Das Grabmal des Theoderich in Ravenna - wirklich? - Michael Meisegeier - E-Book

Das Grabmal des Theoderich in Ravenna - wirklich? E-Book

Michael Meisegeier

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Beschreibung

Das Mausoleum des Theoderich in Ravenna "gilt als herausragendste Bauleistung der Ostgoten in Italien" [Wikipedia] Der Autor behauptet, dass das prominente Bauwerk weder von den Ostgoten erbaut worden ist noch Theoderich zugeordnet werden kann noch ein Grabmal war. Weiterhin behauptet er, dass weder Kaiser Honorius noch der Gotenkönig Theoderich je in Ravenna residiert haben und dass die prächtige Geschichte Ravennas leider nur ein Konstrukt ist. Er skizziert und eine von der Forschungsmeinung abweichende Geschichte Italiens im ausgehenden 4. Jh. und der ersten Hälfte des 5. Jh. und eine alternative Stadtgeschichte Ravennas. Das "Mausoleum" war nach Meinung des Autors ursprünglich ein rein technisches Bauwerk, das später im Zusammenhang mit der Schaffung des Ravenna-Konstrukts zum Grabmal erhoben wurde.

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Der Autor wurde 1950 in Erfurt geboren. Er studierte in Weimar Bauingenieurwesen und schloss das Studium 1977 mit der Promotion ab. Danach war der Autor bis zum Eintritt in den Ruhestand im Jahr 2015 in einem Erfurter Planungsbüro tätig.

Seit mehr als 45 Jahren beschäftigt sich der Autor mit romanischer und vorromanischer Kunst sowie mit der Geschichte des frühen Kirchenbaus vom frühchristlichen Kirchenbau bis zum Kirchenbau des 13. Jahrhunderts.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort zur 2. Auflage

Vorbemerkungen

Die manipulierte Chronologie des 1. Jtsd.

Römische Reichskirche, Papsttum und Kirchenbau

Römische Reichskirche

Papsttum

Kirchenbau

Ravenna und Theoderich in der konventionellen Geschichtsschreibung

Theodosius und Theoderich

Kaiser Theodosius?

Italien nach dem Tod des Theodosius

Theoderich und die Goten in Italien

Reichsteilung von 395?

Die westlichen Provinzen nach dem Untergang Westroms

Merowinger, Westgoten, Burgunder

Byzanz in Hispanien und Africa

Der Untergang Ostroms

Ravenna - eine alternative Stadtgeschichte

Stadtentwicklung

Ravennas geologisches Problem

Das arianische Ravenna

Eine byzantinische Kirche in Ravenna - San Vitale

...

und Theoderichs Palast?

Kein Theoderich - kein Grabmal. Aber was dann?

Das Bauwerk in der traditionellen Forschung

Eine neue Fragestellung

Darstellungen des "Grabmals" in der bildenden Kunst

Welche Funktion hatte der Bau wirklich?

Gibt die Bautechnik Hinweise auf die Zeit seiner Errichtung?

Die Nachnutzung als Kirchenbau

Das versunkene Grabmal

Literaturverzeichnis

Vorwort zur 2. Auflage

Wieso so kurz nach der Erstveröffentlichung eine 2. Auflage?

Kurz nach Fertigstellung meines Buches informierte BEAUFORT über eine Korrektur seiner Rekonstruktion der Spätantike. Aufgrund seiner aktuellen Forschungen sieht er den Einschub fiktiver Jahre vor Justinian nunmehr bei nur 95 Jahren (bisher 114 Jahre). Damit erhöhen sich die fiktiven Jahre nach den justinianischen Kaisern auf 323 Jahre (bisher 304 Jahre), so dass sich in Summe wieder die ursprünglichen 418 fiktiven Jahre als Gesamteinschub ergeben.

