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Die Zustände im Vatikan rufen sogar den lieben Gott auf den Plan. Sonst ein eifriger Verfechter des freien Willens beschließt er, Papst Leo einen kleinen Hinweis zu geben, und bedient sich dabei höchst irdischer Mittel. In Band 1 hat Papst Leo die Begegnungen mit seiner Schwester Katharina und seiner ehemaligen Studienkollegin Erika zu verkraften. Die beiden bringen sein Weltbild ganz schön durcheinander. Richtig gefährlich wird es für Leo dann in Band 2, als er sich daran macht, den Machenschaften in der Vatikanbank ein Ende zu setzen.
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Die Originalausgaben erschienen 2012 und 2015
bei Brigitte Teufl-Heimhilcher
www.teufl-heimhilcher.at
1. E-Book-Auflage 2016
© 2012, 2015 Brigitte Teufl-Heimhilcher
E-Book-Erstellung: mach-mir-ein-ebook.de
Cover-Gestaltung: Xenia Gesthüsen
Alle Rechte vorbehalten.
Schriften: »Charis« von SIL International, diese Schriftarten sind unter der Open Font License verfügbar.
Da soll doch gleich einmal der Blitz dreinschlagen!
Irgendetwas scheine ich in meiner göttlichen Allmacht falsch gemacht zu haben. Diese Menschen haben immer noch nicht kapiert worum es in ihrem Erdenleben geht. Vielleicht war die Sache mit dem freien Willen doch etwas übertrieben.
Dabei habe ich es doch an nichts fehlen lassen. Erst habe ich ihnen die zehn Gebote gegeben, die waren ja wohl klar und deutlich. Aber es hat nichts genützt! Also habe ich vor kurzem auch noch meinen Sohn geschickt. Mit allem Brimborium. Sogar Eltern habe ich ausgesucht, war alles gar nicht einfach. Dreiunddreißig Jahre hat er unter ihnen gelebt, ihnen alles gesagt und erklärt, dabei Kranke geheilt und den Sündern verziehen. Hat es genützt? Mitnichten.
Ja gut, ein paar Mal hat er getrickst. Übers Wasser zu gehen und aus Wasser Wein zu machen, das hätte vielleicht nicht sein müssen, das könnte den ein- oder anderen nachhaltig verwirrt haben. Manche versuchen das immer noch. Wasser zu Wein zu machen ist ihnen noch nicht vollständig gelungen, dafür machen sie aus Schimmelpilzen Erdbeeraroma – aber so war das doch nicht gemeint! Na gut, das sind Kleinigkeiten: Peanuts sagen sie neuerdings. Jedenfalls haben wir nichts ausgelassen, das volle Programm durchgezogen, inklusive Tod und Auferstehung. Damit haben wir sie allerdings auch etwas überfordert, an der Sache mit der Auferstehung kiefeln sie heute noch.
Das Unerträglichste aber ist, dass die Herrschaften aus der Kommandozentrale in Rom, besser gesagt im Vatikan - sie mussten ja gleich einen eigenen Staat haben - um nichts besser sind. Was sage ich – schlechter noch! Eine teuflische Mischung aus Ängstlichkeit und Überheblichkeit ist dort am Werk. Veränderungen fürchten sie wie der Teufel das Weihwasser, dabei sind sie von einer Überheblichkeit, die ich nur schwer ertrage. Ja gut, nicht alle, natürlich nicht, das wäre ja auch noch schöner!
Vielleicht hätte ich mich beim letzten Konklave doch deutlicher zu Wort melden sollen – manche haben mich darum gebeten – aber ich wollte ihnen ja wieder einmal ihren freien Willen lassen.
Jetzt überlege ich, doch wieder einmal ordnend einzugreifen. Nein, keine Sintflut diesmal, nur ein ganz kleiner Fingerzeig, eine Andeutung, dass etwas falsch läuft. Aber an wen soll ich mich wenden? Es müsste schon jemand sein, der klug genug ist, es zu verstehen. Unter denen, die sie großspurig „Laien“ nennen, gäbe es etliche, aber würden sie denen glauben? Vermutlich nicht. Dann also jemand, der in ihrer Hierarchie – die im Übrigen auch nicht meine Idee war - ziemlich weit oben steht.
Vielleicht sollte ich es gleich mit dem Papst versuchen. Dieser Leo ist zwar auch ziemlich überheblich, aber immerhin scheint er guten Willens zu sein, und hat nicht eine seiner Schwestern ohnehin noch ein Hühnchen mit ihm zu rupfen? Da war doch was …
Katharina blickte auf die Uhr, massierte kurz die Schläfen und drückte den Knopf der Sprechanlage: „Der Nächste, bitte!“ Es war ein langer Tag gewesen, sie war müde und freute sich auf einen gemütlichen Abend.
„Fertig für heute“, antwortete ihre Sprechstundenhilfe. „Nur ein junger Mann vom Kurier wartet noch auf Sie.“
„Ist er angemeldet?“
„Das nicht“, flüsterte die Sprechstundenhilfe, „aber ich denke, er kommt wegen Ihres Buches. Jedenfalls hat er eine Kamera dabei.“
„Dann soll er hereinkommen.“
Katharina zog rasch die Lippen nach, noch während sie den Stift wieder in ihre Handtasche gleiten ließ, rief sie: „Herein!“
Der junge Mann, er mochte etwa dreißig sein, erwiderte ihren kräftigen Händedruck, das gefiel ihr, sie konnte es nicht leiden, wenn die Hand des anderen schlaff in der ihren lag. „Mein Name ist Felix Winter. Ich komme im Auftrag des Kuriers und würde Ihnen gerne ein paar Fragen stellen.“
„Das freut mich“, antwortete sie. „Ich habe eigentlich gedacht, mein Buch sei schon in der Rundablage gelandet. Bitte, nehmen Sie Platz.“
„Sie haben ein Buch geschrieben?“, fragte er, während er sich setzte.
Diese schlichte Frage ließ Katharinas Müdigkeit schlagartig zurückkommen.
„Über Allergiebehandlung, ich dachte, deswegen seien Sie gekommen“, antwortete sie dementsprechend gereizt.
„Leider nein“, erwiderte Felix Winter und schickte dieser Nachricht ein gewinnendes Lächeln nach. „Ich komme sozusagen in heikler Mission.“
Er machte eine Pause, sie bedeutete ihm weiterzusprechen.
„Wie Sie sicherlich wissen, findet heuer im September der Welt-Jugend-Tag in Wien statt.“
Während Katharina zustimmend nickte, spürte sie, wie ihr Puls schneller wurde. Er sah sie fragend an, doch sie hatte nicht vor, ihm entgegenzukommen.
