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Es ist nicht einfach, sich nach einer gescheiterten Beziehung wieder zu verlieben. Die Anwältin Irene und der arrogante erscheinende Theo wollen es dennoch miteinander versuchen, doch wieviel Ungemach kann eine solche Beziehung aushalten? Da wären einmal Theos deutlich jüngere Stiefgeschwister um die er sich plötzlich kümmern muss, weil deren Mutter von einer Urlaubsreise nicht mehr zurückkehrt. Dann taucht auch noch Theos Exfrau auf, die die Trennung von Theo längst bereut hat und nichts unversucht lässt, ihn wieder für sich zu gewinnen. Als dann auch noch Irenes Exmann sich hilfesuchend an sie wendet, scheint das Chaos perfekt zu sein. Ein turbulenter Roman um Beziehungen aller Art - und um die Liebe.
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Die Originalausgabe erschien 2012
bei Brigitte Teufl-Heimhilcher
www.teufl-heimhilcher.at
5. E-Book-Auflage 2017
© 2012 Brigitte Teufl-Heimhilcher
Publishing Rights © 2012 Brigitte Teufl-Heimhilcher
E-Book-Erstellung: mach-mir-ein-ebook.de
ISBN-13: 978-395034780-7
ISBN-10: 395034780-1
„Gentium“ von SIL International. Diese Schriftart ist unter der Open Font License verfügbar.
Alle Rechte vorbehalten.
Als Irene frühmorgens losfuhr, war prachtvolles Frühlingswetter. Sie freute sich auf etwas Bewegung in frischer Luft und war froh, dass ihre Freundin Sandra sie zu diesem Urlaub überredet hatte. Dabei hatte sie noch gestern das Gefühl gehabt, dieser Urlaub käme zur Unzeit – aber das hatte sie schließlich immer.
Noch war es ruhig auf den Straßen und obwohl sie die Hinweise auf der Autobahn „Gleiten statt hetzen“ beherzigt hatte, traf sie schon zwei Stunden später auf dem Stadler-Gut ein.
Der ehemalige Gutshof leuchtete in Kaisergelb, die Holzbalustraden waren mit Blumenkästen geschmückt, aus denen bunte Frühlingsblumen lachten, und der mächtige Kastanienbaum im Innenhof stand in voller Blüte.
In ihren Teenagertagen war sie mit Sandra und deren Eltern einige Male hier gewesen, und vor einigen Jahren hatte sie das Hotel gemeinsam mit ihrem Exmann wiederentdeckt.
Eigentlich hatte sie vorgehabt nie wiederzukommen. Aber Sandra hatte ja recht. Das Hotel und der Golfplatz waren wunderschön, warum sollte sie nicht auch ohne Jochen hier Urlaub machen?
Das Mädchen an der Rezeption teilte ihr mit, dass ihr Zimmer fertig sei, und sie war froh, bis zur Ankunft ihrer Freunde nicht untätig herumsitzen zu müssen.
Die kleine Suite war hübsch eingerichtet und hatte eine Terrasse Richtung Golfplatz. Irene konnte es plötzlich kaum erwarten, hier zu sitzen, zu lesen und zu träumen. Doch zuerst räumte sie ihre Kleidung in den Kasten und ertappte sich dabei, bei jedem Polo-Shirt zu fragen, ob sie dieses bei ihrem Urlaub mit Jochen auch schon getragen hatte.
Um sich abzulenken, beschloss sie, die Zeit bis zu Sandras Ankunft im Pro-Shop zu verbringen, doch als sie sich auf den Weg machen wollte, fuhr Günther, Sandras neuester Schwarm, seinen flotten Sportwagen schnittig in den Innenhof. Zu schnittig, wie Irene dachte.
Günther war nur ganz ausnahmsweise – und auch nur über das Wochenende – auf ihrer Mädelswoche geduldet.
Nach der Begrüßung nahmen die Drei einen leichten Imbiss, stießen mit einem Glas Prosecco auf ihre Urlaubstage an und begaben sich auf die erste Golfrunde.
Am Abend saßen sie in der gemütlichen Gaststube, aßen mit gutem Appetit, tranken ein Glas Wein und beim Zubettgehen stellte Irene erstaunt fest, dass sie seit Sandras Ankunft zu beschäftigt gewesen war, um an Jochen zu denken. Dankbar schlief sie ein.
Auch der nächste Morgen begrüßte sie mit Sonnenschein. Sie genossen das ausgiebige Frühstück, eine neue Golfrunde und danach ein paar ruhevolle Stunden.
Nach dem Abendessen kam Frau Martens, die langjährige Geschäftsführerin des Club-Restaurants, an ihren Tisch, plauderte über dies und das und fragte nach Irenes Mann. Mit knappen Worten berichtete Irene, dass sie seit zwei Jahren geschieden war.
„Sie auch?“, fragte Frau Martens interessiert, schnappte sich einen Stuhl, bestellte beim vorbeieilenden Kellner ein Glas Wein und wollte Genaueres wissen.
Genau davor hatte sich Irene gefürchtet. Wenn ihre Trennung auch schon bald zwei Jahre zurücklag, mied sie dieses Thema immer noch wie der Teufel das Weihwasser. Dennoch antwortete sie sachlich und, wie sie zu ihrer Überraschung feststellte, erstmals ohne jenen bohrenden Schmerz, der seit Jochens Abgang ihr ständiger Begleiter gewesen war.
Bewegung in frischer Luft ist eben auch gut für die Seele – der spritzige Wein aus der Südsteiermark mochte ein Übriges getan haben, dachte Irene beim Zubettgehen.
