Das alte Gutshaus - Brigitte Teufl-Heimhilcher - E-Book

Das alte Gutshaus E-Book

Brigitte Teufl-Heimhilcher

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Beschreibung

Wenn zwei ebenso eigenwillige wie unterschiedliche Frauen dem Bürgermeister das Leben schwer machen, kann das für die Leser ganz amüsant sein. „Diese Frauen machen mich noch wahnsinnig“, stöhnt Bürgermeister Ludwig Paffler. Als das alte Gutshaus zu einem Seniorenheim umgebaut werden soll, muss sich Ludwig nicht nur mit seiner Schwester Traudl, sondern auch noch mit der neuen Amtskollegin von Stettenkirchen auseinandersetzen. Beide Damen sind ziemlich eigenwillig und verfolgen höchst unterschiedliche Ziele. Traudl ist Anfang fünfzig und nicht gerade ein Ausbund an guter Laune. Da sie mit ihrem Leben reichlich unzufrieden ist, sieht die ehemalige Architekturstudentin in dem Bauvorhaben eine Chance, ihren Jugendtraum zu verwirklichen. Wesentlich undurchsichtiger sind die Ziele, die Irma Duscher verfolgt. Will die Bürgermeisterin das Projekt Seniorenheim zu Fall bringen? Und warum versucht sie, ausgerechnet Ludwig zu umgarnen? Finden Sie es heraus!

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Brigitte Teufl-Heimhilcher

 

 

 

 

Das alte Gutshaus

Band 4 – Reihe Stadt, Land, Zank

 

 

Roman

Inhaltsverzeichnis

 

Impressum

Das Buch

Die Autorin

Anstelle eines Vorwortes

1. Ludwig – Das Projekt „Seniorenhaus“

2. Ludwig – „Frau Bürgermeister“ lässt bitten

3. Traudl – Eine kranke Idee?

4. Ludwig – Tante Ziege

5. Traudl – Das alte Gutshaus

6. Ludwig – Bürgermeister unter sich

7. Traudl – Wohin mit den Erinnerungen?

8. Ludwig – Zwei Zimmer, Bad, Terrasse

9. Traudl – Mütter

10. Ludwig – Väter

11. Gloria – Das Protokoll

12. Liesl – Verwirrung

13. Ludwig – Die Sache mit dem Brokkoli

14. Traudl – Die fesche Lola

15. Anton – Strategien

16. Traudl – Schulterscherzel oder Tafelspitz

17. Gloria – Unerwünschte Begegnungen

18. Traudl – Plaudertaschen unter sich

19. Anton – Die Fronleichnamsprozession

20. Liesl – Interessante Gesprächspartner

21. Ludwig – Zufälle

22. Liesl – Auf Friedensmission

23. Ludwig – Eberhards Beichte

24. Liesl – Cringe oder nicht cringe?

25. Traudl – Erinnerungen

26. Ludwig – Schwierige Entscheidungsfindung

27. Liesl – Ideen muss man haben

28. Traudl – Ein Fall für Adrian

29. Ludwig – Oberlehrerin und aufgeblasener Gockel

30. Liesl – Alles eine Frage der Gene?

31. Ludwig – Wo ist Traudl?

32. Traudl – Schlaflos im Gutshaus

33. Anton – Ratlos

34. Ludwig – Frontlinien

35. Liesl – Ein rundum gelungener Sonntag

36. Traudl – Ich bin trotz allem froh, dass ich dich habe

37. Ludwig – Der kleine Nerd

38. Traudl – Gehören Schwiegertöchter zur Familie?

39. Ludwig – Eine schrecklich geradlinige Familie

40. Traudl – Hochzeitsvorbereitungen

41. Ludwig – Die Sprechstunde

42. Liesl – Ratschläge

43. Traudl – Die Sache mit der ersten Reihe

44. Ludwig – Das Hearing

45. Ludwig – Der Stein des Anstoßes

46. Traudl – Eine schrecklich nette Familie

47. Gloria – Ein absolut korrekter Mann

48. Ludwig – Das große Rätselraten

49. Traudl – Cui bono?

50. Ludwig – Erntedank

Glossar

Danke

Der „Heitere Gesellschaftsroman“ zwischen Fiktion und Realität

Stadt, Land, Zank Band 1

Stadt, Land, Zank Band 2

Stadt, Land, Zank Band 3

Von der Autorin sonst noch erschienen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

II. Auflage Copyright: ©2022 Brigitte Teufl-Heimhilcher, 1220 Wien

Das alte Gutshaus, Band 4- Reihe Stadt, Land, Zank, Brigitte Teufl-Heimhilcher

https://www.teufl-heimhilcher.at

Buchsatz/Konvertierung: Autorenservice-Farohi https://www.farohi.com

Covergestaltung: Xenia Gesthüsen

Lektorat: Eva-Maria Farohi

I Auflage (Deutsche Erstauflage) Copyright: ©2021 Brigitte Teufl-Heimhilcher,1220 Wien

https://www.teufl-heimhilcher.at

Waldstettener G’schichten

Teil 4 – Das alte Gutshaus, Brigitte Teufl-Heimhilcher

https://www.teufl-heimhilcher.at

Buchsatz/Konvertierung: Autorenservice-Farohi https://www.farohi.com

Covergestaltung: Xenia Gesthüsen

Lektorat: Eva-Maria Farohi

 

 

Kurzbeschreibung

 

„Diese Frauen machen mich noch wahnsinnig“, stöhnt Bürgermeister Ludwig Paffler.

Als das alte Gutshaus zu einem Seniorenheim umgebaut werden soll, muss sich Ludwig nicht nur mit seiner Schwester Traudl, sondern auch noch mit der neuen Amtskollegin von Stettenkirchen auseinandersetzen. Beide Damen sind ziemlich eigenwillig und verfolgen höchst unterschiedliche Ziele.

Traudl ist Anfang fünfzig und nicht gerade ein Ausbund an guter Laune. Da sie mit ihrem Leben reichlich unzufrieden ist, sieht die ehemalige Architekturstudentin in dem Bauvorhaben eine Chance, ihren Jugendtraum zu verwirklichen.

Wesentlich undurchsichtiger sind die Ziele, die Irma Duscher verfolgt. Will die Bürgermeisterin das Projekt Seniorenheim zu Fall bringen? Und warum versucht sie, ausgerechnet Ludwig zu umgarnen?

Ein heiterer Gesellschaftsroman mit kriminalistischem Touch.

 

 

Die Autorin

 

Brigitte Teufl-Heimhilcher lebt in Wien, ist verheiratet und bezeichnet sich selbst als realistische Frohnatur.

In ihren heiteren Gesellschaftsromanen setzt sie sich mit gesellschaftspolitisch relevanten Fragen auseinander. Sie verwebt dabei Fiktion und Wirklichkeit zu amüsanten Geschichten über das Leben - wie es ist, und wie es sein könnte.

 

Anstelle eines Vorwortes

 

Für alle, die Band 1, „Waldstettener G’schichten – Tante Adelheids Schloss“, Band 2, „Besuch aus Rom“ und Band 3, „Weihnachten beginnt im September“, schon vor einiger Zeit oder bisher noch nicht gelesen haben, hier ein kurzer Überblick über „zuagraste“ wie „eingeborene“ Waldstettener:

 

In Band 1 erbt

Gloria – joblose Kunstgeschichtlerin, das Schloss ihrer Großtante Adelheid. Da sie sich in das alte Gemäuer verliebt, will sie es behalten, was ihr – nach einigen Kopfschmerzen – auch gelingt.

Ihr Freund und späterer Ehemann

Daniel ist Lehrer und fühlt sich in Waldstetten ebenfalls recht wohl.

Glorias Pflegevater,

Onkel Konrad, Witwer, ehemals Fabrikant, kann sein „Mauserl“, wie er Gloria immer noch nennt, zwar finanziell nicht unterstützen, kauft aber eine der Wohnungen im Schloss und verliebt sich in

Annabell, die Mutter der Gemeindeärztin.

Liesl, wie die tüchtige Gemeindeärztin von den Waldstettenern genannt wird, hat eine uneheliche Tochter,

Anna, und verliebt sich in

Ludwig, Bürgermeister und Bauunternehmer, den sie seit Kindertagen kennt und am Ende auch heiratet.

 

In Band 2 taucht der ehemalige Kaplan

Gottfried Gruber überraschend in Waldstetten auf. Obwohl er sich für einen schlichten Monsignore ausgibt, ist er in Wahrheit längst Kardinal, doch das vertraut er nur seinem ehemaligen Freund Ludwig an, denn seit er ein Buch über den Vatikan geschrieben hat, muss er um sein Leben fürchten.

Als Kardinal Gruber seine ehemalige Jugendliebe

Rosalinde wiedersieht,ist zwar nicht sein Leben, wohl aber sein Seelenheil in Gefahr.

 

In Band 3, dem Weihnachtsspecial, lernen wir noch

Tini, die neue Sekretärin auf dem Gemeindeamt, und Ludwigs Schwester

Traudl näher kennen. Traudl ist mit dem Förster

Anton verheiratet und hat seinerzeit ihr Architekturstudium zugunsten der Familie aufgegeben. Die beiden wohnen in Stettenkirchen und haben drei erwachsene Kinder:

Werner

Ferdinand und

Bettina.

