Im Lügengespinst von Byzanz - Peter Berling - E-Book
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Peter Berling

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Beschreibung

Der Gral-Zyklus: In der aufregendsten Zeit des Hohen Mittelalters erzählt Peter Berling in 17 Romanen das Schicksal jener Kinder, die aufgrund ihres Blutes als Träger der Krone auserwählt wurden. Die Gral-Serie besteht aus 17 Bänden: – Das Geheimnis des Montségur – Der Häscher des Kardinals – Im Lügengespinst von Byzanz – Die Piratin der Ägäis – Kreuzzug ins Verderben – Schicksal am Nil – Höhle der Muräne Christi – Im Banne der Assassinen – Geiseln des Großkhan – Die Rose im Feuer – Das Geheimnis der Templer – Ein blutig Hauen und Stechen – Die Braut von Palermo – Die Spur des Kelches – Das Brandsiegel – Das Haupt des Drachens – Ein Teppich in der Wüste Roç und Yeza, den Kindern des Grals, ist mit der Triëre ›Äbtissin‹ die Flucht nach Konstantinopel gelungen. Auch der Franziskaner William von Roebruk erreicht die Hauptstadt des einst so prächtigen Byzanz zusammen mit den Königskindern. Doch noch ist der ›Große Plan‹ nicht erfüllt, das ›königliche Paar‹ soll zu den einzig anerkannten Herrschern der Welt gekrönt werdenVom Sultan aus Kairo, über den mit einem Bann belegten Stauferkaiser Friedrich II, bis hin zum mongolischen Großkhan, sie alle sollen Roç und Yeza als Friedensherrscher akzeptieren. Dann kann sich auch der Papst nicht mehr widersetzen. Eine glanzvolle Inszenierung in Konstantinopel soll den Anspruch der Königskinder unterstreichen und der Welt die Friedensherrscher präsentieren. Doch William von Roebruk, Roç und Yeza und weitere Unterstützer des heiligen Gral haben ihre Rechnung ohne die perfide Gewalt der römischen Kurie und die tückischen Listen der katholischen Inquisition gemacht. Der Festakt gerät zum mörderischen Massaker. William bringt sich für seine Schutzbefohlenen in höchste Gefahr, im letzten Augenblick gelingt den Kindern erneut die Flucht aufs offene Meer. Doch diesmal gibt es kein Ziel, keinen Hafen, der Schutz zu bieten verspricht … Ein spannender historischer Roman von Peter Berling, der gleichzeitig das große Epos »Die Kinder des Gral« aus der Zeit der Kreuzzüge als Teil III fortführt.

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PETER BERLING

Im Lügengespinst von Byzanz

Folge III des 17-bändigen Kreuzzug-Epos Die Kinder des Gral

Historischer Roman

WAS DAVOR GESCHAH IN FOLGE II

Der Häscher des Kardinals

Noch haben die ›Kinder des Gral‹ den für sie brandgefährlichen Boden des von Rom beherrschten Landes nicht verlassen können. Die Inquisition hat ihren übelsten Bluthund auf sie angesetzt: Vitus von Viterbo!

So wie der über Apulien gebietende Stauferkaiser Friedrich II. sich keineswegs des Förderns von Ketzerei bezichtigen lassen will, sind auch die Anhänger und Befürworter des Anspruchs auf die mystische Krone durch die ›Königlichen Kinder‹ untereinander verstritten und uneins, welche geeigneten Schritte zu unternehmen sind.

William von Roebruk, ein junger Franziskaner, ist seit ihrer abenteuerlichen Bergung vom Montségur auf der Spur der Kinder. Er hat sie in sein Herz geschlossen – und sie den dicken Mönch. Unfreiwillig, aber auch tölpelhaft, zieht William die Verfolger auf sich, gerät – kreuz und quer durch das gesamte Abendland gejagt – in die misslichsten Situationen, rettet die Tonsur auf seinem törichten Schädel oft nur in letzter Sekunde, bringt immer wieder die schon in Sicherheit gewähnten ›Kinder des Gral‹ in höchste Gefahr für Leib und Leben – bis er endlich mit ihnen vereint auf den Planken der rettenden Triëre von Otranto aus ins Ionische Meer sticht …

I ZUM GOLDENEN HORN

Der Durchbruch

Die päpstlichen Segler hatten alles Tuch gesetzt und waren auch zügig vorangekommen, doch bei dem Versuch, den Golf von Tarent – ein stauferisches Gewässer per se – in weitem Bogen zu umgehen, gerieten sie in eine Flaute, und noch vor dem Kap der Heiligen Maria von Lëuca mussten sie bei Ausentum wieder zu den Rudern greifen.

Ein Stöhnen ging durch die Reihe der Bänke, in denen die Füße der Sklaven angekettet waren. Das Peitschenknallen des Rudermeisters war die unausweichliche Antwort.

»Ich werde jetzt den Standort wechseln«, sagte der päpstliche Legat, der sich zu dem in Eisen gelegten Vitus begeben hatte, »sonst bekomm' ich noch eins über den Allerwertesten!« Er erhob sich.

»Ihr könnt mich hier nicht länger gefesselt lassen, Fra' Ascelin!« keuchte Vitus wütend. »Bevor wir Otranto erreichen, muss ich frei und Herr des Geschehens sein! Ihr wisst, worum es geht!«

»Das gefällt mir«, polterte der aufmerksame Rudermeister, der wohl abwarten wollte, bis der Herr Legat seinen schützenden Rücken von dem aufsässigen Sträfling abgezogen hatte. »Nicht nur Freiheit!« höhnte er. »Nein! Auch das Schiff! Ist das nicht Meuterei?« Er knallte noch einmal, bedrohlich näher kommend.

»Lasst es gut sein!« verwandte sich der Legat für das auserkorene Opfer und zwinkerte dem Peiniger zu. »Vitus ist ein reuiger Sünder, seine Strafe vermag nur Gott gerecht zu bemessen!« Damit schritt er eilig von dannen, während die Ruderer sich unter dem rhythmischen Knallen der Peitsche ins Zeug legten.

Fra' Ascelin drehte sich nicht mehr um, so konnte Vitus da unten in den Bänken nicht das befriedigte Lächeln erahnen, das seinen Ordensbruder im Rang eines päpstlichen Legaten bei jedem Schlag um die Mundwinkel zuckte, den der Galeerensträfling empfing. Canes Domini, Hunde eines gemeinsamen Herren, das musste noch lange nicht heißen, dass sie sich liebten wie Brüder!

Und Vitus von Viterbo zu lieben war wohl auch für den frömmsten Christen zuviel verlangt!

Ascelin begab sich zum Kapitän des Schiffes, einem Genuesen, den die Kurie für diese Mission angeheuert hatte, wie auch das zweite Boot, das ihnen im dichten Abstand folgte, ein genuesisches war. Sie fuhren, aus begreiflichen Gründen, ohne die Flaggen der Republik oder des Kirchenstaates zu zeigen.

»Euer Lieblingsruderer will mit Euch reden«, sagte er leise; er wusste, wie schlecht der Kapitän auf Vitus zu sprechen war. Wenn er, Ascelin, es auch auf seine Schultern genommen hatte, war dem Mann doch klar, wem man die Hetzfahrt hier in den Süden Apuliens, die ganze Nacht hindurch, zu verdanken hatte.

