Das Brandsiegel - Peter Berling - E-Book

Das Brandsiegel E-Book

Peter Berling

0,0
3,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Roç wird halbtot an der Küste von Syrien angespült, während Yeza über Umwege Jerusalem erreicht. Dank der Hilfe von Freunden wird Roç gesund gepflegt, auch er gelangt nach Jerusalem, endlich sind ›Die Kinder des Gral‹ wieder vereint. Sie schlagen ihr Lager in der Al-Aqsa-Moschee, dem ehemaligen Hauptquartier der Templer, auf, doch vor den Toren der Stadt und in Jerusalem selbst sind alle gegen sie: Christen, Juden und Muslime. Nur die herannahenden Truppen des Großkhans, die bereits Aleppo erreicht haben, scheinen die Gralskinder retten zu können. Während sich die Feinde von Roç und Yeza zum Kampf rüsten, steigen die Königskinder in die Tiefen des Tempelbergs hinab, wo sie auf die Quelle des Grals stoßen. Vor den Augen ihres alten Freundes William von Roebruk versinken sie im dunklen Wasser – in Jerusalem selbst wüten Christen, Juden und Muslime in einem mörderischen Hass gegeneinander. Dann birst die Tempelmauer, Roç und Yeza gelangen durch die Bresche ins Freie. Vor den Toren der Stadt zieht ein Sturm auf und die ›Königlichen Kinder‹, die durch ihr Bad im Gral wie neugeboren scheinen, schreiten unbeirrt in das Wüten der Natur hinein … Ein spannender historischer Roman von Peter Berling, der gleichzeitig das große Epos ›Die Kinder des Gral‹ aus der Zeit der Kreuzzüge als Teil XV fortführt.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 401

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



PETER BERLING

Das Brandsiegel

Folge XV des 17-bändigen Kreuzzug-Epos Die Kinder des Gral

Historischer Roman

WAS DAVOR GESCHAH IN FOLGE XIV

Die Spur des Kelches

Getrennte Wege gehen die ›Kinder des Gral‹. Yeza erreicht Rom, der Papst bestärkt sie in ihrem Wunsch, nach Bologna zu gelangen, zum gefangenen König Enzio, dem anderen Bastardsohn Friedrich II.

Roç, auf Fahrt zu den griechischen Inseln zur Befreiung von Manfreds Braut Helena, gerät bereits vor Linosa in die mit allen Tricks ausgetragene Auseinandersetzung zwischen dem Freibeuter, der Yeza inbrünstig liebt, und den Templern, die beide Kinder hassen. Vor Otranto müssen Roç und sein Nebenbuhler Schulter an Schulter die infame Attacke von Gegnern der Staufersippe abwehren. Zwischen sie platzt die Nachricht: Yeza in höchster Gefahr! Verrat! Bologna und Enzio waren eine Falle, um beide, Yeza und den Kaisersohn, zu vernichten! Der verliebte Freibeuter rettet sie.

Roç dringt tiefer nach Byzanz vor, stößt zwar auf Elena, aber zunehmend auf nicht für möglich gehaltene Tücken und aberwitzige Grausamkeiten der Griechen. Er fällt in die Hände des machtbesessenen ›Despotikos‹, eines rachsüchtigen Bastards der Kaiserlichen Familie.

Yeza entlässt ihren kühnen Seefahrer vor der Küste des Heiligen Landes. Ihr Ziel ist und bleibt Jerusalem.

Roç musste inzwischen den Schwarzen Kelch bis zur bitteren Neige leeren: Er wird derart zusammengeschlagen, dass er schon sein Ende fühlt, er weiß nicht mehr, wo er ist, ob er überhaupt noch lebt …?

I EIN SCHWARZER STEIN

Der Fant, der Streitwagen, die Pharaonin

Der schwarze Stein! Da lag er, tief unter ihr im Sand. Sonnenkringel glitten über den hellen Grund hinweg, und das Wasser war so klar, dass Yeza meinte, nach ihnen greifen zu können. Doch wusste sie genau, wie trügerisch das Bild sie narrte. So tief konnte sie nicht tauchen, ihr Kopf würde platzen, die Luft ihr ausgehen. Als schöne Leiche würde sie niedersinken, sich zu ihm legen, Fischlein würden an ihr schnuppern und ihr im Sand wehendes Haar bewundern. Yeza riss sich los und tauchte langsam zur Oberfläche empor, wie es Hamo ihr gezeigt hatte. Der wäre vielleicht bis in solche Tiefen vorgestoßen, aber sollte sie ihn in das Geheimnis einweihen? Sie hatte den Stein gesehen, und das sicher nicht zum letzten Mal. Der Stein harrte des Kelches, so lange würde er ihr folgen. Er offenbarte sich dem Königlichen Paar, nicht Yeza allein. So war auch Roç seiner gewärtig geworden. Ihr Trencavel würde sich wieder mit ihr vereinen, dessen war sie sich jetzt gewiss. Yeza durchbrach die sonnenspiegelnden Wellen und atmete prustend die Luft des Himmels, ein ungeheures Glücksgefühl durchströmte sie, Dankbarkeit, zu den Lebenden zu gehören. Dort unten lagerten die grandiosen Überreste einer Totenwelt, Prachtbauten, in denen einst das gesamte Wissen der Menschheit gehortet wurde und doch verbrannte, versank. Paläste, aus denen Riesenreiche beherrscht wurden, in Prunk und unbeschreiblichem Luxus – zerborsten, zerfallen, vergangen. Granitsäulen, dick wie Türme, Kolossalstatuen von Königinnen, Tiergottheiten und Fabelwesen wie Sphingen zeugten von versunkenen Tempeln und ihren Schätzen. Basaltgepflasterte Alleen führten zu ihnen, durch Triumphbögen und über mehrstöckige Brücken, die Inseln und Häfen verbanden. Doch was war geblieben? Ein Haufen Steine im Meer! Aber sie hatte ›ihren‹ Stein gesehen und wusste nun, dass sie auf dem richtigen Weg war. Der schwarze Stein wies nach Jerusalem! Yeza beschloss, für heute nicht weiter in die Tiefe vorzudringen, es gab Herausforderungen, die sich verlockend gaben und den hart straften, der ihnen erlag. Außerdem würde sie den schwarzen Stein nicht wiederfinden, das spürte sie. Er hatte sich ihr gezeigt, und sie spürte die Gefahr, den Sog, den er entfaltete. Yeza schwamm zurück zum Ufer, wo Hamo sie schon ungeduldig erwartete.

»Eines Tages wird Kleopatra dich bei sich in der Tiefe behalten«, scherzte er besorgt, doch Yeza konnte ihn beruhigen.

»Keine Angst, mein Cäsar erwartet mich in Jerusalem!«

»Lasst Euch Zeit mit dem Aufbruch. Mein Koch hat heute einen Hammel am Spieß!« schwärmte der Hausherr. »Fisch hängt mir zum Halse heraus! Wenn wir zu spät kommen, sind die Beilagen verkocht!« Er reichte Yeza ihr Gewand, in das sie schnell schlüpfte, denn es wurde jetzt rasch immer kühler, je tiefer die Sonne als Feuerball im Meer versank. Der Levante frischte auf und blies ihr, das Wasser kräuselnd, Schaumkronen hinterdrein.

Das Haus des Baibars war ein Palast, wenigstens von außen. In seinem geräumigen Innern herrschte die karge Schlichtheit des Soldaten und Jägers. Trophäen, Geweihe aller Art, waren der einzige Schmuck der Räume, und es mangelte nicht an Löwenfellen. Das Gastmahl fand im mit Zeltplanen überdachten Atrium statt. Yeza machte sich nichts aus Hammel, doch sie musste ihm zusprechen, denn gleich bei ihrer Ankunft nahm die uralte Mutter des Bogenschützen sie energisch bei der Hand und führte sie zu der offenen Feuerstelle, wo sich das Tier fetttropfend drehte. Sie säbelte Yeza eigenhändig das beste Schulterstück ab und reichte es ihr an des Riesenmessers Spitze.

