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Zwei Geschichten um Lebensmut und Neubeginn, begleitet von köstlichen Rezepten, die zum Nachkochen einladen. 1. Buch – Neubeginn im Rosenschlösschen Nach dem Verlust ihres Topjobs hat Susanne keine Lust, sich von übermotivierten Jungmanagern in die hinteren Reihen verweisen zu lassen. Als passionierte Hobbyköchin beschließt sie daher, in ihrem ehemaligen Elternhaus, dem Rosenschlösschen, ‚Private Dinner‘ und Kochkurse zu veranstalten. Dafür engagiert sie Chefkoch Lars und macht sich gemeinsam mit Architekt Werner daran, dem Rosenschlösschen neues Leben einzuhauchen. Die beiden verstehen sich prächtig, doch dann macht der Hamburger Starkoch Lars Susanne ganz eindeutig den Hof und Werner verschwindet spurlos … 2. Buch – Champagner und ein Stück vom Glück Der einzige Mann, mit dem Helga Silvester feiern möchte, ist ihr 12-jähriger Sohn, doch der fährt lieber mit seinem Vater auf Schiurlaub. Da kommt ihr die Einladung des Sternekochs Lars gerade recht, den sie allerdings für einen Filou hält. Doch der Filou scheint es diesmal ernst zu meinen und Helga fühlt sich mehr und mehr zu ihm hingezogen. Leider hält Sohn Benny ebenso wenig von dieser Verbindung wie sein Vater, der die Scheidung von Helga längst bereut.
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Die Originalausgaben erschienen 2015 und 2016
bei Brigitte Teufl-Heimhilcher
www.teufl-heimhilcher.at
1. E-Book-Auflage 2021
© 2015/2016 Brigitte Teufl-Heimhilcher
Publishing Rights © 2015/2016 Brigitte Teufl-Heimhilcher
Covergestaltung: Xenia Gesthüsen
E-Book-Gestaltung: mach-mir-ein-ebook.de
Alle Rechte vorbehalten.
Schriften: »Gentium« von SIL International und »Lobster Two« von Impallari Type, diese Schriftarten sind unter der Open Font License verfügbar.
1 Zwiebel, gewürfelt
1 Knoblauchzehe, gehackt
30 g Parmaschinken, fein gehackt – Vegetarier können das gerne weglassen
4 Stangensellerie, gewürfelt
1 Tomate, gehäutet und gewürfelt
1 Karotte, gewürfelt
2 Kartoffeln, gewürfelt
einige Basilikumblätter, gehackt
1 l Hühnersuppe (Gemüsesuppe)
1 kleine Dose Bohnen, bestens abgespült
10 dag trockene Pasta
geriebener Parmesan
Öl in einem Topf erhitzen, Zwiebel, Knoblauch und Schinken darin anbraten, Basilikum zugeben, durchrühren und mit der Suppe aufgießen. Gemüse dazugeben und etwa 10 Minuten köcheln lassen, dann die Pasta dazugeben und weiterköcheln (auf die angegebene Kochzeit achten!).
Salzen, pfeffern und mit Parmesan bestreut servieren.
Susanne las die Mail zum zweiten Mal. Was für ein hanebüchener Unsinn! Ein Mieter teilte ihr mit, dass er von der im Mietvertrag getroffenen Indexvereinbarung zurücktreten wolle. Sie leitete das Schreiben mit den Worten: „das möchten wohl viele ;-)“ an ihre Assistentin weiter, als das Telefon läutete.
„Rieger.“
„Hier Sekretariat Doktor Hoch. Könnten Sie bitte zu Herrn Doktor Hoch kommen?“, zirpte eine ihr unbekannte Stimme.
„Jetzt gleich?“, fragte Susanne. Es war ziemlich ungewöhnlich, dass der Geschäftsführer sie einfach rufen ließ. Bisher hatte er stets selbst angerufen.
„Haben Sie etwas Besseres vor?“, zirpte die Stimme.
Dumme Ziege.
Susanne warf erst das Mobiltelefon auf den Tisch, dann einen Blick in den Spiegel. Sie zog den Lippenstift nach, fuhr mit der Bürste durchs Haar und machte sich auf den Weg in die Chefetage. Seit dem Total-Umbau der Geschäftsleitung thronte die im gläsern ausgebauten Dachgeschoss.
Die unbekannte Stimme gehörte offenbar zu einer großen Blondine und ersuchte sie, im Wartebereich Platz zu nehmen. Seufzend ließ Susanne sich in den tiefen Fauteuil sinken. Unerhört. Erst zitierte man sie von jetzt auf gleich hierher, und nun musste sie auch noch warten – sie war doch nicht Lieschen Müller!
Sie ließ ihren Blick durch den Raum gleiten. Alles wirkte sehr modern, sehr kühl. Dennoch würden sie es im Sommer hübsch warm hier haben, dachte sie grimmig, während sie ungeduldig mit ihren schön lackierten Fingernägeln auf die Armlehne trommelte. Es hatte sich so viel verändert, seit Peter, ihr ehemaliger Chef, dumm genug gewesen war, sein ansehnliches Aktienpaket an einen international tätigen Baulöwen zu verkaufen. Seither war kein Stein auf dem anderen geblieben. Die neue Geschäftsleitung hatte nicht lange gefackelt und innerhalb weniger Wochen nahezu alle strategisch wichtigen Positionen neu besetzt. Die Neuen waren alle jung und bestens ausgebildet, aber sie erschienen ihr aalglatt und die Sache mit den guten Manieren hielten sie wohl auch für überholt. Es wurde wirklich Zeit, dass sie sich nach einer neuen Herausforderung umsah. Aber erst musste sie noch …
„Frau Rieger, wenn Sie jetzt bitte mitkommen“, sagte die Blondine und eilte auf sehr hohen Absätzen vor Susanne den Gang entlang.
„Danke, ich kenne den Weg“, versuchte sie sich ihrer Begleitung zu entledigen. Doch das junge Ding reagierte nicht und öffnete die Tür zum Besprechungszimmer.
Dort warteten nicht nur Doktor Hoch, der neue Geschäftsführer, sondern auch zwei Herren aus dem Verwaltungsrat. Was war denn hier los?
Früher hätte man erst ein paar Höflichkeitsfloskeln ausgetauscht, doch Doktor Hoch kam gleich zur Sache.
„Wie Sie wissen, wollen wir uns von einem Teil des inländischen Portfolios trennen. Es ist uns nun gelungen, ein sehr attraktives Angebot für das bisher von Ihnen betreute Portfolio zu erhalten.“
Bisher also, aha. Sie hatte damit gerechnet, dass man sich eines Tages auch ihrer Person entledigen würde. Dass es so schnell ging, hätte sie allerdings nicht gedacht.
Demonstrativ verschränkte sie die Arme, lehnte sich zurück und wartete. Einer der Verwaltungsräte ergriff das Wort: „Der Kaufvertrag wurde heute Vormittag unterschrieben. Der neue Eigentümer wird die Verwaltung zum nächsten Monatsersten übernehmen. Veranlassen Sie bitte, dass sämtliche Unterlagen bis dahin übergeben werden. Sobald die Übergabe erledigt ist, sind Sie freigestellt.“
Ihr Ton war kühl und beherrscht, als sie antwortete: „Sie scheinen übersehen zu haben, dass ich nicht nur ein Portfolio betreue, sondern auch Head of Asset-Management bin.“
Jetzt meldete sich wieder Doktor Hoch zu Wort: „Die Abteilungen unterstehen in Zukunft direkt der Geschäftsleitung. Ihre Position wird eingespart.“
„Und was passiert mit meiner Assistentin, Frau Wagner?“
„Frau Wagner?“ Darüber schien er sich noch keine Gedanken gemacht zu haben, denn er zögerte kurz, ehe er antwortete: „Ich denke, wir haben keine weitere Verwendung für sie. Wollen Sie es ihr sagen, oder soll unsere Personal-Abteilung …“
Susanne war bereits aufgestanden.
„Danke, das erledige ich selbst.“
Sie hätte jetzt gerne die Tür hinter sich zugeworfen, aber der blöde Türschließer ließ sie sanft ins Schloss gleiten.
Susanne hatte es sich in all den Jahren angewöhnt, Unangenehmes immer sofort zu erledigen – das war Teil ihres Erfolges gewesen. Davon würde sie auch jetzt nicht abgehen. Sie drückte den Knopf der Gegensprechanlage: „Frau Wagner, den Kognak und zwei Gläser bitte.“
Ihre Assistentin erschien wenig später mit einem Silbertablett, auf dem eine Kristallkaraffe und zwei Kognakschwenker vor sich hin klapperten. Sie erschien Susanne ziemlich blass, als sie fragte: „Ist etwas passiert?“
Susanne nahm ihr das Tablett aus den zitternden Händen und schenkte ein. Dann drückte sie Helga Wagner ein Glas in die Hand: „Auf die Zukunft, meine Liebe! Wir beide sind gefeuert.“
Um ein Haar hätte ihre Assistentin den Kognakschwenker fallen lassen.
„Aber, das … das geht doch nicht“, stotterte sie.