„Aus diesem Anlass wird Papst Leo seiner Heimat einen Besuch abstatten. Ich nehme an, auch das ist Ihnen bekannt.“
Sie nickte abermals. „Es stand so etwas in der Zeitung.“
„Ich nehme weiter an, Sie sind diesbezüglich nicht auf die Informationen der Medien angewiesen.“
„Da irren Sie, junger Mann.“
„Aber Sie sind doch eine Schwester des Papstes?“
Sie ließ einen Augenblick vergehen, ehe sie antwortete: „Wie kommen Sie darauf?“
„Ich habe ein wenig im Internet recherchiert. Der Papst hieß mit bürgerlichen Namen Leo Forstreiter und hat, wie Sie, seine Kindheit im Waldviertel verbracht. Da Forstreiter auch ein Teil Ihres Namens ist und Sie etwa fünf Jahre jünger sind, könnte er Ihr Bruder sein.“
„Könnte er“, nickte sie.
„Wird es ein Treffen zwischen Ihnen geben?“
„Das müssen Sie schon den Heiligen Vater fragen.“
Er schickte abermals ein gewinnendes Lächeln über den Schreibtisch: „Ein Gespräch mit dem Heiligen Vater steht -leider - außerhalb meiner Möglichkeiten.“
„Dann kann ich Ihnen – leider – auch nicht helfen. Papst Leo pflegt seine Pläne nicht mit mir zu besprechen.“
Er lächelte.
„Kann es sein, dass es zwischen Ihnen und dem Heiligen Vater ein … Zerwürfnis gab?“
„Steht das denn auch im Internet?“
Diesmal sah er an ihr vorbei, als er antwortete: „Nur, wenn man zwischen den Zeilen liest. Sie haben an den Feierlichkeiten zum Beginn seines Pontifikates nicht teilgenommen. Zumindest ist in den Zeitungen immer nur die Rede von einer Schwester Maria, einer Klosterschwester. Sie ist auch mehrfach mit Papst Leo abgebildet.“
„Gleich mehrfach, sieh an.“
„Ich schließe aus Ihrer Antwort, dass Sie auch zu Ihrer Schwester kein sehr inniges Verhältnis haben.“
„Sehen Sie, so leicht kann man sich irren.“
„Wollen Sie mir vielleicht etwas darüber erzählen?“
„Eigentlich nicht. Vor allem aber will ich in Ihrer Zeitung auch nichts lesen, was ich nicht erzählt habe. Haben wir uns verstanden?“
Felix Winter hob abwehrend die Hände: „Ich will keine Geschichte erfinden, ich will eine Geschichte erzählen, und ich werde eine Geschichte erzählen, eine wahre Geschichte.“
„Das sollte mich allerdings wundern. Wenn ich Ihnen abschließend noch einen guten Rat geben darf: Versuchen Sie es erst gar nicht bei meiner Schwester, die Mutter Oberin erlaubt keine Interviews.“
Sie stand auf und reichte ihm die Hand. Felix Winter erhob sich ebenfalls: „Sollte Ihnen doch noch etwas einfallen, hier ist meine Visitenkarte. Ich bin jederzeit für Sie zu sprechen. Auf Wiedersehen.“
„Das wollen wir doch nicht hoffen“, antwortete sie und begleitete ihn zur Tür, um sicherzugehen, dass er nicht auch noch versuchte ihre Sprechstundenhilfe auszufragen.
Als sie eine halbe Stunde später ihren Wagen in die Garage fuhr, sah sie, dass ihr Mann schon da war. Schwungvoll betrat sie das Haus: „Axel!“
„Bin im Arbeitszimmer“, kam es aus dem Obergeschoss.
„Und ich dachte, du hast uns schon etwas gekocht“, rief sie zurück.
„Das wünscht du dir aber nicht wirklich.“ Sein grauer Wuschelkopf erschien auf der Treppe.
„Da hast du recht“, lachte sie. „Aber zumindest einen Aperitif könntest du uns machen.“
„Was möchtest du? Campari, Sherry oder ein Glas Tomatensaft?“
„Wie wär’s mit Champagner?“
„Haben wir etwas zu feiern?“, fragte er, während er sich auf den Weg in den Keller machte.
Sie schüttelte den Kopf, küsste ihn im Vorbeigehen und verschwand in der Küche, wo sie die mitgebrachten Lebensmittel abstellte. Mit raschen Handgriffen stellte sie einen großen Topf mit Wasser zu und goss einen Becher Obers in einen deutlich kleineren Topf.
Axel kam zurück, öffnete mit einem Plopp die Flasche und schenkte zwei Gläser voll.
„Worauf trinken wir?“
„Auf deinen Schwager.“
Er sah sie erstaunt an: „Sprichst du von dem, an den ich jetzt denke?“
„Soviel ich weiß, hast du nur den einen.“
„Den Pontifex, der auf unsere Gesellschaft so betrüblich wenig Wert legt?“
Sie nickte und nahm einen Schluck, dann stellte sie ihr Glas auf dem Küchenbord ab. Axel setzte sich auf einen der Barhocker des Frühstücksplatzes und sah sie fragend an. Während sie mit knappen Worten von ihrem Gespräch mit Felix Winter erzählte, verstaute sie die mitgebrachten Lebensmittel.
„Der arme Junge“, lächelte Axel, „sicher hast du ihn abgekanzelt wie einen Schulbuben. Ich möchte nicht an seiner Stelle gewesen sein.“
„Jedenfalls habe ich ihm deutlich zu verstehen gegeben, dass er sich aus der Sache raushalten soll.“
„Und du glaubst, er wird jetzt nach Hause gehen und sich eine andere Story suchen?“
Während sie begann, den Parmesan zu reiben, ließ sie sich diese Frage durch den Kopf gehen: „Du meinst, er wird weiterstöbern.“
„Wäre doch möglich. Stell dir vor, du wärst eine junge Journalistin und hättest eine Riesenstory an der Angel. Würdest du aufgeben, nur weil man dich einmal abweist?“
Katharina wiegte nachdenklich den Kopf. „Welche Möglichkeiten hat er denn? Von mir hat er kaum etwas erfahren, wenn ich auch nicht geleugnet habe, Leos Schwester zu sein. Zu Leo kommt er erst gar nicht, das weiß er selbst, und die arme Maria auszufragen, habe ich ihm, mit Hinweis auf die Mutter Oberin, auch ausgeredet. Es wäre natürlich denkbar, dass er es trotzdem versucht.“
„Oder er fährt nach Gmünd. Bei dem medialen Zirkus, der nach der Papstwahl veranstaltet wurde, erinnert sich jeder an euch und sicher sind etliche gerne bereit, mit ihm zu reden.“
„So klein ist Gmünd auch wieder nicht.“
„Klein genug. Vergiss nicht, er ist Reporter und wird wissen, wie er die Sache angehen muss.“
Da war was dran. Um Zeit zu gewinnen, bat sie ihn, den Tisch zu decken. Axel verzog sich unter Mitnahme der Champagner-Flasche ins Esszimmer.
Während sie die Spaghetti in das kochende Wasser gab und die Käsesauce zubereitete, versuchte sie sich vorzustellen, was sie an Winters Stelle tun würde. Axel hatte recht, aufgeben käme nicht in Frage.