»Damit du zu Kräften kommst, mein Kind«, sprach das verhutzelte Weiblein fürsorglich, aber mit Strenge. »Du bist viel zu mager, um einen guten Mann zu finden, und vor dir liegt eine anstrengende Reise durch die Wüste.« Dabei wies sie auf einen Gast, dessen gebeugtes Gesicht vollständig von der Kapuze seines Burnus verdeckt war. Erst jetzt warf er seinen Kopf zurück, und Yeza erkannte den Roten Falken. »Mein Sohn hat ihn geschickt: Ihr müsst morgen schon aufbrechen!« fügte sie bedauernd hinzu. »Ich hätte dich gern noch länger verwöhnt und dich zur Zierde eines jeden Harem gepäppelt, mein armes Täubchen!« Sie tätschelte liebevoll Yezas Arm.

Yeza stopfte den Fleischstreifen in sich hinein, bedankte sich, wehrte eine zweite Scheibe ab und löste sich von der guten Alten.

»Ihr seid wie eine sorgende Mutter«, murmelte sie und dachte, wie wohl eine so zierliche Frau einen solchen Brocken wie den Bogenschützen zur Welt gebracht haben mochte. Der Rote Falke hatte Yezas Fütterung amüsiert verfolgt.

»Ich sehe, hier lässt man Euch nicht vom Fleische fallen, Prinzessin Storchenbein.« Ungeniert, jedenfalls, als die Alte nicht hinschaute, ließ er seine Augen auf ihrer Gestalt ruhen. »Wenigstens habt Ihr so etwas wie einen Busen!«, scherzte er. »Und auch sonst könntet Ihr den Männern schon gefallen.«

»Ich hab’ auf Euch gewartet, Fassr ed-Din Octay«, entgegnete Yeza immer noch mit vollem Mund, aber sie mochte ihm die Antwort nicht schuldig bleiben. »Endlich ein Mann, der meine Reize zu würdigen weiß, während andere achtlos an ihnen vorübergehen. Doch füllen meine Brüste jedes Liebhabers Faust, mein Hintern lockt zum Stoße, und das Storchennest zwischen meinen langen Beinen lädt gern lockere Vögel zum Schnäbeln ein, ohne zu ermüden!« Sie grinste den Roten Falken an. »Die kleine Yeza ist flügge geworden und weiß mit Greifvögeln Euren Schlages gut fertig zu werden!«

»Oho«, rief der Emir verlegen, »Ihr habt Euch in der Tat verändert, Prinzessin, und ich habe es versäumt!«

»Dabei soll es bleiben, mein Prinz. Wie geht es meiner Freundin Madulain? Ich hoffe, eine Frau, die Euch zum Mann hat, muss nicht darben?« Sie setzte sich zu ihm, formte aus dem Mais und dem darin verkochten Gemüse einen mundgerechten Ball und reichte ihn dem Gast. »Euer Mund steht noch so offen«, scherzte sie, »jetzt habt Ihr erst mal zu kauen – und dann brav heruntergeschluckt, mein alter Freund.« Der Rote Falke gehorchte.

»Als ich Kairo verließ, war die Herrin meines Hauses wohlauf.« Er bemühte sich, den Mund frei zu bekommen, doch Yeza fütterte ihn weiter.

»Die Mutter Baibars deutete mir einen baldigen Aufbruch an. Stammt die merkwürdige Ankündigung von Euch?« Diesmal war der Emir nicht zum Scherzen aufgelegt.

»Hat die Alte das gesagt?«, fragte er alarmiert. »Sie steht mit ihrem Sohn in seltsamer Verbindung. Früher dachte ich, sie tauschen Brieftauben aus, aber –«

»Was, aber?«

»Sie hat das zweite Gesicht!«, flüsterte der Rote Falke. »Baibars hat mich wirklich nicht geschickt, es muss etwas passiert sein, das –« Er sprang auf und begab sich gemessenen Schritts zu der Alten, die immer noch mit dem großen Messer die besten Stücke vom Hammel schnitt, damit die Diener sie an die Gäste verteilten. Er zog sie zur Seite und redete leise auf sie ein. Die Mutter Baibars zog schließlich ein Pergamentröllchen aus irgendeiner Tasche ihrer djelabiah[1]. Der Rote Falke überflog es und kam hastig zu Yeza zurück.

»Sultan Ali ist von dem Emir Qutuz gestürzt worden. Madulain ist zu den Beduinen meines Vaters geflohen. Ihr seid in Gefahr! Bisher hat Baibars verhindern können, dass der neue Sultan die Armee gegen Euch einsetzt, aber der Bogenschütze verlangt, dass ich Euch aus Ägypten ins Gebiet der Franken in Sicherheit bringe!«

Inzwischen schien auch Hamo von den Vorfällen erfahren zu haben, denn er war ebenfalls aufgesprungen und hatte sich mit Simon beraten. Jordi war in der Tür erschienen und winkte Yeza zu, die aber keine Zeit für ihn hatte.

»Wieso rückt die Alte erst jetzt damit heraus?« empörte sich Yeza. Der Rote Falke zuckte mit den Schultern.

»Sie weiß es seit dem frühen Morgen, aber sie wollte Euch zu Ehren unbedingt den Hammel braten, das ist ihre Spezialität, und sie verehrt Euch sehr, liebt Euch wie eine eigene Tochter!«

»Großartige Mutterliebe«, spöttelte Yeza, »da riskiert sie, dass ich wie der Hammel ende –«

»Dazu seid Ihr nun wirklich nicht fett genug! Aufregung ändert auch nichts. Morgen früh reiten wir – es machte also doch einen Sinn, dass ich rechtzeitig zur Stelle war. Viel hat sich seit dem Montségur nicht geändert.«

»Doch, ich kann jetzt alleine ›Pipi‹ machen! Und sogar selber denken: Warum nehmen wir kein Schiff?«

»Habt Ihr eins? Die Hafenbehörden werden Euch keines mehr freigeben, auch nicht gegen viel Geld!«

Yeza kam der rettende Gedanke. »Hamo hat ein Schiff!«

»Das hat der Hafenmeister gerade an die Kette gelegt«, erklärte Jordi, der mittlerweile zu ihnen getreten war.

»Dann kommen wir auch mit Kamelen nicht mehr weit«, sagte Yeza resigniert. »Außerdem ist die Durchquerung des Nildeltas von West nach Ost mangels Brücken fast unmöglich.« Ezer Melchsedek gesellte sich aufreizend gemächlich zu der Gruppe um Yeza.

»Die Mutter Baibars will Euch sehen«, flüsterte er ihr zu.

»Entschuldigt mich«, gab Yeza aufgeregt zur Antwort, »aber mir steht jetzt nicht der Sinn nach guten Ratschlägen für meine Ehetauglichkeit!« Ezer ließ nicht locker.

»Ihr könnt ihr den Wunsch nicht abschlagen, sie ist immerhin –«

»Ja, ich weiß: die Mutter des Bogenschützen!«

»Eben, also folgt mir bitte!« Der Kabbalist setzte sich mit solcher Bestimmtheit ein, dass Yeza nachgab.

Die Alte hatte sich inzwischen in ihre Gemächer zurückgezogen. Yeza wunderte sich über die Prachtentfaltung, sobald sie die Schwelle übertreten hatte. Teure Seidenteppiche an allen Wänden, Springbrunnen mit Zierfischen und Vogelvolieren in den hohen Räumen, in denen Palmen bis zur Decke wuchsen. Und es wimmelte von Katzen. »Hier möcht’ ich weder Fisch noch Vogel sein!«, murmelte Ezer, der Yeza begleitet hatte, angesichts der Lieblinge der alten Dame aber verharrte.

»Lasst uns Frauen allein, werter Meister der Vergangenheit und der Zukunft!« bestimmte die Mutter Baibars. »Die Gegenwart gehört uns!«

Sie lagerte auf einem Diwan, in einen kostbaren Mantel aus perlenbesticktem Samt gehüllt, und streichelte zwei bernsteinäugige Perserkater.

