Im Banne der Assassinen - Peter Berling - E-Book

Im Banne der Assassinen E-Book

Peter Berling

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Beschreibung

Roç und Yeza scheinen sich in Alamut endlich von den vielen Schicksalsschlägen seit ihrer Flucht von der Gralsburg zu erholen. Die Stadt ist ein Hort der Wunder, allen voran die weltberühmte Bibliothek und das Observatorium machen die Stadt für die Gralskinder zum Paradies auf Erden. Doch der Schein trügt, denn der Iman der Stadt, gleichzeitig Oberhaupt der mächtigen Assassinensekte, ist dem Wahnsinn nahe. Eine Flucht der Gralskinder scheint unmöglich, da sämtliche Mächtige der Welt die Dolche der Mördersekte fürchten. Roç und Yeza, die die Wunder von Alamut erkunden, ahnen nichts von dem Machtpoker, der um sie entbrennt, als im fernen Karakorum ein neuer Großkhan gewählt wird: Der Papst in Rom fürchtet die Gefahr für die christliche Welt, sollten die ›Königlichen Kinder‹ in die Hände der Mongolen fallen, der Iman von Alamut hingegen lässt eine mongolische Gesandtschaft hinrichten und in letzter Sekunde gelingt es einem kleinen Kreis Verbündeter, die Übergabe von Roç und Yeza an den Großkhan zu erzwingen. Erneut bricht für die ›Kinder des Gral‹ ein Abenteuer an, denn auch der Kalif von Bagdad hat eigene Pläne, was ihre Existenz betrifft … Ein spannender historischer Roman von Peter Berling, der gleichzeitig das große Epos »Die Kinder des Gral« aus der Zeit der Kreuzzüge als Teil VIII fortführt.

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PETER BERLING

Im Banne der Assassinen

Folge VIII des 17-bändigen Kreuzzug-Epos Die Kinder des Gral

Historischer Roman

WAS DAVOR GESCHAH IN FOLGE VII

Höhle der Muräne Christi

Eine seltsame Zuneigung entwickelt der nach vernichtender Niederlage aus der Gefangenschaft der Mameluken von Kairo entlassene Ludwig der Heilige, König von Frankreich, zur Prinzessin Yeza. Er führt sie mit sich vom Nil bis nach Akkon.

Roç, von ihr getrennt, schlägt sich unter dem Schutz des Roten Falken durch, über Damaskus bis zu den Tempeln von Baalbek. Um beide ›Königlichen Kinder‹ ist ein erbitterter Streit entbrannt, ein Kampf auf Leben und Tod. Ihre schlimmsten Verfolger sind Vitus von Viterbo, der Häscher Roms, und Yves der Bretone, der sich ewigen Ruhm und Ehre vom Töten der ›Kinder des Gral‹ verspricht. Aber noch wirken die bewährten Hüter des auseinandergerissenen ›Königlichen Paares‹: Gavin, der Templer, Sigbert, der Deutschritter, und nicht zuletzt der Franziskaner William von Roebruk. Die Assassinen schalten sich wieder ein, sie haben sich in aller Stille verbunden mit jener geheimnisvollen Bruderschaft, der treibenden Schutzmacht von Roç und Yeza. Gemeinsam sorgen sie dafür, dass die meisten Verfolger blutig abgeschüttelt werden. Unter größten Schwierigkeiten wird das ›Königliche Paar‹ wieder zusammengeführt, kann das mörderische Syrien verlassen und erreicht Alamut, die Hauptfestung der Sekte im fernen Persien, die geheimnisvolle Rosenblüte aus Eisen und Feuer …

I DIE LIEBENDEN UND DIE DOLCHE

Im Iwan[1] von Ktesiphon

Südlich von Bagdad, am linken Ufer des Tigris, lag der Iwan von Ktesiphon, der Sommerpalast des amir al-mumin[2], des ›Herrschers aller Gläubigen‹. Hierher war der Kalif mit seinem Hofstaat und seinem Harem gezogen, um sich in den Thermen den Nachstellungen seiner Ärzte zu entziehen. Denn el-Mustasim[3] plagte die Gicht, der Rücken schmerzte, es stach in den Knien, und die Füße waren es sowieso nicht gewöhnt, ihn zu tragen.

Wenn er in dem warmen Wasser lag und zarte Hände ihn mit duftenden Essenzen begossen, sie sanft in seine welke Haut rieben oder mit sorgsam gefeilten Fingernägeln seine Glieder entlangglitten, dann verschaffte ihm das weitaus mehr Linderung als die Einläufe der jüdischen Doctores aus Alexandria, Aderlass und Kaltgüsse der Ärzte, die ihm der Kaiser aus Salerno geschickt, oder die feinen Stiche samt Nadeln, deren Anwendung ihm ein Schüler Ibn al-Baitars aus Peking aufgeschwatzt hatte.

El-Mustasim schaute hinauf in das einzigartige Tonnengewölbe, das wie ein riesiges Straußenei in den Ufersand des Tigris gesetzt war. Der Iwan stand frei und aufrecht. Auf der einen Seite öffnete er sich zu den Dattelpalmen der Oase, auf der anderen zum träge dahinfließenden Fluss. Der Kalif liebte diese luftige Halle, die noch aus den Tagen des Propheten stammte, ihre lichte Kühle und Beschwingtheit. Schwalben nisteten in den Steinen, und ab und zu verirrte sich eine Smaragdeidechse an das Becken, in dem er ruhte. Tambourschlägerinnen mit Schellen an den Handgelenken und den schlanken Fesseln wiegten sich zu Flötenklängen. Wenn sie nicht sängen, dachte der alte, kleine Mann, dann wären sie noch schöner, doch dann würden sie vermutlich plappern wie die Damen meines Harems, die hinter dem Vorhang – bekümmert blickte el-Mustasim über seinen eingefallenen Brustkorb und den spitzen Bauch auf die schlaffe Zier seiner Lenden – von anderen Männern schwärmten. Die Gedanken des Kalifen eilten der Frau entgegen, die ihm An-Nasir[4], der Sultan von Damaskus, geschickt hatte. Der syrische Herrscher hatte sie ihm als eine geistvolle Erzählerin angepriesen und ihre besondere Herkunft unterstrichen. Eine Tochter des Stauferkaisers sei sie, klug und von höfischer Sitte des Abendlandes geprägt. Sie könne nicht nur lesen, sondern auch schreiben und sei unübertrefflich als Erzählerin. Sie wird ihm zu alt für den Harem gewesen sein, sinnierte el-Mustasim. Immerhin zählte diese vollreife Gabe schon fünfundzwanzig Lenze.

Der Kalif schaute auf die Uhr[5] am Rand des Beckens – ein scheußliches Stück! Aber es zeigte die Stunden an und war ein Geschenk des Königs der Franken. Der hatte sie eigens bei einem Silberschmied in Paris für ihn anfertigen lassen. Die vergoldete Arbeit stellte einen Ritter dar. In einer Hand hielt er einen Rundschild, dessen Mitte von einer Achse durchbohrt war, an der sich ein Pfeil als Zeiger drehte. Die Zeiten waren als Einlegearbeit im Schildrand vermerkt. Aber das war nicht wichtig, denn die andere Hand trug eine Streitkeule oder eher einen kleinen Schlegel für die Spielzeugtrommel eines Knaben. Mit dem klopfte der Krieger jede volle Stunde an den Schildrand, bis zu zwölf dröhnende Schläge. Doch danach – und das war das Schönste! – ruckte sein Arm im Viertelstundentakt hoch und hämmerte »Peng! Peng!« an den Helm. Allah sei Dank war das Visier geschlossen, sodass sich der Kalif jedes Mal mühelos vorstellen konnte, dahinter stecke der Kopf eines Ungläubigen. Auch diesmal ertappte sich el-Mustasim dabei, dass er begeistert die Schläge verfolgte. Er klatschte in die Hände und scheuchte die singenden Bajaderen[6] zurück hinter den Vorhang, ließ sich von den Meistern des Bades in Tücher hüllen und auf ein Ruhelager am Rande der Halle tragen, genau gegenüber von dem Stoffzelt, hinter dem seine Damen schon wieder tuschelten.