„Und wie das geht. Man hat unser gesamtes Portfolio verkauft und Abteilungsleitung braucht man auch keine mehr. Prost!“
Susanne leerte das Glas in einem Zug, dann stellte sie es auf das Tablett zurück und spürte, wie sich langsam ein wohliges Gefühl in ihr ausbreitete. Alkohol war zwar keine Lösung, aber manchmal tat er eben verdammt gut.
Helga Wagner nippte mehrfach an ihrem Glas, ehe sie sagte: „Das ist ja eine Katstrophe!“
Susanne wusste, dass ihre Assistentin seit wenigen Monaten von ihrem Mann getrennt lebte. Als Alleinerzieherin mit Kind würde es nicht einfach für sie werden, einen adäquaten Posten zu finden. Dennoch sagte sie mit mehr Optimismus, als sie empfand: „Seien Sie unbesorgt, Sie sind ja noch jung, und ich werde Ihnen ein super Zeugnis schreiben. Die gute Nachricht ist, dass wir, sobald alle Unterlagen übergeben sind, freigestellt werden. Heute ist der Fünfzehnte. Die Kündigung wird zum Monatsletzten wirksam, dann drei Monate Kündigungszeit, die müssen jedenfalls bezahlt werden. Wie lange sind Sie schon bei uns?“
Sie sagte immer noch uns. Es würde wohl eine Zeit dauern, bis sie IMMO mit WERT nicht mehr als ihre Firma betrachten würde.
„Fünf Jahre“, antwortete Helga Wagner seufzend.
„Das ist gut, dann kommt noch eine Abfertigung in Höhe von drei Monatsgehältern dazu.“
Ihre Assistentin war immer noch ziemlich blass um die Nase. Susanne sah auf die Uhr. Wie hell es draußen noch war, dabei war es schon sechzehn Uhr vorbei, langsam wurde es Frühling.
„Kommen Sie, trinken Sie noch einen Schluck, dann lassen wir’s für heute gut sein. Morgen beginnen wir mit der Zusammenstellung der Unterlagen – und dann nichts wie weg hier.“
Sie sehnte sich plötzlich nach ihrem Nest, wie sie ihre noble Dachgeschoss-Wohnung nannte. Sie würde sich eine ordentliche Minestrone kochen – ihre Trostsuppe. Nichts war nach einem Tag wie diesem tröstlicher als eine warme Suppe. Sie hatte verschiedene Varianten auf Lager, je nachdem, wie sie sich fühlte. Heute würde sie sich die deftig-feurige gönnen, mit ein wenig Schinkenspeck, viel Pasta und einem Hauch von Chili.
Innerhalb von drei Wochen hatten sie alle Abrechnungen fertiggestellt, alle Übergabeprotokolle geschrieben und alle Unterlagen übergeben. Susanne hatte mehr als fünfzehn Jahre bei IMMO mit WERT gearbeitet, viel und gern gearbeitet, sehr gern sogar. Doch seit dem Tag ihrer Kündigung konnte sie es kaum erwarten, diese Ära abzuschließen. Frau Wagner schien es ebenso zu gehen.
„Hervorragende Arbeit“, lobte Susanne. „Ich werde die Geschäftsleitung davon informieren, dass man Sie ab morgen freistellt.“
„Das klingt, als würden Sie noch bleiben“, sagte ihre Assistentin und sah sie fragend an.
„Ein paar Tage werde ich wohl noch dranhängen müssen, um alle schwierigen Akten mit meinen bisherigen Mitarbeitern durchzugehen.“
„Müssen?“
„Ich mag keine Halbheiten. Was erledigt werden kann, wird noch erledigt.“
„Dann werde ich Ihnen helfen“, hatte Frau Wagner geantwortet und war ihr auch in diesen Tagen noch zur Hand gegangen.
Freitagmittag waren sie auch damit fertig. Für zwölf Uhr hatte Susanne zu einem abschließenden Umtrunk in den Besprechungsraum gebeten. Sie hatte nicht erwartet, dass der Raum zum Bersten voll sein würde, schließlich hatte man in den letzten Wochen die halbe Belegschaft ausgewechselt, aber dass sie mit Frau Wagner nun allein dastand, überraschte sie dann doch. Sie füllte zwei Gläser mit Prosecco, drückte Helga Wagner eines in die Hand und sagte: „Auf uns!“
Fünf nach zwölf kamen zwei Damen aus der Buchhaltung, zehn nach zwölf entschuldigte sich Doktor Hoch telefonisch, er sei leider außer Haus. Dann kam einer der Wirtschaftsprüfer vorbei, der zufällig im Haus war. Eine Viertelstunde später folgten zwei Asset-Manager, im Eilschritt, sie wollten sich nur verabschieden, müssten aber gleich weiter.
Tja, so war das eben. Um ein Uhr fragte Susanne: „Sind Sie auch in Eile oder darf ich Sie noch zu einem Abschiedsessen einladen?“
„Das trifft sich gut. Ich sage nur kurz Bescheid, dass ich später komme. Mein Sohn ist heute zum Glück bei meiner Mutter.“
Sie gingen zum Italiener ums Eck. Susanne war in all den Jahren oft hier gewesen, aber noch nie mit ihrer Assistentin. Schade eigentlich, dachte sie, nach dem sie ihre Lasagne verzehrt hatten und auf die Zabaione warteten. Helga Wagner war nicht nur eine loyale Mitarbeiterin gewesen, sie schien auch privat eine ganz patente Person zu sein.
„Wie steht’s mit Ihrer Scheidung?“, fragte Susanne.
„Erinnern Sie mich bloß nicht. Wir können uns über die Unterhaltszahlungen nicht einigen. Wissen Sie, als Benny, unser Sohn, zur Welt gekommen ist, hat mein Mann darauf gedrungen, dass ich die ersten Jahre zu Hause bleibe. Dem armen Kind sollte der Kindergarten erspart bleiben. Habe ich dann ja auch gemacht. Als Benny dann zur Schule ging, habe ich mir den Teilzeitjob gesucht. Sie erinnern sich vielleicht, dass ich anfangs nur zwanzig Stunden gearbeitet habe; mit der Zeit wurden es dann dreißig. Jetzt wirft mein Mann mir vor, dass ich gehaltsmäßig unter meinen Möglichkeiten bliebe und er nicht bereit sei, die Differenz zu zahlen. Als ich ihm verklickert habe, dass ich bald arbeitslos sein werde, ist er überhaupt ausgerastet. Das mache ich alles nur, um ihm ein schlechtes Gewissen zu machen.“
Sie schnäuzte sich, dann fuhr sie fort: „Ich bin vollkommen fertig und kenne meinen Mann nicht mehr. Ich meine, wir waren immerhin zwölf Jahre verheiratet, aber so habe ich ihn noch nie erlebt.“
Susanne nickte: „Das kann ich gut verstehen, aber Sie werden sehen, das legt sich auch wieder. War bei uns damals ganz genauso.“
„Sie haben früher auch Teilzeit gearbeitet?“
Susanne lächelte. „Ich nicht, aber mein Mann. Er hat nebenher studiert – allerdings nicht besonders effizient. Ich fürchte, das habe ich ihm später auch vorgeworfen. Vermutlich nicht nur einmal. So eine Trennung ist einfach eine Ausnahmesituation. Ich würde heute so manches gerne zurücknehmen, was ich damals gesagt habe.“
Darauf sagte Helga Wagner erst einmal nichts, aber Susanne hoffte, dass es ihr guttat.
„Wenn ich mir in meinem neuen Job eine Assistentin aussuchen darf, werde ich auf Sie zurückkommen“, sagte sie zum Abschied. „Vorausgesetzt, dass Sie dann noch frei sind. Versprochen!“
„Haben Sie denn schon etwas im Auge?“
Susanne schüttelte den Kopf: „Nein, aber jetzt mache ich erst einmal Urlaub.“
300 g Mehl glatt
15 g Germ
eine Prise Salz
4 EL Olivenöl
1 Dotter
4 EL Tomatenmark
2 Kugeln Mozarella, in dünnen Scheiben
8–12 Scheiben roher Thunfisch, Sushi-Qualität
frischen Rucola, geputzt
Sojasauce
Zitronensaft
Das Mehl mit Germ, Salz, Öl, Dotter und etwas warmen Wasser zu einem glatten Teig verkneten und zugedeckt – an einem warmen Ort – eine halbe Stunde rasten lassen.
In der Zwischenzeit aus Sojasauce, Zitronensaft und etwas Olivenöl eine Marinade bereiten und das Tomatenmark mit Olivenöl (eventuell einem Löffel Wasser) glattrühren.
Den Teig auf einer bemehlten Unterlage in Backblechgröße ausrollen, mit dem Tomatenmark bestreichen, mit Mozarella belegen und im vorgeheizten Backrohr etwa 10-15 Minuten backen (Pizzastufe).
Den Thunfisch kurz in die Marinade legen, abtropfen lassen auf die Pizza legen und mit dem geputzten Rucola bestreuen.
Die Tage bis zu Susannes Abreise vergingen wie im Fluge, und als sie schon Richtung Abano Terme unterwegs war, fiel ihr ein, dass sie den Geburtstag von Tante Anna vergessen hatte.
Sch… wanenbraten! Bisher hatte Frau Wagner sie an solche Dinge erinnert, oft auch die notwendigen Geschenke und Mitbringsel besorgt, aber das war ja nun Geschichte.
