Der Rest war nur Kleidung und Toilettenartikel, die ich für den Aufenthalt bei meinen Eltern brauche. Keine große Sache.“

Ich sah mich in meinem Zimmer um. Ohne welche Dinge konnte ich nicht leben?

„Ich packe jetzt besser“, murmelte ich. „Ich weiß nicht einmal, wo ich anfangen soll.“

„Geburtsurkunde, EpiPen und Bankkram“, antwortete Charlie sofort. „Brauchst du dabei Hilfe?“

„Nein“, sagte ich abgelenkt. „Ich habe angerufen, um zu fragen, ob ich etwas von dir mitnehmen soll.“

„Oh, danke“, sagte sie mit einem Lächeln in der Stimme. „Ich brauche nichts. Wenn mir noch etwas einfällt, das ich vergessen habe, sage ich dir Bescheid.“

„In Ordnung.“

„Lass mich wissen, wenn du die Wohnung verlässt, okay?“, bat sie. „Damit ich weiß, wo du bist.“

„Mach ich. Ist bei dir und deinen Eltern alles in Ordnung?“

„Hier ist alles bestens“, versicherte sie mir. „Wir unterliegen immer noch Stufe Zwei, und der Rauch ist furchtbar, aber kein Zeichen von Feuer.“

„Himmel“, murmelte ich. „Bitte geht, bevor ihr das Feuer seht.“

„Ich tue, was ich kann“, sagte sie, lachte und legte auf.

Mit einem Seufzen sah ich mich in meinem Zimmer um. Ich wusste einfach nicht, was ich mitnehmen sollte. Es gab tausend kleine Dinge, die ich nicht verlieren wollte, aber was war wirklich wichtig? Ich folgte Charlies Rat und sah zwei Mal nach, ob ich meinen EpiPen in der Handtasche hatte, zog dann meine Geburtsurkunde, Ausweis, Schul- und Bankinformationen hervor und stapelte sie auf meinem Bett. Diese Sachen musste ich auf alle Fälle mitnehmen. Ich nahm auch das kleine Notizbuch, das ich benutzte, um den Überblick über meine Rechnungen zu behalten, und fügte es dem Stapel hinzu.

Ich stützte die Hände in die Hüften und sah mich um. Okay, als Nächstes kamen Kleidung und Schuhe an die Reihe. Ich sah die Sachen durch, die ich vielleicht brauchen würde, und legte sie neben den Stapel mit den wichtigen Dingen auf das Bett. Nach ein paar Minuten waren die Stapel so sehr angewachsen, dass ich das Gesicht verzog. Die Vorstellung, dass ich entscheiden musste, was ich mitnahm und was ich zurückließ, war schwieriger als ich gedacht hatte. Nachdem ich ein paar Minuten mit mir gerungen hatte, was ich wirklich brauchte, legte ich die Hälfte der Kleidung in die Kommode zurück und beschloss, dass ich die Schubladen auf keinen Fall noch einmal öffnen würde. Bei den Toilettenartikeln war es einfacher, weil ich nicht viele hatte. Ich benutzte das Shampoo, den Conditioner, das Gesichtswasser und die Feuchtigkeitscreme, die Charlies Mom Farrah empfahl, aber es war eine eher bescheidene Pflegelinie. Ich hatte mir um dieses Zeug lange keine Gedanken gemacht, und es war schön, jemanden zu haben, der mir einfach sagte, was ich benutzen sollte.

Eine knappe Stunde später sammelte ich meine Sachen zusammen. Ich hatte alles in einen großen Koffer, eine Reisetasche, einen kleinen Karton, einen Milchkasten und einen Rucksack gepackt, der nur zur Hälfte voll war.

Ich saß auf der Bettkante und sah zum oberen Regalbrett meines Kleiderschranks hoch. Brauchte ich etwas daraus? Würde es wirklich etwas ausmachen, wenn ich alles zurückließ? Wenn ich es mitnahm, was würde das über mich aussagen?

