Das grüne Haus - Mario Vargas Llosa - E-Book

Das grüne Haus E-Book

Mario Vargas Llosa

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Beschreibung

In dem Werk Das grüne Haus haben sich der geographische Raum - Urwalddörfer und Städte in einem Städtedreieck des nördlichen Peru - und die dargestellte soziale Problematik im Vergleich zu Vargas Llosas erstem Roman Die Stadt und die Hunde erweitert. Der Autor erzählt, wie hochherzige Nonnen Urwaldmädchen einfangen, um sie in ihren Missionsschulen zu christianisieren. Am konkreten Schicksal Bonifacias verdeutlicht er deren »neues« Leben: Dienerin bei den Garnisonsoffizieren, schließlich Prostituierte. Eine zweite Geschichte berichtet von der Ausbeutung der amerikanischen Ureinwohner bei der Kautschukgewinnung, den Repressalien der Regierung bei Auflehnung und Streik. Die permanente Unterdrückung der Eingeborenen durch die Vertreter der herrschenden Gesellschaft ist Thema des dritten Handlungsmotivs. Zwei Episoden ereignen sich in der kleinen Wüstenstadt Piura. Eine grüngestrichene Hütte, das städtische Bordell, ist Zentrum des erzählerischen Kaleidoskops, Schnittpunkt der Schicksale, Zeiten und Realitäten, ein Haus von nahezu mythischer Vergangenheit und Bedeutung.

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In Piura, einer peruanischen Kleinstadt inmitten der Wüste, steht das »grüne Haus«, ein Bordell mit Musik und Tanz. Es wurde einst von dem geheimnisvollen Fremden Don Anselmo aufgemacht und beherbergt Gestalten und Verlockungen, die die Phantasie und die Gemüter der Kleinstädter erhitzen. Eines Tages brennen aufgebrachte Piuraner unter Führung des Padre García das Haus nieder, und erst viele Jahre später wird es von Don Anselmos Tochter ein zweites Mal errichtet. Als Stammkunden verkehren hier die »Unbezwingbaren«, vier Freunde, die sich als wahre Mannsbilder betrachten. Ihren Anführer Lituma verbindet offenbar eine ganz eigene Geschichte mit einer der Frauen des Hauses. In das »grüne Haus« wird ebenfalls der bittere Weg von Bonifacia führen, die zuvor in die Fänge von hochherzigen Nonnen gerät. Im schwer zugänglichen Urwald jenseits der Anden entführen die Glaubensschwestern junge Indiomädchen, um sie dem richtigen Leben und der Zivilisation näherzubringen, und ahnen dabei nicht, welche Lebensläufe sie damit in Gang setzen. In kunstvoll parallel geführten Handlungssträngen erzählt Vargas Llosa eine vielschichtig zusammenhängende große Geschichte, in der das »grüne Haus« Zentrum des erzählerischen Kaleidoskops ist, Schnittpunkt der verschiedenen Schicksale, Zeiten und Realitäten.

Mario Vargas Llosa, geboren 1936 in Arequipa/Peru, lebt heute in Madrid und Lima. Neben zahlreichen anderen Auszeichnungen erhielt er 1996 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und 2010 den Nobelpreis für Literatur. Sein schriftstellerisches Werk erscheint auf deutsch im Suhrkamp Verlag.

MARIO VARGAS LLOSA

Das grüne Haus

Roman

~

Aus dem Spanischenvon Wolfgang A. Luchting

Suhrkamp

Die Originalausgabe erschien 1965 unter dem Titel

La casa verde

© Editorial Seix Barral S.A., Barcelona

Umschlagfoto: Santiago Harker

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2012

© der deutschen Ausgabe Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1976

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlag: Göllner, Michels, Zegarzewski