Als sie kurze Zeit später mit der dampfend heißen Pasta ins Esszimmer kam, hatte Axel den Tisch gedeckt und eine CD von Gershwin aufgelegt.
„Eigentlich haben wir ja immer damit gerechnet, dass es eines Tages so kommen wird“, nahm er das Gespräch wieder auf und streute genießerisch frisch geriebenen Parmesan auf die dampfend heiße Pasta, ehe er schwarzen Pfeffer darüber rieb.
„Du meinst also, ich muss noch einmal mit dem Knaben reden.“
„Besser du erzählst ihm die Dinge aus deiner Sicht, als er erfährt dort und da ein Stückchen und setzt sich die Geschichte selbst zusammen.“
Sie überlegte und verspeiste eine Gabel voll Spaghetti, ehe sie sagte: „Na schön, aber dann hätte ich dich gerne dabei. Dich und unsere Tochter Juliane. Was hältst du davon, ihn hierher einzuladen?“
„Von mir aus. Lad ihn zum Essen ein, dann kann er gleich schreiben, was für eine hervorragende Köchin du bist.“
Er prostete ihr zwinkernd zu.
„Schmeichler. Aber die Idee ist ausbaufähig: Wenn ich ihm etwas über mein Leben als Schwester des Papstes erzähle, dann muss er mein Allergiebuch in seinem Artikel erwähnen. So könnte mir die Sache langsam gefallen.“
„Interview gegen Buchbesprechung“ hatte sie am nächsten Tag gemailt und Felix Winter hat kaum länger als zwanzig Minuten gebraucht, um sich den vorgeschlagenen Deal in der Redaktion absegnen zu lassen. Dann hatte sie ihn für Samstagmittag zum Essen eingeladen.
Punkt halb eins läutete es. Sie entriegelte das Gartentor mit einem Tastendruck, entledigte sich ihrer Schürze und ging ihm entgegen.
Was für ein wohlerzogener junger Mann, dachte sie, während sie ihm den mitgebrachten Blumenstrauß abnahm und dabei feststellte, dass er zu den scheinbar unvermeidlichen Jeans zumindest einen dunkelblauen Blazer trug. Schade, dass Juliane für die letzten Prüfungen lernen musste.
Axel reichte Prosecco zum Aperitif, danach bat Katharina zu Tisch. Zur Vorspeise gab es grünen Spargel auf Kartoffelschaum. Axel hielt ein leichtes Tischgespräch aufrecht, genau, wie sie es vereinbart hatten. Erst als der Hauptgang, Axels Lieblingsgericht, Lammkoteletts auf Blattspinat und Bratkartoffeln, abserviert worden war und Axel ihr noch einen Schluck Rotwein nachgeschenkt hatte, sagte sie: „So, nun dürfen Sie Ihre Fragen stellen.“
Felix Winter schien sich nun doch ein wenig unwohl zu fühlen. Umständlich faltete er seine Serviette, schälte seinen Laptop aus der Schutzhülle und räusperte sich: „Anders als Ihre Schwester Maria sind Sie bisher als Schwester des Papstes noch nie in Erscheinung getreten. Warum?“
„Offenbar zeigt sich mein Bruder lieber mit meiner Schwester Maria. Verständlich, ich bin das Enfant terrible der Familie.“
„Und was ist so schrecklich an Ihnen?“, lächelte Felix. Es schien ihr, als hätte er seine Sicherheit wiedergefunden.
„Ich habe eine uneheliche Tochter, Juliane, und ich bin geschieden. Meine erste Ehe hielt auch nur zwei Jahre und meiner zweiten Ehe“, sie sandte ein Lächeln zu Axel, „war der Segen der Kirche von Anfang an verwehrt. Das alles mag in unseren Breiten nichts Besonderes sein, im Vatikan schon. Ich glaube, man schreibt dort gerade das Jahr 1912.“
„Sie meinen also, die römisch-katholische Kirche hinkt der Zeit um 100 Jahre hinterher.“
„Es könnten auch etwas mehr sein.“
„Kann es sein, dass diese Ansicht zu dem Zerwürfnis mit Ihrem Bruder beigetragen hat?“
„Sprach ich von einem Zerwürfnis?“
Winter ging nicht darauf ein.
„Wann haben Sie das letzte Mal mit Ihrem Bruder gesprochen?“
„Vor ziemlich genau zehn Jahren. Beim Begräbnis unserer Mutter.“
„Und davor?“
„Davor – lassen Sie mich nachdenken. Ich glaube, das war, bevor er nach Rom ging. Doch, ich erinnere mich, ihm eine gute Reise gewünscht zu haben.“
Winter las in seinen Unterlagen, ehe er antwortete: „Aber Ihr Bruder ist seit mehr als zwanzig Jahren in Rom.“
„Da können Sie sehen, wie die Zeit vergeht“, parierte sie und beeilte sich hinzuzufügen: „Darf ich Ihnen zum Dessert eine Creme Caramel anbieten?“
„Sehr gerne“, erwiderte Felix. „Darf ich Ihnen danach noch ein paar Fragen stellen?“
Diese Antwort blieb sie vorerst schuldig, stattdessen fragte sie: „Kaffee?“
„Gerne.“
Während Axel die Kaffeemaschine im Esszimmer in Gang setzte, ging Katharina in die Küche und ließ sich mit dem Dekorieren der Creme Caramel etwas Zeit, bevor sie die Teller auf den Servierwagen stellte. Der junge Mann gefiel ihr, er ließ sich nicht so leicht aus dem Konzept bringen. Dennoch, viel mehr würde sie ihm nicht erzählen. Leo würde auch so wenig begeistert sein, wenn er von diesem Interview erfuhr.
Nach dem Dessert setzte Axel seine Pfeife in Brand und Felix erkundigte sich nach seiner Familie.
„Ich habe einen Sohn, Florian, aus erster Ehe, der zurzeit in England studiert, und meine Mutter lebt noch.“
„Sie sind also ebenfalls geschieden.“
„Meine erste Frau ist bei einem Autounfall ums Leben gekommen, kurz nach Florians erstem Geburtstag. Er war mit im Auto, aber er hatte wohl einen Schutzengel, ihm ist nichts geschehen.“
„Sie glauben an Schutzengel?“
„Mal mehr, mal weniger“, antwortete Axel und stocherte in seiner Pfeife herum.
