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Annette ist Geschäftsfrau, sie liebt ihre Villa, ihre Firma und ihre Familie. „Genau in der Reihenfolge“, meint Tochter Monika, die sich ganz der Familie widmet. Als sie ihren Mann Udo jedoch bei einem Seitensprung erwischt, zieht sie mit Tochter Sarah in die Villa ihrer Mutter. Annette, die Udos betriebswirtschaftliche Fähigkeiten zu schätzen weiß, macht ihn dennoch zu ihrem Geschäftsführer. Da sind Probleme ebenso vorprogrammiert, wie bei dem Versuch ihres Ex-Mannes, seinen ungewollten Ruhestand zu verheimlichen. Die herrschende Finanz- und Wirtschaftskrise macht die Situation auch nicht leichter, verhilft aber zu neuen Ideen – und schafft am Ende völlig neue Verhältnisse.
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Brigitte Teufl-Heimhilcher
Mütter, Töchter und andere Krisen
Reihe Familien 2.0
Band 01
Roman
Impressum
Das Buch
Die Autorin
1. Annette
2. Ernst
3. Monika
4. Mutter und Tochter
5. AW-Moden
6. Monika und Udo
7. Annettes Plan
8. Udo trifft eine Entscheidung
9. Ferienpläne
10. Lungau
11. Monikas Rückkehr
12. Udo schöpft Verdacht
13. Sophie und die Liebe
14. Noch einmal Lungau
15. Herbstbeginn
16. Sarahs Geburtstag
17. Bea die Streitbare
18. Udo ermittelt
19. Die Krise
20. Ernst schwindelt
21. Weihnachtliche Freuden
22. Anfang und Ende einer Liebe
23. Die Berater
24. Mayerling
25. Annette und die Bandscheibe
26. Hopfenblütentee und Osterschinken
27. Männer
28. Mut kann man nicht kaufen
29. Der Verdacht
30. Stefan Kührer
31. Lorenz
32. Probleme
33. Pläne
34. Der Kurschatten
35. Diplomatische Fähigkeiten
36. Zufälle
37. Der Besuch
38. Strategien
39. Veränderungen
40. Udo greift ein
41. Blutwurst und Sauerkraut
42. Das Seminar
43. Barbaras Geheimnis
44. Eine Tagesmutter für Alex
45. Endlich ein Paar
46. Etwas Altes …
47. … und etwas Neues
48. Das Reihenhaus
49. Vorbereitungen aller Art
50. Das Osterfest
51. Barbara trifft eine Entscheidung
52. Nicht jedes Haus ist eine Villa
Ein herzliches Dankeschön...
weiter geht’s mit den Bad Brunnern – Band 2 erscheint im Mai 2022
Bücher machen nicht nur Freu(n)de
Zwischen Tafelspitz und Ministerrat
Von der Autorin bisher als E-Book und Taschenbuch erschienen
Mütter, Töchter und andere Krisen
© 2022 Brigitte Teufl-Heimhilcher,
1220 Wien
https://www.teufl-heimhilcher.at
Originalausgabe erschienen © bei Tinte & Feder Amazon EU.
August 2014
Copyright © der Originalausgabe 2013 bei Brigitte Teufl-Heimhilcher
Buchsatz und Konvertierung: Autorenservice-Farohi
www.farohi.com
Covergestaltung: Xenia Gesthüsen
Lektorat: Eva Farohi, www.farohi.com
Alle Rechte vorbehalten
Annette ist Geschäftsfrau, sie liebt ihre Villa, ihre Firma und ihre Familie.
„Genau in der Reihenfolge“, meint Tochter Monika, die sich ganz der Familie widmet. Als sie ihren Mann Udo jedoch bei einem Seitensprung erwischt, zieht sie mit Tochter Sarah in die Villa ihrer Mutter.
Annette, die Udos betriebswirtschaftliche Fähigkeiten zu schätzen weiß, macht ihn dennoch zu ihrem Geschäftsführer. Da sind Probleme ebenso vorprogrammiert, wie bei dem Versuch ihres Ex-Mannes, seinen ungewollten Ruhestand zu verheimlichen.
Die herrschende Finanz- und Wirtschaftskrise macht die Situation auch nicht leichter, verhilft aber zu neuen Ideen – und schafft am Ende völlig neue Verhältnisse.
Brigitte Teufl-Heimhilcher lebt in Wien, ist verheiratet und bezeichnet sich selbst als realistische Frohnatur.
In ihren „Heiteren Gesellschaftsromanen“ setzt sie sich mit gesellschaftspolitisch relevanten Fragen auseinander. Sie verwebt dabei Fiktion und Wirklichkeit zu amüsanten Geschichten über das Leben – wie es ist, und wie es sein könnte.
2013 – 2015
Als Annette in die Waldstraße einbog und die Abendsonne ihr Haus in ein goldenes Licht tauchte, empfand sie für einen Moment ein Gefühl von Ruhe und Geborgenheit.
Doch dann fiel ihr ein, dass es mit der Ruhe bald vorbei sein würde.
Auf Knopfdruck öffnete sich summend das Garagentor. Sie wollte schon losfahren, als sie gerade noch rechtzeitig bemerkte, dass die Garage mit Möbelstücken vollgeräumt war. Seufzend parkte sie ihren Wagen auf der Straße.
Das fing ja gut an.
Tochter Monika, die in der Küche seelenruhig Gemüse schnipselte, begrüßte sie mit den Worten: „Hallo, hab ganz vergessen, dir zu sagen, dass du nicht in die Garage fahren kannst.“
„Und wann wird das Möbellager dort wieder geräumt?“
„Das stört doch nicht“, antwortete Monika unbekümmert und gab die gehackten Zwiebeln ins heiße Fett.
„Mich schon“, brummte Annette und verzog sich in das obere Stockwerk, das auch in Zukunft ihr alleiniges Reich bleiben sollte.
Als sie wenig später frisch geduscht und mit einem Glas Sherry in der Hand in die Wohnküche kam, war der gemütliche Ecktisch in der Veranda bereits gedeckt, ihre Enkelin Sarah hüpfte ihr fröhlich entgegen und es duftete nach allen möglichen Gewürzen. Annette setzte sich auf die gepolsterte Eckbank, stopfte sich ein Kissen in den Rücken und nippte genüsslich an ihrem Sherry.
„Was gibt’s denn Gutes?“
„Krautsuppe“, antwortete Monika.
„Krautsuppe?“, wiederholte Annette mit mehr Erstaunen als Begeisterung. „Mit Wurst?“
Monika schüttelte den Kopf. „Hast du schon einmal gelesen, welche Inhaltsstoffe in so einer Wurst stecken?“
„Kaum. Ich esse gelegentlich ein Würstel, aber wenn ich etwas lesen möchte, nehme ich mir ein Buch.“ Monikas Miene verdüsterte sich, deshalb setzte Annette versöhnlich hinzu: „Also gut, Krautsuppe. Und was dazu?“
„Wenn du möchtest, kann ich noch etwas Knoblauchbrot machen.“
„Knoblauchbrot wäre wunderbar“, antwortete Annette ohne große Überzeugung und zündete sich eine Zigarette an. Während sie beobachtete, wie ihre Tochter mit geübter Hand Knoblauchbutter zubereitete, dachte sie, dass die Idee mit der gemeinsamen Küche vielleicht doch keine so gute war. Monika hatte immer Wert auf gesunde Ernährung gelegt, doch seit sie mit Georgine, der Apothekerin, befreundet war und sich deren Damenrunde angeschlossen hatte, fand Annette ihre Ansichten eher enervierend als gesund.
Gleich morgen würde sie den Tischler anrufen und sich eine eigene Küche einrichten lassen.
Das Knoblauchbrot verbreitete einen verführerischen Duft, und als sie sich zu Tisch setzten, musste Annette zugeben, dass die Suppe ebenso köstlich schmeckte, wie sie schon zuvor geduftet hatte.
Das Abendessen verlief friedlich, doch während Monika den Suppentopf abservierte, hielt ein Wagen vor dem Haus. „Papi!“, rief Sarah und stürmte davon.
Monikas Begeisterung hielt sich in Grenzen.
„Was macht denn Udo hier? Wir sind doch nicht ausgezogen, damit er uns jetzt hier belästi…“
„Besucht – wolltest du hoffentlich sagen“, fiel Annette ihr ins Wort und ging ihrem Schwiegersohn entgegen, der – mit einem Blumenstrauß bewaffnet – die Wohnküche betrat.
Er küsste erst Annette pflichtschuldig auf die Wange, wandte sich dann Monika zu, hielt ihr einen ebenso großen wie geschmackvollen Blumenstrauß aus weißem Flieder und Rosen entgegen und sagte lächelnd: „Ich wollte nachschauen, wie es der neuen Damen-WG nach einem harten Umzugstag geht.“
Monika taxierte den Strauß skeptisch. „Beides hättest du dir sparen können – vor allem aber diese rote Rose.“
Udo betrachtete den Strauß, als sähe er ihn zum ersten Mal, und zog die rote Rose, die in der Mitte steckte, heraus. „Ach, entschuldige, die ist natürlich für meine Schwiegermama.“ Er überreichte die Blume Annette mit einer leichten Verbeugung.
„War klar“, lachte Annette, die sich Udos Charme nie ganz entziehen konnte, und ging kopfschüttelnd davon, um zwei Vasen zu holen.
Als sie zurückkam, hatte Sarah ihren Vater bereits ins Wohnzimmer geschleppt, wobei die Bezeichnung Zimmer für den mehr als sechzig Quadratmeter großen Raum eigentlich eine Untertreibung war. Annette ließ sich in die edle Garnitur aus cognacfarbenem Leder sinken und fragte Udo, ob er vielleicht etwas Krautsuppe wollte.