»Hat er immer noch nicht genug Prügel eingesteckt?« höhnte der geplagte Genuese und folgte widerwillig seinem hohen Gast, der sich eine Antwort ersparte. Man konnte nie wissen, wie sich die Dinge entwickelten; Vitus war das beste Beispiel für Aufstieg, Hochmut, Leichtsinn und Fall. Ihm, Ascelin, sollte dergleichen nicht passieren, er hielt sich bedeckt – nach allen Seiten! Deswegen auch das offizielle‹ Gespräch zwischen Häftling und Kommandanten.

»Gleich erreichen wir Otranto!« Vitus bemühte sich rudernd seine Beherrschung zu wahren. »Lasst mich frei – auf Ehrenwort!«

»Nein«, sagte der Kapitän, »und wir nehmen einen weiteren Umweg auch nicht auf uns –«

»Der Herr Legat kann es Euch befehlen!« Vitus keuchte vor Wut.

»Mein Befehl lautet, den Herrn Legaten nach Syrien zu bringen, damit er von dort aus auf dem Landweg nach Täbriz zu den Mongolen reist – und Euch, Vitus von Viterbo weder auf der Hin- noch auf der Rückfahrt, auch in keinem Hafen und unter keinen Umständen, freizulassen.«

»Dann bringt mich in Ketten nach Otranto!« änderte Vitus seine Taktik

»Wozu?« entgegnete der Genuese überlegen. »Erstens ist die Triëre schon längst auf und davon – wäre sie es nicht, würde sich auch nicht viel ändern. Das Kastell ist schon wegen seiner weitreichenden Katapulte unangreifbar!«

Vitus gab immer noch nicht auf. »Wir könnten auf dem Meer auf sie warten, – oder fürchtet Ihr die ›Triëre des Admirals‹?«

Der Kapitän ließ sich auch durch diesen Hohn nicht provozieren. »Worauf sollen wir warten? Kommen wir der Küste zu nahe, erkennen sie uns – bleiben wir zu weit auf See, können sie uns jede Nacht entkommen!«

»Schiff in Sicht!«, rief die Knabenstimme des Ausgucks. Um das Kap bog ein Schnellsegler; er hielt mutig auf die beiden Schiffe zu und hisste gleichzeitig die Fahne.

»Ein Pisaner!« Der genuesische Kapitän sprühte vor Angriffslust. »Setzt Segel und zeigt Farbe!«, brüllte er. »Was der kann, vermögen wir auch!«

So stieg das Banner Genuas zusammen mit den Schlüsseln des Patimonium Petri empor, zum Zeichen, dass ein Legat an Bord war. Doch der Pisaner antwortete mit Gleichem.

»Unverschämter!«, wetterte der Kapitän. »Diesen Trug sollst du mir büßen!«, und die beiden Genuesen beeilten sich, den Entgegenkommenden in die Zange zu nehmen. »Wenn du keinen Pfaff mit Brief und Siegel unseres Herren Papstes vorweisen kannst, dann schicken wir dich den Fischen Petri zum Fraß!«, schwor er dem Pisaner, der furchtlos auf die Päpstlichen zuhielt.

Ascelin nickte einvernehmlich; der trügerische Gebrauch der päpstlichen Insignien war zu strafen, und woher sollte wohl ein legatus Papae seinen Fuß auf die Planken eines kaiserlichen Schiffes setzen! So rauschten sie einander entgegen.

»Soll ich ausweichen?«, fragte der pisanische Kapitän den neben ihm stehenden Lorenz von Orta. »Sie sind zu schwerfällig und zu langsam, um uns zu folgen!«

»Nein«, sagte der Franziskaner. »Wir müssen sie ein klein wenig aufhalten, bis die Triëre gewisslich außer Sichtweite ist!« Ganz wohl war es Lorenz aber nicht zumute.

»Wenn sie uns beidseitig entern, haben wir keine Chancen mehr!«, beschwor ihn der Kapitän. »Lasst uns ihnen ein Schnippchen schlagen!«

Er riss das Steuer herum; das Schiff bäumte sich auf – einen Moment konnte man meinen, es wolle die Flucht ergreifen. Die Genuesen gingen deshalb beide voll in die Ruder, doch der Pisaner wendete blitzschnell in den Wind und schoss direkt auf das Flaggschiff der Genuesen zu.

»Ruder hoch«, brüllte der genuesische Kapitän, doch auf dem Schwesterschiff waren sie zu langsam. Der Pisaner glitt in voller Fahrt zwischen ihnen hindurch, und das Brechen von vielen Ruderblättern war deutlich zu hören. Die hilflosen Stümpfe sprachen ein beredtes Bild, als der Genuese Fluch und Blick hinüberwarf. Der Pisaner war entkommen!

»Nun könnt Ihr in Ruhe mit Eurem Kollegen sprechen!« lachte der pisanische Kapitän, beschrieb einen eleganten Bogen und kurvte auf der seezugewandten Seite zurück zum genuesischen Flaggschiff, bis sie auf Rufweite längseits waren.

Obgleich er nun Vertrauen in die Künste des Pisaners hatte, fürchtete Lorenz immer noch, der übermächtige Feind könnte sie entern und Hand an ihn legen. Verstohlen ließ er die verräterischen Lederschnüre der Assassinen über Bord fallen, als sie sich dem Genuesen näherten.

»Der Legat unseres Heiligen Vaters Lorenz von Orta«, ließ sich der Kapitän nicht nehmen hinüberzurufen, »auf der Heimreise aus dem Heiligen Land nach Lyon!« Und Ascelin, der neben den zähneknirschenden Genuesen getreten war, erkannte die kleine Gestalt des unbotmäßigen Franziskaners wieder, der ihm schon im Castel Sant' Angelo durch seine verschmitzte Frechheit aufgefallen war. Ihm war auch nicht entgangen, dass Lorenz etwas ins Wasser geworfen hatte.

Fra' Ascelin war ein guter Verlierer. Er trat an die Reling, und während er unauffällig eine von den Wellen herübergeschwemmte Schnur aus dem Wasser fischte, rief er: »Gute Heimreise wünsehen Anselm von Longjumeau und Vitus von Viterbo, beide Ordinis Praedicatorum, beide im Auftrag des Heiligen Vaters auf dem Weg in Terram Sanctam!«

Sie winkten sich zu, und bald war der Pisaner gen Kalabrien entschwunden, während der Genuese Kurs Süden nahm.

Ascelin stieg hinab zu den Ruderbänken und warf Vitus die Knotenbotschaft der Assassinen zu. »Einen schönen Gruß sollt ich Euch von Lorenz von Orta ausrichten, es war dem Künstler aus Zeitmangel nicht vergönnt, Euch in neuer Umgebung zu porträtieren!«

»Ihr hättet ihn ertränken sollen!«, knurrte Vitus, ohne aufzublicken. »Wäre ich ohne Ketten, ich hätt' ihn mit eigenen Händen erwürgt!«

»Deswegen rudert Ihr ja auch«, lächelte Ascelin, »damit Ihr Eure Hände nicht mit dem Blut von Legaten befleckt! Wenn Ihr wollt, Vitus, so werd' ich jetzt mit Euch beten!«

»Ach, geht zum Teufel!«, bellte Vitus in ohnmächtiger Wut. »Wie konnte ich nur glauben, ein Bruder gleichen Ordens und Legat dazu würde sich nicht gegen diese aufgeblasenen Genuesen, diese seemännischen Tagelöhner, durchsetzen! Kein Fischer auf den Seen um Viterbo hätte sich so dumm Ruder und Manöver aus der Hand fahren lassen wie diese Hilfsmatrosen der Seerepublik!«

Vitus hatte sich so in Rage geredet, dass er nicht wahrnahm, wie hinter seinem Rücken Kapitän und Rudermeister Aufstellung genommen hatten. Ascelin faltete die Hände und ging laut vor sich hin betend ab. Das sofort einsetzende Klatschen der Peitsche übertönte sein »Ave Maria, gratia plena …!«

Die Äbtissin

Chronik des William von Roebruk

Ionisches Meer, Frühjahr 1247

Die Triëre glitt der Sonne entgegen. Die leuchtende Scheibe stieg blendend empor, die leicht gekräuselte See vor unseren zugekniffenen Augen in einen Teppich aus purem Gold verwandelnd, der uns einladend entgegenrollte. Ex oriente lux[1]!

