Frühe Kirchenbauten in Mitteldeutschland - Michael Meisegeier - E-Book

Frühe Kirchenbauten in Mitteldeutschland E-Book

Michael Meisegeier

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Beschreibung

Die aktuellen Rekonstruktionen der Baugeschichten der frühen Kirchen basieren großenteils auf den Schriftquellen und dem heutigen Geschichtsbild. Mit der Feststellung, dass alle frühen Schriftquellen Fälschungen späterer Zeit sind und die Geschichte des Mittelalters weitgehend konstruiert ist, bedarf es einer Neubetrachtung dieser Rekonstruktionen. Der Autor bietet für die folgenden Bauten alternative Rekonstruktionen der Baugeschichten an: St. Servatius in Quedlinburg, der Dom zu Halberstadt, St. Cyriakus in Gernrode, St. Maria in Memleben, der Dom zu Magdeburg, St. Michael in Rohr, der Erfurter Dom einschließlich Severikirche und Peterskirche, der Dom zu Meißen, die Peterskirche in Ohrdruf. Die 2. Auflage beinhaltet einige wichtige Aktualisierungen (u. a. Gernrode, Halberstadt, Magdeburg) und Ergänzungen (Quedlinburg St. Wiperti und St. Marien, Zeitz) Im Anhang der Versuch einer Rekonstruktion der frühen Geschichte Mitteldeutschlands.

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Der Autor wurde 1950 in Erfurt geboren. Er studierte in Weimar Bauingenieurwesen und schloss das Studium 1977 mit der Promotion ab. Danach war der Autor bis zum Eintritt in den Ruhestand im Jahr 2015 in einem Erfurter Planungsbüro tätig.

Seit mehr als 40 Jahren beschäftigt sich der Autor mit romanischer und vorromanischer Kunst sowie mit der Geschichte des frühen Kirchenbaus vom frühchristlichen Kirchenbau bis zum Kirchenbau des 13. Jahrhunderts.

Weitere Veröffentlichungen des Autors:

"Der frühchristliche Kirchenbau - das Produkt eines

Chronologiefehlers. Versuch einer Neueinordnung mit Hilfe der HEINSOHN-These"

Im Anhang u. a. Exkurs: Die Erschaffung der karolingischen und ottonischen Baukunst

2017, 280 S., BoD - Books on Demand, Norderstedt

ISBN: 9783848256686

"Das Heilige Grab in Gernrode - alles klar, oder? Eine alternative Baugeschichte"

Im Anhang Exkurs: Die "Reliquienkammer" in der Ostkrypta der Stiftskirche in Gernrode

2018, 60 S., BoD-Books on Demand, Norderstedt

ISBN: 9783746097381

"Die ottonischen Kirchen St. Servatii, St. Wiperti und St.

Marien in Quedlinburg. Eine notwendige Revision"

2018, 104 S., BoD-Books on Demand, Norderstedt

ISBN: 9783752824902

Inhaltsverzeichnis

Vorwort zur 2. Auflage

Teile des Manuskripts der 1. Auflage entstammten einem früheren Aufsatz unter dem Titel "Phantomzeitliche und phantomzeitnahe Bauten in Thüringen und Sachsen-Anhalt", veröffentlicht in ZEITENSPRÜNGE Jg. 22 (2010) H. 1, S. 177-197, und entsprechen nicht mehr meinem aktuellen Erkenntnisstand.

Meine Bedenken gegenüber den so genannten zeitgenössischen Schriftquellen, die ich schon damals in Ansätzen dargelegt habe, haben sich heute dahingehend "radikalisiert", dass ich nunmehr sämtliche mittelalterliche Schriftquellen vor dem 12. Jh. als Fälschungen bzw. Pseudepigraphen betrachte. Bei der damaligen Bearbeitung hatte ich noch den ziemlich hoffnungslosen Versuch unternommen, aus den angeblich zeitgenössischen Nachrichten den "wahren Kern" herauszulesen.

Den neueren Erkenntnisstand z. B. zu den Stiftskirchen in Quedlinburg und Gernrode habe ich zwischenzeitlich in zwei weiteren Publikationen veröffentlicht und in die vorliegende Auflage i. W. übernommen.

Mit der vorliegenden 2. Auflage möchte ich meinen aktuellen Erkenntnisstand zu den behandelten Bauten vorstellen.

Die gravierendsten Änderungen erfahren die Baugeschichten der Dome in Halberstadt und Magdeburg, die komplett zu überarbeiten waren. Ich hatte mich damals zu sehr an den Rekonstruktionen der etablierten Forschung orientiert, da ich mir kaum vorstellen konnte, dass die so weit danebenliegen.

Ergänzen habe ich die Auflistung der frühen Bauten Mitteldeutschlands um die Wipertikirche und die Münzenbergkirche in Quedlinburg, die zweifellos ebenfalls zu den frühen Kirchenbauten Mitteldeutschlands gehören.

Weiter habe ich die Dome von Merseburg, Zeitz und Naumburg aufgenommen, auch wenn ich diese nicht zu den wirklich frühen Kirchen in Mitteldeutschland zähle.

Abweichend von der 1. Auflage habe ich die Reihenfolge der besprochenen Bauten verändert. In der vorliegenden Auflage behandele ich die Bauten in der Reihenfolge des traditionellen Gründungsdatums.

Meine Ansicht zu den gefälschten mittelalterlichen Schriftquellen hat zwangsläufig Auswirkungen auf die Rekonstruktion der Ereignisgeschichte in dieser Zeit. Im Anhang versuche ich eine Rekonstruktion der frühen mittelalterlichen Geschichte Mitteldeutschlands.

Vorbemerkungen

Mitteldeutschland, das sind heute die Bundesländer Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen, hat eine Reihe von sehr alten Kirchenbauten aufzuweisen, deren angebliche Gründungen z. T. bis in das 8. Jh. zurückreichen.

So wird z. B. die Gründung des Doms zu Erfurt, richtiger der Stiftskirche Maria Beatae Virginis, mit Bonifatius in Verbindung gebracht, wobei die Archäologie bisher keine Spuren des 8. Jh. nachweisen konnte. Die frühesten baulichen Reste, die ergraben wurden, gehören - so die Archäologen - dem 12. Jh. an.

Dagegen gibt es Grabungsergebnisse im Halberstädter Dom, die vermeintlich einen Kirchenbau um 800 "belegen".

Hauptsächliche Grundlage für die Rekonstruktion der Baugeschichten eigentlich aller frühen Kirchen in Mitteldeutschland als auch andernorts war bisher die schriftliche Überlieferung, die so genannten zeitgenössischen Schriftquellen. Geschichte wie auch Baugeschichte beruhte zum größten Teil auf den Informationen der Schriftquellen.