Clarion[7] von Salentin stand mitten unter ihnen und wusste, dass sie gleich zum Herrscher gerufen würde. Der Obereunuch hatte ihr eigenhändig die letzten schwarzen Kräuselhaare unter den Achseln entfernt und war damit beschäftigt, sie mit allerlei Salben und Ölen einzureiben. Sie kannte diese Prozedur, die keine Stelle des Körpers ausließ. Für jede griff er in einen anderen Tiegel. Es kitzelte, und sie genoss das neidische Geraune der Weiber. Gut, sie war nicht mehr die Jüngste, sie hatte einer Tochter das Leben geschenkt, und ihr Leib neigte zur Üppigkeit, doch der Kalif war ein dürres Männlein, und solche wissen einen runden Hintern und einen vollen Busen meist zu schätzen.

Clarion trug nichts als ein durchsichtiges Gewebe aus Mossul, das ihre weichen Formen unterstrich. Gekämmt, gepudert und nochmals mit aromatischen Essenzen besprüht, schritt sie erhobenen Hauptes durch den Iwan zum Ruhelager des Herrschers.

El-Mustasim hatte sich aufgesetzt und betrachtete sie mit Wohlgefallen. Er wies ihr einen Platz auf einem samtbezogenen Kissen an, das zu seinen Füßen lag. Er war neugierig auf das, womit sie ihn zu erfreuen gedachte, und hielt damit auch nicht hinter dem Berg.

»Holde Huri[8] des Paradieses, erzähl mir von den beiden Kindern, die Allah gesandt haben soll, um die Franken auf den rechten Weg zu führen!«

Aha, dachte Clarion, daher streicht der Wind. Sie schaute sinnend hinab auf den Tigris, als gäbe sie seherische Erkenntnisse preis. »Nicht nur die Franken«, sagte sie lächelnd, »das gesamte Abendland. Der große römische Kaiser –«

»Ist das nicht der Papst?« fiel ihr der Kalif ins Wort, und sie nahm den abwegigen Gedanken empört auf.

»Das ist der oberste Priester! Dieser Betrüger, der sich als Nachfolger des Jesus von Nazareth ausgibt und die Kinder, die legitimen Erben des heiligen Blutes, mit gehässigem Neid verfolgt! Und der König der Franken[9] ist sein Knecht und Büttel.«

Der Kalif schaute hinüber zur Uhr; sie schlug gerade.

»Die Kinder stammen also vom Propheten Jesse ab?«

Clarion nickte.

Da tönte der Hammer. »Peng! Peng! Peng!« »Wie kann es der König von Frankreich wagen, seine Hand gegen die Kinder des Propheten zu erheben?« Die Franken sind ein törichter Stamm, dachte der Kalif, das beweist schon der Ritter, der sich an den eigenen Helm klopft.

»Ich will es Euch so erklären«, sagte Clarion, die nicht verstand, warum der Alte immer zu dieser seltsamen Puppe schaute. Ob da wohl ein winziger Mohr darin saß und diese Verrenkungen vollführte, wenn der Herrscher ihn ansah? »Im lieblichsten Teil des Abendlandes liegt wie ein schönes Weib Okzitania[10], und vier mächtige Fürsten umlagern sie werbend: der Kaiser mit seinem weiten Reich im Osten; der König von Aragon im Westen, doch durch ein Gebirge von ihr getrennt. Im Süden, jenseits des Meeres, die Länder des Hafsidenherrschers[11]. Nur im Norden, da dräut der König der Franken, der sie mit schändlicher Gewalt –«

»Der hat mir den ›Ritter des Stundenschlags‹ geschenkt«, unterbrach el-Mustasim sie milde. »Seine Uhr zeugt nicht von erlesenem Geschmack, aber sie schlägt.«

Dieser Einwand leuchtete Clarion ein, und sie ließ von Frankreich ab. »Dort also liegt das Zauberland Okzitanien, die Geliebte des Abendlandes, schönste Blüte der Minnekultur und höfischer Sitte.« Sie hatte nicht das Gefühl, dass el-Mustasim begriffen hatte, wovon sie sprach. »Da – nicht weit entfernt von el-Andaluz, dem sarazenischen Córdoba mit seiner Pracht, dem leuchtenden Sevilla, dem mächtigen Granada, dem Ihr ja Oberster Herr – gedeihen die herrlichsten Früchte an Wissen und Weisheit. Juden, Muslime und Christen leben in friedlichem –«

»Von wegen!«, zeterte der Kalif erbost. »So könnte es sein! Doch statt sich dieses Glücks zu erfreuen, das Allah freigebig gewährt, bekämpfen uns diese engstirnigen Christenhunde –«

»Schuld daran ist der katholische Papst, der in seiner Unduldsamkeit nur seine eigene Lehre gelten lässt und nicht etwa die des Jesus Christus!«

»Jesse, der Prophet«, nahm der Kalif den Faden wieder auf, »hat nichts verkündet, was es den Franken erlauben könnte, uns mit Krieg zu überziehen. Im Gegenteil: Euer Prophet predigte Milde, Brüderlichkeit, Barmherzigkeit –« Er überdachte die Tauglichkeit solchen Verhaltens und setzte hinzu: »Schon fast übertrieben! Sagte er nicht: › Wenn dir jemand einen Backenstreich versetzt, halte die andere Wange auch noch hin‹?«

Clarion lachte. »Ich bin keine Christin. Doch wenn's nur Backenstreiche wären! Mit Feuer und Schwert fällt die unheilige Allianz des fränkischen Königs und des römischen Papstes über Okzitanien her. Landgierig, beutelüstern der eine, gnadenlos und geifernd der andere.«

Die Uhr schlug dröhnend die volle Stunde, achtmal. Die blauen Schleier des Abends senkten sich über den Fluss. Der Kalif ließ Früchte und gekühltes Rosenwasser bringen. Er goss Clarion eigenhändig ein.

»Du wolltest mir von den Kindern erzählen. Was haben sie mit diesem merkwürdigen König und diesem üblen Papst zu schaffen, wenn Allah sie über seinen Propheten Jesse zu euch gesandt hat?«

»Gesandt geradewegs in diesen Rosengarten Okzitanien, wo jüdische Kabbala[12], islamische Gottesgelehrtheit und uralte keltische Kulte zusammenfanden. Aus dem Morgenland heimkehrende Kreuzritter brachten wie Samen fremdartiger Blumen Lebensart und Zivilisation mit. Im glücklichen Okzitanien, wo Dichter Fürsten waren, Ritter Sänger und Weise Priester, entwickelte sich eine Lehre der ›Reinen‹, die das Böse nicht fürchteten und das Paradies vor Augen hatten; eine Religion des Glaubens an die wahre Botschaft des Jesus von Nazareth, unverfälscht und unmittelbar! Ihre Tugend, die nicht der Vergebung, der Buße oder des Fegefeuers bedurfte, wurde dem Papst zum Dorn im Auge und zum Balken vor dem Kopf des Königs der Franken, der das fruchtbare Land begierig ansah. Es lag schutzlos da mit dunklen Wäldern, silbrigen Flüssen und versteckten Höhlen, deren Wände von Gold und edlen Steinen gleißten. Ich habe es nie zu Gesicht bekommen«, bedauerte Clarion mit glänzenden Augen, »aber Crean hat mir davon erzählt.«

»Wer ist das?« Der alte Kalif war ein genauer Zuhörer, so schläfrig er auch wirken mochte.

»Der tapfere Ritter, der die Kinder aus der belagerten Burg Montségur rettete –«

»Berichte von Anfang an, was geschah«, mahnte el-Mustasim seine eigenwillige Erzählerin, und Clarion nahm es sich zu Herzen.

»Eines Tages war es so weit: König und Papst boten ein riesiges Heer auf zum ›Kreuzzug‹ gegen –«

»Was?! Einen Kreuzzug gegen Christen, mitten im Herzen des Abendlandes?«

»Ja, so nannten sie es frech und verlogen und versprachen fette Beute. So fielen Söldnerscharen ein, verwüsteten Städte und Burgen und verfolgten die Bewohner. ›Verbrennt sie alle lebendigen Leibes‹, befahl der Legat des Papstes, ›Gott wird am Tag des Jüngsten Gerichtes die Seinen schon zu finden wissen!‹«

»Welch eine Lästerung Allahs!« Der Kalif erschauerte.

