Besuch aus Rom - Brigitte Teufl-Heimhilcher - E-Book

Besuch aus Rom E-Book

Brigitte Teufl-Heimhilcher

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Beschreibung

Neue Aufregung in Waldstetten - Nach knapp drei Jahrzehnten kehrt der ehemalige Kaplan Gottfried Gruber zurück – nicht ganz freiwillig, wie Bürgermeister Ludwig Paffler bald herausfindet. Die Waldstettener Gerüchteküche brodelt, doch was steckt tatsächlich hinter Gottfrieds Flucht aus dem Vatikan, und warum will er in Waldstetten nur als Monsignore gelten, obwohl er doch Kardinal ist? Durch das Eingreifen von Pafflers Frau, der Gemeindeärztin Liesl, trifft Gottfried Gruber auf seine Jugendliebe Rosalinde. Es dauert nicht lange, bis die alte Leidenschaft wieder aufflammt, doch dann ruft kein Geringerer als der Papst Kardinal Gruber zurück in den Vatikan. Rosalinde bleibt schweren Herzens zurück. Gibt es denn gar keine Chance für ihre Liebe? Finden Sie es heraus!

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Brigitte Teufl-Heimhilcher

 

 

 

Besuch aus Rom

Band 2 – Reihe Stadt, Land, Zank

 

 

Roman

Impressum

Das Buch

Die Autorin

Anstelle eines Vorwortes

Prolog

Morgenmenschen und andere Seltsamkeiten

Erwartungen

Von Eminenzen und gescheiten Büchern

Gerüchteküche

Die Sache mit den Geheimnissen

Steile Karriere

Der Geniestreich

Rosalinde

Damals und heute

Neue Erkenntnisse

Hurra, eine Tochter?

Waldstetten staunt

Der Mensch denkt…

Ein Manuskript weckt Erinnerungen

Familiensonntag

Gedankenkarussell

Alte Geschichten

Ballgeflüster

Der Geldsegen

Sorgen

Feierliche Eröffnung

Neuigkeiten

Philippa

Die Goldene Hochzeit

Das Konklave

Die Vertretung

Guido, der Erste

Nachfolger

Unerwarteter Besuch

Eminenz im Anflug

Auch das noch!

Diplomatische Verwicklungen

Pläne und Strategien

Über die Freiheit

Flotte Dreizehn

Späte Einsicht

Rom, wir kommen

Die ewige Stadt

Eine schwere Entscheidung

Wieder daheim

Wege entstehen beim Gehen

Glossar

Danke

Stadt,Land,Zank Teil 1

Stadt,Land,Zank Teil 3

Stadt,Land,Zank Teil 4

Von der Autorin bisher als E-Book und Taschenbuch erschienen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

II. Auflage Copyright: ©2022 Brigitte Teufl-Heimhilcher, 1220 Wien

Besuch aus Rom, Band 2 - Reihe Stadt, Land, Zank, Brigitte Teufl-Heimhilcher

https://www.teufl-heimhilcher.at

Buchsatz/Konvertierung: Autorenservice-Farohi https://www.farohi.com

Covergestaltung: Xenia Gesthüsen

Lektorat: Mareike Kerz

I Auflage (Deutsche Erstauflage) Copyright: ©2019 Brigitte Teufl-Heimhilcher,1220 Wien

https://www.teufl-heimhilcher.at

Waldstettener G’schichten

Teil 2 – Besuch - aus Rom, Brigitte Teufl-Heimhilcher

https://www.teufl-heimhilcher.at

Buchsatz/Konvertierung: Autorenservice-Farohi https://www.farohi.com

Covergestaltung: Xenia Gesthüsen

Lektorat: Mareike Kerz

 

 

Das Buch

 

In Band 2 der Reihe „Waldstettener G‘schichten“ kehrt, nach knapp drei Jahrzehnten, der ehemalige Kaplan Gottfried Gruber nach Waldstetten zurück – nicht ganz freiwillig, wie Bürgermeister Ludwig Paffler bald herausfindet. Die Waldstettener Gerüchteküche brodelt, doch was steckt tatsächlich hinter Gottfrieds Flucht aus dem Vatikan, und warum will er in Waldstetten nur als Monsignore gelten, obwohl er doch Kardinal ist?

Durch das Eingreifen von Pafflers Frau, der Gemeindeärztin Liesl, trifft Gottfried Gruber auf seine Jugendliebe Rosalinde. Es dauert nicht lange, bis die alte Leidenschaft wieder aufflammt, doch dann ruft kein geringerer als der Papst Kardinal Gruber zurück in den Vatikan. Rosalinde bleibt schweren Herzens zurück. Gibt es denn gar keine Chance für ihre Liebe?

 

 

Die Autorin

 

Brigitte Teufl-Heimhilcher lebt in Wien, ist verheiratet und bezeichnet sich selbst als realistische Frohnatur.

In ihren heiteren Gesellschaftsromanen setzt sie sich mit gesellschaftspolitisch relevanten Fragen auseinander. Sie verwebt dabei Fiktion und Wirklichkeit zu amüsanten Geschichten über das Leben - wie es ist, und wie es sein könnte.

 

 

 

 

 

Anstelle eines Vorwortes

 

Für alle, die Band eins „Waldstettener G’schichten – Tante Adelheids Schloss“ schon vor einiger Zeit oder bisher noch nicht gelesen haben, hier ein kurzer Überblick über „zuagraste“ wie „eingeborene“ Waldstettener:

 

Gloria – Kunstgeschichtlerin, arbeitslos, erbt das Schloss ihrer Großtante Adelheid und will es behalten, was ihr nach einigen Mühen auch gelingt.

Ihr Freund und späterer Ehemann Daniel ist Lehrer und hat nichts dagegen.

Glorias Pflegevater, Onkel Konrad, Witwer, ehemals Fabrikant, kann sein „Mauserl“, wie er Gloria immer noch nennt, dabei finanziell leider nicht unterstützen, kauft aber eine der Wohnungen im Schloss und verliebt sich in Annabell, die Mutter der Gemeindeärztin.

Liesl, wie die tüchtige Gemeindeärztin von den Waldstettenern genannt wird, hat eine uneheliche Tochter, Anna, und verliebt sich mehr und mehr in Ludwig, Bürgermeister und Bauunternehmer, den sie seit Kindertagen kennt und am Ende auch heiratet.

 

Weiters in Band 1 und 2 mit von der Partie:

 

Professor Axel Wolf, Annas Vater, verheiratet mit Jutta

Gisela – genannt die Weißmaierin, Frau des Bäckers

Richard – deren Mann

Steffi und Florian – „Zuagraste“, ehemals Journalisten, züchten nunmehr alte Gemüsesorten und betreiben einen Bio-Laden

 

Leider bereits verstorben, aber immer noch von Bedeutung:

Tante Adelheid, genannt „die Baronin“,

und ihr Lebensmensch, Pfarrer Pecher, langjähriger Pfarrer von Waldstetten

 

 

Prolog

Ob die ihn orten konnten, wenn er kurz einmal das Navigationsgerät einschaltete? Zu blöd, dass er sich bisher um solche Dinge nie gekümmert hatte. Aber wie hätte er ahnen sollen, dass er sich eines Tages von Rom nach Waldstetten durchschlagen musste. Noch dazu im Winter – und ohne Chauffeur. Zum Glück hatte sein Auto Winterreifen. Wäre er nach Weihnachten nicht ein paar Tage in Südtirol zum Skifahren gewesen, hätte sein Chauffeur sicher keine Winterreifen montieren lassen. In Rom brauchte man die nur sehr selten, im Grunde gar nicht.

Er hatte längst vergessen, wie viel Schnee es um diese Zeit im Waldviertel geben konnte. Er war ja auch schon lang nicht hier gewesen.

Gern hätte er irgendwo einen Espresso getrunken, aber es war kurz vor Mitternacht. Kaum anzunehmen, dass noch irgendwo eine Gastwirtschaft offen hatte. Anders als in Rom gingen die Menschen hier früh zu Bett. Apropos Bett. Er war seit dem frühen Morgen unterwegs und sehnte sich nach einem Bett. Wenn er nur schon bald da wäre.

Ein langer, aufregender Tag lag hinter ihm – ein sehr langer. Einer, auf den er gern verzichtet hätte, einer, den Gott der Herr ihm hätte ersparen können. Nun ja, er hatte schon verstanden, dass der sich nicht um die Befindlichkeiten seines Bodenpersonals kümmerte, andernfalls hätte er im Vatikan längst mit Donner und Blitz arbeiten müssen oder mit einer Sturmflut. Unwetter gab es ohnehin immer öfter – ausgerechnet der Vatikan war bisher davon verschont geblieben. Warum auch immer.

An der nächsten Kreuzung hielt er an. Zwettl hatte er bereits hinter sich gelassen. Musste er jetzt Richtung Weitra oder nach Gmünd? Beide Orte waren ihm bekannt, aber welcher Weg führte direkt nach Waldstetten? Er konnte sich beim besten Willen nicht mehr erinnern. Ob er es wagen konnte, das Navigationsgerät einzuschalten? Würden sie ihn überhaupt suchen oder waren sie damit zufrieden, dass er fort war?

Er entschied sich gegen das Navigationsgerät und schlug den Weg Richtung Gmünd ein. Mit Gottes Hilfe würde er auch die letzten Kilometer bewältigen. Auf diese Hilfe wartete er allerdings schon ziemlich lange – und es ging bei weitem nicht nur um seine Person.

 

 

Morgenmenschen und andere Seltsamkeiten

 

Bürgermeister Ludwig Paffler konnte einfach nicht verstehen, wie Menschen in aller Früh, so ein Mitteilungsbedürfnis haben konnten wie seine beiden Damen. Bei aller Liebe, aber das war nur schwer auszuhalten.

Er war kein geborener Frühaufsteher, aber als Baumeister immer schon dazu gezwungen, zeitig unterwegs zu sein. Seit er allerdings mit Liesl, der Gemeindeärztin, verheiratet war, und eine Stieftochter hatte, war er noch früher dran als zuvor. Wie gesagt, nicht ganz freiwillig.