„Ich habe leider schon gegessen“, zwinkerte Udo ihr verschwörerisch zu. „Aber ein Glas Wein wäre fantastisch.“
„Gute Idee, da trinke ich auch eines mit.“ Sie holte zwei Gläser aus dem Schrank und ging in Richtung Küche.
„Das alkoholische Zeug habe ich in den Keller getragen“, rief Monika ihr nach.
Annette machte auf dem Absatz kehrt. „Dann solltest du das alkoholische Zeug schnell wieder aus dem Keller holen. Ich hatte Gelben Muskateller eingekühlt, den hätte ich gerne.“
Monika funkelte ihre Mutter böse an und Sarah rief eilig: „Ich hole ihn. Darf ich mir eine Cola mitnehmen?“
„Klar“, antwortete Annette, ohne nachzudenken, und erntete dafür einen Kuss von Sarah und einen ärgerlichen Blick von Monika.
„Du weißt, dass Sarah dieses künstliche Zeug nicht trinken soll, also bitte, halte dich daran!“
„Reg dich nicht auf. Du hast als Kind auch gelegentlich Cola getrunken und ich kann nicht erkennen, dass es dir nachhaltig geschadet hat.“
Monika war wütend. Annette erkannte das an dem Funkeln ihrer Augen. Und wie immer, wenn Monika wütend war, holte sie zum Rundumschlag aus.
„Damit das ein für alle Mal klar ist, Sarah ist meine Tochter und ich will nicht, dass sie Cola trinkt, ich will nicht, dass du in ihrer Gegenwart rauchst und Alkohol trinkst, und schon gar nicht will ich“, dabei wandte sie sich an Udo, „dass du hier herumhängst. Dafür bin ich nämlich nicht ausgezogen!“
Sie eilte zur Tür, machte aber noch einmal halt, kam zurück und zischte Udo an: „Wenn du schon hier auftauchst und mir ebenso sinnlose wie sündteure Blumensträuße bringst, solltest du vielleicht daran denken, dass auch du eine Tochter hast.“
Langsam wurde auch Udo ärgerlich. „Was du nicht sagst. Wenn ich Sarah Süßigkeiten bringe, geht das Theater ja erst richtig los!“
„Vielleicht könntest du einmal darüber nachdenken, ihr etwas anderes zu schenken als ungesunde Süßigkeiten“, fauchte Monika.
„Was denn?“, fauchte Udo zurück. „Soll ich ihr rote Rüben bringen oder vielleicht eine Ingwerwurzel?“
„Du bist und bleibst eingebildet und selbstgerecht!“
Mit dieser nicht ganz schlüssigen Antwort verließ Monika endgültig das Wohnzimmer und die Tür fiel mit einem lauten Knall hinter ihr ins Schloss.
Im nächsten Moment erschien Sarah und fragte: „Ist Mama jetzt böse?“
„Nicht deinetwegen, Prinzessin“, antwortete Udo.
„Klar meinetwegen, ich darf doch keine Cola trinken.“
„Na ja, nicht täglich“, schaltete Annette sich ein. „Aber heute ist doch ein besonderer Tag. Also geh und hol dir ein Glas, wir wollen auf euren Einzug anstoßen.“
Das taten sie dann auch, aber die Stimmung war gedrückt, und die Cola schmeckte bestimmt ebenso schal wie der kühle Wein. Udo verabschiedete sich auch bald, steckte Sarah noch einen Zehn-Euro-Schein zu, küsste sie auf die Nasenspitze und versprach, sich bald wieder zu melden.
Sarah ließ den Geldschein blitzartig in ihrem Shirt verschwinden.
Annette lächelte. Sie wusste, dass Sarah sich von derartigen Zuwendungen Süßigkeiten und all die Dinge kaufte, die Monika ihr nicht erlaubte.
Annette hielt wenig davon, alles zu verbieten. Vielleicht legte Monika gerade deswegen so viel Wert darauf, schließlich waren sie ganz selten einer Meinung. Eigentlich nie.
Annette schickte Sarah ins Bad und ging in die Küche. Während sie die Gläser in den Geschirrspüler räumte, dachte sie daran, was für ein eigenständiges Persönchen Sarah mit ihren zehn Jahren schon war. Sicher würde sie Monika noch viel Freude bereiten.
Ernst hatte das Handy zwischen Kopf und Schulter geklemmt und versuchte, seiner Ex-Frau Annette die volle Aufmerksamkeit zu schenken, während er mit einer Hand sein Auto aufsperrte und in der anderen eine Pizzaschachtel balancierte.
„Ich sage es nur ungern, aber unsere Tochter tickt nicht richtig!“, hörte er Annette sagen.
„Und ich schließe daraus, ihr habt euch gleich am ersten Abend gezankt“, antwortete er, ließ sich auf den Sitz fallen und startete seinen Wagen.
Seit Annette und er geschieden waren, hatte sich eine freundschaftliche Beziehung zwischen ihnen entwickelt, die ihm tragfähiger schien als alles, was sie davor gehabt hatten. Sie telefonierten häufig und trafen sich ab und zu auf eine Tasse Kaffee oder um eine Runde Golf zu spielen.
„Das musst du dir einmal auf der Zunge zergehen lassen. Gestern Abend wollte sie mir verbieten – in meinem eigenen Haus – eine Zigarette zu rauchen und einen Drink zu nehmen.“
„Ich könnte mir vorstellen, dass dich das nicht sehr beeindruckt hat.“
„Beeindruckt nicht, geärgert schon.“
„Monika hat eben immer noch das Gefühl, dass es auch ihr Zuhause ist, schließlich ist es ihr Elternhaus“, entgegnete Ernst.
„Sie ist erwachsen und hat ihre eigene Familie. Wenn sie zurückkommt, weil sie, eines lächerlichen Streits wegen, eine Beziehungspause einlegt“, Annette betonte das Wort Beziehungspause, als ob es sich dabei um Gift handle, „hat sie verdammt noch mal anzuerkennen, dass sie bei mir nur Gast ist.“
„Gast?“, fragte Ernst nachdenklich. „Also ich weiß nicht, Gast scheint mir auch nicht das richtige Wort.“
„Soll ich Untermieterin sagen? Das würde aber voraussetzen, dass sie Miete bezahlt – oder zumindest Betriebskosten – und davon kann keine Rede sein. Wovon denn auch?“ Annettes Stimme klang sachlich wie immer.
„Du weißt doch, wie verschieden ihr seid“, erwiderte er, ohne auf die Kostenfrage einzugehen. „Ihr müsst eben beide versuchen, euch so zu akzeptieren, wie ihr seid, und euch möglichst …“ Ernst suchte nach Worten.
„Aus dem Weg gehen“, half Annette aus.
„Das wollte ich eigentlich nicht sagen, aber möglichst wenig einschränken gegenseitig.“
„Also doch aus dem Weg gehen.“
Gefährliches Terrain. Er versuchte einen Themenwechsel.
„Dann wird heuer aus unserem Osterbrunch wohl nichts werden?“
„Der findet selbstverständlich statt, Ostersonntag, elf Uhr, wie immer.“
„Hast du mit Monika schon darüber gesprochen?“
Eine rein rhetorische Frage, er war sicher, dass sie es nicht getan hatte.
„Nein, wozu auch? Unsere Tochter brächte es fertig, selbst Osterschinken ohne Fleisch zuzubereiten. Wenn es nach ihr ginge, bekämen wir etwas Spinat, vielleicht ein Ei und verdünnten Apfelsaft.“
Wie vertraut ihm dieses Lachen war.
„Zugegeben, da ist mir dein saftiger Osterschinken schon lieber, von deinen wundervoll gefüllten Eiern und dem gebeizten Lachs will ich erst gar nicht reden. Niemand macht besseres Lachscarpaccio als du. Aber wer wird dabei sein? Udo? Seine Eltern?“
„Udo ist Sarahs geliebter Papi und daher in meinem Haus immer willkommen, und seine Eltern sind ebenso Sarahs Großeltern wie du und ich, also werden sie auch zum Osterbrunch kommen.“
Ernst konnte sich vorstellen, dass Monika von diesem Plan wenig erbaut sein würde, sagte aber nur „ja, dann“ und war wieder einmal ganz froh, sich außerhalb der Schusslinie zu befinden. Zwischen Mutter und Tochter fanden des Öfteren Schusswechsel statt, wenngleich rein verbal.
„Ich soll dich übrigens von Franziska grüßen und fragen, ob in einem deiner Häuser vielleicht eine Wohnung frei wird, die sich als Ordination eignen würde?“
„Nicht, dass ich wüsste. Wird Franziska endlich eine eigene Praxis aufmachen?“
Er bog in die Sackgasse ein, die zu seiner Garage führte, während er antwortete: „Du weißt ja, wie unzufrieden sie mit ihrem Job als Schulärztin ist, und dann hat sie doch voriges Jahr diese TCM-Ausbildung gemacht.“
„Ach ja, Akupunktur und so?“
„Richtig. Traditionelle chinesische Medizin. Sie möchte eine Praxis aufmachen, in der sie auch diese alternativen Heilmethoden anwenden kann. Außerdem widmet sie sich neuerdings dem Thema Allergien und Unverträglichkeiten.“
„Find ich gut. Den Job als Schulärztin hat sie ohnehin nie gewollt. Den hast du ihr eingeredet, wenn ich dich erinnern darf. Ich würde gerne helfen, aber ich wüsste nicht, dass demnächst etwas frei wird.“
Ernst war froh, dass sich zwischen seiner nunmehrigen Frau Franziska und Annette eine Beziehung entwickelt hatte, die man mit Fug und Recht als Freundschaft bezeichnen konnte.