»Ja, aber es kommt noch ärger! Als sie alle Städte verbrannt hatten, samt der Menschen, die in die Gotteshäuser geflüchtet waren, stand noch eine Burg auf hohem Felskegel, der Montségur. Dreiunddreißig Jahre hatte sie standgehalten, doch dann beschlossen die Hüter des Gral[13], aufzugeben und ihrem irdischen Leben ein Ende zu setzen –«

El-Mustasim war beeindruckt. »Gral? Ist das der Vater der ›Kinder des Gral‹?«

»Keiner weiß genau, wer oder was der Gral ist.« Clarion gab sich nicht die Mühe, schlauer auszusehen, als sie war. Sie strich stattdessen ihren Musselin glatt, dass sich die dunklen Spitzen ihrer Brüste erhaben abzeichneten. »Crean de Bourivan[14], der edle Beschützer der Kinder, sagte: ›Der Gral ist das geheime Wissen.‹«

»Wissen um was?« hakte der Kalif nach.

»Um die Herkunft des heiligen Blutes, das Blut der Könige, das Blut des königlichen Hauses David –«

»Ah«, entfuhr es dem Herrscher aller Gläubigen, »des Propheten Jesse?«

Die Uhr schlug.

»So ist es wohl«, antwortete Clarion, die sich dabei ertappte, nun auch den Mann mit dem Helm anzustarren. »Jedenfalls wurden die Kinder, ein Knabe und ein Mädchen, in der Nacht vor der Übergabe der Burg über die Felsen abgeseilt in die Tiefe. Verantwortlich für die Rettung war wohl die Prieuré[15], der Oberste Rat von Sion. Es ist ein geheimer Orden, dem auch Crean de Bourivan angehört und treulich dient.«

Sie wartete ab, bis das Dröhnen des Schildes verklungen war. »Peng!«

»Ein mächtiger Bund, der im Verborgenen wirkt«, setzte Clarion dann mit einem entwaffnenden Aufschlag ihrer Wimpern hinzu, denn sie wollte den Kalifen mit ihren schönen Augen darüber hinwegtäuschen, dass sie nicht viel mehr über die Prieuré wusste.

Der Kalif fragte dennoch: »Für wen?« Aber er schaute nicht mehr auf die Uhr. Sein Blick hatte sich in Clarions Musselintüll verfangen, strich um ihre Schenkel und versenkte sich in das dunkle Dreieck ihres Schoßes. »Für wen?« wiederholte er.

Clarion hatte seinen Blick bemerkt; sie rekelte sich wie eine zufriedene Katze, um dann durch plötzliches Erstarren der Maus vorzugaukeln, sie könne unbeachtet weiter mit den Augen naschen.

»Ich kann Euch nur sagen gegen wen. Gegen die Kirche der Päpste in Rom und gegen das Haus der Könige von Frankreich, deren Söldner den Montségur stürmten. Den Gral, den sie suchten, fanden sie nicht. Die Besatzung der Feste wanderte freiwillig auf den Scheiterhaufen, denn sie weigerten sich, den Papst anzuerkennen. Das dazugehörige Land, die Burgen und Städte erhielt der König von Frankreich, der damit seinen Besitz verdoppelte und nun meinte, er sei genauso mächtig und genauso zu ehren wie der Kaiser.«

»Ich kenne das«, murmelte der Kalif, der mit seinen Gedanken weit unter den Tüll gekrochen war. »Es gibt immer wieder Fürsten, die da meinen, Macht und Reichtum verschaffe auch Würde – aber was wurde aus den Kindern?«

Zwei Schläge der hellen Art zeigten an, dass bald eine Stunde vergangen war. Draußen war es längst dunkel geworden, und er war immer noch nicht am Ziel seiner Wünsche.

Clarion sah die Maus davonlaufen und straffte sich.

»Crean de Bourivan brachte sie, verfolgt von den Franken, übers Meer nach Rom und durchquerte heimlich die Höhle der Bestie. Ein Mönch half ihm, der Franziskaner William –«

»William von Roebruk[16], der berühmte Gesandte, der vor vier, fünf Jahren den Großkhan der Mongolen aufgesucht hat?« El-Mustasim verwandelte sich von einer Maus in einen Kater, er war jetzt hellwach.

Clarion lachte. »Ob William, das Schlitzohr, bei den Mongolen in Karakorum[17] war, weiß ich nicht. Die Kinder waren in der fraglichen Zeit gut aufgehoben bei uns auf der Burg von Otranto, wo auch ich aufgewachsen bin. Ich habe sie selbst jeden Tag –«

»Beschreibt sie mir! Wie heißen sie eigentlich?«

»Roç und Yeza«, verkündete Clarion stolz. »Ihre richtigen Namen sind viel länger, denn sie sind von höchstem Adel, doch sie müssen geheim bleiben wegen der Verfolger, die vor Mord nicht zurückschrecken.«

»Wie sehen sie aus?« Ungeduld lag in der Stimme des Kalifen.

»Roç ist sicher zum jungen Ritter herangewachsen. Er war ein schöner Knabe mit braunen Augen, dunklem Haar und einer Haut wie Bronze. Ein junger Gote. Er sprühte vor jugendlichem Tatendrang und Fantasie – man musste ihn einfach lieben!«

Der Kalif lächelte über ihre Begeisterung, obwohl ihm die Beschreibung blühender Jugend und unverbrauchter Männlichkeit einen Stich versetzte.

»Und Yeza?«, fragte er, seine eigene Unzulänglichkeit und sein Alter verdrängend.

»Yeza wäre am liebsten als Knabe zur Welt gekommen. In ihren Adern rollt das wilde Blut der Normannen. Sie war schlank wie eine Gerte, graugrün funkelten die Sterne ihrer Iris, blonder Locken Pracht umrahmte ihr scharfes Profil. Nur ihre Lippen kündeten von der Sinnlichkeit, die in ihrem Körper schlummerte, der nun erblüht sein wird. Sie war voller Wissensdurst und hatte ein kluges Gespür für Macht.«

»Schwer vorstellbar in einem Harem wie dem meinen«, murmelte der Kalif enttäuscht. »Das gäbe Mord und Totschlag!« Er gestattete sich jetzt, einen Blick auf der Erzählerin ruhen zu lassen, wie er nur einem Besitzer zukommt. »Es heißt, du seist eine Tochter des Kaisers?«

»Das bin ich wirklich!« empörte sich die Angesprochene, dass der Busen bebte, und richtete sich auf. »Der Kaiser schenkte meiner Mutter Otranto, das liegt an der äußersten Südspitze des Reiches, in Apulien, das er so sehr liebte, dass er dort bevorzugt seine Tage verbrachte. Dort ereilte den großen Staufer auch der Tod. Mir verlieh er den Titel einer Gräfin von Salentin.«

»Hast du den Kaiser Friedrich je gesehen?«

»Nein. Er hat meine Mutter nie mehr besucht. Ich wuchs in Otranto mit meinem Bruder Hamo L'Estrange[18] auf, der letztes Jahr die jüngste Schwester des Emirs Baibars[19] zur Frau nahm –«

»Ach, der ›Bogenschütze‹.«

Clarion rutschte unruhig auf ihrem Kissen umher, dass sich der Stoff über ihren Schenkeln zum Zerreißen spannte.

