Frühe Kirchenbauten in Deutschland - alle zu früh datiert - Michael Meisegeier - E-Book

Frühe Kirchenbauten in Deutschland - alle zu früh datiert E-Book

Michael Meisegeier

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Beschreibung

Die aktuellen Rekonstruktionen der Baugeschichten der frühen Kirchen basieren großenteils auf den Schriftquellen und dem heutigen Geschichtsbild. Mit der Feststellung, dass alle frühen Schriftquellen Fälschungen späterer Zeit sind und die Geschichte des Mittelalters weitgehend konstruiert ist, bedarf es einer Neubetrachtung dieser Rekonstruktionen. U. a. bietet der Autor alternative Rekonstruktionen der Baugeschichten für die Pfalzkapelle in Aachen, den Dom zu Augsburg, Corvey, den Dom und die Michaelskapelle in Fulda, den Dom und die Michaelskirche in Hildesheim, den Kölner Dom und die zwölf romanischen Kirchen in Köln, Lorsch, Seligenstadt, den Dom zu Speyer. Im Anhang einige Schweizer Kirchen, wie St. Müstair, die Kirchen in Chur, St. Gallen und St. Maurice.

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Der Autor wurde 1950 in Erfurt geboren. Er studierte in Weimar Bauingenieurwesen und schloss das Studium 1977 mit der Promotion ab. Danach war der Autor bis zum Eintritt in den Ruhestand im Jahr 2015 in einem Erfurter Planungsbüro tätig.

Seit mehr als 40 Jahren beschäftigt sich der Autor mit romanischer und vorromanischer Kunst sowie mit der Geschichte des frühen Kirchenbaus vom frühchristlichen Kirchenbau bis zum Kirchenbau des 13. Jahrhunderts.

Veröffentlichungen des Autors zum Thema:

"Frühe Kirchenbauten in Mitteldeutschland. Alternative Rekonstruktionen der Baugeschichten"

2. überarbeitete und ergänzte Auflage

Im Anhang: Frühe Geschichte Mitteldeutschlands - Versuch einer Rekonstruktion

2019, 302 S., BoD-Books on Demand, Norderstedt

ISBN: 9783749454624

"Der frühchristliche Kirchenbau - das Produkt eines Chronologiefehlers. Versuch einer Neueinordnung mit Hilfe der HEINSOHN-These"

Im Anhang u. a. Exkurs: Die Erschaffung der karolingischen und ottonischen Baukunst

2017, 280 S., BoD - Books on Demand, Norderstedt

ISBN: 9783848256686

"Das Heilige Grab in Gernrode - alles klar, oder? Eine alternative Baugeschichte"

Im Anhang Exkurs: Die "Reliquienkammer" in der Ostkrypta der Stiftskirche in Gernrode

2018, 60 S., BoD-Books on Demand, Norderstedt

ISBN: 9783746097381

"Die ottonischen Kirchen St. Servatii, St. Wiperti und St.

Marien in Quedlinburg. Eine notwendige Revision"

2018, 104 S., BoD-Books on Demand, Norderstedt

ISBN: 9783752824902

Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkungen

Wenn die Geschichte falsch ist?

Wie entstand das Konstrukt des frühen und hohen Mittelalters?

Wann wurde die Karolingerlegende geschaffen?

Geschichte ohne Karolinger, Ottonen, Salier und Staufer

Die Kirche

Frühe Kirchenbauten alle fehldatiert

Traditionelle Datierungen

Eine neue Romanik?

Ausgewählte Kirchenbauten

Aachen, so genanntes karolingisches Oktogon - ein oströmischer Anfang?

Augsburg, Dom Mariä Heimsuchung - ursprünglich ein gewesteter Bau

Corvey, St. Stephanus und St. Vitus - nichts Karolingisches, aber ein römisches "Westwerk"

Fulda, Dom - der fiktive Bonifatius ist unschuldig

Fulda, St. Michael - eine Kopie der Grabrotunde

Hildesheim, Dom St. Mariä Himmelfahrt - eine spannende Baugeschichte

Hildesheim, St. Michael - keine Gründung Bernwards

Köln, Dom St. Petrus - den Vorgängerbau gefunden?

Die zwölf großen romanischen Kirchen in Köln - Tradition gegen Realität

Lorsch, Benediktinerabtei St. Petrus, Paulus und Nazarius - romanischer Kirchenbau normal

Seligenstadt, Einhardsbasilika - ohne Einhard zum Ersten

Solnhofen, Sola-Basilika - Gründung eines Eigenkirchenherrn namens Sola?

Speyer, Dom St. Maria und St. Stephan - Vorgängerbau identifiziert?

Steinbach bei Michelstadt, Einhardsbasilika - ohne Einhard zum Zweiten

Unterregenbach - Kein Rätsel von Regenbach

Anhang

Exkurs: Schweizer Beispiele

Frühe Kirchen in Chur: Kathedrale, St. Stephan, St. Luzi, St. Martin - alle romanisch

Müstair, St. Johann - Welterbe fehldatiert

Sankt Gallen, Abteikirche St. Maria und Gallus - ein archäologisches Trauerspiel

St. Maurice d'Agaune - eine 500 Jahre zu lange Klostergeschichte

Literaturverzeichnis:

Vorbemerkungen

Es scheint unter den Mediävisten und Kunsthistorikern Konsens zu herrschen über die früh- und hochmittelalterliche Geschichte und Kunstgeschichte. Auf die Karolinger folgten die Ottonen, welche von den Saliern in der Herrschaft abgelöst wurden. Nach den Saliern sind es die Staufer, die die Geschicke Mitteleuropas und nicht nur dort bestimmten. Zwangsläufig ist die Kunstgeschichte diesem Bild gefolgt. Der karolingischen Renaissance folgt die ottonische Renaissance, dieser folgt die Kunst und Architektur der Salier und die der Staufer.

Während traditionell die Kunst der Karolinger und Ottonen als vorromanisch gilt, bestimmen die Salier und Staufer die Romanik.

Es gibt unzählige Publikationen zur karolingischen Kunst und zu Karl dem Großen als prominentesten Vertreter der Karolingerzeit, z. T. prächtig ausgestattet und reich bebildert.