 

Weiters mit von der Partie:

 

Professor Axel Wolf, – Annas Vater, verheiratet mit

Jutta, – der im Schloss eine Wohnung als Zweitwohnsitz erwirbt.

Steffi und Florian – „Zuagraste“, ehemals Journalisten, betreiben in Waldstetten einen Bio-Laden,

sowie Glorias beste Freundin

Julia, die mit Freund James in London lebt, sowie

Luise und Hermann Paffler, Ludwigs Eltern.

 

 

Leider bereits verstorben, aber immer noch von Bedeutung:

Tante Adelheid, genannt „die Baronin“,

und ihr Lebensmensch,

Pfarrer Pecher, langjähriger Pfarrer von Waldstetten.

 

Was Sie sonst noch wissen sollten:

Waldstetten liegt in einer europäischen Modellregion für das „Bedingungslose Grundeinkommen.“

 

1. Ludwig – Das Projekt „Seniorenhaus“

 

 

Bürgermeister Ludwig Paffler betrachtete kopfschüttelnd den vor ihm liegenden Brief. Er war bei Gott kein Genie der deutschen Sprache, nie gewesen, aber das, was Tini hier zu Papier brachte, war ja noch schlechter als alles, was er selbst je abgeliefert hatte.

 

Wehrte Kolegin,

 

las er da. Das fing ja gut an. Selbst wenn er jetzt die ärgsten Fehler ausbesserte, hieß das noch lange nicht, dass er den Brief abschicken konnte. Es würde ihm nichts anderes übrig bleiben, als die Gemeindekorrespondenz in nächster Zeit in seiner Baufirma schreiben zu lassen. Seine Sekretärin war es gewohnt, seine stichwortartig hingeworfenen Inhalte in wohlklingende Sätze zu kleiden. Das konnte natürlich nur eine Übergangslösung sein. Er musste sich wohl oder übel eine neue Sekretärin fürs Gemeindeamt suchen.

Schade. Tini war ein liebes Mädel, stets bemüht, es allen recht zu machen. Leider gelang ihr das höchst selten – zumindest nicht auf dem Gemeindeamt.

Dieser Brief war besonders heikel. Er richtete sich an die neue Bürgermeisterin der Großgemeinde Stettenkirchen, Irma Duscher.

Bisher kannte er sie nur flüchtig von dem Telefonat, in dem er ihr die Sache mit dem Seniorenheim hatte schmackhaft machen wollen. Er hätte ihr die Details dazu zwar lieber persönlich erklärt, aber die Gnädigste bestand auf einem Schreiben, das sie dem Gemeinderat vorlegen konnte.

Offenbar versuchte sie, dem ihr vorauseilenden Ruf gerecht zu werden. Es hieß, sie sei überheblich und ihrem Vater nicht unähnlich. Ulrich Duscher war in der Gegend nicht sonderlich beliebt, angeblich war er ein Schlitzohr, jedenfalls ein beinharter Geschäftsmann. Ihm gehörten der Steinbruch, einige Schotterteiche und ein Fuhrwerksunternehmen. Ludwig hatte schon öfter mit dieser Firma zu tun gehabt. Dabei war immer alles korrekt abgelaufen, also hatte er bisher nicht viel auf das Geschwätz gegeben.

Sein Schwager Anton meinte allerdings auch, die neue Frau Bürgermeisterin sei zwar eine Hübsche, aber auch eine Hantige, mit der nicht gut Kirschen essen sei. Auf Antons Meinung gab Ludwig schon mehr, schließlich hatte der seine Schwester Traudl geheiratet. Mit den Hantigen kannte er sich also bestens aus.

Ludwig besserte die gravierendsten Rechtschreibfehler aus und überflog das Schreiben noch einmal. Er fand, es stand alles drin, was drinstehen sollte, aber sicher fehlten wieder ein paar Blümchen rundherum, wie er das gerne nannte. Seine Frau Liesl hatte neulich gesagt, er fiele immer mit der Tür ins Haus. Möglich. Er redete ja sonst auch nicht um den heißen Brei. Also würde er Liesl das Schreiben vorab lesen lassen. Während er es in seiner Aktentasche verstaute, spielte sein Smartphone die Elisabeth-Serenade.

Er hob ab und sagte launig: „Geliebtes Eheweib, was gibt’s Neues zur Mittagsstunde?“

„Leider keine frohe Kunde. Ich habe soeben Tante Wetti ins Krankenhaus einweisen lassen müssen. Lungenentzündung.“

„War sie etwa bei dir in der Praxis?“ Seine Tante war bekannt dafür, dass sie um Ärzte einen weiten Bogen machte.

„Dazu wäre sie gar nicht mehr in der Lage gewesen. Traudl hat mich verständigt. Sie hat mit ihr telefoniert und war etwas beunruhigt, weil eure Tante so kurzatmig war und auch stark hustete. Da niemand von uns einen Schlüssel hat, haben wir Steffi, ihre Nachbarin, angerufen. Die hat mich ins Haus gelassen. Ich kann nur sagen, es war höchste Zeit.“

„Aber warum hat Tante Wetti nicht wenigstens Traudl angerufen?“

„Gute Frage, ich kann sie nur leider nicht beantworten. Sagst du deinen Eltern Bescheid?“

„Kann ich machen, aber ich glaube, du als Ärztin …“

„Schon gut. Ich fahr nachher vorbei. Also dann, bis später.“

„Was gibt’s denn heute zum Abendessen?“

„Das musst du Anna fragen, sie hat heute den Küchendienst übernommen.“

Das war keine schlechte Nachricht. Seine Stieftochter Anna war in der Küche recht talentiert und tauschte alle möglichen Verpflichtungen gerne gegen Küchendienste ein.

„Na wunderbar, dann hast du vielleicht noch Zeit, den Brief an die Kollegin aus Stettenkirchen durchzulesen.“

„Geht’s um das Projekt Seniorenhaus?“

„Ganz genau.“

„Dann mach ich es besonders gerne. Ich kenne mehr als einen Waldstettener, der darin besser aufgehoben wäre als allein daheim.“

„Du meinst jetzt aber nicht meine Eltern?“

„Zumindest nicht ausschließlich, aber darüber reden wir am Abend. Mach’s gut.“

„Du auch“, murmelte Ludwig. Er wusste Liesls Sorge um seine Eltern durchaus zu schätzen, doch in diesem Fall übertrieb sie einfach. Es mochte ja sein, dass seine Mutter manchmal etwas zerstreut wirkte, aber so schlimm war es nun wirklich nicht. Erst gestern Mittag hatte er bei ihr ein erstklassiges Gulasch gegessen. Und Vater war schließlich auch noch da.

 

*

 

„Ich gebe ja gerne zu, dass Tini im Gemeindeamt eine Fehlbesetzung ist, aber wenn sie nicht mehr da ist, müssen wir uns für deine Eltern etwas einfallen lassen“, sagte Liesl, nachdem sie die ersten Zeilen des Briefes gelesen hatte.

Ludwig sah sie nur fragend an, also fuhr Liesl fort: „Wusstest du, dass sie abends gemeinsam mit deiner Mutter kocht?“

„Tini und Mutter? Wozu soll das gut sein?“

„Deine Mutter wird dir zwar erzählen, dass es zu zweit mehr Spaß macht. Die Wahrheit ist, dass sie es allein nicht mehr kann. Was meinst du, warum wir seit Wochen nicht mehr bei deinen Eltern zum Sonntagsessen eingeladen waren?“

Ludwig überlegte. „Na ja, erst war Mutter verkühlt, dann haben wir die ganze Familie in den ‚Goldenen Stern‘ eingeladen, danach …“

„Dann haben deine Eltern ins Restaurant eingeladen. Warum wohl?“

„Weil Vater neuerdings so versessen ist auf Serbischen Karpfen und meine Mutter es ablehnt, zu Hause Fisch zu braten?“

Liesl nickte. „Das ist die Version deiner Mutter.“

„Solange sie schlau genug ist, solche Ausreden zu erfinden, kann’s ja noch nicht so schlimm sein.“

Liesl legte ihre Hand auf seinen Arm. „Ich weiß, dass du es nicht hören willst, aber es ist bekannt, dass Patienten mit einer beginnenden Demenz lange Zeit alle möglichen Erklärungen für ihre Handlungen erfinden. Das ist sogar ein ziemlich häufiges Merkmal.“

„Ah ja“, sagte Ludwig nur und machte sich von ihrer Hand frei, um eine Flasche Wein zu holen.

„Kommenden Sonntag sind wir übrigens alle bei Annabell zum Essen, offiziell, weil Konrad Geburtstag hat“, rief Liesl ihm nach.

„Und inoffiziell?“, fragte Ludwig, als er mit der Weinflasche und zwei Gläsern zurückkam.

