Danny, der Weltmeister - Roald Dahl - E-Book

Danny, der Weltmeister E-Book

Roald Dahl

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Beschreibung

Der fantastische Fasanentrick

»Als ich vier Monate alt war, starb meine Mutter plötzlich und mein Vater musste jetzt ganz allein auf mich aufpassen. Das war keine einfache Aufgabe, vor allem weil er gleichzeitig an seiner Tankstelle unseren Lebensunterhalt verdienen musste. Aber meinem Vater machte das nichts aus. Ich glaube, dass er all die Liebe, die er für meine Mutter empfunden hatte, solange sie lebte, nun mir schenkte. Nicht einen Moment lang war ich unglücklich oder krank in meiner Kindheit.«

Danny lebt in einem kleinen Wohnwagen zusammen mit seinem Vater – dem großartigsten und wunderbarsten Vater, den man sich nur vorstellen kann. Die Ländereien rund herum gehören alle dem unfassbar reichen und unfassbar fiesen Geschäftsmann Victor Hazell. Eines Tages schmieden Danny und sein Vater einen grandiosen Plan, wie sie dem gierigen Geldsack Hazell eine Lektion erteilen können. Wenn sie dabei nur nicht erwischt werden!

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Seitenzahl: 200

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© der deutschen Ausgabe

2023 Penguin JUNIOR in der

Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Alle Rechte vorbehalten

Text © The Roald Dahl Story Company Limited, 1975

ROALD DAHL ist ein eingetragenes Warenzeichen von The Roald Dahl Story Company Ltd.

Illustrationen © Quentin Blake, 1994, 2018

Kolorierung: Vida Williams

Diese Ausgabe ist zuerst in England erschienen bei

PUFFIN BOOKS

Penguin Random House Ltd, 80 Strand, London WC2R 0RL

Umschlaggestaltung: Miriam Wasmus

Umschlagillustration: Quentin Blake

ck · Herstellung: AW

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

Reproduktion: Lorenz & Zeller, Inning a. A.

ISBN 978-3-641-28872-3V001

www.penguin-junior.de

Dieses Buch ist für die ganze FamiliePATTESSATHEOOPHELIALUCY

INHALT

Kapitel 1 – Die Tankstelle

Kapitel 2– Der baumlange freundliche Gurie

Kapitel 3– Autos und Drachen und Himmelslaternen

Kapitel 4– Das tiefe, dunkle Geheimnis meines Vaters

Kapitel 5 – Die geheimen Methoden der Wilderei

Kapitel 6– Mister Victor Hazell

Kapitel 7– Der Baby Austin

Kapitel 8– Die Grube

Kapitel 9 – Doc Spencer

Kapitel 10– Victor Hazells Jagdgesellschaft

Kapitel 11– Dornröschen

Kapitel 12– Donnerstag und Schule

Kapitel 13 – Freitag

Kapitel 14– Auf in den Wald!

Kapitel 15– Der Wildhüter

Kapitel 16– Der Weltmeister

Kapitel 17 – Das Taxi

Kapitel 18– Zu Hause

Kapitel 19– Baby Christopher

Kapitel 20– Auf Wiedersehen, Mr Hazell!

Kapitel 21 – Doc Spencers Überraschung

Kapitel 22– Mein Vater

KAPITEL 1 Die TANKSTELLE

Als ich vier Monate alt war, starb ganz plötzlich meine Mutter und mein Vater musste sich von da an allein um mich kümmern. Und so hab ich damals ausgesehen:

Ich hatte keine Brüder und keine Schwestern.

Meine ganze Kindheit hindurch gab es also immer nur uns zwei, meinen Vater und mich.

Wir lebten in einem alten Zirkus-Wohnwagen hinter einer Tankstelle. Die Tankstelle, der Wohnwagen und ein kleines Feld dahinter gehörten meinem Vater, aber das war auch schon so ziemlich alles, was er auf der Welt besaß. Es war eine sehr kleine Tankstelle an einer schmalen Landstraße, umgeben von Feldern und Hügeln und Wäldern.

Als ich noch ein Baby war, war es mein Vater, der mich badete und fütterte, er wechselte meine Windeln und tat auch sonst all die tausend Dinge, die normalerweise eine Mutter für ihr Kind tut. Keine leichten Aufgaben für einen Mann, der gleichzeitig auch noch unseren Lebensunterhalt verdienen musste, indem er Motoren reparierte und Autos mit Benzin auftankte.

