Das Rätsel von London - Benedict Jacka - E-Book

Das Rätsel von London E-Book

Benedict Jacka

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Beschreibung

Alex Verus hat die magischen Wächter des Weißen Rates immer verabscheut, doch nun bleibt ihm keine andere Wahl: Er wird einer von ihnen!

Witzig, originell und durch und durch magisch! Alex Verus' Kampf gegen durchschnittliche Fantasyromane geht in die sechste Runde: Neben körperlicher und geistiger Gesundheit gibt es noch weitere harte Voraussetzungen, um ein Londoner Polizist zu werden. Doch es ist die einzige legale Möglichkeit, die Bösen zu bekämpfen, ohne selbst ein Verbrecher zu werden. Außer man ist magisch begabt wie der Hellseher Alex Verus. In dem Fall kann man den Wächtern beitreten, den Beschützern des übernatürlichen London. Dafür ist nicht einmal geistige Gesundheit nötig, wenn man Alex glauben kann. Möglicherweise wäre diese sogar hinderlich. Aber ein Wächter zu werden ist seine beste Chance, Unterstützung gegen seinen wiedergekehrten Mentor zu erhalten: den Schwarzmagier Richard Drakh.

Die Alex-Verus-Bestseller von Benedict Jacka bei Blanvalet:
1. Das Labyrinth von London
2. Das Ritual von London
3. Der Magier von London
4. Der Wächter von London
5. Der Meister von London
6. Das Rätsel von London
7. Die Mörder von London
8. Der Gefangene von London
9. Der Geist von London
10. Die Verdammten von London
11. Der Jäger von London
12. Der Retter von London

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Seitenzahl: 532

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Buch

Neben körperlicher und geistiger Gesundheit gibt es noch weitere harte Voraussetzungen, um ein Londoner Polizist zu werden. Doch es ist die einzige legale Möglichkeit, die Bösen zu bekämpfen, ohne selbst ein Verbrecher zu werden. Außer man ist magisch begabt wie der Hellseher Alex Verus. In dem Fall kann man den Wächtern beitreten, den Beschützern des übernatürlichen London. Dafür ist nicht einmal geistige Gesundheit nötig, wenn man Alex glauben kann. Möglicherweise wäre diese sogar hinderlich. Aber ein Wächter zu werden ist seine beste Chance, Unterstützung gegen seinen wiedergekehrten Mentor zu erhalten: den Schwarzmagier Richard Drakh.

Autor

Benedict Jacka (geboren 1980) ist halb Australier und halb Armenier, wuchs aber in London auf. Er war 18 Jahre alt, als er an einem regnerischen Tag im November in der Schulbibliothek saß und erstmals, anstatt Hausaufgaben zu machen, Notizen für seinen ersten Roman in sein Schulheft schrieb. Wenig später studierte er in Cambridge Philosophie und arbeitete anschließend als Lehrer, Türsteher und Angestellter im öffentlichen Dienst. Das Schreiben gab er dabei nie auf, doch bis zu seiner ersten Veröffentlichung vergingen noch sieben Jahre. Er betreibt Kampfsport und ist ein guter Tänzer. In seiner Freizeit fährt er außerdem gerne Skateboard und spielt Brettspiele.

Die Alex-Verus-Romane von Benedict Jacka bei Blanvalet:1. Das Labyrinth von London2. Das Ritual von London3. Der Magier von London4. Der Wächter von London5. Der Meister von London6. Das Rätsel von LondonWeitere Bände in Vorbereitung. Besuchen Sie uns auch auf www.instagram.com/blanvalet.verlagund www.facebook.com/blanvalet.

Deutsch von Michelle Gyo

Die Originalausgabe erschien 2015 unter dem Titel »Veiled (Alex Verus 6)« bei Orbit, London.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Copyright der Originalausgabe © 2015 by Benedict Jacka

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2021 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Angela Kuepper

Umschlaggestaltung und -illustration: © Max Meinzold, www.meinzold.de unter Verwendung von Motiven von Creative Market (RuleByArt)

Karte: © Andreas Hancock

HK · Herstellung: sam

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-25646-3V002www.blanvalet.de

1

Es war mitten im Winter.