Drei Tage später war im Kurier Folgendes zu lesen:
Die andere Schwester des Papstes
Bei seiner vorjährigen Amtseinführung hat sich Papst Leo XV an der Seite seiner älteren Schwester Maria gezeigt. Wie sich nun herausstellte, hat der Pontifex eine weitere Schwester. Frau Dr. Katharina Forstreiter-Bender hat sich nunmehr als die jüngere Schwester des Papstes geoutet. Die Ärztin für Allgemeinmedizin, die sich auch mit Methoden der Komplementärmedizin beschäftigt, ist besonders für ihre Erfolge im Bereich der Allergiebekämpfung bekannt und hat erst vor Kurzem ein Buch veröffentlicht, in dem sie die von ihr angewandte Heilmethode vorstellt. Sie ist geschieden, Mutter einer unehelichen Tochter, Juliane, 25, und in zweiter Ehe mit dem Geschäftsmann Axel Bender verheiratet, der einige Papier-Fachgeschäfte betreibt. Von einem Zerwürfnis mit ihrem Bruder, Papst Leo, wollte die charmante Hobbyköchin nichts wissen, gab aber zu, ihn zuletzt vor zehn Jahren, beim Begräbnis ihrer Mutter, getroffen zu haben. Auf die Frage, ob es diesmal zu einem Treffen mit dem berühmten Bruder kommen würde, antwortete sie mit einladender Geste: „Wenn mein Bruder uns sehen möchte, steht unsere Tür für ihn offen.“
Es bleibt abzuwarten, ob der Heilige Vater, anlässlich seines Besuches beim Welt-Jugendtag, dieser Einladung folgen wird.
Dem Artikel folgte ein Foto, das Katharina an ihrem Schreibtisch zeigte. Sie war mit beidem nicht unzufrieden und beschloss, vorerst einmal abzuwarten.
Als sie sich am Freitagabend für ein Abendessen mit Freunden zurechtmachte, läutete ihr Handy. Maria. Sie seufzte und nahm das Gespräch an.
„Gelobt sei Jesus Christus“, schrillte es ihr ins Ohr.
„Dir auch einen schönen Abend.“
„Meine liebe Käthe, ich muss dir leider sagen, Leo ist außer sich!“
„Das ist ja schnell gegangen, der Artikel ist doch erst vorgestern erschienen. Ich hätte nicht gedacht, dass Rom dermaßen am Puls der Zeit ist.“
„Käthe, ich bitte dich, mach jetzt keine Witze. Du musst etwas unternehmen, Leo ist außer sich.“
„Das sagtest du bereits“, lächelte sie. „Aber das müssen wir ein andermal besprechen. Ich muss mich jetzt fertig machen, Axel wartet schon auf mich, wir gehen mit Ilse und Roland essen. Du erinnerst dich doch an Ilse und Roland?“
Maria bejahte und Katharina sprach schnell weiter: „Ich melde mich morgen bei dir, versprochen. Vergiss Leo, schlaf gut und träum was Schönes. Bis morgen.“
Entschlossen unterbrach sie die Verbindung.
Mit Leos Zorn konnte sie leben, Maria war ein anderer Fall. Für ein Telefonat mit Maria musste sie sich Zeit nehmen. Maria war die denkbar ungeeignetste Person, um den Prellbock zwischen Leo und ihr zu spielen, dazu war sie zu verletzlich, zu sehr darum bemüht, es allen recht zu machen.
Katharina zog den Lippenstift nach und befestigte die Klipse an ihren Ohren. Im Geist ging sie den morgigen Tag durch. Am Vormittag gingen sie mit Freunden Golf spielen und anschließend essen. Danach würde sie es sich gemütlich machen und mit Maria reden. Wenn sie müde und satt war, hatte sie einfach mehr Geduld.
Dann warf sie einen zufriedenen Blick in den Spiegel und löschte das Licht. Bestimmt würde der Zeitungsartikel auch heute Abend zur Sprache kommen, sogar einige ihrer Patienten hatten sie schon darauf angesprochen.
Gut möglich, dass auch Ilse und Roland bisher keine Ahnung gehabt hatten, wer ihr Bruder war. Sicher wussten sie, dass sie einen älteren Bruder hatte, der als Theologe in Rom lebte und zu dem sie nur wenig Kontakt pflegte.
Früher gab es nicht mehr zu sagen und nach der Papstwahl hatte sie nicht den Wunsch gehabt, es überall herumzuerzählen. Warum auch? Sie hatte keinen Anteil an seinem Aufstieg und sie war nicht besonders stolz auf das, was er verkörperte. Dieser barocke Katholizismus und seine verknöcherten Repräsentanten, die so weit weg waren von denen, denen sie dienen sollten, dieser altmodische Pomp, der ihr so unangemessen schien, in einer Welt in der es immer noch so viel Armut und Elend gab, darauf konnte sie nicht stolz sein.
Katharina wusste nur zu gut, dass Maria längst auf ihren Anruf wartete. Doch erst gönnte sie sich noch eine ausgiebige Dusche. Während sich ihre Muskeln langsam unter dem warmen Wasser entspannten, wanderten ihre Gedanken zu Maria.
Wie Leo war sie schon als Kind dem starken Einfluss ihrer streng katholischen Mutter erlegen und bald nach ihrer Ausbildung zur Kindergärtnerin ins Kloster eingetreten.
Warum eigentlich, überlegte Katharina zum wohl hundertsten Mal. Für sie selbst wäre so ein Schritt undenkbar gewesen. Nicht nur wegen der Ehelosigkeit, das sowieso. Schon beim bloßen Gedanken an die hierarchischen Strukturen und Worte wie ‚Gelübde’ und ‚Gehorsam’ stellten sich ihr sämtliche Haare auf.
Zugegeben, Marias Widerspruchsgeist war nie besonders ausgeprägt gewesen, was die Sache möglicherweise begünstigt hatte, und in der Zwischenzeit war er gänzlich verkümmert. Wie schön für Leo, dachte sie, während sie ihre müden Beine eincremte.
Anstatt sich gelegentlich zu widersetzen, war Maria schon als Kind immer bemüht gewesen, es allen recht zu machen, da war für eigene Ideen wenig Platz geblieben. Schade, eigentlich, denn Maria war ein herzensguter Mensch und machte sich natürlich auch ihre Gedanken, aber nur selten sprach sie welche aus, die ihre Zensoren nicht gutgeheißen hätten. Ihre Zensoren, das waren früher ihre Mutter und ihr Großvater gewesen, jetzt waren es die Mutter Oberin und Leo.
Nur ihr gegenüber hatte Maria manchmal eine Ausnahme gemacht und, im Schutz der Dunkelheit des gemeinsamen Kinderzimmers, von ihren Träumen und Hoffnungen gesprochen. Als junges Mädchen hatte sie von einer eigenen Familie geträumt, von Kindern und einem Häuschen mit Garten. Doch eines Tages war sie ins Kloster eingetreten.
Hatte Maria heute noch Träume und Hoffnungen?
Jedenfalls ist sie der fleischgewordene Friedensengel, dachte Katharina. Vielleicht sah Leo das ebenso und hatte sie deshalb zu seinem Sprachrohr auserkoren. Maria wollte immer nur Frieden stiften. Erst zwischen Vater und Mutter, was ihr manchen Ärger eingetragen hatte, später zwischen Katharina und ihrer Mutter, was sinnlos gewesen war, und jetzt zwischen Katharina und Leo, was genauso sinnlos sein würde. Auch diesmal würde sie sich die Zähne ausbeißen – die Arme. Katharina würde es ihr schonend beibringen müssen. Seufzend wählte sie ihre Nummer.