eISBN 978-3-518-73585-5

www.suhrkamp.de

Inhalt

Eins

I

II

III

IV

Zwei

I

II

III

Drei

I

II

III

IV

Vier

I

II

III

Epilog

I

II

III

IV

Anmerkungen

Eins

Der Sargento wirft einen Blick auf Madre Patrocinio, und die fette Schmeißfliege sitzt immer noch da. Das Motorboot hopst auf den trüben Wellen dahin, zwischen zwei Mauern aus Bäumen, die einen stickigen, heißen Dunst ausatmen. Unter dem Sonnendach zusammengerollt, vom Gürtel aufwärts nackt, schlafen die Guardias, gewärmt von der grünlich-gelblichen Mittagssonne: Der Kopf des Knirpses liegt auf dem Bauch des Fetten, der Blonde ist in Schweiß gebadet, der Dunkle schnarcht mit offnem Mund. Ein Schirm aus Insekten begleitet das Boot, zwischen den Körpern kreisen Schmetterlinge, Wespen und dicke Fliegen. Der Motor rattert gleichmäßig vor sich hin, stottert, rattert wieder, und der Lotse Nieves führt das Steuer mit der linken Hand, mit der rechten raucht er, und sein tief gebräuntes Gesicht unter dem Strohhut bleibt unverändert. Diese Leute aus dem Urwald waren nicht normal, warum schwitzten sie nicht wie Christenmenschen? Achtern sitzt steif, mit geschlossenen Augen, Madre Angélica, mindestens tausend Falten im Gesicht, mitunter steckt sie die Zungenspitze heraus und leckt den Schweiß vom Schnurrbart und spuckt aus. Die arme Alte, solche Ausflüge waren nichts für sie. Die fette Schmeißfliege schlägt die kleinen blauen Flügel, löst sich mit sanftem Auftrieb von der rosigen Stirn Madre Patrocinios, fliegt in Kreisen davon ins weiße Licht, und der Lotse würde gleich den Motor abstellen, Sargento, sie waren nämlich gleich da, nach dieser Einbuchtung kam Chicais. Aber etwas sagte dem Sargento, es wird niemand dasein. Das Motorengeräusch bricht ab, die Madres und die Guardias öffnen die Augen, heben den Kopf, blicken sich um. Der Lotse Nieves ist aufgestanden, drückt die Stake nach rechts, nach links, das Boot nähert sich geräuschlos dem Ufer, die Guardias stehen auf, ziehen die Hemden an, setzen die Képis auf, schnallen die Ledergamaschen um. Der Pflanzenvorhang rechts reißt ab, sobald die Flußkrümmung passiert ist, und man sieht ein Hochufer, einen schmalen Einschub rötlicher Erde, der bis zu einem winzigen Winkel voller Morast, Steinbrocken, Röhricht und Farnbüschel herunterläuft. Unten ist kein Kanu, oben am Uferrand keine menschliche Gestalt zu sehen. Das Boot läuft auf, Nieves und die Soldaten springen hinaus, waten durch den bleifarbenen Brei. Ein Friedhof, Ahnungen konnte man vertrauen, die Mangaches hatten recht. Der Sargento steht über den Bug gebeugt, der Lotse und die Guardias zerren das Boot aufs Trockene. Sie sollten den Madrecitas behilflich sein, sollten mit den Händen einen Tragstuhl machen, damit sie nicht naß würden. Madre Angélica bleibt ernst zwischen den Armen des Dunklen und des Fetten. Madre Patrocinio zögert, als der Knirps und der Blonde einander bei den Handgelenken packen und ihr den Sitz hinhalten, und errötet wie ein Krebs, als sie sich daraufplumpsen läßt. Die Guardias überqueren schwankend den Uferstreifen, setzen die Nonnen da ab, wo der Schlamm endet. Der Sargento springt, erreicht den Fuß des Uferabhangs, und Madre Angélica klettert schon sehr beherzt das Gefälle hoch, hinter ihr her Madre Patrocinio, beide auf allen vieren, eingehüllt von rötlichen Staubwolken. Die Erde des Abhangs ist locker, gibt unter jedem Schritt nach, der Sargento und die Guardias kommen nur langsam voran, stecken gekrümmt, erstickt, bis zu den Knien im Staub, das Taschentuch vor dem Mund, der Fette niest und spuckt. Oben angekommen, klopfen sie einander den Staub von den Uniformen, und der Sargento schaut sich um: eine kreisförmige Lichtung, eine Handvoll Hütten mit kegelförmigen Dächern, kleine Felder Maniok und Bananen und, ringsherum, dichter Dschungel. Zwischen den Hütten kleine Bäume, von deren Zweigen eiförmige Säcke pendeln: Nester der Paucares. Er hatte es ihr ja gesagt, Madre Angélica, er wollte das doch betonen, keine Seele, sie sahen selbst. Aber die Madre geht von einer Seite zur andern, tritt in eine Hütte, kommt wieder heraus und steckt den Kopf in die nächste, verjagt mit Händeklatschen die Fliegen, bleibt auch nicht einen Moment stehen, und so ist sie, von fern, ihre Umrisse im Staub undeutlich, nicht eine Greisin, sondern ein wandelndes Ordenskleid, aufrecht, ein sehr energischer Schatten. Madre Patrocinio dagegen steht unbeweglich, die Hände im Habit verborgen, und ihre Augen gleiten immer wieder über die leere Siedlung hin. Einige Zweige bewegen sich, und man hört gellende Schreie, ein Geschwader grüner Flügel, schwarzer Schnäbel und blauer Brustlätze flattert lärmend über die verlassenen Hütten von Chicais hin, die Guardias und die Nonnen sehen ihnen nach, bis das Gestrüpp sie verschluckt, das Geschrei dauert noch eine Weile. Es gab kleine Papageien, gut, das zu wissen, falls es an Nahrung fehlte. Aber man kriegte die Ruhr davon, Madre, das heißt, der Magen ging einem durch. Am Abhang taucht ein Strohhut auf, das braungebrannte Gesicht des Lotsen Nieves: Die Aguarunas hatten es also mit der Angst zu tun bekommen, Madrecitas. Reine Sturheit, wer hatte sie geheißen, nicht auf ihn zu hören. Madre Angélica tritt hinzu, schaut mit den umfältelten Äugchen hierhin und dorthin, und ihre knotigen, steifen Hände mit den kastanienbraunen Muttermalen fuchteln dem Sargento vor dem Gesicht herum: Waren ganz in der Nähe, hatten ihre Sachen nicht mitgenommen, man mußte warten, bis sie wiederkamen. Die Guardias sehen einander an, der Sargento steckt sich eine Zigarette an, zwei Paucares fliegen