Auch an diesem Wintermorgen war es noch dunkel, als er das Haus eilends verließ, bevor ein Redeschwall über ihn hereinbrach. In den meisten Häusern brannte schon Licht, die Kinder mussten schließlich rechtzeitig zur Schule nach Stettenkirchen und die größeren hatten einen noch weiteren Schulweg.

Warum aber brannte im Pfarrhaus Licht? Hatte die Kindergruppentante gestern vergessen es auszumachen oder war abends noch eine der Jugendgruppen da gewesen? Moment mal – das Licht brannte im ersten Stock. Den hatte die Gemeinde doch gar nicht gemietet. Die nicht vermieteten Teile des Pfarrhauses standen seit Jahren leer. Genau genommen, seit Pfarrer Pecher gestorben war. Seither hatte kein Pfarrer mehr dauerhaft hier gewohnt. Der, den sie sich nun mit Stettenkirchen und zwei anderen Gemeinden teilen mussten, lebte in Stettenkirchen und kam wochentags nur selten vorbei. Hatte er das Licht brennen lassen? Das sähe ihm ähnlich.

Zum Glück war das Pfarrhaus in das Schließsystem des Gemeindeamts eingebunden, also würde Ludwig gleich mal nach dem Rechten sehen. Als er vor dem Pfarrhof hielt, fiel ihm ein dunkler Mercedes mit italienischem Kennzeichen auf. Komisch. Es kam nicht oft vor, dass sich im Januar Fremde hierher verirrten.

Er betrat den alten Pfarrhof und nahm den vertrauten Geruch wahr, eine Mischung aus Bodenwachs und Weihrauch. Im Erdgeschoss war es dunkel, auch sonst war nichts zu hören. Er schaltete die Gangbeleuchtung ein und machte sich auf den Weg in den ersten Stock. Wenn er sich recht erinnerte, hatte das Licht im ehemaligen Kaplanszimmer gebrannt. Der Weg dorthin war ihm vertraut, wenn er ihn auch lang nicht mehr gegangen war. In seiner Jugend war der Raum eine Mischung aus Büro und Jugendtreff gewesen. Wenn im Jugendclub nichts los war, schaute man schnell mal bei Pater Gottfried vorbei. Wie lang war das jetzt her?

Ludwig war vor der fraglichen Tür angekommen. Alles ruhig. Er öffnete die Tür und traute seinen Augen nicht. Ein Mann mit grauen Schläfen und Brille saß am Schreibtisch. Auf der Couch lagen Pölster und mehrere Decken, als hätte jemand hier geschlafen.

„‘tschuldigung“, stammelte Ludwig. „Ich wollt nicht stören, aber ich habe Licht gesehen, da dachte ich … Also, ich bin der Bürgermeister.“

Der Mann erhob sich. Er war groß und schlank und kam Ludwig irgendwie bekannt vor.

„Und als Bürgermeister fühlen Sie sich auch für Licht im Pfarrhaus verantwortlich? Das nenne ich löblich.“

„Schon, weil wir, also die Gemeinde, hat das Haus ja gemietet. Allerdings nur das Erdgeschoss.“ Ludwig hatte seine Überraschung überwunden. Er ging zwei Schritte auf den Mann zu und fragte: „Gottfried? Bist du das?“

 

***

 

Der Mann nannte ihn Gottfried. Er schien ihn zu kennen. Kardinal Gruber hingegen hatte nicht die geringste Ahnung, wer hier vor ihm stand. „Verzeihen Sie, aber Sie scheinen im Vorteil, ich kann mich im Moment leider nicht erinnern.“

„Kein Wunder, ich war kaum zwanzig, als du nach Wien versetzt wurdest. Mensch, Gottfried, das freut mich aber.“ Der bullige Fremde klopfte ihm freundschaftlich auf den Rücken und schüttelte dabei seine Hand. „Was machst du denn da? Bist am End unser neuer Pfarrer? Wir könnten eh einen brauchen. Der, den wir jetzt haben, kommt nur alle heiligen Zeiten und verstehen kann man ihn auch nicht.“

Langsam dämmerte es dem Kardinal. Er war damals mit vielen Jugendlichen per Du gewesen. Der Mann war offenbar einer von ihnen und hielt ihn für einen schlichten Geistlichen. Das war gut. Allerdings auch für den neuen Pfarrer. Das war weniger gut. Sein Gegenüber schien endlich zu begreifen, dass er keine Ahnung hatte, wer hier vor ihm stand. Er schüttelte ihm immer noch die Hand und sagte:

„I bin‘s, da Ludwig. Ludwig Paffler. Erinnerst dich nimma?“

„Ich erinnere mich an einen Bürgermeister Paffler. Das war dann vermutlich …“

„Das war mein Vater. Ich war in unserer Fußballmannschaft der Verteidiger.“

Gottfried Gruber erinnerte sich dunkel daran, dass es eine Jugendmannschaft gegeben hatte. Er selbst hatte auch mitgespielt. Richtig, er war Stürmer gewesen, jetzt fiel es ihm wieder ein.

„Damals hatte ich allerdings noch keinen Vollbart, und ein paar Kilo weniger hatte ich vermutlich auch“, lachte dieser Ludwig. „Obwohl, so schlank wie du war ich nie. Du hast ja immer noch keinen Speck angesetzt. Haben dir die Spaghetti nicht geschmeckt?“

Dieser Ludwig Paffler pflegte jedenfalls einen sehr vertraulichen Umgangston, und er schien gut informiert. Kardinal Gruber erinnerte sich nun, mit einigen Jugendlichen noch eine Zeit lang Briefkontakt gehabt zu haben, und ja, langsam glaubte er, sich auch an einen Ludwig erinnern zu können. Irgendwann hatte sich der Kontakt verloren. Briefe zu schreiben war nicht jedermanns Sache und das Internet damals noch nicht so weit verbreitet. Mit der Zeit hatte man sich auch immer weniger zu erzählen; jeder lebte in seiner Welt.

Wie dem auch sei, als Bürgermeister würde der Mann zumindest wissen, wo er zu dieser frühen Stunde etwas zu essen bekam. „Apropos Spaghetti. Können Sie … pardon, kannst du mir sagen, wo ich hier ein Frühstück bekommen könnte?“

Ludwig warf einen Blick auf die Uhr. „Um die Zeit am besten bei mir im Büro. Kaffee gibt’s da immer und irgendetwas zum Beißen werden wir schon auftreiben.“

„Ich möchte keine Umstände machen, gibt es denn hier keinen Bäcker?“

„Na, Bäcker hamma leider kan mehr und der Bio-Laden g‘hört einem Zuagrasten, der sperrt erst um halb neun auf. Bei mir daheim ist’s im Moment auch schlecht. Die Liesl, meine Frau, ist vermutlich schon auf dem Sprung in die Praxis und ihre Tochter, die Anna, na ja, was soll ich sagen“, Ludwig zuckte die Schulter, dann setzte er lächelnd hinzu: „Sie wird halt dreizehn.“

Ganz konnte Kardinal Gruber dieser Argumentationskette zwar nicht folgen, aber einerlei, er hatte Hunger und kaum geschlafen. Also würde er die Einladung des Bürgermeisters auf jeden Fall annehmen müssen. Jetzt erinnerte er sich auch langsam an den jungen Ludwig. Der war immer schon eine Führungsnatur gewesen, erst im Firm-Unterricht, später als Jungscharführer. Ganz der Vater. Also gut, er würde sich zum Frühstück einladen lassen. Mit einem ordentlichen Kaffee im Magen konnte er besser darüber nachdenken, wie es nun, da er in Sicherheit zu sein schien, weitergehen sollte.

Gestern war er einfach nur froh gewesen, dass der Ordensprovinzial ihm hier eine Unterkunft ermöglicht hatte. Fürs Erste dürfte er im Pfarrhaus gut aufgehoben sein. Für längere Zeit schien es ihm allerdings nicht ganz das Passende. Die Räume im ersten Stock dürften schon längere Zeit leer stehen. Er würde gründlich lüften müssen.

Als er zu Bürgermeister Paffler ins Auto stieg, wurde es langsam dämmrig, und es war klirrend kalt. Sein eleganter Wintermantel war da fehl am Platz. Er hätte besser einen Anorak mitgenommen.

„Du bist also verheiratet?“, nahm er den Gesprächsfaden wieder auf.

