Töchter, Väter und andere Freuden - Brigitte Teufl-Heimhilcher - E-Book
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Töchter, Väter und andere Freuden E-Book

Brigitte Teufl-Heimhilcher

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Beschreibung

Zwischen Vätern und Töchtern soll es ja eine besondere Beziehung geben. Leicht haben sie es dennoch nicht immer. Das merkt auch Rainer Breininger, als er nach acht Jahren aus den Staaten zurückkehrt, um den Familienbetrieb zu übernehmen. Tochter Emma und deren Mutter machen es ihm nicht ganz einfach, in seine Vaterrolle hineinzufinden. Barbara Baum hat andere Sorgen: Ihre Schwester Magda ist in einen Betrugsfall verwickelt. War sie wirklich der Kopf der Bande, oder nur ein willfähriges Opfer Ihres Lebensgefährten? Vater-Baum glaubt auch diesmal den Beteuerungen der Tochter und hält Magda für unschuldig. Hat er recht? Einmal mehr haben die Bad Brunner einige Nüsse zu knacken – und sie tun es mit Charme und Esprit.

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Brigitte Teufl-Heimhilcher

 

 

 

 

 

 

 

Töchter, Väter und andere Freuden

 

 

 

 

 

Familien 2.0

Band 04

 

 

 

 

Roman

 

Impressum

Das Buch

Die Autorin

Was bisher geschah

1. Allerheiligen 2016

2. Warholz und Söhne

3. Der liebe Onkel Joachim

4. Frischer Wind

5. Vom Juristen zum Eventmanager

6. Weihnachtswahnsinn – erster Teil

7. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm

8. Die Sache mit dem Punsch

9. Weihnachtswahnsinn – letzte Vorbereitungen

10. Zwischen den Jahren

11. Prosit Neujahr

12. Der alte Fuchs

13. Schwesterherzen

14. Berlin einmal anders

15. Der Alltag nimmt seinen Lauf

16. Einmal Chef, immer Chef

17. Freiheit auf Raten

18. Der Anwalt

19. Osterpläne

20. Das Osterfest

21. Nachdenkpausen

22. Gina

23. Hochzeitsüberraschungen

24. Geständnisse

25. Berlin ist immer eine Reise wert

26. Sorge um Magda

27. Ginas großer Tag

28. Vater Baum auf diplomatischer Mission

29. Einkünfte und Auskünfte

30. Die Videokonferenz

31. Die Herbstreise

32. Die Quadratur des Kreises

33. Die Verhandlung

34. Ergebnisse

35. Weihnachtsüberraschungen

36. Die Heimkehr der verlorenen Tochter

37. Ein Eisen im Feuer

38. Die Abendeinladung

39. Geheimverhandlungen

40. Onkel Tims Hütte

Danke Töchter, Väter..

Band 1 – Mütter, Töchter und andere Krisen

Band 2 - Schwiegermütter, Töchter und andere D(r)amen

Band 3 – Väter, Söhne und andere Sturköpfe

Band 5 - folgt im Spätherbst 2022

Sonst noch erschienen - Stand Juni 22

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Töchter, Väter und andere Freuden

Deutsche Erstausgabe 2022

Copyright: ©2022 Brigitte Teufl-Heimhilcher,

1220 Wien

https://www.teufl-heimhilcher.at

Buchsatz und Konvertierung: Autorenservice-Farohi

www.farohi.com

Covergestaltung: Xenia Gesthüsen

Lektorat: Eva Farohi, www.farohi.com

 

Klappentext

 

Zwischen Vätern und Töchtern soll es ja eine besondere Beziehung geben. Leicht haben sie es dennoch nicht immer.

Das merkt auch Rainer Breininger, als er nach acht Jahren aus den Staaten zurückkehrt, um den Familienbetrieb zu übernehmen. Tochter Emma und deren Mutter machen es ihm nicht ganz einfach, in seine Vaterrolle hineinzufinden.

Barbara Baum hat andere Sorgen: Ihre Schwester Magda ist in einen Betrugsfall verwickelt. War sie wirklich der Kopf der Bande oder nur ein willfähriges Opfer ihres Lebensgefährten? Vater Baum glaubt auch diesmal den Beteuerungen der Tochter und hält Magda für unschuldig. Hat er recht?

Einmal mehr haben die Bad Brunner einige Nüsse zu knacken – und sie tun es mit Charme und Esprit.

 

 

 

 

Die Autorin

 

 

Brigitte Teufl-Heimhilcher lebt in Wien, ist verheiratet und bezeichnet sich selbst als realistische Frohnatur. In ihren „Heiteren Gesellschaftsromanen“ setzt sie sich mit gesellschaftspolitisch relevanten Fragen auseinander. Sie verwebt dabei Fiktion und Wirklichkeit zu amüsanten Geschichten über das Leben – wie es ist, und wie es sein könnte.

 

 

Was bisher geschah

 

Zur Erinnerung, bzw. zum besseren Verständnis, ein kleiner Überblick über die bisher wichtigsten Personen:

 

Band 1 – Mütter, Töchter und andere Krisen

 

Geschäftsfrau Annette lebt seit ihrer Scheidung allein in der Villa Waldesruh, bis ihre Tochter

Monika sich eine Beziehungspause gönnt und mit Tochter

Sarah bei ihr einzieht. Doch Sarah ist davon ebenso wenig begeistert wie deren Vater Udo.

Da Annette ihren Schwiegersohn

Udo schätzt, macht sie ihn zum Geschäftsführer ihrer Textilkette.

Während eines Urlaubes lernt Monika den Zoologen

Lorenz kennen, der ebenfalls in Scheidung lebt. Dessen Frau Johanna hat sich in ihren Jugendfreund

Alfons verliebt. Gemeinsam mit Sohn

Kläuschen ist sie zu ihm gezogen. Tochter

Petra ist hingegen bei Lorenz geblieben. Sie versteht sich gut mit ihm, nur von seiner neuen Freundin Monika ist sie nicht begeistert.

Auch Udo lernt eine neue Frau kennen, die Steuerberaterin Barbara, die für ihren Sohn

Alex keinen Kindergartenplatz finden kann.

Annettes Ex-Mann Ernst war mit der um vieles jüngeren Ärztin

Franziska verheiratet, die beiden haben einen Sohn –

Florian.

 

Band 2 – Schwiegermütter, Töchter und andere D(r)amen

 

Architekt Gernot Beranek ist Witwer. Um besser für seine Stieftochter

Lea sorgen zu können, zieht er nach Bad Brunn, vorerst in die Villa seiner Schwiegermutter

Dorothea. Leider machen es ihm die Bad Brunner nicht ganz einfach, doch zum Glück hält seine langjährige Mitarbeiterin

Christine ebenso zu ihm wie sein ehemaliger Schulkollege

Wilhelm, der nun Bürgermeister von Bad Brunn ist.

Auch Ex-Freundin

Katrin, mittlerweile mit dem Geschäftsmann

Benno verheiratet, ist immer öfter an Gernots Seite anzutreffen.

Doch ohne die Bad Brunner Damenrunde, bestehend aus Monika, der Gemeindeärztin Betsi,

der Apothekerin Georgine,

der Boutiquebesitzerin Claudia und der

Gärtnerin Poldi, läuft in Bad Brunn gar nichts – vor allem keine Gerüchte.

 

In Band 3 – Väter, Söhne und andere Sturköpfe – lernen Sie noch folgende Personen kennen:

 

Pater Helmuth, Alex’ Vater, der sich – als er von Barbaras Schwangerschaft erfuhr – in ein Kloster zurückgezogen hatte, kommt zurück und möchte nicht nur seinen Sohn kennenlernen. Er hat sich auch in den Kopf gesetzt, mit Barbara und Alex ein neues Leben zu beginnen.

Rainer Breininger, künftiger Chef der Warholz AG, kommt aus den Staaten zurück und lässt sich von Architekt Beranek ein Haus bauen.

2016 – 2018

 

1. Allerheiligen 2016

 

 

Selbstverständlich können wir Sie auch gerne vom Flughafen Schwechat abholen, hatte Christine Polvani in ihrer vorletzten Mail an Rainer Breininger geschrieben.

Sah nicht aus, als hätte sie damit gerechnet, dass er ihr Anerbieten dankend annehmen würde, dachte Rainer jetzt, während er neben ihr im Auto saß. Er hätte es besser wissen müssen, schließlich war er ein geborener Wiener. Die sagten solche Dinge eher höflichkeitshalber, als dass sie damit rechneten, jemand würde davon Gebrauch machen.

Anyway. Immerhin war er Kunde des Architekturbüros Beranek, in dem sie arbeitete, und der neue Mieter der Dachgeschosswohnung ihres Chefs war er auch. Außerdem hatte er Beranek gegenüber anklingen lassen, dass er – als neuer Chef der Warholz AG – Änderungen plante, die eine weitere Zusammenarbeit möglich erscheinen ließen.

Erst war Frau Polvani zu spät gekommen, dann hätte sie ohne seine Hilfe kaum noch in das Parkhaus gefunden, in dem sie kurz zuvor ihr Auto abgestellt hatte. Zum Glück kannte er sich ganz gut aus. Nun hätte sie um ein Haar die falsche Ausfahrt genommen.

„Sorry, mein Orientierungssinn ist leider nicht der beste“, murmelte sie, während sie sich in den Fließverkehr einfädelte und hinzusetzte: „Um ehrlich zu sein, habe ich auch schon länger niemanden vom Flughafen abgeholt. Ursprünglich wollte der Chef Sie persönlich abholen, aber ausgerechnet heute ist er auf einem Seminar.“

„Es tut mir leid, wenn ich Ihnen Umstände bereitet habe“, erwiderte Rainer ohne echtes Bedauern. Im Grunde hielt er es für selbstverständlich, dass man ihn abholte.

Sie lächelte. „Kein Problem.“

Already strange, dachte Rainer. In den Telefonaten, die er bisher mit Christine Polvani geführt hatte, war sie ihm stets clever und kompetent erschienen. Doch heute dürfte sie etwas überfordert sein.