Neben ihren vielen anderen vorzüglichen Eigenschaften sind Karl der Große und seine Nachfolger auf dem Thron als großzügige Bauherrn in die Geschichte eingegangen. Nach ILLIG [1996, 205] nennt die Statistik 544 Großbauten für die Zeit Karl des Großen und seiner beiden Nachfolger Ludwig I. und Lothar I., also von trad. 768-855, davon 27 Kathedralen, 100 Königspfalzen und 417 Klöster. ILLIG [ebd., 208] zitiert BRAUNFELS: "Von allen diesen Bauten hat man nur 215 archäologisch untersucht, nur von einem Bruchteil von diesen sind Reste erhalten. Die Werke, die ganz oder doch in wesentlichen Teilen noch stehen, lassen sich fast an den zehn Fingern aufzählen".

Eine große Schar von Wissenschaftlern hat sich mit den Karolingern und ihrer Geschichte befasst. Ihre Arbeiten füllen sicher ganze Bibliotheken. Werden dadurch die Karolinger fassbarer?

Die ottonische Kunst und Architektur kommt nicht ganz so spektakulär daher. Die Kunst der Ottonen ist erst seit etwa Mitte des vergangenen Jahrhunderts durch die Veröffentlichung von JANTZEN "Ottonische Kunst" eine eigene Kunstepoche. JANTZENs Sichtweise hat sich zumindest auf dem Gebiet der Baukunst nicht so richtig durchgesetzt.

Die Ottonen herrschten traditionell von 919 bis 1024. Keines der von JANTZEN betrachteten Kirchenbauten reicht wirklich vor die Jahrhundertmitte des 10. Jh. zurück.

Der so genannte ottonische Kirchenbau beginnt auch bei JANTZEN so richtig erst ab der Jahrtausendwende und verschmilzt nahtlos mit dem frühromanischen Kirchenbau. Eine stilistische Abgrenzung zur frühen Romanik ist eigentlich nicht möglich, was übrigens auch für die karolingische Kunst und Architektur zutrifft.

Schon für GRODECKI "Universum der Kunst. Die Zeit der Ottonen und Salier" gehört die Architektur der Ottonen und Salier zusammen.

UNTERMANN erwähnt den Begriff "ottonische Kunst bzw. Architektur" gar nicht. Bei den sächsischen Bauten des 10. Jh. spricht er aber von ottonischen Kirchen.

Doch ist in der Wissenschaft Konsens ohne jede Bedeutung, da Wissenschaft keine demokratische Einrichtung ist, in der die Mehrheit Recht hat.

Dieses Bild bekommt mit ILLIG einen ersten Riss. ILLIG kam bei der Ausarbeitung seiner so genannten Phantomzeitthese letztendlich zu dem Schluss, dass es Karl den Großen und seine Zeit nie gegeben hat. Bis heute vertritt ILLIG seine These, die die Zeit von 614 bis 911 als Phantomzeit ansieht und ersatzlos streicht. ILLIG streicht die Karolinger vor 911 komplett und belässt nur die westfränkischen Karolinger von 911 bis 987 in der Geschichte. Reale Bauten, die traditionell dieser Zeit zugeordnet werden, datiert er entweder vor 614 bzw. nach 911.

Es ist offensichtlich, dass die Architektur- und Kunstgeschichte der Geschichte folgt. Gibt es eine Geschichte, so weisen die Kunsthistoriker ihr auch eine Kunstgeschichte zu, auch wenn diese Zuweisung oft ziemlich problematisch ist.

Was passiert aber, wenn sich herausstellt, dass die Geschichte falsch ist? Ein genauerer Blick auf die Geschichte des frühen und hohen Mittelalters lohnt.

Wenn die Geschichte falsch ist?

ARNDT schreibt in seinem bemerkenswerten Buch "Die wohlkonstruierte Geschichte" von der "Fiktionalität eines wesentlichen Teils der Pippiniden- und Karolinger-Geschichten" [ARNDT 2015, 100]. Er sieht die Merowinger und die Karolinger "nach derselben Schablone gestrickt" und betitelt seinen Abschnitt zur Karolingerzeit mit der Frage: "Sind die Karolinger nur ein Double der Merowinger?" [ebd., 98]. Während die Herrscherliste der Merowinger zwar offensichtliche Manipulationen aufweist, jedoch zumindest bis 584 evtl. noch einschließlich Dagobert I. (605-639) einen realen Kern erkennen lässt, scheinen die Herrscherlisten der Karolinger und der ihnen folgenden Ottonen, Salier und Staufer im Wesentlichen frei konstruiert zu sein. ARNDT sieht von 768 bis 1493 ein geschlossenes System, das während der Herrschaft Karl V. (1520-1556) "entworfen wurde, oder zumindest in wesentlichen Teilen erweitert wurde" [ebd., 71f].

Seit etwa 2013 wird die von Gunnar HEINSOHN erarbeitete These der radikalen Verkürzung der traditionellen Chronologie des ersten Jahrtausends auf ca. 300 Jahre in einem kleinen Kreis diskutiert.

HEINSOHN, der seine These vorwiegend stratigraphisch begründet, sieht die Zeitabschnitte der Jahre 1 - 230 in Westrom und 290 - 520 in Ostrom bzw. Byzanz sowie Anfang 8. Jh. - 930 im Norden und Nordosten zeitgleich. Er sieht jeweils am Ende dieser Zeitabschnitte, d. h. um 230 in Westrom, um 520 in Byzanz und um 930 im Norden/Nordosten eine größere Naturkatastrophe, die derzeit als drei einzelne Katastrophen erscheinen, die jedoch für ihn eine globale Naturkatastrophe darstellen.

HEINSOHN gibt auf der Webseite "www.q-mag.org/gunnar-heinsohns-latest.html" unter dem Artikel "The Creation of the First Millenium" eine Kurzvorstellung seiner Hauptthesen.

Weiterhin ist eine 70-seitige englische Kurzfassung des rund 700-seitigen deutschen Manuskriptblocks von WIE LANGE WÄHRTE DAS ERSTE JAHRTAUSEND? unter http://www.q-mag.org/gunnar-heinsohn-the-stratigraphy-of-rome-benchmark-for-the-chronology-of-the-first-millennium-ce.html zu finden.