»Tritt näher, meine Tochter!« Sie wies Yeza ein Sitzkissen zu, in dem diese fast versank. »Was tut eine kluge Jungfrau, der viele Burschen nachstellen und ihre Tugend bedrohen?«

Gott, der Gerechte! dachte Yeza, jetzt kommt sie mir mit so was! Ich platze! Sie tat es nicht, denn die Dame des Hauses fuhr fort.

»Was also unternimmt eine gescheite Person, die weiß, dass sie verfolgt wird – auch wenn sie ihre Verfolger nicht sieht, diese sie also ebenfalls noch nicht zu Gesicht bekommen haben?« Yeza schüttelte unwillig ihren Lockenkopf. Die Alte lächelte nachsichtig. »Sie geht ihnen forsch entgegen!«

»Ah!« entfuhr es Yeza, nun doch interessiert.

»Es gibt nur noch eine Straße, die man dir offenlässt, weil keiner auf die Idee kommt, dass du eine Dau[2] nimmst und den Nil hinunter nach Kairo segelst!«

»Toll!«, sagte Yeza und empfand das auch ehrlich so.

»Ich habe eine solche Barke, sie ist höchst komfortabel und bietet reichlich Platz für dich und dein Gefolge. Keiner wird wagen, sie zu untersuchen. Erst weit nach der Stadt des Sultans, in der Höhe von Memphis[3], geht ihr an Land, also bei Heluan[4], von wo aus eine Karawanenstraße ans Rote Meer führt. Der Sohn des Großwesirs wird euch den Schutz der Beduinen besorgen. Ich würde an deiner Stelle dann mit einem Schiff um den Sinai herum segeln, statt ihn zu durchqueren. Dann näherst du dich Jerusalem von Süden aus, von dort, wo dich keiner erwartet.«

»Ich bin sprachlos«, sagte Yeza und meinte dies auch, wenngleich sie sich sogleich Lügen strafte. »Mir bleibt nur noch, einen alten Freund zu bitten, mir ans Ende des Karawanenweges eine Galeere zu schicken, die uns weiterbefördert, denn dort wimmelt es von Piraten.« Die Alte lächelte.

»Du hast recht. Die Straße durch die Wüste wird eigentlich nur von Sklavenkarawanen benutzt. Ich habe deshalb auch schon den Hafsiden benachrichtigt, der dort mehrere Schiffe in Bereitschaft hält. Eines wird euch erwarten und nach Aqaba[5] bringen.«

»Das ist großartig!«, rief Yeza und umarmte die alte Dame so stürmisch, dass die beiden Perser zurückwichen. »Wie kann ich Euch nur danken?« Die zierliche Greisin in dem weiten, nachtblauen Mantel beruhigte die Kater, indem sie lässig in eine der runden Kristallkugeln langte und mit blitzschnellem Griff, ohne hinzuschauen, zwei Fischlein am prächtigen Federschwanz erwischte und sie den Persern vorwarf. »Der Sohn meines Sohnes –«

»Ah«, sagte Yeza, »Mahmoud der Feuerteufel!« Das war das erste Mal, dass sie die Alte überraschte.

»Wie nennst du ihn? ›Feuerteufel‹? Das gefällt mir vorzüglich: Mahmoud der Feuerteufel! Nun geh zurück zu deinen Freunden und genießt den köstlichen Fettschwanzhammel! Das wirst du auf deiner Reise durch die Wüste vermissen!« Mit fast herrischer Geste wurde Yeza entlassen. »Ich werde mich um alle Vorbereitungen kümmern!«, rief die erstaunliche alte Dame ihr noch nach. »Etwas vom Hammel werde ich dir noch, in frische Palmblätter gewickelt, als Proviant mitgeben. In feinen Scheiben mundet er auch kalt!«

Wie lange Roç im Graben gelegen hatte, wusste er nicht. Er wusste überhaupt nichts mehr, als Beni und Potkaxl ihn endlich fanden. Sie trauten sich nicht einmal, das blutige Bündel aus dem Schlamm zu heben und wegzutragen. So hockten sie tage- und nächtelang bei ihm, kühlten die einzige riesige Wunde und belegten sie mit allerlei Kräutern, von denen sie hofften, sie würden Linderung bringen. Sie fühlten sich angesichts der furchtbaren Verletzungen ziemlich hilflos, doch instinktiv taten sie vor allem eines, Roçs gequälter Seele nicht zu gestatten, sich leise von dem schwitzend fiebernden Körper in lichtere Höhen zu erheben und sie wie zwei Waisenkinder allein mit einem Kadaver zu lassen. Ohne ihrer Erschöpfung zu achten, redeten sie auf ihn ein, streichelten ihn, sangen ihm Lieder, selbst Liebe machten sie für ihn. Beni und Potkaxl hielten ihn in den Armen und zwangen ihn, bei ihnen zu bleiben, ohne sich um die Nähe von Maugriffe zu scheren. Sie trotzten der Burg, und keiner kam, es ihnen zu verwehren, neben dem Moribunden[6] im Graben auszuharren.

Noch am gleichen Abend, an dem der Trencavel allein zur Burg gegangen war, waren dort die Lichter erloschen. Es entstand viel Unruhe, die Gäste reisten ab, und bald folgten auch hastig das Aufgebot, das der Fürst mit sich geführt hatte, sowie das noch verbliebene Gesinde des früheren Herrn Ugo. Unter schwer bewaffneter Eskorte brachte der Lancia die Braut in einer Sänfte ans Meer, wo seine Schiffe bereit lagen. Eiligst segelten sie davon.

Dann war ein weißhaariger Mann gekommen, hatte sich Roçs Rücken genau angesehen, der inzwischen zu einem blühenden Feld schwärender, eiternder Wunden gediehen war. Er kam zurück, diesmal mit einem Wägelchen, das ein Hund zog, der aussah wie ein Bär, doch gutmütig war wie ein Lamm. Der Alte brachte verschiedene Tiegel mit Salben und Tinkturen. Auch flößte er Roç ein Getränk ein und hinterließ mehrere Amphoren mit dem gleichen Saft. Er nannte weder seinen Namen, noch verlangte er Bezahlung. Der große Hund leckte Potkaxl die Hand. Da lächelte der Alte dankbar und entschwand. Kurz darauf entrang sich Roç das erste Mal wieder ein Zeichen von Leben – er atmete regelmäßig.