Um die Atmosphäre aufzulockern, verwickelte er sie in ein zweifelsohne hochinteressantes Gespräch über das Wetter. Sie kamen überein, dass es grauslich war. So war das Einvernehmen wiederhergestellt.

 

***

 

Als Rainer und Christine endlich im Architekturbüro Beranek ankamen, wurden sie bereits erwartet.

„Darf ich vorstellen, Frau Baumann, unsere Innenarchitektin. Herr Doktor Breininger“, übernahm Frau Polvani die Vorstellung.

Sein Vater hatte ihm Katrin Baumann ebenso empfohlen wie Architekt Beranek. Jedenfalls sah die Dame gut aus. Trotz des Regenwetters könnte man annehmen, sie wäre eben einem Modejournal entstiegen. Kein feuchtes Haar, keine Schmutzspritzer auf den eleganten Schuhen.

Breininger reichte ihr die Hand. „Wenn der Titel vor meinem Namen genannt wird, weiß ich, dass ich wieder daheim bin“, lächelte er.

Katrin Baumann schüttelte ihm die Hand. Während sie ihm weiter zulächelte, fragte sie über die Schulter: „Kommt Gernot denn nicht?“

„Wir treffen ihn später in der Alten Post“, informierte Frau Polvani in einem Ton, der Rainer ahnen ließ, dass die beiden nicht die allerbesten Freundinnen waren. Denn als sie ihn fragte: „Wollen wir uns gleich Ihre Wohnung ansehen, oder möchten Sie erst noch eine Tasse Kaffee?“, war ihr Ton deutlich freundlicher.

„Ein Glas Wasser wäre schön.“

Sie versorgte ihn mit Wasser, dann schnappte sie sich die Schlüssel der Dachgeschosswohnung und ging voraus. Hier wirkte sie wieder kompetent und sicher, ganz so, wie er sie kennengelernt hatte.

Die Wohnung war fixfertig und so weit eingerichtet, dass er bereits heute darin übernachten konnte. Für die weitere Einrichtung sollte nun Katrin Baumann sorgen.

 

***

 

Zwei Stunden später saßen sie in der Alten Post, vor Kurzem war Architekt Beranek zu ihnen gestoßen.

„War’s interessant?“, wollte Katrin von ihm wissen.

„So interessant wie Baurecht eben sein kann. Das Beste waren – wie meist – die Pausengespräche.“

Dann wandte er sich Rainer zu. „Ich hoffe, es ist alles so, wie Sie es sich vorgestellt haben.“

„Danke, die Fotos, die sie mir gemailt haben, waren sehr aussagekräftig. Es gab also keinerlei Überraschungen. Nur stehe ich jetzt vor dem Problem, dass ich mir Möbel aussuchen muss, die nicht nur in Ihre Wohnung, sondern vor allem in mein Haus passen sollen.“

„Verlassen Sie sich dabei ganz auf mich“, flötete Katrin Baumann.

„Mit Vergnügen“, antwortete er galant, doch seine Aufmerksamkeit galt augenblicklich einer anderen, denn soeben kam Frau Doktor Wiedermann in Begleitung eines Paares. Er hatte sie bei seinem letzten Besuch in Bad Brunn kennengelernt und sich gewünscht, sie bald wieder zu treffen. Dass es ganz so schnell gehen würde, hatte er nicht zu hoffen gewagt. Zum Glück winkte Christine Polvani den Neuankömmlingen zu. Die drei kamen an ihren Tisch.

„Schon im Lande?“, erkundigte sich der Mann und schüttelte Rainer die Hand.

„Frisch aus den Staaten importiert“, antwortete der, ohne genau zu wissen, wen er hier begrüßte.

„Nutzt ihr den freien Abend?“, fragte Frau Polvani.

„Andersrum“ antwortete der Mann. „Sarah und Lea passen auf Alex auf, weil wir uns hier mit Franziska und meinem Freund Tim treffen. Franziska wird nämlich unsere Weddingplanerin, Tim wird das Catering machen.“

„Ich habe schon gehört, ihr wollt in den heiligen Stand der Ehe treten. Gratuliere!“, meinte Christine.

Nun wusste Rainer auch wieder, wer die beiden waren. Udo Regner und seine Lebensgefährtin Barbara. Sie bewohnten eines der Doppelhäuser neben der Villa, in der Franziska Wiedermann das Erdgeschoss gemietet hatte.

Rainer wandte sich ihr zu. „Weddingplanerin? Was für ein interessanter Nebenjob für eine Ärztin“, sagte er nicht ganz ohne Ironie.

„Man sollte stets auf mehreren Beinen stehen“, antwortete Franziska Wiedermann schmunzelnd. „Obwohl ich ehrlicherweise nicht genau sagen kann, welche Talente mich zu diesem Nebenjob befähigen sollten.“

 

***

 

Wenn Franziska sich nicht sehr täuschte, verdankte sie ihre Berufung zur Weddingplanerin Udos Freund Tim.

Sie kannte Tim schon fast so lange wie Udo, die beiden hatten ein paar Semester mitsammen studiert. Tim hatte allerdings bald eingesehen, dass das Wirtschaftsstudium nicht das Passende für ihn war, und mit seiner damaligen Freundin, einer gelernten Köchin, eine Cateringfirma gegründet. Die Beziehung war in die Brüche gegangen, das Cateringunternehmen hatte die Trennung überlebt und gedieh unter Tims Führung prächtig.

Tim konnte mühelos Menschen bezaubern, ob es sich nun um Auftraggeberinnen oder Personal handelte. Wobei – angeblich – so manche Dame seinem Charme erlag. Udos Ex-Frau Monika behauptete, Tim sammle Liebesabenteuer wie andere Leute Briefmarken.

Franziska hielt das für übertrieben, fand aber, Tim gehöre zu jenen Hähnen, die glaubten, dass die Sonne ihretwegen aufging – jedoch auf eine sympathische Art.

Jedenfalls ließ er neuerdings keine Gelegenheit aus, auch sie von seinem Charme zu überzeugen. Das war einerseits ganz amüsant, andererseits aber sinnlos.

Obwohl ihr Leben in letzter Zeit in ziemlich eingefahrenen Bahnen verlief – zwischen Ordination und neuer Wohnung im Erdgeschoss der Villa Waldesruh, in der sie allerdings immer öfter allein saß. Wenn Sohn Flori nicht in der Schule, bei einem Freund oder mit Sarah und Lea unterwegs war, dann zoomte er oder hatte Stöpseln in den Ohren.

Sie war von Familie umgeben, alles nette Menschen, keine Frage, dennoch hatte sie sich selten einsamer gefühlt.

 

 

2. Warholz und Söhne

 

 

„Wie war die erste Nacht im neuen Heim?“, wollte Rainers Mutter am nächsten Tag wissen.

„Dank der Nachfrage, ich kann wenig darüber berichten, ich habe sie zum größten Teil verschlafen.“

„So soll’s ja auch sein“, entgegnete seine Mutter und ließ sich aus dem Mantel helfen.

Es war der Allerheiligentag. Sie würden erst seine Wohnung besichtigen und dann auf den Friedhof fahren. Der jährliche Friedhofsbesuch gehörte für seine Eltern ebenso zum Jahresprogramm wie der Weihnachtsbaum und die Osterjause. Wobei Rainer nicht sicher war, ob seinem Vater tatsächlich so viel an derlei Dingen gelegen war oder er sich in all den Jahren einfach dem Rhythmus seiner Frau angepasst hatte.

Danach würden sie – wie jedes Jahr – im Goldenen Löwen Mittagessen und anschließend bei Joachim Warholz, seinem Onkel, Kaffee trinken. Ein gemeinsames Mittagessen lehnte seine Mutter ab. Die Brandreden ihres Bruders verdürben ihr den Appetit.

Rainer fand, ganz so unterschiedlich waren die Geschwister gar nicht. Jeder beharrte auf seinem Standpunkt. Doch während Rainers Mutter dem ihren mit Diplomatie zum Durchbruch verhalf und sich bemühte, mit der Zeit zu gehen, schien Onkel Joachim der Abgesandte einer längst vergangenen Zeit zu sein. Er war ein Unternehmer der ganz alten Schule und behauptete von sich selbst, er sei einer von echtem Schrot und Korn.

Darüber konnte man geteilter Meinung sein, dachte Rainer. Sicher war, dass Joachim immer noch agierte wie vor 50 Jahren, als er die Firma von seinem Vater übernommen hatte. Die Zeit hatte ihn einfach überholt.

Der Zeitschriftenverlag Warholz bestand nun in dritter Generation. Rainers Urgroßvater hatte ihn als Warholz und Söhne gegründet. Sein Großvater hatte den Verlag weiter ausgebaut und am Ende zu 51 Prozent seinem Sohn Joachim und zu 49 Prozent seiner Tochter Inge, Rainers Mutter, vermacht. Das entsprach seiner Einstellung und seinem Sinn für Gerechtigkeit. Frauen hatten sich tunlichst um die Familie zu kümmern und aus dem Geschäft rauszuhalten.

Damit rannte er bei seinen Kindern allerdings offene Türen ein. Joachim teilte die Meinung seines Vaters, und Tochter Inge hatte eine Modeschule besucht und mit dem Verlag nichts am Hut. Außerdem bekam sie zum Ausgleich das Haus ihrer Großmutter.

Dass ihr Bruder damit das Sagen bei Warholz hatte, war ihr lange Zeit gleichgültig gewesen. Die Dividenden waren ihr wichtiger, versprachen sie doch eine gewisse Unabhängigkeit.

Da Joachim keine Nachkommen hatte, war für Rainer schon früh klar gewesen, dass er den Betrieb eines Tages übernehmen würde. Dafür wären verschiedene Studien zur Auswahl gestanden. Er hatte sich für jenes der Rechtswissenschaften entschieden.