„Inoffiziell, weil sie auch weiß, wie es um deine Mutter bestellt ist.“

Wortlos öffnete er die Flasche und schenkte die Gläser voll. Dann erst fragte er: „Und was machen wir jetzt?“

„Wann endet Tinis Probezeit?“

„In knapp zwei Wochen.“

„Könntest du die nicht verlängern? Zumindest, bis du jemanden gefunden hast?“

Ludwig dachte nach. „Na ja, könnte ich schon. Im Grunde ist es jetzt schon ein befristetes Arbeitsverhältnis gewesen.“

„Dann würde ich vorschlagen, du schenkst Tini reinen Wein ein, bietest ihr aber gleichzeitig eine befristete Verlängerung an. Dann kannst du dich in der Zwischenzeit umsehen, Tini auch, und vielleicht sehen wir in einigen Wochen klarer, wie es mit deiner Mutter weitergeht. Jetzt kümmern wir uns erst einmal um deinen Brief.“

Schon nach kurzer Zeit schob sie das Blatt zur Seite, sah ihn mit einem spitzbübischen Lächeln an und sagte: „Ich bin ja nicht so intensiv mit diesem Thema befasst, aber kannst du mir bitte mit einfachen Worten erklären, was genau du mit diesem Schreiben sagen wolltest?“

„So schlimm?“

„Nicht gerade schlimm, nur für mich eben unverständlich“, versuchte sie eine Erklärung. Sie war schon überzeugender gewesen.

Ludwig räusperte sich. „Also gut. Womit fange ich an? Vielleicht mit dem Gemeindeverband?“

„Vielleicht solltest du erst die Dringlichkeit eines Seniorenheimes für die Region erwähnen und erst dann deine Idee mit dem Gemeindeverband beschreiben?“

„Aber das habe ich der Fiffi doch schon alles am Telefon erzählt.“

„Trotzdem würde ich es erwähnen, sie will dein Schreiben schließlich dem Gemeinderat vorlegen.“

„Ich weiß. Weil sie zu faul ist, es selbst zu formulieren. Eigentlich finde ich das eine Frechheit. Warum muss ich mich mit dem blöden Brief herumquälen? Es ist doch ihr Gemeinderat. Mit meinem ist alles vorbesprochen. Nur die Einigung auf ein Grundstück steht noch aus.“

Liesl grinste. „Du führst dich gerade auf wie Anna, wenn sie ein Literaturreferat vorbereiten muss. Es ist doch nur ein Brief.“

„Du hast gut reden“, murmelte Ludwig. „Wahrscheinlich hattest du in Deutsch immer ein ‚Sehr gut‘.“

„Was denn sonst“, zwinkerte sie ihm zu.

 

2. Ludwig – „Frau Bürgermeister“ lässt bitten

 

 

Ludwig sah ja ein, dass Stettenkirchen die größere und somit bedeutendere Gemeinde war, aber das war noch lange kein Grund, ihn hier wie einen Bittsteller warten zu lassen, und das seit über zwanzig Minuten. Wo sind wir denn?

Er überlegte ernsthaft, zu gehen. Aber was sollte er dann morgen seinem Gemeinderat erzählen? Scheibenkleister. Hatte diese Duscher den Termin deswegen so lange hinausgezögert? Zuzutrauen wär’s ihr. Und er war auch noch darauf hereingefallen. Wütend zerrte er die Tageszeitung aus dem Ständer. Kaum hatte er sich in einen Artikel über die neuesten Forderungen der Opposition vertieft, hörte er eine weibliche Stimme rufen: „Die Frau Bürgermeister lässt jetzt bitten!“

Das wurde aber auch Zeit. Immer noch geladen, stapfte er in ihr Büro.

Hoppla, das hatte er aber anders in Erinnerung. Die dunkle Holzverkleidung war ebenso verschwunden wie die Geweihe, die seit Jahrzehnten den Raum geziert hatten und der ganze Stolz ihrer Amtsvorgänger gewesen waren. Nun waren die Wände weiß gestrichen, hinter dem Schreibtisch hing ein Bild. Ludwig hätte nicht sagen können, was es darstellte, aber es war sehr bunt. Vermutlich stellte es gar nichts dar.

Hübsch war sie, die neue Bürgermeisterin, da hatte Anton schon einmal recht gehabt. Nicht ganz sein Typ, zu hager, zu mondän, aber vermutlich würden nur wenige Männer sie von der Bettkante stoßen. Und ganz sicher würde sie den eigenen Vorteil nie aus den aufwendig geschminkten Äuglein verlieren.

Sie reichte ihm die Hand. „Herr Kollege Paffler, nicht wahr?“

Er nickte. „Wir waren verabredet, allerdings schon vor“ – er sah auf die Uhr – „ziemlich genau einer halben Stunde.“ So, das musste einmal gesagt sein. Jetzt ging es ihm besser.

„Tut mir leid“, antwortete sie, doch die Zufriedenheit ihres Gesichtsausdrucks strafte ihre Worte Lügen.

„Bitte nehmen Sie Platz. Was kann ich für Sie tun?“

Was sollte die blöde Frage? Sie wusste doch genau, warum er da war. Er versuchte, sich seine Verärgerung nicht anmerken zu lassen. „Stichwort Seniorenhaus. Funkt’s jetzt wieder?“

„Ach ja, Sie wollen, dass wir gemeinsam ein Seniorenheim bauen. Wie kommen Sie darauf, und – vor allem – welchen Nutzen versprechen Sie sich davon?“

So dumm konnte die Tante doch nicht sein. So dumm konnte sie sich nur stellen.

 

*

 

„Wie war deine Unterredung mit der neuen Kollegin?“, fragte Liesl am Abend.

„Schlechter als erwartet. Sie hat mich ernsthaft gefragt, was wir zwei davon hätten.“

„Aber Stettenkirchen hat doch in puncto Pflege und Altenbetreuung das gleiche Dilemma wie Waldstetten und die übrigen Gemeinden. Seit es auch im ländlichen Raum kaum noch Großfamilien gibt und die Leute immer älter werden, ist ein gefährliches Betreuungsvakuum entstanden. Die Handvoll mobiler Schwestern, die wir haben, ist heillos überfordert.“

„Wenn sie es weiß, scheint es ihr egal zu sein. Der geht es um Wählerstimmen und um Geld. Über die Reihenfolge bin ich mir noch nicht im Klaren.“

„Und wie geht’s jetzt weiter?“

Ludwig zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Immerhin hat sie zugesagt, dem Gemeinderat meinen Vorschlag zu unterbreiten.“

Dass sie auch noch vorgeschlagen hatte, in den nächsten Tagen noch einmal gemeinsam, am besten abends bei ihr zuhause und bei einem Glas Wein, über das Projekt nachzudenken, würde er Liesl besser nicht erzählen. Er war nicht gerade als Frauenversteher bekannt, aber die Einladung war sogar für ihn ziemlich eindeutig gewesen, und er dachte nicht daran, sie anzunehmen. Besser das Thema wechseln. „Apropos Senioren. Wollte Traudl heute nicht Tante Wetti im Spital besuchen?“

Liesl nickte. „Das hat sie auch getan und war danach ziemlich beunruhigt. Ich habe dann den behandelnden Arzt angerufen. Der Zustand eurer Tante ist zwar stabil und auch nicht lebensbedrohlich, aber als ich ihm gesagt habe, dass sie bisher allein gelebt hat, war er doch ziemlich erstaunt. Wir haben fürs Erste vereinbart, dass sie gleich im Anschluss an den Spitalaufenthalt in ein Pflegeheim kommen soll. Vorerst nur auf Zeit. Aber nach dem, was der Kollege erzählt hat, glaube ich nicht, dass sie noch einmal in ihr Haus zurückkehren kann. Nicht ohne Pflege.

„Na bravo“, war alles, was Ludwig dazu sagte.

„Hast du eigentlich schon mit Tini gesprochen?“

„Hab’ ich“, nickte er und schaltete den Fernsehapparat ein.

„Und?“

„Sie war gar nicht so erstaunt, weiß wohl selbst, dass der Job für sie eine Nummer zu groß ist.“

„Zu groß würde ich nicht sagen. Er ist nur nicht passend“, antwortete Liesl. Dann setzte sie sich zu ihm.

„Was gibt’s denn heute in der Glotze?“

„Echten Rosenheimer Krimithriller.“

Liesl lehnte sich entspannt zurück. „Das schaff’ ich heute gerade noch, danach gehe ich zu Bett.“

 

*

 

Am nächsten Tag verabredete sich Ludwig mit seinem Schwager Anton zu einem After-Work-Achterl, wie sie ihren gelegentlichen Dämmerschoppen augenzwinkernd nannten.

„Von Skrupeln scheint eure neue Bürgermeisterin ja nicht geplagt zu sein“, kam Ludwig auf das Thema zu sprechen, das ihn am meisten beschäftigte.