Der Kalif war ganz Auge. »Ja«, sagte er gedankenverloren, »wenn die Mameluken[20] nicht den letzten Ayubitenherrscher[21] von Ägypten ermordet hätten, wäre An-Nasir wohl kaum Sultan von Damaskus geworden, und du wärst vielleicht nicht hier, um mein Herz –«

Clarion fühlte, dass sie ihr Spiel zu weit getrieben hatte, denn sie verspürte nicht die geringste Lust, sein Herz oder andere müde Teile seines verwelkten Körpers zu erfrischen. Sie rettete sich mit kühnem Sprung zurück nach Apulien. »Wir lebten glücklich und in Frieden auf unserer Burg am Meer. Der Papst hatte damals die Spur der Kinder verloren, die er hasste bis auf den Tod. Doch dann brachte William, der Tölpel, die Feinde wieder auf ihre Fährte. Wir mussten mit der Triere, dem wunderbaren Kampfschiff, das der Kaiser meiner Mutter verehrt hatte, Hals über Kopf Otranto verlassen, denn schnell standen die Häscher vor der Tür.«

»Im Land des Kaisers?« Das war für den Kalifen nicht einzusehen. Die Uhr schlug die volle Stunde, und er verspürte Hunger, aber größer noch war sein Appetit auf den Fortgang der Geschichte, die jetzt erst richtig spannend wurde. Oder war es der Leib der Erzählerin, der ihm zusehends schmackhafter erscheinen wollte?

»Den Kaiser hatte der Papst inzwischen für abgesetzt erklärt, aller Macht und Würden ledig«, fuhr Clarion schnell fort. Die neun Schläge trieben auch sie, denn sie wusste, dass es die Zeit war, zu der Herrscher sich zu Tisch begeben, wenn sie nichts Besseres davon abhält.

»Nur gut«, sprach der Kalif, »dass ich Kaiser und Papst in einer Person bin. Ein solch anmaßender Obermullah[22] würde mir gerade noch fehlen!« Er wischte den unerfreulichen Gedanken beiseite. »Und wie ging es weiter? Wohin sind Roç und Yeza geflohen?«

»Übers Meer nach Konstantinopel! Aber auch dorthin folgten uns die Häscher. Nach langer Irrfahrt erreichten die Kinder Ägypten.«

El-Mustasim erinnerte sich: »Spielte der Sultan von Kairo nicht sogar mit dem Gedanken – er war schon alt und wirr im Kopf, und sein Sohn taugte nicht viel–, den Kindern seinen Thron abzutreten?«

Das Alter hätte er nicht erwähnen sollen, es fiel auf ihn zurück, und er ärgerte sich. Doch Clarion schenkte ihm behänd ein Lächeln, das – so verlogen es war – seine Befürchtungen Lügen strafte.

Mit aufreizender Langsamkeit schlug sie ihre Beine übereinander. »Sultan Ayub starb, bevor er den Sieg über König Ludwig erringen konnte. Sein Sohn wünschte nichts sehnlicher, als der weltlichen Macht zu entsagen und das Sultanat Roç und Yeza, dem Königlichen Paar, anzuvertrauen. Er schlug den König der Franken, nahm ihn gefangen und wurde bei der Palastrevolte von Baibars ermordet. Auch der für seine Grausamkeit bekannte ›Bogenschütze‹ erlag dem Zauber der Kinder. In einer Anwandlung von Großmut entließ er König Ludwig aus dem Kerker, damit der sie zu ›Königen von Jerusalem‹[23] machte.«

»Jerusalem!«, seufzte der Kalif versonnen. Die Uhr hatte längst wieder geschlagen. Doch el-Mustasim hatte nicht einmal hingeschaut. Seine Augen hingen an Clarions Lippen. Er bemerkte, dass sein Gast vom Rosenwasser kaum genippt hatte. Er klatschte in die Hände und ließ Wein bringen. Der Kalif füllte nur einen Pokal, trank selbst und reichte ihn der Frau. Ihre Lippen glänzten jetzt, und mit Vergnügen sah el-Mustasim ihre rosa Zunge darüber gleiten. Man kann auch Leitern an die Mauern einer zu erobernden Burg legen. Er hielt ihr das kostbare Trinkgefäß gleich noch einmal hin.

»Betört vom Charisma und Liebreiz der Kinder, überwand der fromme Ludwig seinen Groll auf die ›Ketzerkinder‹, die er vom Montségur bis nach Konstantinopel verfolgt hatte. Er war bereit, ihnen die Krone von Jerusalem zuzusprechen. Doch er scheiterte am Widerstand seines Hofstaates und der Barone des Heiligen Landes. Roç und Yeza waren inzwischen zu eigenständigen Persönlichkeiten gereift. Das bewies schon ihr tollkühner Versuch, Shirat[24] und mich aus dem Harem des An-Nasir zu befreien. Damals war ich guter Hoffnung von dem Stier und dachte gar nicht daran, ihn zu verlassen.«

Der Kalif hatte an dem Stier samt Hoden schwer zu schlucken, während Clarion ungerührt fortfuhr: »Aus der misslichen Lage, in die das Königliche Paar sich gebracht hatte, erlöste es Crean de Bourivan an der Spitze eines Assassinentrupps[25].«

»Ah«, raunte el-Mustasim verträumt; er hatte den wilden Redeschwall dazu genutzt, den Leib der Erzählerin wie eine Festung zu berennen. »Ah«, sagte er noch einmal, »so kamen die Ismaeliten[26] ins Spiel?«

Er nahm den tiefen Schluck des siegreichen Eroberers, leichter Schwindel erfasste ihn.

»Die waren von Anfang an dabei. Ihr Kanzler hatte uns schon in Otranto seine Aufwartung gemacht. Die Prieuré verließ sich nicht allein auf die Tempelritter … «

Diesmal goss Clarion, ganz willige Sklavin, dem Herrscher nach, und der köstliche Trunk mundete ihm doppelt.

»Merkwürdig, dass dieser – wie heißt er noch?! –, dieser geheime Rat von Sion ausgerechnet den blasphemischen Templern[27] und den Assassinen, dieser Mörderbande des Alten vom Berge[28], vertraute!«

Um seine Erregung zu verbergen, schlürfte er genüsslich den Wein.

Die Gräfin von Salentin stemmte genüsslich ihre Arme hinter sich ins Polster und wölbte ihren Leib, als sei der Belagerer gar nicht vorhanden. Ihr Blick schweifte hinauf in das Gewölbe des Iwan. Beim Zurückbiegen des Kopfes glitt eine Spange zu Boden, und ihr fülliges Haar umschmeichelte verführerisch ihre Schultern.

»Das sind beides dunkle, tiefe Gewässer, deren Grund Ihr nicht seht«, wies sie den Kalifen mit raunender Stimme zurück, der ihr auffordernd den Pokal hinhielt. »Doch sie werden von demselben klaren Quell gespeist. Hüterin dieser geheimen Quelle ist die Prieuré. Die Templer und die Assassinen, beides Orden kriegerischer Mönche, wurden von ihr erwählt, weil sie das Wissen um die Anfänge, um den Ursprung aller Dinge, zu bewahren vermögen. Sie sind bereit, allen Befehlen bedingungslos zu gehorchen und den Willen der Hüterin des ›Großen Plans‹ in der Welt durchzusetzen.«

El-Mustasim hatte den Kelch selbst geleert und schenkte mit zittriger Hand nach. Er vergoss reichlich von dem Wein, sodass sich ein roter Fleck auf dem Musselin ausbreitete und ihre Schenkel nackt erscheinen ließ. Aber er bemerkte es nicht einmal. »Geht es um das Los der Kinder, schöne Huri?« Clarion erkannte erschrocken, dass der Kalif über die Geschichte der Kinder keineswegs die Frau zu seinen Füßen vergessen hatte. Der alte Mann nestelte fahrig an den Tüchern, die ihn einhüllten. Sie lächelte mild, drängte ihm hastig den Pokal mit dem schweren Wein auf und flüchtete sich in den Fortgang der Geschichte.

»Es geht nur um die Zukunft der Kinder; der ›Große Plan‹[29] ist für das Königliche Paar Schicksal und Bestimmung zugleich. Es erfüllt sich, auch wenn man sich dagegen wehrt. Das mussten alle erfahren, auch William von Roebruk, der sie ins Herz geschlossen hatte und ihren mühseligen Weg zum Friedenskönigtum immer wieder kreuzte. Crean de Bourivan geleitete das Königliche Paar in den fernen Orient nach Alamut[30] zum Sitz des Großmeisters[31] der Assassinen. Doch ich bezweifle, dass sie dort, beim Imam aller Ismaeliten, ihre endgültige Bestimmung finden werden, die –«

Mit einem hellen Scheppern war der Pokal des Kalifen auf den Steinboden gefallen.