Während Rainer nun seinem Vater die Haustechnik näherzubringen versuchte, beobachtete er, wie seine Mutter einige Kleidungsstücke zusammenlegte, die er vorhin achtlos aus dem Koffer geworfen hatte.

„Es ist unhöflich, in fremden Wohnungen ungefragt aufzuräumen“, ließ er sie im Vorbeigehen mit nur halb gespielter Empörung wissen.

„Es ist auch unhöflich, alles herumliegen zu lassen, wenn man Gäste erwartet.“

„Ich habe keine Gäste erwartet, nur meine neugierigen Eltern.“

„Und ich habe nur den Saustall meines eigenen Sohnes beseitigt“, entgegnete sie mit süffisantem Lächeln.

Rainer gönnte ihr den kleinen Triumph, einmal mehr das letzte Wort zu haben, und folgte seinem Vater auf die Terrasse.

 

***

 

Joachim Warholz bewohnte das Haus seiner Vorfahren gleich hinter dem Betriebsgelände. Der mächtige Backsteinbau wirkte innen ebenso düster wie außen. Die Flügeltüren waren aus dunklem Holz, in der Bibliothek, in der er sie erwartete, reichten die Regale vom Boden bis zur Decke und schienen vollgestopft mit alten Büchern, die vermutlich schon länger niemand gelesen hatte.

Er trug auch heute einen Nadelstreifanzug mit Hemd und Weste, allerdings ohne Krawatte – sein Zugeständnis an den Feiertag.

Früher hatte er noch volles, schwarz gelocktes Haar gehabt und Rainer damit stets an einen Mafioso erinnert. Inzwischen machte die etwas eigenartige Resthaarfrisur die Mafia-Optik zunichte.

Rainers Mutter, selbst der Inbegriff von Eleganz, hatte einmal geäußert, sogar ein Holzfällerhemd würde ihrem Bruder besser stehen als diese Anzüge – womit sie vermutlich recht hatte.

Doch Joachim Warholz hielt an seinen Anzügen fest, wie er an allem festhielt, was ihm jemals wichtig gewesen war.

„Du hast es scheinbar eilig, mich hier zu ersetzen, du bist zwei Monate zu früh“, wandte Joachim sich an Rainer. „Wie gesagt, ich räume meinen Sessel nicht vor Ende des Jahres.“

Fanny, die ältliche Haushälterin, servierte den Kaffee.

„Ich weiß und werde die Zeit nützen, um mich in Bad Brunn einzurichten und mir einen Überblick zu verschaffen. Außerdem darf ich dich erinnern, es war deine Idee, mich hier als Geschäftsführer zu installieren. In New York waren sie untröstlich über meinen Abgang. Ich hätte dort durchaus mein Auskommen gehabt.“

Das war die Untertreibung des Jahres. So gut, wie er in dieser Kanzlei verdient hatte, würde er vermutlich länger nicht mehr verdienen.

„Meine Idee? Dass ich nicht lache. Deine Mutter hat mir gedroht, ihr Geld aus der Firma zu ziehen, wenn ich den Sessel nicht für dich räume.“

„Weil du achtzig bist und das Unternehmen in den Ruin führst, wenn du so weitermachst“, warf Rainers Mutter ungerührt ein.

Damit hatte sie recht. Rainer hatte – bevor er sich für den Schritt in die Heimat entschied – Erkundigungen eingezogen. Mutters Befürchtungen waren leider nicht unbegründet. Die Zeitschriften des Verlages waren für ihre sachliche, objektive Berichterstattung bekannt. Doch neuerdings fanden sich darin immer wieder Verschwörungstheorien und unbewiesene Behauptungen. Das schadete dem Image des Verlages.

Auch wusste Rainer, dass man den alten Warholz, wie man seinen Onkel in Bad Brunn nannte, nicht überall im gleichen Maß schätzte. Allerdings schätzte man sein Geld, das er in letzter Zeit ziemlich wahllos zu verteilen schien.

Rainer war zurückgekommen, um das Unternehmen wieder auf Kurs zu bringen und im Sinne der Familientradition weiterzuführen.

„Außerdem bleibst du uns ja als Chef des Aufsichtsrates erhalten“, setzte er nun begütigend hinzu.

 

***

 

Diesmal würde er sich von Onkel Joachim nicht provozieren lassen, das hatte Rainer sich fest vorgenommen.

Als er seinerzeit, gleich nach seinem Studium, schon einmal bei Warholz tätig gewesen war, damals als Assistent der Geschäftsführung, flogen zwischen ihm und seinem Onkel die Fetzen. Nur seiner Tante Hildegard, die immer wieder die Wogen glättete, war es zu verdanken, dass er überhaupt einige Jahre ausgehalten hatte.

Sein Onkel war damals Anfang sechzig und noch lange nicht bereit gewesen, sich zumindest in den Aufsichtsrat zurückzuziehen.

Als Rainer dann das Angebot bekam, für eine international tätige Kanzlei nach Berlin zu gehen, hatte er nicht lange nachdenken müssen.

Die Jahre in Berlin waren ebenso lehrreich wie anstrengend gewesen. Für Privates war kaum Zeit geblieben. Außerdem gab es in Bad Brunn die fesche Claudia, mit der ihn eine lose Liebschaft verband. Sie trafen sich mal hier mal da, und manchmal besuchte sie ihn auch in Berlin.

Im Zuge eines Prozesses hatte Rainer dann einen der führenden Juristen einer weltweit tätigen Kanzlei kennengelernt, der ihm kurz darauf das Angebot unterbreitete, nach New York zu kommen.

In der Abschiedsnacht mit Claudia dürfte dann seine Tochter entstanden sein. Als Rainer davon erfahren hatte, war er längst in New York. Mehr aus Verantwortungsgefühl denn aus Begeisterung hatte er Claudia angeboten, zu ihm zu kommen, doch das wollte sie nicht.

Das alles lag gerade einmal acht Jahre zurück, zugleich schien es ewig her zu sein. Fast wie in einem anderen Leben.

Seine Tochter hieß Emma. Claudia nannte sie Engelchen und Rainer hatte die Kleine bisher nur wenige Male gesehen.

Dennoch war Emma mit ein Grund, dass er dem Drängen seiner Mutter nachgegeben und seinen gut dotierten Job in New York gekündigt hatte, um in vierter Generation die Warholz AG zu übernehmen.

 

 

3. Der liebe Onkel Joachim

 

 

Rainers To-do-Liste war lang.

Er brauchte ein Auto, eine Putzfrau, ein Bankkonto, Möbel, wollte sich mit Claudia treffen, die führenden Mitarbeiter von Warholz kennenlernen und sich bei Christine Polvani mit einem Blumenstrauß bedanken, weil sie – zu allem Überfluss – auch noch seinen Kühlschrank mit den wichtigsten Lebensmitteln befüllt hatte.

Apropos Lebensmittel – einkaufen musste er auch noch gehen und morgen Nachmittag würde die Spedition bereits seine Sachen bringen.

Step by step. Erst eine Mail an Claudia, dann würde er sich ein Taxi rufen und ins Autohaus fahren. Hoffentlich hatten die auch gleich einen passenden Leihwagen.

Die Mail an Claudia hielt er kurz.

Vor Wochen schon hatte er ihr mitgeteilt, dass er bald wieder in Bad Brunn leben würde. Offenbar interessierte sie das nur wenig, denn zunächst antwortete sie gar nicht, dann teilte sie mit, sie sei zusammen mit ihrem Freund Marko und Engelchen in einem Wellness-Hotel gewesen.

Natürlich lag nahe, dass Claudia einen Freund hatte. Frauen wie sie blieben nie lange allein. Doch dass sein Kommen sie so gar nicht interessierte, hatte Rainer dann doch ein wenig irritiert. Obwohl er längst wusste, dass sie nicht die Frau war, die er sich ein Leben lang an seiner Seite wünschte. Aber was hieß schon ein Leben lang? Statistisch betrachtet war die erste Hälfte seines Lebens ohnehin vorbei.

Hatte er die Zeit gut genutzt? Je näher sein 45. Geburtstag kam, desto öfter stellte er sich diese Frage.

 

***

 

Schon wenige Stunden später parkte Rainer seinen Leihwagen auf dem Stadtplatz. Er hätte sich einen etwas größeren gewünscht, aber zur Not musste es dieser hier tun, und in wenigen Tagen sollte er sein neues Auto bekommen. Er hatte sich für eine E-Limousine entschieden, und da er keine besonderen Ansprüche an die Farben von Karosserie und Innenausstattung stellte, hatte man ihm einen Vorführwagen angeboten.

In der Zwischenzeit war Mittag längst vorbei, wie sein Magen ihn mit lautem Knurren informierte. Er kaufte in Schuhmachers Feinkostladen ein paar Schmankerln, erstand in der Trafik zwei Tageszeitungen – und im Blumenladen einen großen Strauß für Frau Polvani. Dann machte er sich auf den Weg in seine Wohnung. Davor wollte er im Architekturbüro nur rasch den Blumenstrauß loswerden.

Christine Polvani freute sich offensichtlich über die Blumen und lud ihn zu einer Tasse Kaffee ein, die er dankend annahm, weil ihm gerade einfiel, dass er vergessen hatte, Milch zu kaufen.

Noch während sie den Kaffee für ihn zubereitete, erschienen Architekt Beranek und ein stattlicher Mann, der Rainer bekannt vorkam.

Gernot Beranek übernahm die Vorstellung. „Unser Bürgermeister, Herr Müllner.“

Der Bürgermeister schüttelte Rainer die Hand. „Ich denke, wir kennen uns. Du bist doch der Rainer Warholz.“

„Rainer ja, Warholz nein. Aber ja, wir kennen uns vom Gestüt, stimmt’s?“

Der Bürgermeister nickte. „Aber du bist der Neffe vom alten Warholz?“

„Das allerdings. Doch mein Nachname ist Breininger.“

„Ah ja, jetzt weiß ich’s wieder. Deine Mutter war die Schwester vom Warholz.“

„Sie ist es noch immer“, lächelte Rainer und nahm einen Schluck aus seiner Kaffeetasse.

