Tante Adelheids Schloss - Brigitte Teufl-Heimhilcher - E-Book

Tante Adelheids Schloss E-Book

Brigitte Teufl-Heimhilcher

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Beschreibung

Willkommen in Waldstetten – ein idyllisches Dorf im Waldviertel, in dem die Einheimischen skeptisch auf alle Zugezogenen blicken, die sie nur als "Zua'graste" bezeichnen. Auch die arbeitssuchende Kunstgeschichtlerin Gloria hätte sich niemals träumen lassen, einmal als Zua'graste in Waldstetten zu landen. Bis sie unerwartet ein Schloss in diesem Ort "am Ende der Welt" erbt, war sie überzeugt davon, ein Stadtmensch zu sein. Sicher, dass Schloss so schnell wie möglich zu verkaufen, reist sie nach Waldstetten. Als sie das erste Mal einen Fuß in das alte Gemäuer setzt, verliebt sie sich jedoch sofort in ihr Schloss. Gemeinsam mit ihrem Freund Daniel beschließt sie zu bleiben. Gloria kämpft bald mit bröckelndem Mauerwerk und misstrauischen Dorfbewohnern. Auch der Bürgermeister erweist sich zunächst als wenig entgegenkommend. Und dann erfährt Gloria auch noch Erstaunliches über ihre Ahnen, die das Schloss einst bewohnten … Wird Gloria das Geheimnis ihrer Ahnen lüften? Und wird es ihr gelingen, die Akzeptanz der Dorfbewohner zu gewinnen? Finden Sie heraus, was es bedeutet, im schrulligen Waldstetten als "Zua'graste" zu gelten, indem Sie sich dieses Buch holen und gleich in die amüsant-charmante Geschichte von Gloria und ihrem Schloss eintauchen.

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Brigitte Teufl-Heimhilcher

 

 

 

 

Tante Adelheids Schloss

Band 1 – Reihe Stadt, Land, Zank

 

 

Roman

 

 

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Das Buch

Die Autorin

Trübe Aussichten

Plötzlich Schlossherrin

Ein aufschlussreicher Ausflug

Eine geniale Idee?

Ferien auf Schloss Waldstetten

Die Wiener sind da

Unerwartet

Die Sache mit den Vorfahren

Vintage und Shabby-Chic

Stammtisch und andere Gewohnheiten

Schätzungen

Der Professor lässt bitten

Hoch zu Ross

Einkaufen und verkaufen

Freudige Überraschungen

Vor- und Nachteile

Erinnerungen

Annabell, ach Annabell

Von Fiffis und dummen Gänsen

Das Geburtstagsfest

Interessenskonflikte

Ideen muss man haben

Von Rollenspielen und anderen Verkleidungen

Kirtag ist’s im Jahr einmal, hollaridio

Mütter und Töchter

Heiraten – wie kommst du denn darauf?

Advent

Die Idee

Am Weihnachtsbaume die Lichter brennen

Mit Schwung ins Neue Jahr?

Sorgenkinder und Problemkunden

Nachhilfestunden

Die Kreuzfahrt

Fondue

Feuerwehrball

Nachwehen

Die Sache mit der Klugheit

Osterglocken

Wird das ein Fest!

So nimm denn meine Hände …

Es kommt doch immer anders …

Wer die Wahl hat …

Ente gut, alles gut!

Nachwort

Glossar

Danke

Stadt, Land, Zank Band2

Stadt, Land, Zank Band3

Stadt, Land, Zank Band4

Bisher als E-Book und Taschenbuch erschienen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

II. Auflage Copyright: ©2022 Brigitte Teufl-Heimhilcher, 1220 Wien

Tante Adelheids Schloss, Band 1 - Reihe Stadt, Land, Zank, Brigitte Teufl-Heimhilcher

https://www.teufl-heimhilcher.at

Buchsatz/Konvertierung: Autorenservice-Farohi https://www.farohi.com

Covergestaltung: Xenia Gesthüsen

Lektorat: Mareike Kerz

I Auflage (Deutsche Erstauflage) Copyright: ©2019 Brigitte Teufl-Heimhilcher,1220 Wien

https://www.teufl-heimhilcher.at

Waldstettener G’schichten

Teil 1 – Tante Adelheids Schloss, Brigitte Teufl-Heimhilcher

https://www.teufl-heimhilcher.at

Buchsatz/Konvertierung: Autorenservice-Farohi https://www.farohi.com

Covergestaltung: Xenia Gesthüsen

Lektorat: Mareike Kerz

 

 

 

 

Das Buch

 

Völlig unerwartet erbt Gloria das Schloss ihrer Ahnen – doch es ist baufällig und liegt am Ende der Welt. Verkaufen scheint die einzige Möglichkeit, dummerweise verliebt sich Gloria in das alte Gemäuer.

Waldstetten hat zwar nicht viel zu bieten, aber es gehört zur Modellregion für das Bedingungslose Grundeinkommen, und ein Einkommen könnte Gloria gut brauchen, denn die Kunstgeschichtlerin ist seit Längerem auf Jobsuche.

Gemeinsam mit Freund Daniel zieht sie ins Schloss, kämpft gegen bröckelndes Mauerwerk, den wenig entgegenkommenden Bürgermeister, den Argwohn der Waldstettener und fragt sich bald: Was war los mit meinen Vorfahren? Welche Geheimnisse verbergen sich hinter den alten Schlossmauern?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Autorin

 

Brigitte Teufl-Heimhilcher lebt in Wien, ist verheiratete und bezeichnet sich selbst als realistische Frohnatur.

In ihren heiteren Gesellschaftsromanen setzt sie sich mit gesellschaftspolitisch relevanten Fragen auseinander. Sie verwebt dabei Fiktion und Wirklichkeit zu amüsanten Geschichten über das Leben - wie es ist, und wie es sein könnte.

 

 

 

 

 

Trübe Aussichten

„Tante Adelheid ist gestorben“, sagte Gloria und legte das Kuvert zur Seite. „Ich wusste gar nicht, dass sie noch am Leben war.“

„Wer ist Tante Adelheid?“, fragte Daniel, ohne von den Schulaufsätzen aufzusehen, die er eben korrigierte.

„Wenn ich mich richtig erinnere, war sie die ältere Schwester meiner Großmutter.“

„Dann muss sie ganz schön alt gewesen sein.“

Gloria warf einen Blick auf die Todesanzeige. „Kurz vor ihrem 98. Geburtstag friedlich entschlafen.“

„Mehr kann man sich nicht wünschen“, murmelte Daniel.