Maria kam gerade von der Abendmesse, als ihr Telefon läutete.
„Kloster Kreuzenstein, Schwester Maria.“
„Hallo Schwesterchen.“
„Käthe, endlich. Vergelt’s Gott, dass du doch noch anrufst. Ich dachte schon, na ja, ist ja auch egal. Sag, wie kamst du nur zu diesem unglücklichen Journalisten?“
„Also erstens kam er zu mir und zweitens glaube ich nicht, dass er unglücklich ist. Nicht nach der Story.“
„Dann ist eben seine Story unglücklich.“
„Maria, es ist MEINE Geschichte, in Kurzform. Felix Winter hat weder etwas erfunden noch etwas weggelassen. Ich finde, er hat seine Sache ganz gut gemacht.“
„Du hast es ihm tatsächlich selbst erzählt? Aber Käthe, kannst du dir denn nicht vorstellen, was das für Leo bedeutet? Und ich hatte so gehofft, dass ihr euch bei seinem Besuch im Herbst aussöhnen werdet.“
„Wie kommst du denn auf die Idee?“
„Ich habe es mir eben gewünscht. Aber jetzt sieht die Sache gar nicht gut aus.“
„Kann ich mir vorstellen. Unser lieber Bruder hat jetzt ein dickes Problem. Negiert er mich bei seinem Wien-Besuch, so wie er mich bei seiner Amtseinführung negiert hat, werden ihn die liberalen Kräfte in die Mangel nehmen. Trifft er sich mit mir und meiner Familie, hat er erst recht ein Problem, diesmal mit den Konservativen und Erzkonservativen, und von denen gibt es ja auch mehr als genug, nicht nur im Vatikan. Ich kann sein Dilemma schon verstehen, aber ich kann es nicht ändern.“
Maria seufzte. Gestern, nach Leos Anruf, war sie entsetzt gewesen, wie Käthe so ein Interview hatte zulassen können. In der Zwischenzeit hatte sie nachgedacht und gebetet und dann hatte Leo noch einmal angerufen und sich etwas milder gezeigt. Seither ging es ihr ein wenig besser, dennoch war ihre Mission heikel.
„Leo hat heute noch einmal angerufen“, begann sie vorsichtig. „Er hat gemeint, es wäre am besten, den Artikel totzuschweigen. Niemand wird ihn kommentieren, weder du noch der Vatikan. Aber das ändert nichts daran, dass du bei seinem Besuch diesmal präsent sein musst.“
„Dazu müsste er uns erst einmal einladen.“
Da war sie, die Falle. Leo hatte recht gehabt, Katharina würde nicht alleine kommen wollen. Sie musste jetzt diplomatisch vorgehen: „Ich glaube nicht, dass Axel großen Wert drauf legt, dabei zu sein“, begann sie zögernd, „wo er doch gar kein gläubiger Katholik ist. Also, versteh mich bitte nicht falsch … Axel ist ein wunderbarer Mensch, aber … das wissen die anderen doch nicht“, endete sie etwas atemlos. Herrgott, warum musste gerade sie mit zwei so halsstarrigen Geschwistern geprüft sein.
Prompt antwortete Katharina: „Du hast recht, Axel legt bestimmt keinen Wert darauf – aber ich.“
„Aber Käthe, warum kannst du Leo denn nicht einmal entgegenkommen? Schau, immerhin ist er der Heilige Vater.“
„Zu mir hat er sich meist ganz unheilig benommen. Aber bitte, das ist lange her, vielleicht hat er sich ja geändert.“
„Sicher“, antwortete Maria ohne rechte Überzeugung.
„Wir sind beide alt genug, um die Vergangenheit ruhen zu lassen, vorausgesetzt, dass er wenigstens meine Gegenwart akzeptiert“, fuhr Katharina fort. „Ich bin verheiratet und habe eine uneheliche Tochter. Also komme ich mit Axel und Juliane – oder eben nicht. Du brauchst gar nicht erst versuchen mich zu etwas anderem zu überreden, mein Entschluss steht fest.“
„Warum bist du nur so dickköpfig?“
„Das scheint dir nur so, weil du so friedfertig bist. Also, lass dich von Leo nicht fertigmachen und denk immer daran, er ist nichts weiter als dein kleiner Bruder.“
„Aber er ist auch der Papst“, warf sie mit einem kleinen Lachen ein.
„Vergiss den Papst. Denk lieber daran, wie er dir mit seiner Besserwisserei schon als Kind das Leben schwer gemacht hat. Trotzdem konnte er dich immer wie Häkelgarn um den Finger wickeln.“
Darüber musste Maria nun wirklich lachen. „Stimmt. Ich war für seinen Charme immer empfänglich.“
„Leo hatte Charme?“
„Hat er noch immer, auch wenn seine neue Würde manches verändert haben wird.“
Nach dem Telefonat kniete Maria auf ihrem Betschemel nieder:
„Lieber Gott, in was für ein Schlamassel hast du mich da wieder hineingezogen? Du weißt doch, dass ich den beiden nicht gewachsen bin.“
Dann bekreuzigte sie sich und ging seufzend in den Speisesaal. Nach dem Abendessen würde sie sich mit Agnes einen kleinen Kräuterlikör gönnen. Den hatte sie sich wahrlich verdient.
Auch Katharina war mit dem Verlauf des Telefonates nicht sonderlich zufrieden. Aber wie, zum Teufel, sollte sie Maria aus der Sache heraushalten, wenn Leo sie offenbar zu seinem Prellbock zu machen beliebte? Verdammt, er musste doch wissen, dass Maria darunter leiden würde, weil sie mit Streitigkeiten einfach nicht umgehen konnte. Aber um die Befindlichkeiten seiner Mitmenschen hatte er sich ja noch nie geschert, warum sollte sich das durch sein neues Amt geändert haben. Eher würde es das Gegenteil bewirken. Was war schließlich anderes geschehen, als dass eine Reihe von verknöcherten, alten Kardinälen ihn für würdig erachtet hatte, auf dem Heiligen Stuhl Platz zu nehmen. Ein einsamer Platz, aber Leo war ohnehin nie ein Teamplayer gewesen, vielleicht hatten sie ihn ja deshalb gewählt.
Seufzend verließ sie ihr Arbeitszimmer. Sie würde sich noch ein Glas Prosecco gönnen und Axel Gesellschaft leisten.
Der saß vor dem Fernseher und verfolgte ein Fußball-Match. Ein warmes Gefühl durchflutete sie, während sie auf ihn zuging. Wenn sie in ihrem Leben je etwas richtig gemacht hatte, dann war das ihre Ehe mit Axel. Auch ohne den Segen der Kirche.
„Gutes Match?“, fragte sie im Vorbeigehen.
Er schüttelte verneinend den Kopf. „Du kannst mir ruhig erzählen, wie dein Telefonat mit Maria gelaufen ist.“
„Mittelprächtig“, antwortete sie und deutete auf die Prosecco-Flasche in ihrer Hand. Diesmal nickte er zustimmend.