„Ich tappe heute von einem Fettnäpfchen ins nächste. Aber schön, dich hier zu treffen. Wenn die Gerüchteküche recht hat, übernimmst du den Laden.“

„Per 1. Jänner 2017. Ich hätte nicht gedacht, dass Onkel Joachim das schon publik macht.“

„Also ich weiß es von meiner Frau, und die weiß es von ihrer Freundin, der Apothekerin.“

„Verstehe. Die Apothekerin weiß es von ihrer Schwester Claudia – und die weiß es von mir.“

„Und wenn es erst die Apothekerin weiß, weiß es eh bald die ganze Stadt“, ergänzte Christine lächelnd. „Ich bin zwar erst kürzlich zugezogen, aber so viel habe ich bereits mitbekommen.“

 

***

 

Warholz war in Bad Brunn kein unbedeutender Arbeitgeber. Vermutlich deshalb hatte die Nachricht, dass der künftige Chef bereits in Bad Brunn weilte, sich wie ein Lauffeuer verbreitet.

Die älteren Verlagsmitarbeiter, darunter auch der Portier, kannten Rainer noch von früher und zeigten nicht das geringste Erstaunen, als er im Verlag erschien.

Auch die Sekretärin seines Onkels, Frau Nowak, kannte Rainer von früher. Leider. Gisela Nowak war seinem Onkel treu ergeben und nicht so harmlos, wie sie aussah. Mit ihrem grauen Haar, das sie streng nach hinten gekämmt trug, und der stets hochgeschobenen Lesebrille sah sie aus wie eine nette Oma. Doch sie war der Schrecken aller, die mit dem Chef sprechen wollten, und blaffte jeden an, der sich ihr gegenüber nicht behaupten konnte.

Rainer hatte sie schon früher nicht gemocht, dennoch sagte er höflich: „Frau Nowak, welch eine freudige Überraschung.“

Sie nickte ihm nur zu, warf einen Blick auf ihre Armbanduhr und antwortete: „Der Herr Direktor erwartet Sie bereits – seit fünf Minuten.“

„Dann bin ich ja überaus pünktlich“, konterte Rainer und ging weiter ins Chefzimmer.

Sein Onkel thronte hinter einem riesigen Schreibtisch, paffte eine seiner Zigarren und sah ihm entgegen. „Na endlich.“

„Dir auch einen schönen Morgen, Onkel Joachim.“

„Ja, ja.“

Rainer sah sich um. Hier hatte sich wenig verändert – nicht einmal der Geruch der Zigarren. Der Raum erinnerte an die Bibliothek im Haus seines Onkels. Auch dort waren die Wände bis zur Decke holzvertäfelt, die Regale hier waren jedoch mit Ordnern vollgestopft.

„Alles wie es war“, sagte Rainer.

„So wird es auch bleiben. Mein Zimmer bleibt mein Zimmer. Schließlich bin ich ab Jänner Vorsitzender des Aufsichtsrats.“

Rainer schluckte. „Und wo darf ich meine Zelte aufschlagen?“

„Mir egal. Im Dachgeschoss stehen noch einige Büros leer.“

Rainer kannte das Dachgeschoss. Die Räume waren niedrig, die Dachfenster klein. Früher waren dort die Registratur und die Praktikanten untergebracht.

„Du meinst ernsthaft, ich sollte mein Büro im Dachgeschoss einrichten?“

„Du kannst auch andere dorthin übersiedeln. Ganz nach Belieben.“

Rainer nickte. So hatte der Alte sich das also vorgestellt. Wen immer Rainer ins Dachgeschoss verbannte – er würde sich damit keine Freunde machen.

„Das Einzige, das ich dir überlasse – wenn auch nur sehr ungern – ist meine Sekretärin“, fuhr Warholz fort.

Beinahe hätte Rainer laut aufgelacht, doch er hatte seine Gesichtszüge im Griff, als er antwortete: „Danke vielmals, aber das kann ich nicht annehmen.“

„Du wirst sie brauchen. Frau Nowak ist seit mehr als dreißig Jahren im Betrieb, sie kennt jeden Vorgang.“

„Du doch auch.“

„Ich werde aber nicht immer zu deiner Verfügung stehen. Wenn ich schon gezwungen bin, dir die Zügel zu übergeben, will ich auch etwas davon haben. Ich werde jagen, reisen und Golf spielen.“

Das bezweifelte Rainer, doch er antwortete: „Kein Problem. Wenn Frau Nowak so eine Spitzenkraft ist, wie du sagst, hat sie sicher alles lückenlos dokumentiert.“

„Möglich. Dennoch empfehle ich sie dir. Sie arbeitet nahezu fehlerlos, ist zuverlässig, loyal und erfahren.“

„Wie erfreulich – für dich, behalte sie ruhig. Wenn du hinkünftig mehr Freizeit haben willst, brauchst du ohnehin jemanden, der die Ohren für dich offen hält.“

„Wie soll ich das verstehen?“, blaffte sein Onkel.

„So, wie ich es gesagt habe.“

Einen Moment blieb es still, dann sagte Warholz: „Was willst du eigentlich schon hier?“

„Ich verschaffe mir einen Überblick über die Räumlichkeiten, suche mir ein Office und werde es passend einrichten.“

Der alte Warholz lehnte sich zurück und grinste. „Das könnte schwierig werden. Meine Mitarbeiter folgen ausschließlich meinen Anweisungen und es weiß ja noch kaum jemand, dass du ab Jänner hier Chef spielen willst.“

Rainer lächelte süffisant. „Ich fürchte, da irrst du, lieber Onkel. Ganz Bad Brunn weiß es.“

 

 

4. Frischer Wind

 

 

Schon zwei Tage später erschien Rainer neuerlich im Architekturbüro. Nun saß er Gernot Beranek gegenüber, wies auf den vor ihnen liegenden Plan und erläuterte sein Problem.

Gernot hörte aufmerksam zu. „Wenn ich bisher alles richtig verstanden habe, hat jeder Beschäftigte einen eigenen Arbeitsplatz, wenngleich ein Teil der Mitarbeiter über weite Strecken gar nicht im Büro ist.“

Rainer Breininger nickte.

„Ich habe neulich den Umbau eines großen Bürohauses begleitet“, fuhr Gernot fort. „Dort war die Problematik eine ähnliche. Ein Teil der Schreibtische stand immer leer. Deshalb haben wir Arbeitsplätze geschaffen, die jedermann nutzen kann. Jeder Mitarbeiter hat seinen Laptop und nimmt dort Platz, wo eben Platz ist. Darüber hinaus gibt es Besprechungs- und Pausenräume. Auf diese Weise haben wir ein Viertel der Flächen eingespart. Was halten Sie davon?“

„Ich kenne solche Konzepte aus den Staaten und sie gefallen mir ganz gut, doch ich fürchte, dass die derzeitige Firmenstruktur dieses Modell noch nicht zulässt. Obwohl – lassen Sie mich nachdenken – unter den Redakteuren könnte das eventuell funktionieren. Ich werde mich schlaumachen. Wir müssten vorerst ja nur für mein Büro und ein Sekretariat Platz schaffen.“

Gernot nickte. Dann fragte er: „Darf ich offen sein? Das alles klingt, als würde Ihr Onkel Sie nicht gerade mit offenen Armen empfangen.“

„Nein, das tut er nicht, der Onkel Joachim. Da er jegliche Veränderungen hasst, versucht er auf diese Weise offenbar Zeit zu schinden.“

„Wie die Kinder beim Zubettgehen“, warf Gernot lächelnd ein.

„Ja, so ähnlich. Aber ich versteh’s sogar – irgendwie. Er hat bisher nur für die Firma gelebt und hatte nur wenig andere Interessen. Leider sind seine Ansichten in letzter Zeit etwas … unorthodox geworden. Meine Mutter nennt sie senil. Wie auch immer, seine verqueren Ideen verunsichern nicht nur die Belegschaft, sie finden auch immer öfter Niederschlag in den Zeitschriften unseres Verlages – und das vergrämt unsere Leserschaft.“

Gernot erinnerte sich, dass Wilhelm Ähnliches erzählt hatte, und nickte. „Scheint mir kein leichtes Erbe zu sein, das Sie da antreten.“

Das konnte Rainer nur bestätigen. Sie klärten noch einige Details, ehe Gernot sagte: „Wir haben am Samstagabend ein paar Freunde zu Gast. Wenn Sie nichts Besseres vorhaben, würden wir Sie gerne dazu einladen.“

„Da sage ich nicht Nein und komme gerne.“

 

***

 

Als Gernot beim Abendessen Christine davon erzählte, meinte die grinsend: „Hoffentlich ist Breininger nicht enttäuscht.“

„Wieso sollte er?“

„Na, vielleicht hofft er, dass Franziska Wiedermann dabei ist.“

„Wie kommst du darauf?“

„Erinnerst du dich an neulich, als wir mit Breininger in der Alten Post waren?“

Gernot nickte kauend.

„Ist dir denn nicht aufgefallen, wie die beiden einander angestrahlt haben, als Frau Wiedermann zufällig mit Udo und Barbara gekommen ist?“

„Was du immer siehst.“

„War mir eh nicht recht. Eigentlich dachte ich schon länger, sie könnte sich gut mit Erich verstehen.“

„Welcher Erich?“

„Erich Neubauer – unser Verwalter. Die beiden kennen sich vom Golfplatz.“

Gernot schüttelte grinsend den Kopf und nahm sich noch etwas Salat. „Ich wusste gar nicht, dass du nebenbei ein Heiratsvermittlungsbüro betreibst.“

„Daddy, das heißt Partnervermittlung“, klärte Lea ihn auf.

„Ich betreibe keine Partnervermittlung, ich interessiere mich für meine Mitmenschen“, sagte Christine.