Ein kalter Wind fegte durch die Straßen, hämmerte gegen das Haus und ließ die Fenster klirren. Der Nachthimmel war bewölkt, die Luft ein paar Grad über dem Gefrierpunkt. Der Lärm aus den Clubs und Bars war jetzt in den frühen Morgenstunden zu einem fernen Murmeln verklungen, und das lauteste Geräusch war das Heulen des Windes.

Die Wärme im Wohnzimmer hielt die Kälte fern. Variam saß auf dem Sofa mit Anne, die ihn versorgte. Luna lief neben dem Tisch auf und ab, und ich lehnte an der Wand neben dem Kaminsims, die Arme verschränkt und den Kopf gesenkt. Anspannung lag in der Luft.

»Du hättest früher rausgehen sollen«, sagte Luna, ohne ihre Wanderung zu unterbrechen. Für normale Augen nicht zu erkennen, wirbelte und peitschte silbergrau der Nebel ihres Fluchs um sie herum. Lunas Fluch ist mit ihren Gefühlen verknüpft; früher wäre ihre Nähe gefährlich gewesen, wenn sie derart wütend gewesen wäre. Heute ist sie besser darin, ihn zu kontrollieren; doch die Art, wie ihr Fluch sich bewegt, verrät immer noch jedem ihre Stimmung, der ihn wahrnehmen kann.

»Hatte keine Zeit«, sagte Variam.

»Wir hatten ausgemacht, in dem Moment zu gehen, wenn der Alarm ausgelöst wird.«

»Ja, aber wir haben doch bloß noch ein paar Minuten gebraucht.«

»Das machst du jedes Mal so. Ich habe dir gesagt, dass die Miliz anrückt …«

»Na, aber die waren nicht das Problem, oder?« Variam drehte sich um und sah Luna an. »Wenn wir …«

»Vari«, sagte Anne.

»Schon gut.« Variam drehte sich wieder zu ihr um. Anne legte eine Hand auf Variams linke Schulter und die andere auf sein Handgelenk und fuhr fort, den Arm mit leicht zusammengekniffenen Augen zu mustern.

Mein Blick ruhte auf Variams Arm. Der Ärmel des Mantels war an den Stellen, wo der Eisstrahl ihn getroffen hatte, zerfetzt, und die Haut darunter war angeschwollen und unnatürlich blauweiß verfärbt. Nur zu gern hätte ich Anne gefragt, ob sie es wieder hinbekommen würde, doch das würde sie nur ablenken. Bisher hatte ich noch nicht erlebt, dass Anne eine Verletzung nicht heilen konnte, aber es gibt immer ein erstes Mal …

»Was zur Hölle hat Talisid sich dabei gedacht?«, fragte Luna.

»Ich weiß es nicht«, erwiderte ich.

»Es hätte dort gar kein magisches Sicherheitssystem geben sollen. Er sagte …«

»Ich weiß«, unterbrach ich sie. »Dazu kommen wir, wenn er sich bei mir meldet.«

Luna ist mein Lehrling, halb Engländerin und halb Italienerin, mit welligem hellbraunem Haar. Obwohl sie eine Adeptin ist und erst vierundzwanzig, hat sie mehr Kampferfahrung als die meisten Magier, die zehn Jahre älter sind als sie. Sie hatte diese Mission heute Abend als Verstärkung begleitet, und sie hatte ihren Job gut gemacht, aber ihr Blick verriet mir, dass sie ihren Frust an jemandem auslassen wollte. Und doch schwieg sie jetzt.

Anne richtete sich ein wenig auf. Es war nur eine kleine Bewegung, aber sowohl Luna als auch ich wandten uns ihr zu.

»Und?«, fragte Luna, bevor ich den Mund öffnen konnte.

»Er wird wieder«, sagte Anne mit ihrer leisen Stimme.

Ich spürte, wie Lunas Anspannung etwas nachließ, und sah, dass sich die Nebelranken ihres Fluchs ein wenig beruhigten.

»Wie schlimm ist es?«, fragte ich Anne.