Mit dem Thema "Theoderich" bewege ich mich exakt in der Zeit zwischen Theodosius' Herrschaft und Justinians Eingreifen in Italien. Da ich auf BEAUFORTs Rekonstruktion der Antike und Spätantike als historischen Hintergrund aufbaue, machte sich damit eine Überarbeitung erforderlich. Die an sich geringfügig anmutende Änderung von 19 Jahren ergab völlig neue Ansätze für ein nachvollziehbares Geschichtsszenario in Italien.

Die Änderungen führten zwar weder zu einer grundlegend anderen Einordnung des sog. Mausoleums Theoderichs noch der Stadtgeschichte und -entwicklung Ravennas, aber zu einer neuen Rekonstruktion der Geschichte Italiens und der byzantinische Geschichte im ausgehenden 4. und im 5. Jh.

Vorbemerkungen

In meinen bisherigen Veröffentlichungen habe ich mich ausschließlich mit Kirchenbauten befasst.

Mit diesem Buch weiche ich von meiner üblichen Themenstellung ab und befasse mich mit einem einzelnen, ursprünglich nicht sakralen Bauwerk - dem sog. Grabmal oder Mausoleum von Theoderich dem Großen in Ravenna.

Da Theoderich das Thema ist, komme ich nicht umhin, mir auch die Stadt Ravenna und den vermeintlichen Palast des Theoderich etwas näher anzusehen.

Mit den angeblich frühchristlichen Kirchen in Ravenna hatte ich mich bereits in meinem Buch zum frühchristlichen Kirchenbau [MEISEGEIER 2017, 94ff] befasst. Seither gibt es einige neuere Erkenntnisse betreffend der Chronologie des 1. Jtds., insbesondere auch die für Ravenna wichtige Zeit des 5. und 6. Jh. betreffend, doch prinzipiell ist die von mir damals getroffene Einordnung der Kirchen Ravennas in das 12./13. Jh. für mich bis heute gültig. Nur San Vitale datiere ich heute etwas jünger, weswegen ich mir diesen Kirchenbau noch einmal in einem Abschnitt vornehme.

Wie allen meinen bisherigen Publikationen liegt auch dieser Arbeit die Rekonstruktion der Chronologie nach HEINSOHN und BEAUFORT (HEINSOHN-These, modifiziert von BEAUFORT) zugrunde, die eine radikale Verkürzung des 1. Jtds. auf ganze ca. 300 Jahre beinhaltet.

Leider ist Gunnar HEINSOHN Anfang des Jahres verstorben.

Ich begrüsse es sehr, dass Jan BEAUFORT die Forschung an der Chronologie des 1. Jtds. fortsetzen möchte.

Spannend ist das Thema auf jeden Fall, da die Herrschaft Theoderichs und die Errichtung seines Grabmals in eine Zeit fallen, die von HEINSOHN und BEAUFORT als fiktiv angesehen wird. Mehr noch, auch das Ende des Weströmischen Reichs fällt in diese Zeit.

Ich muss den Leser vorwarnen. Aufgrund meiner von der traditionellen Sichtweise grundsätzlich abweichenden Auffassung zur tatsächlichen Ereignisgeschichte haben meine Ausführungen zwangsläufig teils spekulativen Charakter. Genauso sind diesbezügliche Zirkelschlüsse unvermeidlich.

Ich sehe das nicht als Nachteil. Gegenüber der großflächigen Konstruktion (Fälschung) der antiken und mittelalterlichen Geschichte sehe ich das als vernachlässigbare Sünde.

Fremdspachige Zitate werden - entgegen den akademischen Regeln - in der Übersetzung wiedergegeben, um die Verständlichkeit des Textes beizubehalten.

Für die Übersetzung der fremdsprachiger Texte habe ich vorwiegend die kostenlose Version von www.DeepL.com/Translater verwendet. In den Zitaten evtl. vorhandene Quellenangaben habe ich weggelassen. Interessenten mögen diese bei Bedarf aus den von mir zitierten Quellen entnehmen.

Die manipulierte Chronologie des 1. Jtsd.