„Und du hast immer noch ein schlechtes Gewissen, weil du Neubauer meinetwegen einen Korb gegeben hast“, ergänzte Gernot. „Aber ist Breininger nicht mit der Besitzerin unserer Lieblingsboutique zusammen?“

„Das war er, angeblich ist die Kleine seine Tochter. Aber Claudia ist doch jetzt mit diesem Marko vom Immobilienbüro liiert.“

Gernot spießte die letzte Kohlsprosse auf seine Gabel, ehe er meinte: „Na dann laden wir Frau Wiedermann doch ein. Ich finde sie sehr sympathisch und sogar Dorothea war recht angetan von ihr.“

Christine wiegte den Kopf. „Sympathisch finde ich sie auch, aber wir kennen sie doch kaum.“

„Immerhin haben wir für sie gearbeitet.“

„Auch wieder wahr. Ich rede gleich mit Barbara darüber.“

Als Christine nach etwa einer halben Stunde wiederkam, berichtete sie: „Barbara war genauso ahnungslos wie du, aber ich bleibe dabei, zwischen den beiden hat es geknistert. Ich rufe Frau Wiedermann an. Mehr als absagen kann sie ja nicht.“

 

***

 

Franziska dachte überhaupt nicht daran abzusagen, ganz im Gegenteil. Sie war in letzter Zeit selten ausgegangen. Zu selten. Möglicherweise rächte es sich jetzt, dass sie in der Zeit mit Ernst ihre ehemaligen Studienkollegen und Freunde vernachlässigt hatte.

Jedenfalls war sie so erfreut über die Einladung, dass sie gar keinen Gedanken daran verschwendete, wie es dazu gekommen sein konnte.

Erst als sie am Samstagnachmittag eine vergnügliche Stunde vor ihrem Kleiderschrank verbrachte, fiel ihr auf, dass sie gar nicht nach dem Grund der Einladung gefragt hatte. Sie rief Barbara an. Die wusste von keinem besonderen Anlass, also war es offenbar nur ein zwangloser Abend unter Freunden. Obwohl, Freunde waren sie bisher noch keine, aber was nicht war, konnte ja noch werden. Sie hatte Architekt Beranek immer schon sehr nett gefunden und auch gegen Frau Polvani war nichts einzuwenden. Ganz abgesehen davon, dass Sohn Flori und Beraneks Stieftochter Lea der gleichen Clique angehörten.

Franziska wählte schwarze Jeans, einen schwarzen Rollkragenpulli, dazu rote Pumps, eine rote Kette und passende Ohrgehänge. Das sah ebenso pfiffig wie lässig aus. Zufrieden mit sich machte sie sich auf den Weg.

Udo und Barbara waren bereits da, Rainer Breininger kam wenige Minuten später und schien überrascht, sie zu sehen.

Schon beim Aperitif einigten sich alle Anwesenden aufs Du. Während der Vorspeise – Gernot hatte köstliche Garnelensülzchen serviert – erzählte Udo, dass es in Bad Brunn bald eine Tanzschule geben sollte.

„Unsere Mädels sind schon ganz aufgeregt.“

Gernot nickte. „Ich weiß. Lea rechnet fest damit, dass wir sie in den erstmöglichen Kurs gehen lassen. Aber ich weiß nicht, sind sie dazu nicht noch viel zu jung?“

Udo grinste. „Wie alt warst du denn, als du in die Tanzschule gegangen bist?“

„Das war schon nach der Matura.“

„Da warst du aber spät dran. Ich war fünfzehn oder sechzehn, der Kurs fand allerdings am Nachmittag statt“, erinnerte sich Franziska. „Erst konnte ich es auch kaum erwarten, doch dann stellte sich der Tanzkurs für mich als blanker Horror heraus, denn ich fand nur selten einen Tanzpartner und mutierte zum sprichwörtlichen Mauerblümchen.“

„Das kann ich mir allerdings nur sehr schwer vorstellen“, entgegnete Breininger galant. „Die Burschen müssten ja blind gewesen sein.“

„Du ahnst nicht, wie tröstlich dein Zuspruch heute noch für mich ist“, erwiderte Franziska in gespielter Verzweiflung, um dann im Normalton hinzuzusetzen: „Blind waren sie nicht, nur zu klein für mich.“

 

***

 

Was für eine fesche, kluge Frau, dachte Rainer, dazu noch mit Humor. Im Laufe des Abends verfestigte sich dieser Eindruck und als Franziska später erzählte, dass sie Weihnachten mit ihrem Ex-Mann und dessen Frau feiern würde, staunte er nicht schlecht. Großmütig war sie also auch noch.

Das Thema Weihnachten beschäftigte die Tischrunde noch eine ganze Weile. Die etwas komplizierten Familienverhältnisse machten es scheinbar schwierig, allen Familienmitgliedern gerecht zu werden. Rainer hörte nur mit einem Ohr zu. Es war Mitte November. Mit Weihnachten würde er sich – frühestens – in einem Monat beschäftigen. Wichtiger erschien ihm, sich mit Franziska zu verabreden.

Als der Abend zu Ende ging, bot er an, sie nach Hause zu bringen. Leider war ihr Heimweg denkbar kurz – und auf einen Schlummertrunk lud sie ihn auch nicht ein.

 

 

 

5. Vom Juristen zum Eventmanager

 

 

Tatsächlich beschäftigte das Thema Weihnachten Rainer schon zwei Tage später – und zwar intensiver als gedacht.

Onkel Joachim hatte ihm bereits anlässlich seines 80. Geburtstages mitgeteilt, dass er die Veränderungen an der Spitze von Warholz erst im Zuge der Weihnachtsfeier bekanntgeben würde.

Da das Datum dafür längst feststand, war Rainer davon ausgegangen, dass auch alles andere organisiert war. Doch es stellte sich heraus, dass Joachim keinerlei Vorkehrungen getroffen hatte – außer ein Save the date verschicken zu lassen. Nun eröffnete er Rainer, dass er die Feier mit sofortiger Wirkung in dessen Hände legte.

„Ich bin Jurist, kein Eventmanager“, wandte Rainer empört ein.

Das schien seinen Onkel allerdings nicht zu interessieren. „Als Chef muss man ohnehin ein Multitalent sein, Frau Nowak kann dir zur Hand gehen“, war alles, was er dazu sagte.

„So weit kommt’s noch“, zischte Rainer und verließ wutentbrannt das Chefzimmer. Als er durchs Sekretariat rauschte, sagte Gisela Nowak: „Also, wenn Sie mich fragen, ist es viel zu spät, um noch etwas zu organisieren.“

Rainer war über diese Bemerkung nicht einmal verwundert. Es war bekannt, dass sie gerne lauschte. Er blieb kurz stehen und antwortete sarkastisch: „Falls ich eines Tages Ihre Meinung hören will, lasse ich es Sie wissen!“ Dann nickte er ihr zu und verließ mit großen Schritten das Bürohaus.

Was sollte das werden? Eine Falle des alten für den neuen Chef? Das war doch abartig. Außerdem war Onkel Joachim immer noch mit knapp 50 Prozent an der Firma beteiligt.

So wütend Rainer war, so klar war ihm bald, dass er sich dieser Herausforderung wohl oder übel stellen musste. Andernfalls würde sein lieber Onkel allen, die es hören wollten – und vermutlich auch jenen, die es nicht hören wollten – bei jeder sich bietenden Gelegenheit erzählen, dass die Weihnachtsfeier leider ausfallen musste, weil der künftige Chef nicht in der Lage war, sie auszurichten.

Das würde schon bei den Mitarbeitern nicht gut ankommen, doch unter den 150 geladenen Gästen waren Redakteure und Chefredakteure nahezu aller relevanten Tageszeitungen und andere Opinionleader.

Rainer war es gewohnt, dass Firmenevents von Mitarbeitern organisiert wurden, er hatte sich nie um diese Dinge gekümmert. Aber gut, so schwierig konnte das nicht sein. Er musste nur logisch vorgehen.

Für so ein Event brauchte man vor allem drei Dinge: eine Location, Getränke und Speisen – so viel wusste er immerhin.

Er machte sich an die Arbeit.

Am Dienstagmittag war klar, dass es in und um Bad Brunn kein Restaurant und keine Gaststätte gab, die in der Lage war, ein solches Fest auszurichten. Entweder hatten sie keine Termine mehr frei oder keinen Raum für eine derart große Veranstaltung. Also würde nichts anderes übrig bleiben, als die Weihnachtsfeier im Betriebsgebäude abzuhalten.

Gut, dass er um 17 Uhr ohnehin einen Termin mit der Innenarchitektin hatte. Wie hieß sie doch? Ach ja, Katrin Baumann.

Er hatte sie in der Zwischenzeit auch mit der Ausgestaltung seines künftigen Büros beauftragt. Heute wollte sie mit ihm die Farben für Boden, Wand und Vorhänge abstimmen.

„Gehören Weihnachtsdekorationen eventuell auch zu den Aufgaben einer Innenarchitektin?“, fragte er, nachdem sie sich auf passende Farben und Stoffe geeinigt hatten.

„Nicht unbedingt, aber ich war immer schon ein Weihnachtsfreak. Was stünde denn an?“

„Könnten Sie sich vorstellen, die Firma Warholz in eine Art Pop-up-Winterwonderland zu verwandeln? Am 22. Dezember sollte hier eine Weihnachtsfeier für etwa 150 Personen stattfinden. Ginge das?“

Katrin lächelte maliziös. „Da müsste ich mir erst einmal die Räumlichkeiten ansehen. Außerdem ist es eine Frage des Budgets – und da rede ich noch gar nicht von meinem Honorar.“

Rainer überlegte. So teuer konnten ein paar Weihnachtsbäume und ein wenig Tand ja nicht sein, und außergewöhnliche Umstände erforderten stets außergewöhnliche Maßnahmen.