Die kleine Schachtel, die ganz links auf dem Regal stand, schien wie ein Leuchtturm hervorzustehen, obwohl ich ihn erfolgreich ignoriert hatte, seit ich ihn am Tag meines Einzugs in die Wohnung dort hingestellt hatte.

„Scheiß drauf“, murmelte ich und sprang auf. Ich leerte den Rucksack und trug ihn zum Kleiderschrank. Die Schachtel war leicht, aber ich legte sie so schnell in den Rucksack wie ich konnte. Sie nur anzufassen, schien mir eine schlechte Idee zu sein. Dann packte ich den Inhalt, den ich herausgeschüttet hatte, wieder in den Rucksack zurück, sodass er die Schachtel ganz verbarg.

Nachdem ich ein paar Minuten mit mir gerungen hatte, beschloss ich, meine gepackten Habseligkeiten neben die Haustür statt in mein Auto zu stellen. Wenn ich gehen musste, würde es ziemlich einfach sein, sie die Treppe runter zu schleppen, aber ich wollte nicht das Risiko eingehen, dass mein Kram gestohlen wurde, wenn jemand ihn draußen bemerkte.

„Fertig“, sagte ich und war stolz auf mich. Dann fiel mein Blick auf den Flaschenöffner in Form eines Penis, den meine Stiefmutter mir zu meinem einundzwanzigsten Geburtstag geschenkt hatte. Dabei hatte sie zu mir gesagt: ‚Die Kerle würden eher ihre Zähne als dieses Ding benutzen, also wirst du immer wissen, wo er ist.‘ Es war lächerlich und fantastisch und typisch Rose, eine Mischung aus Zweckmäßigkeit und Wildheit. Ich würde ihn einfach in meine Handtasche werfen. Keine große Sache.

Doch dann, als ich nach dem Flaschenöffner griff, sah ich das Bild von mir und Charlie am Kühlschrank, und ich war mir nicht sicher, ob wir es noch in digitaler Form hatten. Ich konnte mich nicht einmal erinnern, wer es ursprünglich ausgedruckt hatte.

Dann war da noch der Kerzenhalter, den mein kleiner Bruder Brody mir in der Vorschule aus einem Glas Babynahrung gemacht hatte, um das er farbiges Tonpapier geklebt hatte. Eine Vase, die Nana gehörte und die sie mir geschenkt hatte, als ich auszog. Das alles war unersetzlich.

Eine halbe Stunde später hatte ich eine weitere Tasche voller Dinge, die ich einfach nicht im Haus lassen konnte.

Ich musste aufhören, mich im Haus umzusehen. Wie schafften die Leute das? Wie engte man es ein? Vielleicht war es einfacher, wenn die Bedrohung ganz nah war und man nur das absolut Wichtigste mitnehmen konnte. Ich hatte zu viel Zeit, um mir über die Sachen Gedanken zu machen, die ich zurückließ.

Oh, Scheiße. Ich ging zur Couch hinüber und nahm die Decke, unter der ich immer schlief, rollte sie zu einem Ball zusammen und legte sie auf den Milchkasten. Wen interessierte schon die blöde Geburtsurkunde? Wenn ich versehentlich meine Decke vergaß, würde ich todunglücklich sein.

Ich wollte gerade nach meinem Telefon greifen, um wieder nach den Nachrichten zu sehen, als jemand an die Haustür hämmerte.

Kapitel 2

Draco

„Bist du sicher, dass du nicht irgendwo anders hinwillst?“, fragte ich meine Mom zum fünften Mal. Sie saß am Küchentisch und umklammerte ihren Kaffeebecher so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten. Sie war nicht so ruhig, wie sie alle anderen glauben machen wollte.

„Wir müssen nirgendwo anders hin“, antwortete sie und trank einen Schluck Kaffee. „Das Feuer wird uns nicht erreichen.“

Die Worte waren eher ein Mantra als eine Behauptung, so als wollte sie das Feuer allein durch ihren Willen in eine andere Richtung drängen.