„Skrupel?“, überlegte Anton. „Na, i glaub’ Skrupel hat die eher wenig. Wie kommst drauf?“

„Nur so. Sag, ist die nicht verheiratet?“

„Doch, ich glaub’ schon, warum frogst?“

„Also, wenn ich net ganz deppert bin, dann hat die mir ein ziemlich eindeutiges Angebot gemacht. Ich soll sie am Abend zu Hause besuchen, um bei einem Glas Wein über unser Projekt zu reden. Was sagst dazu?“

„Was man so hört, dürfte der Herr Gemahl selten daheim sein und auch gerne in fremden Revieren jagern. Vielleicht will sie sich revanchieren.“

„Möglich, da muss sie sich aber einen anderen suchen.“

„Recht hast. Eine Frau wie die Liesl würde ich auch nicht betrügen.“

Ludwig sah ihn überrascht an. „Wie soll ich des jetzt verstehen? Ich mein, die Traudl is net einfach, aber immerhin mei Schwester.“

Anton grinste. „So lass mich halt wenigstens träumen, weil mit deiner Schwester ist es zurzeit wirklich net einfach.“

„Mit meiner Schwester war’s noch nie einfach – aber du hast sie unbedingt heiraten wollen.“

Anton nahm noch einen Schluck und nickte in sein Glas. „Damals, ja. Da war sie auch ganz anders. Leider hat sich die Traudl in den letzten Jahren sehr verändert. Alles sieht sie negativ, so war sie früher nicht. Sag ehrlich, das ist euch doch bestimmt auch schon aufgefallen.“

Ludwig nickte. „Liesl meint, dafür müsst’s einen Grund geben. Seit wann geht das denn schon so?“

Antons Gesicht verriet Ratlosigkeit. „Kann ich dir nicht genau sagen. Das kam so zizerlweis, dann hatte sie auch immer wieder gute Phasen, so wie vergangene Weihnachten. Aber seit Jänner ist sie wieder …“ Anton ließ den Satz unvollendet und machte eine entsprechende Handbewegung. „Ich versuch ja eh, Streitthemen aus dem Weg zu gehen, aber manchmal weiß ich wirklich nicht, wohin das noch führen soll.“

Eine Weile blieb es still, dann fragte Ludwig: „Denkst du etwa an Scheidung?“

„Scheidung?“

„Eure Kinder sind aus dem Haus, was hält euch denn noch zusammen?“

Anton dachte nach, trank einen Schluck, dann sagte er: „Wir haben uns halt an das Zusammensein gewöhnt und ganz so klass’ ist das Alleinsein sicher auch net. Trink ma noch a Glaserl?“

Ludwig sah auf die Uhr. „Besser net, sonst bist du vielleicht schneller Single, als dir lieb wär’.“

 

3. Traudl – Eine kranke Idee?

 

 

„Wie geht’s dir denn?“, fragte Traudl und sah sich in dem Dreibettzimmer um, in dem ihre Tante im Moment die einzige Patientin war.

„Immer noch bescheiden“, antwortete Tante Wetti. „Du schaust aber auch net gut aus.“

„Ich bin mit meinen Nerven völlig am Ende. Nicht nur, dass ich alle Hände voll zu tun habe, wird unsere Mutter jeden Tag verrückter.“

Diese Nachricht ließ Wetti erst einmal unbeantwortet, dann meinte sie: „Nau jo, a bisserl verrückt war s’ eh schon immer.“

Traudl machte eine wegwerfende Handbewegung. „Das mein’ ich nicht. Früher war sie mitunter eigenartig, jetzt ist sie … verwirrt. Gestern ruft sie mich an und fragt, warum der Werner nicht zum Essen kommt. Ich hab’ erst gar nicht gewusst, wovon sie redet. Dann ist mir eingefallen, dass Werner, als wir in Stettenkirchen gebaut haben und er noch in Waldstetten in die Volksschule gegangen ist, ab und zu bei ihr gegessen hat. Das ist jetzt über zwanzig Jahre her.“

Auch diesmal ließ Wetti sich mit der Antwort Zeit, ehe sie murmelte: „Dann wär’ das vielleicht auch was für die Luise.“

„Was meinst?“

Wetti versuchte, sich aufzurichten, Traudl half ihr, so gut es ging. Dann nahm Wetti ihre Hand. „Hör zu. Die schicken mich von hier aus in ein Pflegeheim, angeblich nur für eine befristete Zeit, aber das kennt man ja. Mein Haus steht leer. Jemand müsste sich darum kümmern.“

Wieder machte sie eine Pause, ehe sie fortfuhr: „Du bist doch Architektin, zumindest fast. Traust du dir zu, mein Haus zu einem Altersheim umzubauen?“

Traudl sah sie erstaunt an. „Der Umbau wäre vermutlich nicht das Problem, aber für so ein Heim braucht man doch einen Betreiber. Wie soll denn das funktionieren?“

Tante Wetti lehnte sich erschöpft wieder in ihre Kissen zurück. „Was weiß ich. Frag Ludwig oder deinen Vater. Sind eh zwei so G’scheithaferln und als Eigentümer der zweiten Hälfte sollte es meinen Herrn Bruder doch interessieren, was aus unserem Elternhaus wird. Schau, du und Ludwig werdet eines Tages meine Haushälfte erben. Ich würde sie euch jetzt schon schenken, wenn ihr sie zu einem Altersheim umbaut. Sollte ich hier lebend rauskommen, und der Arzt sagt, davon geht er aus, könnte ich später in mein Haus zurückkehren. Nur dass ich dann nicht allein wäre. Du könntest den Umbau leiten. Denk drüber nach.“

„Das mach’ ich, aber ich glaube, du solltest dich jetzt besser ausruhen.“

„Ich kann mich hier den ganzen Tag ausruhen“, sagte Wetti noch, dann schloss sie erschöpft die Augen. Traudl wartete einige Minuten. Als sie sah, dass ihre Tante schlief, verließ sie leise das Krankenzimmer.

 

*

 

Als Traudl heimkam, stürzte sie in Antons Büro. Ausnahmsweise war er einmal da, wenn man ihn brauchte.

„Ich komme grad’ von Tante Wetti. Was glaubst du, was die mir soeben vorgeschlagen hat?“

„Keine Ahnung.“

„Sie würde Ludwig und mir schon jetzt ihre Haushälfte überschreiben, unter der Voraussetzung, dass wir ein Seniorenheim, sie nannte es Altersheim, daraus machen. Ich soll den Umbau leiten. Was sagst dazu?“

„Da wird der Ludwig sicher a Freud haben“, antwortete Anton mit hörbar unterdrücktem Lachen. Das war ja wieder typisch.

„Ludwig vielleicht nicht, Vater schon. Er alteriert sich doch seit Jahren, dass das Haus faktisch leer steht, weil Wetti nur einen geringen Teil der zur Verfügung stehenden Wohnfläche in Anspruch genommen hat.“

Anton grinste. „Du hörst dich ja schon an wie eine Architektin.“

„Die ich auch längst wäre, wenn du mir nicht dazwischengekommen wärst.“

„Ah, do schau her. Bin ich etwa schuld, dass du dein Studium geschmissen hast?“

„Wer sonst?“

„Du wolltest doch heiraten und Kinder haben.“

„Klar, nachdem ich schon schwanger war. Aber ich wollte Ehefrau und Mutter sein, nicht euer Trottel für alle Fälle.“

Anton schüttelte den Kopf. Dann stand er auf, riss seine Jacke vom Haken und verließ mit Riesenschritten das Büro. Im Vorbeigehen zischte er: „Du spinnst doch!“

Traudl sah ihm erstaunt nach. Die Wahrheit hatte der Mann noch nie vertragen. Aber der kam wieder. Was war jetzt zu tun?

Ach ja, Ludwig anrufen.

 

*

 

„Was für eine kranke Idee ist das denn?“, rief Ludwig.

„Wieso ist die Idee plötzlich krank? Du hast doch zu Weihnachten erzählt, dass du gemeinsam mit Stettenkirchen ein Seniorenheim errichten willst.“

„Will ich immer noch, wir nennen es übrigens Seniorenhaus. Aber wir haben uns bisher weder auf einen Gemeindeverband als Betreiber geeinigt, noch auf ein Grundstück und schon gar nicht auf ein Bauwerk.“

„Das Grundstück wäre nun vorhanden, das Gebäude auch.“

Diesen Einwurf ließ Ludwig unkommentiert und sprach ungerührt weiter: „Außerdem müssen wir zuerst eine Bedarfserhebung durchführen …“

„Bedarf ist ebenfalls vorhanden. Die ersten Bewohner kämen sogar aus der Familie: Tante Wetti und unsere Eltern. Für Vater und Wetti wäre es ihr Elternhaus, das würde ihnen die Sache sicher einfacher machen.“

„… und eine Rentabilitätsrechnung anfertigen lassen“, fuhr Ludwig unbeirrt fort. „Wettis Haus, so groß es auch sein mag, ist mit Sicherheit zu klein. Für so ein Objekt braucht man schließlich jede Menge Allgemeinflächen.“

„Du vergisst die Nebengebäude. Außerdem wäre das Grundstück für einen Zubau doch groß genug.“

„Trotzdem müssen wir erst einmal abwarten, wie sich euer Gemeinderat entscheidet. Eines sage ich dir, Pflege ist ein knallhartes Geschäft. Da geht’s nicht um Emotionen, da geht’s um Subventionen – und um Rendite, zumindest aber um Kostendeckung.“

„Ja, das weiß ich alles. Unser Vater wird von der Idee sicher begeistert sein, schließlich gehört ihm die zweite Hälfte des Hauses. Endlich kann er mit dem Objekt arbeiten.“

„Wenn du ihn anrufst, wird er dich fragen, welchen Gewinn er bei der Sache hätte. Darauf solltest du eine Antwort haben. Andernfalls könnte sich seine Begeisterung rasch legen.“

„Er könnte mit Mutter eines der ersten Appartements beziehen.“

„Könnte er, wird er aber nicht machen. Vater ist noch viel zu rüstig und wenn ich mir vorstelle, dass er mit unserer Mutter auf engstem Raum leben soll. Also ehrlich, das hält ja kein Mensch aus.“

Den Einwand musste Traudl zähneknirschend gelten lassen. Dennoch vereinbarte sie mit Ludwig, erst einmal das Objekt zu besichtigen und anhand der Pläne die möglichen Nutzflächen zu ermitteln. Sie wollte sich um den Hausschlüssel kümmern, Ludwig um die Pläne.

