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Auf ihrem Posten in den peruanischen Anden sitzen Korporal Lituma und sein Helfer Tomás wie in einer Falle. Unter ständiger Bedrohung durch Terrorkommandos und eine gewalttätige Natur sollen sie das mysteriöse Verschwinden dreier Menschen aufklären. Überall schlägt ihnen Mißtrauen entgegen, unheimliche Geschichten dringen an ihr Ohr. Hätte Tomás nicht die brennende Erinnerung an seine abenteuerliche Liebesgeschichte mit Mercedes, von der er Lituma Nacht für Nacht erzählt, die beiden müßten eingehen in dieser feindseligen, abergläubischen Bergwelt.
So abweisend das Klima und so verstörend die Bruchstücke der Wahrheit, die sie nach und nach ans Licht bringen, sie lassen nicht locker. Was in den Bergen geschah, hat die Ausmaße eines unfaßbaren Dramas.
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Seitenzahl: 437
Korporal Lituma und sein Helfer Tomás sollen das mysteriöse Verschwinden dreier Menschen in den peruanischen Anden aufklären. Überall schlägt ihnen Mißtrauen entgegen in dieser feindseligen, abergläubischen Bergwelt, und was sie nach und nach ans Licht bringen, hat die Ausmaße eines unfaßbaren Dramas. Mario Vargas Llosa verbindet in diesem fesselnden Krimi die Abgründe des heutigen Peru mit den Mythen und Ritualen der Inkas.
Mario Vargas Llosa, geboren 1936 in Arequipa/Peru, lebt heute in Madrid und Lima. Neben zahlreichen anderen Auszeichnungen erhielt er 1996 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und 2010 den Nobelpreis für Literatur. Sein schriftstellerisches Werk erscheint auf deutsch im Suhrkamp Verlag.
MARIO VARGAS LLOSA
Tod in den Anden
Roman
~
Aus dem Spanischenvon Elke Wehr
Suhrkamp
Die Originalausgabe erschien 1993 unter dem Titel
Lituma en los Andes bei Editorial Planeta, Barcelona.
© Mario Vargas Llosa, 1993
Umschlagfoto: Santiago Harker
eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2012
© der deutschen Ausgabe Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1996
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Umschlag: Göllner, Michels, Zegarzewski
eISBN 978-3-518-73635-7
www.suhrkamp.de
Erster Teil
I
II
III
IV
V
Zweiter Teil
VI
VII
VIII
IX
Epilog
X
Für Beatriz de Moura,
die hochgeschätzte Freundin
und vorbildliche Verlegerin
Cain’s city built with human blood,
not blood of bulls and goats.
William Blake,
The Ghost of Abel
Als er die Indiofrau in der Tür der Hütte auftauchen sah, ahnte Lituma, was die Frau sagen würde. Und sie sagte es, aber in Quechua, vor sich hin mümmelnd, während ein dünner Speichelfaden aus dem Winkel ihres zahnlosen Mundes rann.
»Was sagt sie, Tomasito?«
»Ich versteh sie nicht richtig, Herr Korporal.«
Sein Amtshelfer wandte sich, ebenfalls in Quechua, an die Frau, wobei er ihr mit den Händen zu verstehen gab, sie solle langsam sprechen. Die Indiofrau wiederholte diese ununterscheidbaren Töne, die Lituma wie eine barbarische Musik vorkamen. Plötzlich fühlte er sich sehr nervös.
»Was sagt sie da?«
»Ihr ist der Ehemann abhanden gekommen. Vor vier Tagen, scheint’s.«
»Damit sind es drei«, brachte Lituma mühsam hervor und spürte, wie sein Gesicht sich mit Schweiß bedeckte.