Ich sah durch das Fenster hinter ihr. Der Himmel war so düster und verhangen, dass man vom Haus aus keine achtzig Meter weit sehen konnte, aber das Glühen der Waldbrände in der Ferne schimmerte hindurch, orange und höllisch unheimlich.

„Du hast doch die wichtigsten Sachen gepackt, oder?“, fragte mein Bruder Curtis.

Mom nickte.

Wir hatten schon mal ein Feuer überstanden. Als Curt und ich noch Kinder waren, gerieten wir mit unserem Cousin Gray und unserer Tante Lily in einen Hausbrand. In dieser Situation hatte es viel Scheiß gegeben, der mein kindliches Verständnis überstieg, aber ich konnte mich sehr gut an den Rauchgeruch erinnern, und dass wir nicht in der Lage gewesen waren, irgendetwas zu sehen.

Der Himmel draußen war eine lebhafte Erinnerung daran. Ich bekam dadurch ein Gefühl von Klaustrophobie.

„Da draußen ist eine verfluchte Erbsensuppe“, beschwerte sich mein Dad, der durch die Küchentür hereinkam und sie schnell hinter sich schloss. „Man kann überhaupt nichts sehen.“

„Du solltest etwas über dem Gesicht tragen, Cam“, mahnte meine Mom.

„Ich war nur fünf Minuten draußen“, antwortete er leichthin. „Da brauche ich mein Gesicht nicht zu bedecken.“

„Nach draußen zu gehen, um zu rauchen, wenn das ganze Haus bereits nach Rauch stinkt, ist irgendwie blöd“, murmelte meine Mom, worüber mein Dad lachen musste.

Mein Telefon vibrierte in meiner Tasche, und ich griff danach. Im selben Moment griff Curtis nach seinem. Ich wusste, wie die neue Nachricht lautete, bevor ich sie sah.

„Wir unterliegen jetzt Stufe Zwei“, sagte Curtis zu meinen Eltern und hob sein Telefon, sodass sie es sehen konnten.

„Wir haben gepackt“, sagte mein Dad und nickte. „Wenn wir gehen müssen, ist alles im Laster eurer Mom.“

„Nimmst du das Bike?“, fragte ich.

„Dann solltest du besser eine Maske tragen“, scherzte Curt.

„Er wird den geschlossenen Helm tragen“, sagte meine Mom und ignorierte geflissentlich Dads angewiderte Miene. „Wie er schon sagte, man kann da draußen kaum etwas sehen, was bedeutet, dass die Leute wie Idioten fahren werden.“

„Unter dem verfluchten Ding kann ich nicht atmen“, erwiderte mein Dad, aber ich wusste, dass er ihn trotzdem tragen würde.

„Was ist der Plan für das Clubhaus?“, fragte ich, und dann fiel der Strom aus.

„Verdammt“, fluchte mein Dad. „Ich wusste, dass das passieren würde.“

„Schon gut. Das Energieunternehmen hat gewarnt, dass sie alles abschalten würden“, sagte meine Mom angespannt und stand vom Tisch auf. „Ich fülle den Kaffee in eine Thermoskanne, damit er heiß bleibt.“

„Ein paar der Jungs sind gestern Abend zum Clubhaus gefahren und haben dafür gesorgt, dass alles fest verschlossen ist“, antwortete mein Dad mir, legte meiner Mom eine Hand auf die Hüfte und hielt sie so auf. Er beugte sich hinunter und küsste sie, wodurch er ihre unruhigen Bewegungen sofort besänftigte, und sah dann wieder mich an. „Dragon und Casper haben sich darum gekümmert, dass alles, was verlorengehen könnte, eingepackt und in die Stadt gebracht wurde. Aber es gibt eine Tonne Scheiß, die nicht transportiert oder irgendwo anders gelagert werden konnte. Dragon hat gesagt, dass sie das Wohnmobil ein paar Tage bei Poet und Amy abstellen, während wir abwarten, wie sich alles entwickelt. Sie sind gestern Abend losgefahren.“

„Grandpa und Grandma sind am Arsch, wenn das Feuer in diese Richtung kommt“, sagte Curt und verzog das Gesicht. Die Eltern meiner Mom wohnten in einem winzigen Haus auf dem Anwesen des Clubs. „Aber das Clubhaus und die Garage sind Ziegelsteingebäude“, sagte Curt. „Das sollte doch einen Unterschied machen, oder?“

„Klar“, antwortete mein Dad. „Das könnte sein.“

„Das ist so verflucht merkwürdig“, murmelte ich und schüttelte den Kopf. Es war so surreal.