Ludwig nickte. „Erinnerst du dich an die Liesl? Die Tochter von Doktor Schwarz, dem Gemeindearzt?“

„Erinnern wäre zu viel gesagt. Ich erinnere mich an Doktor Schwarz, seine Gattin und, wenn ich jetzt darüber nachdenke, auch daran, dass sie eine Tochter hatten.“

Ludwig nickte. „Stimmt, die Liesl war damals ja fast noch ein Kind. Jedenfalls ist Doktor Schwarz schon vor Jahren gestorben und die Liesl hat seine Praxis übernommen.“

„Und eure Ehe ist glücklich?“

Ludwig nickte abermals, diesmal grinsend. „Klar, wir sind ja auch erst eineinhalb Jahre verheiratet.“

„Dann ist Anna nicht deine Tochter?“

„Nein, ist sie nicht, aber wir kommen ganz gut miteinander aus. Mein Gott, ich kenn sie ja schon, seit sie auf der Welt ist.“

Nach wenigen Minuten hielten sie vor einem Bürogebäude mit der Aufschrift „Paffler-Bau“. Es lag etwas außerhalb und war von imponierender Größe. Nachdem Ludwig ihn mit Kaffee und einem ordentlichen Stück Mohnstrudel versorgt und seiner Sekretärin noch einige Anweisungen gegeben hatte, nahm er gegenüber dem Kardinal Platz und sagte: „Jetzt erzähl mal. Was machst du hier, nach all den Jahren, und wie lang wirst du bleiben?“

„Ich mache hier Urlaub.“

„Urlaub? Im alten Pfarrhaus. Noch dazu im Jänner.“ Ludwig schüttelte den Kopf. „Ist dir da nichts Besseres eingefallen?“

Dieses Argument musste Kardinal Gruber gelten lassen. Zu blöd, dass er nicht über eine plausiblere Erklärung seines Hierseins nachgedacht hatte. „Nun ja, ich gebe zu, das ist etwas … ungewöhnlich, aber mein Arzt meint, ich bräuchte vor allem Ruhe. Es war in letzter Zeit etwas viel los im Vatikan.“

„Ruhe haben wir hier allerdings jede Menge, vor allem um die Jahreszeit. Was genau machst du im Vatikan?“

„Nun, ich bin …“, er dachte kurz nach. Der Mann war Bürgermeister und führte offenbar einen nicht ganz unbedeutenden Betrieb, also würde er die Wahrheit so oder so herausfinden. „Ich bin Präfekt des Wirtschaftssekretariats.“

Ludwig stieß einen kurzen Pfiff aus. „Alle Achtung. Dann muss ich jetzt Präfekt zu dir sagen.“

„Präfekt ist nur mein Amtstitel. Mein geistlicher Titel ist Kardinal.“

Nun schien der joviale Bürgermeister endlich beeindruckt zu sein, denn er fragte etwas weniger forsch: „Dann sag ich künftig Eminenz zu dir?“

Konnte er das bejahen? Eher nicht. Die Frage schien ohnehin nicht besonders ernst gemeint zu sein, denn nun grinste Ludwig wieder. Kardinal Gruber überlegte, ob es überhaupt opportun war, hier als Kardinal aufzutreten. Auch diese Frage musste verneint werden. Also lächelte er milde. „Besser nicht. Wie gesagt, ich brauche eine Auszeit und möchte hier gern in aller Stille ein paar Tage zur Ruhe kommen.“

„Ja, schön, an mir soll‘s nicht liegen, aber die Leute werden dich erkennen, so wie ich dich erkannt habe.“

Darüber hatte Kardinal Gruber bisher ebenso wenig nachgedacht wie über seine Verpflegung und die Frage, wer ihm hier den Haushalt führen sollte. Gestern ging es einfach ums Überleben, da hatten solche Fragen keine Relevanz gehabt. Nach einem weiteren Versuch, ihn frühzeitig vor seinen Schöpfer zu bringen, diesmal mit vergiftetem Mineralwasser, wollte er einfach nur noch weg.

Ums Überleben ging es in einem gewissen Sinn jetzt auch, dachte er nicht ohne Selbstironie, allerdings auf einer etwas anderen Stufe. Da ihm nichts Besseres einfiel, sagte er: „Der Mohnstrudel war übrigens ausgezeichnet. Hat deine Frau ihn gemacht?“

„Die Liesl? Na, bestimmt net. Der Weißmaier hat ihn gemacht, aber verkauft wird er jetzt im Bio-Laden.“

„Hier scheint sich ja einiges geändert zu haben.“

Ludwig lehnte sich gemütlich zurück. Er schien mit sich und seiner Welt zufrieden. „Ja, schon.“

„Und wo ist dieser Bio-Laden?“

„Weißt noch, wo der alte Gemischtwarenladen war?“

Kardinal Gruber nickte. „Ich glaube, den finde ich noch.“

„Dort ist jetzt der Bio-Laden“, antwortete Ludwig und schielte auf seine Armbanduhr. Keine ganz billige, wie der Kardinal auf den ersten Blick erkannte.

„Dort kennt dich vermutlich keiner, wie gesagt, die Betreiber sind ziemlich neu in Waldstetten. Es sei denn, die Gisela ist im Laden.“

„Wer ist Gisela?“

„Die Frau von Richard Weißmaier, unserem Bäcker. Der hat damals übrigens auch mit uns Fußball gespielt. Die Gisela ist die jüngere Tochter vom alten Riedl.“

Aha. Ludwig erzählte noch allerhand, manche Namen kamen dem Kardinal bekannt vor. Als Ludwig ein weiteres Mal auf die Uhr schielte, erhob er sich. „Dann sage ich vergelt‘s Gott für die Verpflegung und mache mich auf den Weg zu diesem Bio-Laden. Sicher wartet eine Menge Arbeit auf dich.“

Ludwig stand ebenfalls auf. „Kein Problem. Besondere Ereignisse erfordern besondere Maßnahmen. Ich habe bereits meinen Stellvertreter zu der Baustelle abkommandiert, zu der ich eigentlich fahren wollte. Hier, meine Karte. Du kannst mich jederzeit anrufen. Ich melde mich in den nächsten Tagen bei dir. Apropos, gibst mir bitte deine Handynummer?“

„Mein Mobiltelefon ist leider auf der Fahrt hierher kaputt gegangen. Ich werde mir ein neues besorgen und schreibe dir dann die Nummer.“

Wenn Ludwig darüber erstaunt war, sagte er es zumindest nicht, und drückte ihm stumm eine seiner Visitkarten in die Hand.

An der Tür machte der Kardinal nochmals Halt. „Eine Bitte hätte ich noch. Du hast recht, die Leute werden mich erkennen. Ich werde wohl auch erzählen müssen, dass ich im Vatikan beschäftigt bin, der Rest bleibt bitte unser Geheimnis.“

„Aber meiner Frau, der kann ich es doch sagen?“

Der Kardinal seufzte. „Natürlich“, und dachte bei sich: „Dabei wird es vermutlich nicht bleiben. Die wird es ihrer Tochter erzählen, wahrscheinlich auch ihrer Mutter.“ Er kannte das nur zu gut, denn so gesehen war der Vatikan auch nur ein Dorf.

 

 

 

Erwartungen

 

Nachdem Kardinal Gruber vom Bio-Laden mit hochgestelltem Kragen und Riesenschritten zum Pfarrhaus zurückgekehrt war, machte er eine Liste der Dinge, die er noch brauchen würde, um hier einige Zeit zu überleben. Er hatte schon überlegt, in ein Hotel zu gehen, aber ein Geistlicher, der sich auf unbestimmte Zeit in einem Hotel einmietete, würde möglicherweise zu unnötigem Gerede führen. Solang er nicht wusste, was im Vatikan vorging, wäre es unklug, durch solche Aktionen auf sich aufmerksam zu machen. Also setzte er sich in seinen Wagen und fuhr nach Gmünd, um einzukaufen.

Kaum hatte er Waldstetten verlassen, brach die Sonne durch die Wolken und verwandelte die eben noch triste Landschaft in eine Winteridylle. Jeder Ast, jeder Halm war mit Raureif überzogen – Gott, war das schön. Er spürte, wie er sich ein wenig entspannte.

Die Wahrscheinlichkeit, dass ihn in Gmünd jemand erkennen würde, war auch eher gering. Er stellte seinen Wagen am Hauptplatz ab, erstand eine dicke Jacke, ein Prepaidhandy und ein paar Zeitungen, gönnte sich noch einen Kaffee und überlegte dabei, ob er sich neben Bettwäsche, Unterwäsche und Handtüchern auch eine Trachtenjacke kaufen sollte. Aber was sollte das bringen? Die älteren Waldstettener würden ihn so oder so erkennen, da hatte Ludwig schon recht, der Rest erledigte sich vermutlich innerhalb eines Tages.

Dennoch würde er versuchen, der Konfrontation mit den Waldstettenern so lang wie möglich aus dem Weg zu gehen. Er musste erst wissen, was in Rom vor sich ging, und mit seinem Freund Guido telefonieren. Dann wollte er auch noch mit dem Provinzial sprechen. Vermutlich wäre es vorteilhaft, wenn sie die gleiche Geschichte über seine Anwesenheit im Pfarrhaus erzählten.

Wie gut, dass der Orden in der Zwischenzeit einen neuen Chef hatte. Den, der ihn 1991 wie einen Verbrecher von hier fortgejagt hatte, hätte er vermutlich nicht um Hilfe gebeten. Mit dem neuen verstand er sich gut. Kein Wunder, er hatte ihm im Vatikan so manchen Vorteil verschaffen können. Für den Provinzial eines unbedeutenden Ordens war es kein leichtes Unterfangen, einen Termin beim Kardinalstaatssekretär oder gar eine Audienz beim Papst zu bekommen. Kardinal Gruber hatte beides nur einen Anruf gekostet.

Wie vereinbart hinterließ er auf dem Handy seines Freundes Guido nur die neue Rufnummer. Guido meldete sich kurze Zeit später. Auch er benutze ein Prepaidhandy, das Kardinal Gruber ihm schon vor über einem Jahr vorsorglich aus Wien mitgebracht hatte.

„Hallo Guido. Wo bist du?“

„Ich bin auf dem Gut meiner Familie, wir können also unbesorgt reden. Bist du gut angekommen?“

„Danke, ja. Aber hier ist alles etwas schwieriger, als ich gedacht habe. Gleich am ersten Morgen hat der Bürgermeister mich erkannt. Wir haben seinerzeit zusammen Fußball gespielt.“

„Was hast du ihm gesagt?“

„Dass ich aus gesundheitlichen Gründen eine Auszeit nehmen muss.“

„Das ist gut, aber überlege dir eine Krankheit, die lang dauert. Hier sieht es nicht gut für dich aus. Der Heilige Vater ist mit gewohnter Diplomatie vorgegangen. Er hat Bonti auf den Kopf zugesagt, dass er nicht an einen Zufall glaubt. Wie denn auch. Rattengift kommt nicht zufällig in eine Mineralwasserflasche.“

Kardinal Gruber spürte, wie sich sein Puls beschleunigte. „Dann war es also Rattengift? Wie gut, dass mir aufgefallen ist, dass die Flasche nicht ordnungsgemäß verschlossen war, und ich erst die Blumen damit gegossen habe. Und jetzt?“

„Jetzt sind sie natürlich auf der Hut. Glaubten keine Minute, dass du zu Erholungszwecken in einem Sanatorium bist. Bonti hat süffisant gefragt, ob dein Erschöpfungsgrad es dir überhaupt erlaubt habe, mit dem Auto dorthin zu fahren. Zum Glück konnte ich darauf verweisen, dass ich in Mailand war und noch keine Details kenne.“

„Das glauben sie dir?“

„Vermutlich nicht, aber das Gegenteil können sie auch nicht beweisen. Jedenfalls bleibe ich erst einmal ein paar Tage hier, bis sich der erste Sturm gelegt hat. Sobald der Heilige Vater verkündet, dass er das Diakonat für Frauen freigeben will, haben sie bestimmt andere Sorgen.“

„Weißt du, wann das sein wird?“

„Das weiß man bei ihm doch nie.“

 

***

 

Liesl staunte nicht schlecht, als Ludwig ihr beim Abendessen endlich ausführlich von seiner Begegnung erzählte.