„Stimmt. Wenn ich da an Tante Emma denke, die ist kaum siebzig geworden.“

„Vielleicht hat Tante Adelheid nicht so viel geraucht“, kam es ungerührt von Daniel.

Das hatte ja kommen müssen. Spießer. Gloria hatte gute Lust, sich eine Zigarette anzuzünden, nur um ihn zu ärgern. Blöd, dass sie keine zu Hause hatte. Natürlich hatte Emma zu viel geraucht, zu viel gearbeitet und überhaupt zu wenig auf sich geachtet. Aber die Arbeit hatte ihr Spaß gemacht, sie war ihr Leben gewesen. Auch wenn es schon über ein Jahr her war, dass Emma tot vor ihrem Zeichentisch aufgefunden worden war, konnte Gloria es immer noch nicht verstehen. Emma hatte doch noch so viele Pläne gehabt.

Gloria schaute auf die vor ihr liegende Arbeit. Sie hatte nun keine Lust mehr, an ihren dämlichen Skulpturen weiterzuarbeiten. Diese Gebilde aus Glasscherben und sonstigem Müll gingen ihr mächtig auf die Nerven. Aber was sollte sie machen? Sie verkauften sich nun einmal gut, auch wenn sie ursprünglich nur einer Weinlaune entsprungen waren. Seit ihr 3-Jahres-Vertrag im Weltmuseum ausgelaufen war, hatte scheinbar niemand Bedarf an einer Absolventin der Kunstgeschichte, Schwerpunkt außereuropäische Kunst. Die doofen Skulpturen brachten zumindest ein wenig Geld. Sie konnte doch nicht schon wieder Onkel Konrad anpumpen, wo er ihr erst zu Weihnachten einen ordentlichen Batzen Geld überwiesen hatte, zusätzlich zu den Einkaufsgutscheinen zu ihrem Geburtstag.

Gloria sah auf die Uhr. „Was hältst du davon, wenn ich uns etwas koche?“

„Mach das, Schatz“, murmelte Daniel. Vermutlich hätte er die gleiche Antwort gegeben, wenn sie gesagt hätte: „Morgen besteige ich das Matterhorn.“ Seine Interessenlosigkeit ging ihr mindestens ebenso auf die Nerven wie die Skulpturen, doch beide gehörten zu ihrem Leben.

Lustlos ging sie in die Küche und durchsuchte Kühl- und Vorratsschrank. Sah nicht gut aus. Ohne einzukaufen, würde es mit dem Kochen nichts werden. Sie warf einen Blick aus dem Fenster. Es hatte aufgehört zu regnen, also war ein Besuch des Grünmarkts vielleicht gar keine schlechte Idee.

Sie zog die schicke Strickjacke an und warf einen Blick in den Spiegel. Die rotbraunen Arabesken passten genau zum Ton ihres Haares. Das großflächige Muster konnte sich nicht jede leisten. Gloria schon, groß und schlank wie sie war. Tante Emma hatte wirklich einen ausgezeichneten Geschmack gehabt. Diese Jacke war das letzte Stück, das Emma für sie entworfen hatte. Gloria seufzte, wandte sich vom Spiegel ab und rief ins Wohnzimmer: „Ich geh kurz einkaufen“. Keine Antwort. Vermutlich hatte er genickt.

Während sie durch die Gassen schlenderte, beschloss sie, Onkel Konrad zum Abendessen einzuladen. Seit Emmas Tod war er oft allein – viel zu oft. Sollte Daniel daran Anstoß nehmen, was unwahrscheinlich war, konnte sie immer noch behaupten, er hätte ihren Vorschlag abgenickt.

Sie sandte eine kurze SMS an Onkel Konrad und ging beschwingt weiter. Auf dem Markt kaufte sie Spargel, junge Kartoffeln, Petersilie und Bananen, und weil Onkel Konrad sein Kommen in der Zwischenzeit zugesagt hatte, sollte es zum Spargel auch noch etwas Beinschinken geben. Sie war zwar neuerdings Vegetarierin, aber für ihren Lieblingsonkel machte sie schon mal eine Ausnahme.

Im Weitergehen überlegte sie einmal mehr, was ohne Emma und Konrad wohl aus ihr geworden wäre. Je älter sie wurde, desto öfter stellte sie sich diese Frage. Sie war fünf gewesen, als ihre Mutter an einer Überdosis gestorben war. Vater unbekannt. Ihre Großeltern hatten sie zu sich genommen, doch dann erkrankte ihre Großmutter an Krebs. Sie hatte wirklich Glück gehabt, dass Emma und Konrad sie bei sich aufgenommen hatten.

Daniel meinte ja, 80 Prozent der Persönlichkeit wären ohnehin durch Vererbung und Erfahrungen der Vorfahren geprägt, nur 20 Prozent würden über Umwelt und Erziehung beeinflusst. Gruseliger Gedanke. War er deswegen in seinem Beruf als Lehrer immer öfter unzufrieden, weil seine Arbeit so wenig bewirken konnte?

 

*

 

Onkel Konrad kam zu früh, wie meistens, seit er allein war. Er sah etwas verknittert aus. Als Emma noch lebte, waren die beiden oft zu spät gekommen, dafür waren sie immer tipptopp angezogen gewesen. Nach Emmas Tod war Onkel Konrad völlig durch den Wind. Erst Monate später hatte er sich ein wenig gefangen und sich wieder um die Fabrik gekümmert. Ohne Emma blieb nur die Möglichkeit des Verkaufs. Doch es war nicht einfach, eine Strickfabrik zu verkaufen, deren kreativer Kopf nun fehlte.

„Wie geht es dir?“, fragte Gloria mitfühlend, während sie ihm das Sherryglas reichte. Die Frage war eher rhetorischer Natur. Sie kannte ihn gut genug, um zu sehen, dass es ihm nicht gut ging.

„Mein Gott, wie soll’s mir schon gehen? Einsam halt.“

„Das tut mir leid. Warum rufst du nicht an, wenn du Langeweile hast?“

„Es ist ja nicht so, dass ich nichts zu tun hätt, aber die Arbeit macht mir halt keine Freud‘ mehr, ohne meine Emma.“ Er räusperte sich. „Apropos, wo ist dein Daniel?“

„Wein holen, er sollte gleich da sein.“

„Geh, Mauserl, hättst was g’sagt, ich hätte doch ein Flascherl mitbringen können, oder auch zwei.“

„Soweit kommt ’s noch“, entgegnete Gloria und fügte grinsend hinzu: „Oder hast du kein Vertrauen in seine Auswahl? Keine Angst, ich habe ihm genau aufgeschrieben, welchen Wein er bringen soll.“ Konrad lächelte milde, das war Antwort genug.