Auch diesmal schlief sie gut und während sie am Morgen die Zähne putzte, ließ sie den Abend noch einmal Revue passieren. Frau Martens hatte noch eine Runde vom heimischen Apfelschnaps spendiert und dabei erzählte, dass auch Graf Nestelbach, der Besitzer des Gutes, in der Zwischenzeit geschieden war.
Seine lebenslustige Frau war mit dem Buchhalter durchgebrannt und dieser hatte, wohl um seiner neuen Gefährtin den geeigneten Rahmen zu bieten, ein paar Sparbücher mitgenommen. Strafrechtlich hatte man die Sache nicht verfolgt, denn die Ex-Ehefrau hatte in letzter Minute auf alle Ansprüche verzichtet.
Na dann, dachte Irene, wird es doch Liebe gewesen sein.
Dieser Graf musste aber auch ein komischer Kauz sein, vermutlich so eine Mischung aus altmodischem Familienoberhaupt und trockenem Geschäftsmann.
*
Da es am Sonntagmorgen regnete, machten sie nach dem Frühstück einen Spaziergang zum Wehr und sahen zu, wie die Wassermassen der Mur donnernd in die Tiefe stürzten. Dann folgten sie einem asphaltierten Weg und landeten gegen Mittag beim Jaga-Wirt. Nach einer herzhaften Jause hatte es zu regnen aufgehört, so dass sie den Heimweg bei Sonnenschein zurücklegen konnten. Als Irene es sich danach auf der Couch bequem machte, dachte sie: Ich habe Sandra schon lange nicht so gelöst und glücklich erlebt. Hoffentlich wird sie eines Tages nicht ebenso enttäuscht wie ich. Irgendwie war dieser Günther fast zu perfekt. Vielleicht sollte sie ihm einmal auf den Zahn fühlen.
Beim Abendessen brachte Irene das Gespräch auf die Kindheit. Günther erzählte, er habe seinen Vater kaum gekannt und seine Mutter hatte ihn die längste Zeit bei den Großeltern geparkt. Der Großvater sei längst verstorben, die Großmutter hätte er in einem hübschen Seniorenheim untergebracht und mit der Mutter stünde er ständig vor Gericht, einer Immobiliensache wegen. Als Anwältin hätte Irene gerne mehr gewusst, aber die Stimmung war so heiter und unbeschwert, dass sie das Thema nicht weiterverfolgte. Ihr Misstrauen gegen ihn hatte sich in den letzten Stunden ohnehin gelegt und nach seinen heutigen Erzählungen dachte sie, es sei vielleicht kein Wunder, dass er immer etwas kühl und distanziert wirkte.
*
„Schade, dass du wieder fahren musst“, sagte Sandra am Montagmorgen und küsste Günther ausführlich, bevor er abfuhr.
„Ist ja schon gut“, dachte Irene und wendete sich rasch ab. Dann winkten sie ihm ebenfalls nach und begab sich mit Sandra auf die nächste Golfrunde.
Nach einiger Zeit sagte Sandra: „Irgendwie scheint mir der Himmel heute weniger blau, die Narzissen weniger gelb und die Apfelblüten weniger üppig.“
„So ist das eben, wenn man verliebt ist“, antwortete Irene.
„Daran kannst du dich noch erinnern?“
„Flüchtig.“
Doch auch Irene schien nicht so recht bei der Sache und hatte vermutlich deshalb das Mauseloch übersehen. Jedenfalls stolperte sie so ungeschickt, dass sie einen lauten Schmerzensschrei ausstieß und in einer kurzen Ohnmacht zusammensank.
Zwar war sie nach wenigen Sekunden wieder bei Bewusstsein, doch Sandras Versuch, ihr auf die Beine zu helfen, scheiterte, weil sie den linken Fuß nicht belasten konnte, ohne vor Schmerzen aufzuschreien.
„Es hilft nichts, wir müssen warten, bis jemand vorbeikommt“, sagte Irene und blieb einfach im Gras sitzen.
Zum Glück dauerte es nur wenige Minuten, bis ein Arbeiter mit einem Traktor vorbeikam. Er besah sich Irenes Knöchel, kratzte sich den Kopf und versprach, den Chef zu holen.
Der nächste vorbeikommende Flight bot ebenfalls seine Hilfe an und einer der Herren konnte Irene immerhin soweit stützen, dass sie zur nächstgelegenen Bank hüpfen konnte.
Kaum saß Irene, kam ein Mann mit einem Golf-Car angefahren. Er war vielleicht Anfang vierzig, groß und stattlich, machte nicht viele Worte, öffnete ihren Schuh, zog ihr den Socken aus und besah sich den mittlerweile schon ziemlich geschwollenen Knöchel. Dann machte er damit eine kurze Bewegung, die Irene aufschreien ließ, und sagte seelenruhig: „Eine Zerrung, nichts weiter. Ich bringe Sie jetzt auf Ihr Zimmer und hole eine Salbe.“
„Und Sie glauben, Sie können das beurteilen?“, fragte Irene.
„Allerdings.“
„Stolpern bei euch laufend Golfer? Diesfalls müsste man …“
„Das nicht, aber ich bin Arzt“, unterbrach er sie.
„Oh pardon, ich dachte Sie seien Greenkeeper.“
Er nickte. „Das auch.“
Dann hob er sie wortlos hoch, setzte sie ins Car und brachte sie auf ihr Zimmer. Als er wenig später wiederkam und ihr die Salbe auf den geschwollenen Knöchel massierte, kam Sandra im Eilschritt angetrabt: „Sollten wir nicht doch besser ein Spital aufsuchen?“
„Das ist nicht notwendig“, antwortete er und schien keinen Einwand zu erwarten. Er empfahl Irene ein wenig zu ruhen und ging.