Die Archäologie wurde nur ergänzend zu Rate gezogen, sozusagen zur Bestätigung der schriftlichen Quellen. Wenn sich die archäologischen Ergebnisse mit der schriftlichen Überlieferung nicht decken, wie z. B. in Magdeburg, tritt großes Rätselraten ein. Es gibt natürlich auch den anderen Fall, wo bedeutende archäologische Befunde vorliegen und dazu keine Schriftzeugnisse existieren, wie in Unterregenbach, weswegen noch heute vom "Rätsel von Regenbach" gesprochen wird.

Eine scheinbare Deckung von schriftlicher Überlieferung und baulichen Zeugen ist natürlich kein Beleg für eine richtige Rekonstruktion der Baugeschichte, da selbstverständlich auch eine Fehlinterpretation der archäologischen Befunde vorliegen kann.

Man muss sich natürlich darüber im Klaren sein, dass die von den Experten manchmal mit großer Selbstsicherheit dargebotenen Rekonstruktionen der Baugeschichten dieser frühen Kirchenbauten immer nur Interpretationen der den Rekonstruktionen zugrunde liegenden Quellen sind, ob Schriftquellen und/oder Quellen materieller Art wie Grabungsbefunde. Damit sind sie naturgemäß erst einmal rein subjektive Auslegungen und potentiell fehlerbehaftet (Ich bin mir natürlich darüber im Klaren, dass das auch für meine Ausführungen gilt).

Gerade die sehr unterschiedlichen Rekonstruktionen z. B. der Baugeschichte der Stiftskirche St. Servatius in Quedlinburg - obwohl alle auf denselben bauarchäologischen Untersuchungen fußen - belegen die große Unsicherheit bei den Experten zum Thema des frühesten Kirchenbaus in Mitteldeutschland. Der Blick auf die anderen frühen, mitteldeutschen Kirchenbauten zeigt ein ähnliches Bild.

"Karl der Große, Otto der Große und Friedrich Barbarossa - alles nur Märchen wie Rotkäppchen und König Drosselbart!"

Dieses Zitat von ARNDT auf seiner Webseite [https://www.historyhacking.de/geschichtsanalytik/medi%C3%A4vistik/] ist sozusagen die Quintessenz seines Buches "Die wohlstrukturierte Geschichte". Die Lektüre dieses kleinen Buches hinterlässt den Leser in ziemlicher Verwirrung und Ratlosigkeit.

Danach ist die gesamte Geschichte von 911-1313 eine bewusste Konstruktion. ARNDT sieht insgesamt von 768 bis 1493 ein geschlossenes System, das während der Herrschaft Karl V. (1520-1556) "entworfen wurde, oder zumindest in wesentlichen Teilen erweitert wurde" [ARNDT, 71f]. ARNDT spricht von der "Fiktionalität eines wesentlichen Teils der Pippiniden- und Karolinger-Geschichten" [ebd., 100]. Er sieht die Merowinger und die Karolinger "nach derselben Schablone gestrickt" und betitelt seinen Abschnitt zur Karolingerzeit mit der Frage: "Sind die Karolinger nur ein Double der Merowinger?" [ebd., 98].

Das heißt, dass die Geschichte des gesamten Mittelalters weitgehend erfunden ist. Unser Geschichtsbild wird bis heute durch diese gefälschte, größtenteils erfundene Ereignisgeschichte bestimmt. Die Erfindung betrifft wie oben bereits gesagt sowohl die Geschichte der Karolinger, als auch die der Ottonen, aber auch die Geschichte der Salier und Staufer. Das gesamte römisch-deutsche Kaisertum hat es nach meiner Auffassung vor dem Spätmittelalter nie gegeben.

Man ist sogleich erinnert an ILLIG, der Anfang der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts seine Phantomzeitthese veröffentlicht hat, nach der der Zeitabschnitt von 614 - 911 in die Chronologie eingeschoben und nachträglich mit erfundener Geschichte gefüllt sein soll. Schon ILLIG behauptete, dass es Karl den Großen nie gab.

Nach einem kurzen Auftritt in den Medien (ZDF-Beitrag, Talkshows) verschwand ILLIG und seine These aus der Öffentlichkeit. Man (Wer? Thinktanks?) entschied offensichtlich, dass eine solche Diskussion nicht dienlich sei.

ILLIG wurde aus dem öffentlichen Debattenraum entfernt. Ein Diskurs findet somit nicht mehr statt. In Lohn und Brot befindliche Mediävisten konnten sich mit seiner These nicht wirklich auseinandersetzen, da sie Gefahr liefen, Reputation und sämtliche Karrierechancen zu verlieren. Die Mechanismen sind bei [MAUSFELD, 72ff] nachzulesen.

Die traditionelle Geschichte des Mittelalters war kurzerhand zum Narrativ erklärt worden. Realität, Wissenschaftlichkeit und Vernunft spielen ab jetzt keine Rolle mehr. Der Kampf gegen Dissidenten wird ideologisch geführt. Ähnliche Vorgänge sehen wir bei Themen wie dem sog. anthropogenen Klimawandel, der sog. Diesel-Affäre und der sog. Energiewende. Vernunft wird zunehmend durch Haltung ersetzt. Das heutige Weltbild wird fast ausnahmslos von den verschiedensten Narrativen bestimmt, die von den Medien tagtäglich gefestigt werden. Leider kann ich den versteckten Optimismus hinsichtlich eines guten Endes bei MAUSFELD nicht teilen. Dass hochentwickelte Zivilisationen untergehen können, hat die Geschichte mehrfach bewiesen. Wir arbeiten anscheinend an dem Niedergang unserer.

ARNDT kam mit seiner Analyse gar nicht erst in die Öffentlichkeit. Er wird von den Medien als auch von der Wissenschaft einfach ignoriert.

HEINSOHN tritt etwa seit 2013 mit einer neuen These auf, die die Chronologie des 1. Jahrtausends auf ganze 300 Jahre verkürzt. Er rückt damit die römische Antike direkt an das 10. Jh. Interessanter für das vorliegende Thema ist, dass mit der HEINSOHN-These die Spätantike mit Justinian I. und die Merowingerzeit ebenfalls in das 10. bzw. sogar 11. Jh. rücken. In meinem Exkurs zur frühen Geschichte Mitteldeutschlands (siehe Anhang) gehe ich näher auf die sog. HEINSOHN-These ein.

Wenn ich mich einmal als Prophet betätigen darf, so sage ich der HEINSOHN-These eine ähnliche Öffentlichkeitswirksamkeit wie der Arbeit von ARNDT voraus. HEINSOHN ist zwar bemüht, die vermeintlichen "Fehler" der Öffentlichkeitsarbeit von ILLIG zu vermeiden, übersieht aber vielleicht, dass nicht ILLIG für den Misserfolg verantwortlich ist.

Auch über das Schicksal der vorliegenden Publikation mache ich mir keine Illusionen.

Es gibt keine zeitgenössischen Schriftquellen!

