Weihnachten beginnt im September - Brigitte Teufl-Heimhilcher - E-Book
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Brigitte Teufl-Heimhilcher

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Beschreibung

„Weihnachten beginnt doch längst schon im September“, seufzt Liesl, die Gemeindeärztin. Weihnachtsfans mögen das begrüßen, Weihnachtsmuffel darüber stöhnen, aber Kathreintanz, Weihnachtsmarkt und Adventkonzert wollen eben geplant werden. Dass dabei nicht alles nach Plan läuft, versteht sich von selbst, denn bereits die Vergabe der Adventmarktbuden scheidet die Geister. Wenn dann noch der Pfarrer zur Flasche greift, gut eingespielte Familientraditionen geändert werden müssen und ausgerechnet die „Zuag’rasten“ sich an der einheimischen Küche versuchen, ist für Turbulenzen gesorgt.

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Brigitte Teufl-Heimhilcher

Weihnachten beginnt im September

Heiteres für die Weihnachtszeit

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Anstelle eines Vorwortes

Für alle, die „Waldstettener G’schichten, (Band 1), Tante Adelheids Schloss“ bzw. „Waldstettener G’schichten, (Band 2), Besuch aus Rom“ schon vor einiger Zeit oder bisher noch nicht gelesen haben, hier ein kurzer Überblick über „zuag’raste“ wie „eingeborene“ Waldstettener:

In Band 1 erbt

Gloria – joblose Kunstgeschichtlerin, das Schloss ihrer Großtante Adelheid. Da sie sich in das alte Gemäuer verliebt, will sie es behalten, was ihr – nach einigen Kopfschmerzen – auch gelingt.

Ihr Freund und späterer Ehemann

Daniel ist Lehrer und fühlt sich in Waldstetten ebenfalls recht wohl.

Glorias Pflegevater,

Onkel Konrad, Witwer, ehemals Fabrikant, kann sein „Mauserl“, wie er Gloria immer noch nennt, zwar finanziell nicht unterstützen, kauft aber eine der Wohnungen im Schloss und verliebt sich in

Annabell, die Mutter der Gemeindeärztin.

Liesl, wie die tüchtige Gemeindeärztin von den Waldstettenern genannt wird, hat eine uneheliche Tochter,

Anna, und verliebt sich in

Ludwig, Bürgermeister und Bauunternehmer, den sie seit Kindertagen kennt und am Ende auch heiratet.

In Band 2 taucht der ehemalige Kaplan

Gottfried Gruber überraschend in Waldstetten auf. Obwohl er sich für einen schlichten Monsignore ausgibt, ist er in Wahrheit längst Kardinal, doch das vertraut er nur seinem ehemaligen Freund Ludwig an, denn seit er ein Buch über den Vatikan geschrieben hat, muss er um sein Leben fürchten.

Als Kardinal Gruber seine ehemalige Jugendliebe

Rosalinde wiedersieht, ist zwar nicht sein Leben, wohl aber sein Seelenheil in Gefahr.

Weiters mit von der Partie:

Professor Axel Wolf, – Annas Vater, verheiratet mit

Jutta, – der im Schloss eine Wohnung als Zweitwohnsitz erwirbt.

Steffi und Florian – „Zuag’raste“, ehemals Journalisten, betreiben in Waldstetten einen Bioladen,

sowie Glorias beste Freundin

Julia, die mit Freund James in London lebt und

Traudl, Ludwigs Schwester, verheiratet mit dem Förster

Anton.

Leider bereits verstorben, aber immer noch von Bedeutung:

Tante Adelheid, genannt „die Baronin“,

und ihr Lebensmensch,

Pfarrer Pecher, langjähriger Pfarrer von Waldstetten.

Was Sie sonst noch wissen sollten:

Waldstetten liegt in einer europäischen Modellregion für das „Bedingungslose Grundeinkommen.“

So, jetzt kanns losgehen!

1. Gloria – Erste Vorbereitungen

Vielleicht hätte ich die Sache doch erst mit Liesl besprechen sollen, überlegte Gloria. Gut gelaunt stieg sie in ihren alten Mercedes und machte sich auf den Weg zur ersten Kirchenchorprobe nach der Sommerpause. Oder hätte sie mit Ludwig darüber reden sollen?

Egal. Jetzt war es ohnehin zu spät. Sie würde das auch so schaffen – es ging schließlich um ihr Schloss.

Während sie weiterfuhr, verwandelten die letzten Strahlen der Abendsonne das sich langsam verfärbenden Laub in ein flammendes Inferno. Was für ein wunderbarer Anblick. Diese Phase des Herbstes mochte sie ganz besonders.

Seit sie mit Daniel nach Waldstetten gezogen war, um das Schloss ihrer Ahnen wieder auf Vordermann zu bringen, mochte sie fast alle Jahreszeiten, vielleicht mit Ausnahme des Winters, obwohl auch der seine schönen Seiten hatte, zumindest hier auf dem Land.

Für das Schloss war der Winter freilich nicht so ideal, da verirrten sich kaum Besucher nach Waldstetten. Keine Besucher bedeutete keine Einnahmen, und Einnahmen brauchte Gloria dringend, schließlich gab es Darlehen zu tilgen. Ihr Bankberater hatte ohnehin schon mehrmals darauf hingewiesen, dass die tatsächlichen Einnahmen hinter den Erwartungen des Businessplanes blieben, den sie mithilfe ihrer Freundin Julia erstellt hatte. Der Herr ‚Bankdirektor‘ hatte leicht reden. Und überhaupt musste er nicht gleich so einen Aufstand machen, nur weil sie mit ein paar Raten im Rückstand war. Das fand sie echt kleinlich.

Dabei war die Sommersaison nicht schlecht gelaufen, an der Wintersaison musste sie allerdings noch arbeiten. Sie hatte auch schon einige Ideen, eine davon wollte sie den Chormitgliedern heute verklickern. Wenn sie mitspielten, wäre zumindest ein Anfang gemacht.