»Verdammte Scheiße.«
»Also, was machen wir, Herr Korporal.«
»Setz das Protokoll auf.« Ein Schauer lief Litumas Wirbelsäule hinauf und hinunter. »Sie soll dir erzählen, was sie weiß.«
»Was geht hier eigentlich vor«, rief der Gendarm. »Erst der kleine Stumme, dann der Albino. Jetzt einer der Vorarbeiter vom Straßenbau. Das kann doch nicht sein, Herr Korporal.«
Es konnte nicht sein, aber es passierte, und das zum dritten Mal. Lituma stellte sich die ausdruckslosen Gesichter vor, die kleinen eisigen Augen, mit denen die Leute von Naccos, die Hilfsarbeiter des Lagers, die Indios der Bauerngemeinschaft ihn betrachten würden, wenn er sie fragen würde, ob sie wußten, wo der Mann dieser Frau abgeblieben war, und er spürte die gleiche Trostlosigkeit und Ohnmacht wie zuvor, als er versucht hatte, sie über die beiden anderen Verschwundenen auszufragen: Köpfe, die verneinten, einsilbige Antworten, scheue Blicke, gekräuselte Lippen und gerunzelte Brauen, ein Vorgefühl von Bedrohung. Es würde dieses Mal genauso sein.
Sein Amtshelfer Tomás hatte mit der Befragung der Frau begonnen; er machte Notizen in ein Heft, mit einem schlecht gespitzten Bleistift, den er ab und zu mit der Zunge anfeuchtete. ›Wir haben sie schon auf dem Hals, die Terroristen‹, dachte Lituma. ›In irgendeiner Nacht werden sie kommen.‹ Es war ebenfalls eine Frau gewesen, die das Verschwinden des Albinos angezeigt hatte: Mutter oder Ehefrau, sie hatten es nie erfahren. Der Mann war zur Arbeit gegangen oder von der Arbeit gekommen und nicht an sein Ziel gelangt. Und Pedrito war ins Dorf hinuntergegangen, um eine Flasche Bier für die Polizisten zu kaufen, und nie zurückgekehrt. Niemand hatte sie gesehen, niemand hatte bei ihnen Angst, Besorgnis oder Krankheit bemerkt vor ihrem spurlosen Verschwinden. Hatten vielleicht die Berge sie verschluckt? Nach drei Wochen lebten der Korporal Lituma und der Gendarm Tomás Carreño genauso auf dem Mond wie am ersten Tag. Und jetzt, der dritte. Eine Riesenscheiße. Lituma wischte sich die Hände an der Hose ab.
Es hatte zu regnen begonnen. Die dicken Tropfen prasselten mit unregelmäßigen, lauten Tönen auf das Wellblech des Daches und ließen es erzittern. Es war noch nicht drei Uhr nachmittags, aber das Unwetter hatte den Himmel verdunkelt, und die Nacht schien hereingebrochen. In der Ferne war Donner zu hören, der in den Bergen widerhallte, ein stoßweises Grollen, das aus dem Innern der Erde aufstieg, von dem diese Hochlandtrottel glaubten, es sei von Stieren, Schlangen, Kondoren und Geistern bevölkert. Glauben die Indios das wirklich? Aber ja, Herr Korporal, sie beten doch sogar zu ihnen und bringen ihnen Opfergaben. Haben Sie nicht die kleinen Teller mit Essen gesehen, die sie ihnen in den Engpässen der Kordillere hinstellen? Wenn man ihm solche Dinge in Dionisios Kantine oder bei einem Fußballspiel erzählte, wußte Lituma nie, ob man im Ernst sprach oder sich über ihn, den Küstenbewohner, lustig machte. Von Zeit zu Zeit zuckte eine kleine gelbliche Schlange durch die Wolken, in der Öffnung, die sich in einer der Hüttenwände befand. Glaubten die Indios wirklich, daß der Blitz die Eidechse des Himmels war? Der dicht herabströmende Regen hatte die Baracken, die Mischmaschinen, die Planierraupen, die Jeeps und die Häuschen der Bauern verschwimmen lassen, die zwischen den Eukalyptusbäumen auf dem gegenüberliegenden Berg hervorschauten. ›Als wären alle verschwunden‹, dachte er. Es gab fast zweihundert Hilfsarbeiter, sie kamen aus Ayacucho oder Apurímac, aber vor allem aus Huancayo und Concepción, in Junín, und aus Pampas, in Huancavelica. Von der Küste hingegen stammte niemand, soviel er wußte. Nicht einmal sein Amtshelfer kam von der Küste. Aber Tomás wirkte wie ein Kreole, obwohl er in Sicuani geboren war und Quechua sprach. Er hatte den kleinen Stummen Pedro Tinoco mit nach Naccos gebracht, der als erster verschwunden war.
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