Kaum war er weg, sagte Sandra: „Das ist ja schön und gut, aber wir rufen jetzt doch einen Arzt.“
„Er ist doch Arzt.“
„Welche Fachrichtung?“
„Keine Ahnung, ich habe dir bereits alles gesagt, was ich weiß. Er ist Arzt und Greenkeeper.“
„Und impertinent“, ergänzte Sandra.
„Aber irgendwie – ganz charmant.“
„Du hast bei Männern immer schon einen seltsamen Geschmack gehabt“, seufzte Sandra und Irene antwortete augenzwinkernd: „Deshalb verstehen wir uns ja so gut, weil wir uns nie in die Quere kommen.“
Sie alberten noch ein wenig herum, dann ging Sandra auf ihr Zimmer und Irene versuchte ein wenig zu lesen, döste dabei jedoch ein. Sie erwachte, weil es an der Tür geklopft hatte, und sagte schlaftrunken: „Herein!“
In der Tür stand ihr Helfer. „Wie geht es Ihnen?“
„Danke, solange ich mich nicht bewege, ganz gut!“
„Beim Aufstehen werden Sie Schmerzen haben. Ich lasse Ihnen ein Golf-Car da, damit Sie zum Abendessen ins Clubhaus fahren können. Schönen Abend noch.“
Dann legte er den Schlüssel auf die Kommode und verschwand.
„Komischer Kauz“, murmelte Irene.
Das Abendessen ließen sie sich trotzdem schmecken. Als sie anschließend bei einem Glas Wein saßen, erschien ihr Helfer abermals. Er trug nun eine hellgraue Stoffhose und ein mittelblaues Hemd, dazu einen roten Pullover lässig über die Schultern geworfen. Irene betrachtete ihn nun etwas näher. Er war groß, eher vollschlank, sein dunkelbrünettes Haar begann an den Schläfen schon grau zu werden, am Hinterkopf lichtete es sich bereits etwas. Dennoch fand Irene, dass er ausgesprochen gut aussah.
Zu ihrem Erstaunen kam er geradewegs auf sie zu.
„Ich habe Ihnen noch eine Schmerztablette mitgebracht, für den Fall, dass es in der Nacht schlimmer werden sollte. Aber bitte, nehmen Sie sie nur, wenn die Schmerzen wirklich schlimm sind. Haben Sie sich schon eine Salbe besorgt?“
„Selbstverständlich!“, antwortete Sandra an ihrer Stelle.
„Gut so“, war alles was er dazu sagte. Dann nickte er ihnen zu und ging.
Irenes Nachtruhe blieb weitgehend ungestört, wenn man von etwas wirren Träumen absah, aber als sie am Morgen aufstehen wollte, konnte sie den Fuß überhaupt nicht mehr belasten. Schon vermutete sie, die Diagnose ihres edlen Ritters könnte falsch gewesen sein, doch nach einigem Bewegen wurde es wieder besser.
Beim Frühstück sagte Sandra: „Heute machen wir uns einen ganz faulen Tag, das haben wir uns schließlich verdient, und am Nachmittag haben wir ohnehin Kosmetiktermine.“
„Ich fürchte, ich werde noch mehr faule Tage haben.“
„Auch gut. Ich spiel’ das blöde Golf sowieso nur deinetwegen.“
„Da ist was dran“, dachte Irene schmunzelnd, denn obwohl Sandra sonst die eindeutig talentiertere Sportlerin war, war ihr Golfspiel eher bescheiden zu nennen.
Am Vormittag war es trüb, doch ihren Mittagsimbiss konnten sie wieder auf der Terrasse einnehmen, von der aus man einen schönen Blick auf den Golfplatz und die umliegenden Hügeln hatte.
Der Salat mit Scampi und gebratenen Frühlingspilzen wurde von Frau Martens persönlich serviert, die sich auch eingehend nach Irenes Befinden erkundigte.
„Danke, geht schon wieder. Ich habe immer noch das Golf-Car, das man mir gestern netterweise zur Verfügung gestellt hat. Aber ich kann das kleine Stück bis zum Zimmer auch schon wieder gehen. Ich lasse Ihnen gleich den Schlüssel da.“
„Ach, das hat Zeit“, meinte Frau Martens. „Der Graf ist ohnehin in Wien.“
„Der Graf? Meinen Sie, dieser medizinische Gärtner, der mir gestern zu Hilfe gekommen ist, das war Graf Nestelbach?“
„Ich dachte, Sie kennen ihn.“
„Da hätten wir aber auch gleich draufkommen können“, rief Sandra: „Genau, wie Sie ihn uns kürzlich beschrieben haben: Aufgeblasen, eingebildet und gefühlskalt.“
„Ach, so übel is’ er gar nicht“, meinte Frau Martens lächelnd, „und wenn er jemanden mag, kann er sogar richtig nett sein.“
„Und was macht er in Wien?“, wollte Irene wissen.
„Ihn Wien hat er sein Büro. Sein Vater hat ihm ja nicht nur diesen Golfplatz hier vererbt, die übrigen Immobilien sind fast alle in Wien.“
„Manche haben eben mehr Glück als Manieren“, konstatierte Sandra, wofür Irene ihr einen tadelnden Blick zuwarf.
„Jeder zahlt irgendwie für das, was er vom Leben bekommt“, seufzte Frau Martens. „Das war beim Chef auch nicht anders. Nach dem plötzlichen Herztod seines Vaters, das ist jetzt ziemlich genau drei Jahre her, hat er nicht nur den Golfplatz und die Mietshäuser geerbt, sondern auch einen Stiefbruder und eine Stiefschwester. Die beiden könnten seine Kinder sein.“
„Wie das denn?“, wollte Irene wissen.