Kurz darauf hörten sie die Wohnungstür ins Schloss fallen. „Ah, da kommt er schon.“ Gloria ging Daniel entgegen, nahm ihm die Weinflaschen ab, drückte ihm einen Kuss auf die Wange und sagte zwinkernd: „Ihr zwei müsst mich jetzt entschuldigen, ich muss in die Küche.“

„Kann ich dir helfen?“, fragte Daniel.

„Nur nicht, ihr macht mich bloß nervös.“ Damit entschwand sie in die Küche. „Vermutlich würde er lieber Kartoffeln schälen, als mit Onkel Konrad Konversation zu machen“, dachte Gloria lächelnd. Konversation zu machen war auch sonst nicht sein Ding, und das Verhältnis zu Onkel Konrad schien schwierig, obwohl sie nicht genau sagen konnte, warum.

In der Küche war alles vorbereitet, wie sie es von Helene, Konrads Haushälterin, gelernt hatte. Emma war nur selten in der Küche anzutreffen gewesen. Wenn Helene krank oder auf Urlaub war, waren sie essen gegangen oder sie hatten sich mit einem Wurstbrot begnügt. Gloria hingegen war gerne bei Helene in der Küche gewesen und hatte so, ganz nebenbei, einiges gelernt. Die Kartoffel waren gekocht, das Kochwasser für den Spargel simmerte vor sich hin. Nur die Sauce Hollandaise kam aus dem Packerl. Ihre Lehrmeisterin wäre entsetzt, sie hatte die Hollandaise immer frisch aufgeschlagen. Nun, Daniel würde den Unterschied nicht schmecken, und wenn Konrad ihn bemerkte, würde er wohlwollend darüber hinwegsehen.

Während des Essens – der Spargel war eine Spur zu weich geworden –, plauderten sie über Belanglosigkeiten, doch als sie es sich hinterher mit einem Glas Wein auf der Couch gemütlich machten, fragte Gloria: „Was macht der Verkauf der Fabrik? Du hast letztens angedeutet, dass es endlich einen Interessenten gibt.“

Konrad nickte bedächtig und sah versonnen in sein Weinglas. „Den gibt es erstaunlicherweise immer noch. Allerdings fürchte ich, ich werde die Villa mitverkaufen müssen.“

„Das kannst du nicht machen!“, entfuhr es Gloria. „Die Villa, das ist doch … das ist ein Stück von dir.“

Konrad lächelte. „Ach, Mauserl, die Villa, die ist ohne Emma und ohne dich auch nicht mehr als irgendein Haus, Mauerwerk, eine Anhäufung von Mörtel und Ziegeln. Für mich allein ist sie ohnehin viel zu groß.“

„Und deine Erinnerungen?“

„Die Erinnerungen?“ Er klopfte an seine Brust. „Die sind hier drin. Dazu brauche ich keine Villa. Außerdem habe ich keine Wahl. Der Interessent nimmt entweder den gesamten Komplex oder gar nichts. Dafür kann ich die Maschinen extra verkaufen.“

„Dann will er das Unternehmen nicht weiterführen?“

Konrad nickte. „Genau genommen ist mein Interessent Bauträger.“

„Sag jetzt nicht, er will alles abreißen!“ Gloria war entsetzt.

„Will er nicht, darf er auch gar nicht, steht ja alles unter Denkmalschutz. Schön für die alten Gebäude, schlecht für den Kaufpreis.“

„Wieso?“

„Nun ja, die Umbaukosten werden durch den Denkmalschutz wesentlicher höher, das mindert den Verkaufspreis. Aus dem Fabriksgebäude sollen Lofts werden, auf dem freien Gelände zwischen Fabrik und Villa sollen Reihenhäuser entstehen und die Villa soll zu drei Wohnungen umgebaut werden, Dachgeschossausbau inklusive.“

„Und wo wirst du wohnen?“

„Ich bekomme eines der Reihenhäuser, sobald es fertig ist. Während der Bauzeit kann ich noch in der Villa bleiben. Klingt doch gut.“

„Also ich weiß nicht, du in einem Reihenhaus?“ Seit Gloria denken konnte, lebte er in der noblen Villa, die zur Fabrik gehörte.

„Es sollen aber sehr schöne Reihenhäuser werden.“ Konrads Lächeln drückte Wehmut aus und strafte seine Worte Lügen.

Gloria spürte, dass es besser war, das Thema zu wechseln. Deshalb sagte sie nur: „Wenn du meinst. Weißt du übrigens, dass Tante Adelheid gestorben ist? Ich habe heute die Todesanzeige bekommen.“

Konrad musste zugeben, seine heutige Post noch nicht durchgesehen zu haben.

„Warum hatten wir eigentlich nie Kontakt zu ihr?“, fragte Gloria. „Ich glaube, ich habe sie nur einmal gesehen, bei Omas Begräbnis. Sie war groß und irgendwie imposant. Ganz anders als Oma.“

„Du weißt doch, Oma hat jeglichen Kontakt zu ihrer Familie abgebrochen. Man hatte ihr verübelt, einen Bürgerlichen geheiratet zu haben. Deine Urgroßeltern waren von Adel und sind auch nach dem Ende der Monarchie kaisertreu geblieben. Vor allem dein Urgroßvater hat wohl Zeit seines Lebens darauf gewartet, dass das Kaiserreich wieder aufersteht. Na ja, für den Fall wollte er eben gerüstet sein.“

„Indem die Töchter standesgemäß verheiratet werden? Wie lächerlich ist das denn?“, empörte sich Gloria.

„Heute erscheint es uns lächerlich. Aber wollen wir nicht auch manchmal an etwas festhalten, das es einfach nicht mehr gibt? Im Übrigen hatte dein Großvater wohl auch seinen Anteil an dem Zerwürfnis. Du weißt ja, wie stur und unduldsam er sein konnte.“

Das wusste sie wohl.

„Und da es keine blaublütigen Bewerber gab, musste eure Tante Adelheid ledig bleiben“, mutmaßte Daniel. „Irgendwie tragisch.“

So tragisch fand Gloria das auch wieder nicht. Wie glücklich war ihre Großmutter geworden – trotz Liebesheirat? Würde Gloria morgen ein Jobangebot bekommen, sei es nun in Paris, London oder New York, sie würde es annehmen. Sollte Daniel nicht mitkommen wollen, würde sie es bedauern, aber dennoch gehen. Doch das behielt sie heute Abend besser für sich.

 

Plötzlich Schlossherrin

„Was will denn ein Notariat aus Gmünd von mir?“, fragte Gloria beim Nachhausekommen und betrachtete das etwas dickere Kuvert, das sie soeben aus dem Postkasten gefischt hatte.