„Macht nichts, es eilt nicht so. Aber ich habe dich gefragt, vergiss das nicht.“
Annette lachte. „Du solltest froh sein, dass Franziska so engagiert ist. Ab Herbst wird dein Salär doch etwas geschmälert.“
„Du meinst, weil mich diese Brüder in Pension schicken wollen. Erinnere mich bloß nicht daran. Und kein Wort zu Franziska, hörst du!“
„Nein, natürlich nicht. Aber schön langsam wird es Zeit, dass du es ihr sagst, schließlich gehst du in den Ruhestand und nicht ins Gefängnis.“
„Ja, ja, ich weiß“, maulte er und verabschiedete sich.
Sicher hält sie mich jetzt wieder für einen Feigling, dachte er, während er mit seiner Pizzaschachtel über die Straße eilte.
Er konnte sich gut vorstellen, dass es in der Villa bald turbulent zugehen würde. Gab es zwei unterschiedlichere Menschen als Annette und Monika?
Annette war durch und durch Geschäftsfrau. Sie war groß, blond, schlank, alles an ihr wirkte edel und elegant, manchmal auch unterkühlt.
Monika war brünett, kleiner, nicht ganz so schlank, viel emotionaler und an Annettes Firma gänzlich uninteressiert. Was Monika für gefühlvoll hielt, war für Annette Gefühlsduselei, und wenn Monika von einer emotionalen Reaktion sprach, nannte Annette das hysterisch.
Nun, er würde sich jedenfalls mit Vermittlungsversuchen zurückhalten. Schließlich war es auch schon vorgekommen, dass er es sich bei solchen Gelegenheiten mit beiden Damen verscherzt hatte.
Zurzeit hatte er ohnehin andere Sorgen, denn er hatte immer noch keine Ahnung, wie er Franziska beibringen sollte, dass man ihn ab Herbst in Pension schicken würde. Nur Annette hatte er bisher davon erzählt.
Er war immer mit Leib und Seele Lehrer gewesen und hatte nie verstanden, was Annette an ihren Boutiquen, ihrer Selbstständigkeit und der vielen Arbeit, die damit verbunden war, gar so toll fand. Aber dass sie jetzt selbst bestimmen konnte, wann und in welchem Ausmaß sie sich aus dem Geschäftsleben zurückziehen würde, das war schon ein riesiger Vorteil.
Nun gut. Diese Pizza hier, die würde er Franziska auf jeden Fall verschweigen – er durfte nur nicht vergessen, die Schachtel in den Papiercontainer zu werfen. Aber von der bevorstehenden Pensionierung musste er ihr wohl oder übel bald berichten. Wenn es nur nicht so verdammt schwierig wäre. Franziska war neununddreißig und steckte voller Pläne. Bisher war der Altersunterschied zwischen ihnen kein Thema gewesen. Erst jetzt wurde ihm bewusst, was es hieß, eine Frau zu haben, die dreiundzwanzig Jahre jünger war.
„Ich denke nicht daran, mit Udos Sippe Ostern zu feiern“, ärgerte sich Monika und schob ihren Sessel geräuschvoll zurück.
„Du sprichst von der Familie deines Mannes, also nimm dich bitte zusammen“, entgegnete ihre Mutter kalt.
Monika, die soeben den Frühstückstisch abgeräumt hatte, hielt in der Bewegung inne.
„Mein Mann hat mich betrogen. Ich will nichts mehr mit ihm zu tun haben.“
„Ja, das hast du schon mehrmals erwähnt, und wenn ihr nicht zufällig eine gemeinsame Tochter hättet, könntest du das auch gerne tun“, antwortete Annette. Dann schlüpfte sie in ihre schicken neuen Pumps und stolzierte ins Vorzimmer.
Typisch, dachte Monika. Für alle hat sie Verständnis, nur nicht für mich.
„Dann werde ich eben mit Sarah zu Ostern verreisen“, rief sie ihrer Mutter nach.
Annette kam zurück. „Tatsächlich? Meinst du, dass Udo eure Reise bezahlen wird?“
„Am Geld wird es ja wohl nicht scheitern.“
„Ich denke, du hast keines.“
Das stimmte allerdings. „Du weißt, dass Udo es vorgezogen hat, meine Zeichnungsberechtigung auf unserem Konto zu löschen. Er glaubt wohl, mich auf diese Weise kleinzukriegen.“
Annette hob eine Augenbraue. „Udo hat mir erzählt, du wolltest von seinem Geld eine Eigentumswohnung kaufen.“
„Von unserem Geld“, stellte Monika richtig.
„Wieso von eurem? Du hast doch nie welches verdient.“
Monika schnappte nach Luft. „Das ist ja unerhört! Anstatt mich zu unterstützen, stellst du dich auf seine Seite?“
„Aber ich unterstütze dich doch. Du wohnst gratis bei mir und vorerst bezahle ich gerne auch noch euren Lebensunterhalt“, antwortete Annette honigsüß. Doch dann fügte sie im Normalton hinzu: „Allerdings nicht eure Ferienreisen. Schon gar nicht, wenn die dazu dienen sollen, unser gemeinsames Osterfest zu torpedieren und Sarah von ihrem Vater und ihren Großeltern fernzuhalten.“
Dann verließ sie endgültig das Haus.
***
Da weder Annette noch Udo Monikas Urlaubspläne unterstützen wollten, blieb ihr nichts anderes übrig, als zu Hause zu bleiben, was ihre Laune kaum verbesserte.
Doch wenn sie das Familienfest schon nicht verhindern konnte, dann wollte sie es dazu nutzen, allen zu zeigen, wie gut sie sich hier eingerichtet hatten. Nichts und niemand konnte sie dazu bringen, zu Udo zurückzukehren. Da konnte ihre Mutter so viele Familienfeste veranstalten, wie sie nur wollte.
Monika putzte und schrubbte, räumte Kartons aus und Kästen ein. Als sie am Abend todmüde in den Fernsehsessel sank, wälzte Annette Kochbücher und schrieb lange Einkaufslisten.
„Hast du vielleicht ein anderes Rezept für gefüllte Eier? Die meinen waren voriges Jahr doch etwas üppig“, meinte Annette.
„Klar, du machst sie ja mit purer Mayonnaise. Ich nehme nur etwas Gervais und Kräuter.“
Gervais, Dotter, Senf, Kapern schrieb Annette auf ihre Liste und Monika freute sich, wenigstens einen klitzekleinen Teilsieg errungen zu haben.
Wenn sie schon hierbleiben musste, konnte sie ihrer Mutter ebenso gut beim Kochen zur Hand gehen – dann hatte sie wenigstens einen gewissen Einfluss auf den Speiseplan.
Einträchtig legten sie schon am Karsamstag los.
Ein Schinken harrte auf seinen Brotteig, Eier auf österliche Färbung, der Lachs musste gebeizt werden und Osterpinzen wollten sie auch noch backen. Das einzige Hobby, das sie je miteinander geteilt hatten, war das Kochen. Doch auch dieses Terrain war vermint, denn sie hatten vollkommen unterschiedliche Vorstellungen davon, was ein gelungenes Essen ausmachte. Als Annette darauf bestand, auch noch Schokokugeln zu machen, verließ Monika wutschnaubend die Küche und stieß prompt mit Udo zusammen, der, gemeinsam mit Sarah, von Annette dazu eingeteilt worden war, ihre Mutter, auch Urma genannt, aus dem Pensionisten-Wohnheim zu holen.
„Bei dem schönen Wetter kann der Osterhase seine Nester ja morgen im Garten machen“, meinte Urma.
„Das wär ja voll peinlich!“, rief Sarah sichtlich entsetzt.
Urma war eine lebenslustige alte Dame, die jedoch gerne darüber hinwegsah, dass nicht nur ihre Tochter, sondern auch ihre Enkelin bereits erwachsen war, und Sarah blieb für sie ebenso ein Kleinkind wie Florian, Ernsts Sohn aus zweiter Ehe.
***
Monika räumte gerade den Geschirrspüler ein, als Udo am Ostersonntag, diesmal mit drei Blumensträußen bewaffnet, die Wohnküche betrat. Sie begrüßte ihn mit mäßiger Begeisterung, ließ es aber zur Feier des Tages zu, dass er sie auf die Wange küsste. Dann wandte er sich Annette zu.
„Meine Schwiegermama, schön wie immer“, begrüßte er sie mit Handkuss. Mein Gott, wie lächerlich, dachte Monika, machte aber keine Bemerkung. Es ging sie einfach nichts mehr an.
Annette trug einen schmalen schwarzen Rock und eine kiwigrüne Seidenbluse mit dazu passendem Gürtel.
„Danke, Udo. Bist du so lieb und stellst die Blumen in eine dieser Vasen?“ Dann wandte sie sich an Monika. „Und du sieh zu, dass du dich fertig machst, die anderen werden auch bald kommen.“
„Ich bin fertig.“
Annette warf ihr einen ungläubigen Blick zu. „Verbietet dir dein zunehmendes Ökologiebewusstsein jetzt auch schon, dich vernünftig anzuziehen?“
Monika trug Jeans, einen etwas weiten beigen V-Pullover und Gesundheitsschlappen.
„Was ist an meiner Kleidung auszusetzen?“
„Wenn du dich gerne als immergrüne Ökotussi präsentieren willst, ist sie perfekt.“
„Zieh doch das hübsche rote Kleid an, das ich dir voriges Jahr in Rom gekauft habe“, fiel Udo ein und stellte sich damit einmal mehr auf die Seite ihrer Mutter.
Wie satt sie das hatte. Ständig wussten die beiden, was gut für sie war.