„Des hab’n wir uns damals auch g’fragt. Wissen’s, der Herr Graf, also der Senior, das war so ein feiner Mann. Also wirklich, alle Achtung. Immer liebenswert, immer verantwortungsvoll, sehr distinguiert, wenn Sie verstehen, was ich meine.“
Doch, das verstand Irene, und weil sie Frau Martens Erzählung nicht unterbrechen wollten, nickte sie nur.
„Also, am Anfang, da haben wir das ja alle gar nicht glauben können – und die Frau Gräfin natürlich erst recht nicht. Die Ärmste! Später hat sich herausgestellt, dass der Graf, also der Senior, ein richtiges Doppelleben geführt hat. Stellen Sie sich vor, der hatte in Wien noch eine Frau. Eine Malerin, und mit der hatte er zwei Kinder. Also der Bub, der muss jetzt so sechzehn oder siebzehn sein. Das Mäderl wird im Herbst eingeschult und die Mutter, diese Malerin, soll ja noch keine Vierzig gewesen sein, als der Senior gestorben ist. Mein Mann hat gleich g’sagt, das war die Doppelbelastung!“
Darüber musste Frau Martens jetzt selbst lachen und ging davon, um sich eine Tasse Kaffee zu holen. Dann setzte sie sich ganz einfach wieder zu ihnen und erzählte weiter: „Eines muss man dem jungen Grafen aber zugutehalten. Trotz dieser ganzen Misere, die sein Vater ihm da hinterlassen hatte, hat er sofort seine Ordination verkauft, er hatte ja eine gut gehende Zahnarztpraxis, und sich um das Erbe gekümmert.“
„Ist ja wahrscheinlich auch angenehmer, als den ganzen Tag in anderer Leute Zähne herumzustochern“, meinte Sandra. „Vielleicht hielt er es für seine Pflicht“, überlegte Irene.
„Na sicher, und ich bin der Weihnachtsmann!“, warf Sandra ein, was ihr ein Stirnrunzeln von Irene eintrug.
„Tragisch war’s schon“, fuhr Frau Martens fort. „Aber so wortkarg wie jetzt ist er erst, seit seine Frau, die Katrin, ihn verlassen hat. Eine fesche Person! Aber, na ja, er hat sich ja keine Zeit für sie genommen. Immer nur Arbeit. Hier bei uns, in Wien drin, na und dann seine Mutter! Die war ja total desperat!“
*
Auch in den nächsten Tagen war an Golf nicht zu denken. Irene versuchte sich so gut es ging mit Büchern abzulenken, doch wie immer, wenn sie nicht vollbeschäftigt war, kam die Erinnerung an Jochen zurück.
Solange sie zu tun hatte und in Gesellschaft war, ging es ihr gut. Deshalb versuchte sie ihre Tage auch so vollzupacken, dass keine Zeit blieb, um an Dinge zu denken, die schmerzten. Doch in diesen Tagen kamen all die Fragen wieder hoch, die sie sich nun schon so lange stellte. Woran war ihre Beziehung gescheitert? Wie würde es weitergehen?
Sie konnte sich nicht vorstellen, noch einmal einem Mann so zu vertrauen, wie sie Jochen vertraut hatte. Warum nur hatte sie gezögert mit ihm zu gehen, als er nach London ziehen wollte? Das war doch sonst nicht ihre Art.
Er war alleine nach London gegangen und hatte eine Andere kennen gelernt. Eine Dutzend-Geschichte.
Sandra war ihr Rettungsanker gewesen. Stets heiter, manchmal vielleicht etwas oberflächlich, aber immer eifrig bemüht, Irene zu beschäftigen und auf andere Gedanken zu bringen.
*
Irene steckte gerade den letzten Bissen ihres steirischen Kürbisschnitzels in den Mund, als Theo Nestelbach das Restaurant betrat. Ein angenehmes Gefühl durchströmte sie, doch er wandte sich nur kurz an Frau Martens und ging wieder. Schade, dachte Irene und schüttelte gleichzeitig den Kopf über sich. Als sie nach dem Essen noch ein Glas Wein tranken, kam er zurück und steuerte seinen Stammtisch an. Doch dann änderte er seine Absicht und kam an ihren Tisch.
„Einen schönen Abend. Darf ich mich nach Ihrem Befinden erkundigen?“
„Sie dürfen, Graf“, näselte Sandra, das Wort Graf betonend. Irene antwortete rasch: „Danke, es geht uns gut.“
Er wandte sich an Sandra und sagte mit nahezu sanfter Stimme:
„Adelsprädikate wurden in Österreich schon vor Jahrzehnten abgeschafft. Mein Name ist Theodor Nestelbach, notfalls auch Dr. Theodor Nestelbach, wenn Sie diese förmliche Anrede vorziehen.“
„Oh, ich halte wenig von Förmlichkeiten, aber hier spricht man von Ihnen doch nur als ‚der Graf‘.“
„Meine Freunde nennen mich Theo“, erwiderte er.
„Tun sie das?“, schnappte Sandra.
„Ja, das tun sie.“
Irene war Sandras Reaktion ebenso unerklärlich wie unangenehm.
„Wollen Sie sich ein wenig zu uns zu setzen“, lud sie ihn ein, nur um Sandras schnippische Art gutzumachen.
„Aber gerne“, entgegnete er und saß bereits, ehe Sandra den Mund auftun konnte.
„Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Woche.“
„Oh ja. Dank Ihrer Salbe kann ich seit gestern wieder Golf spielen.“
Sie sprachen ein wenig über die Schwierigkeiten und Schönheiten des Platzes, verglichen ihn mit anderen Plätzen, sprachen über Golf im Allgemeinen und ihre Golferlebnisse im Besonderen. Was Golfer eben so redeten. Nebenbei verzehrte er sein Abendessen, das er sich ganz selbstverständlich an ihren Tisch hatte bringen lassen. Irene ahnte, dass Sandra diesen Themen wenig abgewinnen konnte und nutzte eine kleine Gesprächspause zur Frage: „Und womit beschäftigen Sie sich, wenn Sie gerade nicht Golf spielen?“
„Da belästige ich unsere Gäste“, entgegnete er mit einem Blick auf Sandra und fuhr weiter fort: „Darf ich die Damen noch auf ein Abschiedsglaserl einladen?“. Ohne ihre Antwort abzuwarten, deutete er dem Kellner, er möge noch eine Runde bringen.
*
Am nächsten Tag klagte Irene über Kopfschmerzen und überließ Sandra das Steuer.
„Du hattest ja auch nach dem letzten noch ein allerletztes Glas Wein trinken müssen.“
„Gut, dass ich wenigstens das Allerallerletzte abgelehnt habe. Hast du es schon sehr eilig, zu deinem Günther zu kommen, oder können wir noch ein bisserl bummeln?“
„Nicht allzu eilig. Ich treffe ihn erst am Abend.“
„Dann lass uns noch durchs Land fahren und einen kleinen Spaziergang machen.“
Sie fuhren Richtung Stubenberg-See und machten einen ordentlichen Waldspaziergang. Als sie danach bei einem ebenso ordentlichen Käsebrot saßen, sagte Irene beiläufig: „War aber sehr nett, gestern Abend, und meine Kopfschmerzen sind auch schon fast weg.“
„Außerdem hat dir der Abend möglicherweise einen neuen Mandanten eingebracht.“
„Ach, bis dahin ist es noch weit. Aber die Akte über diesen Kündigungsprozess würde ich wirklich gerne ansehen. Ich kann nicht verstehen, warum der Kollege …“
„Bitte, keine Details. Mir schwirrt der Kopf noch von gestern.“
Irene schmunzelte. Sie hatte beim Abschiedsglaserl erzählt, dass sie Anwältin war und sich mit Wohnrechtsangelegenheiten beschäftigte. Das hatte Theo Nestelbach sehr interessiert, weil er, wie er sagte, mit seinem jetzigen Rechtsvertreter nicht ganz zufrieden war.
Als Irene am Samstagabend allein vor dem Fernseher saß, ertappte sie sich dabei, Sandra um ihre Verabredung mit Günther zu beneiden. Nach den unbeschwerten Tagen fiel ihr das Alleinsein nun umso schwerer und sie sehnte sich – einmal mehr – nach Zweisamkeit.
Sie hatte bereits ihren Koffer ausgepackt und sogar die Waschmaschine gefüllt und in Betrieb gesetzt. Üblicherweise überließ sie diese Dinge lieber ihrer Haushälterin – ein Luxus, den sie nicht missen wollte.
Auch bei ihren Eltern hatte sie sich zurückgemeldet und für morgen zum Mittagessen einladen lassen. Davor würde sie noch auf ein, zwei Stunden in der Kanzlei vorbeischauen, aber im Moment gab es einfach nichts zu tun, außer noch ein wenig zu faulenzen.
Als sie Hunger verspürte, holte sie sich im Sushi-Laden ums Eck eine große Portion Sushi, nahm sich ein Glas Wein, ein Buch und machte es sich auf der Couch gemütlich. Kaum hatte sie an ihrer Lektüre Gefallen gefunden, klingelte das Telefon.
„Ich hoffe, ich störe Sie nicht. Aber ich wollte mich doch erkundigen, ob Sie gut angekommen sind“, meldete sich Theo Nestelbach. „Ich hatte gehofft, Sie beim Frühstück noch einmal zu sehen, aber ich war wohl spät dran.“
„Sie stören nicht. Wir sind gut angekommen und wir sind gegen zehn abgefahren, also hatten Sie vermutlich ein ziemlich spätes Frühstück.“
Das gab er lachend zu.
Sie erzählte von der Heimfahrt, er von einem Gewitter mit Hagelschlag, das am späten Nachmittag über dem Stadler-Gut niedergegangen war, und die Gäste eines Promi-Turnieres über den Platz gescheucht hatte. Als er sich dann höflich verabschiedete, sagte Irene: „Ich habe mich über Ihren Anruf sehr gefreut“, und legte lächelnd auf.
Sandra hätte jetzt bestimmt gesagt: „Du machst ihn nur noch eingebildeter.“ Aber so eingebildet fand sie ihn gar nicht. Er schien ihr auch nicht der Tyrann zu sein, den Frau Martens anfangs beschrieben hatte. Obwohl deren Erzählungen Irene nicht wirklich schlau gemacht hatten. Einmal erzählte sie von ihm als unzugänglichen Chef und Ehemann mit wenig Einfühlungsvermögen. Dann wieder beschrieb sie ihn als pflichtbewussten Sohn und umsichtigen Erben, der auch ein Auge auf seine Stiefgeschwister hatte. Sie meinte, man müsse zugeben, dass es das Schicksal – bei allen Vergünstigungen – nicht immer nur gut mit ihm gemeint hatte.
Anfangs erschien das Irene als ein Gegensatz. Aber vielleicht hatte Frau Martens ja recht. Sie wusste so wenig von ihm. Er war hilfsbereit gewesen, als ihr das Missgeschick mit dem Mauseloch passiert war, aber schließlich war er der Gastgeber. Ein wenig zugeknöpft war er ja, aber auch ein charmanter Gesellschafter. Das meiste, das sie von ihm wusste, beruhte auf der Einschätzung von Frau Martens, der sie allerdings ein gutes Urteilsvermögen zubilligte.