Doch hart nach Süden schlug jetzt Guiscard das Steuer, kaum dass alle Segel gesetzt waren. Die Kinder hatten sich zu dem Amalfitaner gesellt, Clarion sich schlafen gelegt, und ich strich die Reihen der Ruderer entlang, die ihre Hölzer längs den Planken eingelegt hatten und sich von dem verbissen-schweigsamen Sturmritt aus dem schützenden Otranto bis hierher mitten ins Mare lonicum nun mit lauten, derben Zurufen erholten. Sie streckten ihre Glieder, schöpften schnaufend in ihren stickigen Verschlägen den Atem der frischen Brise, die ihren Schweiß jetzt bis zum Steg hinauf wehte. Die meisten jedoch blieben gekrümmt; die Köpfe gebeugt, hüllten sie sich in Decken, die man ihnen von oben zuwarf.

Nur die oberste Reihe, ihre sensenbewehrten Lanzenruder im Stakett aufgestellt, überblickte während der Fahrt das Meer, konnte dem Feind auf gegnerischem Schiff ins Auge sehen. Diese Männer riskierten als erste ihre Haut, wenn sie im Hagel der Pfeile ihre furchterregenden Klingen führten. Es waren verwegene Gestalten, die sich ihrer herausgehobenen Stellung bewusst waren – gegenüber dem gemeinen Fischerpack im Frondienst des Unterdecks. Die lancelotti waren der Stolz der Herrin von Otranto; sie kannte jeden bei Namen. Es waren meist Normannen, und manch einer war ritterlichen Geblüts. Sie standen im guten Sold der Gräfin und waren an Prisen und Beute beteiligt, genau wie die schwäbischen Katapulteure, die katalanischen Armbrustiers und die griechischen Bootsmänner, wahre Meister unter dem Segel. Dazu kamen die wilden moriskos, in deren Adern maurisches Blut rollte, die im Entern zum Kampf Mann gegen Mann ausgebildet waren.

Alles in allem verfügte Laurence mit ihrer vollbemannten Triëre über mehr denn zweihundert wehrkräftige Arme und das Holzbein ihres Kapitäns. Der Stumpen trug Guiscard mehr Respekt ein als alle Narben, und die Mannschaft verehrte es wie eine Reliquie – am liebsten hätte sie den Bocksfuß vorn an den Rammdorn genagelt oder wie die Flagge von Otranto hoch oben am Hauptmast gehisst.

Der Gefechtsstand am Heck trug die schießschartenbewehrte cabana der Gräfin, durch ein baldachinartiges Zelttuch zur überdeckten Terrasse erweitert, wenn gerade kein Feind zu erwarten war. Die Bootsmänner zurrten gerade noch die Seile fest, legten den Boden mit Teppichen aus, und Laurence lagerte sich auf ihren bereitgestellten Diwan. Sie winkte mich zu sich.

»William«, sagte sie matt mit seltenem Sanftmut, »setz dich zu mir!« Die Aufregungen der letzten Tage hatten sie doch mehr mitgenommen, als sie sich zugeben mochte – immerhin war sie nicht mehr ganz die Jüngste. »Du gehörst ja fast schon zur Familie. Die Kinder lieben dich – übrigens, was treiben sie?«

Ich schaute hinüber zum Bug, was ihr ihre zunehmende Kurzsichtigkeit nicht mehr vergönnte. Yeza war am Vormast angebunden und diente Roç als Zielscheibe. Zu meiner Beruhigung sah ich, dass Guiscard ihm beibrachte, den Bogen richtig zu halten.

»Sie spielen mit dem Amalfitaner«, antwortete ich leichthin, obgleich mir der Atem stehen blieb, als ich den Pfeil fliegen und unter Yezas Achselhöhle zitternd im Holz stecken bleiben sah. »Sie lassen sich das Manövrieren eines Schiffes erklären«, log ich mit unbeteiligter Stimme.

»Die Triëre ist kein Schiff wie die anderen«, sagte versonnen Laurence, »sie ist ein Tier, ein Fabelwesen aus einer anderen Welt. Als ich sie zum ersten Mal auf mich zurasen sah, dachte ich, der gischtige Schlund der Hölle habe sich mitten auf dem Meere aufgetan, um mich und meinen Kahn zu verschlingen, zu zermalmen. Ich war vogelfrei, hatte Aufbringung und kurzen Prozess zu gewärtigen und hatte mich nichtsdestotrotz zu weit die Adria hinaufgewagt, um meinen Halbbruder zu bergen, worum mich Freund Turnbull gebeten hatte. Er kam nicht; die Päpstlichen hatten meinen törichten dicken Bischof umgebracht, bevor er sich zur Küste aufraffte. Ich wartete, kreuzend, zu lange – so schoss die Muräne aus ihrem Felsenloch, wohlfeile Beute witternd – in des Wortes wahrster Bedeutung, denn ich hatte nur übles Korsarenpack an Bord und vor allem – Mädchen!«

»Wie – Ihr handeltet mit Mädchen?«

»Nein, mit Männern!« Laurence lächelte grimmig. »Ich war keine unbekannte Piratin, für Geld jedermann zu Diensten. Daher in kaiserlicher Reichsacht und vom Grauen Kardinal als falsche Äbtissin und Ketzerin auf die geheime Liste der Inquisition gesetzt, was schlimmer ist als jede Exkommunikation. Und jetzt war ich in den Fängen von Friedrichs Admiral, Enrico Pescatore, denn die Triëre war sein Flaggschiff. Ich sah uns schon, mich an der Spitze, in die Rahen meines armseligen Seglers gehenkt. Ich verbot jedwelche Gegenwehr, in der absurden Hoffnung, wenigstens die Hälse meiner Mädchen vor der Schlinge retten zu können. Der Admiral, ein alter Haudegen und für seine Rigorosität berüchtigt, kam an Bord, schritt mit blanker Waffe auf mich zu – und stürzte wie vom Donnerwetter gerührt zu Boden. Er kniete vor mir und bat um meine Hand …«

Die Gräfin war bei ihrer Erzählung in Fahrt gekommen, Funken sprühten in ihren grauen Augen; das war wohl die alte Laurence, von deren männerbetörenden Reizen und Grausamkeit man mir gemunkelt hatte.