Ich möchte an dieser Stelle nicht weiter auf die HEINSOHN-These, die ich prinzipiell für zutreffend erachte, eingehen. Das habe ich bereits in meinen früheren Veröffentlichungen getan, z. B. [MEISEGEIER 2017, 12ff] und [MEISEGEIER 2019, 252ff].

Zur Entstehung dieses Chronologiephänomens hier nur so viel dazu: Anscheinend gab es im ersten Jahrtausend zwei Veränderungen in der Chronologie der Ereignisgeschichte. (Diese Überlegung, die ich noch heute für zutreffend erachte, stammt ursprünglich von BEAUFORT im Zusammenhang mit der Diskussion der HEINSOHN-These.)

Eine erste mit der allgemein bekannten, mit dem Namen Dionysius Exiguus verbundenen Einführung der Zeitrechnung nach Christi Geburt unter Justinian I. im 6. Jh., bei der wahrscheinlich die weströmische Antike gegenüber der Spätantike um 284 Jahre in die Vergangenheit verschoben wurde. Etwa ein Jahrhundert später erfolgte eine nochmalige Korrektur des Zeitpunktes der Geburt Christi. Byzanz wähnte sich nicht im 7. Jh. n. Chr., sondern bereits im 11. Jh. n. Chr., womit eine weitere Verschiebung der gesamten bisherigen Ereignisgeschichte in die Vergangenheit um 418 Jahre stattfand. Initiator kann nur das byzantinische Kaiserhaus gewesen sein. Diese zweite Verschiebung blieb offenbar nach außen unbemerkt, genauso ist ihr Motiv unbekannt (Byzanz hatte sicher kein Interesse daran, diese Verschiebung wem auch immer bekannt zu machen. Wer hätte sie sonst publik machen können?). Mit dieser zweiten Verschiebung entstand unsere aktuelle Zeitrechnung nach u. Z., die nach meiner Auffassung jedoch erst mit den Kreuzzügen nach Europa kam, also frühestens im 12. Jh., und die erst in der Folgezeit sukzessive übernommen wurde.

Die in Schriftzeugnissen, welche traditionell vor dem 12. Jh. bis weit in das 12. Jh. hinein datiert sind, auftauchenden A.D.-Datierungen sind bestenfalls Rückrechnungen, also keine originalen Datierungen, i. d. R. jedoch konstruierte, d. h. erfundene Datierungen.

An der Peterskirche in Erfurt gibt es eine in die Außenwand eingemeißelte Pestinschrift mit einer A.D.-Datierung 1382. Diese A.D.-Datierung dürfte eine originale A.D.-Datierung sein. Eine heute verschwundene Altarweiheinschrift in der ehemaligen Erfurter Peterskirche besaß die A.D.-Datierung 1351. Woanders kann es durchaus noch ältere originale A.D.-Datierungen geben.

In der Andreaskirche in Verden existiert die Grabplatte des Iso von Wölpes mit einer A.D.-Inschrift 1231 (Selbstverständlich kann die Grabplatte auch viel später gefertigt worden sein).

Der Vatikan datierte regelmäßig erst ab 1431 Urkunden "nach Christi Geburt" [ILLIG]. Die späte Übernahme durch Rom könnte an der Abneigung Roms gegenüber dieser oströmischen Datierung liegen. Letztendlich kam man jedoch nicht umhin, diese ebenfalls zu verwenden, wenn auch nach langem Zögern.

Durch diese Verschiebungen sind in der heutigen Chronologie Leerjahre oder Phantomjahre entstanden, d. h. Jahre ohne reale Ereignisgeschichte. Das sind einmal die 284 Jahre vor 525 (Dionysius Exiguus) und die 418 Jahre vor Mitte des 11. Jh.

Diese wurden nachträglich bzw. im Zusammenhang mit der Schaffung der Chronologie im 16. Jh. mit "Geschichte" gefüllt. Die erste mit der realen Geschichte des spätantiken Byzanz, die jetzt um 284 Jahre zu Westrom versetzt erscheint, und die zweite mit frei erfundener Geschichte, sowohl in Byzanz als auch in Mittel- und Westeuropa.

Die Ereignisgeschichte der weströmischen Antike bis ca. 230/40 und der Spätantike bis ca. 600 sind in zeitgenössischen Quellen einigermaßen glaubhaft überliefert. Die Quellenlage für die weströmische Antike und die Spätantike lässt sicher kein pauschales Verwerfen der Ereignisgeschichte zu. Sie bleibt von mir im Prinzip unberührt. Die Zeitgleichheit von Antike, Spätantike und Frühmittelalter erfordert jedoch zum Verständnis der Ereignisgeschichte eine Vereinbarung zur Korrektur der Datierung.

Hilfsweise kann man sich vorstellen, dass im antiken Westrom, in Byzanz und im Norden/Nordosten (West- und Mitteleuropa) unterschiedliche, zueinander versetzte Zeitrechnungen bzw. Datierungen existierten.

Insbesondere für unsere Geschichte ist darüber hinaus zu beachten, dass die spätantike Datierung von den mit Justinian I. zeitgleich im Frankenreich herrschenden Merowingern übernommen wurde. Die Merowinger datierten bis zu ihrem Ende spätantik. Von der zweiten Verschiebung blieben sie jedoch unberührt, da ihre Herrschaft vorher endete.

Im ehemals merowingischen Herrschaftsgebiet kam es stellenweise durch die Fortführung der spätantiken Datierung zu einer Überschneidung mit der Datierung nach u. Z. (A. D.), wobei die traditionelle Forschung auch die spätantike Datierung als A.D.-Datierung missverstand bzw. noch missversteht.

Damit haben wir den Umstand zu konstatieren, dass in Mittel- und Westeuropa alle drei Datierungen, d. h. die antike weströmische durch die Römer in Gallien und Germanien, die spätantike durch die Merowinger und natürlich die Datierung nach u. Z. vorkommen. Damit kommen die Historiker bis heute nicht klar.

Nun ergibt sich zwangsläufig die Frage, wie die Ereignisgeschichte im Norden und Nordosten, wozu das Gebiet des heutigen Deutschland gehört, bis 930 verlief? Die nächste Frage, wie die Geschichte danach?