herbei und wieder weg, ihr schwarz- und goldfarbenes Gefieder schillert feucht. Auch Vögel, alles gab es in Chicais. Nur keine Aguarunas, und der Fette lacht. Warum nicht hinterrücks über sie herfallen? Madre Angélica schnauft, sie kannte sie doch, Madrecita, oder? das Büschelchen weißer Haare an ihrem Kinn zittert sanft, die hatten Angst vor Christenmenschen und versteckten sich, gar nicht dran zu denken, daß die zurückkamen; solange sie hier waren, würde man keine Spur von ihnen zu sehen bekommen. Madre Patrocinio, klein, rundlich, ist hinzugekommen, steht zwischen dem Blonden und dem Dunklen. Aber voriges Jahr hatten sie sich doch nicht versteckt, waren ihnen entgegengekommen und hatten ihnen sogar ein ganz frisches Gamitana geschenkt, erinnerte sich der Sargento nicht mehr? Aber damals wußten sie es noch nicht, Madre Patrocinio, jetzt schon, das mußte sie doch einsehen. Die Guardias und der Lotse setzen sich auf die Erde, ziehen die Schuhe aus, der Dunkle öffnet seine Feldflasche, trinkt und seufzt. Madre Angélica hebt den Kopf: sollen die Zelte aufschlagen, Sargento, ein zerknittertes Gesicht, und die Moskitonetze spannen, ein wäßriger Blick, sie würden warten, bis sie zurückkamen, eine altersschwache Stimme, und er sollte kein solches Gesicht ziehen, sie hatte Erfahrung. Der Sargento wirft die Zigarette weg, stampft sie in die Erde, ihm war es ja egal, los, Jungens, sollten schon machen. Und da klingt ein Gackern auf und ein Gebüsch spuckt eine Henne aus, der Blonde und der Knirps stoßen einen Jubelschrei aus, eine schwarze, jagen hinter ihr her, mit weißen Flecken, fangen sie, und die Augen Madre Angélicas sprühen, Spitzbuben, was machten sie denn da, ihre Faust droht, gehörte sie etwa ihnen? sollten sie loslassen, und der Sargento, sollten sie loslassen, aber Madres, wenn sie blieben, brauchten sie was zu essen, sie waren nicht gekommen, um Kohldampf zu schieben. Madre Angélica würde keinen Unfug gestatten, wie sollten die ihnen vertrauen, wenn sie ihnen die Tierchen stahlen? Und Madre Patrocinio nickt, Sargento, Diebstahl war eine Beleidigung Gottes, das Gesicht rund und gesund, kannte er die Gebote nicht? Die Henne landet auf der Erde, gackert, pickt sich unter den Flügeln, flieht wackelnd, und der Sargento zuckt mit den Achseln: warum machten sie sich Illusionen, wo sie sie doch so gut oder besser kannten als er. Die Guardias gehen zum Abhang, in den Bäumen kreischen erneut die Papageien und die Paucares, Insekten brummen, eine leichte Brise bewegt die Yarinablätter auf den Dächern von Chicais. Der Sargento lockert seine Gamaschen, brummt vor sich hin, verzieht den Mund, und der Lotse gibt ihm einen Klaps auf die Schulter, Sargento: er sollte sich nicht ärgern und immer mit der Ruhe. Und der Sargento zeigt heimlich auf die Madres, Don Adrián, solche Ausflüge fuchsten ihn fürchterlich. Madre Angélica hatte großen Durst und am Ende gar ein bißchen Fieber, der Geist war immer noch willig, aber der Leib litt halt an Gebrechen. Madre Patrocinio, und die, nein, nein, sie sollte so etwas nicht sagen, Madre Angélica, sobald jetzt die Guardias heraufkämen, würde sie eine Limonade trinken und sich gleich besser fühlen, würde schon sehen. Flüsterten sie über ihn? der Sargento betrachtet zerstreut die Umgebung, hielten sie ihn für ein Arschloch? er fächelt sich mit dem Képi Luft zu, diese zwei alten Hennen! und unvermittelt wendet er sich dem Lotsen Nieves zu: Flüstern in Gegenwart Dritter war schlechtes Benehmen, und der, er sollte schauen, Sargento, die Guardias kamen zurückgerannt. Ein Kanu? und der Dunkle, ja, mit Aguarunas? und der Blonde, ja, mi sargento, und der Knirps, ja, und der Fette und die Madres, ja, ja, kommen und fragen und gehen alle durcheinander, und der Sargento, der Blonde sollte an den Rand des Hanges zurückgehen und es ihm melden, sobald sie heraufkamen, die andern sollten sich verstecken, und der Lotse liest die Gamaschen vom Boden auf, die Gewehre. Die Guardias und der Sargento treten in eine Hütte, die Madres bleiben draußen, Madrecitas, sie sollten sich verbergen, Madre Patrocinio, schnell, Madre Angélica. Die sehen einander an, tuscheln, hopsen hin und her, gehen in die Hütte gegenüber, und hinter den Büschen, die ihn verbergen, deutet der Blonde zum Fluß hinunter, sie stiegen schon aus, mi sargento, machten das Kanu fest, kamen jetzt herauf, mi sargento, und der, Trottel, sollte herkommen und sich verstecken, Mensch, nicht so langsam. Auf dem Bauch liegend, spähen der Fette und der Knirps durch das Chontarindengeflecht der Hüttenwand hinaus; der Dunkle und der Lotse Nieves stehen im Hintergrund der Hütte, und der Blonde kommt angerannt, geht neben dem Sargento in die Hocke. Da kamen sie, Madre Angélica, da waren sie schon, und Madre Angélica war vielleicht alt, aber ihren Augen fehlte nichts, Madre Patrocinio, sie sah sie schon, sechs waren es. Die Alte, langhaarig, trägt ein weißliches Pflanzenblatt, und zwei Schläuche weichen und dunklen Fleisches hängen ihr bis zur Mitte herab. Hinter ihr zwei Männer unbestimmten Alters, klein, mit vorstehenden Bäuchen, spindeldürren Beinen, das Glied mit ockerfarbenen Stoffetzen verdeckt, die mit Lianen befestigt sind, das Gesäß bloß, das Haar im Bubikopf bis zu den Augenbrauen. Sie schleppen Bananenstauden. Dann noch zwei kleine Mädchen mit Diademen aus Binsen, eine trägt einen Ring in der Nase, die andere Reife aus Fell um die Fußknöchel. Sie sind nackt, genau wie der Knabe, der ihnen folgt, er wirkt jünger und ist schlanker. Sie blicken auf die verlassene Lichtung, die Frau macht den Mund auf, die