Doch meinem Vater schien das nichts auszumachen. Ich glaube, dass er all die Liebe, die er für meine Mutter empfand, als sie noch lebte, jetzt auf mich übertrug. In den ersten Jahren meines Lebens war ich jedenfalls keinen einzigen Moment lang unglücklich oder krank – und hier bin ich an meinem fünften Geburtstag.

Wie du siehst, war ich inzwischen ein ziemlich schmuddeliger kleiner Kerl, von oben bis unten voll mit Motoröl und Wagenschmiere. Das kam aber nur daher, weil ich den ganzen Tag in der Werkstatt verbrachte und meinem Vater bei seiner Arbeit half.

In unserer Tankstelle gab es nur zwei Zapfsäulen. Dahinter befand sich eine Holzhütte, die uns als Büro diente. In diesem Büro stand nichts weiter als ein alter Tisch und auf dem Tisch eine Kasse für das Geld. Es war so eine, bei der man auf einen Knopf drücken musste, dann klingelte eine Glocke, und mit lautem Geschepper schoss die Schublade raus. Ich mochte das sehr.

In dem quadratischen Backsteinbau rechts neben dem Büro befand sich die Werkstatt. Mein Vater hatte sie eigenhändig und mit viel Liebe gebaut, und es war das einzige feste Gebäude, das es bei uns gab.

»Wir sind Mechaniker, du und ich«, pflegte mein Vater zu sagen. »Wir verdienen unser Geld damit, Motoren zu reparieren, und wir können keine ordentliche Arbeit in einer baufälligen Werkstatt verrichten.«

Es war eine wirklich schöne Werkstatt, groß genug, dass ein Auto hineinpasste und an den Seiten noch Platz war, um daran zu arbeiten. Es gab ein Telefon, damit die Kunden bei uns anrufen und fragen konnten, wann sie ihr Auto zur Reparatur bringen durften.

Unser Zuhause war der Wohnwagen. Es war ein richtiger alter Zirkuswagen mit großen Rädern, wunderschön bemalt mit einem Muster in Gelb und Rot und Blau. Mein Vater meinte, der Wagen hätte gut und gerne 150 Jahre auf dem Buckel. Viele Kinder der umherziehenden Zirkusleute wären darin geboren worden und zwischen den Holzwänden aufgewachsen. Von einem Pferd gezogen war dieser alte Wagen wohl viele Tausend Meilen über Landstraßen und Feldwege quer durch England gezuckelt. Doch nun waren seine Wandertage vorüber, und weil die Speichen in den Rädern allmählich morsch wurden, hatte mein Vater den Wagen auf Ziegelsteine aufgebockt.

Der Wohnwagen bestand nur aus einem Raum, nicht viel größer als ein modernes Badezimmer. Der Raum war länglich und schmal, genau wie der Wagen selbst, an seinem Ende stand ein Stockbett. In dem oberen Bett schlief mein Vater, in dem unteren ich.

In der Werkstatt hatten wir elektrisches Licht, doch im Wohnwagen war das nicht erlaubt. Die Leute vom Elektrizitätswerk hatten gemeint, in so einem morschen alten Wagen wäre es viel zu gefährlich, Stromleitungen zu verlegen. Also versorgten wir uns mit Licht und Wärme genauso, wie es die Zirkusfamilien vor uns getan hatten. Es gab einen Holzofen, dessen Schornstein oben aus dem Dach ragte und der uns im Winter ordentlich einheizte. Außerdem besaßen wir einen Spirituskocher, auf dem wir Wasser heiß machen oder Suppe kochen konnten, und von der Decke herab hing eine Petroleumlampe.

Wenn es mal wieder Zeit für ein Bad war, setzte mein Vater den Wasserkessel auf und schüttete das heiße Wasser in eine Waschschüssel. Dann zog er mich aus und schrubbte mich im Stehen von oben bis unten ab. So wurde ich mindestens genauso sauber wie in einer richtigen Badewanne – wenn nicht sogar sauberer, weil ich nicht in meiner eigenen Dreckbrühe sitzen musste.