„Vielleicht hast du geerbt“, meinte Daniel lakonisch.

„Von Tante Adelheid? Unsinn, ich kannte sie doch gar nicht. Warum sollte sie mir etwas vererbt haben?“ Doch Glorias Neugierde war geweckt. Sie stürmte in ihre Wohnung im dritten Stock, eilte zum Schreibtisch, und da sich der blöde Brieföffner nicht finden ließ, riss sie das Kuvert einfach auf, was sonst gar nicht ihre Art war. Mit immer größer werdenden Augen las sie, dass Frau Adelheid Waldstetten, verstorben am 17. März 2018, im Folgenden kurz Erblasserin genannt, in ihrer letztwilligen Anordnung Frau Gloria Hübsch, geboren am 28. September 1988, wohnhaft in Baden, Antonsgasse 195/8, zur Erbin bestimmt hätte.

An der Stelle musste Gloria sich erst einmal setzen.

Es folgte eine seitenlange Belehrung über die Rechtsfolgen der Abgabe einer bedingten und unbedingten Erbserklärung, der Hinweis, dass sie auch berechtigt sei, das Erbe auszuschlagen, bla bla bla. Sie reichte das Schreiben wortlos an Daniel und griff zu dem beigelegten Kuvert. In leicht zittriger, aber durchaus lesbarer Schrift stand da geschrieben:

Für Gloria, auszuhändigen frühestens am Tag nach meiner Beerdigung.

Glorias Hände zitterten ebenfalls, als sie das zweiseitig beschriebene Blatt aus dem Kuvert zog.

Meine liebe Gloria,

Du wirst Dich kaum an mich erinnern und auch ich weiß wenig von Dir, außer dass Du die letzte weibliche Überlebende unserer Familie bist, weshalb ich beschlossen habe, Dir Schloss Waldstetten und das Wenige, das ich noch besitze, zu vererben.

Freust Du Dich? Freu Dich nicht zu früh. Du erbst einen alten Kasten, der eine Menge Geld verschlingt. Ob der Besitz Dich glücklich machen wird, weiß ich nicht – es hängt von Dir ab.

Ich bin dort jedenfalls glücklich gewesen – zumindest zeitweise. Beständiges Glück gibt es ohnehin nicht – und wenn, würde es uns langweilen, denn der Mensch kann mit beständigem Glück leider nichts anfangen.

Vor zwei Wochen musste ich mein Haus verlassen, nach dem leichten Schlaganfall war es einfach zu mühsam geworden und auch meine treue Agathe ist längst in die Jahre gekommen. Ich habe nicht vor, darüber zu klagen, immerhin habe ich mein ganzes langes Leben in Schloss Waldstetten verbringen dürfen. Gegen das Altenheim – sie nennen es Seniorenstift –, in das man mich gebracht hat, ist wenig einzuwenden, wenngleich ich nicht vorhabe, hier lange Gast zu sein. In wenigen Tagen werde ich 95 – das reicht ja dann wohl. Jeder weiß, dass man einen alten Baum nicht verpflanzen soll, nur die Liesl, unsere neue Gemeindeärztin, meint, ich könnte noch gut und gerne ein paar Jahre leben. Vielleicht könnte ich das, aber nicht gerne und vermutlich auch nicht gut. Ich habe gelebt und ich habe gut gelebt – diese neue Welt passt ohnehin nicht mehr zu mir.

Das Erbe ist an keinerlei Bedingungen geknüpft. Gib gut acht auf mein Schloss oder sieh zu, dass es jemand bekommt, der es zu schätzen weiß.

Deine Großtante Adelheid von Waldstetten

Groß Gerungs, Februar 2015

PS: Wie Du siehst, habe ich angeordnet, dass Du erst nach meiner Beerdigung verständigt wirst, um zu vermeiden, dass Du aus falsch verstandener Dankbarkeit aus meinem Begräbnis ein riesiges Spektakel machst. Für alles Notwendige ist gesorgt.

PPS: Ach ja, dass Du Kunstgeschichte studiert hast, hat der Privatdetektiv auch herausgefunden. Könnte hilfreich sein.

Das war ja ein Ding. Tante Adelheid hatte offenbar nur wenig dem Zufall überlassen. Februar 2015, das war etwas mehr als drei Jahre her. Möglicherweise hatte sie sich doch noch an das Seniorenstift gewöhnt. Gloria ließ den Brief sinken und murmelte: „Ich fasse es nicht. Tante Adelheid hat mir Schloss Waldstetten vererbt.“

„Wo liegt denn Waldstetten?“, wollte Daniel wissen.

„Irgendwo im Waldviertel“, murmelte Gloria, ehe sie fast verzweifelt hinzusetzte: „Was mach ich denn jetzt?“

„Ich schlage vor, wir trinken fürs Erste ein Gläschen Sekt zur Beruhigung. Dann machst du dich mit dem Gedanken vertraut und heute Abend lade ich die frisch gebackene Schlossherrin zum Essen ein. Einverstanden?“

„So machen wir das“, entgegnete Gloria automatisch, sie fühlte sich wie betäubt. Dabei sollte sie sich doppelt freuen. Sie hatte ein Schloss geerbt und Daniel dachte an Sekt und Abendessen. Das war sonst gar nicht seine Welt, er trank lieber Bier, meinte, das prickelt auch. Hoffentlich führte er sie nicht in dieses neue Bierlokal, dort gefiel es ihr gar nicht. Aber er hatte sie eingeladen, das war in jedem Fall anzuerkennen, also fügte sie rasch hinzu: „Danke, Schatz, das ist echt lieb von dir, aber jetzt muss ich unbedingt Onkel Konrad anrufen!“

Während sie, immer noch zittrig, ihre Handtasche nach dem Handy durchsuchte, hörte sie ihn murmeln: „Onkel Konrad, aber natürlich“, dann machte er sich auf den Weg, um Sekt und Gläser zu holen.

 

*

 

Onkel Konrad war es dann auch, der Gloria ins Waldviertel begleitete, um ihr Erbe in Augenschein zu nehmen und die notwendigen Formalitäten zu erledigen. Daniel war mit seiner Klasse auf einer Projektwoche in der Steiermark.

Trotz Navi war es nicht ganz einfach gewesen, Schloss Waldstetten zu finden. Es lag ziemlich versteckt etwas oberhalb des Dorfes Waldstetten. Vorsichtig lenkte Konrad seinen großen Mercedes durch den Torbogen und über eine verwurzelte Allee auf das Schloss zu. Es war ein prachtvoller Frühlingstag, doch just als sie auf das Schloss zufuhren, verdunkelte sich der Himmel, und als sie aussteigen wollten, begann es zu schütten.