Aber dafür hatte sie ja jetzt Zeit; sie würde Tante Anna einfach auf dem Rückweg besuchen.
Die Fahrt zog sich endlos dahin, der Himmel war grau, ab und zu gab es einen Schneeschauer und im Kanaltal herrschte tiefster Winter. Auf der Höhe von Udine wurde es endlich heller und das Thermometer kletterte erfreulich nach oben.
Als sie endlich in Abano ankam, hatte es fünfzehn Grad und die letzten Sonnenstrahlen des Tages drangen durch die Hotellobby.
Genau so hatte sie sich das vorgestellt.
Das Hotel Savoy war zwar nicht das erste Haus am Platz, aber es bot einen herrlichen Blick auf die Eugenischen Hügel und – fast noch wichtiger – man konnte es ohne Halbpension buchen. So sehr sie die italienische Küche liebte, so sehr ging es ihr gegen den Strich, sich, nach einem mittelmäßigen Frühstück, tagsüber zu kasteien, um abends für das Fünf-Gänge-Menü gerüstet zu sein, für dessen Verdauung sie dann ein bis zwei Gläser Grappa brauchte. Sie war zwar leidlich schlank, aber das sollte schließlich auch so bleiben.
Gut gelaunt buchte sie Fango, Massagen und Schönheits-Behandlungen und ließ sich einen Campari servieren. Warum schmeckte der in Italien immer besser als zu Hause? Sie freute sich auf die vor ihr liegenden Tage, nur auf die einsamen Abendessen hatte sie weniger Lust. Zu dumm, dass ihre Freundin Doris keine Zeit gehabt hatte, um mitzukommen. Dann schnappte sie sich den Reader und machte sich auf den Weg in ihre Lieblings-Pizzeria.
Die Vormittage verbrachte Susanne mit Fango, Frühstück und Massage. Um die Mittagszeit startete sie ihren Wagen und machte sich auf den Weg ins Collio, aß hervorragende Pasta, machte lange Spaziergänge und kehrte erst wieder ins Hotel zurück, als die übrigen Hotelgäste langsam begannen, sich für das Abendessen umzukleiden. Dann erst ging sie ins Hallenbad, genoss in aller Ruhe das warme Wasser und machte sich anschließend auf den Weg in eines der wenigen Restaurants, die Abano zu bieten hatte. Da die meisten Gäste in den Hotels speisten, war das Angebot nicht allzu groß, aber sie kannte ein hervorragendes Fischlokal, eine verlässliche Pizzeria und eine sehr gemütliche Trattoria, in der vor allem die Einheimischen zu Gast waren.
Bevor sie am Donnerstag zu ihrer Fahrt in die Hügel aufbrach, bestellte sie sich noch einen Capuccino. Da der Tag wohlig warm war, beschloss sie, ihn auf einem der kleinen Tischchen im Park zu trinken.
Als sie vor das Hotel trat, fiel ihr ein Mann auf, der mit dem Rücken zu ihr saß, und Architekt Hausmann verdammt ähnlich sah. Der Kellner hatte eben einen Caffè Latte vor ihn hingestellt, der Mann bedankte sich.
Die Stimme kannte sie doch, das war Hausmann!
Soeben kam ein anderer Kellner mit ihrem Cappuccino.
„Stellen Sie ihn bitte zu dem Herrn da vorn. Grazie.“
Als der junge Mann den Kaffee vor Hausmann hinstellte, winkte der freundlich ab, doch sie sagte: „Das hat schon seine Richtigkeit.“
Jetzt drehte er sich um: „Frau Rieger. Das ist aber eine Überraschung.“
„Hoffentlich eine angenehme“, antwortete sie lachend und steckte dem Kellner ein Trinkgeld zu.
„Eine sehr angenehme sogar. Bitte, nehmen Sie Platz. Sind Sie schon länger hier?“
Eine knappe Stunde später machten sie sich gemeinsam auf den Weg. Sie wusste in der Zwischenzeit, dass er erst am Abend zuvor angekommen war, dass er mit der Bahn reiste, da er lange Autofahrten nicht mochte, und dass er – wie sie selbst – nur mit Frühstück gebucht hatte. Das ließ doch hoffen.
Sie hatte das Alleinsein in der Zwischenzeit gründlich satt, und da er ebenfalls allein hier war, sprach nichts dagegen, die restlichen Tage in seiner Gesellschaft zu verbringen – vorausgesetzt, er stellte sich nicht als Langweiler heraus.
Zwölf Stunden später wusste Helga, dass Werner Hausmann kein Langeweiler war. Außerdem schien gemeinsamer Ärger zu verbinden. Schon beim Mittagessen, als sie sich über die Ereignisse bei IMMO mit WERT unterhalten hatten, waren sie zum vertrauten Du übergegangen. Werner schwankte, genau wie sie selbst, immer noch zwischen Unverständnis und Ärger über das Verhalten ihres Ex-Chefs.
„Ich verstehe es nicht“, hatte er gesagt. „Peter hat das Unternehmen aufgebaut, es war sein Leben. Warum verkauft er plötzlich sein ganzes Aktienpaket und verschwindet?“
„Er wollte sich in der Toskana ein Weingut kaufen“, warf sie ein.
„Das mag ja durchaus verlockend klingen, aber ein Mann wie Peter, der sich bisher ausschließlich um Immobilien gekümmert hat, lässt doch nicht Knall auf Fall alles zurück. Also für mich sah das aus wie Flucht.“
„Du meinst, es gibt einen triftigen Grund, warum er Wien den Rücken gekehrt hat?“
Er zuckte ratlos die Schultern: „Ich hoffe, ich habe Unrecht. Aber es spricht einfach alles gegen ihn.“
Daran hatte sie auch schon gedacht, aber bisher hatten sich, gottlob, keinerlei Ansatzpunkte für diese Vermutung gefunden.
Unverständlich blieb es trotzdem. Sie hatte fünfzehn Jahre mit Peter gearbeitet und alles, was er ihr hinterlassen hatte, war ein Blumenstrauß und eine Karte mit den Worten: Danke für alles – Peter.
Nach dem Essen hatten sie den historischen Garten von Valsanzibio besucht, sich über die mangelnde Instandhaltung der Brunnen und Gebäude entrüstet, und auf dem Heimweg lachend Sanierungsvorschläge erarbeitet.
Auch die Frage, wo sie zu Abend essen würden, wurde zu ihrer vollsten Zufriedenheit geklärt, denn Werner, der zum ersten Mal hier war, vertraute sich ihrer Führung an.
Mittags hatten sie sich an Pasta gehalten, abends aßen sie Fisch, ganz puristisch, mit Knoblauch und Kräutern gegrillt, dazu Salat und gebratene Kartoffel. Es hatte ebenso köstlich geschmeckt wie der leichte Weißwein aus dem Collio.
In der Bar nahmen sie dann noch einen Grappa.
„Was für einen schlechten Einfluss Sie auf mich haben“, lachte er. „Ich trinke sonst nie Schnaps.“
„Fünf Euro für die Urlaubskasse, du hast schon wieder ‚Sie‘ gesagt.“ Spielerisch hielt sie ihm ihre Hand entgegen.
„Verzeih mir!“
Aber ja doch, so samten wie seine Stimme klang, musste man ihm einfach verzeihen.
Am nächsten Morgen regnete es. Beim Frühstück hatte sie Werner nicht getroffen, aber das war kein Problem, weil sie ohnehin für zwölf Uhr verabredet waren. Diesmal blieben sie in der Stadt, aßen mittags nur einen Salat, gönnten sich eine ausgiebige Pause und gingen später shoppen.
Die schwarzen Ballerinas mit der schwarz-weiß getupften Masche hatten ja noch Gnade vor seinen Augen gefunden, aber als sie sich einen grün gemusterten Seidenschal kaufen wollte, überraschte er sie mit der Frage: „Für wen soll der sein?“
„Für mich.“
Er durchwühlte den Ständer, fand einen Schal in warmen Terrakotta- und Gelbtönen und sagte: „Versuch doch den einmal.“
Sie hängte ihn um: „Er ist wirklich sehr schön, aber der hier passt genau zu einer grünen Bluse.“
„Eine Bluse in diesem Grün? Dann würde ich dir empfehlen, lieber einen Pullover dazu zu kaufen.“
„Einen Pullover?“
Er nickte. „Der wärmt und man sieht nicht so viel von diesem schockierenden Grün.“
Ihr stockte der Atem. Eine Frechheit! Doch dann sah sie in seine lächelnden Augen und sagte: „Ich nehme beides.“
Gut gelaunt zogen sie weiter. Beim nächsten Buchladen erstand er einen Bildband über Valsanzibio, den er ihr schenkte.
„Herzlichen Dank! Ich würde mich gerne mit diesem Kochbuch revanchieren. Kannst du etwas damit anfangen?“
Lächelnd nahm er es ihr aus der Hand: „Wenn es schöne Fotos hat, könnte ich sie mir gelegentlich ansehen.“
„Aber du kannst nicht kochen.“
„Mehr als Butterbrot und Tee habe ich bisher noch nicht zustande gebracht“, antwortete er und stellte das Buch ins Regal zurück.
Macht nichts. Hauptsache, er isst gerne, dachte sie, während sie eine Pizzeria ansteuerte.
„Pizza?“, fragte er erstaunt, als sie vor dem Lokal standen.