Wir hatten schon früher Waldbrände überstanden. An der Westküste waren Waldbrände tatsächlich ziemlich normal. Doch bisher waren sie noch nie so nah an unser Zuhause herangekommen. Die Gemeinde sagte den Leuten, dass die Feuerwehrleute gute Arbeit leisteten und die Brände von den Häusern fernhielten, aber wir kannten ein paar Menschen, die bereits alles verloren hatten, und das Feuer bewegte sich schnell voran. Die Wahrheit war, dass die Feuerwehr nicht überall sein konnte.

„Was ist mit Gramps Casper?“, fragte Curt meinen Dad. „Weißt du, was er vorhat?“

Die Eltern meines Dads lebten in einem alten Farmhaus außerhalb der Stadt, ungefähr sechs oder sieben Minuten von unserem Haus entfernt. Es war alles andere als eine gerade Luftlinie, aber die Brände waren so gewaltig, dass ihr Haus in genauso großer Gefahr war wie das meiner Eltern. Vielleicht sogar in größerer Gefahr.

„Charlie ist bei ihnen und hilft ihnen beim Packen“, sagte mein Dad und nickte. „Außerdem wohnen CeeCee und Woody nebenan.“

„Nebenan klingt, als würden sie nur fünfzehn Meter entfernt wohnen“, sagte ich und schnaubte.

Mein Dad lachte. „Du weißt, was ich meine. Sie wohnen nah genug. Wenn die Alten schnell Hilfe brauchen, ist Woody sofort da.“

„Moment mal, die Generation wird also als die Alten betrachtet?“, scherzte Curt. „Ich habe den Ausdruck für euch benutzt.“

„Pass bloß auf“, sagte meine Mom und zeigte auf ihn, bevor sie sich unter den Arm meines Vaters schmiegte. „Ich bin noch nicht alt.“

„Was ist mit Tante Lily und Leo?“, fragte ich. „Ist mit ihnen alles in Ordnung?“

„Ihr Haus sollte in Sicherheit sein“, sagte mein Dad.

„Wir enden bestimmt alle bei ihnen, bevor dieser Scheiß vorbei ist“, sagte meine Mom und seufzte. „Ich werde auf gar keinen Fall in deiner Wohnung bleiben.“

„Das nehme ich dir übel“, schoss Curtis zurück.

„Sie ist sauber“, sagte ich und zuckte mit den Schultern.

„Sie ist winzig“, antwortete meine Mom. „Und sie stinkt fürchterlich.“

„Sie riecht nicht fürchterlich“, widersprach ich. „Ich bin den Gestank losgeworden, als ich einzog.“

„Das stimmt“, sagte Curtis und nickte. „Jetzt riecht sie nach Zitrone.“

„Ich habe den Boden gewischt.“ Ich lachte. „Das war nicht schwierig.“

„Ich verstehe nicht mal, was du gerade sagst“, erwiderte Curtis. „Quack, quack, quack.“

„Ferkel“, sagte ich und versteckte das Wort hinter einem falschen Husten.

„Zicke“, antwortete er und benutzte denselben Hustentrick.

„Ihr habt beide recht“, unterbrach uns unser Vater und lächelte. „Zwei Seiten derselben verdammten Münze.“

„Ich muss eine Taschenlampe finden, bevor es hier drin richtig dunkel wird“, sagte meine Mom und löste sich von meinem Dad. „Liegen sie immer noch auf dem Regal in der Garage?“

„Ja, aber die Hälfte der Batterien ist leer“, sagte er und verzog das Gesicht. „Ich helfe dir. Ich habe die Vorräte vor ein paar Wochen aufgestockt.“

„Ich fahre zu den Großeltern und frage, ob sie irgendetwas brauchen“, verkündete Curtis. Er sah mich an. „Kommst du mit?“

„Klar. Außer du hast vor, zu Fuß zu gehen?“ Ich war derjenige, der gefahren war. Roxanne und Curts Motorräder standen bereits sicher beim Haus unseres Cousins Tommy in der Stadt.