An Möbeln gab es zwei Stühle und einen kleinen Tisch, und von einer kleinen Kommode mal abgesehen war das alles an häuslichem Komfort, was wir besaßen. Und mehr brauchten wir auch nicht.

Die Toilette war ein ulkiger kleiner Bretterverschlag, der etwas weiter weg mitten im Feld stand. Im Sommer war das völlig in Ordnung, aber ich kann dir sagen, wenn man da an einem verschneiten Tag im Winter hockte, fühlte es sich an, als würde man in einem Kühlschrank sitzen.

Direkt hinter dem Wohnwagen wuchs ein alter Apfelbaum. Er trug wunderbare Äpfel, die im September langsam reif wurden und die man die nächsten vier, fünf Wochen ernten konnte. Ein paar der Äste hingen über dem Wohnwagen, und wenn der Wind in der Nacht die Äpfel von den Ästen fegte, landeten sie oft auf unserem Dach. Im Bett liegend hörte ich das Bummm … Bummm … Bummm über meinem Kopf, aber diese Geräusche machten mir keine Angst, ich wusste ja, woher sie kamen.

Ich liebte das Leben in unserem Wohnwagen über alles. Vor allem liebte ich die Abende, wenn ich mich im Bett eingemummelt hatte und mein Vater mir Geschichten erzählte. Das Licht der Petroleumlampe war klein gestellt, die Holzscheite lagen rot glühend in dem alten Ofen, und es war einfach wundervoll, warm und sicher in meinem Bett in unserem kleinen Zimmer zu liegen. Am wunderbarsten aber war das Gefühl, dass mein Vater da sein würde, auch nachdem ich schon eingeschlafen war, in einem Stuhl am Feuer sitzend oder in dem Bett über meinem.

KAPITEL 2 Der BAUMLANGE FREUNDLICHE GURIE

Mein Vater war sicher der großartigste Vater, den sich ein kleiner Junge nur wünschen konnte. Hier ist ein Bild von ihm.

Wer ihn nicht gut kannte, mochte vielleicht denken, dass er ein strenger und ernster Mann war. Das war er überhaupt nicht. Im Gegenteil, er war wahnsinnig witzig. Er erschien bloß so ernst, weil er nie mit dem Mund lächelte. Er lächelte nur mit seinen Augen. Er hatte leuchtend blaue Augen, und wenn er an etwas Lustiges dachte, blitzten sie auf, und schaute man genau hin, dann konnte man tatsächlich in der Mitte von jedem Auge einen winzigen goldenen Funken tanzen sehen. Doch sein Mund verzog sich dabei nie.

Ich war froh, dass mein Vater dieses Augenlächeln hatte. Denn das bedeutete, dass er mir nie ein falsches Lächeln schenkte. Es ist nämlich unmöglich, die Augen zum Funkeln zu bringen, wenn es in einem drinnen nicht auch funkelt. Ein Mundlächeln ist anders. Ein Mundlächeln kann man jederzeit fälschen, indem man die Lippen bewegt. Von meinem Vater habe ich gelernt, dass zu einem echten Mundlächeln immer auch ein Augenlächeln gehört, also sieh dich vor, wenn dich jemand anlächelt und seine Augen sich dabei nicht verändern. Dann ist da was faul.

Mein Vater war nicht unbedingt das, was man einen gebildeten Mann nennen würde. Wahrscheinlich hatte er in seinem ganzen Leben nicht mehr als zwanzig Bücher gelesen. Aber er war ein fantastischer Geschichtenerzähler. Jeden Abend dachte er sich eine Gutenachtgeschichte für mich aus, und die besten Geschichten hatten Fortsetzungen und gingen viele Nächte lang weiter.

Eine davon, die er mindestens 50 Nächte lang fortführte, handelte von einem langen Kerl, der sich Baumlanger Freundlicher Guter Riese nannte, abgekürzt GuRie oder BFG. Der BFG war dreimal so groß wie normale Menschen und seine Hände waren so breit wie Schubkarren. Nicht weit von unserer Tankstelle entfernt hauste er in einer riesigen Höhle unter der Erde, die er nur bei Dunkelheit verließ. In seiner Höhle hatte er eine Pulverfabrik, in der er über hundert verschiedene Sorten Zauberpulver herstellte.