„Wenn das nur kein schlechtes Omen ist“, meinte Gloria.

Konrad warf ihr einen spöttischen Blick zu. „Das meinst aber jetzt nicht ernst.“

„Doch!“

Der Spuk dauerte keine zehn Minuten, dann hörte der Regen ebenso plötzlich auf, wie er begonnen hatte, und die Sonne lugte zwischen den Wolken hervor. „Siehst, Mauserl, so schnell kann’s gehen“, sagte Konrad und öffnete die Autotür.

„Was für eine herrlich frische Luft!“, schwärmte Gloria nun, hielt ihr Gesicht in die Sonne, breitete die Arme aus und atmete tief ein und aus. Onkel Konrad versuchte in der Zwischenzeit, mit einem der großen, verrosteten Schlüsseln, die der Notar ihnen überlassen hatte, das Eingangstor aufzuschließen, was nicht ganz einfach zu sein schien, denn sie hörte ihn leise fluchen. Nun, er würde wissen, was zu tun war, das wusste er doch immer. Als Maschinenbauingenieur und Technischer Direktor der Fabrik, die Emma von ihren Eltern übernommen hatte, hatte er oft genug selbst Hand angelegt.

Während Gloria sich umsah und erste Fotos schoss, um sie an Daniel und einige Freunde zu senden, holte Konrad seinen Werkzeugkasten und eine Spraydose aus dem Kofferraum. Schon wenig später hörte sie ihn rufen: „Mylady, Ihr Schloss!“

Gloria nickte huldvoll und näselte: „Wo wollen wir unseren Rundgang beginnen?“

Konrad deutete zum Ostflügel: „Hier sieht’s noch am manierlichsten aus. Das muss der Trakt sein, in dem Tante Adelheid und ihre Haushälterin gelebt haben.“

Im Schloss war es kühl, fast kalt. Gloria fröstelte, und das lag vermutlich nicht nur an der Temperatur. Nahezu ehrfürchtig stieg sie die ausgetretene Treppe hinauf. An der ersten der großen Flügeltüren passte einer der Schlüssel. Schon standen sie in einem Vorraum. Die Rollos waren heruntergelassen, es roch muffig. Onkel Konrad öffnete ein Fenster und hielt seine Hand an das darunterliegende Mauerwerk.

„Trocken.“

„Das ist doch gut!“

Er nickte. „Hier gibt es sogar Heizkörper. Sieht aus, als wäre die Wohnung zentral beheizt worden.“

Gloria war bereits weitergegangen. „Schau nur, die Küche ist komplett eingerichtet, und der Essplatz sieht doch recht gemütlich aus.“

Im Wohnzimmer waren die Möbel mit Überzügen versehen worden. Gloria löste einen der Überzüge, darunter kam ein alter, aber durchaus ordentlicher gepolsterter Sessel zum Vorschein. „Ein Fauteuil! Der ist so retro, dass er fast schon wieder schön ist.“

 

*

 

„Sogar eine eigene Schlosskapelle gibt es!“, rief Gloria am Ende ihres Rundgangs begeistert.

„Mit Moos an den Wänden“, setzte Onkel Konrad hinzu. „Also, nach allem, was ich bisher gesehen habe, halte ich dieses Schloss für ein Fass ohne Boden. Dabei haben wir noch gar nicht alles besichtigt, weil nicht für alle Türen Schlüssel vorhanden sind.“

„Aber Tante Adelheids Wohnung und die ihrer Haushälterin sind doch ganz in Ordnung.“

„Sie sehen ganz ordentlich aus, das stimmt, aber wir wissen noch nicht, ob die Heizung funktioniert. Der Zustand der Leitungen wäre auch zu überprüfen. Ich glaube, das Beste wäre, wenn wir gleich anschließend zu diesem Immobilienmakler fahren, den der Notar uns genannt hat.“ Er fischte eine Visitenkarte aus seiner Jacke. „Max Drescher, Immobilienmakler.“

„Auf keinen Fall! Wir müssen uns doch erst in Ruhe alles ansehen. Vielleicht gibt es ja einen geheimen Schatz.“

„Bestimmt“, meinte Konrad und steckte die Visitenkarte wieder ein. Es klang allerdings eher nach „Träum weiter“.

„Wir haben doch keine Eile“, schmeichelte Gloria und hakte sich bei ihm unter. „Wir könnten zumindest den Sommer hier verbringen. Daniel hat zwei Monate Ferien und wir haben ohnehin kein Geld für eine Urlaubsreise. Als Geschichtslehrer müsste es ihm doch Spaß machen, in diesen alten Mauern auf Schatzsuche zu gehen. Vielleicht findet sich auch noch das eine oder andere Stück, das aus kunstgeschichtlicher Sicht interessant ist. Wir waren ja noch nicht in allen Räumen und schon gar nicht auf dem Dachboden.“

„Aus gutem Grund“, warf Konrad ein.

Gloria lachte. Der Aufgang zum Dachboden war ihnen von dichten Spinnennetzen verwehrt worden. „Beim nächsten Mal nehmen wir einen Staubwedel mit, um die Spinnweben zu beseitigen.“

„Ich fürchte, da wirst du mit einem Staubwedel nicht viel ausrichten, da brauchst schon einen ordentlichen Besen.“

Das hielt Gloria jedoch nicht davon ab, weitere Pläne zu schmieden. „Wir könnten Freunde einladen, sich an der Schatzsuche zu beteiligen. Ich glaube, das wird ein richtig spannender Sommer!“

Konrad schien das zu bezweifeln, sagte aber: „Wenn du wirklich hier wohnen willst, und sei es nur für ein paar Wochen, sollten wir schleunigst den Strom anmelden, um zu sehen, ob zumindest die notwendigsten Geräte funktionieren.“

„So machen wir das! Das geht doch sicher per Internet?“

Konrad nickte. In der Zwischenzeit waren sie wieder in Adelheids Wohnung gelandet. Sie bestand aus einer großen Wohnküche, einem nicht minder großen Wohnzimmer und einem Schlafzimmer, von dem aus man ins Bad kam.