„Na dann, machen wir uns auf den Weg.“

„Der großzügige Eingangsbereich ist schon einmal von Vorteil“, überlegte Katrin im Gehen. „Gibt’s hier auch so etwas wie eine Kantine?“

„Zumindest einen Speisesaal für das Personal. Wir kochen hier allerdings nicht selbst, das Essen wird täglich frisch geliefert.“

„Das ist doch auch schon etwas“, murmelte Katrin und machte sich eifrig Notizen. Am Ende des Rundgangs sagte sie: „Wenn Sie kein großes Buffet aufbauen und stattdessen die Gäste mit kleinen Snacks bewirten, die herumgetragen werden, müsste es zu machen sein.“

„Flying Dinner also. Gute Idee!“ Er hielt ihr die Hand hin. „Einverstanden. Machen Sie mir die tollste Weihnachtslocation, die Bad Brunn je gesehen hat.“

Katrin schenkte ihm ein reizendes Lächeln und schlug ein: „Ich werde Sie nicht enttäuschen.“

Hoffentlich, dachte Rainer.

 

***

 

Auch in der Villa Waldesruh machte die Planung des Weihnachtsfestes einigen zu schaffen.

Für Annette schien erst alles ganz einfach. Sie wollte, wie jedes Jahr, die ganze Familie unter ihrem Weihnachtsbaum versammeln.

Da die Familie aber mit den Jahren infolge von Scheidungen und Wiederverheiratungen stets größer und unübersichtlicher geworden war, drohte dieser Plan zu scheitern.

Da waren einmal Tochter Monika, ihr frischgebackener Ehemann Lorenz samt der gemeinsamen Tochter Katharina und Sarah, ihre Tochter aus erster Ehe.

Sarah war für Annettes Plan sofort zu haben. Bei Lorenz war das schon schwieriger. Seine Mutter hätte man nach Wien holen können, doch Lorenz wollte, verständlicherweise, auch seine Kinder Petra und Klaus um sich haben. Das wollte deren Mutter Johanna allerdings auch – und die lebte in Salzburg.

Das alles ging hinten und vorne nicht zusammen, zumal sich Monika weigerte, ohne Tochter Sarah zu feiern, und Sarah sich weigerte, ohne ihren Vater Udo zu feiern.

Einzig bei Udo und Barbara schien es diesmal entspannt zuzugehen. Udos Eltern waren ohnehin fixer Bestandteil von Annettes Gästelisten, und da Barbaras Schwester Magda dieses Jahr den Heiligen Abend bei den Eltern verbringen würde, konnten Udo, Barbara und Alex den Weihnachtsabend guten Gewissens in Bad Brunn verbringen.

So weit der Plan.

 

***

 

Als Rainer sich am Samstagabend mit Franziska in dem von ihr vorgeschlagenen italienischen Restaurant traf, hatte er immer noch kein Catering. Es war zum Mäusemelken. Er hatte nun also eine Location, wie auch immer die aussehen würde, und mit Getränken konnte er die Gäste sicher auch versorgen – aber zu essen sollte es schon auch etwas geben. Ein Caterer hatte immerhin gemeint, ein paar Hundert Käsewürfel könnte er ihm notfalls noch liefern. Das war nicht ganz das, was Rainer vorschwebte.

Eigentlich hatte er nicht vorgehabt, Franziska mit seinem Dilemma zu langweilen, doch dann erzählte er es ihr doch.

Erst sagte sie: „Sieh an, vom Juristen zum Eventmanager. Hast du nicht erst neulich über meinen Nebenjob als Weddingplanerin gelästert?“

„Schuldig im Sinne der Anklage“, gab er lachend zu.

Doch dann hatte Franziska gleich mehrere Ideen.

„Ich könnte Udos Freund Tim fragen. Sollte der auch schon ausgebucht sein, dann vielleicht Monika, meine … sagen wir – der Einfachheit halber – meine Freundin. Sie hat so etwas einmal für Annettes Firma gemacht.“

„Really? Für wie viele Gäste?“

„Das weiß ich nicht genau, aber vierzig, fünfzig werden es schon gewesen sein. Wenn du willst, frage ich die beiden gleich morgen.“

Das wollte Rainer unbedingt, schon um den Kontakt zu Franziska nicht abreißen zu lassen. Die Frau gefiel ihm von Mal zu Mal besser, doch schien sie ihm bei aller Sympathie, die sie ihm sichtlich entgegenbrachte, sehr distanziert. Nun, er war kein Jungspund mehr, er konnte warten.

 

 

6. Weihnachtswahnsinn – erster Teil

 

 

Als Barbara Monikas Küche betrat, saß die vor mehreren Kochbüchern und einer Liste.

„Planst du schon dein Weihnachtsmenü?“

„Nein, ich plane das Catering für die Weihnachtsfeier der Firma Warholz.“

„Du machst was?“

„Ich organisiere deren Weihnachtsfeier, zumindest den kulinarischen Teil.“

Der Blick, den Barbara ihr daraufhin zuwarf, zeigte so viel Unglauben, dass Monika langsam und geduldig, als würde sie mit ihrer knapp 2-jährigen Tochter sprechen, wiederholte: „Ich habe zugesagt, das Catering für die Weihnachtsfeier der Firma Warholz zu organisieren.“

„Braucht man dazu denn nicht ein gewisses Equipment?“

„Ich habe gesagt organisieren, nicht machen.“

„Heißt im Klartext?“

„Das heißt, dass ich einen Teil selber mache und anderes zukaufen werde. Tim liefert uns einen Teil, anderes kaufe ich bei Schuhmachers, das Gebäck liefert …“

Barbara warf einen etwas verächtlichen Blick auf Monikas handgeschriebene Listen. „Ich könnte dir zumindest eine ordentliche Excel-Datei machen.“

„Lass nur, meine Handlisten sind nicht das Problem, aber vielleicht könntest du mir auf andere Weise helfen?“

Barbara schwante Übles. Sie schluckte und fragte heroisch: „Gerne, und wie?“

Monika grinste. „Entspann dich. Du musst weder Zwiebeln schneiden noch Karotten putzen, aber wenn ihr in eurem Tiefkühler etwas Platz hättet, wäre mir sehr geholfen. Dann könnte ich jetzt schon Schinkenkipferln und Würstelhappen zubereiten, die brauchen dann am Tag der Weihnachtsfeier nur noch aufgebacken zu werden.“

Barbara fiel ein Stein vom Herzen. „Das ist sicher kein Problem. Außer etwas Gebäck, Erbsen und Garnelen haben wir kaum etwas eingefroren. Wann findet die Fete denn statt?“

„Am 22. Dezember.“

„So knapp vor Weihnachten?“

„Ja, aber das macht nichts. Wir feiern heuer ohnehin im Lungau.“

Genau deswegen war Barbara gekommen. Nun war ihr diplomatisches Geschick gefragt. „Ich hab schon gehört. Sarah scheint gar nicht begeistert zu sein. Sie kann gerne bei uns bleiben.“

Monika nickte und schob ihr wortlos den Teller mit den Vanillekipferln zu. „Das hat Annette auch schon angeboten, aber das kommt für mich keinesfalls infrage. Ich lasse mein Kind zu Weihnachten nicht allein. Außerdem kann sie nicht immer ihren Dickschädel durchsetzen.“

Barbara fand die Zusammenfassung dieser Argumente etwas unlogisch, schwieg aber, denn sie wusste, wie sensibel Monika war, wenn es um ihre Kinder ging. Doch nach dem zweiten Vanillekipferl und einigem Nachdenken sagte Barbara: „Weihnachten mit einem unwilligen Teenager zu feiern, stelle ich mir aber auch wenig prickelnd vor.“

„Ja, ich weiß, aber was soll ich machen? Es kann doch nicht sein, dass wir Weihnachten im Lungau sitzen, damit Lorenz seine Kinder um sich hat, und ich lasse meine Tochter allein zurück?“

Barbara grinste. „Du lässt sie doch nicht allein zurück. Sie verbringt, auf eigenen Wunsch, Weihnachten mit ihrem Vater und ihren Großeltern. Außerdem hast du Sarah das ganze Jahr um dich, während Lorenz seine Kinder nur alle heiligen Zeiten sieht. Wann kommt ihr denn wieder?“

„Erst im neuen Jahr, wir haben ja hier nicht einmal einen Christbaum.“ Auch das hatte Barbara schon gehört.

 

***

 

„Und? Was hat Monika gesagt?“, wollte Udo wissen, sobald Barbara ins Wohnzimmer kam.

Sie zuckte ratlos die Schulter. „Moni ist natürlich nicht begeistert von der Idee, Sarah bei uns zu lassen, aber ganz ausgeschlossen hat sie es am Ende auch nicht mehr. Vielleicht solltest du doch selbst einmal mit ihr reden.“

„Na, ob das so eine gute Idee ist? Aber ich spiele morgen Abend mit Lorenz eine Partie Schach. Mal sehen, was er dazu meint.“

„Lorenz hat gar nichts zu sagen!“, rief Sarah, die eben ins Zimmer kam. Wie stets war sie über das Dachgeschoss gekommen, wo eine Tür die beiden Häuser verband. Eine Tür, die nahezu ausschließlich von Sarah und Alex genutzt wurde.

„Jetzt hör mir einmal gut zu, meine Liebe“, sagte Udo bestimmt. „Ich verstehe, dass du Weihnachten nicht im Lungau verbringen willst, und freue mich, dass du Wert auf unsere Gesellschaft legst. Das beinhaltet aber nicht, dass du in einem derart abfälligen Ton über Lorenz sprichst. Er ist immerhin dein Stiefvater.“

„Ich habe ihn mir nicht ausgesucht.“

„Diese Antwort ist dumm und das weißt du auch. Außerdem solltest du deine Strategie überdenken. Statt dich mit Lorenz zu duellieren, solltest du lieber versuchen, ihn um den Finger zu wickeln. Das gelingt dir bei mir ja auch – dann und wann.“

„Mama hört sowieso nicht auf ihn, die ist doch voll auf dem Egotrip.“

„Ach ja?“, fuhr Barbara dazwischen. „Weißt du eigentlich, dass Monika für den 22. Dezember einen Cateringauftrag für 150 Personen angenommen hat? Meinst du das mit Egotrip?“

Sarah riss die Augen auf. „Mama hat waaas? Wie will sie das denn stemmen?“

„Frag sie“, riet Udo. „Vielleicht kannst du ihr deine Hilfe anbieten und sie so friedlich stimmen.“

Sarah überlegte. „Du meinst, wir machen so eine Art Deal. Ich helfe ihr, dafür lässt sie mich zu Weihnachten hierbleiben?“

Udo nickte. „Im Grunde ja, aber ich würd’s netter formulieren.“

 

 

7. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm

 

 

Diesen Advent werden die Mitarbeiter so schnell nicht vergessen, dachte Rainer, als er gegen 19 Uhr das Firmengelände verließ.