„Steile Karriere“, meinte sie zwischen zwei Bissen. „Wie lang ist er schon im Vatikan?“

„Nach seinem Abgang hier war er noch ein paar Monate in Wien, dort haben wir ihn vor seiner Abreise nach Rom noch einmal besucht. Ich war damals beim Bundesheer. Das muss 1992 gewesen sein.“

„Habt ihr über Rosalinde gesprochen?“

„Damals?“

„Heute.“

„Natürlich nicht.“

„Warum ist er nicht schon früher einmal gekommen? Warum gerade jetzt?“

„Keine Ahnung. Er hat nur erwähnt, dass er zu Pfarrer Pechers Beerdigung kommen wollte, aber dann kam irgendetwas dazwischen.“

„Meine Mutter hat mir einmal erzählt, Pfarrer Pecher hat sich damals sehr für Gottfrieds Verbleib eingesetzt. Schließlich war er vor allem bei der Jugend recht beliebt, und Pecher wäre gern in Ruhestand gegangen. Er war ja damals schon nicht mehr ganz jung. Trotzdem hat er dann weitergemacht, fast bis zum Ende seines Lebens.“

„Hm“, machte Ludwig nur und nahm einen Schluck Bier. „Aber weißt, was komisch war? Als ich ihn um seine Handynummer gebeten habe, da kam er irgendwie ins Stottern. Sein Handy sei kaputt, er würde sich ein anderes besorgen und mir dann die Nummer mitteilen.“

„Vielleicht will er gar keinen Kontakt.“

„Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich meine, wir waren Freunde damals. Außerdem sprach er davon, dass sein Arzt ihm diese Auszeit verordnet hätte. Es kann also sein, dass er medizinische Hilfe in Anspruch nehmen muss. Da kann es ihm doch nur recht sein, auch zu dir privaten Kontakt zu haben.“

Wie zum Beweis kündigte ein Summton von Ludwigs Smartphone eine neue Nachricht an. Gottfried hatte seine neue Telefonnummer bekanntgegeben.

„Na bitte! Ich dachte mir, wir könnten ihn in den nächsten Tagen zum Abendessen einladen.“

„Wenn ihr mit einer kalten Platte zufrieden seid, soll es mir recht sein. Wenn du an ein aufwändiges Menü denkst, redest du besser mit meiner Mutter.“

„Ist er nett?“, fragte Anna dazwischen, die bisher nur auf ihrem Smartphone herumgewischt hatte.

Liesl lächelte. „Damals war er’s. Und fesch dazu. Von sieben bis siebzig lagen ihm alle Frauen zu Füßen.“

„Über eine von ihnen ist er dann ja auch gestolpert“, setzte Ludwig hinzu.

 

***

 

„Wos hob i g‘hört? Da Pater Gottfried is wieder do?“, fragte Resi, die Gemeindesekretärin.

Ludwig nickte. Lang hatte es ja nicht gedauert, bis die Neuigkeit die Runde gemacht hatte. Zwei Tage war es jetzt her, dass er Gottfried im ehemaligen Kaplanszimmer angetroffen hatte.

„Und?“

„Nix und.“

„Jetzt red schon. Wird er do bleiben? Warum is er überhaupt kommen?“

„Frag ihn, wennst ihn siehst“, beschied Ludwig sie. Er hatte nicht vor, das wenige, das er wusste, mit Resi zu teilen. Da hätte er es ja gleich am Schwarzen Brett anschlagen können. Schon gar nicht würde er ihr verraten, dass Gottfried morgen zu ihnen zum Abendessen käme. Apropos, das wusste nicht einmal noch Liesl. Er musste ihr gleich eine Mail schreiben. Gottfried hatte ihn heute Morgen angerufen, weil die Heizung nicht richtig funktionierte. Also hatte Ludwig einen Installateur geschickt und gleich die Einladung ausgesprochen. Gottfried hatte zugesagt, ihn aber auch wissen lassen, dass er auf ein Treffen im kleinen Kreis hoffte. Eh klar, was hatte er denn gedacht?

„Wird er am Sonntag die Messe halten?“, unterbrach Resi seine Überlegungen.

Ludwig zuckte nur mit den Schultern. Das hätte er selbst gern gewusst, er würde ihn Morgen danach fragen. Als Resi immer noch stehen blieb, setzte er, jedes Wort einzeln betonend nach: „Ich weiß es nicht“, und als sie selbst dann keine Anstalten machte, an ihren Schreibtisch zurückzukehren, schnauzte er sie an: „Hast nix zu tun?“

„Doch. Unsere neue Schlossherrin möchte wissen, ob der Termin für die Eröffnung des Heimatmuseums schon fix ist.“

Zum Kuckuck, auch das wusste er nicht, er wartete noch auf eine Zusage aus dem Sekretariat der Landeshauptfrau. Das wär ein Hammer, wenn die kommen würde. Ganz auszuschließen war es nicht. Ein Kardinal würde dem Event auch zusätzlichen Glanz verleihen. Ach so, durfte ja keiner wissen, dass er Kardinal war. Was da wohl dahintersteckte? Er war schon gespannt, wie lang Gottfried bleiben würde.

Resi stand noch immer da und sah ihn erwartungsvoll an.

„Ich ruf unsere Schlossherrin nachher selber an.“

„Aber net vergessen, sonst keppelts wieder mi an“, legte Resi noch nach, dann zog sie endlich ab.

Ludwig machte sich seufzend eine Notiz. Dann schrieb er die Mail an Liesl.

 

 

Von Eminenzen und gescheiten Büchern

 

Liesl gab sich gelassen, so ein Kardinal war schließlich auch nur ein Mensch. Aber es war ohnehin weniger sein Titel als die Erinnerung an jenen „Pater Gottfried“, der damals allen Mädchen schlaflose Nächte und wilde Tagträume beschert hatte, die auch heute noch ihre Magennerven ein wenig flattern ließen. Manche Dinge änderten sich scheinbar nie. Wie er wohl aussah, überlegte sie, während sie die kalte Platte, die Steffi, die Chefin des Bio-Ladens, gerichtet hatte, noch mit den gefüllten Eiern aufmotzte, die ihre Mutter Annabell ihr mitgegeben hatte.

Sie hörte die Haustür ins Schloss fallen. Wow, sogar Ludwig schien heute pünktlich zu sein. Jetzt musste sie nur noch Anna davon überzeugen, dass es möglich war, eine Stunde ohne Smartphone zu überleben. Sie warf einen Blick auf die Küchenuhr. Der Gottfried von damals wäre kaum vor halb acht gekommen, also hatte sie noch Zeit, um …

Schon läutete es an der Tür. Sie eilte ins Bad, warf einen raschen Blick in den Spiegel, verwendete sogar etwas Lippenstift, dann ging sie dem hohen Gast entgegen.

Hätte sie nicht gewusst, wer da vor ihr stand, groß, schlank, graue Schläfen, dunkler Anzug, sie hätte ihn für – wie hieß dieser Schauspieler, für den Annabell so geschwärmt hatte? Jopie … Jopie Heesters; sie hätte ihn für Jopie Heesters gehalten. Nur nicht so strahlend, und der Priesterkragen störte. „So einer sitzt im Vatikan“, fuhr es Liesl unpassender weise durch den Kopf, während sie ihm versicherte, dass sein Besuch gar keine Mühe mache und wie sehr sie sich darüber freue.

Leider hatte dieser Gottfried mit dem lebensfrohen jungen Kaplan nur noch wenig gemeinsam. Dieser hier war vornehm und distanziert, dennoch schien seine Ausstrahlung ungebrochen, eher war sie noch stärker geworden. Sogar Anna schien hingerissen, sie protestierte nicht einmal, als Ludwig sie als „unsere Anna“ vorstellte. Seit ihr leiblicher Vater vermehrt hier auftauchte, war sie in solchen Dingen heikel.

Anstatt Blumen hatte ihr Gast „für die gnädige Frau“ ein Buch gebracht.

„Ihr seid’s jetzt aber net per Sie“, meinte Ludwig leutselig.

„Das waren wir doch früher auch“, warf Liesl ein. Irgendwie war ihr das jetzt peinlich.

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Gottfried dich gesiezt hätt‘, du warst ja damals noch ein Kind“, sagte Ludwig arglos. Jetzt funkelte Anna ihn wütend an. Liesl war damals 14 und Anna fühlte sich mit knapp 13 schon ziemlich erwachsen.

Ludwig schien der Blick nicht entgangen zu sein, denn er verbessertes rasch: „Also fast halt, jedenfalls noch nicht gänzlich erwachsen“.“

„Tja, wenn ich den Vorschlag Ihres Gatten aufgreifen darf, würde ich mich natürlich sehr geehrt fühlen, wenn ich Sie, verehrte Frau Doktor, wieder Liesl nennen dürfte und würde mich außerordentlich freuen, wenn Sie mich nun Gottfried nennen.“

„Sehr gern, Eminenz.“

Zum Aperitif servierte Ludwig einen Frizzante aus dem Weinviertel, Liesl ein paar Speckzwetschgen. Die waren einfach zu machen und schmeckten immer, auch ihrem Gast. Man sprach belangloses Zeug, dann bat Liesl zu Tisch.