Es gibt z. B. für die Zeit der Ottonen eine, wenn auch relativ überschaubare Anzahl an Schriftquellen, in denen die Orte oder auch die Bauten selbst erwähnt werden. Das sind insbesondere die Chroniken zur Ottonengeschichte wie z. B. die Sachsenchronik von Widukind, die Chronik des Thietmar von Merseburg sowie Gesta Oddonis der Hrotsvith von Gandersheim. Sie gelten der etablierten Wissenschaft als zeitgenössische Quellen und haben für sie einen absoluten Wahrheitswert.

Merkwürdig ist nur, dass verschiedene, dort berichtete Ereignisse mit den archäologischen Untersuchungsergebnissen nicht in Einklang zu bringen sind. Anzuführen ist hier die vergebliche Suche nach dem Grab Heinrichs I. in Quedlinburg oder die vergebliche Suche nach dem Moritzkloster und der ottonischen Pfalz in Magdeburg oder die vergebliche Suche nach der ersten Marienkirche in Memleben, in der Otto I. aufgebahrt gewesen sein soll, sowie der dortigen ottonischen Pfalz. Genauso wie für Quedlinburg zahlreiche Besuche der späteren Ottonen - insbesondere immer zu den Osterfeierlichkeiten schriftlich „bezeugt" sind, weswegen Quedlinburg als „wichtigste Pfalz der ersten Liudolfinger", als Osterpfalz angesehen wird, obwohl dort die baulichen Voraussetzungen vor der Jahrtausendwende gar nicht vorhanden waren.

Berichten die vermeintlich zeitgenössischen Quellen doch nicht die Wahrheit? Betreffend Widukind ist es nach FAUßNER [ANWANDER zu FAUßNER 23f] erwiesen, dass die Sachsenchronik eine Fälschung des 12. Jh. durch Wibald (1098-1158), Abt von Stablo und Corvey, ist. Nach FRANZ ist neben der Sachsenchronik Widukinds auch die Chronik Thietmars zweifelsfrei durch Wibald im 12. Jh. geschaffen worden. Sowohl die Sachsenchronik als auch die Chronik Thietmars dienten Wibald dazu, "seinen Urkundenreihen einen Halt, einen geschichtlichen Kontext zu verleihen." [FRANZ, 239] So sind von den schon nicht sehr zahlreichen so genannten zeitgenössischen Quellen zwei weitere für unsere Kenntnis der Ottonenzeit als solche ausgefallen. Von FAUßNER sind schon Werke wie die Gesta Oddonis der Hrotsvith von Gandersheim, die Vita brunonis von Ruotger, das Ottonianum von Heinrich II. und andere als Werke Wibalds benannt worden [ILLIG, 410]. Und es gab nicht nur die Fälscherwerkstatt Wibalds.

Die karolingischen Schriftquellen hatte zuvor bereits ILLIG als Fälschungen entlarvt und verworfen.

Erst ab der zweiten Hälfte des 12. Jh. nehmen die Schriftzeugnisse deutlich zu.

Aus meiner Sicht lässt sich folgende These bzgl. der Schriftquellen formulieren:

Alle Schriftquellen, wie Chroniken, Urkunden, etc., die unseren mitteleuropäischen Bereich betreffen und von denen die Forschung ausgeht, dass sie im Zeitraum von ca. 600 bis dem 12. Jh. verfasst sind, sind im Wesentlichen Fälschungen ab dem 12. Jh., also nachträglich verfasst und rückdatiert. Der Fälschungsumfang dürfte auch noch die meisten Quellen des 12. Jh. betreffen und möglicherweise noch darüber hinaus. Betroffen sind auf jeden Fall alle karolingischen und alle ottonischen Quellen, aber eben auch die dem 11. Jh. zugeschriebenen Quellen sowie auch spätere. D. h., alle auf uns überkommenen, sogenannten zeitgenössischen Schriftquellen des frühen und hohen Mittelalters sind Pseudepigraphen, d. h. Falschzuschreibungen, oder Fälschungen.

Die tatsächliche Ereignisgeschichte ist offensichtlich durch das viel später geschaffene Geschichtskonstrukt vollkommen überdeckt.

Wie könnte man sich das Entstehen dieses Konstrukts vorstellen?

1. Mit dem Zusammenbruch des ehemaligen Weströmischen Reichs ging die Schriftkultur im betroffenen Gebiet komplett verloren. So ist die völlige Abwesenheit von Schriftquellen in dem o. a. Zeitraum zu erklären.

Letztendlich gab es vor dem und bis hinein in das 12. Jh. in Mitteleuropa keine geschriebene Geschichte. Die Schriftkultur und mit ihr auch die Geschichtsschreibung war eine antike Tradition, die im Westen mit dem Ende Westroms ebenfalls endete. In weiten Teilen Mitteleuropas, natürlich besonders im Osten, hat es diese antike Tradition nie gegeben.

2. Erst durch den Aufbau der neuen, römisch ausgerichteten Kirchenorganisation am Ende des 11. Jh. wurde der Gebrauch der Schrift wieder bzw. sogar erstmals eingeführt. Vermutlich wurden zunächst ausschließlich liturgische Schriften angefertigt (Evangeliare, Evangelistare, Sakramentare, Kodizes, Lektionare, etc.). Die Anfertigung dieser Werke erfolgte in den Klöstern.

3. Frühestens ab dem fortgeschrittenen 12. Jh. begann man Geschichte rückwirkend zu schaffen. Zentren der "Geschichtsschreibung" und der Fälschungen waren die im Schreiben geübten Klöster, sozusagen eine neue Arbeitsbeschaffungsmaßnahme und Geschäftsmodell für Mönche und Nonnen bzw. der den Klöstern vorstehenden Äbte und Äbtissinnen. Verschiedene Klöster taten sich dabei besonders hervor, wie St. Denis und Corvey.

Es kam es zu einem massenhaften Fälschen von Urkunden und anderen Dokumenten, i. d. R. zum nachträglichen Nachweis von vorhandenen Besitz und alten Rechten.

Die Verwendung der Schriftform war nunmehr nicht allein auf den kirchlichen Bereich beschränkt. Der soziale und wirtschaftliche Entwicklungstand, z. B. durch die fortschreitende Arbeitsteilung, erforderte zunehmend auch im profanen Bereich die Schriftform.

Den sozialgeschichtlichen Hintergrund sehe ich im Aufkommen des freien Städtebürgertums im 11. Jh., die Veränderung von dessen Rechtstellung und dessen wirtschaftlicher Erfolg. Die wirtschaftliche Tätigkeit des freien Städtebürgertums machte das Abfassen von Schriftstücken, z. B. für Verträge, zunehmend notwendig. Der unausbleibliche Austausch mit dem Feudaladel zwang diesen ebenfalls zur Schriftlichkeit, z. B. zum schriftlichen Nachweis seiner Rechte und Besitzansprüche.

Baugeschichte ohne Geschichte?

Wie gelangt man zu einer realistischen Baugeschichte ohne die sie umgebende Geschichte?

Von der Gegenwart rückwärts erscheint die Architektur- und Kunstgeschichte bis einschließlich der Gotik einigermaßen stimmig. Dazu würde ich auch noch die Spätromanik zählen, d. h. die Bauten bzw. Kunstwerke, errichtet bzw. geschaffen zwischen 1160/70 bis 1250.