Begonnen hatte alles mit den Bäumen auf dem Vorplatz. Jeder Stamm und jeder Ast waren mit Lichterketten umwickelt worden – es sah großartig aus. Wenige Tage später folgten die Christbäume im Innenhof, und heute waren zwei Buden aufgestellt worden, in denen am 22. Punsch und Maroni angeboten werden sollten. In den Fensternischen des Bürohauses waren bereits Weihnachtswichtel eingezogen. Was Katrin sich bis zum Tag der Weihnachtsfeier sonst noch alles einfallen lassen würde?

Über die Kosten machte er sich allerdings auch keine Illusionen. Die Rechnung würde eine Lawine ausmachen. Aber gut, es war sozusagen sein Einstand. Hauptsache, es klappte.

Weine und andere Getränke waren bestellt, nur das Catering machte ihm immer noch ein wenig Kopfschmerzen. Diese Monika war ja ganz nett und der Kuchen, den sie ihnen angeboten hatte, wirklich gut gewesen, aber sie war doch nur eine ganz normale Hausfrau – wenn auch eine, die gern und gut kochte.

Dafür hatte er endlich einen genauen Überblick über die verwandtschaftlichen Verhältnisse in der Villa Waldesruh. Das Doppelhaus miteingerechnet lebten dort vier Familien, die irgendwie zusammengehörten – und irgendwie auch wieder nicht. Er fand das jedenfalls imponierend und wünschte, sein Verhältnis zu Claudia und Engelchen könnte ebenso freundschaftlich und entkrampft sein. Danach hatte es nach den bisherigen Telefonaten, Mails und dem kurzen Besuch in der Boutique allerdings nicht ausgesehen.

Claudia schwankte von jeher schon zwischen: Du kümmerst dich überhaupt nicht um unser Kind, und: Engelchen ist mein Kind, die geht dich überhaupt nichts an. Seine finanziellen Zuwendungen hatte sie bisher allerdings kommentarlos angenommen.

Er war schon gespannt, wie der heutige Abend verlaufen würde.

 

***

 

Claudia bewohnte gemeinsam mit ihrer Schwester Georgine, der Apothekerin, die Wohnung oberhalb der Apotheke. Georgine war geschieden und an Neuigkeiten stets interessiert. Rainer hoffte dennoch, dass sie genug Feingefühl besaß, sie heute alleinzulassen. Er würde allerdings nicht darauf wetten. Die Schwestern lebten in einer Art WG, immerhin gab es zwei Eingänge.

Das Treffen mit Claudia begann jedenfalls anders als erwartet. Sie öffnete ihm in einem ebenso bunten wie hauchdünnen Kleid, das mehr zeigte, als es verhüllte, und besser zu einer Strandparty gepasste hätte als zu einem grauen Novemberabend. Er überreichte ihr eine Schachtel Pralinen und fragte:

„Wo ist Emmi?“, während er sich seiner Jacke entledigte.

„Engelchen ist bei meiner Mutter.“

Ach, so hatte sie sich das gedacht. Nun, selbst wenn er in Stimmung gewesen wäre – was er nicht war – käme ein neuerlicher Flirt mit Claudia, welchen Grades auch immer, für ihn nicht infrage. Außerdem hatte sie selbst ihm geschrieben, dass sie nicht ungebunden sei, und in seinen Träumen von Zweisamkeit kam neuerdings eine ganz andere vor.

„Warum hast du Emmi zu deiner Mutter gebracht?“

„Weißt du, Engelchen ist sehr sensibel, da kommt sie ganz nach mir. Und ich wusste ja nicht, wie unser Abend verlaufen wird.“

Er warf einen beredten Blick auf ihr Kleid, worauf Claudia leicht errötete und meinte: „Bei uns ist es immer so warm.“

„Dagegen hilft im Allgemeinen, die Heizung etwas zurückzudrehen“, antwortete Rainer und folgte ihr ins Wohnzimmer.

Der Esstisch war für zwei Personen jedoch nur für einen Gang gedeckt. Von Georgine keine Spur. Immerhin.

„Magst du zum Essen Tee, Wasser oder Fruchtsaft?“

„Um ehrlich zu sein, wäre ein Glas Bier nicht schlecht.“

„Bier? Bier habe ich leider nicht zu Hause.“

„Trinkt dein Freund denn kein Bier?“

„Selten.“

Ja, klar, dachte Rainer, wenn keines da war. „Wein hast du vermutlich auch keinen.“

„Doch, aber nur Rotwein. Marko trinkt nach dem Essen manchmal ein Glas davon.“

„Wunderbar ich trinke ein Glas zum Essen. Was gibt es denn?“

„Herbstsalat mit pochiertem Fisch.“

Pochierter Fisch? Er war doch nicht magenkrank.

Die Gespräche mit Claudia standen dem pochierten Fisch um nichts nach – sie blieben lau.

Immerhin vereinbarten sie am Ende, dass er sie und Emma am Sonntag zum Besuch eines Weihnachtsmarktes abholen und danach zum Essen einladen würde.

„Wird dein Freund auch mitkommen?“

„Sollte er?“, fragte sie kokett.

Rainer zuckte nur die Schultern. „Das ist eure Entscheidung. Ich würde mich freuen, ihn kennenzulernen.“

„Bist du sicher?“, hauchte sie.

„Ganz sicher.“

 

***

 

Als Rainer Sonntagmittag kam, um die beiden abzuholen, stand Emmi in einer Ecke des Vorzimmers, ruderte wild mit den Armen und brüllte sich die Seele aus dem Leib, während Claudia mit einer Jacke neben ihr stand und auf sie einredete.

Er hatte keine Ahnung, was dieser Zuspitzung vorausgegangen war, also fragte er vorsichtig: „Was ist denn hier los?“

„Engelchen will ihre Jacke nicht anziehen.“

Schon die Bezeichnung Engelchen schien ihm in Verbindung mit dem kleinen Giftzwerg eine höchst unpassende Bezeichnung.

Rainer hatte keinerlei Erfahrung mit Kindern, aber das hier war seine Tochter, also musste er wohl reagieren – irgendwie.

Was hätte sein Vater in einer ähnlichen Situation gemacht? Auch das wusste Rainer nicht. Er konnte sich nicht daran erinnern, dass er oder seine Schwester je derart hysterisch gewesen wären.

Andererseits war auch Claudia immer gut darin gewesen, einen Maulwurfshügel zu einem Berg hochzustilisieren. Vielleicht hatte das arme Kind ihre Gene geerbt. Die wenigen Male, bei denen er seiner Tochter begegnet war, hatte er schon einen ähnlichen Verdacht gehabt, doch was Emmi heute hier abzog, erstaunte ihn dann doch.

Sollte er sich einmischen? Immerhin war er der Vater. „Emma, würdest du jetzt bitte deine Jacke anziehen.“

Emma schüttelte den Kopf.

Rainer warf einen Blick auf den Stein des Anstoßes. Pinkmetallic. So etwas sollte einem Mädchen in ihrem Alter doch gefallen.

„Engelchen, bitte!“, flehte Claudia.

Wenn sie zu dem brüllenden Kind noch einmal Engelchen sagte, finge er auch zu brüllen an. Doch er riss sich zusammen, nahm Claudia die Jacke aus der Hand und sagte bestimmt: „Emma, ich habe dich gebeten, deine Jacke anzuziehen, und ich werde mich nicht wiederholen.“

Gut gebrüllt, Löwe, dachte er, und hielt ihr die Jacke hin. Und was, wenn Emmi die blöde Jacke dennoch nicht anzog? Blieben sie dann zu Hause?

Emmas Blick zeigte, was sie davon hielt, doch erstaunlicherweise gehorchte sie schweigend. So ging das also. Gut zu wissen.

Da die Kleine, nachdem sie die Jacke einmal anhatte, auch das Kreischen einstellte, konnte es ja losgehen.

Der Besuch des Weihnachtsmarktes verlief ohne besondere Schwierigkeiten, und wenn man das Mädel jetzt so sah, war Engelchen nicht gar so abwegig.

„Papi“, sagte sie eben mit Augenaufschlag. „Darf ich diese schöne Kugel haben?“

Dagegen war nichts einzuwenden. Er kaufte die Kugel und gab sie ihr.

„Danke, Papi“, hauchte sie und sah dabei wirklich goldig aus. Seine Tochter war also eine blonde Miniaturschönheit, die dann und wann bereits die Koketterie einer Diva durchblitzen ließ. Solange sie nicht brüllte.

Doch schon beim Essen drohte die nächste Eskalation. Diesmal konnte er Emma allerdings verstehen. Sie wollte ein Kinderschnitzel, doch Claudia lehnte das ab und versuchte, ihr eine Gemüseomelette schmackhaft zu machen, die würde sie auch essen. Knapp bevor das nächste Gebrüll losging, winkte Rainer den Kellner herbei und bestellte Gemüseomelette für Claudia, Kinderschnitzel für Emma und für sich selbst Rehbraten mit Knödeln.