»Nun – wie du schon gehört haben wirst, wenn's auch nicht für eines Minoriten Ohren bestimmt sein mag« – sie lächelte mir maliziös zu, sich an meiner Verlegenheit weidend – »mach' ich mir ja nichts aus Männern.« Ich nickte ergeben, damit sie fortfahren konnte. »Angesichts des erhöhten Ausblicks vom Mast aufs Meer samt einem Strick als Halsgeschmeide währte mein Zögern nur die gebührliche Länge. Doch kaum meines Sieges sicher, ritt mich der Teufel: Ich bedang mir aus, noch vor der festlichen Trauung meine persönlichen Angelegenheiten ordnen zu dürfen. Ich versprach Enrico feierlich die Ehe, beschwor bei allen Heiligen, dass ich in zwei Monden in Otranto zu ihrem Vollzug eintreffen würde. – eine Vorstellung, vor der mir so grauste, dass ich fast ohnmächtig wurde; dabei war der Admiral zwar schon an die Siebzig, aber noch rüstig. Er ließ mich meine verlogenen Beteuerungen – in wohlgesetzten Worten, wie es einer Dame ziemt – seelenruhig beenden, um mir dann herauszugeben: ›Ihr seid keine Heilige‹, so weidete er sich an meiner Pein. ›Schwört mir bei Eurer fica[2], dem goldenen Vlies, das angeblich noch kein Mann besessen‹ – einige seiner Soldaten lachten laut, doch sein Blick brachte sie zum Schweigen –, ›dass Ihr in genau sieben Wochen – von heute an – zu Otranto in meinem Bette liegt!‹

›Ich schwöre bei meiner Möse, meinen Titten, meinem Arsch‹, sagte ich laut, und keiner lachte mehr, ›dass ich dann dort die Beine breitmachen werde, wie mein Gebieter es befiehlt!‹«

Sie erwartete wohl, dass ich einen roten Kopf bekam ob dieses Ausbruchs ins Vulgäre, und das aus gräflichem Munde, denn Laurence lachte mir schamlos ins Gesicht.

»Die heilige Clara[3] – ich hatte das Privileg, diese Betschwester deines Francesco kennenzulernen – hätte sicher andere Worte gefunden. Mir lag der Strick um den Hals – und weißt du, William, wie schwer dann plötzlich dein Hintern wird? Drauf geschissen!« Ich schlug die Augen nieder.

»Enrico ließ sich von meiner ehrlichen Absicht überzeugen. Wir hatten uns verstanden, meinte er wohl. Er küsste mir galant die Hand. Später erfuhr ich, dass er die Lacher unter seinen Leuten gleich danach aufknüpfen ließ. Mir streifte er einen kostbaren Ring über, ein Familienerbstück der Pescatore, das ich heute noch in Ehren halte – sieh her!«

Sie hob ihre faltige Hand und ließ den schweren Schmuck in der Sonne aufblitzen: ein von Saphiren eingefasster länglicher Aquamarin, wie ich ihn in solcher Größe und Reinheit noch nie gesehen. Ich bestaunte ihn ehrfürchtig und ausgiebig, schließlich muss man sich ja die Zuhörerschaft extravaganter curricula[4] irgendwie verdienen, doch ausgerechnet jetzt wurde nach mir gerufen, und zwar aufgeregt und heftig. Ich sprang auf.

»Was ist?«, fragte unwillig Laurence, in ihren fernen Erinnerungen versunken.

»Man ruft mich zum Essen!«, stammelte ich mit gespielter Scham; denn mir schwante, dass etwas mit den Kindern war.

»Ich erwarte Euch zurück«, sagte sie huldvoll, »sobald Ihr Euer schwaches Fleisch gestärkt habt.«

Sie dachte wohl an den Degen in der Hose des ›rüstigen‹ Admirals, der ihr nun statt des Stricks gewiss gewesen. Und ich eilte durch die Rudergänge der Triëre hinüber zum Steven, wo sich einige Matrosen und die aufgeregten Zofen um Roç kümmerten, der auf den Planken lag und aus einer leichten Halswunde blutete.

Yeza, ihren Dolch noch in der Hand, kniete bei ihm und bemühte sich, das quellende Blut aus der Wunde zu saugen. Sie tat es mit Sachkenntnis und einer wilden Verzweiflung, ihr Mund war blutverschmiert, und sie flüsterte: »Oh, Roç! Roç! Wenn du stirbst, gebe ich mir den Tod!«

Da tauchte Guiscard wieder auf, der einen ganzen Stab ineinander gesteckter Dolche anschleppte, dazu ein Säckchen mit Kräutern.

»Er wird nicht sterben«, beruhigte er das kleine Mädchen und reichte ihr ein Stück trockenes Moos. »Press das auf die Wunde, bete ein Ave Maria, und –«

»Kenn' ich nicht«, entgegnete Yeza, die schon wieder Oberhand hatte, aber sie tat den Samariterdienst, wie ihr geheißen.

»Dann sing ein Wiegenlied!« lenkte der Amalfitaner ein, doch jetzt wurde der blasse Roç wieder munter.

»Ich bin kein Säugling«, murrte er, »ich brauch' keine Amme!«

Er schob ihre Hand weg und presste selbst das Gewächs auf die Schnittwunde, richtete sich auf und stellte sich leicht wankend wieder an den Mast, wo wohl das Unglück passiert war. »Zeig ihr, wie man werfen muss!«

Der Amalfitaner nahm Yezas Dolch und wog das Heft in seiner Hand. Dann, mit einer blitzschnellen Bewegung, die keiner hatte kommen sehen, schleuderte er die Waffe direkt über Roç' Kopf in das Holz, kaum dass einem Blatt Platz über seinem Haar blieb.

»Dies sind Wurfdolche, wie sie die Assassinen benutzen«, erläuterte er den Kindern. »Deswegen wiegen die Griffe so schwer und sind die Klingen relativ kurz. Sieben Fingerbreit reichen für jedes Herz!« scherzte der alte Haudegen. »Du musst sie an der Schneide packen«, wandte er sich an Yeza, »und aus der gleichen Bewegung heraus auch schon fliegen lassen …«

Ein weiteres Messer sauste neben Roç' Ohr, so dicht, dass er die Kühle des Stahls fühlen konnte.

»Am besten, du trägst ihn hinter der Schulter in der Kapuze oder im Haar verborgen. Da kommt keiner drauf, und dein Griff nach ihm ist völlig unverfänglich.«

Als ob er sich am Kopf kratzen wollte, hatte Guiscard ein drittes Messer aus seinem Kragen gezogen, und schon steckte es zitternd auf der anderen Seite des Jungen im Mast.

»Jetzt will ich!«, schrie Yeza, balancierte ihren Dolch, die Spitze nach vorn, auf ihrem blonden Lockenkopf, alle waren still geworden. Sie griff mit geschlossenen Augen langsam nach der Spitze und schleuderte wütend mit der ganzen Kraft ihres kleinen Körpers die Waffe Richtung Mast. Sie stak genau da, wo Roç' Herz sich befunden hätte, wenn er sich nicht – in letzter Sekunde – auf einen Wink Guiscards hin hätte hinabrutschen lassen.

»Mädchen und Messer!«, seufzte er, die Augen verdrehend, während Yeza mit Tränen des Zorns kämpfte.

»Ich kann auch mit geschlossenen Augen zielen!«, erklärte Roç und nahm Bogen und Köcher wieder auf, was mich nötigte, nun einzugreifen.

»Wie wär's«, sagte ich lächelnd, »ihr würdet erst mal ohne lebende Scheibe treffen lernen?«

»Falsch«, knurrte Guiscard, »Ziel muss leben!« Er zog eine Goldmünze aus der Tasche und schlug sie mit bloßer Faust in das Holz, dass sie haften blieb. »Wer sie zuerst trifft, ohne dass sie herunterfällt! – der darf sie behalten.« Die Kinder juchzten und nahmen wieder Aufstellung. Ich kehrte zu Laurence zurück.