„Nicht gerade ein idealer Grundriss“, meinte Konrad und fuhr mit dem Finger über eine staubige Kommode. „Wer wird hier putzen? Du?“

„Mein Gott, das bisschen Staub.“

„Du, da reicht es nicht, einmal mit dem Staubwedel drüber zu fummeln.“

„Du scheinst von meinen hausfraulichen Qualitäten nicht besonders überzeugt zu sein“, antwortete Gloria mit gespielter Entrüstung, dann setzte sie lachend hinzu: „Ich übrigens auch nicht, aber da findet sich sicher jemand aus dem Dorf. Apropos putzen. Warum willst du Helene eigentlich jetzt schon kündigen, wenn du frühestens in zwei Jahren in das Reihenhaus ziehen kannst?“

„Sie wird weiterhin für mich sorgen, ein paar Stunden die Woche.“

„Aber dann brauchst du sie doch nicht zu kündigen.“

Konrad seufzte. „Das erzähl ich dir beim Abendessen. Komm jetzt, ich freu mich schon auf ein kühles Bier.“

Er hatte zwei Zimmer im Goldenen Stern in Gmünd gebucht. Dem Gasthof in Waldstetten misstraute er offenbar.

 

 

 

Ein aufschlussreicher Ausflug

 

Falls Konrad darauf gehofft hatte, dass Gloria das Thema Helene fallen lassen würde, wurde er enttäuscht. Kaum standen die Getränke auf dem Tisch, fragte sie: „Wie ist das jetzt mit dir und Helene. Warum willst du sie unbedingt kündigen? Sie kocht doch ganz hervorragend.“

Das Thema behagte ihm ganz und gar nicht, aber er wusste, dass er Gloria endlich reinen Wein einschenken musste. Also nahm er noch einen Schluck Bier und sagte: „Es stimmt schon, Helenes Kochkünste werden mir fehlen, aber die Wahrheit ist, ich kann es mir zukünftig nicht mehr leisten, eine Hausangestellte zu bezahlen. Ein paar Stunden die Woche, das schon, aber nicht im bisherigen Umfang. Mit allen Lohnnebenkosten kostet Helene mich …“

„Aber das hat dich doch bisher nicht gestört“, unterbrach Gloria.

Er nickte. „Die Schließung der Fabrik hat mehr Geld verschlungen als erwartet und der Verkauf hat weniger erbracht als erhofft. Ich will dich nicht mit Details langweilen, aber … wie soll ich sagen … das Einzige, was mir bleiben wird, sind das Reihenhaus, meine Pension und die paar Mieteinnahmen aus dem Haus in der Antonsgasse, die nach den notwendigen Reparaturen und Steuern übrigbleiben. Für mich reicht das allemal, ich kann halt keine so großen Sprünge mehr machen.“

„Aber warum hast du denn nichts gesagt? Dann zahlen wir dir ab sofort Miete für unsere Wohnung.“

Konrad winkte ab. „Ich nehme doch von euch keine Miete, außerdem verdienst du doch selbst kaum etwas und Daniels Lehrergehalt ist ja auch nicht gerade üppig.“

„Wir könnten doch zumindest …“

„Ich will nichts mehr davon hören!“, schnitt er ihr das Wort ab und setzte in versöhnlichem Ton hinzu: „Ich hab doch gesagt, für mich reicht es. Und jetzt freue ich mich auf einen ofenfrischen Schweinsbraten mit Waldviertler Knödeln.“

„Die Forellen sollen hier aber auch sehr gut sein.“

Konrad lächelte. „Sicher, Mauserl, bestimmt bekommst du auch ganz köstlichen Salat dazu. Ich bleib beim Schweinsbraten.“

 

*

 

„Der Schweinsbraten war wirklich köstlich, aber vermutlich hätte ich doch auf Gloria hören und die Mohntorte auslassen sollen“, dachte Konrad, während er sich unruhig im Bett hin- und herwälzte. Die Matratze war für seine Wirbelsäule auch nicht ideal. Sollte Gloria ihren Plan wahrmachen – sie hatte beim Abendessen ja kaum von etwas anderem gesprochen – und er im Sommer wirklich ein paar Tage ins Schloss kommen, musste er sich eine Schaumauflage mitnehmen. Er setzte sich im Bett auf, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und überlegte, was sonst noch zu tun sei, wenn Gloria wirklich den Sommer hier verbringen wollte.

Da war das Mauserl also über Nacht zur Schlossherrin geworden. Wollte das Schicksal etwas an ihr gutmachen? Ihr Start ins Leben war ja alles andere als optimal gewesen. Emma und er hatten sich Mühe gegeben, manches auszugleichen, aber ungeschehen konnte man so etwas nicht machen. Es wäre also kein Wunder, wenn Gloria das so unverhofft Gewonnene ein wenig festhalten wollte.

Er erinnerte sich immer noch an das stille kleine Ding, das sie gewesen war, als sie zu ihnen in die Villa kam. Dabei hatten Emma und er vom Umgang mit Kindern nicht die geringste Ahnung gehabt. Vermutlich hatten sie es mit dem Behüten dann auch etwas übertrieben. Sogar heute ertappte er sich noch dabei, sie vor der Welt beschützen zu wollen. Das war natürlich Blödsinn. Das Kind war volljährig und konnte, wenn es sich etwas in seinen hübschen Kopf gesetzt hatte, stur sein wie ein Esel. Außerdem hatte Gloria, wenn auch aktuell keinen passenden Job, so doch eine gediegene Ausbildung. Erst die Textilfachschule, dann das Kunststudium mit mehreren Auslandsaufenthalten. Hatte sie alles bravourös gemeistert, trotzdem verließ sie sich immer noch gerne auf ihn. Zugegeben, das schmeichelte ihm, aber eines Tages musste sie alleine im Leben bestehen. Wenn sie Glück hatte, fand sie den richtigen Partner, mit dem sie so harmonisch durchs Leben gehen konnte wie er mit seiner Emma. So früh sterben hätt sie halt nicht dürfen.

Ob Daniel der Richtige war? Konrad wusste es nicht und manchmal hatte er den Eindruck, Gloria wusste es selbst nicht. Dann betete er zu Gott, dass sie nicht allzu sehr nach Silvia, ihrer Mutter, kommen würde und den Stürmen des Lebens besser gewachsen war.

Seine Schwester Silvia war eine intelligente Person und eine feinsinnige Künstlerin gewesen, aber ohne jede Bodenhaftung. Niemand in der Familie war wie sie, niemand hatte sie je wirklich verstanden. Es war, als wäre sie in die falsche Familie geboren worden. Mit sechzehn war sie zum ersten Mal mit Drogen in Berührung gekommen, mit dreißig an einer Überdosis gestorben, da war Gloria gerade fünf geworden. Dazwischen lagen furchtbare Jahre. Lange Zeit hatten sie nicht einmal ihren Aufenthaltsort gekannt. Die Privatdetektive hatten seinen Eltern eine Stange Geld gekostet. Als sie endlich gefunden worden war, hatten seine Eltern mit allen Mitteln um sie gekämpft. Aber vielleicht waren “alle Mittel“ einfach nicht die richtigen gewesen.