Traudl war in der Zwischenzeit Feuer und Flamme, denn eines war ihr in den letzten Stunden klar geworden: Dieses Projekt, so schwierig es auch sein mochte, war ihre Chance, möglicherweise ihre letzte Chance, noch etwas anderes zu machen, als zu kochen, zu putzen und Antons Schreibkram zu erledigen. Noch einmal könnte sie allen beweisen, dass an ihr eine tüchtige, eine sehr tüchtige Architektin verloren gegangen war.

Anton war rechtzeitig zum Abendessen zurück.

Um sich für seinen unfreundlichen Abgang zu revanchieren, hatte Traudl Krautfleckerln gemacht, ohne Speck, wohl wissend, dass er das Gericht ohne Speck nicht mochte, und das Bier früh genug aus dem Keller geholt, weil Anton es hasste, wenn das Bier nicht schön kalt war. Doch heute verlor er weder über den fehlenden Speck noch über das zu warme Bier ein Wort.

Als sie schon dachte, er würde sich wortlos zum Fernseher verkrümeln, fragte er: „War es all die Jahre so schrecklich, mit mir verheiratet zu sein und aus unseren Kindern vernünftige Menschen zu machen?“

Traudl nahm einen Schluck Saft, ehe sie antwortete: „Schrecklich wurde es erst, als ihr begonnen habt, mich als eure Dienstmagd zu betrachten, und ob aus unseren Kindern gar so vernünftige Menschen geworden sind, steht noch nicht fest.“

„Dienstmagd? Blödsinn. Jeder hatte seine Aufgaben. Ich im Forst, du im Haushalt.“

„Um die Kindererziehung hast du dich auch nicht gekümmert.“

„Weil du mich nicht gelassen hast. Darf ich dich daran erinnern, wie wütend du warst, als ich einmal zur Sprechstunde in die Schule gegangen bin?“

„Ich erinnere mich genau. Du hast es hinter meinem Rücken getan.“

„So ein Unsinn. Ich war zufällig in Krems und dachte, ich erspar’ dir einen Weg. Aber die Kinder und der Haushalt waren eben deine Domäne, das habe ich akzeptiert.“

„War doch sehr bequem für dich.“

„Ja, schon. Aber wenn es dir nicht gepasst hat, dann hätten wir damals darüber reden müssen. Es mir jetzt vorzuwerfen, ist ebenso ungerecht wie sinnlos.“

Traudl warf ihm einen wütenden Blick zu. „Dachte ich mir doch, dass am Ende wieder ich an allem schuld bin. Aber damit ist jetzt Schluss!“

Dann stand sie auf und verließ demonstrativ die Wohnküche.

 

4. Ludwig – Tante Ziege

 

 

Puh, war das ein langer Tag gewesen. Seit sechs Uhr früh war Ludwig unterwegs, nun war es bald acht und er freute sich auf das Abendessen, einen Plausch mit Liesl und eine ruhige Stunde vor dem Fernseher. Als er in die Landstraße einbog, kam ein Anruf über die Freisprecheinrichtung. Anton.

„Lieblingsschwager, was kann ich für dich tun?“

„Könnt’ ich auf einen Sprung bei euch vorbeikommen?“

„Ja klar, wann?“

„Jetzt gleich?“

„Du … ich bin grad’ erst auf dem Heimweg.“

„Ach so. Na ja, … da will ich dich nicht stören.“

Irgendwie klang Anton seltsam. Deswegen sagte Ludwig gegen seine Überzeugung: „Geh bitte, du störst doch nicht. Also dann, bis gleich“, und beendete das Gespräch, bevor Anton etwas einwenden konnte.

Liesl hatte mit dem Abendessen auf Ludwig gewartet und war nicht sonderlich begeistert über den unerwarteten Besuch.

„Was hätt’ ich denn sagen sollen?“, fragte Ludwig.

„Hast eh recht, ich hätte vermutlich das Gleiche gesagt. Meinst, es geht um Traudl?“

„Mit Sicherheit. Da fällt mir ein, du kennst ja die Neuigkeit des Tages noch nicht.“ Während er ihr von seinem Telefonat mit Traudl erzählte, läutete Anton an der Tür.

Ludwig öffnete. „Hat meine Schwester die Wohnräume schon zum Architekturbüro erklärt?“

„So ähnlich. Aber das wäre nicht das Problem, langsam glaube ich, das wär’ eher die Lösung.“

„Muss ich das jetzt verstehen? Geh bitte weiter. Magst ein Bier?“

Anton nickte und ging ins Wohnzimmer. „Oje, ich stör’ euch auch noch beim Abendessen. Das tut mir leid.“

„Das muss dir nicht leidtun, wir lassen uns eh nicht stören“, meinte Liesl. „Magst mitessen? Es ist genug da. Anna übernachtet bei einer Freundin. Das hat sie mich allerdings erst wissen lassen, als ich mit dem Kochen fertig war.“

„So sind sie, die Kinderlein“, antwortete Anton und lugte in den Topf. „Mhm, Krautfleisch. Da nehme ich gern eine Kostprobe, bei uns hat’s heut’ eh nur Krautfleckerln gegeben. Ohne Speck.“

„Ich liebe Krautfleckerln“, sagte Liesl zwischen zwei Bissen und schöpfte ihm eine Portion Krautfleisch auf den Teller.

Ludwig hielt nicht viel von einführenden Wortspielen. „Wegen der Krautfleckerln wirst nicht gekommen sein. Was ist los?“

„Mein holdes Weib hat mir heut’ erklärt, dass ich ihr Leben zerstört habe.“

„Das hat sie gesagt?“, fragte Liesl.

„Nicht mit diesen Worten, aber inhaltlich schon. Weil, wenn ich nicht gekommen wäre, dann wäre sie jetzt Architektin und nicht unsere Hausmagd.“

„Des darfst net so ernst nehmen, meine Schwester spinnt gelegentlich.“

„Na, ganz so sehe ich das auch wieder nicht. Die Traudl hat zugunsten der Familie auf Karriere verzichtet“, meinte hingegen Liesl. „Gut, es war eure gemeinsame Entscheidung, und ich hatte eigentlich lange Zeit den Eindruck, dass sie damit sehr zufrieden war, aber jetzt, da die Kinder erwachsen sind …“

„Und nicht mehr nach ihrer Pfeife tanzen“, warf Ludwig ein.

„… jetzt wird ihr das eben bewusst“, beendete Liesl ungerührt ihren Satz.

Anton nickte ihr zu. „So habe ich mir das in der Zwischenzeit auch zusammengereimt. Ich denk’ ja schon seit ein paar Stunden darüber nach. Vielleicht ist das auch die Erklärung für ihre anhaltend schlechte Laune. Aber deswegen hätte ich euren Feierabend nicht gestört. Im Grunde komme ich mit einer Bitte zu euch. Vor allem zu dir, Ludwig.“

„Ich höre.“

„Zuvor noch eine Frage. Wie realistisch ist die Idee mit dem Seniorenheim in Wettis Haus?“

„Das ist schwer zu sagen. Wie du weißt, stehen die Verhandlungen mit Stettenkirchen erst am Anfang. Außerdem ist Wettis Haus zwar groß, aber mit Sicherheit nicht groß genug. Wenn überhaupt, würde es sicher einen Zubau brauchen oder auf Abbruch und Neubau hinauslaufen.“

„Verstehe. Also gut, jetzt kommt meine Idee: Wenn dieses Seniorenheim verwirklicht werden sollte, dann bitte ich dich inständig, lass Traudl mitarbeiten.“

Das musste Ludwig erst einmal hinunterspülen. „Ich kann sie schlecht zur leitenden Architektin machen.“

„Verstehe ich, aber dir wird schon etwas einfallen.“

Ludwig schnaufte. „Du weißt aber schon, was du da von mir verlangst?“

„Ich fürchte, ich ahne es.“

Eine Weile blieb es still, dann sagte Ludwig: „Also gut. Noch ist es ohnehin nicht mehr als eine blöde Idee von Tante Ziege.“

„Tante Ziege?“, fragten Liesl und Anton fast im Chor.

Ludwig grinste. „So hab’ ich sie als Kind manchmal genannt, weil sie so ein längliches Gesicht und so ein meckerndes Lachen gehabt hat. Hat mir so manche Ohrfeige eingetragen, aber ich fand’s lustig.“

Eine Weile unterhielten sie sich noch über Traudl, dann fragte Anton: „Hast du dich eigentlich schon in die Höhle unserer schönen Bürgermeisterin gewagt?“

Ludwig warf ihm einen genervten Blick zu und schüttelte nur den Kopf.