Anne und Variam geben ein seltsames Paar ab. Anne ist groß und schlank, Variam klein; Anne spricht leise und ist schüchtern, Variam ist selbstbewusst und redet schnell. Sind beide zusammen, dann steht für gewöhnlich Variam im Mittelpunkt einer Unterhaltung, während Anne sich damit begnügt, im Hintergrund zu bleiben. Dennoch dürfte Anne von den beiden die Mächtigere sein. Sie ist eine Lebensmagierin, und dank diverser Erlebnisse, über die sie nicht gerne spricht, hat sie ihre Magie schon in jungen Jahren sehr gut beherrschen lernen müssen. Das hat ihr mehr als die üblichen Probleme mit auf den Weg gegeben, aber das macht sie auch zur besten Heilerin, die ich kenne.

»Haut, Nerven und Blutgefäße sind auf der linken Seite eingefroren«, sagte Anne. »Aber die Sehnen sind nicht ernsthaft geschädigt, und die Muskeln sind in Ordnung. Dafür brauche ich etwa zehn Minuten.«

»Du wirst langsam«, sagte Variam.

»Nerven neu wachsen zu lassen, dauert nun mal. Es sei denn, du möchtest im Unterarm nichts mehr spüren …«

»Er ist einfach nur ein Arsch«, sagte Luna. »Vari, halt die Klappe, und lass sie ihre Arbeit machen.«

Variam verdrehte die Augen. Grünes Licht glomm um Annes Hände herum auf und drang in seinen Arm, als ihre Heilmagie ihn berührte. Ich sah nicht zum ersten Mal zu, wie Anne Variam heilte – oder auch nur zum fünften Mal, wenn wir schon dabei sind –, und bei den beiden wirkte es völlig normal. Dennoch musste ich daran denken, wie knapp es gewesen war. Ich hatte eine Warnung gerufen, aber hätte Variam den Schild nur ein wenig langsamer hochgezogen …

Auf dem Sims ertönte eine Glocke. Luna hob den Kopf, und ich griff nach dem Gegenstand, der das Geräusch von sich gegeben hatte: eine kleine blauviolette Scheibe mit geriffelten Rändern. Ich nahm sie in die Hand und lenkte eine wenig Magie in sie hinein.

Die Ränder der Scheibe leuchteten auf, und eine Figur materialisierte sich darüber, etwa dreißig Zentimeter hoch und aus blauem Licht geformt. Es war die Gestalt eines Mannes mittleren Alters mit geradem Rücken und schütter werdendem Haar.

»Verus«, sagte er. Seine Stimme klang so klar, als stünde er leibhaftig vor mir. »Wie lief es?«

Mein Name ist Alexander Verus. Der »Verus«-Teil ist mein Magiername, der »Alex«-Teil stammt von meinen Eltern, und ich höre auf eines davon oder beides, je nach der Gesellschaft, in der ich mich befinde, und je nachdem, wie sehr ich die Person mag, mit der ich rede. Ich bin ein Wahrsager, was bedeutet, dass ich die Sinnesdaten meiner direkten bis mittelfristigen möglichen Zukünfte wahrnehmen kann, und zwar in Form von Wenn-dann-Szenarien.

Auch habe ich ein paar ernsthafte Langzeitprobleme, von denen die meisten aus meiner Vergangenheit herrühren. Magier spalten sich in zwei Gruppen, und obwohl ich jetzt größtenteils unabhängig bin, wurde ich ursprünglich von einem besonders berüchtigten Schwarzmagier namens Richard Drakh ausgebildet. Der Magier, mit dem ich mich durch den Kommunikationsfokus unterhielt, Talisid, gehörte zu der anderen Gruppe – dem Rat der Weißmagier, der vorherrschenden Führungsmacht in der magischen Gesellschaft. Ich hatte seit einigen Jahren gelegentlich für ihn gearbeitet. Bisher hatte diese Geschäftsbeziehung zurückhaltend und auf freiberuflicher Basis stattgefunden … zumindest bis letzten April, als Anne in das Schattenreich ihres alten Meisters Sagash entführt worden war.

Ich war Anne gefolgt und hatte sie gefunden, und gemeinsam hatten wir uns den Weg hinaus freigekämpft. Doch trotz all der Gefechte und Gefahren, die wir durchgestanden hatten, wäre es für die anderen Magier nicht einmal eine Fußnote in den geschichtlichen Aufzeichnungen wert gewesen, mit Ausnahme einer Sache: Während ich mich in Sagashs Schattenreich aufgehalten hatte, waren wir meinem alten Meister begegnet, Richard.