Manchmal ging mein Vater beim Erzählen seiner Geschichten auf und ab, kreiste mit den Armen und wedelte mit den Händen. Meistens aber saß er ganz dicht bei mir auf dem Bettrand und sprach mit leiser Stimme.

»Der GuRie bereitet seine Zauberpulver aus den Träumen schlafender Kinder zu«, sagte er.

»Wie denn?«, fragte ich. »Wie macht er das, Dad?«

»Träume, mein Sohn, sind etwas sehr Geheimnisvolles. Wie kleine Wolken schweben sie durch die Nachtluft auf der Suche nach schlafenden Menschen.«

»Kann man sie sehen?«, fragte ich.

»Niemand kann sie sehen.«

»Aber wie fängt der GuRie sie dann ein?«

»Aah«, sagte mein Vater. »Jetzt wird es spannend. Ein Traum, musst du wissen, macht während seiner Reise durch die Luft ein Geräusch, ein ganz leises und feines Summen und Surren, das normale Menschen unmöglich hören können. Aber der GuRie kann es. Sein Gehör ist einfach fantastisch.«

Ich liebte den konzentrierten Ausdruck, den mein Vater beim Erzählen bekam. Sein Gesicht strahlte eine große Ruhe aus, unberührt von allem um ihn herum.

»Der GuRie«, erzählte er, »kann die Tritte eines Marienkäfers hören, der über ein Blatt krabbelt. Er kann das Flüstern der Ameisen hören, wenn sie in der Erde herumsausen und sich unterhalten. Er kann den plötzlichen schrillen Schrei eines Baumes hören, den die Axt eines Holzfällers trifft. Oh ja, mein Sohn, da gibt es eine ganze Welt von Geräuschen um uns herum, die wir nicht kennen, weil unsere Ohren nicht gut genug sind.«

»Was passiert, wenn der GuRie die Träume gefangen hat?«, fragte ich.

»Er sperrt sie in Glasflaschen und schraubt die Deckel fest zu«, sagte mein Vater. »Er hat Tausende von diesen Flaschen in seiner Höhle.«

»Fängt er gute und schlechte Träume?«

»Auch die schlechten«, sagte mein Vater. »Er fängt beides. Aber für seine Pulver benutzt er nur die guten Träume.«

»Was macht er mit den schlechten?«

»Die sprengt er in die Luft.«

Ich kann dir gar nicht sagen, wie lieb ich meinen Vater hatte. Wenn er so dicht bei mir auf der Bettkante saß, streckte ich den Arm aus und schob meine Hand in seine, er schloss dann seine langen Finger um meine kleine Faust und hielt sie ganz fest.

»Was macht der GuRie mit seinen Pulvern, wenn sie fertig sind?«, fragte ich.

»In tiefster Nacht«, begann mein Vater, »zieht er durch die Dörfer und sucht nach Häusern, in denen Kinder schlafen. Weil er so groß ist, kann er auch durch Fenster schauen, die im ersten und sogar im zweiten Stock liegen. Wenn er dann ein Zimmer mit einem schlafenden Kind darin entdeckt, öffnet er seinen Koffer …«

»Seinen Koffer?«, fragte ich.

»Der GuRie hat immer einen Koffer und ein Blasrohr dabei«, sagte mein Vater. »Das Blasrohr ist so lang wie ein Laternenpfahl. In dem Koffer sind die Pulver. Er öffnet also seinen Koffer, sucht genau das passende Pulver heraus … er schüttet es ins Blasrohr … er schiebt das Blasrohr durch das geöffnete Fenster … und Puff! … bläst er hinein … das Pulver schwebt durch das Zimmer … das Kind atmet es ein …«

»Und was passiert dann?«, fragte ich.

»Und dann, Danny, träumt das Kind einen wunderbaren fantastischen Traum … und wenn der Traum den aller wunderbarsten und fantastischsten Moment erreicht hat … entfaltet das Pulver seine volle Wirkung … und plötzlich ist der Traum gar kein Traum mehr, sondern passiert wirklich … und das Kind liegt nicht mehr schlafend in seinem Bett … es ist hellwach und befindet sich an dem Ort, an dem der Traum stattfindet, und ist selbst dabei … ich meine, wirklich dabei, in echt. Morgen erzähle ich weiter. Es ist schon spät. Gute Nacht, Danny, schlaf gut.«

Mein Vater gab mir einen Kuss, dann drehte er den Docht der Petroleumlampe herunter, bis die Flamme erlosch. Er machte es sich vor dem Holzofen bequem, dessen Glut im Dunkeln rot schimmerte.