HEINSOHN sieht die Richtigkeit der überlieferte Ereignisgeschichte auch für das Frühmittelalter. Für ihn gehört die überlieferte Geschichte mit den Karolingern und frühen Ottonen, d. h. die Zeit von 700 bis 930, die in der Antike (0-230), wenn auch nicht ganz 1:1.

Die das frühmittelalterliche 8. und 9. Jh. bevölkernden Karolinger werden damit für ihn Zeitgenossen der römischen Antike. Die überlieferte Karolingergeschichte einschließlich Karl den Großen sieht er als "plausibel" an. Dass wir die karolingischen Bauten noch nicht gefunden haben, soll seiner Meinung daran liegen, dass bisher nicht in der Antike gesucht wurde.

Wenn auch außerhalb seiner These, hält er die überlieferte Ereignisgeschichte ab 930 (Ottonen, Salier und Staufer) für i. W. zutreffend.

BEAUFORT, der HEINSOHN im Prinzip folgt, formuliert in seinem Aufsatz "Wer waren die Karolinger?" (2014): "Aus Sicht der Heinsohnthese ist anzunehmen, dass die rheinfränkischen Herrscher als Karolinger zu identifizieren sind." Ihre Herkunft sieht er in Herstal/Jupille nördöstlich von Lüttich gelegen. Jupille, heute ein Ortsteil von Herstal, ist der Legende nach der Geburtsort von Pippin dem Kurzen und Karl dem Großen.

ARNDT zeigt zwar auf, dass die gesamte Geschichte von 768 bis 1493 konstruiert ist, lässt sich jedoch nicht darüber aus, wie es zu diesem Konstrukt kam und wie die reale Geschichte verlaufen ist bzw. sein könnte.

Nach meiner Auffassung irren bzgl. der wahren Ereignisgeschichte des Frühmittelalters sowohl HEINSOHN als auch BEAUFORT. Ich halte die überlieferte Ereignisgeschichte des Frühmittelalters als auch die des anschließenden Hochmittelalters für ein Konstrukt, d. h. i. W. für frei erfunden.

Ich arbeite im Weiteren aus rein praktischen Gründen konsequent mit den Katastrophenjahren 238, 522 und 940 und den Differenzjahren der spätantiken Datierung zur weströmisch-antiken Datierung von -284 Jahren bzw. zur heutigen Datierung nach u. Z. von +418 Jahren, auch wenn andere Autoren, die mit der HEINSOHN-These arbeiten, andere Jahreszahlen für die Katastrophe und die Differenzjahre verwenden. So sieht z. B. BEAUFORT neuerdings als Katastrophenjahre die Jahre ca. 253/ ca. 537/ca. 937 und als Differenzjahre 284 Jahre bzw. 400 Jahre. Für mein spezielles Anliegen spielt die jahrgenaue Datierung eine untergeordnete Rolle.

Wie entstand das Konstrukt des frühen und hohen Mittelalters?

In [MEISEGEIER 2019, 14ff] habe ich die folgende These formuliert:

Sämtliche überlieferten Schriftquellen, die traditionell der Zeit zwischen ca. 600 und dem fortgeschrittenen 12. Jh. zugeordnet werden, sind Fälschungen bzw. Pseudepigraphen. D. h. es gibt es keine zeitgenössischen Schriftquellen der Karolinger, Ottonen, Salier und Staufer.

Der Grund ist nach meiner Meinung der zeitweilige Verlust der Schriftkultur nach dem Untergang des Weströmischen Reiches, wobei außerhalb des ehemaligen römischen Herrschaftsbereichs, z. B. im Osten Deutschlands, eine solche sowieso nie bestand.

Frühestens ab dem fortgeschrittenen 12. Jh., eher sogar später, begann man "Geschichte" rückwirkend zu schaffen. Zentren der "Geschichtsschreibung" und der Fälschungen waren die im Schreiben geübten Klöster, sozusagen eine neue Arbeitsbeschaffungsmaßnahme und Geschäftsmodell für Mönche und Nonnen bzw. der den Klöstern vorstehenden Äbte und Äbtissinnen. Verschiedene Klöster taten sich dabei besonders hervor, wie St. Denis und Corvey.

Es kam es zu einem massenhaften Fälschen von Urkunden und anderen Dokumenten, i. d. R. zum nachträglichen Nachweis von vorhandenen Besitz und alten Rechten.

Mit Pseudepigraphen wie Alkuin, Einhard als angeblicher Nachfolger als Leiter der Hofschule Karls des Großen mit seiner Vita Karoli Magni, Widukind, Thietmar etc. wurde Geschichtsschreibung "nachgeholt".

Die in den angeblich "zeitgenössischen Geschichtswerken" vermittelte Ereignisgeschichte war weitestgehend frei erfunden.

Es wurde die scheinbar 418 Jahre dauernde geschichtslose Zeit zwischen den Merowingern des 6./7. Jh. und der damaligen Gegenwart mit konstruierter Geschichte gefüllt.

Nach meiner Auffassung überlagerten sich hier zwei Phänomene. Zum einen die Verschiebung der Zeitrechnung zwischen den spätantik datierenden Merowingern und u. Z. und zum anderen die völlige Abwesenheit von Schriftzeugnissen zwischen dem Ende der Merowinger und dem späten 12. Jh.

Dass zwischen dem Ende der Merowingerzeit im Jahr 1057 und dem 12. Jh. in Wirklichkeit nur ca. 100 Jahre lagen, war den Verfassern der "Geschichtswerke" zum Zeitpunkt der Abfassung vermutlich nicht bewusst.

Die Fortführung des Systems nach 1313 bis 1493 ist im Zusammenhang mit dem gewählten Thema nicht relevant.

Mit der Schaffung der Chronologie im 16. Jh. wurde die erfundene "Geschichte" fest in die Chronologie integriert. Möglicherweise gehören diese Vorgänge auch zusammen.

Das heißt konkret: Es gibt keine Realgeschichte der Karolinger, der Ottonen, der Salier und der Staufer, und damit kann es auch keinen karolingischen, ottonischen, salischen bzw. staufischen Kirchenbau gegeben haben.