Sie war eingeschlafen, deuchte mich. Doch als ich mich wieder auf Zehenspitzen entfernen wollte, schlug sie die Augen auf.

»William«, eröffnete sie mir mit Bestimmtheit, »ich ernenne dich zum ersten Schiffskaplan auf diesen Planken. Mir ist nach einer wohligen Beichte zumute!«

Ich hockte mich zu ihren Füßen, um ganz Ohr zu sein. »Nein«, verwies sie mich, »ich will knien, und du setzt dich hierhin.« Und so geschah es auch, sie war die Herrin.

»Ich durfte mein Schiff behalten«, fuhr sie fort, »und meiner Mannschaft wurde kein Haar gekrümmt, wenngleich die Soldaten des Admirals gar sehr nach meinen Mädchen gierten. Ich segelte unbehelligt von dannen und machte mir eigentlich erst jetzt Gedanken, wie ich mit meinem geschenkten Leben und der eingegangenen Eheverpflichtung – denn mein Wort hatte ich gegeben – umgehen wollte –«

»Ein Priester hätte Euch von diesem Verlöbnis –«, warf ich ein, doch sie fuhr mir über den Mund:

»Lass deine bigotte Kirche aus dem Spiel, William! Der Pakt zwischen Enrico und mir hatte nicht nach ihrem Segen gefragt, noch bedurfte er ihrer Lösung – die konnte nur in der Hölle vollzogen werden.«

Ich bekreuzigte mich schnell, was sie geflissentlich übersah.

»Zwischen Teufeln und Räubern gibt es genügend Ehr'! Ich nahm Kurs auf Konstantinopel. Meinen Mädchen war nicht wohl bei dem Gedanken …«

Laurence schaute versonnen übers Meer, schließlich fuhren wir wieder gen jenes Byzanz ihrer Erinnerungen.

»Wir hatten die Stadt, das Bordell am Hafen, das unser Haushalt war – es ist über zwanzig Jahre her, doch damals waren gerade erst fünf verstrichen – unter widrigen Umständen überstürzt verlassen müssen. Einige hatten inzwischen, obgleich sie bei mir blieben, geheiratet und Kinder bekommen und wollten nicht mehr mit ihrer Vergangenheit konfrontiert werden – oder ihnen steckte noch schlicht die Angst in den Knochen; denn gestäupt und gebrandmarkt wird man ungern zweimal. Ich sagte: ›Kinder, schöner seid ihr nicht geworden; für den Sklavenmarkt seid ihr zu alt, keiner wird euch erkennen, vor allem wenn ihr wieder eure alte Nonnentracht aus den Kisten holt, nicht flucht und spuckt und es nicht auf offenem Deck wie Huren treibt!‹ Und so legten wir an den Landungsbrücken bei der Einfahrt zum Goldenen Horn an.

Ich begab mich sogleich zu einem alten Bekannten, Olim, dem Oberhenker, der oft in brenzligen Situationen seine Hand – gegen Überlassung von ein paar hübschen Knaben, versteht sich – über uns gehalten hatte oder, wenn es sich nicht vermeiden ließ, sein Brandeisen nur kurz ansetzte, an Stellen, die nicht jedem gleich ins Auge fielen. Ich ließ mich von Olim durch das Gefängnis führen – ohne recht zu wissen, wonach ich Ausschau hielt.

Dann sah ich den jungen Mann; er gefiel mir auf Anhieb, weil er anders war als die anderen. Ein Fremder mit fernöstlichem Gesichtsschnitt, hoher Stirn und mandelförmigen Augen, die mich verträumt, doch ohne Trauer, ansahen; er lächelte ob meiner Neugier.

Ich fragte Olim, den Henker, was er über ihn wisse, und erfuhr als Erstes, dass er ihn morgen früh köpfen müsse. Er sei wohl ein Heide aus dem fernsten Osten, wo hinter der Eisernen Pforte, sogar noch weiter als der Fluss Ganges, seltsame Völker hausten, die sich ›Tataren‹ nennen und auf das Kommando eines gewissen Priester Johannes hörten, von dem es hieße, er wäre Christ… Jedenfalls sei der Jüngling als Spion verurteilt, obgleich der Hinrichtungsgrund wohl eher der sei, dass keiner seine Sprache richtig verstünde. Für ihn sei der Fremde ein Prinz; er habe so edle Züge und auch sein Betragen sei von nobler Freundlichkeit – wenn auch völlig uninteressiert an seinem Schicksal, das er ihm behutsam versucht habe klarzumachen.

Ich zahlte Olim einige Goldstücke dafür, dass er mich diese Nacht mit dem Gefangenen allein ließe, und man führte mich zurück zu dessen Zelle. – William«, wandte sich Laurence besorgt spöttisch an mich, immer noch zu meinen Füßen knieend, »sitzt Ihr bequem? Ertragt Ihr, was nun folgt?«

»Eure Beichte foltert meine Seele«, gab ich zu, »doch bitt' ich Euch, hohe Herrin, nicht abzulassen!« Ich schuldete ihr diese Freimut, und ich mochte mich nun auch nicht schämen ob solcher Kühnheit, doch schloss ich die Lider; grausame Lust, ins Auge sehen wollt' ich ihr nicht.

»Hinter mir fiel die Gittertür ins Schloss, und ich vergaß die Welt, die Umgebung des Kerkers, die anderen Gefangenen hinter den Eisenstangen. An meiner Absicht ließ ich keinen Zweifel. Ich trat vor den Jüngling, der sich bei meinem Eintreten erhoben hatte, kniete nieder – schmiegte mich an seine Lenden, ergriff seine Hand, deren Fläche ich küssend leckte, bevor ich seinen Gürtel löste und ihm sein ledernes Beinkleid abstreifte. Er zog mich zu sich empor und schaute mir in die Augen, doch seine Arme beugten mich mit Stärke hintüber. Ich ließ mich in sie fallen, und im Fallen öffnete sich meine Robe.

Er bettete mich auf dem nackten Boden und drang in mich ein, ohne den ruhigen Fluss seiner Bewegung zu ändern. Ich war schon über vierzig, mein Rosenhag kannte die zitternden Küsse, die fiebrigen Finger und die erregten Zungenspitzen der Gespielinnen, aber nie war ein Mann in den Garten eingedrungen, hatte mich durch seine Pracht geführt – ich dachte, sie nimmt kein Ende, ich fuhr mit ihm durch das Dickicht von taubekränzten Blüten und Dornen, von denen Blutstropfen stieben, ich glitt mit ihm durch das Moos eines tiefen Brunnen, immer tiefer, ich bekam keine Luft mehr, wir tauchten in das klare Wasser, dorthin, wo kein Lichtstrahl mehr dringt, mir dröhnte der Kopf, ich ließ mich sinken zum Sterben, zum erlösenden Tod des Ertrinkens in der Nacht, weiter, weiter – da platzten die Adern in meinem Gehirn, eine Lichtquelle im Innersten der Erde zerbarst mir ins Gesicht, lodernde Lava verbrannte mich, und ich hörte meinen Schrei – ich schrie und ich wurde erhört: der Mann ließ mich nicht liegen in dem Höllenschlund, mit gleich ruhigen Schüben führte er mich zurück ans Licht, ich sah den Himmel wieder und sah ihm in die Augen. Er lächelte –«

Ihr Atem ging schwer, ich wagte nicht sie anzuschauen; ich war berührt, aber nicht peinlich.