Es hatte bereits Gerüchte über Richards Rückkehr gegeben. Als ich damals meine Geschichte erzählte, wurde sie mit der gleichen Skepsis behandelt wie die Gerüchte. Ich hätte nur jemanden gesehen, der wie Richard aussah, heißt es – es könnte eine Illusion gewesen sein oder ein Konstrukt oder irgendein anderer Trick. Richard war elf Jahre lang verschwunden, und viele Weißmagier glaubten, dass die Erscheinung wohl nur jemand war, der versuchte, sich Richards alten Ruf zunutze zu machen. Doch ich wusste, dass es kein bloßer Trick war. Richard war nach all dieser Zeit zurückgekehrt … und am schlimmsten war, dass er mich nicht vergessen hatte. Er hatte uns gebeten, sich ihm anzuschließen.

Es war egal, dass wir Nein gesagt hatten. Ich hatte Richard nie richtig kennengelernt, während ich sein Lehrling gewesen war – ich glaube nicht, dass das überhaupt jemand tat –, aber es gab ein paar Dinge, die ihn betrafen und deren ich mir sicher war. Zum einen war er wirklich sehr geduldig. Und zum anderen nahm er sich, was er wollte. Seit April tickte in meinem Kopf also eine Uhr. Ich wusste nicht, wie viel Zeit mir noch blieb, aber ich wusste, dass sie früher oder später ablief.

Einer der Magier, der nicht skeptisch reagiert hatte, war Talisid. Er hatte sogar vor mir an die Gerüchte über Richards Rückkehr geglaubt, und in den Monaten, die seither vergangen waren, hatte er mich öfter kontaktiert und meine Hilfe bei Operationen erbeten. Überwachungen, Ermittlungen, sogar ein paar verdeckte Einsätze, alle mit dem gleichen Ziel: herauszufinden, was Richard tat und wie man ihn aufhalten könnte.

Zuerst war es einfach gewesen. Wir hatten aufgedeckt, dass Richard auf seine alte Operationsbasis zurückgekehrt war, das Herrenhaus in Wales. Sobald er sich wieder eingerichtet hatte, bekam er Besucher in zunehmender Zahl. Alle waren Schwarzmagier. Wir konnten nicht riskieren, so nahe heranzugehen, dass wir eines der Treffen belauschen konnten, aber wir fanden heraus, dass Richard versuchte, eine Koalition aufzubauen und so viele Schwarzmagier zu vereinen, wie es nur ging. Zur selben Zeit drängte ein Schwarzmagier namens Morden darauf, dass Schwarzmagier im Rat der Weißmagier zugelassen würden. Mehrere Informationen, die wir enthüllten, deuteten sicher darauf hin, dass die beiden zusammenarbeiteten. Morden war das Gesicht in der Öffentlichkeit, er kümmerte sich um die Weißmagier, während Richard die Schwarzmagier im Zaum hielt. Ein paar Schwarzmagier hatten sich gegen Mordens Vorschlag ausgesprochen; alle waren kurz darauf ohne jede Spur verschwunden.

Doch seit Oktober waren unsere Ermittlungen schwieriger geworden. Wir hatten alle niedrig hängenden Früchte gepflückt, und je näher wir Richards wahren Geheimnissen kamen, desto mehr liefen wir Gefahr, uns zu verraten. Talisid schickte uns weiter ins Feld, und wir jagten Gerüchten nach ohne Garantie auf Sicherheit oder Erfolg. Einige der Spuren, die wir verfolgten, hatten gar nichts mit Richard zu tun, während andere sich als gefährlich erwiesen.