Und damit hat ARNDT natürlich recht, indem er auf seiner Webseite formuliert: "Karl der Große, Otto der Große und Friedrich Barbarossa - alles nur Märchen wie Rotkäppchen und König Drosselbart!" [https://www.historyhacking.de/geschichtsanalytik/medi%C3%A4vistik/]

Bei den Ottonen sieht es ähnlich aus. Für die Zeit der Ottonen gibt es eine, wenn auch relativ geringe Anzahl an Schriftquellen, in denen die Orte oder auch die Bauten selbst erwähnt werden. Das sind insbesondere die Chroniken zur Ottonengeschichte wie z. B. die Sachsenchronik von Widukind, die Chronik des Thietmar von Merseburg sowie Gesta Oddonis der Hrotsvith von Gandersheim. Sie gelten der etablierten Wissenschaft als zeitgenössische Quellen und haben für sie einen absoluten Wahrheitswert.

Merkwürdig ist nur, dass verschiedene, dort berichtete Ereignisse mit den archäologischen Untersuchungsergebnissen nicht in Einklang zu bringen sind. Anzuführen ist hier die vergebliche Suche nach dem Grab Heinrichs I. in Quedlinburg oder die vergebliche Suche nach dem Moritzkloster und der ottonischen Pfalz in Magdeburg oder die vergebliche Suche nach der ersten Marienkirche in Memleben, in der Otto I. aufgebahrt gewesen sein soll, sowie der dortigen ottonischen Pfalz. Genauso wie für Quedlinburg zahlreiche Besuche der späteren Ottonen - insbesondere immer zu den Osterfeierlichkeiten schriftlich „bezeugt" sind, weswegen Quedlinburg als „wichtigste Pfalz der ersten Liudolfinger", als Osterpfalz angesehen wird, obwohl dort die baulichen Voraussetzungen vor der Jahrtausendwende gar nicht vorhanden waren.

Berichten die vermeintlich zeitgenössischen Quellen doch nicht die Wahrheit? Betreffend Widukind ist es nach FAUßNER [ANWANDER zu FAUßNER 23f] erwiesen, dass die Sachsenchronik eine Fälschung des 12. Jh. durch Wibald (1098-1158), Abt von Stablo und Corvey, ist. Nach FRANZ ist neben der Sachsenchronik Widukinds auch die Chronik Thietmars zweifelsfrei durch Wibald im 12. Jh. geschaffen worden. Sowohl die Sachsenchronik als auch die Chronik Thietmars dienten Wibald dazu, "seinen Urkundenreihen einen Halt, einen geschichtlichen Kontext zu verleihen." [FRANZ, 239]

So sind von den schon nicht sehr zahlreichen so genannten zeitgenössischen Quellen zwei weitere für unsere Kenntnis der Ottonenzeit als solche ausgefallen. Von FAUßNER sind schon Werke wie die Gesta Oddonis der Hrotsvith von Gandersheim, die Vita brunonis von Ruotger, das Ottonianum von Heinrich II. und andere als Werke Wibalds benannt worden [ILLIG 2007, 410]. Und es gab nicht nur die Fälscherwerkstatt Wibalds.

Die damals konstruierte Geschichte ist bis heute Gegenstand ernsthafter Forschung der Historiker.

Wann wurde die Karolingerlegende geschaffen?

Interessant ist vielleicht noch, wann die karolingische Geschichte kreiert wurde?

ARNDT [2014] liefert hierzu einen interessanten Ansatz:

Die Genealogie der Karolinger hat offensichtlich in der mittelalterlichen französischen Geschichte ihren Ursprung:

Der König (REX) und Kaiser (IMP AVG) Karl I. von Valois (1270-1325), der Stammvater aller französischen Könige von 1328-1589, auch der Große genannt, entspricht nach ARNDT Karl dem Großen.

Sein Großonkel, Karl von Anjou (1227-1285), wäre das Modell für Karl Martell.

Es gibt noch mehr Gemeinsamkeiten: So hieß die Urgroßmutter von Karl I. Blanche und kam aus Spanien. Die Großmutter von Karl dem Großen soll Blancheflor aus Spanien gewesen sein.

Weiterhin hieß der Vater von Karl I. Philipp (III., der Kühne), ebenso sein ältester Sohn. Der Vater von Karl dem Großen hieß Pippin wie auch sein ältester Sohn.

Wenn Karl I. von Valois das Vorbild für Karl den Großen der Geschichtsschreibung ist, kann diese nicht vor dem 14. Jh. entstanden sein, eher noch etwas später im 15./16. Jh.

Auch bei den späteren Ottonen gibt es eine verwunderliche Übereinstimmung. Der Sachsenherzog Otto IV. (geb. 1175/76, gest. 1218, von 1209-1218 angeblich dt. Kaiser), dessen Vater Heinrich (der Löwe) hieß und Herzog von Sachsen war und dessen Mutter Mathilde hieß und eine englische Königstochter war. Dieselbe Konstellation haben wir bei den Ottonen mit Heinrich I., seiner Gattin Mathilde und deren Sohn Otto I., dem Großen.

ARNDT untersucht das Aufkommen des Namens "Karl" unter den europäischen Herrschernamen. Er geht davon aus, dass Karl der Große die Namensgebung beeinflusst haben muss. Ihn wundert das späte Aufkommen des Namens nach den Karolingern. Nach ARNDT taucht der Name Karl nach den Karolingern erstmals wieder im 13. Jh. bei Karl I. von Anjou (1226-1285, König von Sizilien) aus der französischen Kapetinger-Dynastie auf [20], danach erst wieder im 14. Jh. mit Karl IV. (geb. 1316) [27].

Wie sieht es in der bildenden Kunst mit Darstellungen von Karl dem Großen aus?

Die "sogenannte Statuette Karls des Großen" im Louvre soll um 860/70 entstanden sein. Nach VOLBACH stellt die Statuette einen karolingischen Fürsten dar, doch handelt es sich wahrscheinlich nicht um Karl den Großen [HUBERT/PORCHER/VOLBACH, 355]. Ich teile weder die Zuschreibung noch die Datierung.

Die lebensgroße Stuckskulptur im Kloster St. Johann in Müstair (Schweiz), angeblich entstanden zwischen 800 und 1165, soll den Stifter Karl den Großen darstellen [Wikipedia].