Die antike und mittelalterliche Geschichte Europas, aber auch die von Nordafrika, dem Nahen Osten sowie von Byzanz, hat ein gravierendes Problem.

ARNDT hat in seinem Buch "Die wohlkonstruierte Geschichte" für mich überzeugend nachgewiesen, dass die Herrscherlisten Alteuropas konstruiert sind. ARNDT sieht von 768 bis 1493 ein geschlossenes System, das während der Herrschaft Karl V. (1520-1556) "entworfen wurde, oder zumindest in wesentlichen Teilen erweitert wurde" [ARNDT 2015, 71f] ARNDT hat diesbezüglich nachgelegt und auch für die römische Antike deutlich gemacht, dass die Liste der römischen Kaiser einschließlich ihrer Herrschaftszeiten konstruiert ist und nicht die Realität widerspiegelt [ARNDT 2021].

Das heißt konkret, dass die Geschichte des gesamten europäischen Mittelalters (und offenbar weit darüber hinaus) weitgehend erfunden ist. Unser Geschichtsbild wird bis heute durch diese gefälschte, größtenteils erfundene Ereignisgeschichte bestimmt. Die Erfindung betrifft wie oben bereits gesagt sowohl die Geschichte der Karolinger, als auch die der Ottonen, aber auch die Geschichte der Salier und Staufer. Meine Interpretation: Das gesamte römisch-deutsche Kaisertum hat es vor dem Spätmittelalter nie gegeben.

Nun ist nicht nur die Geschichte konstruiert, sondern die Chronologie enthält auch auf der Zeitachse Abschnitte, sog. Phantomzeiten, die real keine Geschichte enthalten können, die aber nachträglich mit "Geschichte" gefüllt worden sind.

So sah z. B. ILLIG den Einschub einer 297jährigen Phantomzeit in der Zeit von 614 bis 911, die nachträglich u. a. mit der Karolingergeschichte gefüllt wurde.

Bemerkenswert ist, dass nicht nur die Geschichtsfüllung der Phantomzeiten erfunden ist, sondern die Geschichte darüber hinaus, in der Realzeit, ebenfalls konstruiert ist, womit die tatsächliche Ereignisgeschichte in diesem langen Zeitraum fast unkenntlich geworden ist.

Die Geschichtsschreibung oblag allein der Kirche, d. h. die Kirche besaß die Deutungshoheit über ihre eigene Geschichte. Es ist also generell davon auszugehen, dass die reale Ereignisgeschichte im Sinne der römischen Kirche umgedeutet wurde. Wir müssen davon ausgehen, dass die Ereignisgeschichte der Antike und des Mittelalters in weiten Bereichen völlig anders ablief, als sie uns traditionell vermittelt wird.

Ein Beispiel ist der sog. Investiturstreit des späten 11. und beginnenden 12. Jh. im Bereich der römischen Kirche, der m. E. der Streit um das Eigenkirchenrecht war, welches am Ende durch das Patronatsrecht abgelöst wurde. Auch die Kreuzzüge halte ich für eine Um- bzw. Zweckinterpretation der römischen Kirche (siehe [MEISEGEIER 2023, 52ff]).

In [MEISEGEIER 2019-1, 16] habe ich deswegen folgende These formuliert:

Alle Schriftquellen, wie Chroniken, Urkunden, etc., die unseren mitteleuropäischen Bereich betreffen und von denen die Forschung ausgeht, dass sie im Zeitraum von ca. 600 bis dem 12. Jh. verfasst sind, sind im Wesentlichen Fälschungen ab dem 12. Jh., also nachträglich verfasst und rückdatiert. Der Fälschungsumfang dürfte auch noch die meisten Quellen des 12. Jh. betreffen und möglicherweise noch darüber hinaus. Betroffen sind auf jeden Fall alle karolingischen und alle ottonischen Quellen, aber eben auch die dem 11. Jh. zugeschriebenen Quellen sowie auch spätere. D. h., alle auf uns überkommenen, sogenannten zeitgenössischen Schriftquellen des frühen und hohen Mittelalters sind Pseudepigraphen, d. h. Falschzuschreibungen, oder Fälschungen.