„Sicher nicht!“, zischte sie und hätte am liebsten aufgestampft. „Es gibt wirklich Wichtigeres als Seidenblusen und Bleistiftröcke.“
„Unbestritten. Aber was du hier trägst, das nenne ich Protestkleidung, und dafür bist du definitiv zu alt“, konterte ihre Mutter.
„Protestkleidung?“, fragte Udo mit süffisantem Lächeln.
„Ja, sie zieht diese Klamotten doch nur an, um uns allen zu beweisen, wie sehr sie sich von uns unterscheidet“, antwortete Annette.
Dazu hätte Monika einiges zu sagen gehabt, doch zu einem ausführlicheren Wortwechsel blieb keine Zeit, denn Sarah konnte ihr rosa Shirt nicht finden.
„Dann zieh doch ein anderes an“, riet Monika, aber Sarah bestand auf dem rosaroten Shirt mit den Pailletten, das Oma ihr geschenkt hatte. Seufzend verließ Monika das Wohnzimmer.
Sie fand das Shirt, zog sich, um weitere Diskussionen zu vermeiden, eine dunkelblaue Hose und ein hellblaues Twinset an und kam gerade rechtzeitig, um Papa und seine Zweitfamilie zu begrüßen.
Es hatte lange gedauert, aber nach all den Jahren hatte Monika ihren Stiefbruder Florian ebenso ins Herz geschlossen wie Franziska, die nur wenige Jahre älter war als sie selbst.
„Schicker Hosenanzug!“, hörte sie Annette sagen.
„Stammt auch aus deinem Laden“, antwortete Franziska zwinkernd.
„Ich weiß. Wir beide haben eben Geschmack“, meinte Annette lächelnd.
„Das kann ich nur bestätigen“, ließ sich Papa vernehmen. Offenbar glaubte er, dass dieses Lob auch seiner Person galt. Er sah ja immer noch gut aus. Groß, stattlich und wenn das Haar über der Stirn auch deutlich weniger wurde, so kringelten sich die grauen Locken doch immer noch seitwärts und im Nacken.
Kurz darauf erschienen Udos Eltern. Monika hatte ihre Schwiegermutter noch nie besonders gemocht, doch da diese heute davon absah, sie zu umarmen, und auch sonst keine allzu dummen Bemerkungen machte, konnte der jährliche Osterbrunch seinen Lauf nehmen.
Mittags verlegte man das Fest auf die Terrasse, weil es die Sonne in diesem Jahr gar so gut meinte.
„Es ist so herrliches Wetter, ich würde morgen zu gerne eine Runde Golf spielen“, sinnierte Annette im Sonnenschein.
„Dann komm doch mit uns“, schlug Franziska vor.
„Geht leider nicht, ich muss doch Oma wieder nach Hause bringen. Du weißt ja, länger als ein, zwei Tage will sie nicht bleiben. Schade, sonst wahnsinnig gerne.“
„Das können wir doch machen“, bot Udo an und vermied es dabei, Monika anzusehen. „Wir packen Sarah und Flori ins Auto, führen Urma in ihr Schloss und gehen anschließend irgendwo nett essen. Na, was meint ihr?“
Sarah und Flori stimmten dem Vorschlag begeistert zu, und da mit dieser Idee alle zufrieden waren, fühlte sich Monika arg in der Klemme. Wenn sie jetzt ablehnte, war nicht nur Sarah sauer, sondern auch ihre Mutter. Da sie wenig Lust verspürte, mit beiden vor versammelter Runde zu diskutieren, blieb ihr nichts anderes übrig, als „von mir aus“ zu seufzen.
Als Annette am Ostermontag müde, aber mit sich und der Welt zufrieden von ihrer Golfrunde heimkam, hörte sie aus der Wohnküche laute Stimmen, die eindeutig darauf hinwiesen, dass der Osterfriede zwischen Monika und Udo beendet war. Dabei war gestern doch alles recht harmonisch gewesen, und Udos Plan für den heutigen Tag hatte Annette geradezu genial gefunden –, natürlich auch, weil er ihr einen freien Tag verschaffte.
Sie hatte eben beschlossen, sich leise an der Türe vorbeizuschleichen und die beiden Streithähne sich selbst zu überlassen, als sie am oberen Treppenabsatz Sarah bemerkte. Das Kind hatte die Arme so weit es ging um seinen Körper geschlungen, als wollte es sich selbst Halt geben. Annette ließ sich wortlos neben Sarah nieder.
„Geht das den ganzen Tag schon so?“
Sarah schüttelte den Kopf.
„Alles war super. Erst haben wir ein Federball-Match gemacht, Mama hat natürlich verloren und Flori gewonnen. Danach haben wir noch Frisbee gespielt und dann sind wir essen gegangen. Mama hat sogar die große Portion Eis erlaubt. Auch als wir Flori heimgebracht und bei Opa und Franziska etwas getrunken haben, war noch alles paletti. Erst als wir hierherkamen, haben sie zu streiten begonnen.“
„Und warum?“
„Papi wollte noch einen Kaffee, aber Mami sagte, er habe doch eben einen getrunken.“
„Und dann?“
„Dann meinte Papi, er nähme eventuell auch eine Tasse Tee.“
„Und deswegen streiten sie jetzt?“
„Na ja, Mama hat gemeint, den könne er sich gut selbst machen – zu Hause.“
„Verstehe.“
„Ich weiß nicht, was ich tun kann, damit sie sich wieder vertragen“, schniefte Sarah.
„Ich fürchte, da können wir gar nichts tun.“
„Aber ich möchte es doch so gerne.“ In Sarahs Wimpern schimmerten ein paar Tränen.
Annette dachte eine Weile nach, ehe sie sagte: „Ich will dir keine falschen Hoffnungen machen. Die beiden werden noch öfter Streit haben, das war damals, als Opa ausgezogen ist, bei uns ganz genauso.“
„Aber heute seid ihr doch wieder Freunde?“
„Ja, Sarah, die besten.“
„Und warum habt ihr damals gestritten?“
„Tja, so genau weiß ich das auch nicht mehr, ist ja schon eine Zeit her“, versuchte sie, dem heiklen Thema auszuweichen. Dann schlug sie einen munteren Ton an. „Nachdem wir den beiden ohnehin nicht helfen können – lass uns jetzt in den Keller gehen und eine Runde Tischtennis spielen. Ich bring nur noch meine Sachen nach oben.“
Als sie wenige Minuten später zurückkam, saß Sarah noch immer auf der Treppe.
„Also, los geht’s!“ Dabei zog sie Sarah im Vorbeigehen hoch.
„Aber im Keller können wir sie doch nicht hören.“
„Genau. Ich will nämlich gar nichts wissen von ihrem dummen Streit.“
Als die beiden etwa eine Stunde später aus dem Keller kamen, war Ruhe im Haus und Udos Auto verschwunden.
„Schade, ich hätte Papi noch so gerne gesehen.“
„Du kannst ja mit ihm telefonieren. Ich bin ehrlich gesagt ganz froh, dass hier endlich Ruhe herrscht, gehe jetzt duschen und dann zu Bett. Das kann ich dir übrigens auch empfehlen – und zwar genau in der Reihenfolge. Also, schlaf gut!“
Damit drückte sie Sarah einen Kuss auf die Stirn und zog sich in ihre Wohnung zurück.
Puh, war sie müde. Erst eine Runde Golf und dann auch noch eine Stunde Tischtennis – sie war doch keine zwanzig mehr.
***
„Danke, dass du dich gestern um Sarah gekümmert hast“, sagte Monika am nächsten Morgen.
„Was blieb mir anderes übrig, nachdem ihr scheinbar vergessen hattet, dass eure blöden Streitereien Sarah ziemlich zusetzen.“
Monika hatte sich selbst schon Vorwürfe gemacht. Erst nachdem Udo gegangen war, hatte sie an Sarah gedacht. Dann hatte sie die Stimmen aus dem Keller gehört und war froh gewesen, dass sie noch ein paar Minuten zum Verschnaufen hatte, ehe sie Sarah wieder gegenübertreten musste. Doch als ihre Mutter sie jetzt darauf ansprach, gab sie patzig zurück: „Du scheinst vergessen zu haben, wie das ist, wenn man sich trennt. Papa und du, ihr seid auch nicht immer ganz leise gewesen. Du schon gar nicht.“
„Mit dem Unterschied, dass du damals bereits erwachsen und – in der heißen Phase – in England warst.“
„Glaubst du, ich hätte das vergessen? Mir hat das, was ich mitbekommen habe, schon gereicht. Und wehgetan hat es trotzdem.“
„Dann weißt du ja, was du deiner Tochter antust. Wenn du glaubst, dass du dich von Udo trennen musst, dann mach es bitte kurz und schmerzlos.“
„Sag das nicht mir, sag das deinem geliebten Schwiegersohn. Er wollte schon wieder nicht wahrhaben, dass wir ausgezogen sind.“
„Dass du ausgezogen bist – unter Mitnahme eurer Tochter. Tu also bitte nicht so, als ob Sarah freiwillig hier wäre.“
„Hätte ich sie deiner Meinung nach vielleicht bei Udo lassen sollen?“
„Meiner Meinung nach wäret ihr am besten beide dortgeblieben, aber meine Meinung kennst du ja, und im Übrigen muss ich jetzt ins Büro.“
Annette hatte in der Zwischenzeit ihr Frühstück beendet und stand auf.
„Wie immer, wenn ich dich gebraucht hätte“, rief Monika ihr nach.
Annette kam zurück. „Wozu brauchst du mich denn? Zum Streiten hab ich weder Zeit noch Lust.“
Damit verließ sie endgültig die Küche und schien heilfroh, in ihr Büro zu kommen. Aber da war sie ja immer schon lieber gewesen, dachte Monika, während sie den Frühstückstisch abräumte.