Männer bewegen die Köpfe. Würden sie mit ihnen reden, Madre Angélica? und der Sargento, ja, da kamen die Nonnen schon heraus, aufgepaßt, Jungens. Die sechs Köpfe drehen sich gleichzeitig, bleiben starr. Die Madres gehen im Gleichschritt auf die Gruppe zu und lächeln, und zur selben Zeit, fast unmerklich, rücken die Aguarunas zusammen, bilden gleich darauf einen einzigen erdigen und kompakten Klumpen. Die sechs Augenpaare lassen nicht ab von den zwei Gestalten aus dunklen Falten, die auf sie zugleiten, und wenn die davonliefen, hieß es schnell machen, Jungens, nur ja keine Schießerei, bloß nichts von wegen Einschüchtern. Sie ließen sie herankommen, mi sargento, der Blonde hatte geglaubt, sie würden ausreißen, sobald sie sie sahen. Und wie zart die Mädchen waren, so jung noch, nicht wahr, mi sargento, diesem Fetten war nicht mehr zu helfen. Die Madres bleiben stehen, und im selben Augenblick treten die Mädchen zurück, strecken die Hände aus, umfassen die Beine der Alten, die angefangen hat, sich mit den Handflächen gegen die Schultern zu schlagen, jeder Schlag bringt die überlangen Brüste zum Zittern, zum Schaukeln: mochte der Herr mit ihnen sein. Und Madre Angélica stößt ein Grunzen aus, spuckt, ein Guß knirschender, grober, zischender Geräusche sprudelt aus ihrem Mund, sie hält inne, um auszuspucken, und fährt ostentativ, eindrucksvoll fort zu grunzen, ihre Hände fuchteln, machen gewichtige Gesten vor den unbeweglichen, fahlen, gleichmütigen Gesichtern der Aguarunas. Sie beschwatzte sie auf heidnisch, Jungens, und spuckte aufs Haar so wie die Chunchas, die Madrecita. Das mußte ihnen doch gefallen, mi sargento, daß eine Christin mit ihnen in ihrer Sprache redete, aber sie sollten nicht soviel Krach machen, Jungens, wenn die sie hörten, kriegen sie’s mit der Angst. Das Grunzen Madre Angélicas ist sehr deutlich, kräftig, unschön bis in die Hütte hinein zu vernehmen, und auch der Dunkle und der Lotse Nieves spähen jetzt hinaus auf die Lichtung, die Gesichter dicht an das Geflecht gedrängt. Sie hatte sie rumgekriegt, Jungens, so was von raffiniert, dieses Nönnchen, und die Madres und die zwei Aguarunamänner lächeln einander zu, machen sich Reverenzen. Und sooo gebildet, wußte der Sargento, daß sie in der Mission die Zeit mit Studieren verbrachten? Doch wohl eher mit Beten, Knirps, für die Sünden der Welt. Madre Patrocinio lächelt der Alten zu, die weicht ihrem Blick aus und verharrt ernst, die Hände um die Schultern der Kleinen. Was die sich da wohl erzählen mochten, mi sargento, so wie die sich miteinander unterhielten. Madre Angélica und die beiden Männer schneiden einander Gesichter, gestikulieren, unterbrechen sich, und mit einemmal lassen die drei Kinder die Alte los, tummeln sich, lachen laut auf. Der Bengel blickte immer hierher, Jungens, ließ kein Auge von ihnen. Wie mager er war, hatte der Sargento das gemerkt, ein Riesenkopf und so wenig Körper, sah aus wie eine Spinne. Unter dem Haargestrüpp hervor starren die großen Augen des Kleinen unablässig auf die Hütte. Er ist braungebrannt wie eine Ameise, hat schwächliche O-Beine. Plötzlich hebt er die Hand, ruft, Jungens, die Mißgeburt, mi sargento, und hinter dem Geflecht entsteht heftige Bewegung, Flüche ertönen, Körper prallen gegeneinander, und in der Lichtung klingt gutturales Geschrei auf, als die Guardias rennend und einander stoßend in sie einfallen. Augenblicklich die Gewehre senken, Hornochsen, Madre Angélica droht ihnen wütend mit den Fäusten, ah, sie würden ja sehen, was der Teniente sagte. Die beiden Mädchen vergraben die Köpfe an der Brust der Alten, pressen sich gegen ihre weichen Brüste, und der Knabe steht mit weit aufgerissenen Augen da, auf halbem Weg zwischen den Guardias und den Madres. Einer der Aguarunas läßt das Bündel Bananen fallen, irgendwo gackert das Huhn. Der Lotse Nieves steht auf der Schwelle der Hütte, den Strohhut im Nacken, eine Zigarette zwischen den Lippen. Was glaubte der Sargento denn, und Madre Angélica stampft mit beiden Füßen auf, warum mischte er sich ein, wenn niemand ihn rief? Aber wenn sie die Gewehre senkten, würden sie doch verduften, Madre, sie droht ihm mit der sommersprossigen Faust, und er, sollten die Mauser senken, Jungens. Besänftigend, stetig spricht Madre Angélica auf die Aguarunas ein, langsam zeichnen ihre steifen Finger überzeugende Formen, die Männer lösen sich allmählich aus ihrer Erstarrung, jetzt antworten sie einsilbig, und sie, vergnügt, unbeirrbar, grunzt weiter. Der Kleine nähert sich den Guardias, schnuppert an den Gewehren, betastet sie, der Fette gibt ihm einen leichten Klaps vor die Stirn, er duckt sich und kreischt, war mißtrauisch, das Arschloch, und das Lachen bringt die schwabbelige Wampe des Fetten zum Beben, sein Doppelkinn, seine Bäckchen. Madre Patrocinio verliert die Ruhe, Schamloser, was sagte er da? weswegen war er so respektlos, du Flegel, und der Fette, vielmals um Entschuldigung, er wackelt mit seinem ungekämmten Ochsenkopf, es war ihm nur so rausgerutscht, Madre, über die Zunge gestolpert. Die kleinen Mädchen und der Knabe gehen um die Guardias herum, betrachten sie eingehend, berühren sie mit den Fingerspitzen. Madre Angélica und die beiden Männer schnalzen einander freundschaftlich zu, und die Sonne leuchtet noch in der Ferne, aber rundherum ist der Himmel bedeckt, und über dem Wald ragt noch ein Wald auf, aus weißen und bauschigen Wolken: es würde regnen. Madre Angélica hatte sie vorhin auch beleidigt, Madre, und hatten sie sich da etwa beschwert? Madre Patrocinio lächelt, Dummkopf, Hornochse war keine Beleidigung, sondern ein