Dasselbe gilt im Prinzip auch für Byzanz.

"Auch die byzantinische Geschichte kennt ein ähnlich wohlstrukturiertes Mittelalter wie auch der Rest Europas. Besonders auffällig ist hier die Makedonische Dynastie (8671056)." [ARNDT 2015, 156]

"Erst mit dem Jahre 1204, der Besetzung Konstantinopels durch die Kreuzfahrer, ist die deutliche Strukturierung der byzantinischen Geschichte beendet. Das lässt darauf schließen, dass wesentliche Teile davon erst nach 1204 geschrieben wurden. Die byzantinische Geschichte unterscheidet sich insofern nicht von der Geschichte der anderen Länder Europas." [ebd., 164]

Seit 2013 arbeitete HEINSOHN, der leider im Frühjahr verstorben ist und der zuvor gemeinsam mit ILLIG arbeitete, an seiner eigenen These, die sog. HEINSOHN-These, nach der die Chronologie des 1. Jahrtausends keine Phantomzeiten enthält, sondern nur drei zeitgleiche Abschnitte mit regional unterschiedlicher Ereignisgeschichte - die weströmische Antike (0-230), die byzantinische Spätantike (290-520) und das europäische Frühmittelalter (700-930) -, die irrtümlich aneinandergereiht wurden, womit die Chronologie des 1. Jahrtausends künstlich um ca. 700 Jahre gestreckt wurde. Er sieht jeweils am Ende dieser Zeitabschnitte, d. h. um 230 in Westrom, um 520 in Byzanz und um 930 im Norden/Nordosten je eine größere Naturkatastrophe, die derzeit als drei einzelne Katastrophen erscheinen, die jedoch für ihn infolge des Übereinanderlegen dieser zeitgleichen Abschnitte eine globale Naturkatastrophe repräsentieren.

HEINSOHN gibt auf der Webseite "www.q-mag.org/gunnar-heinsohns-latest.html" unter dem Artikel "The Creation of the First Millennium" eine Kurzvorstellung seiner Hauptthesen.

Weiterhin ist eine 70-seitige englische Kurzfassung des rund 700-seitigen deutschen Manuskriptblocks von WIE LANGE WÄHRTE DAS ERSTE JAHRTAUSEND? unter http://www.q-mag.org/gunnar-heinsohn-the-stratigraphy-of-rome-benchmark-for-the-chronology-of-the-first-millennium-ce.htmlzu finden.

Die Zeitgleichheit von weströmischer Antike und Spätantike bewirkt, dass Diokletian parallel zu Augustus herrschte. Er unterscheidet zwischen stadtrömischen Kaisern und Kaisern, die außerhalb der Stadt Rom herrschten. HEINSOHN weist darauf hin, dass letztere nur selten bzw. sogar nie in Rom waren.

Schon 2012, d. h. noch vor HEINSOHN, hat ARNDT eine 700jährige Phantomzeit in der Chronologie vermerkt. Entgegen HEINSOHN sieht er jedoch keine parallelen Zeitabschnitte. Er verlängert zunächst die Phantomzeit von Illig um 12 Jahre von 602 - 911 u. Z., dann hält er die Zeit von 911-1078 u. Z. für fiktiv und sieht weitere 224 fiktive Jahre von 0 - 602, vor allem im 5. und 6. Jh. (309+167+224=700).

Meinen bisherigen Arbeiten hatte ich die HEINSOHN-These zugrunde gelegt, jedoch von Anfang an mit der Einschränkung, dass ich die Geschichte im Zeitabschnitt 700 bis 930 entgegen HEINSOHN als Phantomzeit gesehen habe. Die "Geschichte" dieses Abschnittes betrachte ich für frei erfunden, ähnlich ILLIG, womit diese also nicht in die Antike verschoben werden kann.