»Wir liebten uns noch oft in dieser Nacht«, fuhr Laurence mit rauer Stimme fort. »Je mehr das graue Licht des herandrängenden Morgens den bergenden Mantel der Nacht auflöste, desto wilder geriet unser Umarmen. Ich schlang meine Beine um seine Hüften, meine Nägel krallten sich in seinen Rücken, Schweiß floss von unserer Haut, und unser Fleisch klatschte in dem hemmungslosen Stakkato unserer sich attackierenden Leiber, das wir nicht einmal unterbrachen, wenn wir gierig nach dem Wasserkrug griffen, um unseren Kehlen das Atmen zu ermöglichen; wir verschmolzen ineinander in anbrandenden und verebbenden Wellen, wir klammerten uns aneinander wie Ertrinkende und gaben uns doch zu trinken, dass wir in unserer Lust schwammen. Das fahle Licht zeigte uns mehr und mehr die Endlichkeit unserer Körper, wir wussten beide, es geht zu Ende … Mein Kopf war leer, das Dröhnen dahin. Eine Müdigkeit, gegen die sich nur noch meine Seele wehrte, ergriff Besitz von meinen Gliedern, ich gab ihr erschlaffend nach, unfähig, noch einen Laut herauszubringen. Ich spürte, wie in tiefer Ohnmacht, dass er mich verließ.

Das Eintreten von Olim und seinen Gehilfen hatte ich nicht gehört. Sie lösten ihn sanft von mir und führten ihn weg. Ich beschloss, die Augen nie wieder zu öffnen, doch dann kehrte er noch einmal zurück; ich fühlte, wie er etwas auf meinen immer noch bebenden Busen niederlegte – kühl und zart. Ich wusste, dass er lächelte, und ich lächelte zurück, ohne meine Augen zu öffnen.

Ich wartete, bis die Schritte verhallt waren, dann stand Laurence auf – eine andere Frau. Sie trat an das vergitterte Fenster. Im Hof beugte der fremde Jüngling seinen Nacken – sie sah Olims gekrümmtes Richtschwert blitzen. Laurence wandte ihren Blick erst ab, als der Henker das abgeschlagene Haupt in die Höhe hob. Sie hatte sichergehen wollen, dass der Mann, den sie sich genommen hatte, nicht mehr war …«

Mein Räuspern, das meine Beklommenheit löste, ließ auch die Gräfin wieder zu sich finden.

»Der Rest meiner Beichte ist leicht erzählt. Ich fand mich wie versprochen bei meinem Verlobten in Otranto ein –«

Ich unterbrach sie mit meiner unziemlichen Neugier. »Was hatte Euch der Fremde gelassen?«

»Ein Amulett, ein östliches Glückssymbol, eine Jadescheibe an einem einfachen Lederband – doch davon später!« Laurence hatte sich wieder vollkommen in der Hand. »Es war die letzte Fahrt der ›Äbtissin‹ – so hießen Schiff und seine Herrin hinter vorgehaltener Hand. Ich ließ es meinen Mädchen und ihren Gesponsen, sobald sie mich bei Kap Lëuca abgesetzt hatten, wo mich der Admiral mit allem Pomp in Empfang nahm –«

»Ich habe läuten hören«, ich kehrte jetzt mal den Beichtvater heraus, »Ihr hättet das Schiff vorher heimlich angebohrt …«

»Geschwätz!« zischte die Gräfin. »Ihr seht ja selbst, William, ich mache aus meiner Vergangenheit keinen Hehl und aus meinem Herzen keine Mördergrube!«

»Schamlosigkeit und Grausamkeit sind schwere Sünden, für die man büßen muss – vorausgesetzt, Ihr seid bereit, Gräfin, sie einzusehen, zu bereuen und Buße zu tun?«

»Ich bereue nichts!«

»So steht auch zu befürchten« – luzid sah ich plötzlich die Gefahr und wusste mir nicht anders zu helfen, als sie auszusprechen –, »dass Ihr mit Eurem unwürdigen Beichtvater verfahrt wie mit den übrigen Mitwissern und Komplizen Eures verwerflichen Lebens –«

»William«, sagte sie kalt, »werft Euch nicht zum Richter auf. Eure lächerliche Existenz ist zwar in meiner Hand, aber ich werde mir diese nicht beschmutzen, um ihr ein Ende zu bereiten, nur weil ich Euch als Kübel benutzt habe. Euch schützen nicht Euer armseliges Gewand noch Euer Holzkreuz auf der Brust, sondern einzig und allein Roger und Yezabel, die an Euch hängen – und an denen Ihr hängt wie eine Klette! Mit dem Schicksal der Infanten vollzieht sich auch das Eurige. Meines wird höheren Ortes entschieden. Entsprechend unterscheidet sich auch meine Moral von der Euren.«

»Ich bin willens zu lernen – und zu schweigen, Herrin«, entgegnete ich. »Wenn ich's so besehe, habe ich vielleicht auch noch das Zeug zum Kardinal, oder gar zum Papst! Dann will ich Euch Eure Güte vergelten.« Mit den letzten Worten rutschte ich von dem Diwan und warf mich ihr zu Füßen. »Verfahrt mit mir, wie es Euch beliebt – aber fahret fort!«

Laurence musste lachen. »Ich vergebe Euch, William!« Sie nahm wieder den ihr angestammten Platz auf dem Diwan ein.

»Enrico«, berichtete sie weiter, »feierte unsere Vermählung mit einem rauschenden Fest, das ihn ziemlich betrunken in das Brautbett fallen ließ. Ich sorgte dafür, dass er seiner ehelichen Verpflichtung dennoch nachkam und gab auch den obligaten Blutsflecken im Laken am Morgen zur Besichtigung frei. Nach knapp neun Monaten wurde ich eines Knaben entbunden – Hamo, mein Sohn. Enrico war außer sich vor Freude und erhob nicht länger Anspruch darauf, zwischen meinen Beinen seine Männlichkeit unter Beweis zu stellen. Sein Kaiser hatte ihn in Anerkennung seiner langjährigen Dienste zum Grafen von Malta gemacht; als solcher hatte er schon Yolanda, die Kindsbraut Friedrichs, aus dem Heiligen Land heimgeholt. Als der Staufer in jener berüchtigten Hochzeitsnacht von Brindisi statt ihrer eine der Kammerzofen schwängerte – eine Tochter seines Freundes Fakhr-ed-Din übrigens, Wesir des Sultans –, wurde die werdende Mutter der diskreten Obhut des Admirals zu Otranto übergeben. Sie genas dort eines Mädchens –«

»Das ist Clarion?« war es mir vorwitzig entfahren.

»Clarion von Salentin war schon fast drei Jahre alt, als ich in Otranto einzog. Sie war dort geblieben, obgleich ihre Mutter inzwischen im Harem von Palermo willkommen war; denn Königin Yolanda war im Kindbett gestorben. Ich übernahm die Erziehung des Mädchens, was mir Friedrich dankte, indem er mir – nach Enricos Tod auf Malta – die Grafschaft Otranto samt der Admirals-Triëre beließ.«

Vom Bug her ertönte wieder Geschrei; eine Frauenstimme kreischte. »Die Gräfin Salentin möge sich beherrschen!« lautete sarkastisch die Anweisung der Gräfin an mich, und ich beeilte mich ihr nachzukommen; denn sicher waren die Kinder die Ursache für das unstandesgemäße Betragen der armen Clarion.