Silvias Tod hatte alle erschüttert und die Eltern müde, abgekämpft und verbittert zurückgelassen. Doch da war Gloria, um die sie sich kümmern mussten. Das alles war für seine Mutter wohl zu viel gewesen. Ein Jahr später wurde Brustkrebs diagnostiziert. Die Ärzte waren voller Optimismus, doch die Behandlung wäre anstrengend und sie müsse sich schonen, hieß es. Also war Gloria vorübergehend zu Konrad und Emma gekommen – und geblieben. Sie wollte um keinen Preis zurück, auch später nicht, als es seiner Mutter wieder besser gegangen war.

 

*

 

„Hast du gut geschlafen?“, fragte Gloria beim Frühstück.

„Nicht besonders. Die Matratze war zu hart und das Abendessen ist mir auch im Magen gelegen.“

„Sag ich nicht immer, du ernährst dich ungesund? Immer das viele Fleisch. Ich habe eine Forelle gegessen, nachher nur ein Kugerl Eis, und habe ganz hervorragend geschlafen.“

„Na, wie schön für dich“, antwortete Konrad. Sie hatte ja recht, zumindest ein bisschen, aber auf dieses Thema hatte er so gar keine Lust. Er nahm einen Schluck Tee und fragte: „Was steht heute auf dem Programm?“

„Ich habe mir gedacht, wir fahren erst auf den Friedhof und dann auf das Gemeindeamt, um nach Plänen zu suchen.“

„Wozu brauchst du Pläne? Soviel ich weiß, sind Geheimtreppen in Bauplänen ebenso selten eingezeichnet wie das Versteck der Schlossgespenster.“

„Vermutlich hast du recht“, entgegnete Gloria ungerührt und schenkte sich Tee nach, „trotzdem könnten Pläne nicht schaden.“

Schaden konnten sie allerdings wirklich nicht, also fuhren sie Richtung Waldstetten, zündeten an der Familiengruft derer von Waldstetten eine Kerze an, dann machten sie sich auf den Weg zum Gemeindeamt. Konrad parkte vor dem Dorfbrunnen. Während sie die paar Schritte zum Gemeindeamt gingen, sagte er: „Erinnerst du dich noch? Wir waren mit Oma und Opa einmal hier.“

„Erinnern wäre zu viel gesagt, aber jetzt, wo du es sagst, habe ich das Gefühl, ich war schon mal da. Wann war das?“

„Als Oma sich nach der ersten Krebsoperation einigermaßen erholt hatte, wollte sie einen Ausflug hierher machen. Wir haben sogar bei diesem Dorfwirt übernachtet. Es war schrecklich gewesen.“

„Waren wir auch im Schloss?“

„Nein, dahin wollte sie keinesfalls, obwohl ihre Eltern damals nicht mehr lebten und sie mit Adelheid zumindest einen bescheidenen Briefkontakt unterhielt. Vater wollte es wohl auch nicht.“

„Lass uns ein paar Schritte gehen“, bat Gloria. „Vielleicht erinnere ich mich doch noch an etwas.“

Sie schlenderten vorbei an der Kirche und dem ehemaligen Postamt, von dem nur noch der Postkasten geblieben war. Plötzlich blieb Gloria vor dem Gastgarten des Dorfwirts stehen. „Hier haben wir gegessen, richtig? Und Opa hat wieder einmal furchtbar mit mir geschimpft.“

Konrad lächelte. „Du wolltest deine Suppe nicht essen, obwohl du sie selbst bestellt hattest.“

„Vielleicht hat sie nicht gut geschmeckt?“

„Du hattest sie erst gar nicht probiert“, antwortete er lächelnd.

„Warum wollte ich sie dann nicht essen?“

Er zog sie kurz an sich. „Tja, Mauserl, wenn wir das gewusst hätten, das und manch anderes, hätten wir uns alle leichter getan.“

„Ich muss ja ein furchtbares Kind gewesen sein“, antwortete Gloria mit einem Zwinkern. Sie setzten ihren Weg fort.

Das Gemeindehaus wirkte von außen durchaus stattlich mit seiner bemalten Fassade, nur die moderne Kunststofftür in strahlendem Weiß passte nicht recht ins Bild.

Innen fühlte sich Konrad schlagartig in die Sechzigerjahre zurückversetzt. Die grau gestrichenen Türen hätten einen neuen Anstrich ebenso gut gebrauchen können wie die Wände, und diese grauen Relief-Plastiktafeln mit den aufgesteckten Buchstaben, die sich bei jeder Tür befanden und angaben, wer bzw. welche Abteilung hier zu finden wäre, erinnerten Konrad an seine Schulzeit.

Sie fanden eine Tür mit der Aufschrift „Bauamt“ und klopften. Als niemand öffnete, versuchten sie es bei „Sekretariat“, doch auch dieses war verschlossen, also klopften sie forsch an der Tür mit dem Hinweis: „Ing. Ludwig Paffler – Bürgermeister“

Hier rief eine weibliche Stimme: „Herein!“

Anders als das bisher Gesehene entsprach das Büro des Bürgermeisters durchaus den Vorstellungen eines modernen Arbeitsplatzes. Vom Bürgermeister war allerdings weit und breit nichts zu sehen. Dafür sah ihnen eine ziemlich rundliche Dame fragend entgegen.

„Einen schönen guten Morgen“, flötete Gloria. „Mein Name ist Hübsch, ich bin die neue Besitzerin von Schloss Waldstetten und würde gerne in die Pläne Einsicht nehmen.“

Die Dame schleppte sich zur nächsten Tür und plärrte: „Wickerl, kennst du di mit de Pläne vom Schloss aus?“

Unverständliches Gemurmel. Die Dame kam zurück: „Grundbuchauszug?“

Gloria verneinte.

„Hot’s kan“, plärrte die Gute durch die Tür. Sie hörten Gemurmel, ehe die Rundliche sagte: „Er kummt glei!“

Eine Weile blieb es still, dann hörten sie herannahende Schritte. Ein Mann mittleren Alters, groß, stämmig, mit Vollbart und dichtem schwarz-grau meliertem Haar erschien.

„Paffler. Sie wünschen?“

„Ich hätte gerne in die Pläne von Schloss Waldstetten Einsicht genommen“, erwiderte Gloria.

„Sie sind noch nicht im Grundbuch?“

„Nein, aber ich bin die Großnichte von Adelheid von Waldstetten, mein Name ist allerdings Hübsch, Dr. Gloria Hübsch.“

Der Anflug eines Lächelns huschte über das Gesicht des Bürgermeisters.