BEAUFORT unterstützt die These HEINSOHNs grundsätzlich, legt aber sozusagen eine eigene Version der HEINSOHN-These vor, die sich hinsichtlich der Rekonstruktion der antiken Geschichte von der HEINSOHNs unterscheidet.

Während HEINSOHN die Prinzipat-Kaiser von Augustus bis Severus Alexander als Romkaiser sieht und diese parallel zu Diokletian bis Anastasios einordnet, sind nach BEAUFORT die Prinzipat-Kaiser Nerva bis Carinus keine Romkaiser, sondern sog. Grenzkaiser, wie er die außerhalb Roms in den römischen Grenzprovinzen herrschenden Kaiser nennt, die letztlich im Auftrag des Senats für die Sicherung der Grenzen des Reichs zuständig waren, und ordnet diese - genau wie die traditionelle Chronologie - zeitlich vor Diokletian ein.

"Diese Kaiser (die Grenzkaiser - MM) deute ich so, wie Heinsohn die Kaiser der Tetrarchie versteht: als „Grenzkaiser“, die in den römischen Grenzprovinzen herrschten, während die zentralen, später „senatorisch“ genannten Provinzen dem Senat unterstellt blieben und von Rom aus verwaltet wurden.

Grenzkaiser gab es, seit das Römerreich ab dem frühen 2. Jh. v. Chr. begann, sich über die Grenzen Italiens hinaus auszudehnen." [BEAUFORT 2022-1, 22f]

M. E. wurden die zentralen Provinzen ab der Tetrarchie Diokletians von einem eigenen Grenzkaiser regiert, d. h. nicht mehr vom Senat in Rom. Maximus (trad. 286-305 n. Chr., korr. 2-21 n. Chr.) war der erste in Mailand residierende Grenzkaiser für die zentralen Provinzen. Er herrschte parallel zu den stadtrömischen Kaisern Augustus und Tiberius.

Aus BEAUFORTs Version resultiert das Phänomen, dass es die frühen Grenzkaiser von Nerva bis Carinus schon zur Zeit der späten Römischen Republik gab, d. h. lange vor Beginn der traditionellen Kaiserzeit.

Die Geschichte der Römischen Republik (trad. 509-27 v. Chr.) und die Prinzipatkaiser Augustus bis Domitian (trad. 27 v. Chr. - 96 n. Chr.) verschieben sich bei ihm um 284 Jahre in Richtung unserer Zeit, d. h. sie datieren damit neu von 225-258 n. Chr. bzw. 258-380 n. Chr.

Das Ende der Antike sieht BEAUFORT durch die Schlacht von Adrianopel 94/378 n. Chr. markiert, in der das oströmische Heer gegen die terwingischen Goten unterlag und in der Kaiser Valens fiel. Aus den Terwingen sollen später u. a. die Westgoten hervorgegangen sein.

Nach BEAUFORT (und HEINSOHN?) wurden in die Chronologie 418 fiktive Jahre eingefügt, und zwar nicht en bloc, sondern in zwei Abschnitten. Ein erster 95-Jahre-Abschnitt gemäß BEAUFORT vor Justinian (nach BEAUFORT vielleicht von Justinian selbst veranlasst) und ein zweiter 323-Jahre-Abschnitt nach 610 (nach Phokas). Damit wurde das Jahr des Todes von Phokas 610 n. Chr. zum Jahr 933 u. Z.

Während HEINSOHN und BEAUFORT bis vor Kurzem noch einen Einschub von 114 Jahren zwischen der Schlacht von Adrianopel 378 n. Chr. und dem Herrschaftsantritt von Justinian 527 n. Chr. vorschlugen, hält BEAUFORT heute einen Einschub von "nur" 95 Jahren für zutreffend.

Die nachjustinianischen Kaiser wurden wie Justinian um 95 Jahre in Richtung Gegenwart verschoben (korrigierte Herrschaftsdaten n. Chr. wären damit: Justin II. 470-483, Tiberius I. 483-487, Maurikios 487-507, Phokas 507-515).