"... die mehrfach ergänzte romanische Statue Karls des Großen, errichtet wohl von dem ... Churer Bischof Egino, nachdem Kaiser Rotbart 1165/66 den Herrscher durch seinen Gegenpapst kanonisieren ließ." [MÜLLER, 10] Nach meiner Meinung stellte die Skulptur ursprünglich den wirklichen Stifter dar und könnte um 1160 entstanden sein. Sie wurde jedoch nachträglich (15./16./17.Jh.?) zu einer Königsdarstellung umgearbeitet.

Von Albrecht Dürer ist eine original datierte Darstellung aus dem Jahr 1510 bekannt, auf die ARNDT hinweist [ARNDT 2014].

Im 1521 erschienenen Erstdruck der Biographie Karls des Großen ("Vita Caroli Magni") von Einhard ist eine weitere original datierte Abbildung Karls des Großen zusammen mit Kaiser Karl dem V. überliefert. [ARNDT 2015, 21]

"Beim gemeinen Volk ist Karl der Große aber offensichtlich erst im 17. Jahrhundert angekommen. Eine wachsende Beliebtheit des Namens Karl kann nämlich erst seit dieser Zeit festgestellt werden. Und dies, obwohl es seit Jahrhunderten üblich war, daß bei der Namensvergabe Namen von Herrschern und Heiligen einen hohen Stellenwert hatten und nach offizieller Geschichte Karl der Große sowohl ein berühmter Herrscher als auch ein Heiliger war. Z.B. findet man unter den 1000 Studenten der Universität Köln im 14. und 15. Jahrhundert keinen einzigen Karl [Bach, S. 351]." [ARNDT 2014]

Es scheint, dass erst Anfang des 16. Jh. sich die Karolingerlegende etabliert hatte.

"Somit wäre die von H. Illig seinerzeit aufgeworfene Frage “Hat Karl der Große je gelebt?“ sowie die damit zusammen hängende Frage, wem dann die ihm derzeit zugeordneten Überreste gehören sollen, beantwortet. Die Krone und das Schwert von Karl dem Großen sind ja schon seit langem als Fälschungen entlarvt bzw. als einer anderen Zeit zugehörig befunden worden. Das Wenige, was an Gebäuden überhaupt noch in Frage kommt, kann der Römerzeit bzw. dem Hoch- bis Spätmittelalter zugeordnet werden, wie schon andere Autoren ausführlich erörtert haben. Was die Münzen betrifft, so ist die Einordnung in die Zeit des 13./14. Jahrhunderts naheliegend und schlüssig ... Mit den “Grandes Chroniques de France“, des entscheidenden mittelalterlichen Werkes zur französischen Geschichte, wurden dann die Quellen für diese Zeit zusammengestellt." [ARNDT 2014]

Geschichte ohne Karolinger, Ottonen, Salier und Staufer

Wenn die traditionelle Geschichte vom 7. Jh. bis zum 12./13. Jh. konstruiert wurde, d. h. frei erfunden ist, wie verlief die reale Ereignisgeschichte?

Zunächst kann man den Zeitraum stark eingrenzen. Wie oben ausgeführt, wurde im 7. Jh. in Byzanz die Uhr vorgestellt auf das 11. Jh. Das sind 418 Jahre, in denen keine reale Ereignisgeschichte stattgefunden hat.

Mit dieser Verschiebung gelangen die Merowinger, die traditionell in das 6./7. Jh. datieren, in das 10./11. Jh.

Natürlich waren die nichtrömischen Gebiete aufgrund des niedrigeren Entwicklungsstandes der Gesellschaft davon weniger betroffen. Das Ausbleiben von zahlreichen nützlichen Gebrauchsgütern, die aus den römischen Gebieten eingeführt wurden, dürfte auch in diesen Gebieten schmerzlich gewesen sein. Die etwa 60/70 Jahre spätere Naturkatastrophe erledigte nur den Rest. Der Neuanfang war fast ein wirklicher Neuanfang.

Konkret herrschten die Merowinger im Frankenreich bis zum Tod König Dagoberts I. im Jahr 639, das durch die Verschiebung dem Jahr 1057 u. Z. entspricht. König Dagobert I. dürfte der letzte reale Merowingerherrscher gewesen sein. Die traditionell ihm folgenden merowingischen Herrscher bis zur Herrschaftsübernahme durch die Karolinger sind konstruiert.

Damit ist die zu betrachtende Zeit reduziert auf die relativ kurze Zeitspanne von 1057 bis zum 12./13. Jh. Gleichzeitig sind automatisch die Karolinger und Ottonen aus der Chronologie eliminiert.

Nach meiner Überzeugung blieb das Ostfrankenreich nach dem Ende der Merowinger ohne Zentralgewalt.

Die Territorialfürsten, die schon unter der Herrschaft der Merowinger erstarkt waren, nutzten die Vakanz der Königsmacht zu ihrem Vorteil. Das Königsgut wurde dem eigenen Besitz zugeschlagen.

Nach einem bis dahin andauernden Konzentrationsprozess sind Mitte des 14. Jh. die in der Goldenen Bulle aufgeführten Kurfürsten (die Erzbischöfe von Trier, Köln und Mainz, der König von Böhmen, der Pfalzgraf bei Rhein, der Herzog von Sachsen und der Markgraf von Brandenburg) die mächtigsten Territorialherren auf dem Gebiet des ehemaligen fränkischen Teilreichs Austrasien und der bis dahin hinzugewonnenen Gebiete.

Die traditionelle Geschichte kennt ebenfalls eine königs- und kaiserlose Zeit in den Jahren um 1250, dem Ende der Staufer, bis 1273, der Wahl Rudolf I. zum römisch-deutschen König - das so genannte Interregnum.

Die herrschenden Zustände während des Interregnums sind bei Wikipedia nachzulesen: "Während des Interregnums versuchten die Bischöfe und Fürsten, ihre Ansprüche und Territorien zu vergrößern. So unterdrückten sie andere mindermächtige Adelige, bekämpften das städtische Bürgertum und rissen widerrechtlich Reichslehen an sich, außerdem führten sie Zölle, neue Steuern und sogar Regalien aller Art ein, um ihren persönlichen Reichtum zu vergrößern. Auch der niedere Adel, allen voran das Rittertum, stand den Großen in nichts nach, auch wenn seine Methoden weniger subtil waren. Das Raubrittertum entstand. Niemand konnte dieser Verwilderung des deutschen Adels Einhalt gebieten; die Gerichte und Reichsbehörden waren machtlos, das Faustrecht, das Recht des Stärkeren, setzte sich allgemein durch."