***
Annette war froh, dass sie in der Woche nach Ostern so viel zu tun hatte. Das ersparte ihr, sich Gedanken über ihre Familie zu machen. In den letzten Tagen empfand sie ihr Büro zunehmend als Zufluchtsort. Als sie sich an diesem späten Nachmittag endlich einen Kaffee und einen Blick in die Zeitung gönnte, erschien ihre Sekretärin mit dem Vorabdruck eines Interviews, das sie in der Karwoche gegeben hatte.
„Und, wie ist es geworden?“, fragte sie, als Frau Hagen mit einigen Seiten winkend das Zimmer betrat. Mit einer eleganten kleinen Geste ihrer linken Hand bot sie ihr Platz an.
„Gar nicht schlecht, mit Ausnahme der Stellen, die ich angestrichen habe, nämlich dass sich unsere Standorte ausschließlich in der Vorstadt befänden.“
Sie sagte das ohne jede Aufregung und strich dabei ihren braunen Rock glatt, zu dem sie eine beige Schleifenbluse trug.
Annette hatte sich in der Zwischenzeit des Manuskriptes bemächtigt.
„Nicht schlecht ist schon mal nicht gut genug und der erwähnte Absatz zeigt, dass die Beste nicht zugehört hat. Ich habe gesagt, unsere Filialen seien nicht an den teuersten Standorten, sondern befänden sich dort, wo unsere Kundschaft wohnt. Aber was schreibt die Tante? … dabei finden sie AW-Filialen zumeist in den Vorstädten, dort, wo die Mieten noch günstig sind.“
Annette machte einen dicken Strich durch den genannten Absatz und las weiter.
„Die spinnt doch!“, rief sie kurz darauf. „Was heißt hier ich komme aus kleinbürgerlichen Verhältnissen? Ich stamme aus einer Unternehmerfamilie.“
„Einer Dynastie geradezu“, setzte Olga Hagen hinzu.
Annette brauchte nur den Bruchteil einer Sekunde, ehe sie würdevoll entgegnete: „Genau, mein Großvater hat bereits Strick- und Nähmaschinen repariert und mein Vater hat die Handelsschiene neu aufgebaut.“
„Erfolgreich neu aufgebaut“, vervollständigte Olga mit erhobenem Zeigefinger, dann lachten sie beide laut los, denn Tatsache war, dass Annettes Vater einen kleinen Laden gehabt hatte, in dem er Strick- und Nähmaschinen repariert und alle paar Monate mal eine neue Maschine verkauft hatte. Allerdings nur, wenn die alte gar nicht mehr in Gang zu bringen war, denn Geld auszugeben war ihm von Herzen zuwider gewesen, auch wenn es das Geld seiner Kunden war.
Das gemeinsame Lachen war ein wesentliches Element ihrer Zusammenarbeit. Olga mochte keine Hilfe sein, wenn es darum ging, die nächste Kollektion zusammenzustellen, aber man konnte sich auf ihre Loyalität ebenso verlassen wie auf ihren Hausverstand.
„… und da, hören Sie sich das einmal an“, fuhr Annette fort. „AW Moden verdankt seinen Erfolg einer treuen Stammkundschaft, die Qualität zu schätzen weiß und auf kurzlebige Trends gerne verzichtet. Das klingt ja, als würden wir nur mausgraue Kostüme und weiße Seidenblusen mit Schleifen verkaufen.“
„Aber die treue Stammkundschaft stimmt und auf gute Qualität legen Sie doch großen Wert“, entgegnete Olga und konnte sich einen Blick auf ihre eigene Bluse nicht verkneifen.
„Schon, aber unsere Ware ist nicht nur qualitativ hochwertig, sie ist auch modisch. Wer das hier liest, muss zwangsläufig den Eindruck gewinnen, wir sind ein Altweiberverein, der sich auf Mode für Hofratswitwen und ältliche Fräulein spezialisiert hat.“
„Wo wir doch so jung und knusprig sind“, setzte Olga trocken hinzu. „Apropos jung, wie geht’s denn der Moni? Macht sie immer noch Beziehungspause?“
„Macht sie“, antwortete Annette düster. „Ich glaube langsam, das läuft auf eine Scheidung hinaus.“
„Tja, wenn’s halt gar nicht passt, gell. Wird die Moni dann arbeiten müssen?“
„Wieso denn müssen?“, fragte Annette erstaunt. „Man kann doch auch gerne arbeiten, wir arbeiten doch auch gerne.“
„Doch, schon“, antwortete Olga ohne allzu große Überzeugung. Annette wusste, dass Olga nicht ungern bei ihr arbeitete, sie wusste aber auch, dass sie sich – anders als Annette – ein Leben ohne Büro gut vorstellen könnte. Vermutlich würde sie dann in ihrem Garten Gemüse pflanzen und sich um ihre Enkel kümmern, alles Beschäftigungen, denen sie selbst wenig abgewinnen konnte.
„Die Moni ist halt anders“, sagte Olga Hagen, die sich in Kindertagen manchmal um sie gekümmert hatte.
„Anders?“, fragte Annette und wedelte mit ihrer gepflegten Hand vor der Stirn herum.
„Nicht so anders! Mehr bodenständig halt“, empörte sich Olga.
„Bodenständig? Dass ich nicht lache. Wir bekommen zum Frühstück Müsli mit links- oder rechtsdrehender Milchsäure, ich verwechsle das immer, und zum Abendessen Suppe aus vergorenem Sojairgendwas. Nennen Sie das etwa bodenständig? Seit sie sich mit unserer Apothekerin angefreundet hat, wird der Speiseplan immer seltsamer. Ohne Soja geht scheinbar gar nichts mehr. Na, meine neue Küche ist schon bestellt. Aber zurück zu dem hier“, sie deutete auf den Ausdruck. „Rufen Sie diese Tussi an und sagen Sie ihr, sie soll diesen Unsinn hier umschreiben, aber dalli!“
„Vielleicht sollten wir damit besser bis morgen warten, rein taktisch gesehen.“
„Machen Sie, wie Sie wollen, Hauptsache, das wird so nicht gedruckt.“
„Okay, ich geh dann für heute.“
Nachdem Olga Hagen das Büro verlassen hatte, schaltete Annette den CD-Player ein. Perhaps love, gesungen von Placido Domingo. Sie liebte diese Art von Musik und gönnte sie sich immer erst, wenn die meisten Angestellten außer Haus waren.
Sie summte ein wenig mit und warf noch einmal einen Blick auf den Text der Journalistin, den Olga Hagen versehentlich liegen gelassen hatte. Es stimmte ja, sie stammte aus kleinbürgerlichen Verhältnissen, aber das hatte sie dieser Journalistin doch so nicht erzählt. Vielleicht war es ein Fehler gewesen zu erwähnen, dass sie ihre Eltern erst mühsam davon hatte überzeugen müssen, eine höhere Schule besuchen zu dürfen. Andererseits, warum eigentlich sollte sie ihre Herkunft verleugnen? Es war schließlich nicht ihr Fehler, dass ihr Vater so miesepetrig und geschäftsuntüchtig gewesen war, dass er kaum seine Familie ernähren konnte. Und zählte ihr Verdienst nicht doppelt, gerade weil sie bei null begonnen hatte? Den Absatz mit den kleinbürgerlichen Verhältnissen würde sie belassen, aber die Sache mit den kurzlebigen Trends musste überarbeitet werden. Allerdings genügte es vielleicht einzufügen, dass ihre Modelle dennoch modisch waren. War doch ganz gut, dass Olga erst morgen mit der Journalistin Kontakt aufnehmen wollte. Ernst hatte ihr ja immer schon geraten, lieber eine Nacht darüber zu schlafen, bevor sie einen ihrer geharnischten Briefe versandte.
Vielleicht sollte sie auch immer eine Nacht vergehen lassen, bevor sie Monika Antwort gab. Nur schade, dass sich diese Taktik im Gespräch so schlecht umsetzen ließ.
Annette betrachtete ihre schön lackierten Fingernägel und überlegte, ob sie nach Hause fahren oder doch lieber etwas Vernünftiges essen sollte. Da sie nur ungern allein aß, würde sie wohl doch nach Hause fahren, und vielleicht war Fenchel in Senfsauce doch gar nicht so schlecht.
Während sie sich langsam auf den Heimweg machte, grübelte Annette. Wenn Monika sich jetzt scheiden ließ, musste sie Geld verdienen. Ihr Studium hatte sie nicht abgeschlossen, also waren ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt nicht überwältigend.
Monika hatte es bisher immer abgelehnt, als Angestellte in ihrem Unternehmen zu arbeiten. Nun gut, sie würde ihr den Einstieg in die Geschäftsleitung anbieten. So ein Angebot konnte selbst ihre Tochter nicht ablehnen.
Was hätte Annette damals dafür gegeben, wenn man ihr eine solche Chance geboten hätte. Doch auch der Aufbau des Unternehmens war eine höchst reizvolle und lohnende Aufgabe gewesen und sie dachte stets gerne an diese Zeit zurück.
Sie war fünfundzwanzig und kurz davor gewesen, Ernst zu heiraten, als die Kammgarnfabrik, in der sie gearbeitet hatte, in die Insolvenz schlitterte. In der näheren Umgebung bestand keine Aussicht, einen gleichwertigen Job zu ergattern. Ernst hatte wenige Monate davor eine Festanstellung in Baden bekommen. An einen Ortswechsel war also nicht zu denken gewesen. Sie hatte drei Nächte lang schlecht geschlafen und der staunenden Familie am vierten Tag kundgetan, dass sie sich selbstständig machen würde, und zwar im ehemaligen Geschäft ihres Vaters, für das er nur eine geringe Miete bezahlte und das ihm inzwischen nur noch als Lager für ein paar veraltete Maschinen diente.