»– die Krone der Welt!«, fügte Clarion dennoch hinzu, bevor sie ihren Blick auf den alten Mann richtete. Er war eingeschlafen.

Der müde Kalif

»›Bis'mil amir al-mumin‹[32] lautet das Stichwort!« schärfte der Oberste Hofkämmerer des Kalifen der ihm ergebenen Palastgarde im Vorraum zum Audienzsaal ein. »›Im Namen des Herrschers aller Gläubigen!‹ werde ich rufen, und dann stürzt ihr hinein und nehmt alle fest. Wer sich wehrt, wird auf der Stelle niedergemacht!« So instruierte Maka al-Malawi[33] mit leiser Stimme seine Leute, kaum dass der letzte der Delegation die hohe Tür durchschritten hatte, die in die prunkvolle Halle führte, wo der Kalif el-Mustasim sie erwartete. »Verschont nur den ehrwürdigen el-Din Tusi[34], die anderen schafft in den Kerker, wo schon der Scharfrichter ihrer harrt!« Und als sei ihm noch etwas besonders Lästiges eingefallen, setzte er ärgerlich hinzu: »Aber sortiert mir vorher diese Kinder heraus! Ich will sie lebend!«

Diese Worte hatte er auch an den kleinwüchsigen Mann gerichtet, der still in einer Ecke stand. Dessen stechender Blick verriet, dass ihm nichts entgangen war. Er zog einen Fuß nach, als er sich entfernte.

Der Hauptmann der Garde nickte grimmig, und der Kämmerer schlüpfte durch die Tür in den Audienzsaal.

Träge flossen die lehmigen Wasser des Tigris, der die Medina von Bagdad mit dem alten Palast des Kalifen vom Ostteil der Stadt jenseits des Flusses trennte. Für viel Geld hatte el-Mustasim, Herrscher über alle Gläubigen aus der seit fünf Jahrhunderten in ununterbrochener Folge regierenden Abbasiden[35]-Dynastie, in der Neustadt ein Verwaltungsviertel mit glanzvollen Palästen aus dem Boden gestampft, es mit einer doppelten Mauer umgeben und vor allem mit den Kasernen seiner 120.000 Mann umfassenden Reiterei. Dennoch fühlte sich der Kalif dort seit einiger Zeit nicht mehr sicher. Deshalb hatte er für seine Person den Rückzug in die Enge des alten Palastes beschlossen und seinem Großwesir das Kommando über das Ostufer überlassen.

El-Mustasim war ein Greis von kleiner Statur. Er wirkte zerbrechlich unter dem viel zu großen Turban. Sein Blick glitt fahrig über die trüben Fluten mit ihrem Gewimmel von Lastkähnen und Fähren, zwischen denen sich mit schnellem Schlag die Regierungsgaleeren ihren Weg suchten.

Den amir al-mumin[36] hatte der Elan seiner frühen Amtsjahre verlassen. Er hatte den Sturz des Choresmier-Reiches[37], seines ärgsten Feindes, zwar nicht herbeigeführt, aber erleben dürfen. Er hatte sich bemüht, zwischen den Mameluken von Kairo und den letzten Ayubiten von Damaskus Frieden zu stiften, der auch die Franken – Allah jasihum![38]– des Königreiches von Jerusalem‹ mit einschloss. Die Christenhunde sollten sich bei ihrem König Ludwig bedanken; das war ein frommer Mann, dem man den Wunsch nach einem Waffenstillstand nicht abschlagen konnte. El-Mustasim seufzte, ließ seinen Blick zurückkehren in den Audienzsaal zu seinen Füßen und vernahm unscharf, dass sich die Diskussion mit der Gesandtschaft dem Ende näherte. Gut so. Sonderlich interessiert hatte sie ihn nicht.

Die Delegation des Gran Da'i[39] der Assassinen von Alamut stand unter der unparteiischen Leitung von el-Din Tusi. Er war ein Mann mittleren Alters, dessen bäuerliche Gesichtszüge nicht darauf schließen ließen, dass er einer der berühmtesten Gelehrten der muslimischen Welt war. Wehmütig dachte der Kalif daran, dass der weise Mann sich – wie er selbst, schwacher Herr aller Gläubigen – immer darum bemüht hatte, in der kurzen Spanne seines Erdenlebens einen Ausgleich zwischen diesen fanatischen Ismaeliten und dem sunnitischen Kalifat herbeizuführen. Das würde dem guten Tusi zwar nie gelingen, aber immerhin stießen die Assassinen dieses größenwahnsinnigen ›Imams‹, wie sich der herrschende Großmeister der Sekte nannte, diesmal keine Morddrohungen aus. Sie verlangten auch keine unsinnigen Tributzahlungen oder seine, des Kalifen, Absetzung zugunsten eines Anhängers der Schia[40] mit ihrer abstrusen Forderung, der Oberste Herrscher aller Gläubigen müsse in direkter Blutslinie vom Propheten persönlich abstammen.

Die müden Augen des Kalifen verfingen sich in der hohen Kassettendecke des Saales, wo die Stalaktiten aus edlen Hölzern im Lauf der Zeit schwarz geworden waren. El-Mustasim war der siebenunddreißigste Kalif der Abbasiden-Dynastie. Diese Assassinen dagegen gab es gerade erst seit hundert Jahren! Allahu akbar![41] Man hatte sie vor Betreten des Audienzsaales auf Waffen durchsucht, und so wie er Maka al-Malawi, seinen Obersten Kämmerer, kannte – der Assassinen mehr noch als Skorpione hasste –, hatte der sie genüsslich bis aufs Hemd ausgezogen und keine Körperöffnung unkontrolliert gelassen, in der man ein Stilett unbemerkt bis vor den Thron hätte tragen können. Doch diesen Meuchlern aus Alamut war jede Zauberei zuzutrauen. Sie griffen in die Luft, und schon hielten sie einen Dolch in Händen, und deshalb hatte er seiner Leibwache befohlen, auf den Stufen zu seinen Füßen in Dreierreihen zu lagern.

Eigentlich hätte der weise el-Din Tusi längst merken können, dass seine Bemühungen erfolglos bleiben würden. Eine Einigung des Islam gegen die in weiter Ferne heraufziehende Mongolengefahr glich dem Versuch, Katze und Hund, Falke und Schlange zu bewegen, unter einem gemeinsamen Dach Zuflucht vor einer Gewitterwolke zu suchen, von der nicht einmal klar war, ob und wo sie sich mit Blitz und Donner entladen würde. Ehe ein solches Bild der Einigkeit denkbar wäre, müssten sich erst einmal diese Banditen aus den Bergen des Khorasan, die sich so gern als Adler sahen – obwohl sie eher Schlangen glichen! –, darauf verständigen, ihre Bisse einzustellen, und beweisen, wie sehr ihnen tatsächlich die Einheit des Islam am Herzen lag. Andernfalls hatte er, als Kalif das bevorzugte Ziel dieser Mörderbande, nichts als eine Natter an seinem Busen.