Tier, mit einem Kopf genau wie sein Kopf, und Madre Angélica wendet sich an den Sargento: man würde mit ihnen essen, die Geschenke und die Limonade sollten heraufgeholt werden. Er nickt, gibt dem Knirps und dem Blonden Anweisungen und deutet den Abhang hinunter, grüne Bananen und rohen Fisch, Jungens, ein tolles Bankett, verfluchte Scheiße. Die Kinder treiben sich im Kreis um den Fetten, den Dunklen und den Lotsen Nieves herum, und Madre Angélica, die Männer und die Alte breiten Bananenblätter auf der Erde aus, treten in die Hütten, bringen Tongefäße, Maniok heraus, entfachen ein kleines Feuer, wickeln Bagres und Bocachicas in die Blätter, binden Lianen darum und halten sie an die Flammen. Wollte man auf die andern warten, Sargento? Das würde lange dauern, und der Lotse Nieves wirft seine Zigarette weg, die andern würden nicht kommen, wenn sie weggelaufen waren, dann weil sie keine Besucher wollten, und die hier würden auch bei der ersten Unachtsamkeit abhauen. Ja, der Sargento wußte das, nur eben, es war umsonst, mit den Madrecitas streiten zu wollen. Der Knirps und der Blonde kommen mit den Tüten und den Thermosflaschen zurück, die Nonnen, die Aguarunas und die Guardias sitzen jetzt im Kreis um die Bananenblätter, und die Alte verscheucht händeklatschend die Insekten. Madre Angélica verteilt die Geschenke, und die Aguarunas nehmen sie entgegen, ohne Begeisterung zu zeigen, aber dann, als die Madres und die Guardias anfangen, kleine Brocken Fisch zu essen, die sie mit der Hand abreißen, öffnen die beiden Männer, ohne sich anzublicken, die Tüten, streicheln die Taschenspiegel und die Halsketten, teilen die farbigen Glasperlen untereinander, und die Augen der Alten flackern plötzlich habsüchtig auf. Die Mädchen streiten um eine Flasche, der Knabe kaut wütend, und der Sargento würde sich den Magen verderben, verflucht, Durchfall würde er kriegen, aufgebläht würde er wie ein Ballon, Beulen würden sich am Körper bilden, die brächen auf und Eiter ränne heraus. Er hält das Stück Fisch vor die Lippen, seine Augenlider flattern, und der Dunkle, der Knirps und der Blonde verziehen auch die Gesichter, Madre Patrocinio schließt die Augen, würgt, ihr Gesicht verzerrt sich, und nur der Lotse Nieves und Madre Angélica strecken immer wieder die Hand nach den Bananenblättern aus und zerstückeln mit einer Art hastigem Genuß das weiße Fleisch, entfernen die Gräten, stecken die Bissen in den Mund. Die Leute aus dem Urwald waren alle ein wenig wie die Chunchas, selbst die Madres, wie die das herunterbrachten. Der Sargento rülpst, alle starren ihn an und er hüstelt. Die Aguarunas haben die Halsketten umgelegt, zeigen sie einander. Die Glaskugeln sind granatfarben und stechen ab von den Tätowierungen, die die Brust des einen zieren, der sechs Armbänder aus kleinen Perlen am einen Arm, drei am andern trägt. Wann würden sie aufbrechen, Madre Angélica? Die Guardias beobachten den Sargento, die Aguarunas hören zu kauen auf. Die Mädchen strecken die Hände aus, berühren scheu die glitzernden Halsketten, die Armbänder. Sie mußten auf die andern warten, Sargento. Der tätowierte Aguaruna grunzt, und Madre Angélica, ja, Sargento, da hatte er’s, er sollte essen, er beleidigte sie mit dem Widerwillen, den er zeigte. Er hatte keinen Appetit, aber er wollte ihr etwas sagen, Madrecita, sie könnten nicht länger in Chicais bleiben. Madre Angélica hat den Mund voll, der Sargento war gekommen, um zu helfen, ihre dürre und steinartige Hand umklammert eine Thermosflasche mit Limonade, nicht um Befehle zu erteilen. Der Knirps hatte den Teniente gehört, und was hatte er gesagt? und er, sie sollten innerhalb von acht Tagen zurück sein, Madre. Fünf waren schon vorbei, und wie lange dauerte es zurück, Don Adrián? drei Tage, vorausgesetzt, daß es nicht regnete, na bitte, so lauteten die Befehle, Madre, sie sollte ihm nicht böse sein. Neben dem Geräusch des Gesprächs zwischen dem Sargento und Madre Angélica ist noch eines zu vernehmen, ein rauhes Stimmengewirr, die Aguarunas unterhalten sich lärmend, halten ihre Arme aneinander, vergleichen die Armbänder. Madre Patrocinio schluckt und öffnet die Augen, und wenn die andern nicht zurückkamen? und wenn sie erst in einem Monat zurückkamen? freilich, das war nur eine Vermutung, sie schließt die Augen, vielleicht eine irrige, und schluckt. Madre Angélica runzelt die Stirn, neue Falten entstehen in ihrem Gesicht, ihre Hand liebkost das Büschelchen weißer Haare am Kinn. Der Sargento trinkt einen Schluck aus der Feldflasche: schlimmer als ein Abführmittel, in dieser Gegend wurde alles heiß, das war nicht die Hitze seiner Heimat, hier verfaulte alles. Der Fette und der Blonde haben sich zurücksinken lassen, die Képis über dem Gesicht, und der Knirps wollte wissen, ob das jemand bestimmt wußte, Don Adrián, und der Dunkle, ja wirklich, er sollte weiterreden, sollte erzählen, Don Adrián. Sie waren halb Fisch und halb Weib, hielten sich am Grund auf und warteten auf die Ertrunkenen, und sobald ein Kanu umschlug, kamen sie und packten die Christenmenschen und schleppten sie in ihre Paläste da unten. Dann legten sie sie in Hängematten, aber nicht in welche aus Jute, sondern aus Schlangen, und dort trieben sie’s mit ihnen, und Madre Patrocinio, was redeten sie da Abergläubisches? und sie, nein, nein, und sie wollten Christen sein? keineswegs, Madrecita, sie sprachen nur darüber, ob’s regnen würde. Madre Angélica beugt sich zu den Aguarunas hinüber und grunzt sanft, lächelt hartnäckig, hält die Finger ineinander verflochten, und die Männer richten sich ganz allmählich auf, ohne sich