»Dad«, flüsterte ich.

»Was gibt’s?«

»Hast du jemals den Baumlangen Freundlichen GuRie gesehen?«

»Einmal«, sagte mein Vater. »Nur einmal.«

»Wirklich! Wo?«

»Draußen hinter dem Wohnwagen. Es war eine sternenklare Nacht, ich schaute zufällig hoch, und plötzlich sah ich diese wahnsinnig große Gestalt über die Hügelkuppe laufen. Er ging mit weit ausholenden und hüpfenden Schritten, und sein schwarzer Mantel flatterte hinter ihm her wie ein Paar Flügel. In der einen Hand trug einen großen Koffer und in der anderen ein langes Blasrohr, und als er zu der hohen Weißdornhecke am Ende des Feldes kam, stieg er einfach über sie hinweg, als wäre sie gar nicht da.«

»Hattest du Angst, Dad?«

»Nein«, sagte mein Vater. »Es war aufregend, ihn zu sehen, und vielleicht auch ein wenig unheimlich, aber ich hatte keine Angst. Und nun schlaf. Gute Nacht.«

KAPITEL 3 AUTOS und DRACHEN und HIMMELSLATERNEN

Mein Vater war ein ausgezeichneter Mechaniker. Anstatt in die nächstgelegene Werkstatt zu fahren, kamen die Leute von weit her, um ihre Autos von ihm reparieren zu lassen. Er liebte Motoren.

»Ein Benzinmotor ist pure Magie«, sagte er einmal zu mir. »Stell dir nur vor, du nimmst tausend verschiedene Metallteile … setzt sie auf eine bestimmte Art und Weise zusammen … fütterst sie mit ein wenig Öl und Benzin … und plötzlich erwachen all diese Teile zum Leben … sie fangen an zu schnurren und zu summen und zu brummen … und bringen die Räder eines Autos dazu, sich in abenteuerlicher Geschwindigkeit zu drehen.«

Es war also nicht verwunderlich, dass ich bald seine Leidenschaft für Autos und Motoren teilte. Schließlich war die Werkstatt schon mein Spielplatz gewesen, bevor ich überhaupt laufen konnte, wo sonst hätte mein Vater mich den ganzen Tag lassen sollen? Er musste ja auf mich aufpassen. Mein Spielzeug, das waren die ölverschmierten Zahnräder, Drahtfedern und Kolben, die überall herumlagen. Und ich kann dir sagen, dass die allemal spannender waren als der ganze Plastikkrempel, den Kinder heutzutage zum Spielen bekommen.

Und so wurde ich praktisch von Geburt an Mechaniker.

Doch als ich fünf Jahre alt wurde, war es an der Zeit, sich Gedanken über die Schule zu machen. Eltern mussten ihre Kinder mit fünf Jahren zur Schule schicken, so lautete das Gesetz, und mein Vater wusste das.

Es war an meinem fünften Geburtstag, als wir zum ersten Mal über die Schule sprachen. Ich erinnere mich, dass wir in der Werkstatt waren. Ich half gerade meinem Vater dabei, neue Bremsbeläge in das Hinterrad von einem großem Ford einzusetzen, als er plötzlich zu mir sagte: »Weißt du, was, Danny? Du bist mit Abstand der beste fünfjährige Mechaniker auf der ganzen Welt.«

Das war das größte Kompliment, das er mir je gemacht hatte. Ich war sehr stolz.

»Die Arbeit hier gefällt dir, nicht wahr?«, fuhr er fort. »Das Rumbasteln an den Autos.«

»Ich liebe es«, sagte ich.