„Aber du warst doch schon bei ihr?“, sagte Liesl kopfschüttelnd.

Hoffentlich hielt sie ihn jetzt nicht auch für dement.

„Ja, eh, im Büro.“

Liesl sah zwischen den beiden hin und her, bis Ludwig seufzend erklärte: „Sie hat mich zu sich nach Hause eingeladen.“

„Dann gehen wir halt hin.“

„Sie hat aber mich allein eingeladen“, brummte Ludwig.

„Ach so. Verstehe“, grinste Liesl.

„Keine Sorge, ich geh’ eh nicht hin.“

„Aber wieso denn? Sie wird dir schon nichts antun – und falls doch, wirst du dich zu wehren wissen.“

„Du meinst wirklich, ich sollte hingehen?“

„Ja, klar, wenn’s der Sache dient.“

Ludwig sah sie lächelnd an. „Du bist schon eine erstaunliche Frau.“

„Weil ich dir vertraue? Geh, bitte!“

Vertrauen war schon gut. Sie hatten einander immer vertraut und so sollte es auch bleiben – aber so ein wenig Eifersucht wäre auch schön gewesen.

 

*

 

Wenige Tage später stand Ludwig vor dem Gartentor des ehemaligen Gutshofes, in dem seine Urgroßeltern, seine Großeltern und zuletzt nur noch seine Tante gewohnt hatten.

Seit gut zehn Minuten wartete er auf Traudl. Warum konnte diese Frau nie pünktlich sein? Das hatte ihn schon als Kind geärgert.

Das Haus lag etwas außerhalb auf einer leichten Anhöhe, von der man nicht nur einen hübschen Blick auf Waldstetten, sondern auch auf das Schloss hatte.

Das Nachbarobjekt, das in der Zwischenzeit Steffi und Florian, den Besitzern des Bioladens, gehörte, lag etwas unterhalb. Beide Häuser verfügten über große Gärten, doch während in Wettis Garten alles durcheinanderwucherte und offensichtlich schon lange niemand ordnend eingegriffen hatte, waren auf der Nachbarliegenschaft ein Schwimmteich, Turngeräte und jede Menge Gemüsebeete zu sehen.

Ludwig wusste, dass seine Tante nach dem Tod der Großeltern einen Teil des Hauses als Frühstückspension genutzt hatte.

Ob die ehemaligen Fremdenzimmer vielleicht schon Bäder hatten? Vielleicht war Tante Wetti deshalb auf die Idee mit dem Seniorenheim verfallen?

Ah, da kam Traudl ja endlich.

„Hast du die Schlüssel dabei?“, fragte er anstelle eines Grußes.

Traudl verzichtete ebenfalls auf die Begrüßung, fischte einen Schlüsselbund aus ihrer Tasche und drückte ihn Ludwig kommentarlos in die Hand.

Eine Weile werkelte er mit verschiedenen Schlüsseln herum, dann öffnete sich quietschend das Gartentor. Eine lange Reihe von Birnbaumspindeln führte zum Haus.

„Der Weg ist ja nicht einmal betoniert. Bei Schneeschmelze und längerem Regen muss sie jedes Mal im Schlamm versunken sein“, bemerkte Ludwig. „Warum hat sie denn nie etwas gesagt?“

„Hättest du es denn gemacht?“, fragte Traudl spitz.

In der Zwischenzeit waren sie beim Haus angekommen. Während Ludwig neuerlich nach dem passenden Schlüssel suchte, murmelte er: „Was denkst du?“

Sie überlegte. „Doch, du hättest es gemacht. Du hast dich zwar nie um sie gekümmert, aber du hättest es gemacht.“

„Nie um sie gekümmert? Du bist gut. Sie ist die Schwester unseres Vaters, ja, aber wir hatten kaum Kontakt. Auch früher nicht.“

„Weil unsere Mutter sie nicht mochte.“

„Möglich, die beiden verstehen sich immer noch nicht besonders, aber Tante Wetti hat sich auch nicht um uns geschert, als wir noch Kinder waren.“

„Mir hat sie manchmal Stoffreste geschenkt. Anfangs für Puppenkleider, später habe ich alles Mögliche daraus geschneidert.“

„Mir hat sie nie etwas geschenkt“, murmelte Ludwig und stieß die Tür auf.

„Du hast sie ja auch Tante Ziege genannt.“

 

5. Traudl – Das alte Gutshaus

 

 

Traudl hatte diesem Besichtigungstermin nahezu entgegengefiebert. Wenn dieses Projekt verwirklicht werden konnte, dann würde sie die Sache in die Hand nehmen und ihrer Familie endlich zeigen können, was sie alles draufhatte.

Am Ende des Rundgangs war sie mit dem Gesehenen durchaus zufrieden.

„Der bauliche Zustand ist nicht schlecht, allerdings scheint unsere Tante keinen besonderen Hang zu Akkuratesse zu haben“, sagte sie.

„Man könnte auch sagen, das Ganze ist ein riesiger Saustall“, antwortete Ludwig.

Traudl entfernte einen Stoß Modehefte und einige Stoffrollen vom Küchentisch und setzte sich. „Sauber ist es hier schon, aber Tante Wetti scheint alles gerne bei der Hand gehabt zu haben.“

„So kann man es auch nennen, aber dich sollte das nicht erstaunen, du hast sie doch manchmal besucht.“

„Dabei bin ich allerdings kaum weiter als bis in die Veranda gekommen.“

„Jetzt weißt du, warum. Im Übrigen kann ich dir, was den baulichen Zustand betrifft, nicht ganz recht geben. Die Fremdenzimmer verfügen zwar über Bäder, aber ich fürchte, wir haben es hier noch mit alten Bleileitungen zu tun. Ich nehme an, du weißt, was das heißt.“

„Natürlich. Die Leitungen müssen erneuert werden, damit war ja zu rechnen. Zeigst du mir bitte die Pläne?“

Ludwig wischte mit der Hand sicherheitshalber noch einmal über den leer geräumten Tisch, ehe er die Pläne darauflegte. Sie waren veraltet, die Veranda war ebenso wenig eingezeichnet wie der letzte Umbau in den Gästezimmern, aber für einen ersten Überblick sollten sie reichen. Er wies auf das Gesamtausmaß.

„Die Flächen, die wir hier zusammenbringen, reichen bestenfalls für eine Senioren-WG, aber niemals für ein Seniorenhaus“, kommentierte Ludwig.

„Trotzdem finde ich, dieses Haus ist für Senioren wie geschaffen. Es hat drei Generationen Heimat geboten und atmet geradezu Erinnerung.“

Ludwig sah sie überrascht an, dann schüttelte er den Kopf. „Ich fürchte, du hast in den letzten Jahren zu viele Romane gelesen.“

„Dazu hatte ich leider keine Zeit“, antwortete sie spitz.

Also wirklich, dachte sie insgeheim, was glaubten die eigentlich, wie eine Familie mit drei Kindern so klaglos funktionierte, wenn sie ihre Zeit mit Romanen verschwendet hätte? Außerdem hatte sie die administrativen Agenden für die Stiftung erledigt, für die Anton arbeitete. Agenden, für die er angeblich keine Zeit fand. Oder auch keine Lust hatte – vermutlich beides. Egal. Wenn das hier klappte, musste sich Anton ohnehin etwas einfallen lassen, dann hatte sie nämlich keine Zeit mehr für subalterne Beschäftigungen. Dieses Seniorenheim musste einfach gebaut werden – und dazu brauchte sie Ludwig ebenso wie ihren Vater.

Sie atmete durch. „Ich sehe, ein Teil des nicht bebauten Grundstücks ist Grünland. Besteht die Möglichkeit einer Umwidmung in Bauland?“

„Die Möglichkeit besteht immer. Aber wenn der Bürgermeister selbst dabei profitiert, macht das keinen schlanken Fuß. Meine Idee wäre daher: Abbruch und Neubau. Wenn wir neu planen, zwei Kellergeschoße machen, die Bauhöhe und die mögliche Baufläche ausnützen, kämen wir mit den Flächen vermutlich ohne Umwidmung hin.“

„Du willst den alten Gutshof abreißen? Hier sind unsere Eltern aufgewachsen.“

„Ja, und? Deswegen ist es auch nichts anderes als ein Haufen Ziegeln und Mauerwerk. Wenn wir alle Häuser, in denen irgendjemand aufgewachsen ist, stehen ließen, gäbe es ja nur noch alte Bruchbuden. So ein Holler!“

Traudl überlegte. Für Abbruch und Neubau bedurfte Ludwig ihrer Expertise deutlich weniger als im Falle des Umbaus. Umbau und Zubau, das war etwas, das Fingerspitzengefühl erforderte. Fingerspitzengefühl war nicht Ludwigs Stärke. Schon deshalb musste der Abbruch verhindert werden.