„Lasst mich wissen, wo ihr seid, okay?“, sagte mein Dad.

„Tschüss, hab euch lieb!“, rief meine Mom über die Schulter.

Wir versicherten ihnen, dass wir ihnen schreiben würden, verließen das Haus und stiegen in meinen Truck.

„Hier draußen stinkt es verflucht“, meckerte ich.

„Wie ein Lagerfeuer auf Crack“, stimmte Curtis zu. „Ich frage mich, wie der Scheiß angefangen hat.“

„Wahrscheinlich hat irgendein Idiot sein Lagerfeuer, das sowieso verboten war, nicht richtig ausgemacht“, grollte ich.

„Oder jemand hat eine Zigarette aus dem Fenster geworfen“, fügte Curtis hinzu.

„Wir haben in letzter Zeit keine Gewitter gehabt“, sagte ich, wendete auf der Zufahrt und fuhr zur Straße. „Also kann es kein Blitz gewesen sein.“

„Vielleicht hat jemand an einem Strommast gearbeitet, und es hat einen Funken gegeben“, sagte Curt. „Wer weiß? Ich bin sicher, dass man es irgendwann herausfindet. Ich bezweifle, dass das im Moment ihre größte Sorge ist.“

Wir starrten beide auf die Straße vor uns und strengten uns an, durch den Rauch zu sehen. Es war absolut merkwürdig. Fast wie Nebel, aber dichter.

„Wenn mir jemand hinten drauffährt, werde ich sauer sein“, sagte ich und stellte das Warnblinklicht an, damit Leute, die hinter uns fuhren, uns besser sehen konnten. „Aber ich werde nicht schneller fahren.“

„Ja, und ich wäre genauso sauer, wenn du jemand anderem drauffährst“, sagte Curt und beugte sich etwas vor. „Ich bin eine zarte Blume“, witzelte er. „Das ist wahrscheinlich dein bester Grund, langsam zu fahren.“

Wir brauchten doppelt so lange wie an einem normalen Tag, um zum Haus unserer Großeltern zu kommen, und ich war seltsam erleichtert zu sehen, dass es unversehrt war, obwohl ich wusste, dass alles in Ordnung war, bevor wir das Haus unserer Eltern verließen.

„Gramps sollte bei diesem Scheiß nicht mit seinem Bike fahren“, sagte ich zu Curt, als ich den Pick-up abschloss.

„Ich biete an, es wegzufahren, wenn es nötig ist“, stimmte er zu und nickte.

Wir liefen schnell zum Haus und ich hielt mich nicht einmal mit Klopfen auf, sondern öffnete sofort die Haustür.

„Was macht ihr denn hier?“, rief Charlie vom oberen Treppenabsatz. „Ist bei euren Eltern auch der Strom ausgefallen? Ist auch egal, nicht wichtig. Kommt her und helft mir.“

„Ja, der Strom ist auch in ihrem Haus ausgefallen. Was machst du?“, fragte ich und lief die Treppe hoch, wobei ich zwei Stufen auf einmal nahm.

„Die Eltern haben entschieden, dass wir verschwinden. Im Gästezimmer stehen ein paar Sachen, die meine Mom mitnehmen will“, antwortete Charlie und führte uns in ein Schlafzimmer.

„Alter Schulkram, Babybücher und anderer Kram. Das von deinem Dad habe ich schon runtergebracht.“

„Dad hatte ein Babybuch?“, fragte Curtis überrascht.