„Ich weiß einfach nicht, wie ich Maria aus der Sache heraushalten könnte.“
Axel nahm sein Glas entgegen und prostete ihr zu, dann schaltete er den Fernsehapparat stumm: „Ich schlage vor, du lässt Juliane und mich zu Hause, lässt dich ein- zweimal mit deinem Bruder fotografieren und wenn wir Glück haben, ist die Geschichte dann gegessen.“
„Das könnte euch so passen. Aber genau so werden wir es nicht machen. Schau, du und Juliane, ihr seid das Beste in meinem Leben. Ich denke nicht daran, euch zu verleugnen, nur weil Juliane unehelich geboren wurde und wir beide nicht kirchlich verheiratet sind.“
Er nippte an seinem Glas, ehe er antwortete: „Nun, verleugnen lässt es sich ohnehin nicht mehr. Aber dein Bruder hat recht, wenn ihr beiden nicht darüber redet, wird es vielleicht auch sonst niemand tun. Basta.“
Sie schüttelte energisch den Kopf: „Und damit wäre die beste Chance vertan.“
„Die beste Chance wofür?“
„Wenn er sich mit mir treffen muss, dann ist das in jedem Fall ein Punkt für den liberalen Flügel in der Kirche, die werden ohnehin jeden Tag weniger, weil viele die Geduld verlieren und einfach austreten. Schau, ich habe doch alles getan, was die Kirche ablehnt. Ich habe eine uneheliche Tochter von einem Priester, bin geschieden und habe ohne den Segen der Kirche wieder geheiratet. Das sind genau die Themen, die die neue Reformbewegung derzeit wieder anspricht. Wenn Leo sich jetzt mit uns trifft, treffen muss, kann das doch durchaus hilfreich sein. Oder siehst du das anders?“
Axel schüttelte den Kopf und grapschte sich ein paar von den Erdnüssen.
„Natürlich vorausgesetzt, du kommst auch wirklich mit“, fügte Katharina hinzu.
„Darf ich noch darüber nachdenken?“
„Sicher doch.“ Sie küsste ihn auf die Stirn, schnappte sich ein Buch und ging zu Bett.
Als er eine Stunde später kam, war sie über ihrem Buch eingeschlummert, doch sie wurde wach, als er es ihr vorsichtig aus den Händen nahm. Bevor er das Licht abschaltete, sagte er ganz beiläufig: „Du kannst übrigens mit mir rechnen“, und gab ihr einen Gutenachtkuss.
Sie hatte es doch gewusst!
Am nächsten Tag rief sie noch einmal Maria an:
„Gibst du mir bitte Leos Telefonnummer?“
„Aber Käthe, es ist nicht ganz einfach, ihn anzurufen. Ich rufe immer bei seinem Sekretär an, Monsignore Rinaldo, und ersuche um seinen Rückruf. Also, genau genommen, habe ich das erst einmal getan. Eigentlich warte ich immer auf seinen Anruf.“
„Und wie oft meldet er sich bei dir?“
„Das ist … ganz unterschiedlich“, stotterte Maria.
„Also ruft er dich nur an, wenn er etwas von dir braucht.“
„So kann man das nicht sagen. Er hat auch zu Weihnachten angerufen - und zu Ostern.“
„Wenn er sich zu Pfingsten wieder meldet, dann kannst du ihm sagen, dass ich seinen Anruf erwarte.“
Der nächste, von dem Katharina hörte, war jedoch nicht ihr Bruder, sondern der Bischofsvikar. Er sei, berichtete er feierlich, mit der Organisation des Papstbesuches beauftragt und käme nun, um zu fragen, an welchen Veranstaltungen sie teilzunehmen gedächte.
„Meine Teilnahme setzt voraus, dass ich eine Einladung meines Bruders erhalte, und zwar eine, die auch meinen Mann und meine Tochter einschließt.“
„Diesbezüglich hat Seine Heiligkeit mir keine genauen Anweisungen gegeben. Ich soll aber ausrichten, er würde sich freuen, sie zu begrüßen. Zu welchen Veranstaltungen darf ich Ihnen eine Einladung übermitteln?“
Katharina überlegte nur kurz. Es war für Leo sicher eine Überwindung, sich überhaupt mit ihr blicken zu lassen – und ein Punkt für die Liberalen. Diese Chance konnte sie nicht vertun und die Sache mit Axel und Juliane würde sie später klären. Also fragte sie: „Was steht denn zur Auswahl?“
„Nun, da wäre einmal der Empfang am Flughafen und anschließend der Begrüßungs-Gottesdienst im Stadion. Dann hätten wir den Besuch in der Hofburg, am Samstag dann die Fahrt nach Mariazell und den Abschluss-Gottesdienst im Stephansdom. Danach wird der Heilige Vater wieder in den Vatikan zurückkehren.“
„Ich denke, der Samstag wäre günstig und sagen Sie ihm bitte, wir würden uns freuen, wenn er zu uns nach Hause käme.“
Zwei Wochen später erhielt sie ein Schreiben der Apostolischen Nuntiatur, in dem sie gebeten wurde, sich in Sachen Papstbesuch mit dem Nuntius persönlich ins Einvernehmen zu setzen.
Sie führte ein kurzes Telefonat mit Axel und rief dann in der Nuntiatur an. Es dauerte eine Weile, bis sie den Nuntius am Apparat hatte, der ihr, höflich, aber unmissverständlich, zu verstehen gab, wie wichtig der bevorstehende Besuch und dessen reibungsloser Ablauf gerade jetzt sei und das nicht nur für die Katholiken Österreichs, sondern für die gesamt Katholische Kirche.
Katharina hörte geduldig zu, ehe sie sagte: „Und was verstehen sie, oder mein Bruder, unter reibungslosem Ablauf?“
„Der Heilige Vater hat seinem Wunsch Ausdruck verliehen, Sie mögen alleine kommen.“
„Haben Sie Angst, dass mein Mann die heilige Messe stört?“
„Nun, ich kenne Ihren Gatten nicht, aber davon gehe ich eher nicht aus. Aber der Heilige Vater hat angedeutet, dass die Presse schon im Vorfeld einen etwas, äh, unerfreulichen Artikel veröffentlicht hat. Zum Glück war er von anderen Ereignissen in den Schatten gestellt worden.“
„Exzellenz, das kommt für mich so nicht in Frage. Ich würde Ihnen aber sehr gerne auch meinen Standpunkt erklären. Halten Sie es für möglich, dass wir einander treffen? Ich würde Sie gerne in den nächsten Tagen zum Abendessen einladen und Ihnen meine Familie vorstellen. Am besten bei uns zu Hause, da sind wir ungestört. Wann würde es Ihnen denn passen?“
Vielleicht lag es daran, dass der ehrwürdige Nuntius nicht mit einem solchen Frontalangriff gerechnet hatte, jedenfalls sagte er zu und sie vereinbarten ein Abendessen für Freitagabend.