Die Prise

Die ›Atalanta‹ flog mit vom Schirokko geblähten Segeln gen Westen. Der Sturmwind wehte so kräftig, dass die Wellen weiße Schaumkronen trugen und der zusätzliche Einsatz der dreifach übereinander gesetzten Ruderreihen sich erübrigte. Er hätte sie eh nicht voll bemannen können, denn es waren ihm nach allen Aufenthalten und Wechseln nur noch die Rudersklaven geblieben, die seit Linosa auf der ›Atalanta‹ geblieben waren, weil sie nicht wussten, wohin sonst. Das gewaltige Flaggschiff der Templer war ihre einzige Heimstatt. Dem Taxiarchos kam auch sonst die schnelle Fahrt recht gelegen, sie zerrte ihn weg von der Küste, wo er seine Liebste hatte lassen müssen, und trug ihn neuen Abenteuern entgegen, den fernen Inseln des Vergessens. Sinnend stand er allein am Ruder, ließ sich den Wüstenwind durch das Haar fahren. Er träumte von Mericas klaren Buchten, in denen sich die Palmen spiegelten und farbig bemalte, mit Schnitzereien reich verzierte Einbäume dem Fremden entgegenschossen zum freundlichen Empfang. Stahlblau wölbte sich der Himmel, leergefegt von jeder Wolke. Da sah er am Horizont die Segel, weißes Tuch mit dem roten Tatzenkreuz. Weit gefächert versperrten sie ihm den Weg, in mehreren Reihen hintereinander gestaffelt. Wenn sie diese Taktik beibehalten, frohlockte der Taxiarchos, dann würde die ›Atalanta‹ durch die Kette hindurchschießen, ohne auch nur ein einziges der sich ihr entgegenstellenden Schiffe zu streifen! Doch da zogen sie sich zur Küste hin zusammen, wie Perlen an einer unsichtbaren Schnur. Sie gaben ihm freie Passage! Der Taxiarchos mochte es nicht glauben, und er tat recht daran, denn von Norden her tauchten jetzt Mastspitzen auf, so dicht wie die langen Lanzen eines Reiterheeres. Als er die ersten Fahnen sah, schwarze Adler auf goldenem Grund, weiße Kreuze auf rotem Tuch und noch viele andere Farben, da wusste er, dass die Sizilianer und die Genuesen, die Pisaner und die von Amalfi[7] mit von der Jagdpartie waren. Das gesamte Imperium schien dem Ruf der Templer gefolgt, selbst der Löwe von San Marco[8] gab dem Orden Schützenhilfe bei der Hätz auf die geraubte ›Atalanta‹. Mochten sie sich im Heiligen Lande zwischen Akkon und Tyros die Köpfe einschlagen, sich gegenseitig die Flotten verbrennen und versenken, hier galt das alles nicht. Hier galt es, Recht und Ordnung durchzusetzen, dem frechen Freibeuter das Handwerk zu legen. So musste er ihnen erscheinen, und so würden sie ihn behandeln! Ein riesiger Sack hatte sich aufgetan, und in den rauschte die stolze ›Atalanta‹ voll hinein wie in eine Reuse. Wenden machte auch keinen Sinn. Es gab nur einen Ausgang aus dem Mittelmeer und der lag vor ihm, bei den Säulen des Herkules, dem Djebl al-Tarik – unerreichbar! Und selbst in seinem Rücken, wenn er ihnen davonfahren konnte, war keine Meeresenge einfacher zu blockieren als der Bosporus! Also Kampf bis zum bitteren Ende? Wozu sollten sich seine Turkopolen und Rudersklaven, die wenigen Moriskos aus Otranto und die Handvoll Lancelotti, die ihm verblieben waren, abschlachten lassen? Es ging doch nur um ihn! Seine Gegner würden ihn von allen Seiten in die Zange nehmen und mit Pfeilen so lange eindecken, bis sich auf den Planken der ›Atalanta‹ nichts mehr rührte, denn mit Katapulten würden sie den Augapfel des Großmeisters nicht beschießen, sie wollten ihn lebend – und das Schiff unversehrt. Alle seine Mannen waren längst an ihre Posten geeilt, starrten zum Heck hinauf, harrten seines Befehls.

»Refft die Segel!« kommandierte er. »Legt die Waffen nieder! Keine Gegenwehr!« rief er vom Heck hinab. »Ich danke euch allen für den Dienst, den Ihr mir bis hierher erwiesen. Unsere große Fahrt über den Oceanus ist beendet.« Der Taxiarchos musste schlucken, um nicht von den Gefühlen übermannt zu werden, die auf ihn einstürmten. »Es hat nicht sollen sein.« Die Lancelotti schlugen wild ihre Sensen aneinander, sie würden mit ihm kämpfen bis zum letzten Blutstropfen! Genau das wollte er vermeiden. »Ich werde mich ergeben und der Justiz des Ordens ausliefern.«

So schloss er mit trockener Stimme seine kurze Ansprache.

Der Taxiarchos hielt seinen Platz am Ruder, die Fahrt der ›Atalanta‹ verlangsamte zusehends und kam zum Stillstand. Die Herrin der Meere wiegte sich im Wellengang. Zaghaft schoben sich die vordersten Segler näher, hielten respektvollen Abstand. Man ließ den Templern den Vortritt. Ihre Boote umringten bald im dichten Kranz den wiedergewonnen Stolz der Flotte. Der Orden hatte seine ›Atalanta‹ wieder! Die ersten Ruderbarken wurden mit Rittern in der weißen Clamys besetzt und näherten sich mit zügigem Schlag der hohen Bordwand.

Der Taxiarchos erteilte seinen letzten Befehl: »hisst die Flagge mit dem Tatzenkreuz!«

Er hatte auch das königliche Banner von Sizilien in Verwahrung. Warum sollte er König Manfred mit hineinreißen? Hätte er den geheimen Auftrag des Johannes von Procida befolgt, wäre er jetzt längst jenseits des großen Oceanus, für keinen erreichbar.

Die Ritter in der weißen Clamys mit dem roten Tatzenkreuz hangelten sich hoch und stiegen an Deck. Gemessenen Schrittes kamen sie auf den Penikraten zu.

Der Taxiarchos blieb auf seinem Posten und sah ihnen sinnend entgegen. Er dachte an Yeza – sie war die ferne Insel, er hatte sie erreicht. Der Einsatz hatte sich gelohnt, weit mehr als alle Schätze von Merica. Er träumte von ihrem goldenen Haar, ihrem schlanken Körper, den sie ihm geschenkt. Ihre grünen Augen sahen ihn an – ihr Sternenblick würde ihn begleiten, solange sein Herz noch schlug.

»Seine Stirn ist kühl!«, ließ sich eine Stimme äußerst befriedigt vernehmen, und Roç spürte das Wegziehen einer warmen, fleischigen Hand. Als er die Augen aufschlug, lag er, schweißgebadet in weißes Linnen gehüllt, auf einem ziemlich harten Lager, in einem Zelt, dessen Bahnen das Licht der Sonne milde filterten. Der luxuriös ausgestattete luftige Pavillon stand auf dem Heck eines großen Seglers. Roç erkannte das Schiff sofort, es gehörte dem Hafsiden, und es ankerte friedlich in einem Hafen. Hatte er alles nur geträumt? Er tastete vorsichtig nach seinem Rücken, doch dann bemerkte er, dass sein Brustkasten bandagiert war. Und selbst diesen Griff, die geringe Drehung des Körpers, zahlte ihm der mit einem schmerzhaften Stich heim.

»Ihr solltet Euch noch möglichst wenig bewegen, lieber Herr«, sagte eine weibliche Person, die er nicht sehen konnte, doch dann beugte sich Geraude über ihn, und er konnte hinter dem klaffenden Kittel ihre milchigen, weichen Brüste erspähen. Sie strich ihm mit einem feuchten Lappen über das verschwitzte Gesicht. »Wir mussten Euch an das Bett fesseln«, plauderte sie verschämt, »damit Ihr nicht herausfielt, denn wir hatten einen argen Sturm zu bestehen –«

Jetzt erst bemerkte Roç, dass die gesamte Takelage in Fetzen hing und der Mastbaum geborsten war. Sein Bett war mit Tauen nach allen Seiten festgezurrt.

»Wo bin ich?«, stöhnte Roç verhalten, selbst das Sprechen, die geringste Beanspruchung des Zwerchfells, tat höllisch weh.

»Sankt Symeon ist der Name des Hafens von Antioch«, polterte leutselig der Hafside los, der sofort herbeigeeilt war, als er hörte, dass sein berühmter Gast zu sich gekommen war. »Fürst Bohemund kann es gar nicht erwarten, Euch zu begrüßen, edler Trencavel.«

Roç winkte Abdal mit vorsichtiger Handbewegung zu sich, als Geraude gerade gegangen war, frisches Wasser in ein Becken zu füllen.

»Wie kommt denn die an Bord?«, murmelte er, der Fürsorglichen wenig Dank bezeugend, doch der Sklavenhändler lachte.

»Euer Secretarius Benedictus war so klug, die Toltekin zum Turm zurückzuschicken, da sich das aufmerksame Kind das Verfahren der Nachrichtenübermittlung mittels der Spiegel ungefähr gemerkt hatte und er selbst sich als Kräuterdoktor in Eurer Pflege für unersetzlich hielt.« Der Hafside genoss noch nachträglich die Aufregung, waren doch in seinem Beruf die meisten Fahrten viel weniger abenteuerlich.