„Natürlich hatte er eins“, antwortete meine Gram, die ins Zimmer kam und ihr langes Haar über die Schulter warf. Ihre ganze Aufmachung war im Stil der Siebziger. Ein in der Mitte gefaltetes Bandana bedeckte ihren Kopf wie ein Halstuch, und ich war ziemlich sicher, dass alles Vintage war. Gott, ich liebte sie. Sie war die coolste Frau, die ich kannte.

„Ich meine“, fuhr sie fort, „er hat aus offensichtlichen Gründen kein Babybuch gehabt.“ Meine Großeltern hatten meinen Dad adoptiert, als er schon fast erwachsen war. „Aber wir haben seinen ganzen Schulkram, Geburtstagskarten und andere Sachen aufgehoben.“

„Sie hatten ihn nur seine halbe Kindheit“, sagte Charlie und hob die Brauen. „Trotzdem war seine Kiste am größten.“

„Das liegt daran, dass er mein Liebling ist“, antwortete Gram sofort. „Das ist doch offensichtlich.“

„Tja, ich bin Dads Liebling“, schnaufte Charlie.

„Lily ist der Liebling deines Dads“, erwiderten wir alle drei gleichzeitig.

„Nett“, sagte Charlie und warf ein Stofftier nach mir. „Danke, dass ihr mich unterstützt!“

„Mit Lügen macht man sich keine Freunde, Charlie“, erinnerte Curt sie und duckte sich, als sie etwas nach ihm warf. „Hey, wirf keinen Kram nach mir! Es ist nicht meine Schuld, dass Lily der Liebling von allen ist!“

„Du machst es nicht besser“, schnappte Charlie und sah sich weiter nach etwas um, das sie werfen konnte.

„Hört auf damit und bringt das Zeug ins Auto, okay?“, sagte Gram und drückte meine Schulter, als sie sich zum Gehen wandte. „Ich gehe meinen Koffer zu Ende packen, damit wir hier verschwinden können.“

„Wohin wollt ihr?“, fragte ich Charlie, als wir nach den ordentlich gepackten Kisten griffen, die an der Wand standen.

„Wir fahren zu Tante Callies Haus in der Stadt“, antwortete sie und grunzte, als sie eine Kiste anhob.

„Die Leute in der Stadt haben Glück“, sagte Curtis, als wir das Zeug die Treppe hinuntertrugen. „Verstreute Häuser mitten im Nirgendwo sind keine große Sache, aber sie werden nicht zulassen, dass die Feuer in diese Wohngebiete gelangen.“

„Ich habe lieber den Platz außerhalb der Stadt für neunundneunzig Prozent der Zeit, in der man sich keine Sorgen um Naturkatastrophen machen muss“, konterte ich. „In der Stadt sind mir zu viele Menschen.“

„Du wohnst in unserem Apartmentkomplex“, betonte Charlie.

„Das gehört nicht zur Stadt“, widersprach ich, als wir die Kisten in den Kofferraum von Grams SUV stellten. Der Rauch in der Luft ließ meine Augen und Nase brennen. „Er grenzt an die Stadt.“

„Das lasse ich mal gelten“, sagte Curtis und lachte, als wir ins Haus zurückliefen. „Es ist da definitiv ruhiger als in meinen vorigen Wohnungen.“

„Meinetwegen“, sagte Charlie und wedelte mit der Hand. „Die Apartments sollten immer noch außerhalb der Gefahrenzone sein.“

„Wahrscheinlich“, stimmte Curtis zu.

Da war etwas in Charlies Stimme, das mich prüfend ihr Gesicht mustern ließ. „Sie ist immer noch da, oder?“, fragte ich und fluchte innerlich.

Charlie beleidigte nicht meine Intelligenz, indem sie so tat, als wüsste sie nicht, von wem ich sprach.

„Sie fährt zum Haus ihrer Eltern, wenn es zu schlimm wird“, antwortete sie. „Sie wollte in der Wohnung bleiben.“

„Warum?“, fragte Curtis.

„Würdest du gern eine unbestimmte Zeit mit deinen Eltern verbringen?“, fragte Charlie. „Sie geht, wenn es zu schlimm wird. Ihr geht es gut, dort, wo sie ist.“