„Pizza. Aber die beste der Welt. Lass dich überraschen.“
Er schien skeptisch, doch schon beim Studium der Speisekarte gab er zu: „Das klingt alles sehr verlockend. Was empfiehlst du?“
„Eigentlich alles. Ich mag besonders die al tonno, mit viel Büffel-Mozzarella, frischem Rucola und roh mariniertem Thunfisch. Aber die mit der geräucherten Entenbrust ist auch nicht zu verachten.“
Als sie nach dem Essen noch ein Glas Wein tranken, fragte Werner: „Wie bist du eigentlich in die Immobilienbranche geraten?“
„Ich sag’s nur ungern, aber das habe ich der Familie meines Mannes zu verdanken. Ich wollte ja eigentlich Publizistik studieren. Aber als ich nach meinem Auslandsjahr mit Kind und einem studierenden Mann dastand, musste ich Geld verdienen. Da seine Eltern einen nicht unbeachtlichen Immobilienbesitz ihr Eigen nannten, hat Pierre mich auf die Idee gebracht, als Immobilienmaklerin zu arbeiten.“
„Und das ging so einfach?“
„Einfach war’s nicht, aber es ging. Jedenfalls habe ich bald genug verdient, um unsere kleine Familie zu erhalten und das Studium meines Mannes zu finanzieren.“
„Sind seine Eltern denn nicht für sein Studium aufgekommen?“
„Die Hochzeit mit mir hat ihn vorübergehend um sein Erbe gebracht. Aber in der Zwischenzeit ist er ja wieder in den Schoß der Familie zurückgekehrt. Trinken wir noch ein Glas?“
Die Tage vergingen wie im Fluge und als sie sich am Montag, nach einem gemeinsamen Frühstück, von ihm verabschiedete, hatte sie das Gefühl, einen guten Freund zurückzulassen. Einen sehr guten Freund.
„Rufst du mich an, wenn du nach Hause kommst?“, fragte er.
„Gerne, aber dann musst du bis morgen warten. Heute fahre ich nur bis in die Steiermark, um meine Tante Anna zu besuchen.“
„Da wird sich deine Tante Anna sicher freuen.“
„Das weiß man bei ihr nie so genau“, lachte Susanne, küsste ihn freundschaftlich auf die Wange und fuhr davon.
Als sie am Ende der Straße einen Blick in den Rückspiegel warf, stand er immer noch vor dem Hotel und winkte.
Vielleicht hätte sie doch noch ein paar Tage anhängen sollen? Anderseits wurde es langsam Zeit, sich um einen neuen Job zu kümmern.
Obwohl sie sich keine ernsthaften Sorgen über ihre Zukunft machte, hatte das Gefühl, nicht zu wissen, wie es weiterging, doch etwas Unangenehmes. Werners Einschätzung des Arbeitsmarktes war auch nicht besonders optimistisch gewesen, wenn er das auch sehr vorsichtig formuliert hatte, wie er immer alles sehr vorsichtig formulierte.
Sein Architekturbüro hatte durch den Wechsel in der Geschäftsführung von IMMO und WERT ebenfalls viele Aufträge verloren, sodass er gezwungen gewesen war, sich von zwei Mitarbeitern zu trennen. In der Zwischenzeit war es ihm zwar gelungen, neue Aufträge an Land zu ziehen, aber die Gewinnmargen waren deutlich schlechter.
Vielleicht würde auch sie sich mit einer etwas geringeren Gage zufriedengeben müssen. Aber was soll’s? Sie hatte in den letzten Jahren überdurchschnittlich gut verdient und sich zwei kleine Anlegerwohnungen gekauft, als Pensionsvorsorge, und dann waren da ja immer noch die Mieteinnahmen aus dem Rosenschlösschen.
1 kg Wadschinken
120 g Schweineschmalz
800 g Zwiebel
50 g Paprikapulver, edelsüß
2 Knoblauchzehen
1 Spritzer Essig
1 EL Tomatenmark
20 g Mehl glatt
Kümmel, Majoran, Salz, Pfeffer
Evtl. etwas Chilipaste
Zwiebel würfeln und das Fleisch in große Würfel schneiden (2-3 cm). Zwiebel in heißem Schweineschmalz rösten, Tomatenmark und Paprikapulver zugeben, einmal durchrühren und mit Essig und etwas Wasser ablöschen. Fleisch zugeben, salzen und pfeffern, Kümmel und Majoran zugeben und im eigenen Saft so lange dünsten, bis dieser verdunstet ist, dann mit Wasser soweit aufgießen, dass das Fleisch gerade bedeckt ist, und so lange auf kleiner Flamme köcheln, bis das Fleisch weich ist.
Mehl mit etwas Saft und einem Spritzer Essig verrühren, unterrühren und noch etwa 15 Minuten köcheln lassen, bis sich der Mehlgeschmack verliert. Knoblauch pressen und darunter geben, abschmecken und mit Nockerln, Knödeln oder frischen Semmeln servieren.
Wer es schärfer mag, würzt mit etwas Chilipaste.
Nockerl:
300 g Mehl glatt
60 g zerlassene Butter
2 Eier
1/8 l Milch
Salz
Mehl, Butter, Eier und Salz in eine Schüssel geben und mit der Milch verrühren, so dass ein nicht zu fester Teig entsteht, den man am besten sofort (am besten mit einem Spätzlehobel oder Nockerlsieb) in kochendes Salzwasser einkocht.
Einige Minuten wallend kochen, abseihen, in etwas Butter schwenken und zum Gulasch servieren.
Tante Anna bewohnte ein kleines Haus am Rande von Kaiserstein. Eigentlich war das Haus gar nicht so klein, es wirkte nur etwas verloren auf dem großen Grundstück, vor allem jetzt, wo der Garten noch ziemlich kahl aussah. Zwar blühten an der rechten Grundstücksgrenze schon die Forsythien in strahlendem Gelb und dort und da zeigte sich etwas Grünes, aber alles in allem kam die beste Zeit des Gartens erst.
Die beste Zeit des Gartens war immer auch Tante Annas beste Zeit. Sie war die jüngste Schwester von Susannes verstorbenem Vater, und ging mit strammen Schritten auf die achtzig zu.
Früher war sie Handarbeitslehrerin gewesen, nach ihrer Pensionierung hatte sie dann in der Gärtnerei von Susannes Eltern mitgearbeitet und lange nicht verstanden, warum Susanne den Betrieb nicht übernommen hatte. Vermutlich verstand sie es immer noch nicht.
Anfangs hatte Tante Anna auch den derzeitigen Pächter noch bei der Rosenzucht unterstützt, aber dann hatte sie sich mit ihm zerstritten. Seither widmete sie sich ihrem eigenen Garten mit einer Inbrunst, die Susanne nur schwer nachvollziehen konnte.
„Anna hat eben ihren eigenen Kopf“, hatte ihr Vater immer gesagt und hinzugefügt: „Du kommst eh ganz nach ihr.“
Irgendwie mochte das stimmen. Sie hatte mit Tante Anna schon öfter die Klingen gekreuzt, aber an ihrer gegenseitigen Zuneigung hatte das nie etwas geändert.
Sie parkte ihren Mercedes vis-à-vis des Grundstückes und stieg aus. Puh, war es hier kalt. Nichts wie hinein in die warme Stube. Sie läutete. Doch statt Tante Anna erschien ein Wesen mit lila Haaren, schwarzen Lippen, einem pinkfarbenen Shirt und ausgebleichten Jeans in der Haustür und drückte den Knopf des Türöffners. Das Wesen mochte Mitte zwanzig sein.
Wo war Tante Anna?
Als Kind war Susanne immer stolz gewesen, wenn sie das Haus mit genau siebzig Schritten erreicht hatte, warum, konnte sie nicht mehr sagen, heute hatte sie andere Sorgen. Schon von Weitem fragte sie: „Ist Frau Burggruber nicht zu Hause?“
„Ihnen auch einen schönen Tag“, erwiderte das lila Haar. „Ihre Tante liegt im Bett.“
„Ist sie denn krank?“
„Nö, sie liegt nur zum Spaß so rum.“
Susanne ignorierte die Person ebenso wie ihre dummen Sprüche und stürmte ins Schlafzimmer.
„Tante Anna, wie geht es dir?“
„Komm mir nur ja nicht in die Nähe. Haaa-tschi. Hat Nina dir denn nicht gesagt, dass ich haaa-tschi …“
„Ach du Arme. Hast du Fieber?“
„Denkst du, wegen eines lächerlichen Schnupfens lege ich mich ins Bett?“
Das dachte Susanne allerdings nicht, sie konnte sich eigentlich nicht erinnern, dass Tante Anna jemals krank gewesen war.
„Dann fahr ich rasch den Kleinen abholen“, ließ das lila Haar sich vernehmen.
„Wer ist das denn?“, fragte Susanne, sobald sie allein waren.