Kaum war der Kellner gegangen, fauchte Claudia: „Das kannst du doch nicht machen! Ich bemühe mich, Engelchen vegetarisch und gesund zu ernähren …“

„Na wunderbar, dann kann sie zur Abwechslung doch einmal ein Schnitzel essen.“

 

***

 

Rainer sah sich in seiner Wohnung um. Schon Nikolo und noch immer standen etliche Kartons in der Gegend herum. Außerdem war der große Esstisch nicht pünktlich geliefert worden.

Nutzte alles nichts. Der Tag mit Claudia und Emmi hatte seine Entschlossenheit, sich mehr um seine Tochter zu kümmern, gefestigt. Wie genau das gehen sollte, konnte er nicht sagen, denn vorerst hatte Claudia seine Idee, er könnte mit Emma allein etwas unternehmen, schlichtweg abgelehnt.

Warum eigentlich? Anyway, das würde sich finden. Er wusste ohnehin nicht, was genau das sein sollte.

Jetzt mussten sie erst einmal einen Weg finden, wie sie Weihnachten gemeinsam begehen konnten.

Seine Eltern erwarteten selbstverständlich, dass er am Heiligen Abend bei ihnen war, so wie in den letzten Jahren auch. Da seine Schwester mit einem Tiroler Hotelier verheiratet war, fiel sie zu Weihnachten aus. Das war einzusehen, schließlich handelte es sich um eine der umsatzstärksten Zeiten des Jahres.

Claudia erwartete zwar ebenfalls, dass er den Weihnachtsabend bei ihnen verbrachte, lehnte es aber ab, seine Eltern einzuladen. Ganz verstand er das nicht, denn die Wohnung war groß genug und Claudias Mutter, Schwester Georgine und Neffe Alwin würden ebenfalls da sein. Aber gut, er hatte es schon vor längerer Zeit aufgegeben, Claudias Gedankengänge ergründen zu wollen. Abgesehen davon hätte er sich über ihren Wunsch – begleitet von einem entsprechenden Päckchen – möglicherweise elegant hinweggesetzt. Doch Emma war nun einmal seine Tochter, wie nervig sie manchmal auch sein mochte.

Der einzige Ausweg war, er lud alle zu sich ein. Das setzte allerdings voraus, dass er hier Ordnung schaffte. Außerdem brauchten sie etwas zu essen. Mit etwas gutem Willen würde auch das zu machen sein.

Sein erster Anruf galt Katrin. „Ist es möglich, den Esstisch noch vor Weihnachten zu bekommen?“

„Ich fürchte, das wird nichts werden.“

„Meine Familie kommt zu Weihnachten. Ich brauche ihn dringend.“

„Die Sessel sind doch schon da. Warum nehmen Sie nicht den großen Tapezierertisch, den wir bei der Weihnachtsfeier einsetzen?“

„Nicht Ihr Ernst. Ich soll mir einen Tapezierertisch in die Wohnung stellen?“

„Warum nicht? Er ist sehr stabil und wir haben für die Weihnachtsfeier bei Warholz große Mengen weißer Tischtücher besorgt, da könnten wir ein paar für Sie abzweigen.“

Also gut.

Sein nächster Anruf galt seiner Mutter. Sie war nicht ausgesprochen begeistert, verstand aber seine Argumentation und versprach, Saucen mitzubringen.

Nun kam die schwierigste Aufgabe. Claudia.

Wie erwartet hatte sie eine gefühlte Million Einwände. Eine Weile hörte er ihr zu. Erst geduldig, dann nur noch mit halbem Ohr.

Am Ende entschied er: „Es bleibt dabei. Um sechs ist Bescherung, und zwar hier, bei mir. Ob du nur mit Emma kommst oder deine Lieben mitbringst, bleibt dir überlassen. Ich muss es nur rechtzeitig wissen.“

„Und wenn ich mit jemand anderem feiern möchte?“ Das klang kokett.

„Der Weg von deiner Wohnung zu meiner ist fußläufig in etwa fünf Minuten zurückzulegen. Du kannst also davor oder danach feiern, mit wem du magst. Außerdem kannst du deine Familie und deinen Freund gerne mitbringen, meine Wohnung ist groß genug.“

„Ich soll auch noch jemanden mitbringen? Da kann ich ja nur lachen. Willst du etwa für alle kochen?“

„Es gibt Lachs. Frau Schuhmacher liefert ihn gebeizt und geschnitten. Meine Mutter bringt Saucen. Außerdem gibt es noch eine Käseplatte.“

„Kein Gemüse? Kein Gebäck?“

„Gebäck gibt es selbstverständlich auch. Wenn du Salat haben willst, darfst du ihn ebenso gerne mitbringen wie deine Lieben.“

„Soll ich etwa mit einer Salatschüssel über den Stadtplatz spazieren?“

„Du kannst mich auch gerne anrufen. Ich habe nämlich kein Problem, mit einer Salatschüssel über den Stadtplatz zu gehen.“

Darauf ging Claudia nicht ein, stattdessen fragte sie: „Und woher der plötzliche Familiensinn? Wir haben doch bisher kaum je zusammen gefeiert.“

Rainers Geduld hing nur noch an einem seidenen Faden. „Stimmt, weil du es zumeist vorgezogen hast, Weihnachtsurlaub zu machen, wenn ich aus den Staaten gekommen bin.“

„Im Vorjahr waren wir da.“

„O ja. Ich erinnere mich daran, den Christtag mit vier verrü… sagen wir … verhaltensoriginellen Damen verbracht zu haben.“

„Wenn du verrückt sagen wolltest und damit meine Mutter meinst, könntest du recht haben“, warf Claudia ein.

„Du meinst, deine Mutter wäre die Verrückteste von euch vieren? Da bin ich nicht so sicher. Aber egal. Hast du mir nicht erst neulich vorgeworfen, mich zu wenig um Emma zu kümmern?“

„Warum nennst du Engelchen ständig Emma?“

„Vielleicht weil sie so heißt? Der Name sollte dir gefallen, er war deine Idee.“

Puh. Rainer fand, man brauchte wirklich nicht zu fragen, warum Emma so eine Heulsuse war und woher sie diesen Hang zum Drama hatte. Der Apfel schien nicht weit vom Stamm gefallen zu sein.

War Claudia immer schon so anstrengend gewesen? Und warum war ihm das früher nicht aufgefallen?

Nun, Claudia war Geschichte, um Emma würde er sich allerdings mehr kümmern müssen als gedacht.

Bevor er sich endgültig an das Auspacken der restlichen Kartons machte, hatte er allerdings noch einen Anruf zu tätigen. Einen, der ihm besonders wichtig war.

 

 

 

8. Die Sache mit dem Punsch

 

 

Franziska hatte Rainers Anruf – gegen ihre sonstigen Gewohnheiten – in der Ordination entgegengenommen. Nun fiel es ihr schwer, sich auf den nächsten Patienten zu konzentrieren.

Sie erbat sich einen Moment Pause, holte aus der Teeküche eine Tasse Kaffee und fand insgeheim, dass sie eindeutig zu viel Aufhebens um diesen Anruf machte. Rainer hatte sie doch nur zu einem Punsch auf dem Weihnachtsmarkt eingeladen.

Allerdings fand der Bad Brunner Weihnachtsmarkt stets am letzten Adventsonntag am Hauptplatz statt – quasi vor Rainers Fenstern. Gut möglich, dass sie danach … Wie würde sie sich in einem solchen Fall …

Schluss jetzt, befahl sie sich. Sie benahm sich ja wie ein Teenager. Gleich darauf rief sie den nächsten Patienten auf.

Während sie nach der Untersuchung darauf wartete, dass der Patient sich wieder ankleidete, wanderte ihr Blick zum Adventkranz. Übermorgen zündeten sie die zweite Kerze an. So richtig eilig hatte Rainer es ja nicht mit dem Wiedersehen. Andererseits lebten sie im 21. Jahrhundert. Was hätte nach seiner ersten Einladung dagegengesprochen, dass sie ihn eingeladen hätte? Sie war doch sonst so eine Verfechterin der Gleichberechtigung. Vielleicht hatte er sogar darauf gewartet. Himmel, warum war sie nicht früher auf diesen Gedanken gekommen? Der Mann hatte ihr doch von Anfang an gefallen, und der Abend mit ihm hätte stimmiger nicht sein können. Rainer besaß den rauen Charme eines Mannes von Welt. Etwas, das sie anzog – aber auch ein wenig verunsicherte, wie sie sich eingestehen musste.

Zumindest könnte sie ihm eine Kleinigkeit für Weihnachten mitbringen. Ein Buch vielleicht? Er hatte einmal erwähnt, dass er zur Entspannung gerne Krimis und Thriller las. Sie würde sich am Wochenende gleich die Neuerscheinungen ansehen.

Dabei fiel ihr ein, dass Tim sie auch noch vor Weihnachten treffen wollte. Sollte sie ihm ebenfalls ein Buch schenken? Oder waren Bücher nicht das Zerstreuungsmedium seiner Wahl? Sie wusste es nicht. Egal, ein Krimi würde wohl passen.

 

***

 

Was für eine bescheuerte Idee, Franziska ausgerechnet auf den Weihnachtsmarkt einzuladen, dachte Rainer, während er sich von der Gemeindeärztin verabschiedete und der Großfamilie Wiedermann zuwandte. Natürlich trafen sie hier jede Menge Bekannte, Bad Brunn war schließlich keine Weltstadt.

Dabei hatte er es sich so schön vorgestellt. Erst mit Franziska über den Weihnachtsmarkt bummeln, einen Punsch trinken und es sich dann vor dem offenen Kamin gemütlich machen.

Punsch hatten sie getrunken. Nicht nur einen.

Schuld daran war – einmal mehr – Onkel Joachim. Wenngleich diesmal nur indirekt. Sie hatten ihn in Begleitung von Bernhard Altmann, dem Prokuristen von Warholz, und Frau Nowak, Joachims langjähriger Sekretärin, getroffen.

Rainer vermutete, dass dieses Treffen nicht ganz zufällig zustande gekommen war, wenn er sich auch noch keinen Reim darauf machen konnte.