»Qadda oua qaddr[9]kreuzte ich gerade vor der Küste der Hellenen, denn dort war die Marktlage so günstig wie noch nie. Die siegreichen Nikäer verscherbelten beste weiße Christenware, die ihnen der Despot von Epiros eingeschleppt hatte – im Dutzend billiger!« Er sah, dass Roç ob seiner Schwäche schnell ermüdete, so unterdrückte er die ihm wichtig erscheinenden Informationen, um nicht noch weiter abzuschweifen. »Ich ließ sofort alles liegen und stehen und segelte nach Korfu, Euch zu bergen.«

»Das erklärt immer noch nicht« – Roç seufzte, ob vor Ungeduld oder Pein, war nicht auszumachen, er gab sich Mühe, keine Schwäche zu zeigen, sondern Beherrschung –, »wie die Zofe meiner Damna auf Euer Schiff kommt, Abdal?«

»Auf der Höhe von Kreta begegneten wir meinem verrückten Freund, dem Taxiarchos. Der Wahnsinnige hat nicht nur den Templern ihre heilige Kuh gestohlen, er segelte und balzte mit ihr auf dem Mittelmeer herum, als –«

»Mit Yeza?« Die Eifersucht ließ Roç für einen Moment den Rücken vergessen. Er fuhr hoch, um sofort wieder von heftigen, schmerzenden Stichen zurück aufs Lager geworfen zu werden. Abdal hatte es im Schwall seiner Worte überhört.

»– als wäre kein Preis auf seinen Kopf ausgeschrieben!« Es gab Verhaltensweisen, die konnte ein umsichtiger Mann wie Abdal einfach nicht fassen. »Anstatt schleunigst das Weite zu suchen, jenseits der Säulen des Herakles!«

Der Hafside redete sich in Rage. Er war wütend auf den turtelnden Taxiarchos. »Am gesündesten wäre für ihn, er würde auf Nimmerwiedersehn – oder zumindest auf lange Zeit – im Oceanus Atlanticus verschwinden!«

»Aber gefälligst nicht unter Mitnahme meiner Dame!« Roç entrang sich ein Stöhnen. »Dieser erbärmliche Räuber! ›Penikratos!‹«, höhnte Roç ohne Rücksicht auf die Stiche, die prompt in sein gemartertes Fleisch fuhren. »König der Taschendiebe und Beutelabschneider!«

Der Hafside bemühte sich, wieder nach Kreta zu gelangen. »Wir, dieser grässliche Penikrat und ich übel beleumdeter Sklavenhändler, verabredeten uns unter vier Augen und beschlossen, Eure Dame nicht zu beunruhigen, denn die Nachrichten über Euren Zustand klangen wenig hoffnungsvoll. So vereinbarten wir, dass Geraude einfach über Bord fiel!« Abdal wollte sich ausschütten vor lachen. »Dabei wurde sie mir, tief und fest schlummernd, aufs Schiff gebracht!«

»Woher wusstet Ihr – damals schon –, dass ich –?« Roç war verwirrt, aber am meisten beschäftigte ihn, was Yeza bewogen haben mochte, sich der ›Atlanta‹ und diesem Freibeuter anzuvertrauen. »Und wohin fuhr dieser Strolch Taxiarchos?« forschte er argwöhnisch.

»Eure Damna wünschte nach Alexandria gebracht zu werden, weil sie da ihr Wissen vertiefen und Forschungen anstellen will, bevor sie mit dort geworbenen weisen Männern nach Jerusalem weiterziehen wird. Das war ihr fester Vorsatz«, fügte der Hafside hinzu. Er wirkte beeindruckt. »Und Yeza Esclarmunde machte mir nicht den Eindruck, dass sie sich von einmal gefassten Entschlüssen abbringen lässt!«

»Das klingt doch sehr beruhigend«, entgegnete Roç resigniert. »Demnach müsste die Dame also zurzeit das westliche Nildelta unsicher machen –«

»Wenn sie nicht schon nach Jerusalem weitergezogen ist, denn über Euer Leiden, werter Trencavel, ist einige Zeit vergangen. Außerdem drängte ihre Templereskorte, auf schnellstem Wege in die Terra Sancta zu gelangen –«

»Welche Templer?« entfuhr es Roç. »Ich dachte, der Taxiarchos müsste den Orden meiden wie der Teufel das Weihwasser?«

Das Berufsethos des Sklavenhändlers verlangte eine Erklärung. »Ich hatte aus den Beständen des Sebastokrators Johannes, des Heerführers Nikäas, auch einige Templer erworben, darunter auch den Simon de Cadet –«

»Und meine Kiste?« hakte Roç, sogleich hellwach, nach. »Eure Schatztruhe wurde als Feindesbeute konfisziert, weil Ihr in den Dienst König Manfreds –«

»Bin ich nicht!« empörte sich Roç, doch Abdal zeigte sich ungerührt. »Ihr könnt sie Euch ja holen, raten würde ich es Euch jedoch nicht!«

»Ihr habt also vier Templer gegen mein Geld eingetauscht«, folgerte Roç spöttisch, »und wohin habt Ihr die Ordensritter verkauft?«

»Denen hab’ ich die Freiheit geschenkt, denn mir liegt mehr am guten Einvernehmen mit dem Orden als an dem baren Geld, das sie mich gekostet haben – ohne Zuhilfenahme Eurer schwach bestückten Kriegskasse. Ich hab’ die Ritter einem Freund aufs Auge gedrückt, damit er sie bis Alexandria mitnimmt.«

Diesmal wollte Roç vor Lachen platzen. »Das ist köstlich! Mit viel Liebesmüh – denn er sieht in Simon wohl einen gefährlichen Rivalen um die minnigliche Gunst meiner Damna, hat sich der Taxiarchos noch vor dem Eintritt ins Ionische Meer der Templer entledigt. Ich habe sie nach Korfu mitgeschleppt, wo sie in Gefangenschaft gerieten. Und Ihr kauft sie frei!« Roçs Körper wurde von Lachkrämpfen geschüttelt, obgleich er vor Schmerzen heulte wie ein Wolf. »Und Ihr setzt sie ihm wieder ans ungewaschene Gekröse wie blutsaugende papillons d’amour[10]!«

»Hoho!« Das amüsierte jetzt auch den Sklavenhändler ungemein. Als er sich aus Sorge um Roçs Zustand in seiner Fröhlichkeit gefangen hatte, versuchte er einen Schlussstrich zu ziehen.

»Hauptsache, Ihr, Roç Trencavel, seid auf dem Weg zur Besserung, denn es sah übel um Euch aus. Wären nicht Beni und Potkaxl gewesen –«

»Wo stecken eigentlich meine kleinen Lebensretter?« wandte sich Roç mit ausgesuchter Freundlichkeit an die zurückgekehrte Geraude. »Ohne den Verdienst Eurer heilenden Hände« – er tätschelte sie – »hintanstellen zu wollen, liebe Geraude!«

Sie errötete schamhaft. Abdal übernahm die Auskunft.

»Euer Secretarius ist schnaubend vor Wut wie ein Stier nach Jerusalem vorausgeeilt, zu Fuß und ganz allein!«

»Wieso?«

»Weil Eure toltekische Zofe und hochbegabte Samariterin für verletzte Helden und sonstige Rittersleut in Not das Angebot Gossets angenommen hat« – der Hafside konnte einfach nicht ernst sein, Roç hatte Mühe, sich nicht von der unbärdigen Heiterkeit anstecken zu lassen –, »in dessen neuem Haus der Freuden als prima peregrina meretrix[11] aufzutreten!«

»Diese Huri!«, schimpfte Roç.

»Ihr seid sehr ungerecht! Sie hat Euch aufopfernd durch das Tal des Todes über den schmalen Berggrat des Lebens geschleppt, getragen, gezogen, gestoßen! Sie hat Euren Dank bis ans Ende aller Tage verdient!«

»Verzeiht!« entrang sich Roç zerknirscht, auch weil er sah, dass Geraudes wasserhelle Augen sich mit Tränen füllten. »Also, Monsignore Gosset, mein ebenso verdienstvoller Berater, ist mal wieder zum Patron einer Herberge der käuflichen Lust geworden. Welch eine Karriere!« »›Bedrückt steigt die Seele aus der Welt, wenn der Mensch vom rechten Pfade abgewichen.‹«[12]

Jakov schien sich immer noch für die Inkarnation von Josef dem Zimmermann zu halten, denn er stieg aus der zerstörten Takelung, wo er sich hobelnd und hämmernd des arg in Mitleidenschaft gezogenen Mastes angenommen hatte. Wobei er die Bootsleute des Hafsiden mit den Passagen des Alten Testamentes, die er mit donnernder Stimme vortrug, weit mehr erschreckte als mit seinen halsbrecherischen Balanceakten zwischen Ausguck und Planken. Doch der schrullige Kabbalist war ein zäher Handwerker und bewegte sich schaukelnd wie ein alter Pavian zwischen den Tauen und Rahen.