Die Mission, von der wir gerade zurückgekehrt waren, gehörte zu Letzterem. Talisid hatte uns nach Idlib gesandt, eine umkämpfte Stadt in Syrien. Er hatte uns erzählt, es gebe ein leicht bewachtes Lager im östlichen Distrikt, in dem sich eine Ladung befinde, die für Richards Haus gedacht sei. Talisid hatte recht gehabt mit dem Bestimmungsort der Waren. Nicht aber beim Rest …

»Wie es lief?«, wiederholte ich. »Übel.«

»Sind alle …?«

»… am Leben, ja«, sagte ich. »Wohlbehalten, nein. Wir sollten uns über deine Definition von ›leicht bewacht‹ unterhalten.«

»Die Miliz …«

»Die Miliz war nicht das Problem«, sagte ich. »Auch wenn es von denen sehr viel mehr gab, als du sagtest. Das Problem war der Eiselementar.«

»Welche Art?«

»Die Art, die deutlich über zwei Meter groß ist, aus purem Eis besteht und Dinge noch in zehn Meter Entfernung einfrieren kann. Ich bin nicht stehen geblieben, um ihn näher zu klassifizieren.«

»Du hast behauptet, es würde keine magische Security geben«, fuhr Luna dazwischen.

»Habt ihr einen Blick auf die Ladung werfen können?«, fragte Talisid.

»Ist das alles, was dir wichtig ist?«, fragte Luna. »Es ist also in Ordnung, wenn wir getötet werden, solange wir nur …«

»Das meinte ich nicht.«

»Na, so klang es aber!«

Ich hob die Hand. Lunas Blick huschte zu mir, und sie hielt den Mund. Sie sah aber immer noch ziemlich sauer aus, und ich konnte es ihr nicht verübeln.

»Talisid«, sagte ich. »Das ist schon das zweite Mal.«

»Ich weiß. Es tut mir leid. Alle Informationen, die wir hatten, deuteten darauf hin, dass diese Miliztruppe völlig normal sei.«

»Und du hast dich nicht gefragt, wie einfache Leute so etwas verkaufen …?« Ich riss mich zusammen, holte Luft. »Vergiss es.«

Einen Moment herrschte Schweigen. Variam saß auf dem Sofa und hörte zu. Anne arbeitete immer noch an seinem Arm, das grüne Licht ihrer Magie verbreitete einen sanften Schein.

»Also konntet ihr nicht nahe genug herankommen«, schlussfolgerte Talisid.

»Oh, wir waren nahe genug dran«, sagte ich. »An ein paar leeren Kisten. Was immer darin gewesen war, es war weg. Dein Spitzel lag auch damit falsch.«

»Leer?«

»Ja.«

»Bist du sicher, dass sie …?«

»Ja, ich bin sicher, dass sie leer waren, und nein, sie waren nicht sonst wo im Lager. Wir haben nachgesehen. Solange wir konnten, zumindest, bis dieser Elementar seine Mister-Freeze-Nummer abgezogen hat. Wer immer dir die Zeitpläne gegeben hat, der hat es versaut.«

»Ich verstehe. Wäre es für dein Team machbar, zurückzugehen und noch einmal zu suchen?«

Ich starrte Talisid an, dann holte ich Luft und zählte stumm bis fünf. »Nein«, sagte ich schließlich, als ich sicher war, dass ich ruhig bleiben würde. »Das wäre es nicht.«

»In Ordnung«, sagte Talisid. »Ich werde ein paar Anrufe tätigen müssen. Ich melde mich, wenn ich mehr weiß.«

»Gut.«

»Bis dahin …« Talisid schwieg kurz. »Ich weiß, es gab Rückschläge, aber gut, dass ihr sicher zurückgekommen seid. Wir reden morgen.« Talisids Bild verschwand, und die Lichter des Kommunikators erloschen.

»Arschloch«, murmelte Variam.

»So«, sagte Anne. Das grüne Licht verblasste, und sie ließ Variams Arm los. Sie hatte während der ganzen Unterhaltung Talisid nicht mal einen kurzen Blick zugeworfen. »Beweg ihn mal.«

Variam beugte den Arm, krümmte die Finger und nickte dann. »Fühlt sich gut an.«

»Müssen wir ihn warm halten?«, fragte Luna.

Anne schüttelte den Kopf. »Nein, er könnte wieder eingefroren werden, und es würde keinen Unterschied machen. Obwohl mir lieber wäre, wenn du das lässt.« Sie warf mir einen Blick zu. »Du hast ihm nichts von den Papieren erzählt.«

»Nein«, sagte ich. Ich ging zum Sessel und nahm einige von den Papieren auf, die auf dem Tisch verstreut lagen. Es war etwa ein Dutzend Blätter, schmierig vor Schmutz und Feuchtigkeit und an den Rändern rissig, wo der Kältestoß sie erwischt hatte. Variam war es gelungen, sie während des Kampfs festzuhalten.