Und so war es denn auch. Roç und Yeza hatten ein neues Opfer gefunden. Clarion war sich wohl nicht bewusst gewesen, auf was sie sich einließ, als die Kinder ihr vorschlugen, sich an den Mast fesseln zu lassen. Als dann Roç mit Pfeil und Bogen und mit geschlossenen Augen vor sie hintrat, schrie sie gellend um Hilfe. Guiscard befreite sie, gerade als Yeza ihren Dolch – sie ließ sich Zeit und vergnügte sich an der Hysterie des Opfers – ihr mit Schwung zwischen die Beine platziert hatte. Der Amalfitaner spendete Yeza kein Lob

»Ein Skorpion, der daherkommt mit Trommeln und Trompeten, kann sich gleich lebendig verbrennen lassen!« Er zog das Messer aus dem Holz und warf es – ohne sich dabei umzudrehen –Yeza vor die Füße, dass es in der Decksplanke stecken blieb. »Ein Dolch muss überraschen!« grinste er und half dem kleinen Mädchen, die festsitzende Waffe wieder aus dem Holz zu ziehen. »Doch ohne Hast! Vergiss nie, du hast nur einen!«

Yeza stopfte sich die scharfe Klinge, Griff nach unten, hinter dem Kragen in den Kittel, den sie eigens dafür gelöchert hatte. Sie sann auf eine neue Möglichkeit, ihre Fähigkeit unter Beweis zu stellen. Ich sah es an ihrem zusammengekniffenen Mund und vor allem an der steilen Falte auf ihrer Stirn.

Jetzt war es bald drei Jahre her, dass ich sie kannte, ein früh gereiftes Kind, doch ihren Trotz hatte sie nicht verloren. Roç tat sich immer schwerer – er war jetzt wohl sieben –, den geringen Altersunterschied noch sichtbar werden zu lassen. Sie überholte ihn, obgleich sie ›nur‹ ein Mädchen war, und ausgerechnet auf Gebieten, die doch ›Männern‹ vorbehalten waren. Der Dolch steckte tief in seinem Gemüt, und sein Kinderbogen machte ihm eigentlich keine rechte Freude mehr.

Guiscard konnte sich gut genug in den Jungen hineinversetzen, um sein Dilemma zu erkennen. Die Goldmünze stak noch immer im Mastbaum.

»Den guten Bogenschützen – und nur der lebt lange –«, richtete er ihn väterlich auf, »zeichnet Besonnenheit und Konzentration aus.« Er hängte ihm den Köcher auf den Rücken, sodass die gefiederten Pfeilenden über seine schmalen Schultern ragten.

»Seine innere Sicherheit erwächst ihm durch den fließenden Ablauf der Bewegungen«, wies er Roç an, »der Griff nach dem Pfeil, sein Auflegen, das Spannen der Sehne im Zurückgleiten, im Anwinkeln des Armes, sind schon Teil des Zielens. Das Loslassen erfolgt genau dann, wenn das Höchstmaß an Bogenspannung sich mit dem Ziel im Visier vereint.«

Roç hatte wie in Trance versetzt die Anweisungen befolgt; sein Schuss nagelte die Münze an den Mast.

»Der Siegestreffer«, schloss der Amalfitaner aufatmend ab, triumphierend über den Erfolg seiner Schule, »ist nur noch die logische Folge!«

Er wollte gerade vortreten, um den Pfeil mit der Münze herausziehen, als Yeza direkt vor seiner Nase und dicht vor seiner zugreifenden Hand ihren Wurfdolch durch die Luft wirbeln ließ. Die Klinge drängte die Pfeilspitze zur Seite und halbierte das Goldstück.

»Halbe-halbe«, krähte Yeza. Seit sie kaum noch lispelte, bekam ihre Stimme oft einen metallischen Klang, wenn sie aufgeregt und glücklich war. Guiscard gab jedem der Kinder eine Hälfte, und sie liefen los, quer durch die Ruderbänke, um allen die Siegesbeute zu zeigen.

Die lancelotti liebten die Kinder abgöttisch, sie hätten sich für sie in Stücke hauen lassen. So bedachten sie deren Leistung mit Bravorufen und ließen ihre Sichelruder scheppernd aneinanderschlagen, was gar Furcht einflößend klang, aber höchste Ehrung und Respektsbezeugung bedeutete.

Die Kinder waren davongerannt, Clarion und ich versuchten ihnen zu folgen, ein vergebliches Mühen. Ich gab auf.

Laurence lagerte auf ihrem Diwan.

»Und was geschah mit dem Amulett Eures Fremden?« knüpfte ich an unser vorheriges Gespräch an.

»Gleich nach der solennen Bestattung des Admirals nahm ich die Scheibe aus grüner Jade, eine schöne Filigranarbeit, aus meiner Schatulle und legte sie meinem Sohn um den Hals. Sollte er dereinst einmal in das Land seiner Väter gelangen, oder den Mongolen sonst wie in die Hände fallen, werden sie daran vielleicht erkennen, von welchem Geschlecht er abstammt –«

»Hamo l'Estrange – ein Tatarenprinz? Gar noch verwandt mit Dschingis Khan?«

»Wer weiß«, lächelte die Äbtissin. Clarion kam erschöpft von der nutzlosen Jagd und ließ sich zu ihren Füßen nieder. Ich war verabschiedet.

In Erwartung der Dinge

Der Bischof hatte für sich und seinen jungen Gast auf der Balustrade den Tisch decken lassen, wohlbeschattet von weißen Sonnensegeln.

Yarzinth, der gerissene Koch mit den kunstfertigen Händen, tranchierte selbst seinem Herrn den köstlichen Chapon, dessen Fleisch schon deswegen so zartfaserig ausfällt, weil er sich nur von Langusten ernährt. Yarzinth fasste behutsam ins grässliche Maul des gefürchteten Schalenknackers und löste die rötlichen Bäckchen hinter den Kiemen. Nachdem er jede einzelne Gräte und die raue Haut entfernt hatte, drapierte er den Fisch mit Hilfe von gedünsteten άοπάραγοι[5] wieder in seine ursprüngliche Drachenform, belegte ihn schuppenartig mit in Olivenöl knusprig gesottenen Blättern der Artischocke und begoss dann sein Werk mit einer schaumigen Soße aus Zitronen, Ei und Muskat. Es war ein Verführungsmahl. Yarzinth beugte seine lange Nase ein letztes Mal hinab, schnupperte befriedigt und servierte.

Nicola della Porta kredenzte einen leichten Perlenden von der Krim in zwei silbernen Pokalen und beobachtete Hamo aus den Augenwinkeln. Der schlanke Jüngling hatte fasziniert dem flinken Treiben des glatzköpfigen Kochs zugeschaut und griff jetzt gedankenlos in die Schale, wo unter warmen Tüchern ofenfrisches Fladenbrot bereit stand. Er riss sich ein Stück ab, tunkte es in die Soße und stopfte es in sich hinein, während Yarzinth ihm vorlegte.

Der Bischof und sein Koch wechselten einen Blick gelinder Verzweiflung ob des jungen Barbaren. Nicola zog entschuldigend die Schultern hoch, Yarzinth entfernte sich diskret.

Hamo ließ seinen Blick über die Gärten des Kallistos-Palastes schweifen, hinab zum Goldenen Horn, wo auf sich spiegelnder Fläche die Schiffe wie Libellen einherglitten. Die lauten, groben Geräusche des Hafens drangen nicht bis hier hinauf. Er leerte seinen Pokal mit einem Zug und wischte sich mit dem Handrücken den Mund.