»›Nur wenn die Seele würdig ist und die kostbare, bewahrende Gewandung trägt, dann stehen zahlreiche heilige Heerscharen bereit, sich ihr zu verbinden und sie zum Garten Eden zu geleiten.‹«[13] Als der Zimmermann an einem Seil über das Deck schwang, um geschmeidig wie ein Gaukler auf der erhöhten Heckplattform zu landen, stellte Roç fest, dass Jakov noch immer das gleiche Gewand wie damals in Rhedae und auch auf Ustica trug.

»›Wenn aber nicht‹, sind es ›die Engel der Verwirrung, die an ihr Rache nehmen.‹«[14]

Gleichzeitig trat ein riesiger alter Mann auf, der einen Bären mit sich führte. Das Tier zog ein Wägelchen, das es sogar die Stufen der Treppe hinaufhüpfen ließ. Es war nichts darinnen. Doch Roç dämmerte es, er wäre dem Mann mit dem Bären schon einmal begegnet, und er flüsterte Jakov entgegen:

»Wer ist das? Von woher kennt Ihr den Mann?«

Jakov tat, als hätte er die Frage nicht gehört.

»›Innerhalb eines mächtigen Felsens, in entrückter Himmelsregion, gibt es einen Palast, der ist Palast der Liebe geheißen. Dies ist eine Stätte, wo die köstlichsten Schätze sich bergen, die Stätte der Liebesküsse des Königs. Denn die vom König geliebten Seelen gehen dort ein.‹«[15]

Der bärtige Hüne trat an Roçs Krankenlager und legte ihm schweigend seine Pranke auf die Stirn, was Roç als ungeheuer beruhigend empfand. Er schloss die Augen und gab sich dem Fließen heilender Kraft hin, die sich von dem Mann auf ihn übertrug, durch den Nacken in seinen Rücken eindrang und dort wohltuend versickerte.

»›Dort findet der Allheilige die geheiligte Seele, fasst sie bei der Hand und küsst und liebkost sie und lässt sie zu sich steigen und spielt mit ihr – gleich wie ein Vater seiner Lieblingstochter tut.‹«[16]

Roç vergaß, dass er Jakov fragen wollte, ob ihm der Schwarze Kelch gegeben worden sei, ob der Kabbalist ihm, als er im Wundfieber lag, das heilende Gefäß gewiesen, denn er, Roç, hatte es in einer anderen Welt, einer Welt des Unheils, gesehen. Für was stand der Schwarze Kelch? Roç fühlte, dass er es nicht erfassen konnte, er wünschte sich nichts als vollkommene Leere. Der wollte er sich hingeben, und dank der Hand des Mannes mit dem Bären sollte es ihm gelingen. Roç vergaß ganz, nach dem Woher und Wieso zu fragen, und wäre in wohligen Schlummer gefallen, wenn nicht der ebenso erzählfreudige wie wichtigtuerische Hafside mit seinem polternden Organ den Bericht der Ereignisse wieder aufgenommen hätte.

»Der gute Herr Bohemund hat Monsignore den Turm der Templer überlassen, mit denen er über Kreuz liegt, und sie des Fürstentums verwiesen und auch der Grafschaft Tripolis.«

Der Bär hatte sich vor Roçs Bett niedergelassen und leckte Geraude die Hand. Der Hüne lächelte dankbar wie ein beschenktes Kind.

»Wenn Ihr Euch etwas aufrichtet, mein Trencavel«, empfahl Abdal ohne Rücksicht auf Roçs Befinden, »könnt Ihr das Etablissement ›König Artus’ Tafelrunde‹ dort drüben am Ende der Mole sehen.« Roç rührte sich nicht, und so fuhr er fort: »Dort kredenzt Eure Potkaxl jetzt zahlenden Gästen den schwarzen Pokal.«

»Eine billige Kopie!«, unterbrach Jakov ihn sanft, was aber den Hafsiden nicht rührte. »Und die drei Ritter, mehr hat Monsignore noch nicht um sich versammeln können, lassen ihren edlen Gönner hochleben und teilen sich die Spenderin aller Freuden redlich. Da kommen sie gerade!« Roç riss nach anfänglich unwilligem Blinzeln nun doch die Augen auf.

Leicht angeheitert schoben sich seine drei Okzitanier das Fallreep hoch und stolperten dann die Treppe zum Heck hinauf. »Ave Caesar[17], die zu keinem Opfer Bereiten entbieten ihren Gruß!«, plärrte Mas aus dem zweiten Glied, während Raoul schon vorgestürzt war, um Roç zu begrüßen. Nur konnte er nicht vor dem Bett niederknien, weil dort schon der Bär lag. So umfasste er die Füße des Trencavel.

»Wir sind ja so froh, Euch –«, rief der noch dicker gewordene Pons, weiter kam er nicht, weil er über die gespannten Seile stürzte und dem Bären vors Maul fiel. Der leckte ihm das Gesicht ab. Pons war starr vor Angst.

»Der Graf von Mirepoix hat sein Wappentier gefunden, statt mira peix[18] jetzt der heraldisch einmalige ›Bärenleck‹!«

Mas war noch der alte, zumindest was seine Häme anbetraf. Nur Raoul schwieg, ihm liefen Tränen der Freude über die Wangen, den Trencavel lebend wiederzusehen. Um die peinsame Situation zu beenden, sagte Roç:

»Niemand ist glücklicher als ich, Euch wohlbehalten aus furchtbarer Gefangenschaft entronnen zu sehen!« Er versuchte sich aufzurichten, um sie besser in Augenschein nehmen zu können. »Das hat mir der Hafside in seiner Großmut, die keinen Dank hören will, bewusst verschwiegen, dass er auch Euch frei –«

»Welche Gefangenschaft?«, fragte Mas patzig zurück, und Roç setzte beschämt hinzu:

»Ich hab’ noch mit eigenen Augen mit ansehen müssen, wie Ihr überwältigt wurdet, und konnte Euch nicht helfen!« Zur Buße zwang er sich in eine halbwegs sitzende Stellung, obgleich ein Dutzend Flagellanten[19] auf ihn einhieben. »Wie ist es Euch in den Kerkern Nikäas ergangen?«

»Kerker?«, grunzte Pons, ihm war zum Lachen zumute, wusste aber nicht, wie der Bär das aufnehmen würde, der ihm traurig nachsah, als er jetzt, auf dem Bauch rückwärts robbend, sein Gesicht aus der Reichweite der rauen Zunge brachte. »Was sprecht Ihr von Kerkern, guter Trencavel?« Mas lachte für seinen Kumpanen, da raffte sich Raoul zu einer Erklärung auf:

»Wir gaben uns als Abenteuer suchende Ritter Okzitaniens aus –«

»Die wir auch sind!« fiel ihm Mas ins Wort, doch unterließ er es in der Folge, seinen Anführer zu unterbrechen, denn der hatte blitzschnell hinübergelangt.