Er drehte sich zu mir um und legte mir seine Hand auf die Schulter. »Ich möchte dir alles beibringen, damit aus dir ein großartiger Mechaniker wird«, sagte er. »Und wenn du erwachsen bist, hoffe ich, dass du ein berühmter Erfinder wirst, ein Mann, der neue und bessere Motoren für Autos und Flugzeuge entwickelt. Und dafür brauchst du eine gute Ausbildung«, fügte er hinzu. »Aber ich will dich jetzt noch nicht in die Schule schicken. In zwei Jahren wirst du hier bei mir genug gelernt haben, um ganz allein einen kleinen Motor komplett auseinandernehmen und wieder zusammensetzen zu können. Dann kannst du in die Schule gehen.«

Du denkst nun sicher, dass mein Vater nicht mehr alle Tassen im Schrank hatte. Einem kleinen Kind beibringen zu wollen, wie man ein Super-Mechaniker wird! Aber er hatte recht. Ich lernte schnell und genoss jede Sekunde. Wir hatten Glück, und es kam auch nie jemand bei uns vorbei und fragte nach, warum ich noch nicht zur Schule ging.

So vergingen zwei weitere Jahre, und ob du’s glaubst oder nicht, an meinem siebten Geburtstag konnte ich tatsächlich einen kleinen Motor in seine Einzelteile zerlegen und wieder zusammensetzen. Und ich meine wirklich in seine kleinsten Einzelteile, in Kolben und Kurbelwellen und all das. Es war nun also an der Zeit, in die Schule zu gehen.

Die Schule befand sich im Dorf, zwei Meilen von unserer Werkstatt entfernt. Wir hatten kein eigenes Auto. Das konnten wir uns nicht leisten. Aber der Weg zu Fuß dauerte nur eine halbe Stunde und machte mir überhaupt nichts aus. Mein Vater begleitete mich. Er bestand darauf. Und wenn die Schule um vier Uhr nachmittags aus war, stand er schon davor und wartete darauf, mich nach Hause zu bringen.

Und so verlief unser Leben. Meine Welt bestand aus der Tankstelle, der Werkstatt, unserem Wohnwagen, der Schule und natürlich den Wäldern und Feldern und Bächen in der Landschaft um uns herum. Langweilig war mir nie. Es war überhaupt nicht möglich, sich in der Gesellschaft meines Vaters zu langweilen. Dafür hatte er viel zu viel Energie. Ideen und Pläne und Einfälle sprühten nur so aus ihm heraus wie Funken von einem Schleifstein.

»Heute weht ein guter Wind«, sagte er an einem Samstagmorgen. »Genau richtig, um einen Drachen steigen zu lassen. Komm, Danny, wir bauen uns einen Drachen.«

Und das taten wir. Mein Vater zeigte mir, wie man vier dünne Stäbe sternförmig miteinander verbindet und mit zwei weiteren Stäben in der Mitte für Stabilität sorgt. Dann zerschnitten wir eines seiner alten blauen Hemden. Den Stoff spannten wir über das Holzgestell. Ans Ende des Drachens hängten wir einen langen Schwanz aus Garn, an dem wir in regelmäßigen Abständen Schleifen aus den Stoffresten des Hemdes festbanden. Aus der Werkstatt holten wir ein Knäuel Schnur, und mein Vater zeigte mir, wie man die Schnur am Rahmen befestigen musste, damit der Drachen auch gut ausbalanciert war.

Um den Drachen steigen zu lassen, stiefelten wir auf den Hügel hinter der Tankstelle. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass dieses Ding, das wir nur aus ein paar Stöcken und einem alten Hemd gebastelt hatten, tatsächlich fliegen würde. Ich hielt die Schnur in den Händen, mein Vater trug den Drachen, und als er ihn schließlich losließ, fing er den Wind ein und schoss hinauf in den Himmel wie ein großer blauer Vogel.

»Gib ihm mehr Schnur, Danny!«, rief mein Vater. »Nur zu! So viel du willst!«

Höher und immer höher stieg der Drachen. Bald schon war er nur noch ein kleiner blauer Punkt, der hoch oben über mir in der Luft tanzte. Es war aufregend, dazustehen und etwas festzuhalten, das so weit weg und so lebendig war. Dieses Ding zog und zerrte am anderen Ende der Schnur wie ein großer Fisch an der Angel.

»Lass uns zurück zum Wohnwagen gehen«, sagte mein Vater.

Also stiegen wir den Hügel wieder hinunter. Ich hielt immer noch die Schnur fest, und der Drachen zog wie wild am anderen Ende. Als wir den Wohnwagen erreichten, mussten wir aufpassen, dass die Schnur sich nicht in den Zweigen des Apfelbaums verhedderte, aber wir brachten unseren Drachen heil bis zu der kleinen Treppe vor unserer Tür.