„Das geht doch nicht!“, hatte ihre Mutter gesagt.
„Mit welchem Geld?“, hatte ihr Vater gefragt und Ernst meinte nur: „Unsinn, wenn wir Kinder haben wollen, hast du sowieso keine Zeit.“
Sechs Wochen später hatte Annette ihre erste Boutique eröffnet.
In der Zwischenzeit war ein Unternehmen mit über fünfzig Filialen daraus geworden, doch in den teuren Einkaufsstraßen großer Städte und in namhaften Shopping-Malls suchte man AW-Moden immer noch vergeblich. Annette verfolgte eine andere Strategie.
Ihr erster Laden, in bescheidener Lage, war von Anfang an erfolgreich gewesen, weil sie sich um ihre Kundschaft bemühte und deren Vorlieben, so gut es ging, beim Einkauf berücksichtigte.
Dummerweise war sie schon zwei Jahre später schwanger geworden. Alles war für sie denkbar gewesen, nur nicht, ihre Boutique aufzugeben. Also suchte sie nach einer geeigneten Verkäuferin und fand eine ehemalige Schulkollegin, die froh war, auf diese Weise den Wiedereinstieg in den Beruf zu schaffen. Die hatte schon in den Monaten vor Monikas Geburt immer wieder ausgeholfen, und so brachen die Umsätze, als Annette sich mehr und mehr zurückziehen musste, nicht wie befürchtet ein. Alle waren zufrieden, und Annette suchte nur wenige Monate nach Monikas Geburt nach einem weiteren Standort. Beide Läden befanden sich weder an besonders frequentierten noch an besonders teuren Standorten, dafür waren sie in ihrer näheren Umgebung konkurrenzlos.
Das machte Annette zu ihrer ganz besonderen Strategie, mit der sie lange Zeit ausgesprochen erfolgreich war. Sie hatte rasch erkannt, dass ihr Talent eher im Einkauf und in der Organisation lag als im direkten Kundenkontakt; da fehlte es ihr mitunter an Geduld. Sie suchte nach neuen Standorten, die eine treue und beständige Klientel versprachen, aber nicht in den teuren Geschäftsstraßen oder in den damals aufkommenden Fußgängerzonen lagen, wo ihre Mitbewerber unter ständig steigenden Mietpreisen stöhnten.
Anfangs hatte sie sich nur in der näheren Umgebung umgesehen, doch es war unsinnig, innerhalb weniger Kilometer zu viele Filialen zu eröffnen. Also wurde ihr Aktionskreis immer größer. Heute besaß sie Filialen in fast allen österreichischen Bundesländern, in Bratislava, Pilsen und im benachbarten Bayern.
Seufzend musste sie jedoch zugeben, dass die Umsätze in den letzten Jahren zurückgegangen waren und einige Filialen weder ihren Erwartungen noch den wirtschaftlichen Erfordernissen entsprachen. Sie hatte sich diese Filialen bereits angesehen, da und dort etwas verändert, aber ohne spürbaren Erfolg. Sie musste diese Geschäfte in den nächsten Wochen noch einmal besuchen, vielleicht hatte sie ja etwas übersehen.
Vorerst aber wollte sie, verdammt noch mal, ihre Tochter an Bord holen – wann, wenn nicht jetzt. Diesmal würde sie diplomatisch vorgehen.
***
Als Annette am darauffolgenden Samstagnachmittag mit Monika auf der Terrasse Kaffee trank, hielt sie die Gelegenheit für günstig. „Hast du dir eigentlich schon überlegt, wovon du nach einer eventuellen Scheidung leben willst?“
„Bea meint, dass Udo so an die zweitausend Euro wird zahlen müssen, und als Scheidungsanwältin sollte sie es ja wissen.“
Annette fühlte Ärger in sich hochsteigen.
„Bea ist eine dumme Gans, immer schon gewesen. Hat sie dir diesen Schmarren mit der Beziehungspause eingeredet?“
„Nein, das hab ich aus einem Groschenroman.“
„Oder von deiner Damenrunde. Die sind doch alle geschieden – oder?“
„Wie kommst du darauf? Betsi, also Frau Doktor Wallner, ist glücklich verheiratet, Xenia ebenso, und Poldi ist Witwe.“
„Aber die Apothekerin ist geschieden und ihre Schwester doch auch.“
„Ja und? Was hat das mit mir und meinen finanziellen Ansprüchen zu tun?“
„Finanzielle Ansprüche, wenn ich das schon höre. Sag, genierst du dich eigentlich nicht?“
Monika sah sie verwirrt an. „Bin ich etwa fremdgegangen?“
„Nein, du warst ein paar Jahre treusorgende Ehefrau. Und dafür lässt du dich jetzt dein Leben lang aushalten? Also wirklich, manchmal denke ich, du kannst nicht meine Tochter sein. Vielleicht hat man dich im Spital ja vertauscht.“
Verdammt, sie wollte doch diplomatisch sein.
„Das vermute ich allerdings auch schon länger“, gab Monika spitz zurück und wollte aufstehen, um die Kaffeetassen abzuräumen. Annette hielt sie am Ärmel zurück und bemühte sich um einen versöhnlichen Tonfall.
„Eigentlich wollte ich nicht mit dir streiten, ganz im Gegenteil. Ich wollte dir vorschlagen, bei AW Moden einzusteigen.“
„Du meinst, ich soll hinkünftig meine Tage mit der Frage füllen, ob Gelb zu Braun passt?“ Monika stellte die eingesammelten Tassen wieder ab.
„Womit füllst du sie denn jetzt? Außerdem glaube ich nicht, dass Udo so viel wird zahlen können, schließlich ist euer Reihenhaus noch nicht ausbezahlt. Stattdessen habt ihr ja die teuren Möbel gekauft. Naturholz mit Bienenwachs und der ganze Schnickschnack.“
„Alles andere ist ungesund“, entgegnete Monika hoheitsvoll, nahm die leeren Tassen wieder auf und ging ins Haus.
„Dann halt mal die Luft an, in meinem Haus geht’s leider nicht ganz so biologisch zu. Das konnten wir uns damals nämlich nicht leisten“, rief Annette ihr nach und folgte ihr in die Küche.
„Klar, nachdem du schon alles Geld für die Villa ausgegeben hast. Papa hat immer schon gesagt, das Haus ist zu groß und zu teuer für uns.“
„Ja, ja, ich weiß. Aber jetzt ist es doch ganz gut, dass es so groß ist.“
Darauf schien Monika lieber keine Antwort zu geben.
Annette war schon aufgefallen, dass Monika klammheimlich im hinteren Teil des Gartens mehrere Beete angelegt hatte. Nun, sie hatte nichts gegen frische Radieschen, Salat und Erdbeeren.
Annette atmete durch. Letzter Versuch. „Also, was ist? In welcher Abteilung möchtest du beginnen?“
„In keiner! Du weißt doch, ich hab für diesen kaufmännischen Plunder weder Interesse noch Begabung.“
„Plunder?“, wiederholte Annette und wollte eben zu einer längeren Erklärung darüber ansetzen, wozu dieser Plunder alles gut sei, als Sarah und Flori auf die Terrasse stürmten. Udo, der mit den beiden schwimmen gewesen war, folgte in angemessener Entfernung.
„Können Papi und Flori zum Abendessen bleiben?“
Monika wirkte säuerlich, als sie antwortete: „Es gibt aber Spinatstrudel mit Schafkäse und Joghurtsauce.“
„Ich liebe Spinatstrudel mit Schafkäse und Joghurtsauce“, flunkerte Udo.
„Und du?“, wandte er sich fragend an Florian.
„Na ja, mir wäre Pizza lieber.“
„Der ist wenigstens noch ehrlich“, hörten sie Monika murmeln, ehe sie die Terrasse verließ.
Monika wälzte sich im Bett hin und her. Nach dem gemeinsamen Abendessen hatten sich Sarah und Florian noch ein Video angesehen, während sie sich mit Udo gestritten hatte. Als er und Florian endlich abgezogen waren, war sie todmüde gewesen und über ihrem Buch eingeschlafen. Jetzt war sie wieder hellwach, von Schlaf konnte keine Rede mehr sein.
Also stand sie auf, machte sich einen Becher warme Milch mit Honig und tat ausnahmsweise einen Schuss Rum dazu. Damit setzte sie sich in die Essecke und zündete eine Kerze an.
Sie hatte Udo doch geliebt.
Hatte sie sich geirrt? Oder gab es diese eine große Liebe gar nicht? Damals war sie ganz sicher gewesen, aber damals war lange her. Sie hatten sich in den letzten Jahren verändert – beide.
Monika erinnerte sich noch genau, wie sie Udo kennengelernt hatte, als sie nach ihrem Au-pair-Jahr aus London zurückgekommen war. Irgendwie war sie mit ihrer Clique zu später Stunde auf seiner Sponsionsfeier gelandet. Er hatte sich ihr vorgestellt, schon etwas weinselig, und sie hatte sich Knall auf Fall in ihn verliebt. Es waren nicht nur sein gutes Aussehen und seine fröhliche Art – das auch –, aber vor allem imponierte ihr, dass er ein so guter Zuhörer war. Einen guten Zuhörer hatte sie damals gebrauchen können, denn während sie in London fremder Leute Kinder gehütet hatte, war ihr Vater aus der Villa ausgezogen. Als sie erfuhr, dass er die Familie einer anderen Frau wegen verlassen hatte, war es ihr, als hätte man ihr den Boden unter den Füßen weggezogen. Solche Dinge machten andere Männer, ihr Papa doch nicht!