*

„Also gut“, fasste Marie, die Leiterin des Kirchenchors, zusammen. „Dann singen wir am Christtag die Schubert-Messe in G-Dur und beim Adventskonzert diesmal das bisherige Programm, dazu ein paar neuen Sachen. Meine Lieben, ich würde sagen, da haben wir in den nächsten Wochen einiges zu tun.“

„Die Schubert-Mess’ hamma doch eh schon zweimal g’sungen“, warf Gisela Weißmaier ein.

„Einige von euch, aber nicht alle“, antwortete Marie und klappte ihr Notenheft zu. „Trotzdem machen wir für heute Schluss, ich habe Durst.“

„Dem schließe ich mich vollinhaltlich an“, meldete sich Bürgermeister Ludwig Paffler mit seiner kräftigen Bassstimme zu Wort und seine Frau Liesl, die Gemeindeärztin, murmelte: „War klar.“

Gloria war auch ganz froh, dass die heutige Chorprobe zu Ende ging, sie hatte schon den ganzen Tag ein wenig Kopfschmerzen – vermutlich war der Föhn daran schuld. Trotzdem würde sie noch auf einen Sprung mit zum Dorfwirt gehen, schließlich musste sie die anderen mit ihrer genialen Idee bekannt machen. Außerdem würde ihr ein Glas Sekt sicher guttun und Liesl hatte vermutlich Minzöl einstecken, das sollte bei Kopfschmerzen ja Wunder wirken.

Kaum saßen sie rund um den Tisch, den der Dorfwirt ganz selbstverständlich jeden Mittwochabend für den Chor reserviert hielt, sagte Gloria: „Ich hätte da eine Idee …“

„Halt, erst das Bier!“, unterbrach Ludwig und bestellte ein Krügerl. Nachdem auch alle anderen ihre Bestellungen aufgegeben hatten und Gloria mit Minzöl versorgt worden war, begann sie erneut: „Also, wie gesagt, ich hätte da eine Idee wegen unseres Adventsingens. Was haltet ihr davon, wenn wir es diesmal im Schloss machen?“

„Wiaso?“, fragte der Weißmaier.

„Wiaso net?“, antwortete Gloria im besten Dialekt und mit einem koketten Zwinkern.

„Des wor doch immer in da Kirchen“, konterte der Weißmaier, der sich mit Änderungen bekanntlich schwertat.

Gloria hatte mit Widerstand gerechnet. „Ich weiß, aber man kann doch auch einmal etwas anderes ausprobieren.“

„Was wär’ jetzt im Schloss gar so anders?“, fragte Ludwig.

„Also, ich dachte, wir könnten ein richtiges Event daraus machen. Erst Punsch und Maroni im Schlosshof, dann das Konzert, dazwischen lesen wir ein paar Texte und danach gibt es ein gemütliches Beisammensein bei einem Glas Wein und Waldviertler Schmankerln.“

„Ist das jetzt eine Einladung der neuen Schlossherrin?“, fragte Marie mit einem ironischen Lächeln.

Mit dieser Frage hatte Gloria ebenfalls gerechnet, schließlich lebte sie bereits drei Jahre in Waldstetten und hatte schon ihre Erfahrungen gemacht.

„Punsch, Maroni und Konzertbesuch wären gratis, für Speisen und Getränke nach dem Konzert müsste aber schon bezahlt werden.“

„Du vermarktest dein Schloss nicht schlecht“, meinte Fanny, die Frau vom Wallner-Bauer. Das hatte zwar nicht nach Begeisterung geklungen, doch Gloria beschloss, es als Kompliment zu nehmen, und lächelte in die Runde.

„Ganz blöd ist die Idee nicht, in unseren Kirchenbänken sitzt man eh net sehr bequem“, meinte Ludwig bedächtig.

Das war schon einmal gut, wenn Ludwig dafür war, konnte man damit rechnen, dass einige sich seiner Meinung anschlossen.

„Also, ich finde auch, das wär’ einen Versuch wert“, sagte Sieglinde und nickte Gloria freundlich zu.

Sieglinde hatte vor wenigen Wochen ihren langjährigen Lebensgefährten Erich Wallner geheiratet. Die Hochzeitsfeier hatte im Schloss stattgefunden. Allerdings gehörte Sieglinde wie Gloria zu den „Zuag’rasten“, weswegen ihr Wort den Waldstettenern nicht gar so viel galt, und vielleicht war sie auch nur dafür, weil ihre Schwägerin, die Fanny, dagegen war. Egal, Gloria verbuchte ihre Wortmeldung auf der Habenseite. Sie hatte neulich einen Onlinekurs „Einführung in die Buchhaltung“ gemacht und kannte sich aus.

„Wir müssten deinen Saal natürlich erst auf seine akustische Tauglichkeit hin prüfen“, warf Marie ein. Alte Wichtigtuerin, dachte Gloria, aber gut, es klang zumindest nicht nach genereller Ablehnung. Jetzt hieß es taktieren. Nur nicht zeigen, wie wichtig ihr die Sache war. Also nickte sie ihr freundlich zu und sagte: „Ja, klar“.

Da es keine weiteren Wortmeldungen gab, fügte sie mit mehr Gleichmut als sie empfand hinzu: „Überlegt es euch halt“, und trank den letzten Schluck aus ihrem Sektglas. „Ich muss jetzt leider gehen, aber wir sehen uns ja spätestens nächsten Mittwoch bei der Probe.“

„Wann könnten wir uns den Saal denn anschauen?“, rief Marie ihr noch nach.

Gloria machte auf dem Absatz kehrt. Marie war ein kommunikativer Mensch. Sie hatte die Musikschule in Stettenkirchen geleitet und war seit Herbst in Pension. Gloria vermutete, dass sie über etwas Abwechslung ganz froh sein würde. Deshalb antwortete sie honigsüß: „Wann immer du Zeit und Lust hast. Ruf mich einfach an. Ich freue mich jetzt schon auf einen Plausch.“ Dann winkte sie allen noch einmal zu und machte sich beschwingt auf den Heimweg. Vielleicht wurde eines Tages doch noch eine tüchtige Geschäftsfrau aus ihr.

*

Während der kurzen Heimfahrt machte Gloria bereits Pläne für die nächsten Wochen und Monate. Sie plante gerne und liebte die Vorweihnachtszeit. Was konnte es also Besseres geben, als ein vorweihnachtliches Event zu planen, und damit auch noch Geld zu verdienen. Das war perfekt.