Davor wird es schwammig. Frage: Gelingt es, einen terminus post quem für einen Kirchenbau zu definieren? Ich denke ja.

Justinian I., der bei Unterstellung der HEINSOHN-These von 945 bis 983 herrschte, erhob den Katholizismus zur Reichsreligion und begründete die Reichskirche. Ich sehe in der Begründung der Reichskirche den Beginn des monumentalen Kirchenbaus im Römischen Reich. (zum sog. frühchristlichen Kirchenbau siehe [MEISEGEIER 2017])

Mit der HEINSOHN-These rücken auch die Merowinger, für die Kirchenbauten archäologisch nachgewiesen sind, in das 10./11. Jh.

Die Merowinger als auch die Sachsen folgten gemäß ihrem Status als foederati, also als Vasallen Ostroms, der Vorgabe Konstantinopels und schufen i. W. zeitgleich in ihren Herrschaftsgebieten eigene vermutlich zunächst eigenständige Kirchenorganisationen. Diese erste, frühe Kirchenorganisation war das Eigenkirchenwesen. Ihre Gliederung entsprach der Gliederung der feudalen Gesellschaft in Lehnsherren und Vasallen, als oberster Lehnsherr der König.

Früheste Kirchenbauten dürften damit kaum vor Ende des 10. Jh. begonnen worden sein.

Das heißt, dass alle bekannten frühen Kirchenbauten einschließlich der angeblich karolingischen Kirchen in den Zeitraum zwischen dem Ende des 10. Jh. und 1160/70 einzuordnen sind. Das sind überschaubare 160-180 Jahre für die gesamte Früh- und Hochromanik.

Insgesamt bedeutet das auch, dass die Bauten der Romanik in Deutschland, die aktuell von der Forschung vor der Mitte des 12. Jh. eingeordnet sind, i. d. R. zu früh datiert sind. Dasselbe Phänomen haben wir in Frankreich. Dort sind die gesamte Romanik und sogar die beginnende Gotik zu früh datiert. Auch die französische Gotik beginnt m. E. erst Mitte des 13. Jh. und nicht, wie die Forschung meint, schon Mitte des 12. Jh.

Das Eigenkirchenwesen

THIER hält das Eigenkirchenwesen für ein seit Mitte des 8. Jh. weit verbreitetes Phänomen, dessen prägendes Merkmal die eigentumsähnliche Verfügungsherrschaft des Eigenkirchenherren an den jeweiligen Kirchen und ihrem Vermögen ist [http://www.rwi.uzh.ch/elt-lst-thier/rgt/pars1/de/html/epochenpraegendes_2114.html].

Der Höhepunkt des Eigenkirchenwesens sei im 9. und 10. Jh. [Wikipedia].

SCHLOTHEUBER (Uni Düsseldorf): "... die Eigenkirche stand ... faktisch vielfach außerhalb der Kirchenhierarchie."

[https://www.uni-muenster.de/imperia/md/content/geschichte/.../e-hofkapelle.doc]

Nach meiner Meinung hat die etablierte Forschung das Eigenkirchenwesen bisher nicht richtig verstanden. Sie muss zwangsläufig, aufgrund ihres unzutreffenden Geschichtsbildes der allgemeinen Geschichte als auch der Kirchengeschichte, zu einer falschen Beurteilung des Eigenkirchenwesens gelangen. Die falsche Datierung in das 9. und 10. Jh. ist einfach den gefälschten bzw. falsch datierten Schriftquellen geschuldet. In Wirklichkeit entstehen die ersten Eigenkirchen Ende des 10. Jh. Die Einführung des Patronatsrechts 1179 beendete das Eigenkirchenwesen.

Das Eigenkirchenwesen war kein weit verbreitetes Phänomen - wie THIER meint -, sondern die erste Entwicklungsstufe der Kirchenorganisation im Westen (Frankenreich, Sachsen).

Diese Kirchen waren zunächst reine Landeskirchen. Sie waren hierarchisch aufgebaut. Jeder Grundherr hatte das Recht, auf seinem Grundstück Eigenkirchen zu errichten und zu unterhalten.

Höchste kirchliche Instanz war der jeweilige weltliche Herrscher, der König bzw. der Stammesherzog. Für die kirchliche Aufsicht teilte dieser sein Herrschaftsterritorium in Bistümer ein und setzte ihm ergebene Bischöfe ein.

Jedoch war die mögliche Einflussnahme des Bischofs rechtlich auf die Einweisung des Geistlichen beschränkt; er wurde aber tatsächlich oft überhaupt nicht zugezogen. [http://de.mittelalter.wikia.com/wiki/Eigenkirche].

SCHLOTHEUBER: "Sie (die Eigenkirchen - MM) gehörten zur Grundherrschaft (wie die Mühlen oder die Meierhöfe) und der Grundherr hatte das Recht der Investitur, also das Recht den Pfarrer oder Abt ein- bzw. abzusetzen, ohne weitere Eingriffsrechte des zuständigen Diözesanbischofs."

[https://www.uni-muenster.de/imperia/md/content/geschichte/.../e-hofkapelle.doc]

Sehr zu vermuten ist, dass selbst die Weihe der Eigenkirchen als auch der Altäre ohne Hinzuziehung eines Bischofs erfolgte.

In dieser flachen Hierarchie dieser ersten Kirchenorganisation war das Papsttum noch gar nicht existent.

Das Papsttum bildete sich erst in der ersten Hälfte des 11. Jh. heraus, weshalb es in dieser Zeit im Westen noch nicht in Erscheinung treten konnte. Entstanden aus dem von Justinian I. im 10. Jh. gegründeten Patriarchat Rom musste sich die römische Kirche, die die Herrschaft über die Christen im Westen für sich beanspruchte, zunächst von der Vormundschaft des Patriarchats von Konstantinopel befreien.

(Zur Datierung von Justinian I. in das 10. Jh. siehe [MEISEGEIER 2017].)

Dieser Befreiungsschlag gelang letztendlich 1054 mit der Trennung von Ost- und Westkirche. Erst danach hatte die römische Kirche, deren Bischof jetzt als Papst "firmiert", den Rücken frei, um sich um die Belange im beanspruchten Herrschaftsbereich zu kümmern. Dort hatte sich jedoch schon - ohne römische Einflussnahme - eine Kirchenorganisation entwickelt, in der die adligen Grundherrn die Träger der Entwicklung waren - das Eigenkirchenwesen.

Wollte das Papsttum seinen Anspruch, das Oberhaupt der Kirche im Westen zu sein, verwirklichen, so musste es diese vorangegangene Entwicklung stoppen und eine neue Kirchenorganisation installieren, in deren Hierarchie das Papsttum in oberster Position stand. Natürlich ging das nicht konfliktlos vonstatten. Diese Auseinandersetzung ist als Investiturstreit in die Geschichte eingegangen, der allgemein von 1076 bis 1122 datiert. Der desolate Zustand der Kirche infolge der weitgehend ökonomischen Ausrichtung des Eigenkirchenwesens spielte dem Papsttum in diesem Streit als Argumentationshilfe in die Hände.