Nach mehreren vergeblichen Versuchen, ihn zur Rückkehr zu bewegen, hatte sie den Kontakt zu ihm abgebrochen – das hatte wehgetan, aber sie konnte nicht anders.
Gleichzeitig hatte sie ihrer Mutter vorgeworfen, an allem schuld zu sein, weil sie sich immer nur um ihr dämliches Geschäft kümmerte. Diese Diskussionen hatten regelmäßig damit geendet, dass sie davongelaufen war, direkt in Udos Arme. Niemand hatte sie damals verstanden, niemand – außer ihm.
Was war anders geworden, fragte sie sich in dieser Nacht. War es wirklich anders geworden, oder fühlte es sich nur anders an? Seit wann liebte sie ihn nicht mehr?
Denn in einem hatte Udo nicht ganz unrecht. Ein unbedachter One-Night-Stand konnte ihre Ehe nicht ruiniert haben.
Vielleicht hatten sie einfach den Zeitpunkt verpasst, an dem aus Liebe Gewohnheit geworden war. Gewohnheit. Es gab gute Gewohnheiten, lieb gewordene Gewohnheiten, alte Gewohnheiten – was also war schlecht daran?
Sie konnte es nicht erklären. Ihm nicht und sich selbst auch nicht. Mit Gewohnheit ließ sich auch die Wut nicht erklären, die sie in letzter Zeit immer öfter empfand. Manchmal hasste sie ihn geradezu und wusste doch, dass auch dieses Gefühl falsch war. Es war nichts Hassenswertes an Udo, aber lieben konnte sie ihn eben auch nicht mehr.
Wahrscheinlich hatten sie sich einfach auseinandergelebt, in verschiedene Richtungen entwickelt.
Dabei war sie sich anfangs so sicher gewesen. Sicher, dass er der Richtige war und ganz sicher, dass sie eine bessere Ehefrau und Mutter sein würde, als ihre Mutter es je gewesen ist.
Alles wollte sie anders machen als ihre Mutter, die immer ihr dämliches Geschäft über die Interessen der Familie gestellt hatte. Besser, viel besser wollte sie es machen, und immer für ihre Familie da sein – das hatte sie doch gehalten.
War sie so wütend auf Udo, weil er sie trotzdem betrogen hatte? Und was wäre gewesen, wenn nicht?
Während sie am nächsten Tag ihren Gedanken nachhing, erledigte sie den Haushalt, brachte Sarah zur Schule, holte sie vom Klavierunterricht ab und fuhr sie zur Ballettstunde.
Da Annette immer noch keinen Einspruch gegen die Gemüsebeete erhoben hatte, legte sie weitere an. Neben den Radieschen, dem Salat und den Erdbeeren pflanzte sie nun Gurken, Tomaten, Fisolen und verschiedene Kräuter.
Im Garten der Villa gab es auch eine Menge Obstbäume, und im Sommer würde sie die anfallenden Früchte zu Säften und Marmeladen verarbeiten.
Schon als Kind hatte sie diese Zeit der Ernte geliebt und war ihrer Großmutter gerne zur Hand gegangen, wenn sie Holundersaft, Kirschfleisch, Apfelgelee und Powidl zubereitete.
Urma, damals noch Oma, war nach Opas Tod zu ihnen gezogen und hatte sich nur zu gerne der Hausarbeit angenommen. Annette hatte stets gesagt, dass all das Einkochen und Entsaften die Mühe nicht lohne, aber Urma hatte nur geantwortet: „Davon verstehst du nichts, geh du nur zu deinen Klamotten!“
„Was gibt es da schon groß zu verstehen, es rechnet sich einfach nicht.“
„Es muss sich ja nicht alles im Leben rechnen“, hatte Oma geantwortet, bevor sie weiter Kirschen entkernt, Fisolen geschnipselt und Äpfel geschält hatte.
***
Auch Udo schlief in diesen Tagen nicht besonders gut. Waren sie damals zu unüberlegt in diese Ehe geschlittert? Monika hatte ihm vom ersten Augenblick an gefallen. Sie und das vornehme Umfeld, dem sie entstammte. Ihr kindliches Vertrauen rührte ihn und schmeichelte seiner Eitelkeit. Die herrschaftliche Villa, die Mutter Geschäftsfrau, der Vater Mittelschulprofessor – welch ein Unterschied zu seinem Elternhaus.
Der Dachdeckerbetrieb seines Vaters lief zwar gut, brachte Arbeitsplätze für die Region und Wohlstand für die Familie. Deswegen hatten sie ihn ja auch auf diese vornehme Privatschule schicken können, in der er sich nie wohlgefühlt hatte. Er hielt die Gabel falsch, hatte die falschen Klamotten an, traf sich mit den falschen Leuten und war bis zur Matura ein Außenseiter geblieben. Später, auf der Uni, hatten sich die Unterschiede verwischt. Doch dass man ihn in der Villa Waldesruh vom ersten Tag an akzeptierte, das gefiel ihm mehr, als er zugeben wollte.
Mochte ja sein, dass Monika nicht ganz so zielstrebig war wie seine damalige Freundin Sophie, aber ehrgeizig war er schließlich selber. Dazu kam, dass Sophie sich einbildete, unbedingt ein Zusatzsemester in Oxford machen zu müssen. Bei ihrer Rückkehr war Monika bereits schwanger gewesen.
Dennoch hatte er nicht vorgehabt, Monika zu heiraten. Sie aber schien so felsenfest davon überzeugt, dass er sich nichts anderes wünschen konnte, als mit ihr gemeinsam eine Familie zu gründen, dass er es letztendlich nicht übers Herz brachte, sie in dieser Situation allein zu lassen und die Sache, wie seine Mutter es vorschlug, mit Geld zu regeln.
Monika war damals im vierten Semester gewesen. Natürlich hatten alle geglaubt, dass sie ihr Studium nach der Geburt fortsetzen würde. Doch kaum war Sarah auf der Welt, schien das Studium sie nicht mehr sonderlich zu interessieren. Eine Zeit lang sprach sie davon, eine Ausbildung zur Psychotherapeutin zu machen. Doch dann verschob sie jegliche berufliche Aktivität auf den Tag, an dem Sarah in den Kindergarten gehen würde. Als Sarah drei Jahre alt war, fand Monika, es wäre noch allzu früh für das Kind. Später, als Sarah mit fünf endlich durchgesetzt hatte, dass sie in den Kindergarten gehen durfte, machte Monika erst mal einen Selbsterfahrungskurs, als Vorbereitung auf die Ausbildung. Dann kam Sarah in die Schule, und Monika wollte abwarten, wie sie sich dort entwickelte.
Udo wusste, dass auch Annette ihr immer wieder in den Ohren lag, doch etwas aus sich zu machen. Aber Monika hatte nur geantwortet, sie sei schon etwas. Ein Mensch und eine Mutter, die sich um ihre Familie kümmern möchte. Er hatte das zwar nicht ganz verstanden, aber irgendwie hatte es ihm imponiert – und bequem war es auch.
Seine Mutter wäre in der Zwischenzeit nur allzu gerne bereit gewesen, sich um Sarah zu kümmern, doch das kam für Monika überhaupt nicht in Frage.
„Wenn es nach ihr gegangen wäre, gäbe es keine Sarah, sag ihr das“, war alles, was sie dazu sagte.
Mit der Zeit verdiente er genug, um seine Familie auch allein einigermaßen standesgemäß zu erhalten, und hatte sich an den Komfort einer treusorgenden Ehefrau gewöhnt. Wenn sich ihre Ansichten auch immer weiter voneinander entfernten, schien doch alles im Lot – bis zu jenem Tag, an dem sie dieses verflixte rosa Taschentuch mit Monogramm und Lippenstiftabdruck in seiner Anzugjacke gefunden hatte. Er wusste bis heute nicht, wie dieses Ding dorthin gekommen war. Nun konnte so ein Taschentuch ja alles Mögliche bedeuten und wäre für sich noch kein Indiz für einen Seitensprung gewesen. Doch er, in solchen Dingen ungeübt, hatte ihrem Verhör nicht standgehalten und entnervt den Seitensprung zugegeben.
Ein Fehler, wie er in der Zwischenzeit wusste. Er hatte nicht erwartet, dass Monika vor Begeisterung in die Luft springen würde; dass sie aber deswegen gleich auszog, damit hatte er auch nicht gerechnet.
Jetzt hatte er ein Problem. Er wollte sich nicht scheiden lassen, es war doch alles gut, so, wie es war. Sie hatten eine gesunde Tochter, die sie beide liebten. Monika konnte im Sommer ihr Biogemüse anbauen, im Herbst die Äpfel ernten und im Winter heißen Tee kochen. Einen anderen Anspruch hatte sie doch nie gestellt.
Udo war bisher beruflich gut vorangekommen, doch im Moment schien die Karriereleiter arg verstopft zu sein.
„Ich fürchte, du musst dich langsam entscheiden“, drängte Annette. Nach den ersten fruchtlosen Versuchen, Monika in die Firma einzubinden, hatte sie einige Tage vergehen lassen und sie heute in ihr Büro gebeten.