Tante Anna schnäuzte: „Nina, meine neue Untermieterin. Sie wohnt im Dachgeschoss.“
„Seit wann hast du denn eine Untermieterin?“
„Seit Anfang Jänner.“
„Davon hast du Weihnachten gar nichts erzählt.“
„Hast mich halt nicht danach gefragt.“
Diese Antwort fand Susanne ziemlich unlogisch, die beiden winzigen Räume im Dachgeschoss waren schließlich noch nie vermietet gewesen, aber angesichts des Zustandes ihrer Tante ließ sie es dabei. Stattdessen fragte sie: „Kann ich irgendetwas für dich tun? Soll ich dir vielleicht Tee kochen?“
„Ach, lasst mich doch zufrieden mit eurem Tee. Nina bringt mir jede Stunde eine neue Tasse und behauptet, dass würde die Viren ausschwemmen. So ein Blödsinn. Lasst mich eine Stunde schlafen, bevor ich dann zum Abendessen aufstehe.“
„Also meinetwegen musst du nicht …“, protestierte Susanne.
„Aber meinetwegen“, schnitt Tante Anna ihr das Wort ab und scheuchte sie mit eindeutiger Geste aus dem Zimmer.
Während Susanne zum Wagen ging, um ihren Trolley zu holen, hielt ein klappriger alter Opel vor dem Haus, dem zuerst ein etwa achtjähriger Bub und gleich danach das lila Haar entstieg. Der Bub rannte los. „Lass Oma Anna in Ruhe. Verstanden?“, rief das lila Haar ihm nach.
Beim Abendessen erfuhr Susanne, dass der Bub Felix hieß und Ninas Sohn war. Erstaunlicherweise benahm er sich ganz manierlich. Es gab übrigens Gulasch mit Nockerln. Ganz hervorragendes Gulasch sogar – außer vielleicht, dass ein Hauch Chili fehlte. Aber das war natürlich Geschmackssache.
„In deinem Zustand hättest du wirklich nicht kochen sollen“, sagte Susanne mit liebevollem Vorwurf zu ihrer Tante.
„Hab’ ich eh nicht“, erwiderte die. „Hat Nina gemacht, aber nach meinem Rezept.“
Damit hatte Susanne nun wirklich nicht gerechnet. Das musste sie erst einmal mit einem Schluck Bier hinunterspülen. Dann nickte sie Nina zu: „Erstaunlich. Wirklich, ganz hervorragend.“
„Was finden sie denn so erstaunlich?“, fragte Nina. „Dass ich lesen kann oder dass ich kochen kann?“
„Ziemlich genau in der Reihenfolge“, antwortete Susanne.
Nina warf ihr erst einen finsteren Blick zu, doch dann sagte sie: „Sie sind wenigstens ehrlich!“
Am nächsten Morgen hatte Tante Anna kein Fieber mehr, deswegen ließ sie es sich auch nicht nehmen, mit Susanne zu frühstücken.
Nina und Felix waren bereits unterwegs, Felix in der Schule und Nina in ihrer Werkstatt.
„Sie betreibt eine Werkstatt? Wofür?“
„Ach, sie macht da solchen Kram, aus Abfällen. Sie nennt es ihre Recycling-Boutique.“
„Sie hat ein Geschäft?“
Anna machte eine wegwerfende Handbewegung: „Mehr so ein Kellerlokal, aber mit straßenseitigem Zugang.“
Susanne angelte sich noch eine Schnitte vom Bauernbrot, das sicher schon einige Tag alt war, aber immer noch ganz hervorragend schmeckte. Sie bestrich es mit Butter, bevor sie einige Scheiben von diesem würzigen Käse darauf legte. Ehe sie genussvoll hineinbiss, sagte sie: „Jetzt erzähl mal, was gibt es Neues in Kaiserstein?“
Ihre Tante zuckte nur die Schultern: „Net gar viel. Das G’schäft vom Staller soll gar net gut gehen. Neulich hat ein knallgelbes Auto von einem Inkassobüro davor geparkt.“
Der Staller war der Pächter des Rosenschlösschens, in dem ihre Eltern und ihre Großeltern eine Gärtnerei betrieben hatten.
Der Pächter hatte bald auf Rosenzucht umgestellt und seit einigen Jahren veranstaltete er auch Rosen-Kochkurse und betrieb eine Taverne.
Susanne schenkte sich Kaffee nach, ehe sie fragte: „Und wie geht die Taverne, die hat er doch neu eingerichtet?“
„Was soll denn da gehen? Der sperrt doch nur auf, wenn er gerade Lust hat. Und dann kocht er lauter so Blödsinn wie: Nudeln mit Rosenpesto. Wie des schon unappetitlich ausschaut!“
Da war was dran. Susanne hatte einmal ein Glas Rosenpesto in seinem Blumenladen erstanden. Das heißt, eigentlich befand sich das Pesto in einem Keramiktopf. In einem Glas hätte sie das bräunliche Gemisch niemals gekauft. Es hatte übrigens auch genauso gerochen wie es ausgesehen hatte – sie hatte es dem Restmüll übergeben.
„Und wie bist du zu dieser Nina gekommen?“
„Diese Nina, wie du sie nennst, ist die Enkelin vom Huber Sepp. Der ist voriges Jahr gestorben. Die Nina und Felix haben bei ihm gewohnt. Na ja, jetzt gehört das Haus seinen fünf Kindern, die konnten sich lange nicht einigen, was mit dem Haus geschehen sollte, aber die meisten wollten wohl Kohle sehen, also muss das Haus verkauft werden. Da ist die Nina eben zu mir gezogen. Die Wohnung im Dachgeschoss stand sowieso leer.“
„Was verlangst du denn für die zwei winzigen Zimmer?“
„Ich verlang’ von der Nina doch keine Miete! Sie hilft mir im Garten, beim Einkaufen und wenn ich krank bin, kocht sie mir literweise Tee.“
Susanne hatte kein gutes Gefühl bei der Sache. Tante Anna hatte es bisher immer abgelehnt, dass jemand auch nur vorübergehend in ihre Dachwohnung einzog. Als Susannes Tochter Claudia damals ein Praktikum in der Nähe gemacht hatte, hätte sie gerne ein paar Monate darin gewohnt, aber Tante Anna hatte das kategorisch abgelehnt. Sie könne es nicht leiden, wen ihr jemand am Kopf herumtrampelt, hatte sie damals gesagt.
Warum also Nina?
Ging es Tante Anna vielleicht schlechter, als sie zugab, oder hatte Nina weniger feine Methoden als Claudia? Wer weiß, man las ja so vieles.
„Ich könnte noch ein paar Tage bleiben?“, sagte sie deshalb.
„Musst du denn nicht in dein Büro? Sonst hast du’s doch immer so eilig.“
„Ich habe gekündigt“, sagte Susanne und bemühte sich, um einen beiläufigen Ton.
„Du hast gekündigt? Das glaub’ ich jetzt nicht. Die Firma war dir doch immer heilig.“
„Also, heilig ist etwas übertrieben. Aber ja, ich habe gerne dort gearbeitet, zumindest so lange, bis mein Ex-Chef auf die vertrottelte Idee kam, sein Aktienpaket zu verkaufen.“
Tante Anna schien skeptisch, also sagte Susanne munter: „Jetzt muss ich mir eben was Neues suchen.“
„Ja, ist das denn so einfach?“
„Kein Thema. Ich bin ganz gut vernetzt in der Branche.“
Gegen Mittag fuhr Susanne ab, doch auf der Heimfahrt nahm sie sich vor, sich in Zukunft mehr um ihre Tante zu kümmern. Man konnte schließlich nie wissen – und dieser Nina traute sie einfach nicht über den Weg.
Wer färbt sich sein Haar schon lila? Wenn auch, zugegebenermaßen, ein paar schwarze Strähnchen darunter waren.
Zu Hause angekommen räumte sie ihren Koffer aus, befüllte die Waschmaschine und überlegte, was sie essen könnte.
Der Tiefkühler bot Rindsuppe, Ravioli, Erbsen, Brot und Himbeeren. Sie entschied sich für die Rindsuppe, in die sie einige Ravioli und eine Handvoll Erbsen einkochte. Schon hatte sie eine wundervolle, kräftige Suppe. Danach machte sie es sich mit einem Glas Wein auf der Couch gemütlich und wählte Werners Nummer.
Mailbox. Schade, sie hätte gerne mit ihm geplaudert.
Also schrieb sie ihm eine SMS:
Wien hat mich wieder. Schönen Urlaub noch - Susanne
Dann nahm sie ein Buch zur Hand.
Sie war schon über ihrem Roman eingenickt, als gegen Mitternacht die Antwort kam:
Wie schön! Viel Erfolg bei der Jobsuche - auf bald - Werner
2 Lammkarrees (etwa 800 g)
1 Knoblauchknolle
1 kleine Zwiebel
4 Scheiben Weißbrot
70 g weiche Butter
4 EL Tapenade (schwarze Olivenpaste)
frischen Thymian
1 Zweig Rosmarin
Olivenöl
Salz, Pfeffer
Toastbrot würfeln und (am besten im Cutter) zerkleinern. Mit der Butter und der Olivenpaste zu einer glatten Masse verarbeiten. Salzen, pfeffern zu einer Rolle formen, in Alufolie wickeln und etwa 2 Stunden in den Kühlschrank stellen.
Lammkarrees von Sehnen und Häuten befreien und in heißem Öl scharf anbraten. Knoblauchknolle und Zwiebel halbieren und mitbraten, Thymian und Rosmarin zugeben und kurz durchschwenken. Dann das Fleisch mit den Gewürzen bei 120 Grad Umluft im Backrohr ziehen lassen.