Am Ende konnte sich das Papsttum weitestgehend durchsetzen. Im Jahre 1179 wurde das Eigenkirchenrecht der Laien in ein Patronatsrecht umgewandelt [Wikipedia].

Zur Durchsetzung der kirchlichen Interessen bis nach ganz unten und zur Vermeidung eines ruinösen Wettbewerbs der Kirchen untereinander erfolgte ebenfalls im 12. Jh. die Einführung des Pfarrsystems.

Wie sah die wirtschaftliche Basis einer Eigenkirche aus? Durch die nicht unerheblichen Erträge der Eigenkirche, die sämtlich dem Grundherrn zugutekamen, war diese für den Grundherrn ein Vermögensobjekt [http://de.mittelalter.wikia.com/wiki/Eigenkirche].

"Mit der allgemeinen Durchsetzung des Zehntgebotes wurde es umso lukrativer, Eigenkirchen einzurichten, brachten sie nun doch einen Gewinn, der sie zu begehrten Objekten für Tausch, Beleihung, Kauf und Verkauf, Schenkung und Erbschaft machte." [https://www.mittelalter-lexikon.de/wiki/Eigenkirche]

Dazu noch THIER (Uni Zürich): "Die Zehntleistung an eine Eigenkirche kam damit faktisch dem Eigenkirchenherren zugute, die Errichtung von Eigenkirchen wurde damit zu einer wirtschaftlich attraktiven Investition für den Grundherren, auf dessen Besitz die neue Kirche errichtet wurde und der auf diese Weise seine Kapitalbasis in die kirchliche Sphäre hinein erweiterte." [http://www.rwi.uzh.ch/elt-lst-thier/rgt/pars1/de/html/epochenpraegendes_2114.html]

Während der Zehnt bei Eigenkirchen gedrittelt war, wovon zwei Drittel dem Eigenkirchenherrn und ein Drittel dem Pfarrer zukamen, wurde der Zehnt bei den späteren Pfarrkirchen geviertelt, wobei jetzt je ein Viertel dem Bischof, dem Pfarrer, den Armen und Fremden sowie dem Kirchenbau (fabrica ecclesiae) zukam [http://genwiki.genealogy.net/Zehnt]. Dem Grundherr blieben der Anteil Kirchenbau und die Gebete zu seinem und seiner Familie Seelenheil und null Rendite. Das "Geschäftsmodell Eigenkirche" hatte sich damit erledigt.

Offensichtlich standen die Eigenkirchen eines Gebietes im Wettbewerb untereinander, wie ich das bereits in [MEISEGEIER 2018, 92ff] für die drei Quedlinburger Kirchen darzustellen versucht habe.

Literatur:

Anwander, Gerhard (2004): Wibald von Stablo – Hans Constantin Faußner: Mutiger Forscher entlarvt genialen Fälscher. Langfassung zum Artikel der ZEITENSPRÜNGE 2003/3. Entwurf vom 10.03.2004

Arndt, Mario (2015): Die wohlstrukturierte Geschichte: Eine Analyse der Geschichte Alteuropas

Franz, Dietmar (2009): Hans Constantin Faußner - Wibald von Stablo - Thietmar von Merseburg. In ZEITENSPRÜNGE 21(1), 231-249

Illig, Heribert (2007): Arbeitsentlastung für Wibald. Eine Wandlung der These von Hans Constantin Faußner. In ZEITENSPRÜNGE 19(2), 407-412

Mausfeld, Rainer (2018): Warum schweigen die Lämmer? Westend Verlag, Frankfurt

Meisegeier, Michael (2017): Der frühchristliche Kirchenbau - das Produkt eines Chronologiefehlers. Versuch einer Neueinordnung mit Hilfe der HEINSOHN-These", BoD Norderstedt

Meisegeier, Michael (2018): Die ottonischen Kirchen St. Servatii, St. Wiperti und St. Marien in Quedlinburg. Eine notwendige Revision. BoD Norderstedt

Erfurt, der Dom Beatae Mariae Virginis, die Stiftskirche St. Severi und die Peterskirche

Wenn es um die frühe Kirchengeschichte Erfurts geht, sind insbesondere drei Kirchenbauten in Erfurt von Bedeutung.

Erstens der Dom: Erfurt führt seine Ersterwähnung auf Bonifatius zurück, der 742/743 einen Brief an Papst Zacharias gesandt haben soll, mit der Bitte, die Bistümer Würzburg, Erfurt und Büraburg gründen zu dürfen. Die Stiftskirche Beatae Mariae Virginis (der heutige Dom) ist gemäß der Tradition eine Stiftung Bonifatius’ aus dem Jahr 752.

Zweitens: Die Stiftskirche St. Severi soll aus einer Paulskirche hervorgegangen sein, die nach der Übertragung der Reliquien des Hl. Severus im Jahr 836 zur Severikirche wurde.

Drittens: Nach einer Nachricht aus dem 12. Jh. soll das Kloster auf dem Petersberg im Jahr 706 durch den fränkischen König Dagobert gegründet worden sein. Da die traditionelle Geschichte im Jahr 706 keinen König Dagobert kennt, wird diese Urkunde von der Forschung als Fälschung gesehen.

Festzustellen ist für Erfurt, dass die frühe Geschichte dieser Kirchen als auch der Stadt selbst nur auf dem Papier existiert. Die frühesten Funde - wenn man von kaiserzeitlichen Funden und solchen aus der Zeit des Thüringer Königreichs absieht - werden von den Archäologen in das 10. Jh. datiert. Am 11.07.2016, vermeldete die Thüringer Allgemeine, dass in Erfurt womöglich(!) erstmals(!) Spuren aus der Bonifatiuszeit gefunden wurden. Seitdem ist Schweigen im Wald.

Auf dem Petersberg wurde ein Grab gefunden, das aufgrund einer Obolus-Münze Lothar I. als karolingisch datiert wird. Das Grab gilt als der erste Nachweis der Nutzung des Petersbergs in karolingischer Zeit [ALTWEIN, 114]. Ob dieses einzelne Grab für die Stadt Erfurt im 9. Jh. spricht, erachte ich für sehr fraglich. Da ich die Geschichte der Karolinger als konstruiert sehe, bedarf die Zuordnung und Datierung der Münze einer neuen Beurteilung.

Frühe Schriftquellen

742

Erste Erwähnung Erfurts in einem Brief des Bonifatius an Papst Zacharias, in dem Bonifatius um die Errichtung von Bistümern in Würzburg, Buraburg und Erfurt ersucht. Der Brief ist nicht im Original erhalten, sondern nur in der Vita des Mönchs Otloh erwähnt, der im 11. Jh. gelebt haben soll. Die Erfurter Tradition geht von dem Vorhandensein eines Kirchenbaus zu dieser Zeit aus.