»Nächstes Mal lässt du den Papierkram liegen und haust ab«, sagte Luna.

»Hörst du mal auf, rumzuheulen?«, erwiderte Variam. »Wir leben, oder nicht?«

Luna blickte ihn finster an. »Kannst du sie lesen?«, fragte Anne, an mich gewandt.

»Auf Arabisch?«, fragte ich trocken. »Nein.« Es waren Notizen darauf gekritzelt, handschriftlich von rechts nach links. Es konnten Schlachtpläne sein, Schiffsunterlagen, eine Aufzeichnung von Richards Transaktionen mit der Gruppe … jemandes Einkaufszettel oder was auch immer. Aber wir hatten sie aus einem bestimmten Grund mitgenommen: Auf drei Blättern befanden sich Durchpausen. Sie waren verschwommen, und es war schwer zu erkennen, was die Vorlage war, aber wenn ich raten müsste, würde ich sagen, dass die Bilder und der Text, den sie abbildeten, alt waren. Wie Schnitzereien.

»Stammen die von dem, was in diesen Kisten war?«, fragte Luna.

»Oder von etwas anderem«, sagte ich. »Wir brauchen einen Übersetzer.« Der nicht nur den Dialekt des Arabischen sprach, in dem die Papiere verfasst waren, sondern auch noch genug über nahöstliche magische Geschichte wusste, um den Inhalt identifizieren zu können. Das würde nicht so einfach sein.

»Gehst du zurück, falls Talisid fragt?«, fragte Anne. Trotz des Zaubers sah sie nicht müde aus. Lebensmagieheilung zehrt eigentlich an denen, die sie wirken, aber Anne ist sehr gut in dem, was sie tut.

»Nein«, antwortete ich.

»Was ist eigentlich los mit Talisid?«, fragte Luna. »Wenn wir früher Aufträge für ihn erledigt haben, ist so was nicht …«

»Na, es liegt an dem, was Morden tut, richtig?«, meinte Variam. »Talisid möchte, dass wir Schmutz ausgraben.«

Luna runzelte die Stirn. »Ich dachte, der Rat ist nicht davon überzeugt, dass Morden für Richard arbeitet?«

»Der Rat nicht«, sagte Variam. »Der sieht ihn als ›potenziellen Partner‹, und das war’s. Könnte Talisid aber beweisen, dass Richard dahintersteckt …«

»Ich denke, du hast recht«, warf ich ein. »Talisid sagt mir immer noch nicht genau, für wen er arbeitet, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass er als verdeckter Ermittler bei den Hütern ist. Und Richards Ruf eilt ihm nach wie vor voraus. Könnten sie Richard mit Morden in Verbindung bringen, würde das eine Menge Leute verstören.«

»Na, da hat er bisher nicht gerade einen guten Job gemacht, oder?«, meinte Variam. »Und es klingt nicht danach, als würde sein Lager gewinnen.«

»Mh«, machte ich. Ich war mir nicht sicher, was ich von alldem halten sollte.

Politik ist im Rat der Weißmagier kompliziert. Es gibt sieben Hauptlager: Hüter, Kreuzritter, Isolationisten, Direktoren, die Mitte, Weißianer und Unitarier. Es sind eher soziale Cliquen als die politischen Parteien von Westminster oder im Kongress, aber die Einsätze sind genauso hoch und die Konsequenzen bei einem Fehler tödlicher.

Die meisten Themen, über die sich der Rat streitet, sind kurzlebig und wechseln von Monat zu Monat. Ein paar Probleme verschwinden jedoch nicht, und eines der größten ist die Frage, wie man Schwarzmagier behandelt. Am einen Ende des Spektrums befinden sich die Kreuzritter: Sie bilden das militanteste Lager und glauben, der Rat solle aktiv gegen Schwarzmagier vorgehen, sogar gegen sie in den Krieg ziehen, falls nötig. Sie hassen Schwarzmagier und jeden, der mit ihnen in Verbindung steht, mich eingeschlossen. Was ein wenig ironisch ist, bedenkt man, dass meine Gefühle für Schwarzmagier nicht positiver sind als ihre, aber das schert die Kreuzritter nicht. Ginge es nach ihnen, bekäme man keine zweite Chance, wenn man von einem Schwarzmagier ausgebildet wurde.