Der Roman, der Irene eben noch ganz gut gefallen hatte, interessierte sie nun nicht mehr. Sie nahm einen Schluck Wein, legte das Buch zur Seite und gestattete sich ausnahmsweise ein paar nette Tagträume.
*
Die neue Woche begann trüb und regnerisch. Irene war es egal, sie hatte zu arbeiten. Erst als sie sich abends eine Kleinigkeit zu essen machte und sich vor dem Fernseher niederließ, fielen ihr die vergangene Woche und Graf Nestelbach wieder ein. Mal sehen, ob er sich wirklich meldete, um den besprochenen Kündigungsfall mit ihr zu besprechen. Und wenn – würde er sie zum Essen einladen oder nur in ihre Kanzlei kommen? Sollte sie ihn vielleicht bekochen? Erst mal abwarten, ob er sich überhaupt meldete.
Am Mittwoch erhielt sie ein großes Kuvert mit seinem Absender und öffnete es erwartungsvoll. Sie entnahm ein Konvolut von Klagsaufträgen, Klagebeantwortungen und die Urteile der Instanzen. Darauf war ein Zettel geheftet:
Wie vereinbart – zur Durchsicht.
In Eile – Ihr Theo Nestelbach.
Sie nahm das Kuvert mit nach Hause und besah es sich nach dem Abendessen. Die Klagsführung des Kollegen schien ihr korrekt, das Urteil der Instanz fragwürdig – aber was sollte man machen. Einen weiteren Instanzenzug gab es in diesem Falle nicht.
Sie dachte zwei Tage darüber nach, dann schrieb sie:
Unterlagen in Nachtarbeit gesichtet.
Kein Fehler erkennbar.
In Eile – Irene Mahler.
Damit war die Sache erledigt. Schade eigentlich, aber was sollte sie machen?
*
„Was gibt’s Neues aus der gräflichen Verwaltung?“, fragte Sandra. Irene berichtete von ihrem knappen Briefwechsel, während sie ihren Wagen durch den samstäglichen Einkaufsverkehr lenkte.
„Und das ist alles? Also dümmer hätte man die Sache wirklich nicht mehr anstellen können.“
„Warum regst du dich auf, du findest ihn doch sowieso schrecklich.“
„Ja, schon, aber zu dir passt er.“
„Danke vielmals.“
„Verstehe mich nicht falsch“, lachte Sandra, „er mag ein wenig gestelzt daherreden und er besitzt eine ordentliche Portion Arroganz, aber er ist gebildet und durchaus herzeigbar. Alles Dinge, auf die es dir doch ankommt.“
Als Irene nicht gleich antwortete, weil sie gerade nach einem Parkplatz Ausschau hielt, fuhr Sandra fort: „Außerdem wird es Zeit, dass du wieder einen Mann findest. Du arbeitest zu viel, du grübelst zu viel und du lachst zu wenig.“
„Ich bin ja auch nicht bei Papa angestellt“, gab Irene spitz zurück.
„Jetzt sei nicht so biestig. Ich weiß ja, dass du viel tüchtiger bist als ich, sagt Papa auch immer. Deshalb bin ich ja auch so schrecklich stolz darauf, deine Freundin zu sein!“
„Dumme Pute!“, gab Irene lachend zurück.
* * *
Theo Nestelbach hatte einen schwarzen Tag gehabt, einen rabenschwarzen. Nicht nur, dass sein Verwalter ihm mitgeteilt hatte, ein großer Teil der Waldbestände hätte infolge der Trockenheit des Vorjahres argen Schaden genommen und musste nun neu aufgeforstet werden, er hatte auch noch die Endabrechnung über den Umbau der Wellness-Abteilung am Stadler-Gut erhalten. Die tatsächlichen Kosten des Umbaus hatten die Kostenvoranschläge um mehr als ein Viertel überstiegen.
Wahrscheinlich hätte er nicht allen Wünschen nachkommen sollen. Aber sowohl die Ideen seiner Angestellten, als auch die seiner Freundin Pamela, schienen ihm durchaus vernünftig. Als gelernte Kosmetikerin musste Pamela es eigentlich wissen – sollte man zumindest annehmen.
Eine weitere Hiobs-Botschaft kam von Yvonne, der Mutter seiner Stiefgeschwister. Sie hatte ihm mitgeteilt, dass Max, sein Stiefbruder, ein Jahr vor der Matura, Schule total ätzend fand und beschlossen hatte, sich in Zukunft von dieser fernzuhalten. Anscheinend hatte er das in den letzten Wochen schon ausprobiert.
Theo ahnte bereits, dass die Angelegenheit für Yvonne mit diesem Telefonat erledigt sein würde. Sie hatte ihn verständigt, nun würde sie sich hinsetzen, weitermalen, ihrem Sohn eine reizende Mitbewohnerin sein und abwarten, was Theo tat.
Dumm nur, dass er auch nicht wusste, was er tun sollte.
Für heute hatte er jedenfalls genug. Es war noch nicht spät, gerade mal sechs, also wählte er Pamelas Nummer:
„Hallo meine Schönste, wie wär’s mit uns zwei?“
„Meinst du heute oder generell?“
„Fürs erste einmal heute Abend.“
„Und was schlägst du vor?“
„Erst eine ziemlich gediegene Vernissage, danach vielleicht ein paar Scampi und ein Glas Champagner?“
„Tja, bei Scampi und Champagner werde ich meine Spare-Ribs-Verabredung leider aufgeben müssen.“
Theo bezweifelte, dass sie eine solche gehabt hatte, aber das behielt er für sich. Sie verabredeten sich für halb acht. Er fuhr heim, duschte, tauschte den grauen Anzug gegen einen hellen, wählte mit sicherem Griff ein blitzblaues Hemd und eine passende Krawatte. Im letzten Moment steckte er auch noch ein Stecktuch ein, besah sich im Spiegelbild und war zufrieden.