Als sie auf das Schloss zufuhr, sah sie, dass in Daniels Arbeitszimmer noch Licht brannte.

„Du Armer“, begrüßte sie ihn. „Musst du dich immer noch mit den Schularbeiten abquälen?“

„Du, die sind diesmal ausnehmend interessant. Das Thema lautete: So plane ich meine Zukunft.“

„Welche Klasse?“

„Vierte.“

„Und, wie planen sie ihre Zukunft?“

„Gar nicht. Im Grunde bestätigt diese Arbeit, was ich eh schon vermutete. Sie können sich nur schwer entscheiden, und wenn sie es tun, sehen sie ihre Entscheidungen eher als Zwischenstation, bis sich halt was Besseres ergibt.“

„Aha. Was schließen wir daraus?“

Daniel zuckte die Schultern. „Darüber denke ich noch nach.“

„Dabei gibt es doch nichts Schöneres, als Pläne zu machen“, leitete Gloria zu ihrem eigentlichen Thema über.

Daniel brauchte einen Moment, ehe er das kapierte, doch dann fragte er mit einem Grinsen: „Ach ja. Wie war’s? Konntest du den Chor für dein Adventevent begeistern?“

„Ich glaube, unsere Chancen stehen ganz gut“, antwortete sie und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. „Wenn das klappt, wird es der Beginn einer Reihe von Lesungen und ähnlichen Veranstaltungen. Damit werde ich nicht nur das Schloss, sondern auch meinen Roman promoten. Sag selbst, ist das nicht genial? In diesem historischen Ambiente wird der Roman sich verkaufen wie geschnitten Brot, damit werde ich die Schulden tilgen, und flugs hast du keine arme Kunstgeschichtlerin, sondern eine reiche Schlossbesitzerin zur Frau. Was sagst du dazu?“

„Ich bin offenbar ein Glückspilz“, spottete Daniel. Dann setzte er ernsthaft hinzu: „Hoffentlich behältst du recht mit deinem unverbesserlichen Optimismus.“

„Aber sicher. Außerdem kennst du doch den Spruch: Optimisten haben genau so oft unrecht wie Pessimisten, aber sie haben ein angenehmeres Leben.“

2. Ludwig – Wahnsinn, wie die Zeit vergeht

Als auch Ludwig und Liesl sich anschickten, den Dorfwirt zu verlassen, rief der Wirt ihnen nach: „Ludwig, wir müssen noch über den Kathreintanz reden.“

Ludwig nickte. „Passt’s dir am Sonntag, nach der Messe?“

Der Wirt nickte und winkte ihnen zum Abschied zu.

„Puh, da bläst schon ein richtig kalter Wind“, sagte Liesl, als sie ins Freie traten, stellte den Kragen ihrer Jacke auf und hängte sich bei Ludwig ein.

„Es ist ja auch schon Ende September. Wahnsinn, wie die Zeit vergeht. Jetzt sind wir schon mitten in den Vorbereitungen für den Advent und Weihnachten. Gestern war ich einen Sprung im Supermarkt, da stehen schon Nikolaus und Krampus herum.“

„Hab ich auch schon gesehen. Sogar bei der Steffi im Bioladen gibt’s schon Lebkuchen und ein Regal ‚Alles für die Weihnachtsbäckerei‘. Aber Weihnachten beginnt ja schon länger im September“, meinte Liesl ohne Begeisterung.

„Stimmt, und die letzten drei Monate vergehen sowieso immer im Flug. Mir vergeht die Zeit jedes Jahr schneller. Ich fürcht’, das ist ein Zeichen des Älterwerdens.“

„Ich mein ja eher, das kommt davon, weil es uns so gut geht, deswegen vergeht uns die Zeit doppelt so schnell.“

Als Ludwig nicht gleich antwortete, stupste sie ihn: „Geht’s dir etwa nicht gut?“

„Doch, schon, aber es ist noch so viel zu tun in diesem Jahr. Für meine Baufirma kann ich nur hoffen, dass der Winter sich Zeit lässt, wir haben noch etliche Baustellen fertig zu machen. Als Bürgermeister sollte ich mir langsam Gedanken über die Vergabe der Weihnachtsmarktbuden machen, das ist jedes Jahr ein Theater, und den Journaldienst für die Feiertage müsst’ ich auch langsam festlegen. Dabei haben wir immer noch keinen Ersatz für die Resi, die geht mit Jahresende endgültig in Pension.“

„Meinst’ nicht, sie würde notfalls noch ein paar Monate dranhängen?“

„Vermutlich, aber das ist auch keine Lösung. Es bleibt jetzt schon allerhand liegen, weil sie seit der letzten Verlängerung nur noch zwanzig Stunden arbeitet – wenn sie arbeitet. Du glaubst nicht, wieviel Zeit die mit Tratschen verbringt.“

„Irgendwie versteh’ ich sie. Sobald sie nach Hause kommt, hat sie niemand zum Reden. Der Tratsch auf der Gemeinde wird ihr in der Pension sicher fehlen.“

„Mir net“, antwortete er grimmig.

„Ich verstehe dich, mich hat es auch immer geärgert, wenn in der Praxis eine Menge zu tun war und im Vorzimmer nichts weitergegangen ist. Aber seit Schwester Berta bei uns ist, gibt’s das nicht mehr. Sie ist zwar ein wenig speziell, aber ich habe noch nie gehört, dass sie privat telefoniert hätte.“

„Mit wem auch?“, fragte Ludwig, während er die Haustür aufschloss.

Liesl nickte. „Auch wieder wahr. Im Grunde ist es traurig, wenn jemand so gar niemand hat.“

„Bist du sicher? Ich mein’, was wissen wir schon von ihr? Vielleicht hat sie einen heimlichen Verehrer.“

„Unsere Berta? Das meinst’ jetzt nicht ernst?“

Ludwig grinste. „Weiß man’s?“

*

Als Ludwig am Freitag mit etwas Verspätung ins Gemeindeamt kam, wartete bereits Hans Winter, der Vertreter der Opposition, auf ihn.