Laut sagte sie: „Für Abbruch und Neubau fehlt uns schlicht die Zeit. Tante Wetti bleibt nicht ewig in diesem Pflegeheim. Wir sind es ihr einfach schuldig, bis dahin ein neues Heim zu schaffen.“

„Schuldig bin ich ihr gar nichts. Diese geschenkte Haushälfte macht zunächst einmal Arbeit, ob wir eines Tages Ertrag daraus lukrieren, ist noch vollkommen offen. Kann gut sein, dass den erst unsere Kinder haben werden.“

„Du hast doch gar keine Kinder“, warf Traudl ein.

Ludwig schien überrascht. „Doch, Anna.“

„Aber Anna ist nicht dein Fleisch und Blut. Eigene Kinder zu haben, ist emotional etwas vollkommen anderes.“

„Man kann’s ja auch übertreiben mit den Emotionen. Außerdem frage ich mich, was du mir damit sagen willst?“, antwortete er gefährlich ruhig. Sie kannte ihren Bruder. Diese Ruhe war kein gutes Zeichen.

Warum hatte sie dieses Thema ausgerechnet jetzt angeschnitten? Natürlich ärgerte es sie schon länger, dass von Ludwigs Besitz eines Tages eine Fremde profitieren würde, nicht seine Neffen und Nichten.

Aber das war vermutlich nicht mehr zu ändern. Außerdem brauchte sie ihn jetzt als Verbündeten, ihn und ihren Vater. Andernfalls würde ihr Traum früher zerplatzen als eine Seifenblase. Also machte sie nur eine wegwerfende Handbewegung und murmelte: „Ach, nichts. Das hat sich nur so ergeben.“

 

*

 

Traudl bestand darauf, dass sie gleich anschließend zu ihrem Vater fuhren. Ihm gehörte die andere Hälfte des Gutshauses, also hatte er ein gewichtiges Wort mitzureden. Als Tochter sollte es ihr doch ein Leichtes sein, ihn auf ihre Seite zu ziehen. Zumindest hatte das früher ganz gut geklappt.

Natürlich begrüßte er es zu hören, dass seine Schwester Wetti das Wohnrecht aufgeben und ihre Hälfte seinen Kindern schenken wollte, doch schon durch seine erste Frage wurde Traudls Zuversicht schlagartig gebremst. „Ein Seniorenhaus? Ja rechnet sich das denn?“

„Das kommt drauf an, wie wir es anlegen“, antwortete Ludwig darauf. Damit hatte er Vaters volle Aufmerksamkeit und konnte seine Vorstellungen präsentieren. Traudl blieb nichts anderes übrig, als ungeduldig zuzuhören.

Als Ludwig endlich zu Ende gekommen war, legte sie los, erläuterte ihre Absicht, das historische Gebäude, wie sie den Gutshof eben getauft hatte, zu erhalten, auszubauen und mit einem Zubau zu versehen, der sich perfekt in die Umgebung einfügen würde.

Kaum war sie fertig, brachte sich Ludwig wieder in Stellung, doch ihr Vater winkte ab.

„Ich hab’s kapiert. Ludwig will alles niederreißen und neu bauen, Traudl will den Bestand erhalten, umbauen, sanieren und erweitern. Ich werde darüber nachdenken. Aber vergesst nicht, noch haben Wetti und ich ein Wort mitzureden.“

Stimmt, dachte Traudl. Was Tante Wetti betraf, wäre das für sie alles andere als ein Nachteil, denn auf ihre ganz eigene Art war Wetti eine Feministin.

 

6. Ludwig – Bürgermeister unter sich

 

 

Irma Duscher bewohnte ein altes Bauernhaus, das sie aufwändig renoviert hatte.

Sie begrüßte Ludwig mit einem süffisanten Lächeln und bat mit einer eleganten Handbewegung in den eher modern gestalteten Wohnraum: „Na, Herr Kollege, haben Sie sich doch noch zu mir getraut?“

Blöde Kuh, eingebildete. Meinte sie vielleicht, er fürchtete sich vor ihr?

„Am ‚Trauen‘ ist’s nicht gelegen, werte Kollegin, aber Sie wissen ja, so ein Tag hat halt nur 24 Stunden. Dafür hab’ ich mir erlaubt, ein Flascherl Wein mitzubringen.“

„Trauen Sie meiner Auswahl nicht?“, spottete sie.

Gurken, damische. Blöd daherreden konnte er auch. „Wie sollte ich, wir kennen uns ja kaum.“

Sie wandte sich den vorbereiteten Sektgläsern zu. In einem Eiskübel wartete Schaumwein. Welcher genau, konnte Ludwig nicht sehen.

Die Flasche war bereits geöffnet, sie schenkte ein, reichte ihm ein Glas und flötete: „Das sollten wir schleunigst ändern, finden Sie nicht? Ich bin Irma.“

Holla. So wie sie das sagte, klang das schon fast wie ein eindeutiges Angebot.

„Ich bin der Ludwig. Prost“, antwortete er betont jovial und trank einen Schluck.

Wenn ihn nicht alles täuschte, war das Champagner. Vermutlich teuer, aber nicht ganz sein Fall. Machte nichts, mehr als ein, zwei Gläser würde er so oder so nicht trinken.

Ludwig sah sich um. Das Licht war gedimmt, im offenen Kamin knisterte ein Feuer. Davor standen zwei tiefe Lederfauteuils. Irma Duscher bat ihn, darin Platz zu nehmen.

Das ist ja wie im Film, dachte er und verbiss sich ein Grinsen.

„Der Herr Gemahl ist nicht zu Hause?“, fragte er.

„Der Herr Gemahl ist verreist. Beruflich.“

Wie praktisch, dachte Ludwig. „Tja, ich bin gekommen …“

„Damit wir uns etwas besser kennenlernen, hoffe ich doch.“

„Das auch, aber vor allem, um mit dir die Sache mit dem Seniorenhaus zu besprechen.“

„Wie du willst. Das Interesse unserer Gemeinde ist vorerst allerdings gering.“

„Ah geh. Habt ihr keine Senioren?“

„Doch, aber keine freien Mittel. Der Gemeinderat hat in seiner letzten Sitzung den Beschluss gefasst, den Ausbau unserer Freizeitanlage voranzutreiben.“

„Interessiert sich denn keiner der Gemeinderäte für ein Seniorenheim?“

„Doch, aber nicht die Mehrheit.“

„Also ist die Opposition dafür und ihr seid dagegen.“

Sie nickte. „So ist das Leben. Der Ausbau der Freizeitanlagen bringt uns notwendige Stimmen von jungen Wählern. Das wirst du doch verstehen?“

„Das Seniorenhaus brächte auch Stimmen – von den älteren Wählern.“

Irma winkte ab. „Die wählen uns aus Gewohnheit.“

Ludwig war da nicht so sicher. Irmas Vorgänger, den Eberhard, den hatten sicher viele aus Gewohnheit gewählt. Aber eine Frau, eine junge noch dazu? Da würde er nicht drauf wetten.

Gut, das war nicht sein Bier, daher sagte er: „Wie du meinst. Es geht auch nicht unbedingt um eine Beteiligung an den Errichtungskosten, wichtiger wäre uns der gemeinsame Betrieb. Das Gebäude könnten wir unter Umständen in einer Errichtungsgesellschaft vorfinanzieren und an den Betreiber vermieten.“ Die Ansage war kühn, denn diese Idee war ihm eben erst gekommen.

„Wer ist ‚wir‘?“

„Ich, meine Familie und natürlich die Bank.“

„Hast du denn schon ein Objekt, in dem dieses ‚Seniorenhaus‘ betrieben werden sollte?“

Er nickte. „In den letzten Tagen hat sich ergeben, dass das ehemalige Gutshaus von Waldstetten zur Verfügung stünde.“

„Das liegt in deinem Gemeindegebiet. Wie kommst du auf die Idee, dass wir daran interessiert sein könnten, es gemeinsam zu betreiben?“

„Vielleicht weil sich nicht jedes Dorf ein eigenes Seniorenhaus leisten kann?“

„Stettenkirchen ist die deutlich größere Gemeinde. Sollten wir je ein solches Heim gemeinsam betreiben, müsste es schon in unserem Gemeindegebiet liegen.“

„Aber auf die paar Kilometer kommt’s doch nicht an, und die Lage ist wirklich gut. Das Gutshaus bietet einen schönen Blick für die Bewohner und ausreichend Parkplatz für die Besucher. In welchem Gemeindegebiet es liegt, ist doch sekundär.“

„Nicht für mich.“

Das musste Ludwig erst einmal wirken lassen. „Anders gefragt. Gäbe es ein geeignetes Objekt in eurem Gemeindegebiet, würde sich Stettenkirchen dann für den gemeinsamen Betrieb interessieren?“

„Die Frage stellt sich nicht, denn wir haben kein geeignetes Objekt.“ Dann warf sie ihm einen verführerischen Blick zu. „Ich denke, damit können wir das Geschäftliche für den heutigen Abend abschließen. Darf ich dir noch ein Gläschen Champagner einschenken?“

Ludwig hielt sich nicht für besonders feinfühlig, aber wenn er je eine Frau auf Männerjagd gesehen hatte, dann diese hier. Fast fühlte er sich ein wenig geschmeichelt. Dennoch antwortete er: „Danke, nein. Meine Frau ist nämlich nicht verreist, die wartet daheim auf mich.“

„Oh, ein treusorgender Ehemann. Putzig.“

„Treu ja, putzig nein.“

Dann stand er auf und reichte ihr die Hand.