802

Erwähnung eines palatium publicum (vermutl. Königspfalz) in Erfurt

805

Kapitular Karls des Großen, Erhebung Erfurts zum Grenzhandelsplatz mit Slawen und Awaren

836

Translatio S. Severi, Schreiben an den Mainzer Diakon Erlarius betr. u. a. die Überführung der Severus-Reliquien nach Erfurt in eine Paulskirche

852

Hoftag Ludwig II. in Erfurt

932

Synode in Erfurt

936

Reichstag in Erfurt, auf dem Otto I. zum Nachfolger seines Vaters Heinrich I. gewählt wurde

1080

Severikirche und Peterskirche werden von Heinrich IV. angezündet (Weltchronik)

Während die Schriftquellen fast sprudeln, kann die Archäologie keinerlei Funde vermelden.

»Vom Ende der römischen Kaiserzeit im 4. Jahrhundert bis etwa zum 10. Jahrhundert gibt es aus ganz Erfurt keine Siedlungsspur« sagt Karin Sczech, die Referentin des Landesamtes für Archäologie. ["Erfurts Wurzeln existieren bisher nur auf dem Papier" in Thüringer Allgemeine, 29.03.2014]

Da ich - wie in den Vorbemerkungen ausgeführt - die Geschichte der Karolinger als auch die Geschichte der Ottonen für ein späteres Geschichtskonstrukt halte, sind alle o. a. frühmittelalterlichen Quellen ebenfalls Teile dieses Konstrukts. Wie die Geschichte der Karolinger i. W. frei erfunden ist, ist die Person des Bonifatius pure Erfindung.

Stiftskirche Beatae Mariae Virginis (Dom)

Wie oben bereits erwähnt, soll 742/743 das Bistum Erfurt durch Bonifatius gegründet worden sein, worin der heutige Dom seine Wurzeln sieht. Das Bistum soll um 750 schon wieder aufgehoben worden sein [WERNER, 49]. Im Jahr 752 soll dann die Einrichtung des Stifts erfolgt sein.

Die frühesten Bauteile des stehenden Baus sind romanisch. Dieser romanische Bau ist gemäß den Quellen ab 1154 entstanden, nachdem 1153 eine vorhandene Kirche eingestürzt sein soll. Grabungen in größerem Umfang sind noch nicht durchgeführt worden. Da der Dom wie die meisten Kirchen Erfurts glücklicherweise im Krieg kaum gelitten hat, gab es „leider" nicht die Möglichkeit für großflächige Untersuchungen wie das vielleicht andernorts möglich war.

Bei 1991/1992 erfolgten Gründungsarbeiten für die neue Hauptorgel im Westen der bestehenden Kirche wurde in 3 m Tiefe ein gebogener Mauerzug freigelegt, den die Archäologen als ehemalige Westapsis identifizieren und dem 12. Jh. zuordnen (siehe Archäologischer Wanderführer Thüringen Heft 6 Stadt Erfurt). Diese späte Datierung wird durch Knochen- und Keramikfunde gestützt. So fand man unter mehreren Bodenschichten einen Haufen zusammengeschobener menschlicher Knochen. Die Untersuchung an einem einzelnen Knochen ergab eine Datierung 1038 ± 44. SCZECH sieht diese Bestattungen in Verbindung mit einem noch nicht aufgefundenen älteren Vorgängerbau [SCZECH 2007, 114f und 2015, 121f]. Dem muss man nicht unbedingt folgen. Möglicherweise sind die Knochen Reste eines ehemaligen Friedhofs an dieser Stelle, der noch im 11. Jh. benutzt wurde.

Die aufgefundene Westapsis weist darauf hin, dass der in der ersten Hälfte des 12. Jh. errichtete und schon 1153 angeblich eingestürzte Bau (maior ecclesia) eine doppelchörige Anlage gewesen war bzw. als solche konzipiert war. Zu vermuten ist, dass der Bau noch nicht fertiggestellt war.

Die etwa zeitgleichen Neubauten der Dome in Magdeburg und Naumburg waren ebenfalls doppelchörige Bauten (siehe dort).

Der Baubeginn des Neubaus erfolgte bereits 1154. „Rein zufällig“ wurden bei den Ausschachtungsarbeiten für den Neubau die Gebeine der Bonifatius-Gefährten Adolar und Eoban gefunden, womit für den Neubau entsprechend attraktive Reliquien zur Verfügung standen.

Die erstmalige urkundliche Erwähnung der Kollegiatstiftskirche Beatae Mariae Virginis als "maior ecclesia" ist aus dem Jahr 1117.

Wenn man die frühe Nennung und alle Vermutungen außer Acht lässt, kommt man zu einem sehr ernüchternden Ergebnis. Gründung und Bau des ersten Doms erfolgten erst am Beginn bzw. in der ersten Hälfte des 12. Jh. Für einen Kirchenbau vor dem 12. Jh. an der Stelle des heutigen Doms gibt es bisher keinen einzigen archäologischen Beleg.

Stiftskirche St. Severi

Der erste schriftliche Beleg, der der Severikirche zugeschrieben wird, ist die Nachricht über eine Reliquientranslation des Körpers des hl. Severus aus Ravenna zuerst nach Mainz und von dort aus nach Erfurt in eine Paulskirche im Jahr 836. Da diese Reliquien bis heute in der Severikirche verehrt werden, wird diese Nachricht auf die Severikirche bezogen. Die aktuelle Forschung geht davon aus, dass die Severikirche zuvor eine Paulskirche war, die durch die Reliquientranslation einen Patrozinienwechsel erfuhr und zur Severikirche wurde [LEHMANN / SCHUBERT, 180].

Die Lokalhistorie erwähnt immer wieder ein angeblich urkundlich überliefertes karolingisches Nonnenkloster St. Paul, zuletzt wieder im Archäologischen Wanderführer Thüringen Heft 6 Stadt Erfurt [20], bei SCZECH [2007,115] und ALTWEIN [113]. In diesem Zusammenhang wird immer wieder angeführt, dass für den Bau der bischöflichen Burg auf dem Domhügel 1123 ein Nonnenkloster von dort auf den Cyriaxberg verlegt worden sei (Das Patrozinium dieses Nonnenklosters ist unbekannt). Von Experten zur Mittelaltergeschichte Erfurts (Prof. Heinemeyer, Prof. Werner) erhielt ich auf meine Anfrage die Auskunft, dass es zu 1123 weder eine Urkunde noch eine chronikalische Nachricht über die Verlegung eines Nonnenklosters und den Bau der erzbischöflichen Burg gibt. Eine Nachricht in der Vita des hl. Severus betr. eines Nonnenklosters in Mainz würde irrtümlich auf Erfurt bezogen. Das Cyriaxkloster wird in der schriftlichen Überlieferung erstmals 1133 genannt. Möglicherweise wurde hier von der Lokalhistorie Einiges durcheinander gebracht und immer wieder abgeschrieben.