Weniger extrem eingestellt sind die Hüter. Wie die Kreuzritter sind sie Gegner der Schwarzmagier, aber ihre Philosophie ist im Grunde defensiv statt aggressiv. Während die Kreuzritter losziehen und den Fehdehandschuh zu den Schwarzmagiern tragen wollen, wollen die Hüter einfach alles zusammenhalten. Sie möchten nur ein Minimum leisten, um zu verhindern, dass Schwarzmagier anderen Menschen wehtun, und sie sich ansonsten untereinander bekämpfen lassen (wozu Schwarzmagier mit ziemlicher Begeisterung neigen). Den Hütern und Kreuzrittern gegenüber stehen die Unitarier. Die Unitarier wollen die Weißmagier und Schwarzmagier vereinen, die Schwarzmagier in den Rat bringen und sie in den politischen Prozess einbeziehen. Das ist keine neue Idee, mehr eine zyklische, und sie wurde schon viele Male zuvor angestrebt und wieder fallen gelassen.

Wenn es nur die Unitarier gegen die Hüter und Kreuzritter wären, dann hätten die Unitarier keine Chance. Aber die Unitarier standen immer höher in der Gunst der Mitte, und die Mitte hat mehr Mitglieder als die Hüter und Kreuzritter zusammen. Und jetzt drängte Morden nicht nur auf eine Anerkennung der Schwarzmagier, sondern auch auf einen Sitz der Schwarzmagier im Rat der Weißmagier. Noch gab es keinen offenen Wettbewerb, doch wenn es so weiterging wie bisher, dann lief es darauf hinaus.

Mordens Vorgehen hatte Talisid einen zweiten Grund geliefert, sich für Richard zu interessieren. Für die meisten Weißmagier war Talisid einfach ein Ratsfunktionär auf mittlerer Ebene, aber seit einigen Jahren war ich mir ziemlich sicher, dass er verdeckt für die Hüter arbeitete. Die Hüter wollten Morden nicht im Rat haben, und wenn Talisid beweisen könnte, dass Richard etwas im Schilde führte und Morden mit ihm in Verbindung stünde, dann wäre Mordens Vorschlag damit erledigt. Unglücklicherweise hatte Talisid nichts gefunden. Und unglücklicherweise hatte das für uns dazu geführt, dass wir immer größere Risiken bei unseren Missionen eingehen mussten in der Hoffnung, dass wir etwas fänden, das ihm nutzte. Wir hatten viel über Richards Aktivitäten in Erfahrung gebracht, jedoch wenig, was man dagegen tun konnte, bis hin zu dem Punkt, wo es fast so war, als sähe man den Wetterbericht an: Ja, dieser Tornado bewegt sich in deine Richtung, und ja, es wird übel, und ja, es wird einfach ätzend, wenn er dann dein Haus plattmacht.

»Okay«, sagte Luna. Sie hatte Zeit gehabt, sich wieder abzuregen. »Wenn es sonst niemand ausspricht, dann tue ich es eben. Sollen wir weiter für Talisid arbeiten?«

»Er kann uns nach wie vor in den Rat bringen«, sagte Variam.

»Nicht wirklich«, erwiderte Luna. »Kaum jemand weiß darüber Bescheid, was wir tun. Das läuft alles unter der Hand.«

»Ja, und so wird es auch bleiben«, sagte ich. »Talisid hat die Idee immer noch nicht aufgegeben, dass ich Richard als Doppelagent ausspioniere.«

»Was verflucht noch mal irre ist, ganz nebenbei«, warf Variam ein.