„Host mi vergessen?“, fragte Hans kämpferisch.

Ludwig schüttelte den Kopf, murmelte „’tschuldige, ich wurde aufgehalten“, und bedeutete ihm, gleich mitzukommen.

„Was kann ich für dich tun?“

„Für mich kannst’ nix tun, aber für die Grete.“

„Welche Grete?“

„Die Brunnerin. Die tät’ so gern wieder amoi ihre Deckerln in einer der Buden auf dem Weihnachtsmarkt verkaufen, die wir gratis vergeben.“

„Na bitte, net scho wieder der Brunnerin ihre Deckerln.“

„Kann ja sein, dass dir de net g’fallen, aber die Grete brauchat a bisserl a zusätzliches Geld, für Weihnachten halt.“

Ludwig seufzte und lehnte sich zurück. „Das Problem ist weniger, dass die Deckerln mir net g’fallen, aber die mag ja sonst auch keiner mehr. Kann die Grete denn sonst nix, außer Deckerln häkeln?“

Sein Gegenüber zuckte die Schultern. „I glaub net.“

„Geh bitte, Hans, frag sie. Ich hab’ wirklich nichts gegen die Grete, sie hat’s nie leicht g’habt, und von mir aus soll sie sich a bisserl was dazuverdienen, aber bitte, keine Häkeldeckerln.“

„Also gut, ich sag’s ihr. Aber der Alois kriegt den Stand für seine Würstel?“

„Ja sicher, wenn er die Standgebühr bezahlt.“

„Na, na. Eine der Gratisbuden natürlich. Des haumma im Vorjahr so ausg’macht.“

Jedes Jahr dasselbe Theater, dachte Ludwig und seufzte. „Aber du hast doch g’rad g’sagt, dass du die Bude für die Grete haben willst.“

„Das hob i net g’sagt. Die Grete braucht eine Bude und unserer Partei steht doch auch eine Gratisbude zu.“

„Wie jedes Jahr“, bestätigte Ludwig. „Und die bekommt heuer die Grete.“

„Wie kommst da drauf? Unsere Bude bekommt wie jedes Jahr der Alois.“

„Und welche soll ich dann der Grete geben?“

„Eure vielleicht?“

„Sicher nicht, die bekommt der Dorfwirt, wie jedes Jahr.“

„Der könnt’ ja zur Abwechslung einmal dafür zahlen.“

„Dafür stellt er uns für den Kathreintanz seinen Saal gratis zur Verfügung“, erklärte Ludwig und warf einen Blick auf die Uhr. Er hatte heute noch einiges zu tun. Also würde er die Sache abkürzen. „Weißt was, ich lasse eine Bude mehr aufstellen, ausnahmsweise, wir haben eh noch eine im Lager. Aber dann soll mir ja keiner daherkommen und sich beschweren, dass er irgendwo nicht stehen bleiben oder schlecht durchgehen kann.“

Sein Gegenüber nickte, hatte aber offenbar immer noch nicht genug vom Budenthema. „Bekommt der Schorsch auch wieder eine Bude?“

„Auch wie jedes Jahr.“

„Aber ehrlich, dem seine Vogelfotos interessieren doch keinen Menschen.“

„Stimmt, aber die Grünen müssen eine Bude bekommen, und ich kenn’ sonst keinen Grünen, der etwas verkaufen will.“

„Ich kenn’ außer dem Schorsch überhaupt keinen Grünen in Waldstetten“, moserte Hans.

„Einige wird’s wohl geben, irgendwer muss die Kreuzerln auf den Stimmzetteln ja gemacht haben. Sonst noch was?“

Hans Winter sah ihn erstaunt an. „Wos bist’n so hektisch? Bist’ im Stress?“

Ludwig nickte. „Ich muss den blöden Jahresbericht in Sachen Grundeinkommen heute noch fertig machen.“

„Ich würde dir die Arbeit gern abnehmen“, bot Hans Winter mit breitem Grinsen an.

Ludwig winkte ab. „Das kann ich mir gut vorstellen, aber wie du weißt, haben wir den Inhalt meines Berichtes in der letzten Gemeinderatssitzung schon besprochen.“

„Besprochen? Überstimmt habt ihr uns!“

Ludwig nickte. „Weil wir die Mehrheit im Gemeinderat haben. Man nennt es auch Demokratie.“

„Ich bleib dabei. Das Bedingungslose Grundeinkommen ist das Modell der Zukunft. Es jetzt abzudrehen, ist zukunftsvergessen und zutiefst unsozial.“

„Geh bitte, das liegt doch eh net bei uns“, stöhnte Ludwig. „Mein Bericht ist nichts anderes als ein winziger Mosaikstein in einem Bild, das sich die Verantwortlichen in Brüssel vor der Entscheidungsfindung anschauen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Deshalb werde ich auch nichts hineinschreiben, das meinen Anschauungen zutiefst widerspricht.“

„Gar so unsozial bist du doch sonst nicht.“

„Sag jetzt nicht, du hältst es für sozial ausgewogen, dass bei uns die Hälfte der Bevölkerung mehr arbeitet als je zuvor, während der andere Teil den Herrgott einen guten Mann sein lässt.“

Darauf ging Hans nicht ein. Dafür keifte er: „Und was ist mit den Mindestpensionisten? Meine Mutter bekommt dann keine tausend Euro mehr.“

„Nicht zu vergessen die Mieteinnahmen für das Ausnahmehäusel, das sie um teures Geld an einen meiner Maurer vermietet. Aber egal, das ist so und so kein Argument für das Grundeinkommen. Es muss intelligentere Modelle geben, als alle Bürger gleichmäßig mit Geld zu begießen, was die einen kaum reicher macht, die anderen zu Systemschmarotzern werden lässt, und für die wichtigen Dinge ist dann kein Geld mehr da. So ein Schmarren.“ Wie immer, wenn es um dieses Thema ging, hatte sich Ludwig in Rage geredet. Jetzt fügte er in ruhigerem Ton hinzu: „In einem gebe ich dir allerdings recht. Für die Mindestpensionisten, die früher in unserer Region mit ihren Pensionen meist ganz gut über die Runden gekommen sind, wird es nach dem Auslaufen der Modellregion schwieriger werden, weil die Preise in der Zwischenzeit deutlich angezogen haben.“

„Schön, dass du wenigstens das zugibst.“

„Schon, aber dafür wird man sich was Besseres einfallen lassen müssen.“

„Vielleicht sollten wir wenigstens diese Passage gemeinsam formulieren“, schlug Hans vor.