In den Jahren 1960 bis 1962 wurde unmittelbar nördlich der Severikirche eine Grabung durchgeführt. Ziel war der archäologische Nachweis des o. a. karolingischen Nonnenklosters St. Paul. Bei den Grabungen wurden in 3,50 m Tiefe Reste eines durch Feuer zerstörten Fachwerkbaus aus dem 10. Jahrhundert gefunden [Archäologischer Wanderführer Thüringen, 20].

Die erste wirkliche schriftliche Nennung der Severikirche erfolgt in der Weltchronik des Ekkehard von Aura (angeblich ca.1085–ca.1125) zum Jahr 1079/1080, wo erwähnt wird, dass während der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Heinrich IV. und dem Erzbischof von Mainz als Anhänger des Gegenkönigs Rudolf von Rheinfelden neben der Peterskirche auch die Severikirche angezündet und zerstört wurde. In der Übersetzung PFLÜGERs ist speziell dieser Passus als „Zusatz einer jetzt in Gotha befindlichen Handschrift“ gekennzeichnet. Nach WERNER [47] erfolgte die Abschrift und Ergänzung um 1150 im Erfurter Peterskloster. Bezeichnenderweise wird die Stiftskirche Beatae Mariae Virginis, der heutige Dom, in dieser Nachricht gar nicht erwähnt.

Die Nachricht über die Zerstörung der Severikirche im Jahr 1079/1080 enthält zusätzlich die Information, dass der Neubau kleiner und an derselben Stelle erfolgte, d. h. danach gab es davor zumindest noch einen Vorgängerbau, der größer gewesen sein soll und sich an derselben Stelle befunden haben soll.

Ich halte die Weltchronik des Ekkehard von Aura für ein Pseudepigraph aus späterer Zeit und die Nachrichten zu den beiden Kirchenbauten zumindest für problematisch.

Nun zu den materiellen Hinterlassenschaften. Die heute stehende Severikirche ist ein 1275 begonnener relativ einheitlicher Bau. Im Grundriss der Severikirche – wo man die in den Quellen erwähnten Vorgängerbauten vermutet - erfolgten bisher keine archäologischen Untersuchungen. Somit wusste man bis zur Zeit so gut wie nichts über etwaige Vorgängerbauten und damit über die frühe Baugeschichte der Severikirche.

Im Jahr 2005 wurden am Fuß des Domhügels östlich der Severikirche Baureste aufgedeckt, die offensichtlich einer romanischen Kirche zuzuordnen sind. Ergraben wurden drei nebeneinander liegende gebogene Fundamente, deren Ausrichtung nach Osten sofort an Apsiden eines Kirchenbaus denken ließ. An den zwei südlichen sind bis zu zwei Lagen des aufgehenden Mauerwerks mit romanischem Sockelprofil erhalten. Diese beiden zeigen darüber hinaus Ansätze von Lisenen. Bei dem nördlichen Fundament ist nur die unterste Lage erhalten. Merkwürdig dabei ist jedoch, dass die beiden äußeren größer sind als die mittlere. Östlich davor wurden in einer Auffüllung aus Abbruchmassen Bruchstücke eines Putzes mit Wandmalereien und qualitätvolle Stuckreste mit Palmettendekor gefunden.

Die aufgefundenen Baureste werden von einer Mauer überschnitten, die die Archäologen dem 13. Jahrhundert zuweisen, d. h. dass dieser Kirchenbau im 13. Jahrhundert nicht mehr nutzbar war.

Nach einer ersten Einschätzung wurden die beiden südlichen Fundamente als Apsiden eines romanischen Kirchenbaus interpretiert und in der nördlichen eine angebaute Kapelle gesehen [SCZECH 2006].

Nach meiner Auffassung weist die sichtbare Chorecke die südliche große Apsis eindeutig als Hauptapsis aus. Die nördlich anschließende kleinere Apsis war zweifelsfrei eine Nebenapsis. Die Ostwand des zugehörigen Nebenchores ist gegenüber der Ostwand des Hauptchores zurückgesetzt. Beide Apsiden zeigen eine ehemals vorhandene Lisenengliederung.

Haupt- und Nebenapsis der ergrabenen Kirche (vor Nebenapsis späterer Brunnen)

Zwickel Hauptchor und Nebenapsis

Südlich der Hauptapsis hat sich mit Sicherheit eine weitere Nebenapsis befunden, wo aber nicht mehr gegraben wurde.

Damit haben wir eindeutig eine im 12. Jahrhundert übliche Chorlösung einer Reformordenskirche (z. B. Augustiner Chorherren, Hirsauer, Prämonstratenser) vor uns.

Die große Nordapsis besitzt dieselbe Spannweite und dasselbe Sockelprofil wie die Hauptapsis der Kirche. Eine gleichzeitige Errichtung ist anzunehmen. Auch wenn die große Spannweite der Nordapsis ungewöhnlich erscheint, liegt die Interpretation als Kapelle nahe.

Die zugehörige Klausur lag demzufolge auf der Nordseite (wie bei der Peterskirche auch). Der erhaltene tonnengewölbte romanische Keller im Südbereich des heutigen "Felsenkellers" könnte ein Rest der Klausur sein. Die Wölbrichtung verweist möglicherweise auf eine Ost-West-Erstreckung des ursprünglich darüber angeordneten Gebäudes, womit er das Nordende der Klausur markieren könnte. Die Erfurter Lokalgeschichte konnte diesen erhaltenen, vermutlich romanischen Kellerraum bisher keinem Bau eindeutig zuordnen.

"Sollte der im Eingangsbereich vom Severigarten her links gelegene Keller aus dem 12. oder frühen 13. Jahrhudnert stammen, dürfte er zur erzbischöflichen Burganlage gehört haben. Möglich ist aber auch, dass der alte Kellerraum unter dem Areal des "krummen Hauses" erst nach 1270 und unter Regie des Klosters Reinhardsbrunn oder gar erst des Marienstiftes gebaut wurde." [BORNSCHEIN]

Hinsichtlich der Form der Ostteile ist als territorial nächstes Beispiel der Bau I der Peterskirche Erfurt (ab 1103) anzuführen. Nähere Ausführungen dazu im folgenden Abschnitt "Peterskirche".

Da die aufgefundenen Reste zu einem Kirchenbau gehören, dessen Grundriss den üblichen Grundrisslösungen der Reformordenskirchen folgt, so ist eine ungefähre Grundrissrekonstruktion möglich. Mit der Breite der Hauptapsis lässt sich aufgrund des vorauszusetzenden quadratischen Schematismus die Jochgröße im Mittelschiff mit etwa 11 x 11 m bestimmen. Wenn man von einem Chorquadrat, einem Vierungsquadrat (mit Querarmen) und mindestens 3 Mittelschiffsjochen ausgeht, so ergibt sich eine Gesamtlänge des Baus (ohne Apsis) von etwa 55 m. Das Mittelschiff der Peterskirche hat 5 etwa quadratische Joche (einschl. Westbau) und ist damit noch deutlich länger als meine obige Minimalannahme. Die Seitenschiffe besaßen die halbe Breite, also ca. 5,5 m. Dazu würde die Apsisbreite der Nebenapsiden von etwa 4 m passen. Nimmt man sich einen Lageplan vor und trägt die angenommenen Abmessungen ein, so erstreckte sich der Bau bis weit in den heutigen Bau der Severikirche.