Daraufhin rief sie Juliane und Maria an. Juliane sagte, sie stünde knapp vor einer Prüfung und hätte daher keine Zeit und Maria meinte: „Vergelt’s Gott, aber ich möchte lieber nicht dabei sein, wenn du den Nuntius brüskierst.“
„Ich habe nicht vor ihn zu brüskieren, aber ich werde ihm reinen Wein einschenken.“
„Genau deswegen möchte ich ja nicht dabei sein.“
„Feigling“, antwortete Katharina und bestellte eine Schinken- und eine Käseplatte in einem nahe gelegenen Feinkostladen. Sie war zwar eine ganz passable Köchin, aber sie hatte Freitagnachmittag Ordination und wegen eines Besuches des ehrwürdigen Nuntius würde sie ihre Patienten nicht im Stich lassen.
Axel hatte sich im Internet schlaugemacht und war ziemlich beeindruckt gewesen. Der Nuntius war ein weitgereister Mann, Doktor der Theologie und der Philosophie und sprach mehrere Sprachen.
„Mit uns wird er wohl deutsch reden“, meinte Katharina gelassen. Aber auch wenn sie es nicht einmal Axel gegenüber zugeben wollte, lag ihr der Besuch ein wenig im Magen. Sie war froh, dass ihr keine Zeit blieb, darüber nachzudenken, denn ihre Praxis war zum Bersten voll. Als sie sich am Freitagabend endlich auf den Heimweg machte, war es schon halb sieben, der Nuntius war für halb acht angesagt.
Zum Glück war heute ihre Haushaltshilfe da gewesen, so dass sie nur noch den Tisch decken musste. Sie würde es ganz schlicht und einfach halten, schließlich gab es nichts zu feiern und vermutlich würde der Besuch ohnehin ziemlich kurz ausfallen.
Das Gespräch verlief jedoch erfreulicher als erwartet. Der Nuntius war nicht nur ein sehr gebildeter Mann, er war auch ein waschechter Bayer, mit dem sie einen sehr gemütlichen Abend verbrachten, an dessen Ende er sagte: „Glauben Sie mir, ich kann Ihren Standpunkt voll und ganz verstehen und werde unseren Heiligen Vater, den ich noch von früher ganz gut kenne, auch in diesem Sinne unterrichten.“
„Na, bitte“, hatte Katharina zu Axel gesagt. „Geht doch.“
Juliane hatte ihre Prüfung bestanden und Maria hatte, zum Dank dafür, dass man ihre Schwester nicht exkommuniziert hatte, mehrere Kerzen gestiftet. Sonst hörten sie vorerst nichts.
Zu Julianes Geburtstag hatte Katharina die ganze Familie eingeladen, dennoch war die Runde nicht allzu groß. „Echt blöd, dass Florian nicht kommt. Mein Bruderherz hätte James doch mitbringen können“, hatte Juliane kurz geschmollt und sich dann über den restlichen Gugelhupf hergemacht. Katharina vermisste ihren Stiefsohn auch, dennoch war sie nicht sicher, ob sie seinen Freund ebenso herzlich begrüßt hätte. Auch Axel schwieg zu diesem Thema.
Juliane sah das lockerer. Sie hatte die beiden in London besucht und war voll des Lobes über Florians neuen Freund. „Eine Augenweide, echt schade, dass er nichts für uns Mädels übrig hat“, war alles, was sie dazu gesagt hatte.
Julianes Geburtstag fiel in diesem Jahr auf einen Mittwoch, also hatte sie beschlossen, mit ihrer Familie vor- und mit ihren Freunden nachzufeiern.
Katharina war es gewohnt, Gäste zu haben, dennoch war sie am Sonntagmorgen ganz froh, dass Juliane ihr Versprechen wahrgemacht hatte und schon früher gekommen war, um ihr bei den Vorbereitungen zu helfen. Während sie Erdäpfel schälte, plauderte sie munter drauf los, erzählte von ihren Recherchen zur Diplomarbeit, ihrer Freundin Sissy, die wieder einmal Liebeskummer hatte, und ihrem acht Wochen alten Patenkind, das unter Blähungen litt.
Wie sehr sie doch ihrem Vater gleicht, dachte Katharina. Auch Clemens hatte so blondes Haar und diese strahlenden, blaugrauen Augen. Und dann diese heitere Oberflächlichkeit, um die sie die beiden manchmal beneidete. An anderen Tagen konnte sie diese Art, die Dinge so zu nehmen, wie sie sich vordergründig darstellten, allerdings auch zur Weißglut bringen. Auch Julianes Ungeduld, wenn es darum ging, eintönige Arbeiten zu erledigen, wie beispielsweise Kartoffeln schälen, hatte sie von ihrem Vater geerbt. Normalerweise dauerte es nicht lange, bis Juliane sich vor solchen Dingen drückte.
So war es auch diesmal. Kaum war Axel mit Maria vom Bahnhof gekommen, wechselte sie auf die Terrasse, weil Axel angeblich ihren Beistand benötigte, um den Grill vorzubereiten. Katharina bezweifelte das zwar, aber Maria hatte sich ohnehin schon über die noch ungeschälten Erdäpfel hergemacht.
Neben Clemens, der wie immer zu spät kam, war noch Oma Inge gekommen, die, trotz ihrer achtzig Lenze und der Proteste der Familie, immer noch mit dem eigenen Wagen fuhr, und Axels Bruder Philipp mit seiner neuen Freundin.
Während Juliane ihre Geschenke auspackte, legte Axel die Lammkoteletts auf den Grill und nach wenigen Minuten zog ein herrlicher Duft von Holzkohle und gebratenem Fleisch über die Terrasse.
„Frische Ofenkartoffel, eigenhändig von mir geschält“, verkündete Juliane und bediente sich.
„Lammkoteletts sind auch schon fertig“, rief Axel und stellte gleich darauf eine Platte mit duftenden Koteletts auf den Tisch.
„Vergelt’s Gott“, sagte Maria und langte kräftig zu, während Phillips Freundin, eine schlanke Rothaarige mit Piepsstimme, verlauten ließ, dass sie keine toten Tiere esse.
„Macht nichts“, sagte Katharina, sind ja genug Salate da.
Clemens hatte keine derartigen Bedenken.
„Köstlich“, lobte er und zwinkerte Juliane zu. „Wirklich schade, dass du so selten Geburtstag hast. Niemand macht so herrliche Saucen wie deine Mutter.“
„Doch, ich“, erwiderte Juliane ungerührt. „Leider sind meine etwas kalorienreicher. Weißt du übrigens, dass Mama sich als Schwester des Papstes geoutet hat.“
Clemens ließ das Messer fallen. „Du hast was?“
„Liest du denn keine Zeitungen?“, fragte Katharina zurück.
Clemens bekam ein neues Messer und eine knappe Schilderung der Ereignisse.