BEAUFORT sieht Herakleios (trad. 610-641 n. Chr.) deutlich früher, noch vor Adrianopel. Sein Argument, dessen Kampf gegen Muslime, kann ich jedoch nicht nachvollziehen. Für mein vorliegendes Thema ist das jedoch ohne Belang.

Der zweite Einschub von 323 Jahren erfolgte vielleicht im Hochmittelalter (11. Jh.?) im Zusammenhang mit der Schaffung der Zeitrechnung nach u. Z. (oder auch AD-Zeitrechnung), der heute noch gültigen Zeitrechnung.

Dadurch gelangt der Tod des Phokas (trad. 610 n. Chr.) in das Jahr 933 u. Z.

Eckwerte nach BEAUFORT:

Bei den obigen Eckwerten hat BEAUFORT die von ihm angenommenen Einschübe fiktiver Zeit herausgerechnet.

Beispiele:

Die Rechnung ist in sich stimmig, obgleich die neuen Datierungen äußerst gewöhnungsbedürftig und für den Laien meiner Meinung nach unübersichtlich sind.

Meine Interpretation:

Für meine vorliegende Arbeit halte ich mich an BEAUFORT und übernehme seine Rekonstruktion der Antike, wobei ich mir natürlich bewusst bin, dass seine Rekonstruktion nur einen Arbeitsstand (05/23) darstellt.

Natürlich kann es in der fiktiven Zeit keine reale Ereignisgeschichte gegeben haben. Diese fiktiven 418 Jahre wurden im Nachgang weitgehend mit erfundener oder zeitlich verschobener Geschichte gefüllt.

Auf jeden Fall bedeutet das, dass Justinian nicht 527 n. Chr. auf den Kaiserthron in Konstantinopel kam, sondern bereits 432 n. Chr. Mit Justinian wurden auch die nachfolgenden Kaiser bis einschließlich Phokas verschoben. Diese regierten real also ebenso 95 Jahre früher.

Durch die Verschiebung von Justinian um 95 Jahre in Richtung Vergangenheit, stellt sich die Frage nach dem Verbleib der traditionell vor Justinian herrschenden Kaiser, also die wesentliche Frage, wo der Einschub der fiktiven Jahre erfolgt ist. Durch die Verschiebung müssen zwangsläufig Kaiser aus der traditionellen Liste der spätantiken Kaiser entfallen, wenn man nicht die Herrschaftsdauer der Kaiser zusammenstreichen will.

Die Betrachtung muss für den Osten und den Westen getrennt erfolgen.

Zunächst der Osten: Der Einschub der 95 fiktiven Jahre unmittelbar vor dem Herrschaftsantritt Justinians würde bedeuten, dass die Jahre 432 bis 527 n. Chr. in der traditionellen Chronologie nachträglich hineinkonstruiert wurden. Davon wären die Vorgänger Theodosius II. bis Justin I. betroffen. Das halte ich für unwahrscheinlich.

Für wahrscheinlicher halte ich, dass der Einschub der 95 fiktiven Jahre vor dem Herrschaftsantritt von Zeno erfolgt ist. Die Jahre 379 bis 474 n. Chr. werden dadurch zu fiktiven Jahren. Das bedeutet im Klartext, dass in der Chronologie des Ostens die Kaiser Theodosius I. bis Leo II. überzählig sind. Diese sind in der Kaiserfolge ersatzlos zu streichen. Das bedeutet aber auch, dass nach der Schlacht in Adrianopel 378 n. Chr. und dem Tod des Valens nicht Theodosius I., sondern Zeno ab 379 n. Chr. auf den Thron in Konstantinopel kam.