Pamela ließ ihn, wie üblich, ein wenig warten, was ihn mehr amüsierte, als es ihn ärgerte, weil er ahnte, dass sie es für eine äußerst raffinierte Taktik hielt.
Pamela war deutlich jünger als er und verdankte ihren Namen vermutlich einer Fernsehserie. Was soll’s? Sie sah gut aus und war bei Weitem nicht so dumm, wie Frau Martens vermutete. Wenn er auch zugeben musste, dass sie nicht immer die Gesprächspartnerin war, die er sich gewünscht hätte.
Um 21 Uhr klappte Irene den Aktendeckel zu.
„Also für heute reicht’s. Sandra wird auch schon auf dich warten.“
Irene hatte eine mehr als dreistündige Besprechung mit Günther hinter sich, der sie erstmals konsultiert hatte. Eben wählte er Sandras Nummer.
„Hallo Schatz. Wir sind jetzt fertig. Wo bist du?“
Er hörte eine Weile zu und sagte dann zu Irene: „Ich soll dich fragen, ob du Hunger hast“
„Das kann man so sagen! Sie wird doch nicht gekocht haben?“
Günther lachte. „Gott bewahre. Sandra ist noch auf einer Vernissage und schlägt vor, dass wir uns im Da capo treffen.“
„Da bekommen wir jetzt weder einen Tisch noch einen Parkplatz.“
„Tisch hat sie schon und das kurze Stück können wir mit dem Taxi fahren.“
„Mir soll’s recht sein. Dann weiß ich wenigstens, was ich essen werde. Antipasti-Teller mit einer doppelten Portion Knoblauchbrot.“
„Dazu Prosecco aus dem Krug.“
„Das weißt du?“ wunderte sich Irene, zog den Lippenstift nach, fuhr mit der Bürste kurz durchs Haar und war schon startbereit.
„Schon fertig?“, lobte Günther. „Sandra hätte mindestens eine halbe Stunde gebraucht.“
„Dafür sähe sie jetzt aus wie aus dem Journal. Ich hingegen …“ Irene seufzte.
„… wie aus dem Büro“, ergänzte Günther „daher kommst du ja schließlich auch.“
Wenige Minuten später betraten sie das Lokal. Es war wie immer ziemlich voll. Sandra war noch nicht da, doch ein Tisch für sechs Personen war unter ihrem Namen reserviert.
„Aha“, meinte Günther und schien nur mäßig erstaunt. „Wen bringt sie denn jetzt wieder mit?“
Schon im nächsten Moment trat Sandra ein, hinter ihr eine junge, bestens gestylte City-Maus und Theo, Graf Nestelbach, persönlich.
Irene wurde im gleichen Moment von einigen – durchaus widersprüchlichen – Gefühlen erfasst. Einerseits freute sie sich, Theo zu sehen, über die City-Maus freute sie sich allerdings etwas weniger.
Gegenseitiges Bekanntmachen hob an und Sandra erzählte, dass sie Theo und Pamela auf der Vernissage getroffen hatte.
„Da musste ich die beiden doch mitbringen.“
Darüber konnte sich Irene nur wundern. Nachdem der Prosecco serviert worden war, prostete man einander zu und Sandra, die heute besonders in Fahrt zu sein schien, meinte, dass es doch viel gemütlicher wäre, wenn man per Du sei.
Irene fand das etwas übertriebene Eile, sie suchte sich ihre Du-Freunde gerne selber aus. Sandra wusste das doch!
*
Als sie am darauffolgenden Samstag über den Golfplatz marschierten und Irene sie darauf ansprach, sagte Sandra:
„Du bist überheblich, meine Gute.“
„Bin ich nicht. Aber mit jedermann muss ich ja wirklich nicht per Du sein.“
„War doch ein netter Abend“, beschwichtigte Sandra.
„Wenn du das sagst. Seit wann bist du ein Fan von Theo Nestelbach?“
„Ach, ich weiß nicht. Auf der Vernissage war’s so öd, da habe ich mich wirklich gefreut, ihn zu treffen.“
„Übrigens“, sagte Irene zwischen zwei Schlägen „für das Stehgreif-Theater brauchen wir sechs Karten.“
Sandra war es am Donnerstagabend noch gelungen, die versammelte Tischrunde zu einem Besuch beim „Tschauner“ zu überreden.
Irene hatte ja für diese Art der Unterhaltung weniger übrig, aber einmal im Jahr blieb es ihr ohnehin nicht erspart, denn Sandra war nun mal ein Tschauner-Fan. Jedenfalls hatte Irene nicht vor, auch diesmal das fünfte Rad am Wagen zu sein.
„Wer soll denn noch mitkommen?“, fragte Sandra.
„Markus.“
„Was Besseres ist dir nicht eingefallen?“
„Was hast du gegen ihn? Er ist ein prima Freund und ein hervorragender Kinderarzt.“
„Und so fesch!“, stöhnte Sandra.