von der Stelle zu bewegen, strecken die Hälse vor wie Reiher, wenn sie sich am Flußufer sonnen und ein kleiner Dampfer vorbeifährt, und irgend etwas erschreckt sie, weitet ihre Augen, und die Brust des einen schwillt, seine Tätowierung tritt deutlich hervor, wird undeutlich, deutlich und langsam neigen sie sich Madre Angélica zu, sehr aufmerksam, ernst, stumm, und die langhaarige Alte öffnet die Hände, packt die Mädchen. Der Kleine ißt weiter, Jungens, jetzt kam der schwierige Teil, aufpassen. Der Lotse, der Knirps und der Dunkle verstummen. Der Blonde richtet sich mit geröteten Augen auf und schüttelt den Fetten, ein Aguaruna blickt von der Seite den Sargento an, dann zum Himmel auf, und jetzt umarmt die Alte die Mädchen, preßt sie gegen die großen und fleckigen Brüste, und die Augen des Knaben wandern im Kreis von Madre Angélica zu den Männern, von denen zur Alten, von der zu den Guardias und wieder zu Madre Angélica. Der tätowierte Aguaruna beginnt zu sprechen, der andere fällt ein, jetzt die Alte, ein Gewitter von Lauten übertönt Madre Angélicas Stimme, die nun verneinend den Kopf schüttelt und mit den Händen abstreitet, und auf einmal, ohne ihr Schnalzen und Spucken zu unterbrechen, langsam, zeremoniös, legen die beiden Männer die Halsketten, die Armreife ab, es regnet Glasperlen auf die Bananenblätter. Die Aguarunas strecken die Hände nach den Fischresten aus, zwischen denen sich ein dünner Strom dunkelbrauner Ameisen windet. Waren schon nicht mehr so zahm, Jungens, aber sie waren bereit, mi sargento, sobald er befahl. Die Aguarunas reinigen die übriggebliebenen weißen und blauen Fischbrocken, picken mit den Fingernägeln die Ameisen heraus, zerquetschen sie und wickeln sehr behutsam die Reste in die geäderten Blätter. Der Knirps und der Blonde sollten die Mädchen übernehmen, der Sargento legte sie ihnen ans Herz, und der Fette, hatten die Schwein. Madre Patrocinio ist ganz blaß geworden, bewegt die Lippen, ihre Finger pressen die schwarzen Perlen eines Rosenkranzes, und bitte, Sargento, sollten ja nicht vergessen, daß es Kinder waren, wußte er schon, wußte er schon, und der Fette und der Dunkle sollten die Nacktärsche überwachen, und die Madre brauchte sich keine Sorgen zu machen, und Madre Patrocinio, wehe, wenn sie Grausamkeiten begingen, und der Lotse würde sich um die Klamotten kümmern, Jungens, keine Grobheiten: Heilige Maria, Mutter Gottes. Alle starren auf die blutleeren Lippen Madre Patrocinios, und die, bitte für uns, zerdrückt mit den Fingern die kleinen schwarzen Perlen, und Madre Angélica, beruhigen Sie sich, Madre, und der Sargento, jetzt war’s soweit. Sie stehen ohne Eile auf. Der Fette und der Dunkle klopfen den Staub von den Hosen, bücken sich, packen die Gewehre, und es beginnt ein Gerenne, Gekreische, und in der Stunde, Getrampel, der Knabe hält die Hände vors Gesicht, unseres Todes, und die beiden Aguarunas stehen erstarrt, Amen, ihre Zähne klappern und ihre Augen schauen perplex auf die Gewehre, die auf sie gerichtet sind. Aber die Alte ist aufgesprungen und rauft mit dem Knirps, und die Mädchen winden sich wie Aale in den Armen des Blonden. Madre Angélica hält ein Taschentuch vor den Mund, die Staubwolke wächst und wird dicht, der Fette niest, und der Sargento, fertig, sie konnten zum Rand des Abhangs gehen, Jungens, Madre Angélica. Und dem Blonden, wer half dem, Sargento, sah er nicht, daß die ihm entwischten? Der Knirps und die Alte wälzen sich aneinandergeklammert auf dem Boden, der Dunkle sollte hin und ihm helfen, der Sargento würde für ihn den Nacktarsch bewachen. Die Madres gehen Arm in Arm auf den Abhang zu, der Blonde schleift zwei ineinander verschlungene und strampelnde Körper hinter sich her, und der Dunkle zerrt wütend an der Mähne der Alten, bis der Knirps sich befreit hat und aufsteht. Aber die Alte springt mit einem Satz hinter ihnen her, erreicht sie, kratzt sie, und der Sargento, los, Fetter, jetzt hauten sie ab. Die Gewehre immer noch auf die beiden Männer gerichtet, setzen sie sich rückwärts gehend ab, und gleichzeitig stehen die Aguarunas auf und folgen ihnen, gebannt von den Gewehren. Die Alte springt wie ein Affe, schlägt ihn und umfaßt zwei Paar Beine, der Knirps und der Dunkle stolpern, Mutter Gottes, fallen auch hin, und Madre Patrocinio sollte nicht diese Schreie ausstoßen. Vom Fluß her weht eine straffe Brise, bläst den Abhang herauf und wirbelt bewegte, einhüllende, orangefarbene Wolken und grobe Sandkörner auf, die herumschwirren wie Schmeißfliegen. Angesichts der Gewehre verharren die beiden Aguarunas fügsam, und der Steilhang ist schon nahe. Wenn sie über ihn herfielen, sollte der Fette dann schießen? und Madre Angélica, brutaler Kerl, und wenn er sie dabei tötete? Der Blonde hält die Kleine mit dem Nasenring am Arm fest, warum ging’s denn nicht runter, Sargento? die andere beim Genick, die entwischten ihm ja, jetzt gleich entwischten sie ihm, und sie schreien nicht, sondern versuchen, seinem Griff zu entkommen, und ihre Köpfe, Schultern, Füße und Beine zucken, stoßen und schlagen aus, und der Lotse Nieves kommt mit Thermosflaschen beladen vorbei: er sollte sich beeilen, Don Adrián, hatte er alles? Ja, alles, wenn der Sargento wollte. Der Knirps und der Dunkle halten die Alte bei den Schultern und den Haaren fest, und sie sitzt, schreit, hin und wieder schlägt sie kraftlos nach den Beinen der beiden, und gebenedeit war die Frucht, Madre, Madre, ihres Leibes, und der Blonde konnte sie nicht länger festhalten, Jesus. Der Tätowierte blickt auf das Gewehr des Fetten, die Alte heult auf und schluchzt, zwei feuchte