Der schlaue el-Din Tusi, dessen Gelehrsamkeit der Kalif in dem gleichen Maße schätzte, wie er seine politische Naivität belächelte, schien die Gedanken seines Obersten Herrn erraten zu haben. Über die Köpfe des Kämmerers, des ebenfalls anwesenden Obersten Sekretärs und der Leibwache hinweg richtete der Leiter der Delegation das Wort an el-Mustasim: »Erhabener Herrscher aller Gläubigen, voller Stolz und Wohlgefallen ruhte Euer Blick auf Eurer neuen Madrasa[42], Euch zu Ehren ›Mustamsiriya‹ geheißen. Ihr habt diese Stätte des Wissens allen vier Richtungen der Sunna[43] geöffnet; den Shafi'i und den Hanafi habt Ihr Lehrstühle für Professoren gegeben, selbst den sektiererischen Hanbalis und Malakis[44] habt Ihr Dozenten zugestanden, nur der Lehre der Schia nicht?«

Die Frage – wenn es denn kein Vorwurf war – blieb nicht unbeantwortet im Räume stehen. Wie von einer Tarantel gestochen, sprang Maka al-Malawi auf. »Das hat noch gefehlt!« geiferte der Kämmerer. »Zehn Generationen lang wurden die Kalifen auf diesem Thron von den Ismaeliten belästigt, bedroht, ihre treuen Wesire gemeuchelt, und zum Dank verlangt Ihr jetzt ein Katheder für Eure Irrlehre. Unterwerft Euch erst mal, Ihr freches Ketzergesindel! Und wenn der Oberste Herrscher aller Gläubigen in seiner unermesslichen Güte Eure Huldigung annimmt und den zu leistenden Tribut –«, er keuchte vor Wut und geriet in Atemnot, was der besonnenere Kanzler, der Dawatdar Aybagh[45], dazu benutzte, das Wort an sich zu ziehen: » Wenn Ihr Euch, ich meine, wenn sich Alamut vor den Mongolen fürchtet, werter el-Din Tusi, dann ist dies für uns noch lange kein Grund, unsere kostbare Reiterarmee über tausend Meilen in Eure wüsten Berge zu schicken.«

Der dickliche Dawatdar bedachte immer zuerst die innere Sicherheit.

»Die Assassinen kennen keine Furcht«, antwortete el-Din Tusi, während er sich wieder direkt an den Kalifen wandte, der trotz des wachsenden Lärms eingenickt war. »Das lasst Euch von jemandem gesagt sein, der ihnen zwar nicht angehört, sie aber gleichwohl kennt und schätzt. Sie haben dennoch keineswegs den Sinn für drohende Gefahren und strategische Überlegungen verloren: Einen Feind soll man frühzeitig zum Stehen bringen. Haben sich die mongolischen Reiterhorden erst mal hier in die Ebene ergossen, werden sie Euren berittenen Stolz zu Paaren treiben wie ein Rudel Wölfe die Schafsherde. «

»Das können wir hier, geschützt durch den Fluss und doppelte Mauern, ruhig abwarten.« In der Gemütslage glich der Dawatdar seinem Herrn aufs Haar, während er sich äußerlich – er brachte das Dreifache auf die Waage – deutlich von ihm unterschied. »Kairo und Damaskus werden uns –«

»Sie werden Euch keinen einzigen Mann zur Hilfe schicken«, entgegnete el-Din Tusi dem Sekretär. »Denkt an meine Worte, Aybagh! So wie Ihr glaubt, dass das Gewitter sich in den Bergen entladen oder an Euch vorbeiziehen wird, so wird Syrien sich nicht entblößen, schon gar nicht mit den Mameluken zu Kairo im Genack. Ich sage Euch«, und er wandte sich noch einmal an den Kalifen, »wenn es Euch, der einzigen geistigen Autorität des Islam, nicht gelingt, einen Gottesfrieden zwischen allen Völkern und Herrschern des rechten Glaubens auszurufen und eine gemeinsame Front zu errichten, wird Euch der Sturm aus dem Osten hinwegfegen, einen nach dem anderen. Nur der dichte Hain der Oase vermag es, dem Unwetter standzuhalten. Die einzelne Palme in der Wüste wird geknickt oder samt Wurzeln aus dem Boden gerissen!«

Der Kalif schaute längst wieder hinaus auf die Kuppeln und Höfe seiner Mustamsiriya. Vom nahen Minarett der Jami'al-Qasr, der Palastmoschee, rief der Muezzin[46] zum Mittagsgebet.

Die Stadt lag rosig und schläfrig im heißen Dunst. Sie erstreckte sich weiter, als das Auge des Herrschers reichte.

Missgelaunt spürte el-Mustasim seinen leeren Magen, doch eines wollte er noch wissen, bevor er die Delegation wieder dahin schickte, wo sie hergekommen war: Was war mit diesen Kindern? Er hatte el-Din Tusi eigens eingeschärft, ihm die Kinder mitzubringen, sonst könne er sich den Auftritt der Assassinen sparen, deren Anblick ihm nur auf den Magen schlug.

»Wo sind die Kinder?« hielt er sich zum ersten Mal an den Emir Hasan Mazandari[47], den Ranghöchsten der Gesandtschaft aus Alamut, von dem man wusste, dass er dem Imam sehr nahestand.

Hasan hatte den Verlauf der Debatte mit finsteren Blicken verfolgt und war entsprechend gereizt. Er war ein gut aussehender Mann, schlank und von gepflegtem Äußeren. Wenn er lachte, entblößte er Zähne, die an das Gebiss eines Raubtiers erinnerten. Seine scharf gewölbte Nase verlieh ihm die Züge eines Greifvogels, und seine Augen waren stechend wie die einer Schlange. Tusi mochte ein wohlgelittener Vermittler zwischen den sich befehdenden Anhängern der beiden Lehren des Islam sein, aber er war sichtlich ungeeignet, den Forderungen der Assassinen den gewünschten Nachdruck zu verschaffen. Wozu sollte er, der Emir, sich die Unverschämtheiten dieses Kämmerers anhören, wenn Bagdad nicht willens war, ihnen Schutz vor den Mongolen zu geben, und es nicht einmal für nötig hielt. Deshalb hatte er es seinerseits nicht für nötig gehalten, dem – durch Tusi übermittelten – Wunsch des Kalifen nachzukommen. Er hatte zwar bei der Abreise dem Herrn Delegationsführer beide Kinder vorgewiesen, aber dann nur Roç mitgenommen und die wütende Yeza wieder in die Obhut der Frauen zurückgeschickt. Wozu beide Kinder gefährden? Oder klüger gedacht: Als Königliches Paar erweckten sie die Habgier jeder Macht der Welt und machten jeden Herrscher unberechenbar. Da zählte auch der Status einer Gesandtschaft wenig. Ein Kind allein dagegen war kaum mehr wert als ein Läufer oder Springer im Spiel um die Macht.

Hasan ließ sich Zeit mit seiner Antwort, bis an die Grenze der Unhöflichkeit.

»Erhabener amir al-mumin«, sagte er dann leise, den Titel benutzend, der den Kalifen an seine Rechte und Pflichten als ›Heerführer aller Gläubigen‹ gemahnte, »wir sind durchaus bereit, unter dem Banner des Propheten zu kämpfen, in vorderster Front, wie es uns Allah beschieden, als er uns zum Vorwerk des Islam gegen die Barbaren des heidnischen Ostens berief –«

»Ketzer!«, schnaubte der Kämmerer. »Als Abtrünnige seid Ihr verstoßen aus der Gemeinschaft der Gläubigen – im Krieg wie im Frieden! Allah hat Euch vernichtet und –«

Der Kalif hob die Hand, und Hasan fuhr fort, ohne den gehässigen Maka al-Malawi eines Blickes zu würdigen. »Die Mongolen machen keinen Unterschied zwischen der Shi'at Ali, der Gefolgschaft des Blutes, und den Anhängern der Sunna, die da glauben, die reine Lehre zu kennen. Sie werden jedem Verderben bringen, der sich ihnen nicht unterwirft. Allen werden sie ihre Macht aufzwingen – bis ans Ende der Welt, als deren Herrscher sie sich berufen fühlen.«

»Die Kinder?!« mahnte der Kalif eigensinnig.

Hasan lächelte. »Überreicht die Geschenke!«, wies er seine Diener an, und sie trugen große Kisten vor die Stufen des Throns.