Während des Essens unterhielten sie ihn mit Geschichten aus Waldstetten und mit jeder Geschichte schien er ein wenig mehr aufzutauen und sich an seine Zeit hier erinnern zu können. Dennoch hatte Liesl das unbestimmte Gefühl, dass da eine Wand zwischen ihnen war, eine, die auch Ludwig nicht einzureißen vermochte. Das schien ihm allerdings nicht aufzufallen.

Beim Abschied fragte Ludwig: „Wirst du am Sonntag die Messe halten?“

Gottfried schien erstaunt. „Habt ihr denn keinen Pfarrer?“

„Ihr wisst da unten wohl wenig über euer Kirchenvolk“, meinte Ludwig belustigt. „Wenn du’s genau wissen willst, haben wir, seit Pfarrer Pecher gestorben ist, keinen Pfarrer mehr.“

„Natürlich weiß ich, dass leider nicht mehr alle Gemeinden einen eigenen Pfarrer haben, manche auch zusammengelegt werden mussten, aber eine Sonntagsmesse wird es doch geben.“

„Jeden zweiten Sonntag. Diesen Sonntag gäb‘s nur einen Wortgottesdienst. Also, wie wär’s?“

Gottfried überlegte kurz. „Unter diesen Umständen wird es mir eine Freude sein.“

 

***

 

„Früher hat er länger durchgehalten“, meinte Ludwig, während er sich von seiner Krawatte befreite.

„Damals war er ja auch fast 30 Jahre jünger“, entgegnete Liesl und schlüpfte in ihre bequemen Hausschuhe.

„Hast du herausgefunden, was er eigentlich hat? Er sagt ja, sein Arzt hätte ihm die Auszeit quasi verordnet.“

„Für mich klang das nach angelesenem Burnout.“

„Was soll das sein?“

„Wenn du Burnout googelst, kommst du genau auf die Symptome, die er so leidenschaftslos beschrieben hat.“

Er warf ihr einen erstaunten Blick zu: „Wie kommst denn da drauf?“

„Ist nur so ein Gefühl, aber es ist halt ein Unterschied, ob jemand Beklemmungen hatte oder er dir erzählt, dass der Nachbar welche gehabt hat.“

Ludwig setzte sich auf einen Küchenstuhl und sah einen Moment lang zu, wie Liesl den Geschirrspüler einräumte. „Hm, das würde auch erklären, warum er diese Auszeit ausgerechnet in Waldstetten nimmt. Ich mein, er war jetzt fast 30 Jahre nicht mehr da, hatte zu niemand mehr Kontakt.“

Liesl warf ihm einen skeptischen Blick zu. „Bist du da sicher?“

„Du meinst, er ist wegen Rosalinde gekommen? Nach all den Jahren? Na, des glaub i net. Dann hätte er sich ja auch nicht im Pfarrhaus niedergelassen. Also, je länger ich darüber nachdenke, umso mehr habe ich den Eindruck, das ist kein geplanter Aufenthalt – und schon gar kein Urlaub. Also ehrlich, wenn ich im Jänner in Rom sitz, dann fahr ich doch nicht über 1000 Kilometer, um ‚etwas auszuspannen‘, damit ich anschließend in Waldstetten sitze, in Schnee und Kälte. Das macht kein vernünftiger Mensch.“

„Wer dann?“, fragte Liesl und ließ sich ihm gegenüber nieder.

Ludwig schien nachzudenken. „Magst noch ein Stamperl?“

„Ein kleiner Obstler könnt nicht schaden, Mamas gefüllte Eier waren ziemlich fett.“

„Aber gut“, schwärmte Ludwig. Als er mit der Flasche und zwei Schnapsgläsern wiederkam, sagte er: „Je länger ich darüber nachdenke, umso mehr habe ich das Gefühl, unser lieber Gottfried ist auf der Flucht.“

„Jetzt übertreibst aber“, lachte Liesl und prostete ihm zu.

„Wonach sieht‘s denn sonst aus? Nach einer geplanten Reise? Eher net.“

„Wovor sollte so eine Eminenz schon fliehen?“

„Vor einer anderen Eminenz vielleicht. Ich hab da neulich ein Buch gelesen, eine Geschichte aus dem Vatikan. Da ging es um Mord und Totschlag.“

„Sag ich dir nicht immer, du sollst g’scheite Bücher lesen“, spottete Liesl.

„Du, das war ein Tatsachenbericht – angeblich.“ Dann angelte er nach dem Buch, das Gottfried mitgebracht hatte. „Frederico de Luca. Was Gott nicht wollte“, las er laut vor. Der Name des Autors klang italienisch und sagte ihm nichts. Er warf einen Blick ins Impressum. „Das Buch ist erst im Vorjahr erschienen. Ich glaub, da lese ich gleich noch ein paar Seiten.“

 

***

 

„War es klug gewesen, die Sonntagsmesse zu übernehmen?“, überlegte Kardinal Gruber auf dem Weg ins Pfarrhaus. Jetzt würde auch noch der Pfarrer von Stettenkirchen auf ihn aufmerksam werden. Einerlei. Nachdem seine Anwesenheit sowieso nicht geheim zu halten war, konnte er ebenso gut die Sonntagsmesse halten.

„Ludwig hat Glück gehabt“, dachte er im Weitergehen. Er war ein geachteter Mann mit einer scheinbar ganz gut florierenden Firma, hatte eine nette kluge Frau und die Tochter gleich mitgeliefert bekommen. Natürlich war Waldstetten nicht die große weite Welt, aber es schien ihm ein rundes, zufriedenes Leben.

Er hingegen ging jetzt in das einsame, alte Pfarrhaus und war schon froh, dass Ludwig dafür gesorgt hatte, dass es auch im ersten Stock ordentlich warm wurde. Eine Ausnahmesituation, natürlich, allerdings eine, von der er nicht wusste, wie lang sie dauern würde.

Ohne Zölibat stünde er jetzt vermutlich auch nicht allein da, hätte eine Frau, vielleicht Kinder. Seine Familie war im Aussterben. Er war ein Einzelkind gewesen, seine Mutter war dement, sein Vater zwar geistig noch fit, aber er konnte kaum gehen. Heuer wurde er 90. Er musste ihn morgen anrufen und die neue Telefonnummer durchgeben. Vater würde nicht besonders verwundert sein über die Vorfälle in Rom. Er traute der katholischen Haute Volée, wie er den Vatikan nannte, so ziemlich alles zu und hatte ihn stets davor gewarnt, nach Rom zu gehen. Dennoch hatte er ihn unterstützt, denn seine Verbindungen zur Nuntiatur waren es gewesen, die ihm, dem Diplomaten-Sohn Gottfried Gruber, den Weg nach Rom geebnet hatten.

Seine Mutter war ganz anders, fromm nahezu. Er war froh, dass sie nicht mehr verstand, was da im Vatikan vorging. Anfangs konnte sie ihre Demenz noch ganz gut verbergen, in der Zwischenzeit gelang ihr das nur noch für kurze Momente. So stolz war sie auf ihn gewesen, bei seiner Priesterweihe, bei seiner Primiz hier in Waldstetten, und wenn sie ihn später besucht hatten. Als ihm der Kardinalstitel verliehen worden war, waren sie zum letzten Mal in Rom gewesen. Das war nun auch schon wieder einige Jahre her.

In der Zwischenzeit war er in seinem Quartier angekommen. Ein Zuhause war es nicht. Sein Zuhause, wenn er überhaupt eines hatte, war in Rom und deutlich komfortabler. Nach den neuesten Nachrichten war jedoch nicht damit zu rechnen, dass er es bald wiedersehen würde.

 

Gerüchteküche

 

Die Kunde, dass „Pater Gottfried“ wieder da sei, verbreitete sich schnell, und da man wenig darüber wusste, warum er gekommen war und wie lang er bleiben würde, wuchsen die Gerüchte rascher als das Gras nach einem warmen Sommerregen.

Als Gloria den Bio-Laden betrat, hörte sie die alte Frau Horak sagen: „Fesch war a jo immer schon, der Pater Gottfried, deshalb san ihm die Weiber ja a olle nachg’rennt.“ Und die Weißmaierin fügte hinzu: „Darüber ist er dann ja auch gestolpert, damals. I hab ja g’hört, diesmal soll es auch wieder so a G’schicht sein.“

Glorias Interesse war sofort geweckt. „Sprechen Sie von jenem Pater Gottfried, der seinerzeit unter Pfarrer Pecher hier Kaplan war?“

„Genau der“, bestätigte Gisela Weißmaier.

„Der ist in Waldstetten?“

„Seit Dienstag.“

Das war ja hochinteressant. Schließlich arbeitete Gloria immer noch an der Chronik von Schloss Waldstetten, das ihre Tante Adelheid ihr vererbt hatte, und an einem Roman, der sich ebenfalls mit dem Leben ihrer Tante beschäftigte. Könnte doch sein, dass dieser Pater Gottfried noch irgendetwas wusste. Schließlich konnte ihm das Verhältnis zwischen Tante Adelheid und Pfarrer Pecher nicht verborgen geblieben sein.

„Und wie lang bleibt er?“, wollte Gloria wissen.

„Des weiß keiner, aber er hält morgen die Sonntagsmesse, hat mir die Alt-Bürgermeisterin grad erzählt. Da wird er des sicher alles klarstellen“, vermutete Frau Weißmaier.

Gloria kaufte rasch ein und beeilte sich, wieder ins Schloss zu kommen, um Daniel alles zu erzählen. Morgen mussten sie die Heilige Messe besuchen. Daniel würde keine Freude haben, denn er schlief an einem Sonntag gern länger. Als Mann einer Schlossherrin musste man eben Opfer bringen, da konnte man nichts machen.