Linien graben fadendünne Furchen in die Staubschicht ihres Gesichts, und der Fette sollte nicht den Idioten spielen. Aber wenn der ihm an den Kragen wollte, Sargento, würde er ihm den Schädel einschlagen, und wenn’s mit dem Kolben wäre, Sargento, da kannte er keine Scherze. Madre Angélica nimmt das Taschentuch vom Mund: brutaler Kerl, warum sagte er so schlechte Dinge? warum erlaubte ihm der Sargento das? und der Blonde, konnte er schon runter? diese Biester rissen ihm noch die Haut in Fetzen. Die Hände der Kleinen erreichen das Gesicht des Blonden nicht, nur den Hals, der schon über und über rote Schrammen aufweist, und sie haben sein Hemd zerfetzt und die Knöpfe abgerissen. Mitunter scheinen sie mutlos zu werden, ihre Körper erschlaffen und sie schluchzen, und dann greifen sie wieder an, ihre nackten Füße treten gegen die Stiefelschäfte des Blonden, der flucht und schüttelt sie, sie kämpfen stumm weiter, und die Madre sollte hinuntergehen, worauf wartete sie denn, und der Blonde auch, und Madre Angélica, warum tat er ihnen weh, es waren doch Kinder? ihres Leibes, Jesus, Madre, Madre. Wenn der Knirps und der Dunkle die Alte losließen, würde sie über sie herfallen, Sargento, was sollten sie denn tun? und der Blonde, sollte doch sie selbst die mal festhalten, mal sehen, Madre, sah sie nicht, wie die ihn kratzten? Der Sargento droht mit dem Gewehr, die Aguarunas zucken zusammen, weichen einen Schritt zurück, und der Knirps und der Dunkle lassen die Alte los, halten die Hände bereit, um sich zu verteidigen, aber sie bewegt sich nicht, reibt sich nur die Augen, und plötzlich ist der Knabe bei ihr, wie von den Staubwirbeln ausgeschieden: er geht in die Hocke und birgt das Gesicht zwischen den baumelnden Brüsten. Der Knirps und der Dunkle gehen bergabwärts, eine rosenrote Staubwand verschluckt sie fast, und Scheiße! wie sollte der Blonde sie ganz allein runterbringen, was war mit denen los, Sargento, warum hauten die denn ab, und Madre Angélica geht entschlossen mit den Armen fuchtelnd auf ihn zu: sie half ihm. Sie streckt die Hand nach dem Mädchen mit dem Nasenring aus, berührt sie aber nicht und krümmt sich, und die kleine Faust schlägt noch einmal zu, und das Ordenskleid dellt sich und Madre Angélica stößt einen Schmerzensschrei aus und zuckt zusammen: was hatte er ihr gesagt, der Blonde schüttelt die Kleine wie ein Staubtuch, Madre, war das nicht eine Bestie? Blaß und gekrümmt probiert Madre Angélica es noch einmal, fängt mit beiden Händen den Arm ein, Heilige Maria, und jetzt heulen sie auf, Mutter Gottes, strampeln, Heilige Maria, kratzen, alle husten, Mutter Gottes, und statt soviel zu beten, sollten sie lieber machen, daß sie runterkämen, Madre Patrocinio, warum, Sakrament, war sie so aufgeregt und bis wann denn noch, und wie lange denn noch, sie sollten machen, daß sie runterkämen, denn den Sargento packte jetzt die Wut, Scheiße. Madre Patrocinio fährt herum, springt auf die Böschung hinaus und ist nicht mehr zu sehen, der Fette droht mit dem Gewehr, und der mit der Tätowierung weicht zurück. Mit welchem Haß er sie anblickte, Sargento, nachtragender Kerl, Hurensohn, und stolz: so mußten die Augen des Chulla-Chaqui sein, Sargento. Die Staubschwaden, die die Hinabkletternden einhüllen, entfernen sich, die Alte weint, wirft sich hin und her, und die beiden Aguarunas stieren auf den Lauf, den Schaft, die runden Mündungen der Gewehre: der Fette sollte den Mut nicht verlieren. Er verlor den Mut nicht, Sargento, aber was für eine Art der hatte, einen anzusehen, Himmel, Arsch und, das ging doch nicht. Der Blonde, Madre Angélica und die Mädchen werden auch von den Staubwolken verschluckt, und die Alte ist bis zum Rand des Abhangs vorgekrochen, blickt zum Fluß hinunter, ihre Brustwarzen berühren die Erde, und der Knabe stößt seltsame Laute aus, jault wie ein Trauervogel, und dem Fetten behagte es nicht, die Nacktärsche so nahe stehen zu haben, Sargento, wie kamen sie jetzt hinunter, wo sie allein waren. Und da springt der Motor des Bootes an: die Alte verstummt und hebt das Gesicht, schaut zum Himmel, der Knabe ahmt sie nach, die beiden Aguarunas ahmen sie nach, und die Rindviecher suchten ein Flugzeug. Fetter, die schauten nicht her, jetzt war’s soweit. Sie ziehen die Gewehre zurück und stoßen sie plötzlich vor, die beiden Männer machen einen Satz zurück und gestikulieren, und da bewegen sich der Sargento und der Fette rückwärts den Abhang hinunter, die Gewehre immerzu im Anschlag, versinken bis zu den Knien, und der Motor rattert immer lauter, vergiftet die Luft mit Spucken, Knattern, Gurgeln, Vibrationen und Erschütterungen, und auf dem Abhang ist es nicht wie oben auf der Lichtung, keine Brise, nur stickiger Dunst und rötlicher und irritierender Staub, der niesen macht. Undeutlich wahrnehmbar durchforschen dort oben am Abhang einige strubbelige Köpfe den Himmel, bewegen sich pendelartig hin und her und suchen zwischen den Wolken, und der Motor war doch dort und die flennenden Mädchen, Fetter, und der, was, mi sargento? er konnte nicht mehr. Sie überqueren den Moraststreifen in vollem Lauf, und als sie beim Boot ankommen, keuchen sie und lassen die Zunge heraushängen. Höchste Zeit, warum hatten sie so lange gebraucht? Wie sollte der Fette da noch einsteigen, hatten es sich ja recht bequem gemacht, unverschämte Kerle, sie sollten ihm Platz machen. Aber er mußte sich dünn machen, sie würden schon sehen, der Fette stieg ein und das Boot soff ab, und jetzt war keine Zeit für Witze, sollten endlich abfahren, Sargento. Taten sie ja schon, Madre Angélica, unseres Todes, Amen.