»Binde ihn an den Stufen fest«, sagte mein Vater.

»Wird er denn oben bleiben?«, fragte ich.

»Wenn der Wind nicht nachlässt«, sagte er.

Der Wind ließ nicht nach. Und ich kann dir noch etwas Erstaunliches verraten: Der Drachen blieb die ganze Nacht oben in der Luft. Am nächsten Morgen tanzte und hüpfte der kleine blaue Punkt noch immer am Himmel herum.

Nach dem Frühstück holte ich die Schnur ein und hängte den Drachen vorsichtig an eine Wand in der Werkstatt, um ihn ein anderes Mal wieder steigen zu lassen.

Nicht lange danach, an einem friedlichen, ruhigen Abend, an dem sich kein Lüftchen regte, sagte mein Vater zu mir: »Genau das richtige Wetter für eine Himmelslaterne. Lass uns einen Lampion bauen.«

Er musste das schon länger geplant haben, denn er hatte schon vier große Bogen Seidenpapier und einen Topf Kleister in Mr Wittsons Schreibwarenladen im Dorf besorgt. Und dann, mit nichts weiter als dem Seidenpapier, dem Kleister, einer Schere und einem Stück dünnem Draht, baute er einen riesigen, wunderschönen Lampion. Er brauchte nicht einmal eine Viertelstunde dafür. In der Öffnung am Boden befestigte er einen Wattebausch, und schon konnte es losgehen.

Es dämmerte gerade, als wir den Lampion zum Feld hinter dem Wohnwagen brachten. Wir hatten eine Flasche Brennspiritus dabei und eine Schachtel Streichhölzer. Ich hielt den Lampion hoch, während mein Vater sich darunter hockte und vorsichtig ein wenig von dem Spiritus auf den Wattebausch träufelte.

»Dann mal los!«, sagte er und hielt ein Streichholz an den Wattebausch. »Halte ihn auf, so weit es geht, Danny!«

Eine große gelbe Flamme schoss aus dem Wattebausch und in den Lampion hinein.

»Er fängt Feuer!«, rief ich.

»Tut er nicht«, sagte mein Vater. »Schau!«

Wir hielten die Seitenteile des Lampions so weit auseinander, wie es nur ging, um das Papier von der Flamme fernzuhalten. Schnell füllte sich der Lampion mit heißer Luft, und die Gefahr war vorbei.

»Gleich ist es so weit«, sagte mein Vater. »Fühlst du schon, wie er schwebt?«

»Ja!«, sagte ich. »Ja! Sollen wir ihn loslassen?«

»Noch nicht! … Warten wir noch einen Moment! … Warte, bis er zieht!«

»Jetzt zieht er!«, rief ich.

»Alles klar! Lass los!«

Langsam, majestätisch und in absoluter Stille erhob sich unser fabelhafter Lampion in den Nachthimmel.

Ich klatschte begeistert in die Hände und hüpfte auf und ab. »Er fliegt!«, schrie ich. »Er fliegt, er fliegt!«

Mein Vater war beinahe genauso aufgeregt wie ich. »Eine Schönheit. Das ist eine richtige Schönheit. Man weiß nie, wie sie geworden sind, bevor man sie fliegen lässt. Jede Himmelslaterne wird anders.«

Hoch und immer höher stieg der Lampion, immer schneller schwebte er durch die kalte Nachtluft. Er sah magisch aus, wie ein Feuerball am Himmel.

»Ob ihn andere Leute auch sehen können?«, fragte ich.

»Da bin ich mir sicher, Danny. Er ist jetzt hoch genug, dass man ihn etliche Meilen weit sehen kann.«

»Was werden die Leute wohl denken, was es ist, Dad?«

»Eine fliegende Untertasse«, sagte mein Vater. »Wahrscheinlich rufen sie die Polizei.«

Ein kleines Lüftchen hatte den Lampion ergriffen und trug ihn fort in Richtung Dorf.

»Komm, wir laufen ihm hinterher«, sagte mein Vater. »Mit ein bisschen Glück finden wir ihn, wenn er landet.«

Wir liefen zur Straße. Wir rannten die Straße entlang. Wir rannten immer weiter. »Er kommt runter!«, rief mein Vater. »Die Flamme ist fast erloschen!«