Auf einen Wink Hasans öffneten sie einige der Truhen und Schatullen. Der Wohlgeruch von Myrrhe und Ambra verbreitete sich im stickigen Audienzsaal, worauf aber niemand achtete, so prächtig fielen die Seidenbahnen, kaum dass die Kistendeckel angehoben wurden. Brokat- und Damaststoffe entfalteten sich, zarter Musselin schwebte zu Boden und legte sich dem Kalifen zu Füßen. Aus der Tiefe der Truhen glitzerten goldene Gefäße, Kelche und Schalen. Den kleineren Schatullen entquollen Perlenketten und kostbares Geschmeide, mit Steinen reich verziert. Auch vor dem Dawatdar und dem Kämmerer setzten die Diener große Kisten und kleine Schatztruhen ab. Hasan wandte sich verschwörerisch lächelnd an Letzteren. »Ich hoffe, werter Maka al-Malawi«, schmeichelte er, »Euer Herr wird Euch die Schätze nicht neiden, denn ich gedenke, damit Euer Herz zu gewinnen.«

Der Kämmerer war verunsichert. Da er mit schnellem Seitenblick bemerkte, dass auch der dicke Aybagh, der Kanzler und Erste Sekretär des Kalifats, davon absah, den Inhalt seiner Kisten auszubreiten, wies er sein Gefolge an, die beiden Truhen und die Schatullen ungeöffnet in seinen Palast zu schaffen. Es war weniger Raffsucht – er musste dem Kalifen so oder so seinen Anteil übersenden–; der Kämmerer wünschte vielmehr, die großzügigen Gaben seiner Feinde nicht länger vor Augen zu haben, denn noch stand für ihn die Abrechnung mit diesen hochmütigen Ismaeliten aus. Er, Maka al-Malawi, ließ sich schließlich nicht so einfach bestechen wie der fette Dawatdar!

Gerade wollte der Kämmerer zu einer neuerlichen Attacke ansetzen, da sprach der Kalif, nunmehr ungehalten: »Wir hatten nicht nach Geschenken gefragt, sondern nach den Kindern. Habt Ihr sie hergebracht?« Sein Blick schweifte herausfordernd über den gesenkten Hauptes stehenden el-Din Tusi und den finsteren Hasan hinweg und fixierte zum ersten Mal das Gefolge der Gesandtschaft, die zumeist aus älteren Rafiq[48] bestand.

Hinter dem Emir stand wie üblich ein Fida'i[49], ein Knabe noch, der starr einen umwickelten Stab senkrecht vor sich hielt. Alle Anwesenden wussten, dass dieser unter dem Tuch aus ineinander gesteckten Dolchen bestand, immer eine Klinge im Heft des anderen versenkt. Eine symbolische Geste, die eine klare Sprache spricht, dachte der Kalif, und er überlegte, ob es nicht doch richtiger wäre, eine klare Antwort zu erteilen, wie es sich sein unerbittlicher Kämmerer wünschte.

Hinter dem Knaben mit den Dolchen stand ein noch jüngerer mit zarten Gesichtszügen, soweit dies unter der tief in die Stirn gezogenen Kapuze zu sehen war. Er wirkte weit unheimlicher, denn er trug ein Linnen über dem Arm, und el-Mustasim wusste, wie die Antwort lauten würde, sollte er nach dessen Bedeutung fragen: »Dies ist Euer Leichentuch, erhabener Herrscher aller Gläubigen, wenn es meinem Herrn, dem Imam Muhammad III., so gefällt.«

So weit war es gekommen mit der Macht des Kalifen – ein Sektenführer aus den Bergen Persiens ließ ihn erzittern!

Da übergab der junge Fida'i seinen Stab aus Dolchen an den hinter ihm Stehenden und verneigte sich vor dem Kalifen, ohne sich zu Boden zu werfen. In königlicher Geste legte er die Rechte auf sein Herz und schaute dem alten Mann in die Augen. »Ihr wolltet uns sehen, erhabener Herrscher aller Gläubigen, und da sind wir! Denn es gefällt den Kindern des Gral, Eure Bekanntschaft zu machen und Eure Freundschaft zu suchen.«

Der Kalif schickte sich gerade an, sich von seinem Thron zu erheben, um den kühnen Knaben, der sich bereits furchtlos seinen Weg durch die Leibwächter bahnte, in die Arme zu schließen. »Lasst ihn zu mir!«, rief der Herrscher seinen Männern zu, die dem Fida'i mit Krummsäbeln den Weg versperrten. »Du bist also Roç«, vergewisserte sich el-Mustasim. »Und wo ist die Prinzessin?« wandte er sich darauf misstrauisch an den Emir.

Der Knabe lächelte, und Hasan beeilte sich zu erklären, dass man Yeza, dem zweiten Königlichen Kinde, die beschwerliche Reise nicht habe zumuten können.

»Das ist nicht wahr!«, rief darauf eine helle Stimme, und der zierliche Fida'i mit dem Linnen strich sich mit einer so heftigen Kopfbewegung die Kapuze aus der Stirn, dass sein Blondhaar sichtbar wurde. »Wir, die Königlichen Kinder, sind unzertrennlich, und es gibt keine Beschwernisse, die mir nicht zugemutet werden könnten.«

Damit war Yeza vorgetreten, neben Roç, und sie bedachte den Kalifen sogleich mit einem flammenden Appell: »Unser Gruß gilt dir, amir al-mumin! Und du kannst auf unsere Hilfe zählen, wenn es gilt, die Völker, die an den einen Gott glauben, für den Kampf gegen die gottlosen Tataren[50] aus der Steppe zu einigen!«

»Sie spricht wie das Mädchen Tawaddud[51]!« wandte sich der Herrscher begeistert an el-Din Tusi, während der kleine Mann mit dem stechenden Blick jetzt zum Dawatdar, dem Kanzler, getreten war und mit ihm flüsterte. Der Kalif wusste, dass der Hinkefuß, den er nicht ausstehen konnte, der Vertraute und Zuträger seines Kanzlers war.

» Was sagen meine Ratgeber dazu?«, unterbrach der greise Kalif die Heimlichkeiten.

Doch Yeza fuhr empört dazwischen: »Ich bin keine Sklavin, die Märchen erzählt, und die sicheren Zeiten von Tausendundeiner Nacht sind für Bagdad längst vorbei.«

»Da hört Ihr es!«, frohlockte der Kalif. Maka al-Malawi, der Kämmerer, sah seine Felle davonschwimmen. »Verfallt nicht ihren Lügengespinsten, hoher Herr«, keuchte er aufgebracht. »Das sind Ketzerkinder, häretisch wie die Brut Ismaels!« Mit Blicken suchte er den Beistand des dicken Dawatdar, mit dem er sich als Sunnit im Hass auf die abtrünnigen Schiiten einig wusste, doch der sah zur Seite.» Wir sollten die ganze Bande in den Kerker werfen, die frechen Emissäre aus Alamut enthaupten und ihre Köpfe samt diesen lebenden Kindern des Sheitans[52] dem Großkhan schicken!« fauchte der Kämmerer bösartig. Dann fing er sich wieder und verspritzte sein Gift überlegter. »Der Mongole hat es beileibe nicht auf Bagdad abgesehen, sondern ist verärgert über diese tückischen Felsennester in den Bergen des Khorasan, aus denen die Hornissen nach allen Seiten zum Stechen ausschwärmen. Folgt meinem Rat, er ist mehr wert als jedes schwachsinnige Bündnis mit Leuten, die Euch stets nach dem Leben getrachtet haben, erhabener Herrscher.«

Der Kalif hob beschwichtigend die Hand. Sein Blick fiel auf Yeza, die nach einem unauffälligen Griff in ihren blonden Haarschopf einen Dolch in der Faust hielt. »Willst du mich töten?«, flüsterte er erschüttert in das entsetzte Schweigen, das durch die zum Schlag erhobenen Seimitare seiner Wächter noch bedrückender wurde.

Yeza rührte sich nicht, sie hielt die Klinge senkrecht vor ihrem Gesicht, sodass ihre grauen Augen sich darin spiegelten. »Niemals«, antwortete sie ruhig. »Doch wenn eine Natter zischt, sollte man auf der Hut sein!«

»Bis'mil a –«, stöhnte Maka al-Malawi, gewillt, das vereinbarte Stichwort hervorzustoßen. Doch der Dawatdar schnitt ihm den Ausruf im Munde ab. »Bis'mil Allah!«[53] rief er schnell. Das gefiel auch Yeza. »Im Namen Allahs!«, rief auch sie, schob ihren Dolch wieder ins Haar, als sei nichts geschehen, und wandte sich Roç zu. Der verneigte sich vor dem Kalifen und sprach: »Ihr habt uns jetzt gesehen, und wir haben Euch gewarnt. »Insch'Allah! Gottes Wille geschehe!« Unbehelligt verließ die Assassinen-Delegation den Audienzsaal. Keiner der anwesenden Würdenträger begleitete sie, wie es Sitte und Anstand geboten hätten.