„Danke, Herr Lehrer, des schaff’ ich grad noch“, winkte Ludwig ab. „Apropos Lehrer. Dein Exkollege, der Wallner Erich, ist so ein typisches Beispiel für einen Systemschmarotzer. Der ist doch nicht hierhergezogen, um sich um seine Mutter zu kümmern, das haben ja auch bisher die Fanny und der Hubert g’macht, der ist gekommen, um für sich und seine Sieglinde das Grundeinkommen zu kassieren.“

„Dafür muss er hinkünftig im Schloss eine ganz ordentliche Miete berappen.“

„Der Erich zieht ins Schloss?“

Hans nickte. „Hat dir das deine Schloss-Freundin noch gar nicht erzählt?“

„Nein, leider. Hätt’s mich g’fragt, ich hätte ihr abgeraten.“

Hans warf ihm einen verständnislosen Blick zu. „Wieso? Der Erich passt ins Schloss. Er ist doch ein kultivierter Mann.“

Ludwig zuckte die Schultern. „Möglich, aber einer, der seine Giftpfeile aus dem Hinterhalt abschießt. Pass nur auf, dass er vor der nächsten Wahl nicht in deine Richtung zielt.“

„Meinst?“

Ludwig nickte. Dann fügte er grinsend hinzu: „Aber wennst Glück hast, ist das Grundeinkommen bis dahin eh Geschichte. Dann bist’ den Erich wieder los.“

Dann erhob er sich und reichte seinem Besucher die Hand, zum Zeichen dafür, dass er das Gespräch für beendet hielt.

3. Ludwig – Halloween und andere Vorboten

Nach der Sonntagsmesse war der Besuch beim Dorfwirt für den Waldstettener Bürgermeister Pflicht. Eine Pflicht, die Ludwig nicht ungern erfüllte. Sollte er unter der Woche etwas verpasst haben, so erfuhr er es hier.

Als der Wirt das obligate Krügerl vor Ludwig hinstellte, erinnerte er ihn: „Weißt eh, wir zwei haben noch was zu besprechen.“

Ludwig tat einen kräftigen Schluck, dann fragte er: „Und zwar?“

„Wegen dem Kathreintanz. Ich hab’ einfach zu wenig Personal.“

Ludwig krauste die Stirn. „Heißt jetzt was?“

„Also, ihr könnt’s natürlich den Saal haben, und Getränke servieren könn’ ma schon auch, da hilft mir mei Bua, aber ich hab’ niemand für die Küche, und die Poldi kann des net allein stemmen.“

Ludwig nickte. „Versteh ich. Ich denk drüber nach.“

Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Ein Jahr ohne Kathreintanz, das ging gar nicht. Das wäre eine Bankrotterklärung für ihn als Bürgermeister, da musste ihm etwas einfallen. Die Roten würden sich die Hände reiben. Kam nicht in Frage. „Kathrein stellt den Tanz ein“, hieß es im Volksmund. So wars immer, so sollte es bleiben. Dabei stellte Kathrein den Tanz schon länger nicht mehr ein – aber das war eine andere Geschichte, keine Zeit, darüber nachzudenken, sein Schwager Anton kam auf ihn zu.

„Griaß di Ludwig. Sag, suchst du noch jemand für den Job im Gemeindeamt?“

Ludwig nickte zustimmend.

„Dann soll ich dir einen schönen Gruß von deiner Nichte Bettina sagen. Sie hätt’ vielleicht jemand für dich.“

Ludwig verdrehte die Augen. „Noch so eine angehende Immobilienexpertin?“

Seine Nichte studierte Immobilienmanagement und hatte ein Praktikum bei ihm gemacht, das Ludwig nicht in besonders guter Erinnerung hatte.

„Diesmal net, die Tini ist noch eine Freundin aus grauer Vorzeit und hat nur die Handelsschule gemacht, aber des würd’ fürs Sekretariat ja reichen. Meinst net?“

„Doch, schon.“

„Sie lebt allerdings in Hollabrunn und bräucht’ daher eine kleine Wohnung oder ein Zimmer in Waldstetten, damit sie net jeden Tag hin- und herfahren muss.“

„Du bist gut, wo soll i des denn hernehmen?“

„Dir wird schon was einfallen. Die Tini wird sich dann bei dir melden.“

Ludwig nickte. „Is recht. Magst a Bier?“

„Sonst immer gern, aber jetzt muss ich heimfahren. Unser Ferdinand kommt mit seiner Sippe zum Essen. Wenn ich da net rechtzeitig daheim bin, spinnt deine Schwester wieder.“

Das konnte Ludwig sich lebhaft vorstellen. Dennoch sagte er: „Sag ihr einen schönen Gruß von mir.“

„Mach ich, vielleicht verbessert das ihre Laune.“

„Damit würde ich an deiner Stelle eher nicht rechnen“, meinte Ludwig grinsend und wandte sich dem nächsten Gesprächspartner zu.