»– die nichts mit Manfred zu schaffen hätten. Da bot uns der Sebastokrator an, in seinem Heer Ruhm und Ehre zu erwerben und reichlich Beuteanteil dazu, denn am Sieg des Kaisers sollten wir nicht zweifeln.«

»Wie ich Euch schon wissen ließ«, mischte sich der Hafside ein, »es lohnte sich für unsereinen!«

»Berichtet mir dennoch, lieber Raoul, wie es ausging«, forderte Roç den Belgrave auf, »und was ich versäumt habe.«

»Wenn ihr auf der Seite Epiros gekämpft hättet, wäre das schnell erzählt. Wir dagegen erlebten den Feldzug als privilegierte Heerführer, saßen abends an der Tafel des Sebastokrators Johannes, hatten Weiber und –« Vor Stolz über seine Kriegstaten vergaß Pons die Hierarchie, sodass Raoul ihn mit einer Schelle zum Schweigen bringen musste, bevor er selbst fortfuhr:

»Das Heer, das der Kaiser von Nikäa seinem Bruder mitgegeben hatte, bestand zum geringsten Teil aus Griechen, sondern setzte sich vornehmlich aus slawischen Söldnern und angeheuerten Turkstämmen zusammen, was auch den Aufstieg von Pons zum Unterführer erklärt. Den Despoten von Epiros hatte inzwischen ein guter Teil der deutsch-sikulanischen Waffenhilfe erreicht, auch sein anderer Schwiegersohn, Wilhelm von Achaia, brachte durch Zwangsaushebungen in seinem Fürstentum eine stattliche Streitmacht auf die Beine. Die vereinigten Heere zogen nach Thessalien[20], wo noch der Bastardsohn des Despoten zu ihnen stieß, der mit der Tochter des Stammesfürsten der Walachen verheiratet ist, und auch der Herzog von Athen, Otto La Roche, der demVillehardouin lehnspflichtig war. Sie rückten über die Via Egnatia[21] vor, die alte Heerstraße, die von Konstantinopel quer durchs Land zur adriatischen Küste führt. Bei Pelagonia[22] erwarteten wir mit dem Sebastokrator den Zusammenprall der Heere, etwas mit Bangen, denn die Verbündeten waren zahlenmäßig in der Übermacht. Kaiser Michael schickte laufend Boten, wir sollten den offenen Kampf vermeiden, sondern zusehen, dass wir Unfrieden und Zwist in das gegnerische Bündnis trügen.«

»Ha!«, rief Pons dazwischen. »Halt ein! Auf die Gefahr hin, wieder eine aufs Maul zu bekommen, will ich doch nicht dulden, dass meine beiden Kumpanen ihr Licht unter den Scheffel stellen.« Raoul grinste, aber er ließ Pons gewähren. »Diese beiden Helden, die Ihr hier vor Euch seht, edler Trencavel, riskierten ihr junges Leben, denn sie begaben sich auf Umwegen in das feindliche Lager, als seien sie die letzten Nachzügler aus Manfreds Aufgebot. Und da sie ja einigen Herren als solche bekannt waren, kam darob auch kein Zweifel auf.«

»Unsere Aufgaben waren höchst verschieden«, trug nun auch Mas sein Scherflein bei. »Undankbar die meine, nicht ohne Reiz und Belohnung die seine. Ich hatte die Taschen, man kann ruhig sagen, Kisten, voller Gold, das ich geschickt unter die Ritter aus Sizilien bringen sollte, um sie damit zur Desertation zu verleiten. Die Deutschen lehnten empört ab, sodass ich bei den Leuten aus Achaia Zuflucht suchen musste. Die kochten sowieso ihr eigenes Süpplein, denn der Fürst Wilhelm de Villehardouin schielte selbst nach dem Thron von Byzanz. Außerdem waren sie in ihrer Moral lockerer und machten sich einen Spaß daraus, den Bastardsohn des Despoten zu verunsichern und zu kränken, indem sie seinem Weibe, der feurigen Walachin, schamlos den Hof machten.«

»Lasst mich, lieber Mas«, unterbrach hier Raoul, »wenigstens meinen geringen Anteil als unbedeutende Speiche am Siegeswagen des großen Morency, meine Untat mit eigenen Worten schildern. Ich suchte also die Freundschaft des Bastards, heuchelte Empörung über das schändliche Verhalten einiger Ritter –«

»Mit denen ich inzwischen hohe Wetten abschloss«, fügte Mas hinzu, »dass es dir nicht gelingen wird, die Dame aufs Kreuz zu legen, eine saubere Art der verschleierten Bestechung.« Mas war sehr stolz auf sich. »Um es kurz zu machen, die gute Frau war inzwischen so heiß –«

Im scharfen Ton zog Raoul den Bericht wieder an sich: »Verwirrt ob des Wirbels um ihre Tugend, dass sie mir deren Schutz anvertraute. Ihr Mann drückte mir noch dankbar die Hand, als ich mich erbötig machte, als Wächter auf der Schwelle ihres Zeltes zu schlafen. Er wurde dann von Mas und seiner Wettgemeinschaft mitten in der Nacht zu einer hochgeheimen, wichtigen, eiligen Besprechung fortgelockt, und ich verlegte meine Wache sofort vor das Bett der Dame, die in gebotener Eile alsbald ihr mitleidiges Herz sprechen ließ.«

»Glaubt mir bitte, Roç«, erklärte Mas, »als wir mit scharfen Schwertern die Zeltleinwand zum sich weit öffnenden Vorhang aufschlitzten, sah das ganze Lager, dass sie nicht nur ihr Herz sprechen ließ, oder es war ihr arg in die Tiefe des Hemdes gerutscht! Sie ritt unseren guten Raoul auf dem Teppich, sodass auch der Mitleidigste nicht von Notzucht sprechen konnte.«

»Wenn einer vergewaltigt wurde«, stöhnte Raoul, »dann war ich es. Danach durfte ich um mein Leben rennen, denn die aufgebrachten Walachen wollten mit mir wie mit dem Zelt verfahren.«

Geraude hatte vor Aufregung rote Flecken im Gesicht bekommen. Oder war es, weil Roç ihr von hinten die Hand unter den Kittel geschoben hatte? Jakov und der Mann mit dem Bären waren wieder gegangen. Auch der Hafside kannte die Geschichte wohl schon. Er liebte es auch nicht so sehr, wenn andere etwas zu erzählen hatten. Ungern überließ er Raoul das Feld.

»Die Epiroten waren sowieso schon in gereizter Stimmung, denn der Ehrgeiz des Villehardouin war ihnen nicht verborgen geblieben. So fiel es dem Bastard in seinem Zorn nicht schwer, seinen Vater zu überzeugen, dass es sinnvoller sei, sich mit solchen Verbündeten nicht in den Kampf zu stürzen, sondern weitaus klüger, zu Hause in Epiros eine günstigere Gelegenheit abzuwarten. Der Despot wankte noch anstandshalber, schließlich hatte er den Feldzug ja initiiert. Doch dann schnitten die deutschen Reiter bei einem Scharmützel gegen die Nikäer schlecht ab, weil sie zu schwerfällig waren, und die aus Achaia, weil sie bestochen waren, und das gab dann den Ausschlag. In der nächsten Nacht entwich der Despot mit seinen Angehörigen, noch bei Morgendämmerung folgte ihm sein Heer. Als derVillehardouin und der La Roche samt Manfreds Truppe beim Erwachen feststellten, dass ihre griechischen Waffenbrüder Reißaus genommen hatten, fiel bereits der Sebastokrator über sie her. Etliche wurden in dem Wirrwarr erschlagen, doch die meisten von ihnen wurden gefangengenommen –«

»So auch Hamo L’Estrange!« Pons meldete sich zu Wort. »Der Graf von Otranto gab sich in meine Hände, und ich grüßte ihn von seinem treuen Weibe und auch von Euch. Das hat ihn wieder aufgerichtet, zum Kampf war er gar nicht gekommen, weil er sein Schwert nicht fand.«

»Typisch Hamo!«, sagte Roç und verkniff sich die Schmerzen eines Lächelns. »Was habt Ihr mit ihm gemacht? Doch hoffentlich seiner Shirat zurückerstattet?«

»Wir haben ihn mit unserem eigenen Geld sofort freigekauft und ihn mit einem Pferd und genügend Mitteln ausgestattet«, bestätigte Raoul, »dass er eigentlich längst wieder in Otranto eingetroffen sein müsste.«

»Ich hab’ einen besseren Fang gemacht«, brüstete sich Mas, verbesserte sich aber schnell in »wir«, als er Raouls hochgezogene Braue bemerkte. »Uns beiden ist es gelungen – also gut, Raoul hat ihn zuerst gesehen, er hatte sich, vermummt als Bäuerin, in einem Heuschober versteckt –«

»Wer denn nun?« drängte Roç.