Olivenpaste in Scheiben schneiden und auf das Karree legen, etwa 2 Minuten gratinieren.
Am nächsten Morgen setzte sich Susanne an ihren Schreibtisch und erstellte eine Liste der Personen, die ihr bei der Jobsuche nützlich sein könnten. Sicherheitshalber fertigte sie noch eine zweite Liste an, auf der sie notierte, in welchen Bereichen sie bisher gearbeitet hatte und in welchen sie besonders kompetent war. Doch eigentlich ging sie davon aus, dass sie die nicht brauchen würde, schließlich war sie kein unbeschriebenes Blatt in der Branche.
Vielleicht hatte es sich in der Zwischenzeit sogar schon herumgesprochen, dass sie frei war. Sollte sie vorerst abwarten, ob jemand auf sie zukam? Aber die Hände in den Schoß zu legen und abzuwarten entsprach nicht ihrer Art.
Sie legte die Stirn in Falten, strich sie eilig wieder glatt und entschied, dass es günstiger sei, erst einmal auf Stellengesuche zu antworten und dann ihre persönlichen Kontakte zu nutzen.
Also gab sie „Stellenangebote Immobilien“ in die Suchmaschine ein und fand binnen Kurzem drei Jobs, die ihr interessant erschienen. In allen Fällen wurden Bewerbungsschreiben, Lebenslauf und allfällige Dienstzeugnisse per Mail angefordert.
Sie machte sich an die Arbeit.
Eine Stunde später bekam sie die erste Absage: Der ausgeschriebene Posten sei bereits vergeben. Die nächste Absage kam tags darauf, doch am Freitag erhielt sie eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch. Na bitte, geht doch.
Sicherheitshalber besorgte sie sich am nächsten Morgen den Samstag-Kurier, verbrachte den Vormittag mit der Durchsicht der Jobangebote und übermittelte am Nachmittag weitere Bewerbungsschreiben, ehe sie sich auf den Weg zur Geburtstagsfeier ihrer Cousine machte. Wie doch die Zeit verging. Eben waren sie doch noch Kinder gewesen – und jetzt wurde Paula sechzig!
Mit ihrer Cousine Paula hatte Susanne sich schon immer gut verstanden. Warum, konnte sie nicht sagen, denn sie waren damals schon ziemlich verschieden gewesen. Rudi, Paulas Mann, hielt sie hingegen für einen Wichtigmacher der Sonderklasse, der Rest der Verwandtschaft war ganz in Ordnung, und gegen ihre Nichte Babsi war auch nichts einzuwenden – außer vielleicht, dass sie gleich alt war wie ihre Tochter Claudia – und an Claudia wollte sie jetzt lieber nicht denken.
Kaum hatte sie den Saal betreten, kam ihr auch schon Paula entgegen. Sie schien seit dem letzten Zusammentreffen zugenommen zu haben, zumindest saß der dunkelgraue Kostümrock ein wenig streng. Immerhin hatte sie zur Feier des Tages ihre geliebten Westen durch eine Kostümjacke ersetzt, sonst sah sie aus wie immer.
Susanne küsste Paula pflichtschuldig auf die Wange und schüttelte anschließend Rudis fleischige Hand.
„Gut siehst du aus“, meinte der gönnerhaft.
„Es geht mir auch gut“, antwortete sie und nahm ein Sektglas von einem der Tabletts.
„Ich dachte, du wärst gekündigt worden“, warf Paula ein.
Da hatte Tante Anna ja wieder ganze Arbeit geleistet, dachte Susanne amüsiert und antwortete betont fröhlich: „Stimmt. Deswegen geht’s mir ja so gut.“
Es war Paula anzusehen, dass sie dieser Logik nicht folgen konnte.
„Meinst du, dass du so leicht eine neue Stelle findest? In deinem Alter?“
„Ich bin ja noch keine sechzig“, antwortete Susanne augenzwinkernd und überreichte als Wiedergutmachung das geschmackvoll arrangierte Päckchen mit Paulas Lieblingsparfum.
Da Diplomatie nicht gerade zu Paulas hervorragendsten Eigenschaften zählte, stellte sie das Päckchen auf den Tisch zu den übrigen Geschenken und sagte: „Mit fünfundfünfzig werfen sie einem die Jobs auch nicht mehr nach. Wie lange hast du denn noch bis zur Frühpension?“
„Frühpension? Ich denke doch nicht an Frühpension!“
„Solltest du aber“, antwortete Paula. Die Ankunft des nächsten Gastes ersparte ihnen die weitere Diskussion.
Ausgerechnet Rudi klopfte ihr aufmunternd auf den Rücken – wie sie das hasste – und sagte jovial: „Wahrscheinlich hast du es gar nicht mehr nötig zu arbeiten.“
„Aber ich will – und werde – auf jeden Fall wieder arbeiten“, entgegnete sie energisch.
„Dein Wort in Gottes Ohr“, meinte Rudi.
„Macht euch keine Sorgen um mich“, antwortete sie und entfloh in Richtung ihrer Nichte, die sie umgehend mit ihrem neuen Freund bekannt machte. Das erinnerte Susanne daran, dass sie in der Zwischenzeit auch einen Schwiegersohn hatte – einen, den sie nicht mochte.
Obwohl der Himmel bewölkt war, war die Luft angenehm mild, als Susanne am nächsten Tag mit ihrer Freundin Doris durch die Weinberge spazierte. Sie genoss die Bewegung in frischer Luft und konnte endlich ihrer Empörung freien Lauf lassen: „Das hättest du hören müssen. Meine Verwandtschaft scheint nichts anderes zu interessieren, als wer wann in Pension gehen kann. Ich verstehe das nicht! Das ist doch krank. Wohlverstanden, die sind alle bei guter Gesundheit.“
Doris teilte zwar ihr Unverständnis für die Pensionsgelüste ihrer Verwandtschaft, nicht aber ihren Optimismus, was die Stellesuche betraf.
„Hast du dir schon einen Plan B überlegt für den Fall, dass du keine adäquate Stelle mehr findest?“
Nein, das hatte sie nicht.
Montag und Dienstag gingen ereignislos dahin, also setzte sie all ihre Hoffnungen in das Gespräch, das sie für Mittwochvormittag vereinbart hatte, und bereitete sich gründlich darauf vor. Sie recherchierte nicht nur alles über das Unternehmen, es handelte sich um die Immobilientochter einer großen Bank, sondern auch über die Mitglieder des Vorstandes und der Geschäftsleitung.
Dann eilte sie noch zum Friseur, schließlich konnte es nicht schaden, auch gut auszusehen.
Die Einladung zum Vorstellungsgespräch war von einer Frau Magister Feldmann unterzeichnet worden, über die im Internet allerdings nichts zu finden gewesen war, woraus Susanne schloss, dass es sich um eine unbedeutende Assistentin handelte, die waren ja neuerdings alle schon irgendwie akademisch.
Das Unternehmen befand sich im 20. Stock eines supermodernen Glaspalastes. Während sie auf den Lift wartete, dachte sie mit Wehmut an den stilvollen Altbau, in dem IMMOBILIEN mit WERT residiert hatte.
Frau Magister Feldmann war die Personalchefin – schau an. Sie war vermutlich kaum älter als dreißig und trug ein dunkelblaues Kostüm mit superkurzem Rock.
Das Gespräch fand in einer Besprechungskoje statt, die Susanne irgendwie an eine fliegende Untertasse erinnerte; man hatte ihr nicht einmal Kaffee angeboten.
„Sie interessieren sich für den Posten in unserer Finanzbuchhaltung.“
„Keineswegs“, antwortete Susanne. „Ich habe mich für die Position als Asset-Manager beworben.“
Magister Feldmann schien verwirrt und blätterte in ihren Unterlagen.
„Sie haben doch eine solche Position ausgeschrieben“, setzte Susanne nach.
„Schon, aber, pardon, da muss es sich um eine Verwechslung handeln. Vermutlich weil ihre Daten, also die bisher eingesehenen Unterlagen, viel eher zu der Stelle in der Finanzbuchhaltung gepasst haben. Sie müssen wissen, die Position des Asset-Managers würde eine gewisse Mobilität voraussetzen. Das zu verwaltende Portfolio befindet sich nur teilweise in Wien, teilweise aber auch in Berlin und Frankfurt.“
Susanne nickte. „Wo ist das Problem?“
„Das Problem ist, dass sie immer wieder dorthin reisen müssten.“
„Schon klar. Ich bin zeitlich flexibel und habe keine Flugangst.“
Magister Feldmann blätterte angestrengt in ihren Unterlagen, ehe sie sagte: „Tatsächlich hat sich die Geschäftsführung für diese Position einen Akademiker zwischen 30 und 40 vorgestellt.“
Immerhin schien ihr diese Äußerung unangenehm zu sein, dachte Susanne nicht ohne Häme, ehe sie konterte: „Soviel ich bisher verstanden habe, geht es darum, ein Portfolio von Zinshäusern zu verwalten. Ich habe in meinem bisherigen Berufsleben kaum etwas anderes getan. Können Sie mir vielleicht erklären, was genau ein Akademiker zwischen 30 und 40 anders machen könnte?“
Das konnte Frau Magister Feldmann leider nicht. Sie versprach zwar halbherzig, Susannes Bewerbung der Geschäftsführung vorzutragen, und beendete das Gespräch, indem sie aufstand und sagte: „Also … wenn Sie sich die Sache mit der Finanzabteilung vielleicht noch einmal überlegen wollen?“
Das wollte Susanne keinesfalls und rauschte davon.