*

„Schachmatt“, sagte Liesl am Sonntagabend, stand auf und streckte sich. „Du hast mir’s heut’ aber leicht gemacht. Revanche?“

„Lieber net, mir geht so viel durch den Kopf“, antwortete Ludwig und gähnte. „Ich glaub, ich geh besser schlafen.“

„Das halte ich für keine gute Idee.“

Er sah sie überrascht an. „Schlafen zu gehen?“

„Schlafen zu gehen, ohne mir erzählt zu haben, was dir alles durch den Kopf geht, kann ich dir aus ärztlicher Sicht nicht empfehlen.“

Ludwig lehnte sich wieder in seinem Fauteuil zurück. „Also gut. Erstens habe ich morgen eine Besprechung bei der Baubehörde, die unangenehm werden könnte. Aber gut, so etwas haben wir ja öfter. Dann hat der Anton mir heute eine Sekretärin für das Gemeindeamt in Aussicht gestellt, eine Freundin von Bettina, aber die wohnt in Hollabrunn und bräuchte hier ein Zimmer, weil täglich hin- und herfahren ist ihr zu weit.“

„Verständlich, vor allem im Winter.“

„Verstehen tu ich’s auch, aber Zimmer hab’ ich kein’s.“

„Wie wäre es mit dem Gästezimmer bei deinen Eltern? Das hat eine eigene Dusche und das WC im ersten Stock nützen deine Eltern sowieso nie.“

„Du glaubst doch nicht, dass die zwei alten Sturköpf’ dem zustimmen würden.“

„Paffler’sche Sturköpf’ halt“, antwortete Liesl lächelnd. „Aber wenn du sie schön bittest und ihnen sagst, dass du sonst ab Jänner allein im Gemeindeamt sitzt, glaube ich schon, dass sie zustimmen würden.“

Ludwig schnaufte.

Liesl reichte ihm das Telefon. „Magst du sie gleich anrufen? Die zwei sind eh immer bis Mitternacht auf.“

Er winkte ab. „Ich fahr’ morgen vorbei. Aber vielleicht hast du ja für mein nächstes Problem auch eine Lösung? Unser Dorfwirt kann für den Kathreintanz keine Verpflegung anbieten, weil er keine Küchenhilfen findet. Wir können unseren Leuten ja schlecht sagen, sie sollen sich ihr Essen mitbringen.“

Liesl kicherte. „Wär’ aber einmal eine Abwechslung. Kathreintanz mit Picknick hatten wir noch nie. Die Jungen wollen eh immer alles anders machen.“

„Sehr witzig.“

„Aber im Ernst. Notfalls müssen die Waldstettener halt gemeinsam ein Buffet auf die Beine stellen. So eine Art Bottleparty.“

„Bottleparty? Nie gehört. Aber Bottle brauchen sie eh keine mitbringen, für die Getränke sorgt der Wirt immerhin doch noch.“

„Ich halte fest: Wir haben einen Saal, es gibt etwas zu trinken und das süße Zeug macht sowieso immer der Weißmaier. Das ist ja schon mal ein Anfang. Hm. Vielleicht springt Steffi mit ihrem Catering ein? Ich könnt’ morgen mit ihr reden. Sie kommt mit ihrem Jüngsten zu mir in die Praxis.“

„Einen Versuch wär’s wert.“

„Na bitte, war das alles? Dann könnten wir jetzt tatsächlich schlafen gehen.“

„Eins noch!“, hielt Ludwig sie zurück. „Anna will doch unbedingt auf diese Halloween-Party.“

„Ach, hat sie dir auch die Ohren vollgesungen? Ich habe ihr schon gesagt, das kommt nicht in Frage, das Kind ist dreizehn.“

Ludwig grinste. „Also mit dreizehn wollten wir auch nicht mehr als Kinder bezeichnet werden. Aber davon abgesehen meint Anna, es sei gar keine richtige Party, nur so ein Zusammentreffen im Jugendzentrum.“

„Ach so, sie hat dich schon um den Finger gewickelt.“

„Nein, ich hab’ ihr eh gesagt, dass du das entscheiden musst“, antwortete Ludwig bestimmt, um dann hinzuzufügen: „Aber solltest du deine Zustimmung geben, dass sie, sagen wir bis zehn oder elf bleiben darf, würde ich sie abholen. So, jetzt sollten wir aber wirklich schlafen gehen.“

Mit sich und der Welt zufrieden, machte er sich auf den Weg ins Badezimmer. Mission erfüllt.

*

Als Ludwig sich am nächsten Morgen aus dem Staub machen wollte, bevor Anna und Liesl fröhlich plaudernd die Küche bevölkerten – wofür er frühmorgens gar keinen Nerv hatte – stand plötzlich Anna vor ihm und flüsterte: „Hast du mit Mama gesprochen?“

Ludwig nickte nur. Wie gesagt, er war kein Morgenmensch.

„Und? Darf ich?“

Er zuckte die Schultern. „Abwarten. Hat ja noch Zeit.“

„Meinst du, ich kann mich schon um ein Kostüm kümmern?“

Ludwig steckte noch ein Haferkeks in den Mund, dann stellte er die Packung in den Schrank zurück und sagte: „Kleine Lebensweisheit: Man soll das Fell des Bären nicht verteilen, bevor er erlegt ist.“

Nach dieser – für seine Verhältnisse und bezogen auf die Uhrzeit – ausufernd langen Rede nickte er ihr zu und ging nahezu beschwingt zu seinem Auto.

Er fand, das hatte er schon einmal ganz gut gemacht. Am liebsten hätte er sich selbst auf die Schulter geklopft: „Weiter so, Ludwig!“

Tatsächlich hatte er an diesem Tag noch einige Pluspunkte zu verbuchen, unter anderem hatten seine Eltern zugesagt, das Gästezimmer an Bettinas Freundin zu vermieten. Vorerst auf drei Monate, zur Probe, dafür zu einem lächerlich geringen Preis.

Doch als er am nächsten Tag Martina Kulla gegenübersaß, die ihn zwar treuherzig anlächelte, aber offenbar nicht die geringste Ahnung zu haben schien, was in einem Gemeindeamt zu tun war, fragte er sich, ob das nicht ein wenig voreilig gewesen war.

Vielleicht hätte er erst das Vorstellungsgespräch führen und ihr danach das Zimmer bei seinen Eltern besorgen sollen. Die junge Dame war zwar ausgesprochen freundlich und durchaus motiviert, allerdings schien sie nicht die allerhellste Kerze zu sein. Egal. Er hatte für das Dienstverhältnis eine Probezeit von drei Monaten vereinbart. Außerdem gab es eh keine andere Bewerberin.

4. Gloria – Keine Zeit für Ehestreit

Wie von Gloria nicht anders erwartet, hatte Marie, die Chorleiterin, den ehemaligen Ballsaal des Schlosses als ‚für kleinere Konzerte durchaus geeignet‘ durchgehen lassen. Gloria nahm dies mit einem Lächeln zur Kenntnis und bat Marie in die Wohnung, wo der Kaffeetisch bereits gedeckt war.