»Raoul hat ihn gleich erkannt, an seinen vorstehenden Zähnen, den Wilhelm de Villehardouin, Fürst von Achaia!«

»Das hat uns reich gemacht!« setzte Pons grinsend hinzu und machte die mümmelnde Lippenbewegung nach. »Unser liebes Kaninchen!«

»Demnach seid Ihr alle drei in bester Verfassung«, schloss Roç, »kampferfahren, ausgeruht und gut bei Kasse, sodass Ihr mir nicht auf der Tasche liegen müsst und euren Dienst bei mir wieder aufnehmen könnt.« Er ärgerte sich über den fragenden Unterton, der sich in seine Feststellung eingeschlichen hatte, schließlich standen sie bei ihm im Wort, doch musste der Trencavel dem eingetretenen Schweigen entnehmen, dass für seine Sicht der Dinge sich keiner der drei erwärmen wollte.

Der Belgrave war auch hier wieder als Sprecher gefordert. »Ihr, Roç Trencavel, habt uns auf Korfu –«

»Im Stich gel–!« Mas verschluckte den restlichen Satz, weil nur ein schneller Sprung zur Seite ihn vor Raouls vorschnellender Faust bewahrte.

»Entlassen, in die eigene Verantwortung! Das würde auch jedes Ehrengericht so sehen. Es bedürfte also eines neu zu regelnden Lehnsverhältnisses, doch in ein solches wünschen wir uns hier und heute nicht zu begeben. Wir haben unsere Feuerprobe ohne Euch bestanden. Wir haben Glück gehabt und bei heiler Haut unsere Taschen füllen können. Wir wollen jetzt erst mal unser Leben genießen. Dass Ihr uns solche Freuden nicht bieten könnt, dafür seid Ihr selbst schlagendes, geschlagenes Beispiel. Also nehmt uns bitte nicht übel, dass wir Euch diesmal nicht folgen werden.«

Raoul war der Vortrag nicht leichtgefallen, vielleicht schämte er sich auch, dem Trencavel in seiner elenden Lage eine so harsche Absage zu erteilen. Er schlug jedenfalls die Augen nieder und wich Roçs Blick aus. Doch der Trencavel war viel zu geschwächt, den Okzitaniern aus ihrem Verhalten einen Vorwurf zu machen, denn das hätte einer flammenden Erwiderung bedurft, eines eindringlichen Appells an ihre ritterliche Ehre und einer verheißungsvollen Schilderung von Abenteuern, die noch zu bestehen waren. Welche, hätte er ihnen im Augenblick auch nicht zu sagen vermocht, der Weg des Königlichen Paares war ungewisser denn je, sicher nicht weniger dornig als bisher. Eher war zu vermuten, dass sich die Gefahren steigern würden, die Hindernisse sich noch höher auftürmen und die Versuchungen des Demiurgos weitaus perfider ausfallen würden, je näher sie dem Ziel Jerusalem kamen.

Den Dreien war der Gral schließlich nicht als Verheißung gegeben worden, noch wussten sie von dem schwarzen Stein und dem fehlenden Schwarzen Kelch. Warum sollten sie sich quälen!? In Potkaxls drallen Armen mochten sie sich ihrer Heldentaten brüsten, an ihrer Brust Trost für das Ungemach eines banalen Lebens suchen. Im Schoß der Toltekin würden die schnöde erworbenen Silberlinge bald versickern.

»Das Königliche Paar«, sagte Roç müde, »kann niemanden zwingen, sich dem Unbekannten anzuvertrauen wie einem fernen Stern, der den Weg auch nur denen weist, die auserwählt sind, ihn zu sehen, und die Kraft aufbringen, an ihn zu glauben.« Er machte eine Pause und lächelte Raoul zu. »Sagt mir nur noch, werter Belgrave, weshalb Monsignore Gosset sich nicht sehen lässt!«

Die Frage war dem Angesprochenen sichtbar unangenehm, er druckste herum.

»Ihr habt ihn rüde ausgesetzt, statt auf seinen Rat zu hören«, begann er vorsichtig. »Als wir in den Dienst des Sebastokrators traten –«

»Getreten wurden«, verbesserte ihn Mas nachtragend aus sicherer Distanz.

»– fanden wir Monsignore dort schon vor. Gosset ebnete uns den Weg, denn er stand bei den Nikäern in großem Ansehen als Botschafter des französischen Königs. Sie besorgten ihm eine Passage auf einem Schiff, und er verabredete sich mit uns hier in Antioch, wo er ›Quartier machen‹ wollte, ›auf dem Weg nach Jerusalem‹.«

»Hat er das tatsächlich gesagt?« Roç vernahm es ungläubig, aber gewillt, sich rühren zu lassen. »Wieso aber Antioch?«

»Das hing mit dem Mann zusammen, den er hier zu treffen hoffte –« Raoul verfiel plötzlich in Schweigen, als habe er schon zuviel gesagt.

Aber Mas hielt nicht an sich.

»Den Mönch, den er Euch zuführen wollte, hat er leider in die ›König Artus Tafelrunde‹ aufgenommen.«

»William?« entfuhr es Roç.

»Sehr wohl!« giftete Mas. »William von Roebruk, dieser verkommene Minorit! Angeblich Euer bester Freund!«

»So ist es!« empörte sich Roç. »Und ich will nicht dulden, dass jemand so über ihn spricht!« Sein Blick suchte den Belgrave. »Sorgt bitte dafür, dass der Sprecher schweigt oder verschwindet!«

Doch Mas hatte schon eingesehen, dass er zwischen Prügel seines Anführers und einer Entschuldigung zu wählen hatte. »Verzeiht meine harten Worte, edler Trencavel«, keuchte er in Atemnot, »aber der Franziskaner geht uns an die Eier, mit Verlaub!«

Raoul, der sich den Morency schon zur Brust genommen hatte, ließ ihn noch einmal laufen. Er lachte schallend und ausgiebig, sodass Pons sich zu einer Erklärung berechtigt sah.

»Monsignore spielt zwar den Beleidigten, in Wahrheit sorgt er sich nur um Euch, Trencavel. So hat er den William von Roebruk aus der Stadt Antioch zum Hafen hinunter kommen lassen, damit er Euch sogleich begrüßen könnte, wenn Ihr dann eintreffen würdet, was der Hafside avisiert hatte. Doch dieser, erlaubt mir zu sagen ›wenig keusche Franziskaner‹ hatte kaum unser trautes Heim betreten, da fiel schon sein Blick auf die Potkaxl!«

Da nahm Raoul ihm die Schilderung wieder ab. »Und seitdem treiben es die beiden, als hätten sie ein Gelübde abgelegt. Und unser geiler Dicker muss seitdem dreimal täglich auf den liebgewonnenen Aufhupfer der Toltekin verzichten – und auch Mas, der Wichser, darf nun wieder Hand anlegen, die eigene!«

Raoul fand das ungeheuer lustig, denn ihm schien die Abstinenz von der Potkaxl nichts auszumachen, doch Pons grollte.

»Wenn ich nur verstehen wollte, was unsere Prinzessin an dem zerrupften, rothaarigen Franziskaner mit zwei Kindern findet. Verheiratet ist er auch noch, oben in der Stadt, beim Fürsten!« schimpfte er.

Jetzt musste selbst Roç lachen, und das tat weh.

»Da könnt’ ich Euch etliche Damen feinsten Geblüts sagen, die sich nicht lange geziert haben!«

»Kurzum«, knurrte Mas, »wer wichst schon gern! Seit Williams Einzug in den Turm ist unser geordnetes Liebesleben im Eimer – und nicht nur das. Von morgens in der Früh bis in die tiefe Nacht müssen unsere Ohren das Rammeln und Kosen, Quieken und Grunzen, Brunzen und Stöhnen ertragen, ohne Unterlass, ohne Hoffnung auf eine Pause, in der –«

»Weiß William denn nicht, dass ich hier liege?«, unterbrach Roç die Klage.