Für heute hatte sie genug. Auf dem Heimweg kaufte sie sich auf dem Naschmarkt ihr Frustmenü: Tramezzini mit Lachs, Tramezzini mit feurigem Eiaufstrich und dann noch ein Säckchen von diesen unglaublich köstlichen Champagnertrüffeln.
Daheim goss sie sich ein Glas Chardonnay ein, verzehrte genüsslich die Tramezzini und machte es sich danach mit den Champagnertrüffeln und einem Krimi auf dem Sofa gemütlich. Dennoch gelang es ihr nicht, das Gespräch zu vergessen.
Am nächsten Morgen hatte sie sich soweit erholt, dass sie mit neuem Elan begann, die Liste ihrer Branchenkollegen abzuarbeiten. Wäre doch gelacht, wenn man für eine Fachkraft wie sie, ungebunden und im besten Alter, keine Verwendung mehr hätte.
Freitagmittag war sie damit fertig. Sie hatte zwar durchaus interessante Telefonate geführt, manch einer hatte ihr auch zugesichert sich umzuhören, aber eine konkrete Zusage hatte sie nicht erhalten.
Sie überlegte kurz, ob sie sich mit einer heißen Schokolade und ein paar von diesen köstlichen Karamellkeksen auf die Couch zurückziehen sollte, doch dann packte sie ihre Sporttasche und fuhr in den Fitnessclub. Sie hatte zwar nicht vor, sich an den Geräten zu verausgaben, aber bei der Jazz-Gymnastik würde sie mitmachen und danach ein paar Längen schwimmen.
Da sie seit dem Herbst nicht mehr hier gewesen war, verließ sie den Gymnastikraum ziemlich außer Puste und reichlich verschwitzt. Sicher würde sie morgen einen ausgewachsenen Muskelkater haben.
Sie genoss das warme Wasser der Dusche und beschloss aufs Schwimmen zu verzichten und lieber gleich nach Hause fahren, als plötzlich jemand rief: „Susanne! Ich dachte du plantscht noch im warmen Thermenwasser.“
„Nora!“ Sie freute sich aufrichtig, ihre ehemalige Kollegin zu treffen. Nora war Peters rechte Hand gewesen, sie hatte man zuallererst gekündigt. Sie begrüßten einander mit Küsschen links, Küsschen rechts, und bestellten einen Vitamincocktail.
Da Nora ausnahmsweise keine familiären Verpflichtungen hatte, Tochter und Ehemann waren im Kino, gingen die beiden zum nahegelegenen Griechen, verspeisten rosa gebratene Lammkoteletts und tranken ein Glas Retsina, während Nora, die gute zehn Jahre jünger war, von ihrem neuen Job erzählte und Susanne ein paar Geschichten von IMMO mit Wert zum Besten gab.
Beim zweiten Glas fragte Nora: „Und wie geht’s dir mit der Jobsuche?“
„Nicht so toll. Niemand scheint einen Asset-Manager zu suchen, zumindest keinen in meinem Alter.“
„Nun ja, die Branche ist eng, so viele Führungspositionen gibt es eben nicht“, sinnierte Nora. „Was willst du jetzt machen?“
„Weitersuchen. Wäre doch gelacht, wenn niemand einen Immobilien-Profi brauchen könnte. Cheers!“
Bisher hatte Susanne es immer genossen, an einem ruhigen Wochenende Zeit zu haben, um sich selbst zu verwöhnen. Sie hatte sich dann eine Gesichtsmaske gegönnt, die abgestorbenen Hautschüppchen von den Beinen gerubbelt, dort und da ein Härchen weggezupft und darauf geachtet, am Tag fünf Portionen Obst und Gemüse zu essen.
Doch diesmal blieb wenig zu tun, denn in den vergangenen Tagen hatte sie zwischen den Telefonaten Zeit genug gehabt für Rubbelcreme und Gurkenmaske.
Das Wetter war auch schlecht, es schüttete in Strömen. Ruhelos tigerte sie durch die Wohnung. Das Buch, das Doris ihr empfohlen hatte, konnte sie ebenso wenig fesseln wie das Fernsehprogramm und für sich alleine zu kochen machte auch keinen Spaß.
Vielleicht sollte sie sich irgendwo einladen. Aber schon der Gedanke, bei diesem Wetter ihr wohlig warmes Nest zu verlassen, ließ sie frösteln.
Es war schon achtzehn Uhr vorbei und ihre Laune auf dem absoluten Nullpunkt, als das Telefon läutete.
„Rieger“, meldete sie sich mürrisch.
„Hallo Susanne. Wie schön, dass ich dich zu Hause antreffe.“
„Werner! Du bist schon zurück?“
„Gott sei Dank. Ohne dich war Abano ziemlich leer und drei Wochen arg lang.“
Das konnte sie gut verstehen. Allein der Gedanke daran, drei Wochen an einem Ort zu verbringen, war ihr unerträglich.
„Ich würde dich gerne zum Essen einladen“, fuhr Werner fort. „Hättest du Zeit?“
„Gerne, wann denn?“
„Am liebsten gleich.“
Und ob sie Zeit hatte. Schon eine halbe Stunde später verließ sie frisch gestylt das Haus.
Regen? Lächerlich, sie war doch nicht aus Zucker.
Sie hatte Werner vorgeschlagen, einander gleich im Restaurant zu treffen, aber das hatte er, ganz Gentleman, natürlich abgelehnt. Als sie aus dem Haustor trat, wartete sein silbergrauer Jaguar in zweiter Spur. Der Wagen war älteren Datums und passte irgendwie zu seiner etwas antiquierten Art. Trotz des strömenden Regens stieg er aus, um ihr den Wagenschlag zu öffnen. Sieh an, ein Kavalier der alten Schule, dachte sie amüsiert. Sie genoss diese Dinge, auch wenn sie sie gleichzeitig ein wenig verstaubt fand.
Werner führte sie in ein Restaurant, das für seine Wiener Küche bekannt war.
„Ich hoffe du magst Wiener Küche, aber nach drei Wochen Italien habe ich einen gewissen Nachholbedarf.“
„Keine Sorge, ich mag alles, wenn es nur gut gekocht ist.“
Sie wählte Tafelspitz mit Semmelkren, während er sich für ein Kalbsschnitzel entschied.
„Erzähl mal, wie geht es dir mit der Jobsuche?“, forderte er sie auf.
Sie machte eine wegwerfende Handbewegung: „Das willst du nicht wirklich wissen.“
„Doch.“
Also legte sie los. Sie erzählte von ihren erfolglosen Bemühungen und garnierte die Erzählungen mit den erstaunlichsten Aussagen, die ihr im Laufe der letzten Wochen so untergekommen waren.
„Ich glaube das Dümmste war, dass mir so ein junger Schnösel erklärt hat, die Integration älterer Arbeitnehmer sei eine Herausforderung, der sich sein Unternehmen bisher noch nicht gestellt hätte. Schau ich etwa aus, als bräuchte ich einen Treppenlift?“
Jedenfalls war der Abend ein voller Erfolg gewesen und sie vereinbarten, am kommenden Samstag, quasi als Alternativprogramm, einen total angesagten Asiaten zu besuchen.
8 Scheiben Tramezzini
60 g Pflücksalat
80 g Majonäse
160 g Lachs, geräuchert
4 Eier, gekocht
Den Pflücksalat waschen und trockenschleudern, dann 4 Scheiben Tramezzini damit belegen. Die hart gekochten Eier (am besten mit einem Eischneider) in Scheiben schneiden und auf die Majonäse legen, den Räucherlachs darauf verteilen, die restlichen Brotscheiben darüber legen, die Ränder zusammendrücken und diagonal durchschneiden.
Schon in der nächsten Woche brach Susanne neuerlich zu einem Bewerbungsgespräch auf. Diesmal hatte sie sich in einer großen Hausverwaltung beworben. Die Verwaltung hatte einen guten Ruf, sie kannte den Senior-Chef von früher, aber der hatte sich in der Zwischenzeit auf seine Finca auf Mallorca zurückgezogen.
Das Unternehmen wurde nun von seinem Sohn geführt, den Susanne auch von früher kannte. Als sie ihn zuletzt gesehen hatte, war er allerdings noch ein unscheinbares Bürschchen mit halblangen Haaren gewesen, das mit mäßigem Erfolg BWL studiert hatte. Nun war er Magister, also dürfte es ihm, wider Erwarten, doch gelungen sein, das Studium abzuschließen.
Das Büro war nun in einem ehemaligen Fabrikgebäude untergebracht, das seit einigen Jahren als Bürohaus diente. Sie schätzte die Raumhöhe auf gut fünf Meter. Die Räume waren in einem leuchtenden Zitronengelb gestrichen worden, was sie sehr hell und freundlich erscheinen ließ. Die Böden waren teilweise mit Spannteppichen, teilweise jedoch mit einer Art Profilblech belegt. Seltsam, dachte Susanne. Im gleichen Moment kam ein junger Mann auf einem Scooter durchs Büro gefahren. Knapp vor ihr machte er halt, lehnte den Scooter an die Wand und bat sie, ihm in den Besprechungsraum zu folgen.