Als sie Daniel die Neuigkeit überbrachte, meinte der nur: „Ach so, ja, das habe ich schon gehört. Die Kinder haben in der Schule darüber gesprochen.“

„Und das erzählst du mir nicht?“ Gloria war fassungslos.

„Ich wusste ja nicht, dass du dich neuerdings für ältliche katholische Geistliche interessierst.“

„Na hör mal, der Mann hat mit Pfarrer Pecher Hand in Hand gearbeitet, der könnte doch einiges wissen.“

„Was denn? Dass der Pfarrer mit deiner Tante Adelheid liiert war, das wissen wir doch schon.“

Auch wieder wahr. Also setzte Gloria mit einem koketten Lächeln hinzu: „Außerdem soll er sehr fesch sein. Apropos, Frau Weißmaier meint, dass er auch diesmal über eine Frauensache gestolpert sei.“

Auch das schien Daniel nicht zu überzeugen. „Woher weiß sie das?“

Gloria sah ihn verwundert an. „Sie weiß es natürlich nicht, sie vermutet es nur.“

 

*

 

Als sie am nächsten Morgen knapp vor zehn Uhr in die Kirche kamen, war diese fast voll besetzt. Gloria klemmte sich noch neben Liesl in die Bank, Daniel hatte, wie auch andere Männer, nur noch einen Stehplatz.

Kurz darauf begann die Orgel zu spielen, zwei Ministranten und ein Priester zogen in die Kirche ein. „Wow, sehr attraktiv“, war Glorias erster Gedanke. Kein Wunder, dass die Waldstettenerinnen sich so viele Gedanken um ihn machten, auch wenn diese Gedanken nicht immer nur freundlich waren.

Die Messe nahm ihren Lauf. Wenn die Waldstettener sich Informationen über den Grund seines Hierseins oder die Dauer des Aufenthaltes erhofft hatten, wurden sie enttäuscht. Lediglich zu Beginn der Messe hatte der Priester alle noch einmal begrüßt und erwähnt, wie sehr es ihn freue, einige Wochen hier verbringen zu dürfen. Das war‘s.

Nach der Messe fragte Liesl: „Geht ihr noch mit zum Dorfwirt?“

Gloria bejahte. Gegen den Dorfwirt hatte Daniel nie etwas einzuwenden. Außerdem hatte sie soeben ihren Onkel Konrad erblickt, der an der Seite von Liesls Mutter Annabell aus der Kirche kam. Die beiden würden sicher auch noch auf einen Sprung zum Dorfwirt gehen.

„Mir ist kalt, von mir aus könnt ma gehen“, sagte Liesl, und als Daniel sich suchend nach Ludwig umblickte, meinte sie nur: „Ludwig kommt nach, er hat noch etwas mit Gottfried zu besprechen. Ich glaub, wegen der Heizung.“

 

***

 

Ludwig hatte tatsächlich noch etwas mit Gottfried zu besprechen. Es hatte allerdings nichts mit der Heizung zu tun. Er hatte ihn gleich nach der Messe gefragt, ob er noch zum Dorfwirt mitkäme, was der mit einer kurzen Geste abgelehnt hatte. Nun wartete Ludwig geduldig vor der Sakristei. Endlich kam Gottfried. „Du wartest auf mich?“

„So schaut’s aus. Ich weiß, du bist von der Idee nicht begeistert, aber ich würde dir raten, mit zum Dorfwirt zu kommen.“

„Das geht leider nicht, ich bin gar nicht richtig angezogen.“

Ludwig sah ihn verständnislos an, dann meinte er mit einem Grinsen: „Solang du nicht im Pyjama unterwegs bist, ist alles gut.“

„Natürlich nicht.“ Er öffnete seinen Mantel. Ludwig sah eine dunkle Cordhose, ein Poloshirt und eine Strickjacke.

„Ist doch gut. So werden sie dich umso mehr lieben. Weißt du, es sind eine Menge Gerüchte im Umlauf, ich finde, du solltest ihnen entgegentreten.“

„Welche Gerüchte?“

„Was weiß ich. Blöde halt.“

„Und du meinst, wenn ich mit euch in diesem Aufzug zum Dorfwirt gehe, werden aus den blöden Gerüchten kluge Gerüchte?“

Ludwig rollte mit den Augen. „Ich mein, je natürlicher du dich hier bewegst umso besser ist es, und je mehr du den Leuten erzählst, umso weniger müssen’s erfinden.“

Gottfried seufzte. „Du kennst dich wohl gut aus mit den Waldstettenern.“

„Kann man so sagen.“

„Na, dann auf in den Kampf. Aber vergiss bitte nicht, ich bin nur … sagen wir, ein einfacher Monsignore.“

„Na, dann komm, Monsignore.“

Auf dem kurzen Weg zum Dorfwirt fragte Ludwig: „Warum wäre es eigentlich so furchtbar, wenn die Waldstettener wüssten, dass aus ihrem ‚Pater Gottfried‘ ein waschechter Kardinal geworden ist?“

„Das erzähl ich dir ein andermal.“

 

*

 

Beim Dorfwirt ging es diesmal hoch her. Das war früher nach der Sonntagsmesse meist so gewesen, doch in den letzten Jahren waren die Messebesucher weniger und weniger geworden. War der Priester, ein geborener Inder, da, verstand man ihn schlecht, war es ein Sonntag mit Wortgottesdienst, fanden erst recht wenige Waldstettener den Weg in die Kirche. Die einen, weil sie der Meinung waren, so ein Wortgottesdienst sei eben keine „richtige Messe“, die anderen, weil ihnen der Glaube an Gott ohnehin mehr und mehr abhanden gekommen war und sie am Sonntagvormittag Besseres zu tun hatten.

„Schön, dass es bei euch noch so viele Messbesucher und ein so reges Gemeindeleben gibt“, sagte Gottfried, als er neben Ludwig Platz nahm.

„Das ist leider nicht jeden Sonntag so“, antwortete Ludwig grinsend und bestellte zwei große Bier. Dann erst fragte er: „Du trinkst doch noch Bier?“

„Gern.“

Wie Ludwig vermutet hatte, kamen bald einige Alt-Waldstettener an ihren Tisch, die den Gast noch von früher kannten. Gottfried antwortete freundlich, erzählte, dass er zur Erholung hier sei, weil sein Arzt ihm dringend zu Luftveränderung geraten hätte. Nun ja, er sei eben auch nicht mehr der Jüngste. Dann fragte er nach deren Befinden. Manchmal half Ludwig mit Äußerungen wie: „Das ist der Vater von Ernst, unserem Tormann.“ Dann fragte Gottfried nach Ernst, ob es ihm gut ginge, ob er verheiratet sei, Kinder habe, bla bla bla.

Als Liesl schon zum Aufbruch mahnte, weil sie wie jeden Sonntag bei Ludwigs Eltern zum Essen waren, hörte Ludwig, wie jemand Gottfried fragte, was er denn im Vatikan für Aufgaben hätte. Gottfried antwortete in aller Bescheidenheit, er sei im Wirtschaftssekretariat tätig.

Auch während des Mittagessens bei Ludwigs Eltern war die Rückkehr des ehemaligen Kaplans Gesprächsthema Nummer eins.

„Hat er’s im Vatikan wenigstens zu etwas gebracht?“, fragte Ludwigs Mutter. Liesl und Anna waren instruiert und schwiegen. „Er arbeitet im Wirtschaftssekretariat“, antwortete Ludwig so beiläufig wie möglich.

„Was für eine Verschwendung“, antwortete seine Mutter, während sie die Suppe in die Terrine schöpfte.

Mit dieser Antwort hatte Ludwig nicht gerechnet. „Wieso Verschwendung?“

„Na hörst. So ein fescher Mann wird Priester, unterwirft sich dem Zölibat, und dann arbeitet er im Wirtschaftssekretariat? Da hätte er ja gleich irgendwo in eine Bank gehen und heiraten können.“

„Vielleicht wollte er sich genau das ersparen“, warf Ludwigs Vater in bewährter Manier ein.

„Du bist ja heute wieder sehr charmant“, versuchte Liesl ihrer Schwiegermutter beizustehen, doch sein Vater antwortete stoisch:

„I bin bald fünfzig Jahr verheiratet, i weiß, wovon i red. Und von wegen Verschwendung. Die da unten sind doch eh meistens schwul.“

„Was ihr für einen Blödsinn daher redet’s“, ärgerte sich Ludwig. Dann wandte er sich der Grießnockerlsuppe zu.

 

 

Die Sache mit den Geheimnissen

 

Die Nachrichten aus Rom waren nicht gerade ermutigend. Der Heilige Vater hatte nicht wie erhofft die römische Polizei eingeschaltet, sondern eine vatikanische Untersuchungskommission eingesetzt. Wie konnte er nur? Man wusste doch, wie so etwas lief. Das dauerte ewig und verlief irgendwann im Sand. Bontis Leute hatten doch überall ihre Spitzel und einflussreiche Verbündete an den richtigen Stellen.

Guido hatte ihm soeben klipp und klar gesagt: „Wenn du dein Leben nicht riskieren willst, bleib, wo du bist. Bitte!“

„Und wie lang?“, hatte Kardinal Gruber gefragt.

„Solang, bis es uns gelingt, Bonti oder einen seiner Gefolgsleute zu überführen oder wenigstens seine Mannen aus den wichtigsten Stellen zu drängen.“

„Das kann Jahre dauern“, hatte er entsetzt eingewendet, und Guido darauf: „Tja, mein Freund, das hättest du dir überlegen sollen, bevor du dieses Buch geschrieben hast. In der Zwischenzeit kann ich dir nur raten: Genieße das Landleben. Die Menschen auf dem Land haben ohnehin eine größere Nähe zu Gott.“

Möglich, aber das interessierte ihn im Moment nur am Rande. Darum würde er sich später kümmern. Allerdings hatte er im Moment wenig zu tun. Genau genommen gar nichts.