 

*

 

„Du kommst früh“, sagte Liesl, als er kurz nach neun wieder daheim war.

„Wenn sie mir gleich gesagt hätte, dass sie so oder so nicht interessiert ist, hätte ich gar nicht erst hinfahren müssen. So a dumme Gurken.“

„Und was bedeutet das für das Seniorenhaus?“

„Das ist in dieser Form gestorben.“

„Schade. Wie war’s sonst?“

„Wie im Film. Es gab Champagner, im offenen Kamin brannte ein Feuerchen und die weit ausgeschnittene Bluse bot tiefe Einblicke.“ Dann schüttelte er den Kopf und setzte hinzu: „Ich hol mir jetzt ein Bier.“

Als er zurückkam, fragte Liesl: „Die Frau ist doch verheiratet. Was ist mit ihrem Mann?“

„Beruflich verreist. Weißt du vielleicht, was der macht?“

„Leider nein. Nicht einmal Traudl kennt ihn. Er ist jedenfalls kein Stettenkirchener, auch nicht aus der Gegend. Aber ich wollte ohnehin schon seit Tagen an Rosalinde schreiben. Vielleicht weiß sie mehr über die neue Bürgermeisterin.“

Flugs nahm Liesl ihr Tablet zur Hand. Rosalindes Antwort kam umgehend:

 

… über die neue Bürgermeisterin kann ich euch leider nicht viel erzählen. Ich weiß nur, dass sie die Tochter von Ulrich Duscher ist, den kennt Ludwig sicher auch. Sie ist einige Jahre älter als unsere Tochter und hat eine Zeit lang in Wien studiert. Was genau, weiß ich nicht. Vor etwa zwei Jahren kam sie nach Stettenkirchen zurück und hat im Betrieb ihres Vaters gearbeitet, bevor sie Ende des Vorjahres vollkommen unerwartet unseren Bürgermeister im Amt ablöste, der sich (angeblich!) aus gesundheitlichen Gründen zurückziehen musste.

Böse Zungen behaupten allerdings, ihr Vater hätte dabei seine Finger im Spiel gehabt. Wie genau er das gemacht haben soll? Keine Ahnung.

Ich habe gehört, sie soll mit einem Schauspieler verheiratet sein. Wer das ist, ob man den kennen muss? Ich weiß es nicht. Wie gesagt, bis zum vorigen Herbst hat sich kaum jemand für die Dame interessiert …

 

„Das erklärt zumindest, warum niemand etwas über sie weiß“, meinte Liesl und Ludwig sinnierte:

„Schauspieler? Anton meint, der macht irgendetwas mit Politik, weiß aber auch nichts Genaues. Aber dass der alte Duscher Irma in dieses Amt gehievt haben soll, das vermutete Anton auch.“

„Irma?“, fragte Liesl. Das hatte nun doch ein wenig spitz geklungen.

„Irma“, bestätigte er mit süffisantem Lächeln. Würde seine kühle Blonde am Ende doch noch a bisserl eifersüchtig werden?

 

7. Traudl – Wohin mit den Erinnerungen?

 

 

Gleich nach dem Frühstück breitete Traudl die alten Pläne des Gutshauses auf dem Küchentisch aus. Manchmal hatten Schlafstörungen auch etwas Gutes.

Gestern hatte Ludwig ihr von seiner Unterredung mit der Bürgermeisterin berichtet. Erst hatte sie ihre Felle schon davonschwimmen gesehen. Das hatte ihr den Schlaf geraubt, doch in den ruhelosen Stunden hatte sie Stück für Stück eine neue Idee entwickelt.

Wenn der Gemeindeverband nicht zustande kam, warum dann nicht eine Senioren-WG aus dem Gutshaus machen?

Liesl hatte erst neulich gesagt, ihr fielen auf Anhieb etliche Waldstettener ein, die besser nicht mehr allein leben sollten.

Traudls ursprüngliche Idee, das Gutshaus aufzustocken, hatte Ludwig schon vor Tagen mit dem Hinweis auf die Statik des Hauses vom Tisch gewischt. Natürlich konnte man ein statisches Gutachten machen lassen, doch das würde vermutlich Ludwigs Verdacht nur bestätigen. Für eine Senioren-WG wäre eine Aufstockung gar nicht mehr notwendig. Ein Dachgeschoß-Ausbau würde vollkommen genügen, der würde die Statik des Hauses vermutlich auch nicht überfordern.

Traudl machte sich an die Arbeit. Abzüglich der notwendigen Aufschließungsflächen ergab sich eine zusätzliche Nutzfläche von etwa 200 Quadratmetern, das entsprach fünf Appartements. Somit hätten sie fürs Erste zehn Appartements im Haupthaus, dazu die Allgemeinflächen im Erdgeschoß. Bei Bedarf könnten sie, anstelle des angedachten 3-stöckigen Zubaus, Gartensuiten bauen, ähnlich kleinen Reihenhäusern, für die noch fittere Kundschaft mit etwas mehr Geld.

Das würde sie jetzt ihrem oberg’scheiten Bruder referieren. Der würde sich wundern.

 

*

 

Ludwig war unterwegs oder er ließ sich verleugnen. So genau wusste man das schließlich nie. Sein Büro hatte Traudl zwar einen Rückruf in Aussicht gestellt, allerdings nicht vor heute Abend.

Sie nutzte die Zeit für einen Spitalbesuch bei Tante Wetti, die sollte morgen ins Pflegeheim nach Litschau überstellt werden.

Tante Wetti sah immer noch erbärmlich aus. Ihre Gesichtsfarbe war fahl, das Haar, sonst regelmäßig gefärbt und immer ordentlich frisiert, war nun kraus und im Ansatz grau. Außerdem war sie, wenn überhaupt möglich, noch hagerer geworden. Einen kurzen Moment dachte Traudl: „Jetzt hat ihr Gesicht wirklich etwas von einer Ziege.“

Zum Glück war Tante Wettis Geist unverändert klar. „Der Notar, den du mir geschickt hast, arbeitet bereits am Schenkungsvertrag. Ich hab’ hineinschreiben lassen, dass du für den Umbau verantwortlich bist.“

„Da wird sich Ludwig aber freuen.“

„Das denk’ ich ma. Der Lausbua. ‚Tante Ziege‘ hat er zu mir g’sagt.“ Eine kurze Weile hing sie ihren Erinnerungen nach, dann fragte sie: „Habt ihr schon mit dem Umbau begonnen?“

„So schnell geht’s auch wieder nicht, leider. Aber ich schau drauf, dass es so rasch wie möglich durchgezogen wird, das verspreche ich dir. Allerdings wären noch ein paar Details zu klären.“

„Welche?“

„Wie stehst du dazu, wenn wir ein paar kleine Reihenhäuschen bauen, die durch einen Gang mit dem Haupthaus verbunden sind?“

„Ich hab’ dir doch gesagt, macht einfach, was notwendig ist. Es ist bald euer Grundstück, ihr müsst euch nur mit meinem Bruder einig werden. Viel Spaß.“

„Ach, Vater ist das geringste Problem“, wischte Traudl diesen Einwand vom Tisch. „Aber die Sache mit dem Gemeindeverband wird vermutlich nichts werden. Jetzt überlegen wir, eine Art Senioren-WG zu machen, nur für die Waldstettener.“

„Eine WG?“ Tante Wetti kicherte. „So schließt sich der Kreis. Als ich in Wien in die Schule gegangen bin, habe ich auch in einer WG gewohnt.“

„Du, in einer WG?“

Wetti nickte. „Warum nicht? Wir waren drei Schülerinnen in einer Wohnung.“

Gegen ihren Willen musste Traudl zugeben, dass sich Tante Wettis Lachen wirklich nach Meckern anhörte, doch sie nahm sich zusammen und fragte: „Und das haben deine Eltern erlaubt?“

„Offiziell haben wir bei der Tante einer Freundin gewohnt, nur war diese Tante halt selten da. Geld hatten wir kein’s, aber da wir alle vom Land kamen, hatten wir wenigstens ausreichend zu essen. Ach, war das a schöne Zeit. Der Krieg war vorbei und wir dachten, die Welt wartet nur auf uns.“

„Das Gefühl kenn’ ich. Leider holt uns die Realität nur allzu schnell ein.“

„Manchmal denke ich, wenn ich heute jung wär’, würde ich meine Träume verwirklichen. Die jungen Mädchen von heute wissen gar nicht, wie gut sie es haben.“

Auch der Gedanke kam Traudl bekannt vor, doch sie wollte jetzt nicht über vertane Chancen nachdenken, deshalb wechselte sie das Thema. „Im Moment arbeite ich an den Plänen, die Baubewilligung sollte kein Problem sein, aber davor müssen wir dein Haus noch räumen.“

Tante Wetti nickte. Es schien sie nicht sonderlich zu interessieren, daher fuhr Traudl fort: „Die Möbel, die du später in deinem Appartement haben willst, können wir bei Ludwig zwischenlagern, aber selbst wenn du in eines der Reihenhäuschen ziehst, wirst du nicht alles mitnehmen können.

---ENDE DER LESEPROBE---