Nach meiner Auffassung währte das Interregnum auf dem Gebiet des ehemaligen merowingischen Austrasiens oder Ostfrankenreichs nicht nur ca. 23 Jahre, sondern dauerte von 1057, dem Tod Dagoberts I. und Ende der Merowingerdynastie, vermutlich bis 1314, dem Beginn der Herrschaft König Ludwig IV. ("der Bayer"), also ganze 257 Jahre.

Zu ergänzen ist, dass es das römisch-deutsche Kaisertum von den Ottonen bis zu den Staufern nach meiner Auffassung nie gab. Genauso sind die Romzüge wie die gesamte Rompolitik der römisch-deutschen Kaiser freie Erfindung. Sie hat es nie gegeben.

Die Kirche

Die traditionelle Forschung schreibt die Begründung der römischen Reichskirche Kaiser Theodosius I. (trad. 379-95) zu, wogegen die neuere Forschung, u. a. auch BEAUFORT, eher Justinian I. diesbezüglich als Protagonisten sieht. Ich habe ich mich der neueren Forschungsmeinung angeschlossen, wonach Kaiser Justinian I. (trad. 527-565) den Katholizismus zur Reichsreligion erhob und die römische Reichskirche begründete. In [MEISEGEIER 2017, 9ff] habe ich dazu etwas mehr ausgeführt.

Der Katholizismus war damals eine von mehreren nebeneinander existierenden christlichen Glaubensgemeinschaften. Die korrigierten Herrscherdaten von Justinian I. sind 945-983, d. h. er herrschte im späten 10. Jh. Alle anderen christlichen Glaubensrichtungen erklärte Justinian danach für ketzerisch bzw. arianisch.

Im Prinzip gleichzeitig übernahmen sowohl das Frankenreich als auch Sachsen den Katholizismus als verbindliche Religion für ihre Herrschaftsgebiete und begründeten ihre ursprünglich vermutlich völlig eigenständigen Landeskirchen. Diese sofortige Übernahme des Katholizismus durch die Franken als auch durch die Sachsen ist mit ihrem Status als foederati nachvollziehbar.

Diese Landeskirchen kannten anfangs noch keine Oberherrschaft eines Papsttums, welches sich erst etwas später herausbildete. Diese erste, frühe Kirchenorganisation war das Eigenkirchenwesen. Ihre Gliederung entsprach der Gliederung der feudalen Gesellschaft in Lehnsherren und Vasallen, an oberster Stelle der König. Die adligen Grundherrn hatten das Recht, Kirchen zu gründen und zu betreiben, was sich zu einem relativ lukrativen Geschäftsmodell entwickelte, wobei die Religion meist nur Mittel zum Zweck war. Für die kirchliche Aufsicht wurde das Herrschaftsgebiet in Bistümer unterteilt und Bischöfe eingesetzt, die jedoch keinerlei wirkliche Befugnisse hatten.

Diese Situation fand das sich in der ersten Hälfte des 11. Jh. herausbildende Papsttum vor. Als Keimzelle des Papsttums sehe ich das Patriarchat Rom, eines der fünf von Justinian I. im 10. Jh. gegründeten Patriarchate zur Organisation der Reichskirche neben Konstantinopel, Alexandria, Jerusalem und Antiochia. Wikipedia: "Die Patriarchate waren untereinander ranggleich und standen zueinander in einer festen Ehrenordnung, deren Spitze Rom mit den Gräbern der Apostel Petrus und Paulus als Primus inter pares bildete." Nach meiner Auffassung ist die Ranggleichheit mit dem Vorrang von Rom eine spätere Interpretation der römischen Kirche. Das Patriarchat Konstantinopel, wo sich die Residenz Justinians I. befand, dürfte die Vorherrschaft zunächst innegehabt haben. Wollte die römische Kirche die Herrschaft über die Christen im Westen ausüben, musste sie sich zuerst von diesen Fesseln befreien. Im sogenannten Streit um den Ostertermin ging es in Wirklichkeit um die Befreiung aus dieser Vormundschaft. Dieser Befreiungsschlag gelang letztendlich 1054 mit der Trennung von Ost- und Westkirche. Erst danach hatte die römische Kirche, deren Bischof jetzt als Papst "firmiert", den Rücken frei, um sich um die Belange im beanspruchten Herrschaftsbereich zu kümmern.

Wollte das Papsttum seinen Anspruch, das Oberhaupt der Kirche im Westen zu sein, verwirklichen, so musste es diese vorangegangene Entwicklung stoppen und eine neue Kirchenorganisation installieren, in deren Hierarchie das Papsttum in oberster Position stand. Natürlich ging das nicht konfliktlos vonstatten. Diese Auseinandersetzung ist als Investiturstreit in die Geschichte eingegangen, der allgemein von 1076 bis 1122 datiert. Der desolate Zustand der Kirche infolge der weitgehend ökonomischen Ausrichtung des Eigenkirchenwesens spielte dem Papsttum in diesem Streit als Argumentationshilfe in die Hände.

Von der römischen Kirche wurde ein ganzes Maßnahmenpaket eingesetzt. Neben der ideologischen Auseinandersetzung (Investiturstreit) erfolgte die Gründung von Klöstern, die der Benediktinerregel folgten und die nicht mehr dem Bischof unterstellt waren, sondern direkt der römischen Kirche. Möglicherweise hatte diese Aktion ihren Ausgang in Cluny. Die traditionelle Geschichte stellt dieses Vorgehen als Reform bestehender Klöster dar, wobei ich in Cluny III die eigentliche Gründung des Benediktinerordens sehe (vielleicht das erste Kloster im ehemaligen Frankenreich), das an der Stelle einer schon bestehenden Kirche (Cluny I und II) errichtet wurde.

Kurze Zeit später wurden weitere neue Orden gegründet, denen abweichende Regeln des Zusammenlebens zugrunde lagen und die ebenso direkt Rom unterstellt waren. Damit untergrub man die bestehende Kirchenhierarchie.