Trotzdem hatte nur ein Gedanke in seinem Kopf Platz: Wie hatte die Bonti-Truppe so schnell herausfinden können, dass er hinter dem Pseudonym Frederico de Luca steckte? Er hatte doch allergrößte Vorsicht walten lassen. Seither hatte er keine ruhige Minute mehr. Dabei war die Jagd auf ihn vollkommen sinnlos. Das Buch war seit Herbst im Handel, in der Zwischenzeit gab es sogar schon eine deutsche, eine englische und eine spanische Übersetzung. Weitere sollten folgen. Was, außer Rache zu üben, konnte sein Tod ihnen also bringen?

Immerhin würde er im Exil nicht darben müssen. Die Tantiemen sprudelten. Natürlich hatte der Provinzial ihn schon wissen lassen, was der Orden von ihm erwartete. Kein Problem, er war ohnehin nicht auf diese Tantiemen angewiesen. Sein Vater war kein armer Mann und als Kardinal in Rom verdiente man auch nicht schlecht. Zum Glück hatte er nicht nur das Konto bei der Vatikanbank. Er traute den Brüdern schon lang nicht und hatte bereits vor Jahren ein Konto bei einer Wiener Bank eröffnet, das er regelmäßig mit Einlagen versehen hatte.

Tat es ihm leid, das Buch geschrieben zu haben? Nein, sicher nicht. Nach all den verleumderischen Machwerken der Ultra-Konservativen, die in den letzten Monaten auf den Markt gekommen waren, war es höchste Zeit gewesen, den Leuten klarzumachen, was hinter vatikanischen Mauern wirklich los war, und jenen die Augen zu öffnen, die meinten, nur weil dieser Papst sich nicht wie ein Renaissancefürst gebärdete, sei die katholische Kirche bereits im 21. Jahrhundert angekommen. Leider nicht. Niemand bedauerte das mehr als er, aber es war, wie es war.

Jedenfalls musste er sich darauf einrichten, ein Weilchen hierzubleiben. Also brauchte er erst einmal jemanden, der im Pfarrhaus nach dem Rechten sah und für ihn kochte. Ludwig würde Rat wissen. Er war zwar ziemlich distanzlos und hatte eine etwas joviale Art, aber er war der Bürgermeister und er behauptete, sie wären alte Freunde. Das hielt Kardinal Gruber zwar für eine Überhöhung, aber er hätte es schlechter treffen können. Gleich morgen würde er Ludwig einen Besuch abstatten.

 

***

 

„Du willst eine Haushaltshilfe?“, wiederholte Ludwig gedehnt. „Das könnte schwierig werden.“

„Es gibt doch sicher Frauen im Ort, die etwas dazuverdienen wollen.“

Ludwig seufzte. „Hast du schon einmal etwas vom Bedingungslosen Grundeinkommen gehört?“

„Aber sicher. Die Frage wird auch im Vatikan diskutiert. Ich habe dazu erst neulich einen Artikel eines sehr anerkannten Ökonomen gelesen, hochinteressant. Es wurden innerhalb der EU sogar schon Modellregionen eingerichtet.“

Ludwig nickte. „Du sitzt mittendrin. Jetzt kannst du die ‚hochinteressanten‘ Auswirkungen im echten Leben studieren. Aber ich kann dir aus Erfahrung sagen: Jobs, wie du einen zu vergeben hast, sind seither nicht besonders gefragt.“

Gottfried schien verwundert. „Was schlägst du also vor?“

„Wir werden auf jeden Fall einen Anschlag am Schwarzen Brett machen, und bis sich jemand meldet, kann ich dir zumindest den Reinigungsdienst schicken, den wir für die Schneeräumung und die Reinigung der Räume im Erdgeschoss beauftragt haben. Wie lang willst du denn bleiben?“

Gottfried zögerte nur einen Augenblick. „Das steht noch nicht genau fest. Mein Arzt meinte jedoch, unter zwei, drei Monaten brächte der Aufenthalt nicht den gewünschten Erfolg.“

Ludwig sah ihn erstaunt an, dann sagte er langsam: „Was hältst du von einem Herrenabend?“

Diesmal dauerte es etwas, ehe Gottfried fragte: „Nur wir beide?“

Ludwig nickte.

Einen Moment blieb es still. Begeistert schien Gottfried nicht, doch dann sagte er: „Also gut, aber im Pfarrhaus. Heute Abend, um acht?“

„Heute ist es schlecht, mittwochs ist Chorprobe. Ich fehle sonst nie, das würde auffallen. Wie wär’s morgen?“

„Morgen um acht?“

„Passt.“ Ludwig tippte den Termin in sein Handy. „Ich bringe eine Flasche Wein mit und Liesl macht uns sicher ein paar Brote.“

„Bring du den Wein, der aus dem Bio-Laden ist … nun ja, gewöhnungsbedürftig. Aber Brot, Schinken und Käse einzukaufen, das kann ich machen, ich habe in diesen Tagen ausreichend Zeit. Dann bis morgen.“

Ludwig nickte zufrieden. Er war gespannt, was Gottfried ihm erzählen würde. Aber zuvor hatte er noch einige andere Probleme zu lösen. Für das Wochenende waren wieder stärkere Schneefälle angesagt, er musste sicherstellen, dass der Räumungsdienst diesmal funktionierte. Räumkräfte waren nur noch schwer zu finden und am Wochenende verlangten sie ein kleines Vermögen.

Ach ja, Gloria musste er auch anrufen. Sicher ging es wieder um das neue ‚Dorfmuseum‘, wie sie sein Heimatmuseum nun nannte. Das Wort „Heimat“ hätte einen unangenehmen Beigeschmack. Konnte er nicht finden. Die Frau legte neuerdings eine Konsequenz an den Tag, die schon an Penetranz grenzte. Er selbst hatte die Idee mit dem Heimatmuseum gehabt, ja, er hatte sie auch engagiert, nun war sie dessen Leiterin. Aber sie hatte gleich ein Museumsdorf daraus machen wollen. Dorfmuseum – Museumsdorf. Sie fand das Wortspiel genial. Außerdem nannte sie sich dessen Direktorin. Na gut, war sie eben Direktorin, aber er war der Bürgermeister. Das musste er ihr noch klar machen. Er beschloss, es diesmal mit Ironie zu versuchen und wählte ihre Nummer. Wenn er Glück hatte, war sie nicht da.

„Dorfmuseum Schloss Waldstetten, guten Tag. Mein Name ist Gloria Reinisch, was kann ich für Sie tun?“ Sie war da.

„Gott zum Gruße, edles Burgfräulein. Was kann ich für dich tun?“, begrüßte er sie.

„Ich bin kein Fräulein und wir sind in einem Schloss, aber danke für deinen Rückruf.“

„Bevor du fragst: Nein, ich weiß noch nicht, wann wir die Eröffnung machen. Unsere Landeshauptfrau hat sich noch nicht gemeldet.“

„Davon sollten wir uns aber nicht abhalten lassen. Vielleicht hat sie einfach Besseres zu tun. Aber glaube mir, wir machen auch so ein Event daraus, das die Waldstettener nicht so rasch vergessen werden.“

„Das mag sein, die Waldstettener sind aber nicht unser Zielpublikum, das Ziel ist doch, dass auch andere auf uns aufmerksam werden – darum geht’s.“

„Hab ich verstanden. Sei unbesorgt, sie werden nicht an uns vorbei können.“

„Ach nein, und was macht dich so sicher?“

„Mein Programm, du solltest es dir endlich einmal anschauen.“

„Liegt vor mir. Was ist daran so sensationell?“

„Ich erklär‘s dir bei einem Glas Wein.“

„Nur wir zwei?“, versuchte er zu scherzen. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, da hatte es zwischen ihnen durchaus ein wenig geknistert.

„Natürlich nicht. Weißt was, ich mach mit der Liesl einen Termin aus. Ciao ciao!“

Aufgelegt. Besonders erfolgreich war er jetzt nicht gewesen. Hoffentlich hatte er morgen bei Gottfried mehr Glück.

 

***

 

Kardinal Gruber hatte es sich mit einem Glas Wein in seinem ehemaligen Zimmer gemütlich gemacht. Wenn man die Deckenleuchte ausschaltete und das warme Licht der Schreibtischlampe den Rest des Raumes gnädig in Dunkelheit hüllte, konnte man es hier aushalten.

Ludwig hatte ihm neulich vorgehalten, dass er nur wenig über die Lebenswirklichkeit der Menschen an der Basis wisse. Das mochte stimmen, sich darüber Gedanken zu machen, war nicht gerade das, womit er sich in den letzten Jahrzehnten beschäftigt hatte. Da es nun aber für ihn keine Bankgeheimnisse zu hüten gab und keine Purpurträger, denen er auf die Finger schauen musste, war das vielleicht eine willkommene Abwechslung und sicher auch interessant. Vielleicht konnte er sogar ein Buch darüber schreiben. Schließlich musste er sich in den nächsten Wochen irgendwie beschäftigen. Später, wenn er wieder im Vatikan war, konnten diese Erfahrungen unter Umständen ganz hilfreich sein.

Was mochte die Zukunft ihm bringen? Je nachdem, wer im Vatikan die Oberhand gewinnen würde, reichte das Spektrum seiner Möglichkeiten vom Papstkandidaten bis zu einem Leben im Verborgenen. Waldstetten war dafür keine schlechte Wahl – bisher schien ihn hier niemand zu suchen. Er war jetzt 63, statistisch gesehen hatte er noch knappe 20 Jahre zu leben. Die katholische Kirche würde mit den Folgen des derzeitigen Machtstreits weit länger zurechtkommen müssen. Wie hatte sein Freund Guido gesagt: „Aufgeben ist keine Option.“

Gut gebrüllt, Löwe, aber was konnte er tun, außer hier zu sitzen, sich ruhig zu verhalten und zu hoffen, dass seine Häscher sich damit zufriedengaben, dass er den Vatikan verlassen hatte? Der Papst schien es auch nicht sehr eilig zu haben, ihn wiederzusehen, andernfalls hätte er keine interne Untersuchungskommission eingesetzt, sondern die römische Polizei eingeschaltet. Aber das war ja so typisch für diesen Papst. Man wusste nie, was er gerade ausheckte, und hatte nur eine ungefähre Ahnung davon, wofür er stand. Die Konservativen hielten ihn für einen Reformer und die Reformer für einen Konservativen. Beide hatten recht.