»Willst du mich küssen?«, scherzte Nicola. »So viel Feinfühligkeit hätte ich von dir nicht erwartet – außerdem hast du noch Eierschaum auf der Nase!«

»Ich mag keinen Fisch!«, sagte Hamo.

»Dann iss das Gemüse – oder lass dir von Yarzinth eine τραχάνα[6] kochen, mir mundet der Chapon vorzüglich!«

»Ich will weg von hier«, sagte Hamo, »mit einem Schiff übers Meer, mit einem Kamel durch die Wüste –«

»Warum nicht auf einem Pferd durch die Steppe, tagelang nichts als Steppe, wochenlang!« höhnte der Bischof. »Du ernährst dich von Stutenmilch und Dörrfleisch, das du unterm Sattel mürbe geritten hast, dein zarter Hintern –«

»Lass das!«, sagte Hamo, doch ehe er weitere Zukunftspläne von sich geben konnte, war Yarzinth wieder hinter ihnen unter den Arkaden aufgetaucht, die zum ›Mittelpunkt der Welt‹, dem Saal des großen Spiels, führten. Der Bischof hatte ihn sofort bemerkt und winkte ihn zu sich.

»Der Herr Crean de Bourivan«, informierte Yarzinth mit gedämpfter Stimme, wie es seine Art war, »ist mit einem Templerschiff aus Aquileja eingetroffen. Es hat einen Präzeptor an Bord, wie aus dem Stander ersichtlich –«

»Du weißt natürlich auch schon, wie der heißt«, neckte Nicola seinen Vertrauten. »Ob sündig oder korrupt, mit wem und wie, dazu den Namen seiner Großmutter …«

»Ein Enkel des Teufels: Gavin de Bethune«, gab Yarzinth sein Wissen preis, »und im Orden importanter, als sein Titel besagt.

Sein Erscheinen kündigt große Dinge an – nicht immer erfreuliche!«

»Was kümmert's uns!«, schnaubte Nicola spöttisch.

»Sie stehen in der Halle«, flüsterte der Koch.

»Nicht mehr!« ertönte Creans Stimme. »Verzeiht die Störung, Exzellenz, doch verschluckt Euch nicht: Ich komme mit leeren Händen: William ist von den Saratz entflohen!«

»Verschwunden, umgekommen oder gefangen –?«

»Uns auf jede dieser Möglichkeiten einzustellen, dazu habe ich mir Beistand mitgebracht: den edlen Ritter Gavin Montbard de Bethune!«

»Sacrae domus militiae[7]templi Hierosolymitani magistrorum«, verblüffte der Bischof seinen Gast. »Was sind die letzten Reaktionen des mundus vulgus[8] auf das fein gesponnene Ränkewerk der Herren vom Tempel?« begrüßte er süffisant den ihm unbekannten Präzeptor, der hinter Crean auf die Balustrade trat.

»Für ein Glas« – Hamo als perfekter Ganymed[9]hatte ihm schon einen Pokal gefüllt und ehrerbietig gereicht; Gavin nahm einen Schluck – »43er Spätlese, kaiserliche Domäne Odessa«, schnalzte er anerkennend, »für diesen Gaumenkitzler verrate ich Euch, lieber Episcopus, dass Ihr, wenn nicht im Sold, so doch in der Gunst des Vatatzes steht; des Weiteren, dass der Sultan von Ägypten Tiberias erobert hat, samt dem Belvoir[10] der Kollegen vom Hospital, und jetzt Askalon bedrängt; dass der päpstliche Legat Anselmus, genannt Fra' Ascelin, gerade den mongolischen Statthalter Baitschu[11] in Täbriz trifft, der ihn nicht leiden kann und am liebsten ausstopfen würde … Oder verlangt es Euch nach Nachrichten aus dem Westreich? Die Parmenser haben sich vom Herrn Papst kaufen lassen, erschlugen den stauferischen Podestà[12] und wandten sich gegen den abgesetzten Kaiser, worauf Friedrich, gerade auf dem Wege nach Lyon, um seinen Widersacher festzunehmen, zurück eilt in die Lombardei, bevor das Beispiel böse Schule macht. Er baut Parma gegenüber einen befestigten Belagerungsplatz, eine ganze Stadt aus Holz und Lehm gestampft, die er forsch ›Vittoria‹ tauft, und im übrigen wetteifert der Staufer mit Innozenz, sich wechselseitiger Anschläge auf ihr Leben durch Verschwörer und gedungene Meuchelmörder zu beschuldigen –«

Gavin hielt inne und reichte Hamo seinen geleerten Pokal. Der Junge war fasziniert von diesem weltläufigen Kriegsmann, Mönch und Diplomat zugleich, elitäre Führungsschicht eines Ordens, der die Welt beherrschte und dennoch ritterliche Abenteuer suchte, fand und bestand.

Nicola della Porta schenkte ihm nach. »Ihr habt Euch den edlen Tropfen, der sonst, wie Ihr zu Recht vermutet, nur an der kaiserlichen Tafel kredenzt wird, redlich verdient. Doch war Bescheidenheit nie meine Stärke, werter Herr Gavin; so lasst mich denn die Gunst der Stunde nutzen, die Euch in mein Haus führte.« Der Bischof hob seinen Becher. »Wie hat der König von Frankreich das anonyme Schreiben aufgenommen, das den von ihm so verehrten Kaiser verleumderisch mit den legitimen Erben des Gral, mit den ominösen Kindern vom Montségur, in Verbindung brachte?«

Gavin lächelte. »Ihr wollt unterstellen, Exzellenz, der Tempel hätte etwas mit der Flucht und dem Verschwinden der Infanten zu schaffen?«

»Nicht im Geringsten, hochwürdiger Präzeptor, pure Neugier trieb mich zu der indiskreten Frage – άκούειν τά λεγόμενα, πράττειν τά προσεχόμενα[13] – und ein gewisses Faible für Intrigen …«

»Ludwigs Reaktion war bedächtig; er erhob keine Vorwürfe gegen Friedrich, das Dokument wanderte – sehr zum Ärger seiner Schreiber – ohne Kommentar ins Archiv. Die Kanzlei ordnete lediglich eine Kontrolle an, ob William von Roebruk tatsächlich mit Pian del Carpine von den Mongolen zurückkehren wird. Kundschafter des Capet stehen Euch also ins Haus.«

Hier mischte sich höflich Yarzinth ins Gespräch, der gerade den kaum berührten Chapon abräumen ließ. Er wandte sich in seiner schleichenden Art an seinen Herrn, den Bischof. »Von der Ostgrenze des Imperiums wird vermeldet, dass der Legat samt einem gewissen Benedikt von Polen sie überquert habe und sich Byzanz nähere.« Obgleich der Koch nur flüsterte, hatten alle mitgehört.

»Wir müssen jedoch davon ausgehen«, äußerte sich der Präzeptor als erster, »dass unser guter William sich in den Händen der Kurie befindet, eingekerkert im Castel Sant' Angelo oder sonst wo im Gewahrsam des Grauen Kardinals –«

»Wir verhalten uns aber so«, hielt Crean dagegen, »als hätten wir William zu unserer Verfügung!«

»«Αγραφος νόμος[14] – oder die Illusion zur Realität erhoben?« höhnte der Bischof. Crean ließ sich nicht beirren.

»In der Politik zählt die Behauptung als Tatsache. Also haben wir William, glücklich heimkehrend vom Hofe des Großkhans –«