I

Eine Tür wurde zugeknallt, die Oberin sah vom Schreibtisch auf, Madre Angélica platzte ins Büro wie eine Sturmwelle, ihre bleichen Hände fielen auf die Lehne eines Stuhls.

»Was ist los, Madre Angélica? Sie sind ja ganz aufgeregt.«

»Sie sind entflohen, Madre!« stammelte Madre Angélica. »Keine einzige ist mehr da, mein Gott.«

»Was sagen Sie, Madre Angélica!« Die Oberin war aufgesprungen und eilte zur Tür. »Die Mündel?«

»Mein Gott, mein Gott!« Madre Angélica nickte bestätigend, machte kleine, sehr hastige Bewegungen mit dem Kopf, immer dieselben, wie ein Huhn, das Körner pickt.

Santa María de Nieva erhebt sich da, wo der Nieva in den Alto Marañón mündet, zwei Flüsse, die die Stadt umarmen und ihre Grenzen sind. Ihr gegenüber ragen aus dem Marañón zwei Inseln empor, die den Bewohnern zum Messen des Wasserstandes dienen. Vom Ort aus sieht man, wenn kein Nebel herrscht, im Hintergrund von Vegetation überzogene Hügel und im Vordergrund, den breiten Fluß abwärts, die schwarzen Massen der Kordillere, die der Marañón zum Pongo de Manseriche spaltet: zehn Kilometer wilde Strudel, Felsen und Schnellen, die bei einer Militärgarnison, der des Teniente Pinglo, beginnen und bei einer andern, der von Borja, enden. »Hier hinaus«, sagte Madre Patrocinio. »Schauen Sie, die Tür steht offen, hier sind sie durch.«

Die Oberin hob die Laterne hoch und beugte sich hinaus: das Gestrüpp war ein einheitlicher Schatten, wie überschwemmt von Insekten. Sie wandte sich den Nonnen zu. Die Ordenstrachten waren in der Dunkelheit unsichtbar, aber die weißen Schleier leuchteten wie das Gefieder von Reihern.

»Suchen Sie Bonifacia, Madre Angélica«, murmelte die Oberin. »Bringen Sie sie in mein Büro.«

»Ja, Madre, sofort.« Die Laterne beleuchtete eine Sekunde lang das zitternde Kinn Madre Angélicas, ihre Äugchen, die zuckenden Wimpern.

»Unterrichten Sie Don Fabio, Madre Griselda«, sagte die Oberin. »Und Sie den Teniente, Madre Patrocinio. Sie sollen auf der Stelle zur Suche aufbrechen. Beeilen Sie sich, Madres.«

Zwei weiße Kreise verließen die Gruppe in Richtung auf den Patio der Mission. Die Oberin, gefolgt von den Nonnen, ging auf das Wohnhaus zu, dicht an der Mauer des Obstgartens entlang, wo in launischen Intervallen ein Krächzen das Flattern der Fledermäuse und das Zirpen der Grillen übertönte. Zwischen den Obstbäumen zwinkerte es und blitzte es auf – Leuchtkäfer? Eulenaugen? Die Oberin blieb vor der Kapelle stehen.

»Gehen Sie hinein, Madres«, sagte sie sanft. »Bitten Sie die Jungfrau, sie möge ein Unglück verhüten. Ich komme nachher.«

Santa María de Nieva ist wie eine unregelmäßige Pyramide, und ihre Basis sind die Flüsse. Der Landeplatz befindet sich am Nieva, und rings um die schwimmende Mole schaukeln die Kanus der Aguarunas, die Ruder- und Motorboote der Weißen. Weiter oben liegt, ein Quadrat aus ockerfarbener Erde, die Plaza, in deren Mitte zwei Capironastämme aufragen, kahl und klobig. An dem einen hissen die Guardias am Nationalfeiertag die Fahne. Und um die Plaza gruppiert sind die Comisaría, das Haus des Gobernadors, einige Wohnhäuser von Christen und die Cantina von Paredes, der außerdem noch Kaufmann und Tischler ist und Pusangas herzustellen versteht: Liebestränke. Und noch weiter oben, auf zwei Hügeln, die Gebäude der Mission: Dächer aus Wellblech, Säulen aus Lehm und Ponaholz, kalkverputzte Wände, Drahtgeflecht an den Fenstern, Holztüren.

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