„Bemühen Sie sich nicht, alle dummen Witze zu diesem Namen habe ich schon gehört“, schnitt Gloria ihm schroff das noch gar nicht ausgesprochene Wort ab. Konrad musste unwillkürlich schmunzeln. Sie wollte offenbar Eindruck machen, denn es war ausgesprochen ungewöhnlich, dass sie dermaßen unfreundlich war und auch noch ihren Titel benutzte. Den Bürgermeister schien sie damit allerdings nicht zu beeindrucken.

„Haben Sie wenigstens eine Einantwortungsurkunde?“

Gloria warf Konrad einen fragenden Blick zu: „Habe ich schon eine Einantwortungsurkunde?“

„Wohl kaum, du hast das Erbe ja erst gestern formal angenommen.“

„Dann brauchen Sie eine Vollmacht“, belehrte der Bürgermeister.

„Von wem?“

„Vom Berechtigten.“

Konrad fand, diese Antwort war schon mehr geseufzt als gesprochen und sah das Funkeln in Glorias Augen. Rasch warf er ein: „Nicht so schlimm, wir besorgen uns die Vollmacht und kommen wieder.“

Gloria schien davon wenig zu halten und wechselte die Taktik. Sie lächelte den armen Mann an und flötete: „Das wird uns der liebe Herr Bürgermeister sicher nicht antun, zumal wir extra aus Baden bei Wien gekommen sind.“

Wenn Gloria sich einmal in etwas verbissen hatte, ließ sie sich von rationalen Argumenten kaum beeindrucken, wie Konrad wusste. Von Formalitäten hielt sie ohnehin wenig. Da ihm die Situation etwas unangenehm war, wandte Konrad sich der Tür zu und studierte aufmerksam die dort angebrachte Mitteilung. Die war gar nicht uninteressant. Das Gemeindegebiet Waldstetten gehörte der Europäischen Modellregion Mitte in Sachen Bedingungsloses Grundeinkommen an. Schau, schau, eine Modellregion gab es auch schon. Er hatte gar nicht gewusst, dass diese Schnapsidee bereits solche Blüten trieb. Seit Emmas Tod hatte ihn kaum etwas interessiert, schon gar nicht die Streitereien innerhalb der Europäischen Union. Es war Zeit, dass er sich wieder besser informierte.

Gloria hatte in der Zwischenzeit weiter auf den Bürgermeister eingeredet. Schien nicht zu wirken. Alles, was Paffler sagte, war: „Schicken Sie mir die Vollmacht, dann schicke ich Ihnen die Pläne.“

Gloria schien am Ende ihres Lateins, doch der Bürgermeister setzte noch eins drauf. Er wies mit dem Kopf in Richtung Tür und sagte mit hohntriefender Stimme: „Sollten Sie sich für das bedingungslose Grundeinkommen interessieren, müssen Sie sich beeilen. Wer bis 1. September einen ordentlichen Wohnsitz im Gemeindegebiet hat, ist dabei. Wohnraum ist allerdings knapp.“ Dann nickte er ihnen zu und ging.

 

*

 

„So ein ungehobelter Kerl. Eine Frechheit!“, empörte sich Gloria immer noch, als sie längst Richtung Baden unterwegs waren. „Sehen wir etwa aus, als hätten wir so etwas notwendig? Bedingungsloses Grundeinkommen, pah! Immerhin bin ich jetzt Schlossherrin.“

„Das eine schließt das andere ja nicht aus“, meinte Onkel Konrad grinsend. Dann setzte er in ernstem Ton hinzu: „Ich hoffe inständig, du überschätzt dein Erbe nicht. Hast ja gehört, was der Notar gesagt hat. Grundflächen wie Äcker und Wälder, mit denen möglicherweise Einnahmen zu erzielen wären, sind nicht mehr vorhanden, und die Erhaltung des Gebäudes ist teuer. Deshalb ist auch die Kundschaft für derartige Objekte knapp. Wenn das Schloss nicht so abseits liegen würde, wär’s natürlich etwas anderes.“

Von derart vernünftigen Überlegungen ließ Gloria sich allerdings nicht die Laune verderben. Das war nicht ihre Art. Sie sagte nur: „Sobald Daniel von seiner Projektwoche zurückkommt, muss die Sache endlich gebührend gefeiert werden!“

Konrad teilte ihre Euphorie zwar nicht, da er ihr aber selten etwas abschlagen konnte und die letzten Tage mit ihr sehr genossen hatte, meinte er: „Was hältst du davon, wenn Helene uns ein letztes Festmahl kocht? Wir könnten deinen alten Freund Karlheinz dazu einladen, ich habe ihn ohnehin lange nicht gesehen, und natürlich seinen Freund Sven.“

„Sven können wir uns sparen. Der ist endgültig zurück auf Rügen“, antwortete Gloria und beobachtete die vorüberziehende Landschaft.

„Das wusste ich gar nicht. Armer Karlheinz.“

Gloria nickte. Es stimmte, für Karlheinz war es sicher schlimm. Sie selbst konnte über Svens Abgang nicht so richtig traurig sein. Sie hatte das trockene Nordlicht ohnehin nie besonders gemocht. Er hatte sich ihr gegenüber aber auch unmöglich benommen. „Wir werden Julia dazu einladen. Dafür, dass sie meine beste Freundin ist, sehen wir uns viel zu selten. Vor allem, seit sie mit diesem James eine Fernbeziehung hat. ‚Fernbeziehung‘ – so ein Unsinn.“

Konrad grinste. „Du gibst wohl nie auf.“ Er wusste, dass Gloria schon einmal versucht hatte, Julia und Karlheinz zu verkuppeln, allerdings ohne Erfolg.

„Zwei einsame Herzen, wer weiß.“

„Aber Julia liebt James und Karlheinz ist nun mal schwul. Da kannst‘ nichts machen.“

„Weiß ich doch, aber Karlheinz ist einer meiner besten und ältesten Freunde. Da wird man sich doch Gedanken machen dürfen.“

„Ich mag ihn ja auch, das weißt du, aber er ist halt, wie er ist.“

„Hast ja recht. Schade übrigens, dass seine Eltern das nicht ebenso gelassen sehen. Seit er mit Sven zusammen war, haben sie ihm jegliche Unterstützung entzogen. Deswegen wird er auch mit seiner Doktorarbeit nicht fertig.“

„Sie werden sich schon noch an den Gedanken gewöhnen“, meinte Konrad.

Eine Weile hing jeder seinen Gedanken nach, dann sagte Gloria kichernd: „Gib’s zu, du hättest Karlheinz gern zum Schwiegersohn gehabt.

---ENDE DER LESEPROBE---