Während sie mit einem Ohr deren Erzählungen über die einzelnen Chormitglieder lauschte, überlegte Gloria, wen sie – außer den Waldstettenern – noch zu diesem Event einladen konnte. Schließlich diente der ganze Aufwand vor allem dazu, das Schloss bekannter zu machen, um so, über Eintrittsgelder, Saalmiete et cetera, zu mehr Einnahmen zu gelangen, damit der Bankheini endlich Ruhe gab.

Gleich morgen würde sie sich daranmachen, die Einladungen zu gestalten. ‚Advent im Schloss‘ schien ihr eine geeignete Bezeichnung für das Event, dazu vielleicht ein Winterfoto des Schlosses. Onkel Konrad hatte im ersten Jahr etliche Fotos gemacht, sicher fand sich da etwas Geeignetes. Mit dem Versenden sollte sie dann aber doch besser bis nach der nächsten Probe warten.

Obwohl sie nicht daran zweifelte, dass ihre Idee genial war, würde sie sich lieber noch einmal versichern, dass Ludwig auf ihrer Seite stand. Als Bürgermeister war er in Waldstetten zwar nicht ganz unumstritten – ihr neuer Mieter, Erich Wallner, ließ kein gutes Haar an ihm –, aber Ludwig konnte auf eine satte Mehrheit im Gemeinderat verweisen und war für viele seiner Befürworter einer, auf dessen Meinung man hörte.

Zum Glück hatte Gloria immer noch mit einem Ohr Marie zugehört, denn nun fragte die: „Sag, du warst doch mit den Pafflers heuer in Rom. Stimmt es, dass euer Kardinal Gruber eine Freundin hat?“

Gloria nickte, schließlich war das allgemein bekannt. „Er hat im Frühjahr seine ehemalige Jugendfreundin wiedergetroffen.“

„Eine Stettenkirchnerin soll’s sein, hab ich g’hört. Kenn’ ich sie?“

„Das weiß ich nicht“, versuchte Gloria, sich mit einem Lächeln aus der Affäre zu ziehen, obwohl sie ziemlich sicher war, dass die beiden einander kannten. So groß war Stettenkirchen auch wieder nicht.

Marie sagte nichts, sah sie nur erwartungsvoll an, doch Gloria schwieg vorerst. Sie wollte nicht unhöflich sein, aber aushorchen wollte sie sich auch nicht lassen. Als Marie sie weiter erwartungsvoll ansah, beantwortete sie die unausgesprochene Frage immer noch lächelnd mit den Worten: „Ich dachte, die Geschichte ist eh im Umkreis von hundert Kilometern durch.“

Marie nahm den letzten Schluck Kaffee und stand auf: „Also gar so interessant ist euer Kardinal jetzt auch wieder nicht.“

Gloria lächelte immer noch, nickte zustimmend und erhob sich ebenfalls.

„Das mein’ ich auch. Danke, dass du da warst. Komm, ich begleite dich noch zu deinem Wagen.“

*

Wie von Gloria nicht anders erwartet, wurde am darauffolgenden Mittwoch von den Chormitgliedern mehrheitlich der Beschluss gefasst, das Adventkonzert diesmal im Schloss und mit einem etwas anderen Rahmenprogramm durchzuführen. Die Entscheidung war knapper ausgefallen als erwartet, doch das war für Gloria nur ein Grund mehr, sich voller Elan in die Vorbereitungen zu stürzen.

Gleich morgen musste sie mit Steffi über das Catering reden. Außerdem hatte Daniel heute – nicht ganz zu Unrecht, wie sie zugeben musste – darauf hingewiesen, dass die vorhandene Bestuhlung möglicherweise nicht ausreichen könnte. Im Moment hatten sie 80 Stühle. Ob man notfalls die Heurigenbänke, die sie im Sommer im Hof aufgestellt hatten, dazustellen konnte? Aber wie sah denn das aus? Nach einigem Hin und Her beschloss sie, erst einmal abzuwarten, wer überhaupt kommen würde.

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Auch die Sache mit dem Catering gestaltete sich unvermutet problematisch. Steffi war zwar Feuer und Flamme, aber ihr Mann Florian hatte plötzlich Bedenken.

„Also ich weiß nicht. Jetzt haben wir erst zugesagt, das Buffet für den Kathreintanz zu machen. Wir sind doch nach Waldstetten gezogen, um der Tretmühle zu entkommen und mehr Zeit für unsere Kinder zu haben. Und was ist jetzt? Jetzt arbeiten wir mehr als je zuvor, finden weder für den Laden noch fürs Catering eine Hilfskraft, und ohne die Unterstützung unserer Eltern kämen wir gar nicht über die Runden. Das ist nicht, was wir wollten.“

„Wir sind hierhergekommen, weil du alte Gemüsesorten anpflanzen wolltest“, entgegnete Steffi ungewohnt heftig. „Hat nicht ganz geklappt, und ohne meinen Laden, der ursprünglich nur als Absatzmarkt für deine Warzengurken gedacht gewesen war …“

„Bittergurken“, stellte Florian klar.

„Von mir aus, Bittergurken. Jedenfalls wären wir ohne den Laden nicht über die Runden gekommen.“

„Du vergisst das Grundeinkommen“, warf Florian mit vor Zorn funkelnden Augen ein.

Steffi baute sich vor ihm auf und stemmte die Hände in die Seiten. „Und du vergisst scheinbar, dass es sich dabei um ein zeitlich befristetes Projekt handelt, von dem niemand weiß, wie lange es überhaupt noch fortgeführt wird.“

„Und dass mein Bio-Blog in der Zwischenzeit Einnahmen erwirtschaftet zählt gar nicht – oder wie?“ Das hatte schon reichlich aggressiv geklungen.

„Der steht doch erst am Anfang. Ohne mein Catering …“, setzte Steffi an.

„Bitte, macht das unter euch aus. Ich will nicht Zeuge eures Ehekrachs werden“, fuhr Gloria dazwischen und entfloh.