Nun der Westen: Mit Justinians Eingreifen in Italien (Gotenkrieg) musste auch die Chronologie des Westens synchronisiert werden. Ich halte den Feldzug des Narses (trad. 551/552 n. Chr.) für den Schnittpunkt, wo sich die Chronologie des Ostens mit der des Westens kreuzte. Damit dürfte der Feldzug real 95 Jahre früher, d. h. 456/457 n. Chr., stattgefunden haben. Das bedeutet aber zusätzlich, dass die Jahre 456/457 bis 551/552 n. Chr. im Westen fiktive Jahre sein müssen und die Ereignisse in dieser Zeit erfunden sind.

In diese Zeit fallen die wichtigen Ereignisse der traditionellen Geschichtsschreibung wie die Entmachtung des Romulus Augustus 476 durch Odoaker und die gesamte Herrschaft der Goten in Italien.

Auf der vorherigen Seite habe ich versucht, die fiktiven Jahre in der traditionellen Chronologie grafisch darzustellen.

Die Rekonstruktion der Antike/Spätantike bis Phokas nach BEAUFORT habe ich zum Vergleich in die Grafik zusätzlich aufgenommen.

Die aus meiner Sicht wahrscheinliche Ereignisgeschichte von Ende des 4. Jh. bis Mitte des 5. Jh. versuche ich im Abschnitt Theodosius und Theoderich zu rekonstruieren.

Wegen der meiner Auffassung nach besseren Verständlichkeit behalte ich die traditionelle Anordnung auf der Zeitachse bei, womit die Römische Republik (trad. von 509 - 27. v. Chr.) und die Prinzipatkaiser bis Domitian (trad. von 27 v. Chr. - 96 n. Chr.) wie gewohnt von 509 v. Chr. bis 96 n. Chr. datieren.

Die Kaiser Nerva bis Valens (trad. 96 - 378 n. Chr.) werden gemäß BEAUFORT um 284 Jahre in Richtung Vergangenheit geschoben. Durch die Verschiebung entsteht eine Lücke von 284 Jahren, deren Beginn/Ende durch die Schlacht von Adrianopel 94/378 n. Chr. markiert ist.

Diese "Lücke" ist prinzipiell ereignislos. Sie resultiert vermutlich aus dem Übergang von der Ära Diokletian (DE) zur christlichen Ära "v. Chr./ n. Chr." (CE).

Die christliche Zeitrechnung geht nach BEAUFORT wahrscheinlich auf eine Osterfestberechnung des Patriarchen von Alexandrien, Cyrill von Alexandria (†444 n. Chr.), zurück, der 418 u. Z. eine 95jährige Ostertafel mit dem Kopfjahr 153 DE (= 437 n. Chr.) berechnete, welche dann Dionysius Exiguus fortsetzte. Zur selben Zeit schrieb Eusebius Hieronymus (†420 n. Chr.) "eine Chronik, die dieselbe Zeitrechnung benutzt und und die römische Republik sowie die Zeit des Prinzipats bis einschließlich Domitian um 284 Jahre in die Vergangenheit schiebt." [BEAUFORT "Epochen einiger Zeitrechnungen, die seit Diokletian benutzt wurden", 23.03.2022]

Ich bin mir jedoch nicht sicher, ob o. a. Quellen nicht vielleicht Pseudepigraphen sind, um die Herkunft der christlichen Zeitrechnung "glaubwürdigen" Vertretern des Christentums zuzuschreiben, hier u. a. dem Kirchenvater Hieronymus.

Nach traditioneller Auffassung wurde die christliche Zeitrechnung jedoch erst von Dionysius Exiguus im 6. Jh. n. Chr. geschaffen, indem er - vereinfacht gesagt - das Jahr 248 DE zum Jahr 532 n. Chr. bestimmte. Vielleicht wollte auch die spätere römische Geschichtsschreibung die christliche Ära als römische Kreation erscheinen lassen, da Dionysius Exiguus seit 500 n. Chr. in Rom lebte.

Die christliche Ära kann demnach frühestens ab 532 n. Chr. Verwendung finden. Für nicht ausgeschlossen halte ich, dass sie sogar zeitgleich mit der AD-Zeitrechnung im 11. Jh. geschaffen wurde.