Kardinal Gruber nahm einen Schluck aus seinem Glas. Er musste einfach auf Gott vertrauen und versuchen, das Beste aus der Situation zu machen. Da es in der Zwischenzeit keinen Waldstettener mehr gab, der nicht wusste, dass er im Pfarrhaus logierte, um sich zu erholen, konnte es nicht schaden, wenn man ihn öfter beim Spaziergehen sah. Ganz im Gegenteil, es erhöhte sogar die Glaubwürdigkeit seiner Geschichte. Vielleicht sollte er sogar bei Frau Doktor Schwarz vorstellig werden. Nicht als Privatpatient, sondern einfach so, zur Sprechstunde. Konnte nicht schaden, wenn man ihn in ihrer Ordination antraf. Er konnte ja Rückenschmerzen ins Treffen führen, die musste er nicht einmal vortäuschen und vielleicht wusste sie einen anständigen Masseur, sein Rücken war verspannt wie schon lang nicht mehr. Er war es gewohnt, zweimal die Woche massiert zu werden.

Außerdem musste er überlegen, was er Ludwig erzählen sollte. Die Sache mit der Rekonvaleszenz nach einem Burnout klang zwar gut, er war aber nicht sicher, wie lang Ludwig und seine Frau sie ihm abnehmen würden. Seine Befunde und Laborwerte waren immer gut gewesen, das würde Frau Doktor Schwarz vermutlich auch feststellen. Ludwig schien bereits misstrauisch zu sein. Weswegen sonst der Herrenabend?

Außerdem war da die Sache mit dem Buch. Er hatte es damals einfach als Gastgeschenk mitgenommen, ohne darüber nachzudenken. Schließlich hatte er sich eines Pseudonyms bedient. In der Zwischenzeit hatte er den Verdacht, dass er die beiden unterschätzt haben könnte.

Wenn er nur wüsste, wie lang er in Waldstetten bleiben musste. Vermutlich war es gar nicht schlecht, hier einen Vertrauten zu haben. Notfalls auch zwei, weil nicht anzunehmen war, dass Ludwig vor seiner Frau Geheimnisse hatte. Anders als im Vatikan schienen Geheimnisse in Waldstetten keinen allzu hohen Stellenwert zu haben.

 

Steile Karriere

„Also, mein jüngerer Sohn, der Ernst, der weiß, dass da Pater Gottfried in der Vatikanbank gearbeitet hat. Na ja, was dort los ist, das wiss ma ja. Deswegen meint er, es sei kein Wunder, dass er sich hier bei uns versteckt!“, brüstete sich der alte Huber.

„Ah geh, du weißt, was in der Vatikanbank los ist? Das wundert mich jetzt aber“, widersprach die Weißmaierin, während sie ihm den Zuckerstriezel einpackte.

„Der Ernst hat damals mit ihm Fußball gespielt“, warf der alte Huber ein.

„Das hat mein Mann auch, aber in der Vatikanbank kennt er sich trotzdem net so gut aus“, konterte Gisela Weißmaier und gab ihm sein Wechselgeld zurück.

„Wiaßt manst“, sagte der nur, hob die Hand zum Gruß und ging.

„So ein Blödsinn!“, ärgerte sich die Weißmaierin. „Wie kommt er überhaupt auf die Idee, dass Pater Gottfried sich verstecken könnt? Er geht spazieren, liest die Sonntagsmesse, also nach Verstecken schaut das ganz und gar nicht aus.“

„Interessant ist es trotzdem“, meldete sich Florian, Steffis Mann und somit Mitinhaber des Bio-Ladens zu Wort. „Dass in der Vatikanbank jede Menge krumme Geschäfte gemacht wurden, stimmt. Ich habe in meiner Zeit als freier Journalist dazu viel recherchiert, weil ich mich eine Zeit lang mit den Auswirkungen der Mafiageschäfte auf die europäische Wirtschaft beschäftigt habe. Sehr vertrauenswürdige Quellen, muss ich schon sagen. Ich dachte allerdings, dass sich die Lage unter dem derzeitigen Papst gebessert hat.“

„Als ehemaliger Journalist könnte er vielleicht recht haben“, dachte die Weißmaierin. Allerdings befasste er sich seit drei Jahren eher mit dem biologischen Anbau alter Obst- und Gemüsesorten – und das nicht besonders erfolgreich.

Die Ladenglocke kündigte einen neuen Kunden an. Da schau her, der Pater Gottfried. Den würde sie gleich einmal a bisserl ausfragen.

„Was darf‘s denn sein, Monsignore?“

„Können Sie mir bitte ein wenig Schinken und Käse zusammenstellen, für zwei Personen.“

„Jo, gern. Starke Esser?“

„Ich nicht so sehr.“

„Und der Besuch?“

„Vermutlich schon eher.“

„Wer kommt denn?“

 

***

 

„Wie indiskret diese Waldstettener doch sind“, ärgerte sich Kardinal Gruber. Zu blöd, dass er ihr die Frage nahezu in den Mund gelegt hatte. Im Vatikan hätte sich niemand getraut, sie ihm zu stellen, er musste sich in Zukunft vorsehen. Im Vatikan war er allerdings auch schon lang nicht mehr einkaufen gewesen. Er bemühte sich, zugleich diplomatisch und jovial zu antworten: „Ich glaube, mein Gast kann schon etwas mehr vertragen.“

Sie schien sich damit zufrieden zu geben. Fragte nur noch: „Vielleicht ein paar Essiggurkerl dazu? Hat die Chefin selbst eingelegt, oder Maiskölbchen, auch selbst eingelegt.“

„Ja, bitte.“

„Gurkerl oder Maiskölbchen?“

„Am besten beides.“

„Bitte sehr. Butter hamma z‘Haus?“

„Gute Idee, davon nehme ich auch eine Packung, und dann noch zwei Stück von diesem herrlichen Mohnstrudel.“

„Den hat mein Mann g’macht“, antwortete sie nicht ohne Stolz.

„Dann sind Sie Frau Weißmaier? Mit Ihrem Gatten habe ich damals Fußball gespielt.“

Auf dem Rückweg ins Pfarrhaus verdunkelte sich der Himmel und der Wind blies Kardinal Gruber kräftig ins Gesicht. Wie er diese Kälte hasste. In Rom wäre es deutlich angenehmer, dort waren es heute zehn Grad gewesen. Guido hatte ihm geschrieben, dass er morgen in den Vatikan zurückkehren würde. Wie sehr er ihn dafür beneidete. Es gäbe so viel zu tun. Die Welt entwickelte sich ständig weiter, die Kirche musste sich ebenfalls weiterentwickeln. Seit über 20 Jahren bemühten sie sich, dieser simplen Erkenntnis auch im Vatikan zum Durchbruch zu verhelfen. Warum wollten das so viele seiner Kollegen nicht einsehen?

Hier verstand jeder Bauer, dass er mit der Zeit gehen musste, wollte er nicht zugrunde gehen. Seltsam, solche Gedanken hatte er schon lang nicht gehabt. Vielleicht war es gar nicht so übel, eine Zeit lang mit und an der Basis zu leben. Vielleicht würde genau diese Erfahrung ihn beim nächsten Konklave von allen anderen Kandidaten unterscheiden? Er musste sich ohnehin an den Gedanken gewöhnen, nicht so bald nach Rom zurückkehren zu können.

 

***

 

Ludwig fuhr direkt vom Rathaus ins Pfarrhaus. Er war gespannt. Liesl bezweifelte, dass er die Wahrheit erfahren würde und hatte ihm geraten, auf die Körpersprache zu achten. Ausgerechnet er. Er hielt nicht viel von solchem Schnickschnack.

Gottfried war damals sein Freund gewesen. An Männerfreundschaften änderte sich doch nichts, nur weil man einander ein paar Jahre nicht gesehen hatte. Männer mussten nicht ständig miteinander reden. Sie mussten überhaupt nicht reden, sie verstanden sich auch ohne Worte. Obwohl, heute lag der Fall etwas anders. Heute waren schon ein paar ehrliche Worte notwendig.

Der Parkplatz vor der Kirche war leer. Ludwig parkte seinen Wagen, schnappte den Karton mit den Weinflaschen und überquerte die Straße. Im ehemaligen Kaplanszimmer war es dunkel, doch zwei Fenster weiter brannte Licht. Wenn er sich richtig erinnerte, war dort das Speisezimmer des Pfarrhauses gewesen. Während er läutete, überlegte er, wie viele dienstbare Geister Gottfried wohl im Vatikan zur Verfügung standen. Hier fand er nicht einmal eine Putzfrau, geschweige denn eine Haushälterin.

Als sie einander später im Esszimmer gegenübersaßen, fühlte es sich fast an wie früher. Er hatte Gottfried manchmal beim Abendessen Gesellschaft geleistet, wenn Pfarrer Pecher nicht da gewesen war.

„Fast wie damals“, sagte er dann auch. „Nur ist aus dem Kaplan ein Kardinal geworden. Stattliche Karriere, die du da hingelegt hast.“

Gottfried betupfte seine Lippen mit der Serviette. „Ich hatte eine ordentliche Triebfeder. Als man mich hier, nach all den glücklichen Jahren, mit Schimpf und Schande davongejagt hatte, habe ich mir geschworen, dass es nie wieder jemandem möglich sein sollte, so mit mir umzugehen.“

„Deshalb hast du Karriere gemacht?“

„Nicht nur, aber in einer dermaßen hierarchisch strukturieren Institution wie der katholischen Kirche ist es anders kaum möglich, dieses Ziel zu erreichen.“