Das hatte ihr gerade noch gefehlt. So kannte sie die beiden gar nicht. Hoffentlich setzte Steffi sich durch, wer sonst sollte für die Verpflegung ihrer Gäste sorgen?

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In den nächsten Tagen hörte Gloria weder von Steffi noch von Florian und sah ihr Waldviertler Schmankerlbuffet langsam dahinschwinden. Stattdessen erschien vor ihrem geistigen Auge der riesige Wurstkessel des Dorfwirts. Notfalls besser als nichts, aber nicht ganz das, was sie sich vorgestellt hatte. Es ging auch nicht nur um diesen Abend. Sie wollte den Festsaal schließlich für Feste vermieten, am liebsten samt Catering. Bisher konnte sie immer davon ausgehen, dass Steffi das Catering machte. Gloria hatte nur Ideen geliefert und bei der Umsetzung geholfen, aber Steffi hatte alles kalkuliert, schon zusätzliches Geschirr angeschafft, und war auch in der Küche die Geschicktere. Ohne Steffis Catering war der Festsaal nur halb so attraktiv.

Steffi meldete sich erst am Wochenende: „Ich wollte dir nur sagen, ich mache das Catering – vorausgesetzt, dass du mir hilfst.“

„Selbstverständlich, meine Liebe. Da fällt mir jetzt aber ein Stein vom Herzen. Aber – was sagt denn Florian dazu? Habt ihr euch wieder versöhnt?“

„Sagen wir, wir haben uns darauf geeinigt, dass ich mich allein ums Catering kümmere, und er mit den Buben etwas unternimmt. Sicher gibt es irgendwo ein Fußballmatch, dann sind alle vier gut unterhalten.“

„Das heißt im Klartext, wir brauchen männliche Unterstützung für die Anlieferung“, schlussfolgerte Gloria.

„So ist es.“

„Mach dir keine Sorgen, Daniel hilft uns bestimmt und vielleicht kann auch Herr Hossein, der Mann meiner Putzperle, helfen“, versprach Gloria. „Sonst wieder alles in Ordnung bei euch?“

Steffi seufzte. „Mehr oder weniger. Im Grunde muss ich Flo ja recht geben. Wir arbeiten mehr als früher, das stimmt schon. Der Unterschied ist, dass er von seinem Part nicht sonderlich begeistert ist, während es mir verdammt viel Spaß macht. Flo war immer der bessere Journalist von uns beiden. Er gibt es nicht zu, aber ich glaube, das fehlt ihm.“

„Dir nicht?“

„Nicht einmal annähernd.“

Nach dem Telefonat machte Gloria sich auf den Weg in Daniels Studierstube. Der war zwar nicht begeistert, aber natürlich versprach er am Ende, ihnen zu helfen.

5. Liesl – Ab Allerheiligen wird’s ernst

„Wer für Weihnachten a Wild braucht, muss es mir spätestens bis Ende November sagen!“, verkündete Anton, Liesls Schwager, am Allerheiligentag beim Dorfwirt. Als Förster war er auch für die Jagd verantwortlich.

„Dass jemand Spaß daran hat, Tiere zu töten, kann ich immer noch nicht verstehen“, meinte Steffi kopfschüttelnd.

„Tua net so, die Bio-Hendln, die du in deinem Laden verkaufst, müssen ja auch geschlachtet werden“, meinte der Wirt im Vorübergehen und der Wallner-Bauer murmelte: „Typisch Zuag’raste, von nix hams a Auhnung.“

„Das habe ich gehört“, rief Steffi ihm mit einem etwas verkniffenen Lächeln nach. Vermutlich hielt sie sich zurück, weil seine Frau, die Fanny, eine gute Kundin war.

Liesl verstand sowohl Steffi als auch ihren Schwager, der mit unverhohlener Häme antwortete:

„Wir können die überzähligen Wildschweine leider nicht zu Tode streicheln.“ Dann setzte er im Normalton hinzu: „Wir kommen ja mit dem Schießen schon kaum nach.“

Seine Frau Traudl, Ludwigs Schwester, die ausnahmsweise mitgekommen war, weil sie nachher bei den Alt-Pafflers zum Mittagessen waren, fügte belehrend hinzu: „Die Jagd gehört nun einmal zum Wald. Das war immer schon so.“

Florian überhörte sie geflissentlich. „Bei den Wildschweinen magst du recht haben“, sagte er zu Anton gewandt, „aber ihr schießt ja alles, was euch vor die Flinte kommt.“

„Blödsinn. Wir schießen, was wir schießen müssen, um ein Gleichgewicht der Arten herzustellen, dadurch schützen wir den Wald und andere Arten.“.

„Das könnte man doch auch der Natur überlassen“, konterte Florian.

„Wir haben keine Naturlandschaften mehr, in denen die Selbstregulation funktionieren würde. Außerdem ist Wildfleisch gesund, hat wenig Fett und kaum Cholesterin“, belehrte ihn Anton.

„Essen Sie denn keines?“, fragte Traudl und sah dabei aus, als fühlte sie sich von Florians Skepsis gegenüber der Jagd persönlich beleidigt.

„Manchmal“, gab Florian zu.

„Siehst!“, fiel Anton ein. „Und wir gehen jetzt zu meiner Schwiegermutter, dort gibt’s heute Feldhasen in Rahmsauce mit flaumigen Knödeln. Wie immer zu Allerheiligen.“ Dann wandte er sich an Liesl und Ludwig. „Seid’s ihr so weit?“

„Wenn’s um Feldhasen geht, immer“, meinte Ludwig.

„Mit Rahmsauce, eh klar, weil der Hase sonst zu wenig Fett hat“, feixte Florian, der, passend zu seinem Bio-Blog, neuerdings auch gerne den Ernährungsberater gab.

*

Als Liesl die gemütliche Wohnküche ihrer Schwiegereltern betrat, war der Ecktisch, an dem acht Personen gemütlich Platz fanden, bereits gedeckt – und zwar für acht Personen, obwohl sie doch nur zu sechst waren. Offenbar hatte ihre Schwiegermutter vergessen, dass weder Anna noch Bettina kommen würden.

---ENDE DER LESEPROBE---