„Es kann ja nicht jeder groß und schlank sein. Außerdem hat er Zeit, ich habe schon mit ihm gesprochen.“
„Klar hat er Zeit. Markus hat immer Zeit, wenn du anrufst. Schade, dass er keine Zeit gehabt hat, als du Jochen geheiratet hast.“
„Da war er beschäftigt, als mein Trauzeuge.“
„Das war übrigens eine Gemeinheit von dir! Wo er dich doch schon liebt, seit er zehn ist.“
„Quatsch.“
„Tu nicht so, als wüsstest du das nicht.“
„Wie auch immer: Markus kommt mit!“
* * *
Sandra sah dem Tschauner-Abend mit sehr gemischten Gefühlen entgegen. Wahrscheinlich hatte ihr Vater doch recht, wenn er gelegentlich darauf hinwies, dass es manchmal vorteilhaft sein könnte, zuerst zu denken und erst dann zu reden. Jedenfalls waren ihr die Fehler dieser Inszenierung in der Zwischenzeit aufgefallen. Einerseits hätte sie bedenken sollen, dass die Einladung natürlich auch Pamela umfassen musste. Andererseits sah sie bereits Theos herablassenden Blick vor sich, Tschauner war wohl nicht ganz sein Stil. Erstaunlich, dass er überhaupt zugesagt hatte.
Wenigstens würde man Pamela mit diesem Kulturbeitrag nicht überfordern, dachte Sandra kurz, und gleich darauf: „Jetzt bin ich schon genauso überheblich wie Irene. So doof ist die Kleine gar nicht!“
Trotzdem passte sie Sandra überhaupt nicht in den Kram – und zu Theo passte sie auch nicht. Schließlich wäre der ein so passender Kandidat für Irene. Hinkünftig würde sie es geschickter anstellen müssen.
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Anders als Sandra freute sich Markus auf den Tschauner-Abend. Nicht so sehr, weil er ein Freund der Alt-Wiener Stegreifbühne war, vielmehr freute er sich darauf, Irene zu treffen, wenn er auch wusste, dass sie nie so für ihn empfinden würde, wie er für sie. Dennoch, sie war seine älteste Freundin, denn ihre Freundschaft bestand seit jenen Tagen im Gymnasium, als außer Irene kein Mensch mit ihm gesprochen hatte. Dass er klein und etwas pummelig war, hätte sicher schon genügt, sein Kärntner Dialekt, den er bis heute nicht ganz abgelegt hatte, hatte ein Übriges getan. Irene und er waren Klassenbeste gewesen, doch während dies Irene noch mehr Freunde eintrug, war es bei ihm scheinbar nur ein Grund mehr, ihn zu hänseln.
Irene hänselte ihn nicht. Der Wettstreit um die Position des Klassenprimus machte ihnen Freude und verband sie mehr, als er sie trennte, das blieb so bis zur Matura.
Auf der Maturareise hatte er ihr dann seine Liebe gestanden. Das hätte er lieber bleiben lassen, denn Irene hatte ihm klar und deutlich gesagt, dass sie ihn als Freund schätze, nicht mehr, aber auch nicht weniger. So war es geblieben.
Das Studium hatte dann jeden in eine andere Richtung geführt, dennoch war der Kontakt nie abgerissen. Als er ihren Trauzeugen spielen musste, hatte er bemerkt, dass er sie immer noch liebte. Er war ganz sicher, dass sie mit ihm glücklicher geworden wäre, aber das hatte er ihr nie gesagt.
Stattdessen freute er sich, sie gelegentlich zu treffen, mit ihr zu reden und mit ihr zu lachen.
Irgendwo hatte er einmal gelesen, dass der der richtige Partner fürs Leben sei, mit dem man auch herzlich lachen kann. So gesehen, wären sie ein ideales Paar.
Aber es sind doch nur zwei Tage“, argumentierte Sandra.
„Ich weiß, Liebling, aber es geht wirklich nicht. Außerdem habe ich am Donnerstag einen Gerichtstermin. Ein andermal, bestimmt.“
Als Günther das Telefongespräch beendet hatte, sah er gedankenverloren aus dem Fenster. Er wäre gerne mit Sandra nach London geflogen, aber er hatte wirklich alle Hände voll zu tun, um das Schlimmste zu verhindern. Dazu hatte er sich allzu weit aus dem Fenster gelehnt. Wer würde im Fall einer Insolvenz für ihn da sein?
Seine Mutter sicher nicht. Die traf er nur noch auf den Gängen des Gerichtes.
Begonnen hatte alles mit dem Streit um seinen Erbteil, der ihm an seinem 25. Geburtstag auszufolgen war. Die Hälfte aller Immobilienwerte hätte er bekommen sollen, so wollte es das Testament seines Vaters. Er hatte vermutet, dass die ihm überschriebenen Objekte deutlich weniger repräsentierten. Es kam zum Streit, er brachte die Klage ein.
Seither waren Jahre vergangen, teils hatte er recht behalten, teils auch nicht, jedenfalls hatte ihm die Sache schon eine ordentliche Stange Geld gekostet.
Geld, das er nun notwendig gebraucht hätte.
Der einzige Mensch, auf den er sich je hatte verlassen können, war seine Großmutter gewesen. Aber die konnte ihm nicht mehr helfen. Ganz im Gegenteil zahlte er monatlich eine Stange Geld für das Pflegeheim, in dem er sie untergebracht hatte. Diese Kosten könnte seine Mutter übernehmen, Geld genug hatte sie ja. Aber sollte er hingehen und sagen: Zahl du für Oma, ich bin pleite. Nun, so weit war es noch nicht -und so weit durfte es auch nicht kommen.
Würde Sandra zu ihm halten? Wohl kaum. Sie war eine hübsche, warmherzige, aber auch verwöhnte Frau. Und was wäre mit seinem sogenannten Freundeskreis?
Er rechnete seit Tagen wie ein Besessener herum. Wo konnte er noch einsparen? Wie zu Geld kommen? Schon vor Monaten hatte er angeordnet, dass ein Teil der notwendigen Sanierungsarbeiten in seinen Häusern vorerst auf Eis gelegt wurde.
---ENDE DER LESEPROBE---