„Ich habe mich längst entschieden und das weißt du auch. Erstens interessiert es mich nicht, zweitens kann ich es nicht und drittens will ich Sarah nicht sich selbst überlassen.“
„Zu zweitens. Natürlich kannst du es nicht, aber ich will mich ohnehin nicht morgen zurückziehen. Zu drittens. Sarah ist doch ohnehin ständig unterwegs, die braucht tagsüber keine Mutter, sondern eine Chauffeurin.“
Da Monika nicht antwortete, fuhr Annette fort: „Außerdem plane ich, einen Finanzchef einzustellen. Mir wird das auch langsam zu viel. Schließlich werde ich nächstes Jahr sechzig, da ist es wirklich an der Zeit, über meine Nachfolge nachzudenken.“
Monika saß einfach nur da und gab immer noch keinen Laut von sich. Also legte Annette noch einmal nach. „Schau, wenn ich noch zwei, drei Jahre voll arbeite und mich dann peu à peu zurückziehe, dann hast du doch alle Zeit der Welt, dich einzuarbeiten.“
Plötzlich beugte Monika sich vor. „Mama, ich will es nicht. Verstehst du? Ich will es einfach nicht! Wenn es drei, vier Geschäfte wären, dann würde ich darüber nachdenken, aber so – niemals!“
Annette seufzte. Sie war auf Widerstand gefasst gewesen, hatte aber auch gehofft, dass Monika in der Zwischenzeit begriffen hätte, wie abhängig sie war. Abhängig von Udos und ihrem Geld. Das musste ihr doch verdammt noch mal auf die Nerven gehen. Aber so schnell gab Annette nicht auf. Stattdessen holte sie nun zu ihrem gewichtigsten Schlag aus.
„Gut, dann werde ich die Geschäftsführung Udo anbieten.“
Sie sagte das ganz sachlich und erzielte damit die gewünschte Wirkung. Monika lief vor Ärger rot an.
„Wie bitte? Also wirklich. Du kannst doch Udo nicht zum Geschäftsführer machen – nicht in dieser Situation!“
„Ich biete ihm einen Job in einer Firma an, mit der du ohnehin nichts zu tun haben willst. Wo ist also das Problem?“
„Mutter, du bist unmöglich. Außerdem hat er mich betrogen.“
Annette winkte müde ab. „Ich werde ihn trotzdem fragen, ob er den Job haben will. Er ist nämlich ein wacher Bursche, dein Udo.“
„Er ist nicht mehr mein Udo.“
„Schade, du solltest ihn behalten“, meinte Annette, dann wandte sie sich wieder dem Bildschirm zu.
Monika schob ihren Sessel geräuschvoll zurück, sichtlich bemüht, sich einen guten Abgang zu sichern, den ihr trotziger Ton allerdings etwas verdarb. „Ich habe ohnehin keine Zeit mehr, ich muss Sarah von der Schule abholen.“
„Sarah könnte den Bus nehmen“, antwortete Annette, ohne aufzusehen. Sie wusste, dass Sarah Monikas Fürsorglichkeit mittlerweile peinlich war.
„Damit sie auf dem Heimweg fette Pommes isst? Nein danke, da hol ich sie doch lieber ab. Mir ist mein Kind eben wichtiger als meine Karriere.“
„Welche Karriere?“ Annette sah Monika fragend an, dann holte sie zu ihrem letzten Schlag aus. „Ich glaube übrigens nicht, dass Udo so viel zahlen kann, dass ihr davon standesgemäß leben könnt.“
„Was heißt schon standesgemäß? Ich trage keine Pelze, fahre keine Luxuslimousine und Designerklamotten brauche ich auch nicht.“
„Nein, aber das teure Zeug aus dem Bioladen. Und soviel ich weiß, legt deine Tochter schon Wert auf Designerklamotten.“
„Eine Zehnjährige, ich bitte dich. Das ist doch ganz unwichtig.“
„Glaubst du. Für Sarah ist es nicht unwichtig und sie wird bald elf. Außerdem, wenn du schon gratis bei mir wohnst – für deinen Lebensunterhalt musst du künftig selbst aufkommen.“
„Geht dein Geschäft so schlecht?“
„Das nicht. Aber ich möchte, dass du endlich einmal begreifst, was es heißt zu arbeiten, und welche Befriedigung man dabei erfahren kann.“
„Ich mache doch den Haushalt, und im Gegensatz zu dir finde ich das durchaus befriedigend.“
„Das bisschen Haushalt, ich bitte dich. Außerdem würdest du Frau Brandtner um ihren Job bringen, die braucht das Geld und man kann sich auf sie verlassen.“
„Auf mich vielleicht nicht?“
„Das weiß ich noch nicht.“
„Frau Brandtner kocht aber doch nicht.“
„Du willst mir aber jetzt nicht einreden, dass du nichts arbeiten kannst, weil du abends irgendeinen Gemüseschmarren für uns machst. Das kann ich auch selber.“
„Möglich. Aber zu fett und zu ungesund.“
„Dafür schmeckt’s. Also, ab morgen suchst du dir einen Job.“
„Wie redest du denn mit mir? Ich bin schließlich kein kleines Kind mehr.“
„Eben! Also wirst du für dich sorgen können. Ich rede gar nicht von Sarah, ich rede einfach nur von dir. Und jetzt sieh zu, dass du weiterkommst, sonst nimmt Sarah den Bus und kommt doch noch zu ihren fetten Pommes.“
Nachdem Monika abgerauscht war, hielt Annette einen Moment inne, öffnete das Fenster und atmete tief ein. Es war ein prächtiger Frühlingstag, der Himmel strahlend blau, die Luft mild.
Was hatte sie in all den Jahren nicht für Freude und Zufriedenheit in ihrer Arbeit gefunden. Es wollte ihr nicht in den Kopf, dass Monika das nicht verstehen konnte.
***
Annette wusste, dass Udo in der Bank auf der Stelle trat. Die Finanzkrise hatte es für die mittlere Managementebenen nicht leichter gemacht.
Obwohl sie ihn anfangs nur als Druckmittel benutzt hatte, gefiel ihr die Idee, Udo als künftigen Geschäftsführer aufzubauen, besser und besser.
Wahrscheinlich war es ohnehin gescheiter, wenn jemand an der Spitze stand, der eine profunde wirtschaftliche Ausbildung hatte. Die Zeiten wurden nicht einfacher. Und vielleicht fand Monika eine Beschäftigung, die ihr mehr entsprach. Annette hätte sie gerne an der Spitze ihres Unternehmens gesehen, aber man konnte niemanden zu seinem Glück zwingen. Unternehmen dieser Größe ließen sich weder mit Widerwillen noch nebenbei führen. Vielleicht war es ihre eigene Schuld, dass Monika sich nie für ihre Firma interessiert hatte, vielleicht auch nicht. Monika war ihrer Oma immer schon ähnlicher gewesen. Sarah hingegen zeigte bereits jetzt Interesse für Mode. Natürlich konnte man noch nicht sagen, ob das von Dauer sein würde, aber selbst wenn Sarah wirklich eines Tages die Firma übernehmen wollte, würde das noch gut fünfzehn, zwanzig Jahre dauern. Annette hatte nicht vor, in ihrem eignen Betrieb die komische Alte zu geben. Sie hatte den Betrieb aufgebaut und zum Erfolg geführt. Sie würde ihn nicht in die Insolvenz treiben, nur weil sie den ständig wechselnden Anforderungen nicht mehr gewachsen war. In letzter Zeit wurde es immer schwieriger, das Unternehmen auf Kurs zu halten. Der Generationswechsel musste eingeläutet werden, andernfalls blieb ihr am Ende nur noch der Verkauf. Angebote hatte es schon gegeben, lukrative Angebote. Aber Verkauf war die letzte aller Möglichkeiten, die sie in Betracht zog.
Entschlossen wählte sie Udos Nummer und lud ihn zum Abendessen ein.
***
Verfolgte Annette erst einmal einen neuen Gedanken, dann wollte sie ihn auch umsetzen – und zwar rasch. Daher fand das verabredete Abendessen bereits am nächsten Tag statt.
Annette hatte ein Haubenrestaurant in der Nähe von Bad Brunn ausgesucht. Nun wählte sie mit Bedacht aus der Speisekarte, überließ Udo die Wahl des Weines und lobte das milde Frühlingswetter. Er unterhielt sie im Gegenzug mit ein paar Schnurren aus der Bank.
Nach der Vorspeise lehnte sie sich zurück und fragte: „Könntest du dir vorstellen, die Geschäftsführung von AW zu übernehmen?“
„Muss ich mir jetzt Sorgen um dich machen? Bist du krank?“
„Von gelegentlichen Kreuzschmerzen abgesehen geht es mir gut. Aber ich will mich in den nächsten Jahren langsam zurückziehen. Mehr Zeit haben für Reisen, vielleicht noch einmal jemanden kennenlernen. Mal sehen, was sich ergibt.“
„Ich bin allerdings Banker.“
„Du bist Betriebswirt und um Gewinn und Umsatz geht es hier wie da. Ich meine auch nicht, dass du ab morgen die Geschäfte lenken sollst, vielleicht so in zwei, drei Jahren.“
„Traust du mir das zu?“
„Hätte ich sonst gefragt?“
Udo lächelte. „Kaum. Dein Angebot überrascht mich, aber es reizt mich auch. Außerdem sind die Banken derzeit nicht gerade ein Hort der Sicherheit. Wie lange habe ich Zeit, mich zu entscheiden?“
„Sagen wir eine Woche?“
„Gut, eine Woche. Und was sagt Monika dazu?“
„Ich habe ihr den Job angeboten, aber sie will ihn nicht haben. Wahrscheinlich ist es besser so.“
„Besser für Moni oder besser für AW?“
„Ich glaube inzwischen, es ist besser für beide.“
Die Hauptspeise – sie hatten sich für einen mit Morcheln gefüllten Lammrücken entschieden – verspeisten sie schweigend, doch beim Kaffee sagte sie: „Bevor du dich entscheidest, möchte ich dir nicht verheimlichen, dass ich in letzter Zeit ein paar geschäftliche Probleme habe, keine unüberwindlichen, aber auch keine, die man unbeachtet lassen darf.“