Jetzt erst erkannte sie in ihm den ehemals langhaarigen Burschen. Das blonde Haar hatte er zu einer Stoppelglatze geschnitten, was ihm ein eher kahlköpfiges Aussehen verlieh. War das der neueste Schrei?
Er trug schwarze Jeans und ein Sweatshirt. Susanne kam sich in ihrem dunkelblauen Hosenanzug vor, als wäre sie in einer Ballrobe erschienen.
„Ich mach’s mal kurz“, eröffnete er das Gespräch. „Wie Sie wahrscheinlich schon gesehen haben, sind wir ein junges Team. Der Grund, warum ich dennoch auf Ihre Bewerbung zurückgegriffen habe, ist folgender: Meine Frau bekommt ein Kind. Sie hat vor, die ersten drei Jahre zu Hause zu bleiben, wird dann aber auf jeden Fall wieder einsteigen. Ich dachte mir, in drei Jahren …“
„Könnte ich in Pension gehen“, vollendete sie seinen Satz.
Sie hatte eigentlich nicht vor, sich schon in drei Jahren aus dem Berufsleben zurückzuziehen, aber anderseits konnte in der Zeit viel passieren. Also fragte sie: „In welchem Bereich war ihre Frau denn bisher tätig?“
„Sie war meine Assistentin.“
Das war starker Tobak. Was dachte sich der junge Schnösel eigentlich?
Sie lehnte sich zurück und fragte honigsüß: „Sagen Sie, haben Sie mein Bewerbungsschreiben eigentlich gelesen?“
Er nickte: „Doch, schon, aber ich dachte mir, in Ihrem Alter sind Sie …“ Den Rest des Satzes ließ er unter ihrem erstaunten Blick in der Luft hängen.
„Was denn?“, sprang sie ihm hilfreich zur Seite: „Froh, dass ich überhaupt Arbeit bekomme? Tut mir leid, ich bin wirklich nicht mehr jung genug, um im Scooter durch Ihr Büro zu fahren. Aber ich schicke Ihnen gerne meine ehemalige Assistentin vorbei, vielleicht kann die Ihnen helfen.“
„Da habe ich … also ich meine … das ist …“
Sie funkelte ihn an.
„Das ist … wirklich sehr freundlich von Ihnen“, schloss er und ließ noch ein scheinbar unvermeidliches „Tschü-üss“ folgen.
Auf dem Weg zum Auto überlegte sie: Tramezzini oder shoppen? Sie entschied sich dafür, erstmal Peek und Cloppenburg einen Besuch abzustatten, Tramezzini konnte sie später immer noch essen.
Die Sonne schien, die Luft war angenehm mild, sie würde sich doch von so einem Jungspund nicht die Laune verderben lassen.
Allerdings schienen sich in den Führungsetagen zunehmend Jahrgänge niederzulassen, die jung genug waren, ihre Kinder zu sein. Wer in ihrem Alter nicht schon einen Chefsessel hatte, für den war es schwer, einen zu ergattern. Die nachkommende Generation war gut ausgebildet, flexibel, belastbar und vor allem billiger.
Gedankenverloren parkte sie ihren Wagen in der nahen Tiefgarage und schlenderte durch die Fußgängerzone.
Als sie sich dem Kaufhaus näherte, erkannte sie Werner. Sie hob die Hand zum Gruß und wollte schon rufen, als eine junge Frau an seine Seite trat und ihm einen Kuss auf die Wange gab.
Blitzartig ließ sie den Arm sinken und wendete sich der Auslage zu.
Gott sei Dank, er hatte sie nicht gesehen.
Dafür hatte sie nun Zeit in der Auslagenscheibe seine Begleitung näher unter die Lupe zu nehmen. Sie war vermutlich Ende zwanzig und hatte langes, schwarzes Haar. Mist. Ausgerechnet Werner.
Als sie es sich später mit einer Ladung Lachs-Tramezzini und einer Tüte Champagnertrüffel zu Hause gemütlich machte und die Post durchsah, fiel ihr ein handschriftlich beschriftetes Kuvert auf.
Staller, der Mieter des Rosenschlösschens, teilte ihr in etwas ungelenker Schrift mit, dass er das Mietobjekt zum nächstmöglichen Termin zu kündigen wünsche.
Na super. Ausgerechnet jetzt, wo sie zum ersten Mal in ihrem Leben auf diese Mieteinnahmen angewiesen war.
Natürlich hatte sie Ersparnisse, aber auf die wollte sie nicht zurückgreifen. Jetzt noch nicht. Niemand wusste, wie sich die Wirtschaft weiterentwickeln würde und immer öfter hieß es, dass sich der Staat üppige Pensionszahlungen bald nicht mehr leisten konnte. Nun, sie war leidlich gesund und wollte ohnehin arbeiten – verdammt noch mal.
Während sie sich ein Glas Chardonnay zu ihren Tramezzini schmecken ließ, überlegte sie, dass der Zeitpunkt vielleicht doch gar nicht so schlecht war. Jetzt hatte sie wenigstens Zeit, sich eingehender mit dem Rosenschlösschen zu befassen. Bisher hatte sie stets nur die Mieteinnahmen aufgelistet und versteuert. Sobald sie wieder einen Job haben würde, hätte sie erst recht keine Zeit mehr. Außerdem hatte sie ohnehin vorgehabt, sich mehr um Tante Anna zu kümmern.
Davor würde sie noch ihre ehemalige Assistentin anrufen.
Helga Wagner war ebenfalls noch auf Stellungssuche und nicht abgeneigt, ihr Glück bei dem Scooter fahrenden Jungchef zu versuchen.
„Hoffentlich stößt er sich nicht daran, dass ich Alleinerzieherin bin. Daran sind schon zwei Zusagen gescheitert.“
„Sind Sie eigentlich in der Zwischenzeit geschieden?“
„Leider nein. Wir konnten uns immer noch nicht auf die Unterhaltszahlungen einigen.“
„Ist doch gut. Dann sind sie verheiratet. Punkt.“
„Das ist aber nicht ganz fair“, warf Helga Wagner zögernd ein.
„Finden Sie es fairer, den Frauen die Sorge um die Kinder zu überlassen und sie anschließend am Arbeitsmarkt zu benachteiligen?“
Schweigen.
„Na also, machen Sie’s gut.“
Am nächsten Tag setzte sich Susanne mit dem Mieter des Rosenschlösschens in Verbindung. Wie sie bereits vermutet hatte, wollte Hubert Staller sein Mietobjekt so rasch wie möglich loswerden. Die Geschäfte gingen schlecht und er könne sich die Mietzahlungen nicht mehr leisten. Sie vereinbarten ein Treffen für das kommende Wochenende. Als Profi wusste sie, dass es besser wäre, das Haus vorab zu besichtigen, um zu entscheiden, welche Einbauten sie sinnvollerweise übernehmen konnte und welche Instandsetzungsarbeiten ihr Mieter noch durchführen musste. Erst danach würden sie einen endgültigen Übergabetermin vereinbaren.
Zuvor würde sie noch den Mietvertrag studieren, so hatte sie es schließlich immer gehalten.
Werner ließ sie per Mail wissen, dass sie die Verabredung am kommenden Wochenende leider nicht einhalten konnte. Er antwortete umgehend, dass er das sehr bedauerte.
„Schleimer“, sagte sie laut. Sollte er doch die schwarzhaarige Schönheit ausführen.
Am Samstagmorgen machte sie sich auf den Weg. Nach der Besichtigung würde sie zu Tante Anna fahren und das Wochenende bei ihr verbringen.
Das Rosenschlösschen lag auf einem Hügel, etwas außerhalb von Kaiserstein. Die Lage war wirklich sehr hübsch, ein paar Zypressen noch und es sieht aus wie in der Toskana, dachte sie gut gelaunt.
Als sie das Haus wenig später in Augenschein nahm, wich ihre gute Laune jedoch blankem Entsetzen.
Dass der Verputz an der Straßenfront abblätterte, wusste sie vom Vorbeifahren, das war nicht so schlimm, doch hofseitig hatte die Fassade tiefe Risse. Die Fenster hatten auch schon seit langer Zeit keinen Anstrich mehr gesehen und bei manchen bezweifelte sie, ob sie überhaupt noch zu retten waren. Die Malerei im Inneren hatte es auch überstanden, wie sie früher manchmal launig bemerkt hatte, wenn kaum ein Anstrich mehr zu sehen war. Kaum eine Tür, die nicht verzogen war, und die Parkettböden in den ehemaligen Wohnräumen waren mit Sicherheit nicht mehr zu retten. Es war eine Schande.
Staller hatte die ehemalige Gärtnerei vor ziemlich genau fünfzehn Jahren gemietet. Damals, als ihre Eltern sich in ein Seniorenheim zurückgezogen hatten, war es kein modernes, aber ein solides, schmuckes Haus gewesen. Gut, dass ihre Eltern das nicht mehr sehen mussten. Sie waren immer so stolz auf das Rosenschlösschen gewesen – es war zum Weinen. Doch für Sentimentalitäten war jetzt keine Zeit.
„Wie ich dem Mietvertrag entnehmen konnte, waren die Instandhaltungsarbeiten Ihnen übertragen worden.