„Aber im Vorjahr, bei seiner Amtseinführung, hast du doch alles daran gesetzt, die Verwandtschaft zu leugnen.“
„Ich kam gar nicht dazu, etwas zu leugnen, Leo hat uns einfach nicht eingeladen. Aber wenn ich gefragt werde, gibt es auch keinen Grund zu lügen. Was auch ganz sinnlos gewesen wäre, jeder halbwegs begabte Journalist würde so etwas blitzartig herausfinden.“
„Und wie kam der Reporter ausgerechnet jetzt auf dich?“
„Das wüsste ich allerdings auch gerne. Angeblich war es Zufall.“
„So etwas geht doch ganz easy, man braucht nur ein wenig zu googeln“, meinte Juliane und Maria sinnierte: „Sehr seltsam, diese neue Welt.“
„Gar nicht seltsam. Schau, Mama hat jetzt eine Website, wegen ihres Buches über diese Allergietherapie. Wenn du ihren Namen in eine Suchmaschine eingibst, erfährst du in wenigen Sekunden alles, was du wissen willst“, erklärte Juliane.
„Und da drinnen steht dann, dass der Heilige Vater ihr Bruder ist?“
„Das gerade nicht, aber mein Name, mein Alter und mein Geburtsort. Aus diesen Informationen hat das schlaue Bürschchen dann seine Schlüsse gezogen“, erläuterte Katharina, wenn sie sich auch selbst immer noch darüber wunderte.
„Dann werdet ihr bei seinem diesjährigen Besuch sicher groß im Bild sein“, sagte Clemens und wandte sich wieder seinem Kotelett zu.
„Kaum. Leo verlangt, dass ich alleine komme. Das kommt für mich natürlich nicht in Frage. Erst hat er Maria auf mich angesetzt, dann einen Bischofsvikar und zuletzt war sogar der Nuntius bei uns zu Gast.“
Clemens schien beeindruckt. „Um von dir zu verlangen, dass du lügst?“
„Anfangs ja. Allerdings hat er es vornehmer formuliert, aber nachdem er unsere Sichtweise kennen gelernt hat, hat er gemeint, er würde mit Leo sprechen.“
„Da wünsch ich ihm alles Gute“, nickte Clemens und hielt Axel sein leeres Bierglas entgegen. „Erstaunlich, dass die Presse das nicht breitgetreten hat.“
„Da hatten wir allerdings Glück. Just an dem Tag, an dem der Artikel erschienen ist, trat der Finanzminister zurück. Da hatten die Medien tagelang Wichtigeres zu berichten, dann kam das erste Sparpaket, dann die Sache mit Griechenland und dann ist die Geschichte im Sand verlaufen.“
„Trotzdem verstehe ich Leo nicht“, sinnierte Clemens.
„Du kennst ihn doch. Alles muss genau so sein, wie es immer schon war und wie er es sich vorstellt. Jedenfalls liegt es nun an ihm. Wenn er kommt, ist es uns recht, und wenn er uns einlädt, werden wir da sein. Wenn nicht, dann eben nicht“, sagte Katharina und warf einen Blick auf Maria, die gerade an einem Hühnerbein knabberte. Dann fiel ihr Blick auf Juliane. Das Kind war plötzlich so ruhig und ganz blass, sie würde doch hoffentlich nicht krank werden.
Am darauffolgenden Wochenende waren Katharina und Axel bei Freunden eingeladen. Als sie deren Wohnung knapp vor Mitternacht verließen, sagte Katharina: „Weißt du, was wir jetzt machen? Wir schauen auf einen Sprung bei Julianes Party vorbei.“
„Also, ich weiß nicht. Wir zwei, unter all dem jungen Gemüse?“
„Unsinn, komm schon, sei kein Spielverderber, nur auf ein Gläschen Sekt. Der Wein bei den Poldingers war ohnehin grauslich, ich habe kaum welchen getrunken.“
„Ich auch nicht“, gestand Axel, „dabei war er von einem ganz angesagten Winzer.“
„Teuer, aber schlecht. Also, ein Glas nur, abgemacht? Es ist doch gleich hier um die Ecke.“
Sie wusste, dass das nicht ganz stimmte, aber es war ein lauer Sommerabend und der Spaziergang würde ihnen guttun.
„Harrys Kneipe“ lag im Souterrain, doch da die Fenster weit geöffnet waren, drang laute Musik auf die Straße. Innen war es trotzdem heiß und stickig. Katharina wollte schon umkehren, doch dann erkannte sie Felix Winter, der mit einem Bierglas in der Hand an der Bar stand.
„Das ist doch dieser Reporter“, schrie sie Axel ins Ohr.
Axel fasste nach ihrer Hand und wollte sie nach draußen ziehen: „Lass uns daheim noch ein Glas trinken“, brüllte er zurück, doch sie steuerte auf Felix zu, der bei ihrem Anblick beinahe sein Bier verschüttet hätte.
„Was für ein Zufall“, säuselte sie süffisant.
„Ja, nicht wahr, ich bin … auch sehr erstaunt“, stammelte Felix.
„Woher kennen sie meine Tochter?“
„Ihre Tochter? … Ich weiß nicht … kenne ich sie?“
„Versuch erst gar nicht, mir einzureden, dass das alles nur ein dummer Zufall war“, herrschte Katharina Juliane tags darauf an.
„Warum sollte ich“, gab Juliane zurück. „Ist es ein Verbrechen, mit Felix Winter befreundet zu sein?“
Katharina kannte Julianes Talent, Gegenfragen zu stellen, die unweigerlich auf ein Nebengleis führten. Als Anwältin würde ihr das später einmal zugutekommen. Hier und heute fand Katharina es weniger angebracht. Sie würde sich jedenfalls nicht aufs Nebengleis führen lassen.
„Seit wann kennst du ihn?“
„Seit Silvester. Was willst du sonst noch wissen? Ob ich ihn geküsst habe? Ob ich mit ihm im Bett war?“
„Das ist deine Sache. Aber warum, zum Kuckuck, hast du ihn auf mich angesetzt?“
„Weil Felix eine Story brauchte - und zwar eine gute Story.“
„Und ich bin so eine gute Story?“
„Eine verdammt gute sogar. Außerdem ist dieses Versteckspiel um Onkel Leo doch sowieso abartig. Schließlich ist er der Papst, kein Massenmörder oder so.“
„Du weißt, warum wir den Kontakt abgebrochen haben.“
„Aber das sind doch alte Kamellen. Jede zweite Ehe wird heute geschieden und wahrscheinlich gibt es in der Zwischenzeit mehr uneheliche Kinder als eheliche.“
„Deine flammende Verteidigungsrede kannst du für deinen Onkel aufheben. Ich fürchte allerdings, für ihn wirst du sie ein wenig profunder anlegen müssen.“
„Kommt er denn?“, versuchte Juliane neuerlich das Thema abzubiegen.
„Bisher hat er sich nicht bei mir gemeldet. Von mir aus kann das gerne auch so bleiben.“
„Aber bei Omas Beerdigung habt ihr doch auch getan, als wäre nichts gewesen.