Als solle er die Gesandtschaft der Ismaeliten vor dem Volk verstecken, führte Chaiman[54], der Bursche mit dem stechenden Blick, sie schleppenden Schrittes durch die schmutzigen Wirtschaftshöfe des alten Palastes zu einem Hintertor gleich neben den Küchen.

Roç und Yeza genossen den Marsch durch die engen Gassen der Soukhs[55] auch ohne Kommentar ihres hinkenden Führers, der auf keine ihrer Fragen antwortete.

»Eine lahme Ratte«, murmelte Yeza grinsend, »und taubstumm dazu!«

»Ratten sind mir sympathischer«, flüsterte Roç mit ernsthafter Miene zurück.

Die beiden Kinder[56] konnten den Himmel nicht sehen, denn entweder ragten die Häuser mit ihren kostbar geschnitzten, längst verwitterten Erkern über den plattenbelegten Weg, oder der Zug bewegte sich durch verwinkelte Säulengänge und bröckelnde, einst mit Kacheln verzierte Torbögen. In diesem Viertel hausten die als gering angesehenen Berufsstände, und so roch es auch. Die Metzger hatten ihre ausgeweideten Hammel vor die Läden gehängt, die Köpfe als Blickfang gleich dazu. Zwei Gassen weiter walteten die Abdecker ihres trostlosen Amtes. Knochen wurden ausgekocht und das Fett abgeschöpft, das in schmierigen Holzkisten erkaltete. Es wimmelte von Ratten. »Die Nager sind Meister in der Verwertung aller Stoffe«, sagte Roç.

»Hier gibt's zu viele«, entgegnete Yeza. »Stell dir vor, sie fallen in die Suppe, die sich die Armen hier aus Resten kochen.«

»Dazu sind sie zu klug – schau, da drüben, wo die Gerber Häute laugen und die Färber in ihren Bottichen rühren, da sind keine zu sehen!«

Unter der schweigsamen Führung des Hinkenden gelangten die Assassinen auf kürzestem Weg zurück zur ältesten Madrasa Bagdads. Dort hatte der Kämmerer, der ihnen nicht wohlwollte, sie bei ihrer Ankunft untergebracht. Ihr Begleiter durch die Soukhs verschwand grußlos.

»Die Nizamiya ist eine traditionelle Herberge«, erklärte el-Din Tusi den Kindern. Aber es galt, auch den aufgebrachten Emir Hasan zu beschwichtigen, der dieses Quartier – mit Recht! – als einen Affront betrachtete. »Seit Hunderten von Jahren sind hier die Karawanen abgestiegen, die aus den Wüsten des Maghreb[57] zu uns kamen und aus den Schneewäldern des Nordens, wo die Leute rohen Fisch verzehren. Hier endete die Seidenstraße aus dem Land der Cathai[58], hierhin haben die Kamele die Teppiche aus Buchara und Täbriz getragen, hier sind die Schiffsleute an Land gegangen, die Gewürze, Aromen und Essenzen aus Indien brachten und schwarze Sklaven aus Afrika. Hier haben sich die Pilgerscharen versammelt, um gemeinsam nach Mekka und Medina zu ziehen. Die Nizamiya ist der Nabel der Welt, der Bauch –«

»Wenn Ihr, weiser Tusi, das Gedärm preisen wollt«, spottete der Emir, »dann denkt an dessen Ende und Abschluss: Denn nichts anderes ist die Nizamiya heute! Eine Absteige für furzendes Gesindel, für verschissene Bettler und für heruntergekommene Heilige, die ihren eigenen Urin schlürfen!«

Sich seiner Rolle als Kommandeur der Delegation besinnend, brach Hasan Mazandari seine Beschimpfung ab. »Ich will Allah preisen, wenn wir unser Reisegepäck wohlbehalten wiederfinden«, grollte er hinter vorgehaltener Hand, denn sie waren vor dem Tor ihrer Herberge angelangt, und die Türsteher hätten das vielleicht nicht gern gehört. So fügte er in voller Lautstärke nur knapp hinzu: »Nun nichts wie aufgepackt! Schweren Herzens wollen wir diesen Ort der tausend Wohlgerüche verlassen!«

Roç hielt Yeza am Arm zurück und wartete, bis alle Reisegefährten im Tor verschwunden waren. »Ich habe um die Ecke einen Goldschmied entdeckt«, eröffnete er ihr ohne jegliche Geheimnistuerei. »Lass uns doch schnell schauen, was wir in seiner verräucherten Höhle an preiswerten Schätzen entdecken können!« Und er zog sie an der Hand mit sich fort.

»Was nennst du ›preiswert‹? Wir können uns ja nicht einmal eine durchlöcherte Kupferkanne leisten!« rügte sie ihn lachend, ließ sich aber doch mitschleifen – schon aus Neugier und um ihm seine Freude am Stöbern nicht zu nehmen, die sie im übrigen teilte.

Der Goldschmied, ein gebücktes Männlein in abgewetztem Kittel, feilte aus Kurzsichtigkeit fast mit der Nase in seinem Schraubstock an einem silbernen Armreif. Er saß im Eingang seiner Werkstatt, und hinter ihm stapelten sich in Regalen Kessel und Pfannen, verbogene Messingleuchter, rostige Gabeln, zerkratzte Spiegel und undichte Lampen. »Ein Trödler!«, flüsterte Yeza, um den Mann nicht zu kränken, doch laut genug, um Roç ihre Enttäuschung wissen zu lassen.

Das Männlein hatte Roç wiedererkannt, und ein Leuchten ging über sein Gesicht. »Sie sind fertig«, verkündete er laut, stand auf, wischte sich die Hände am Kittel ab und kramte in einer Truhe, die er zum Schutz vor Dieben unter seinem Arbeitsplatz verborgen hatte. Er entnahm ihr ein Stoffsäckchen und schüttete den Inhalt voller Stolz in Roçs geöffnete Hände. Zwei Fingerringe purzelten heraus.

»Ay«, rief Yeza, »du Schelm, du Lump, du Betrüger!«

Doch Roç ging nicht auf ihren scherzhaften Ton ein. Mit ernsthafter Gebärde nahm er ihre Hand und steckte ihr einen der Ringe auf, bevor er sich selbst den anderen überstreifte. Beide passten wie angegossen. Sie waren nicht aus Gold. Der Reif bestand aus Messing, der Sockel aus Kupfer, und der Aufbau sah aus wie schlichtes Eisen. Dennoch betrachtete Yeza das Geschenk mit wachsender Freude, denn sie entdeckte in der Gravur die Lilie der Prieuré und in dem erhabenen Relief das tolosanische Kreuz[59]. Wortlos fiel sie Roç um den Hals und küsste ihn hinters Ohr. »Zeig mir deinen«, sagte sie dann. Sie stellte fest, dass sein Ring dem ihren fast vollständig glich, nur dass das Symbol der Prieuré sich bei seinem erhob, während das Wappen Okzitaniens tief eingeschnitten war.

»Sie sind nicht nur gleich«, erklärte Roç mit vor Würde rauer Stimme, »sie gehören auch zusammen.« Damit führte er seine Hand dicht an Yezas Ringfinger, und – klack! – sprangen die beiden Ringe zueinander und blieben ineinander haften.

»Magnetsteine!«, rief sie, und Roç musste lachen.

»Einer«, entgegnete er, »deiner natürlich!« Er schlüpfte aus seinem Reif und zeigte Yeza, wie man die Ringe voneinander löste. »Meiner ist aus gewöhnlichem Eisen.«

»Du hast mir das schönste Geschenk gemacht, Roç!«, flüsterte Yeza. Sie war glücklich.

»Uns«, sagte Roç feierlich, »weil ich dich liebe.«

»Ich hasse dich!«, rief Yeza. »Komm, wir müssen jetzt zur Nizamiya, sonst dreht Hasan durch wie ein tanzender Derwisch!«

Sie fassten sich an den Händen und liefen zurück. Der alte Goldschmied blickte ihnen versonnen nach, bis sie um die Ecke verschwunden waren.

Die Leibwächter