Erfurt, St. Severi. Rekonstruktion des Vorgängerbaus (ohne Westabschluss) einschl. Klausurostflügel mit Äbtissinnenkapelle (gelb - Grabung von 1960)

Ob der Bau Türme hatte und ob diese auch wie bei der Peterskirche im Osten, z. B. über den Nebenchören, und im Westen angeordnet waren, ist bei der derzeitigen Befundlage nicht auszusagen.

Hat man anfangs in Erfurt von der Entdeckung eines unbekannten Kirchenbaus gesprochen, sind die Erfurter Archäologen inzwischen der Auffassung (wie ich von Anfang an), dass dieser Bau mit höchster Wahrscheinlichkeit ein Vorgängerbau der Severikirche war.

Sie ist damit der unmittelbare Vorgänger der bestehenden Severikirche und stand nicht auf dem Dom- bzw. Severihügel sondern am Fuß desselben.

Da sich der rekonstruierte Grundriss mit dem Grundriss der rezenten Kirche überschneidet, muss zumindest ein Teilabriss während der Bauarbeiten für den Neubau erfolgt sein. Nach LEHMANN / SCHUBERT [182] wurde die Kirche zu Beginn der Bauarbeiten für den Neubau nicht vollständig abgerissen, sondern während der Bauarbeiten weiterbenutzt. Es gibt urkundliche Nachrichten aus den Jahren 1282, 1286 und 1295, aus denen hervorgeht, dass die Geistlichen ihren liturgischen Pflichten weiter nachgekommen sind [LEHMANN / SCHUBERT 182].

Die Mauer, die die aufgefundenen Baureste heute überschneidet, kann erst nach vollständiger Aufgabe der Nutzung des Baus errichtet worden sein, spätestens mit Innutzungnahme des hochgotischen Neubaus, d. h. wahrscheinlich erst im 14. Jh.

Kirche des Benediktinerklosters St. Peter und Paul auf dem Petersberg (Peterskirche)

Der heute auf dem Petersberg noch zu besichtigende Torso einer romanischen Kirche ist der Rest der Klosterkirche des ehemaligen Klosters St. Peter und Paul. Der stehende Bau wurde 1103 bis 1147 errichtet und ist damit das älteste in Erfurt erhaltene Zeugnis der romanischen Baukunst. Die Gründung des Klosters erfolgte anscheinend schon früher, um 1060. Gemäß einer Nachricht vertrieb der Erzbischof von Mainz um 1060 die auf dem Petersberg ansässigen Kanoniker und gründete das Benediktinerkloster St. Peter und Paul. Ich spare mir die eigentliche Klostergeschichte. Sie ist in der Literatur ausreichend verfügbar, z. B. WERNER.

Grabungen 1920/21 ergaben, dass es vor dem heute sichtbaren geraden Chorschluss eine Bauphase gab, die apsidiale Schlüsse von Hauptchor und Nebenchören hatte [BECKER 1920, 91f und BECKER 1929, 607ff]. Der Ausgräber und die bisherige Forschung sahen darin eine Planänderung "wahrscheinlich unter Leitung des 1127 aus Hirsau gekommenen Abtes Werner" [DEHIO, 359].

2015 veröffentlichte HOPF eine neue Arbeit zur Peterskirche, in der er die Auffassung vertritt, dass „ab 1103 lediglich ein neuer Dreiapsidenabschluss an die Ostseite einer älteren Kirche“ angefügt wurde [17]. Nach HOPF wurde ab 1127 die gesamte Altanlage niedergelegt und der heute noch stehende Bau in einem Zug errichtet. Die bei den Grabungen aufgefundenen Mauerzüge der älteren Kirche aus „unregelmäßig hammergerechtem Handquadermauerwerk“ datiert HOPF noch in das 10. Jh.

Ich kann der Neuinterpretation der Grabungsergebnisse durch HOPF nicht folgen. Dagegen dürfte die frühere Annahme einer Planänderung während des Baus weiterhin Bestand haben. Die Identifikation der bei der Grabung aufgefundenen Mauerzüge aus unregelmäßigen hammerrechten Schichtenmauerwerk als ottonisches Mauerwerk ist völlig willkürlich. Einleuchtender ist deren Interpretation als Fundamente für die Chorarkaden. Warum diese an den Vierungspfeilern abbrechen und nicht nach Westen weiterführen, kann von hier aus nicht beurteilt werden. Möglicherweise sind diese Mauerzüge baugrundbedingt. Die Grabungen wurden aus Kostengründen vorzeitig abgebrochen [BECKER 1920, 92], weshalb das Ergebnis vielleicht noch unvollständig ist. Die exakt gleiche Ausrichtung der Mauerzüge mit dem stehenden Bau spricht eher für die Zugehörigkeit zu diesem.

Die erste Planung sah ein schmaleres Mittelschiff und breitere Seitenschiffe vor. Die Breite des Mittelschiffs wurde zu Lasten der Seitenschiffsbreite während des Baus geändert. Die o. a. Mauerzüge entstammen noch der ursprünglichen Planung mit dem schmaleren Mittelschiff. Dass die Planung während des Baus geändert wurde, ist an den Westtürmen eindeutig abzulesen. Diese sind noch für das schmalere Mittelschiff konzipiert. Darauf weist schon BECKER hin [1920, 91 und 1929, 616 und 627]. Warum HOPF in seinem Aufsatz BECKERs Hinweis kommentarlos übergeht, entzieht sich meiner Kenntnis. Bei der Planänderung war der Bau der Westtürme offensichtlich schon so weit fortgeschritten, dass ein Rückbau nicht mehr infrage kam. Vielleicht waren auch schon angrenzende Bauten, z. B. der Klausurwestflügel schon errichtet, was den Umbau sehr aufwändig gestaltet hätte. Wenn die Rekonstruktion von HOPF stimmen würde, wäre die Grundrissgestaltung des Westbaus schwer erklärbar.

Darüber hinaus belegen die im Fundamentbereich aufgefundenen Mauerzüge, dass der zugehörige Bau nach dem Schema des quadratischen Schematismus konzipiert wurde, zumindest bezüglich der Breiten von Mittelschiff und Seitenschiffen. "Der Querschnitt des älteren Baus entsprach also mit einem Verhältnis zwischen Seiten- und Mittelschiffweite von rd. 1:2 durchaus dem einer Normalbasilika" [BECKER 1929, 611]. Das gebundene System ist vor dem 12. Jh. kaum nachzuweisen, womit auch aus diesem Grund die aufgefundenen Mauerzüge kaum ottonisch sein dürften.