Eine weitere Maßnahme zur Infiltration war die Schaffung von Erzbistümern, ein vom Papst verliehener Ehrentitel (Residierende Erzbischöfe erhielten vom Papst ein über die Schulter zu tragendes Band, das Pallium.).

Ich sehe die Erhebung einzelner Bistümer zu Erzbistümern in der 1. Hälfte des 12. Jh.

Mit dem Ende der Merowingerherrschaft fiel im Frankenreich der König, das bisherige Kirchenoberhaupt, ersatzlos weg. Die Bistümer waren sozusagen herrenlos geworden, was diesen kaum missfallen haben dürfte, obwohl die Einflussnahme des Königs auf die "Geschäfte" der Bischöfe sicher gering war.

In diese "Lücke" sprang das Papsttum ein, vermutlich mit attraktiven Angeboten seitens Rom.

Ich sehe als eines der ersten, vielleicht das erste Erzbistum in Magdeburg, sozusagen als Einfallstor in die bestehende Bistumslandschaft.

Die Altbistümer Mainz, Köln und Trier wollten sicher auch in den Genuss der "römischen" Privilegien kommen und folgten nicht viel später. Eines dieser Privilegien war vermutlich die Erlaubnis zur Gründung von Suffraganbistümern. So sehe ich die Bistumsgründung in Würzburg als Suffraganbistum des Erzbistums Mainz im 12. Jh. (1161?).

Das dürfte den Durchbruch für das Papsttum bedeutet haben.

Vielleicht bemerkenswert ist, dass in Sachsen kein Erzbistum entstand. Die Bemühungen des Bischofs von Hildesheim (Azelin-Dom) schlugen letztendlich fehl. Die Altbistümer Hildesheim und Halberstadt wurden keine Erzbistümer. Sachsen hatte vermutlich noch sein kirchliches Oberhaupt in Person des sächsischen Königs/Herzogs, der natürlich kein Interesse hatte, Kompetenzen nach Rom abzutreten. Das Erzbistum Magdeburg war kein aus einem Altbistum erwachsenes Erzbistum. Es entstand sozusagen außerhalb der sächsischen Kirchenorganisation.

Am Ende konnte sich das Papsttum weitestgehend durchsetzen. Im Jahre 1179 wurde das Eigenkirchenrecht der Laien in ein Patronatsrecht umgewandelt (Wikipedia). Das war das Ende des Eigenkirchenwesens, da nach dem Patronatsrecht der Zehntanteil des Grundherrn nunmehr dem Bischof zufiel.

Zur Durchsetzung der kirchlichen (päpstlichen) Interessen bis nach ganz unten erfolgte ebenfalls im 12. Jh. die Einführung des Pfarrsystems.

Meine Sicht der Entstehung des Papsttums im 11. Jh. widerspricht scheinbar der schriftlichen Überlieferung, z. B. dem Liber Pontificalis. Der Liber Pontificalis ist eine chronologisch geordnete Sammlung von Biographien der Päpste (Wikipedia) und entstand nach traditioneller Auffassung in seiner ersten Ausgabe um 530 mit Felix III. (526-530) als letzten Papst.

"Der Liber Pontificalis wurde im 6. Jahrhundert in mehreren Stufen aktualisiert und ab dem 7. Jahrhundert mehr oder weniger regelmäßig nach dem Ableben eines Papstes aktualisiert. Der ältere Text bricht im 9. Jahrhundert mit dem Pontifikat von Stephan V. (Papst) ab. Eine Neuredaktion des Buches begann im 12. Jahrhundert durch Kardinal Boso." (Wikipedia)

Den Liber Pontificalis in seiner ersten Ausgabe halte ich für eine weitgehend zuverlässige Quelle. Der o. a. Widerspruch lässt sich leicht auflösen. Mit der Verschiebung der Antike zuerst um 284 Jahre und dann noch einmal um 418 Jahre in die Vergangenheit (in Summe 702 Jahre) wurde auch die Auflistung der Päpste mit verschoben, da der Liber Pontificalis bereits in der Antike beginnt (nach Wikipedia ist Anterus 235/236 "der erste historisch eindeutig gesicherte Bischof von Rom"). Da der Liber Pontificalis keine direkten Jahreszahlen aufführt, sondern nur die Päpste und die Dauer der Pontifikate, wurde der gesamte Block verschoben. Die heute bekannten Datierungen der Pontifikate in der Papstliste sind später erfolgt. Die tatsächlichen Datierungen der Pontifikate - bezogen auf unsere gültige Chronologie - erhält man, indem man jeweils 702 Jahre hinzuzählt. Damit endet die erste Ausgabe des Liber Pontificalis im Jahr 1232.

ARNDT hat sich u. a. auch mit dem Liber Pontificalis befasst. Er kommt zu dem beachtenswerten Ergebnis, "dass die Papstliste von 685-1455 AD ganz offensichtlich aus Kopien vorangegangener Abschnitte sowie Konstruktionen besteht" [ARNDT 2015, 194]. Nach ihm scheint der Teilabschnitt 314532 der von Fälschungen am wenigsten betroffene zu sein. Davor und danach sieht ARNDT eindeutige Indizien für eine "Konstruktion".

Die Päpste des 4. Jh. und großen Kirchenbauten Roms wie die Laterankirche und Alt-St.Peter (traditionell Anfang 4. Jh.) gelangen damit in das 11. Jh. (siehe dazu [MEISEGEIER 2017]).

Frühe Kirchenbauten alle fehldatiert

Ich erinnere noch einmal an HEINSOHN, der mit seiner These behauptet, dass die weströmische Antike von 0-230, die byzantinische Spätantike von 290-520 und das Frühmittelalter im "Norden und Nordosten" von 700 bis 930 zeitlich parallele Zeitabschnitte sind.

Konvertiert man die spätantike Datierung in u. Z. gelangt z. B. die Herrschaft Justinians I. in die zweite Hälfte des 10. Jh.

Wie ich bereits in meinen früheren Publikationen (siehe z. B. [MEISEGEIER 2017]) ausgeführt habe, sehe ich die Entstehung des monumentalen Kirchenbaus erst nach der Erhebung des Katholizismus zur Reichsreligion und der Begründung der Reichskirche durch Justinian I. in der zweiten Hälfte des 10. Jh.