»Ach wirklich?«, erwiderte ich. Talisid hatte nicht noch mal versucht, mir das schmackhaft zu machen, doch ich wusste, dass er es nicht vergessen hatte. »Solange er glaubt, er könnte uns ihm unterschieben, wird er nicht wollen, dass wir dafür Anerkennung erhalten. Sein Ziel ist, Richard aufzuhalten. Dass wir am Leben bleiben, ist ein optionales Extra.«

»Aber damit wären wir dran, oder?«, fragte Luna. »Die Leute reden über Mordens neuen Vorschlag, ich kriege das in meinen Kursen mit. Alle Weißmagier, die mit den Schwarzmagiern ein Hühnchen zu rupfen haben, kommen aus der Deckung. Sie werden jemanden suchen, an dem sie es auslassen können, und wir stehen direkt im Fadenkreuz. Gut, Vari vielleicht nicht, aber …«

»Ja, das ist nicht so einfach, weißt du?«, sagte Variam. »Nur weil ich ein Lehrling bei den Wächtern bin, heißt das nicht, dass sie mich wegen Sagash und Jagadev nicht fertigmachen würden.«

»Und doch werden sie dich nicht jagen. Aber Alex vielleicht.«

»Der Rat hat mich noch nie gemocht«, sagte ich. »Das ist nichts Neues.«

»Wir wissen, dass Richard früher oder später etwas versuchen wird, oder?«, fragte Luna. »Wenn das geschieht und der Rat auch hinter uns her ist, dann sind wir vollkommen geliefert.«

»Danke, Luna, das habe ich auch verstanden.« Ich hatte immer noch keine Ahnung, wie wir uns je Richard stellen sollten. Er war einer der gefürchtetsten Magier des Landes. Und der Rat war die mächtigste Gruppierung des Landes. Der Gedanke daran, gegen einen davon zu kämpfen, war wahnsinnig. Und gegen beide zugleich …

»Können wir irgendetwas tun, um das zu verhindern?«, fragte Anne. Sie neigt dazu, die Ruhigste in unseren Diskussionen zu sein – ruhig genug, dass man ihre Anwesenheit leicht vergisst –, doch sie hört aufmerksam zu.

»Okay, was, wenn wir mit der ganzen Sache einfach an die Öffentlichkeit gehen?«, schlug Variam vor. »Wir nehmen alles, was wir über Richard herausgefunden haben, und schreien, so laut wir können. Die Leute werden uns zuhören.«

»Damit würden wir uns eine gewaltige Zielscheibe auf die Rücken malen«, sagte ich. »Denkst du ernsthaft, dass Richard und Morden das so hinnehmen würden?«

»Äh«, sagte Anne. »Mir gefällt dieser Plan nicht wirklich.«

»Niemand mag diesen Plan«, sagte Luna.

»Ich habe nichts gegen einen Kampf«, erwiderte Variam.

»Weil du ein Idiot bist.«

»Oh, hör auf, so …«

»Leute«, rief ich. »Nicht hilfreich.«

»Fein«, sagte Variam. »Du willst nur Morden und Richard treffen? Dann lassen wir das, was wir herausgefunden haben, anonym durchsickern.«

»Nein«, meinte ich. »Zuerst einmal haben wir nichts herausgefunden, was brisant genug wäre, um tatsächlich etwas zu bewirken. Bevor wir keinen haltbaren Beweis haben, dass Morden sich mit Richard zusammengetan hat, wird das nur ein weiteres Gerücht sein. Zweitens wird es nicht lange anonym bleiben; sie werden herausfinden, woher es kommt. Und drittens wird es nicht wirklich etwas ausrichten, das verhindert, dass wir am Ende nicht doch sowohl Richard als auch den Rat gegen uns haben.«

»Außerdem ist es auch nicht so, als könnte Richard sich auf uns konzentrieren«, sagte Variam. »Sein größtes Problem werden die anderen Schwarzmagier sein. Die werden sich nicht freuen, Befehle von ihm entgegenzunehmen.«

Ich nickte. »Aber letztendlich wird er zu uns kommen.«

»Okay«, sagte Luna, »wenn wir also nichts wegen Richard unternehmen können, was ist mit dem Rat?«

»Was meinst du?«

»Na, sie werden nicht hinter Vari her sein, weil er sich den Wächtern angeschlossen hat, richtig?«, erklärte Luna. »Talisid kann uns Arbeit beschaffen, aber nicht das, was Vari tut. Warum schließt du dich also nicht auch den Wächtern an?«

Anne, Variam und ich sind alle sehr anders als noch vor drei Jahren, aber Luna hat sich von uns vieren wohl am meisten verändert. Als ich sie kennenlernte, war sie einsam und depressiv, lächelte selten und lachte nie. Sieht man sie heute an, fällt einem zuerst ihr Selbstbewusstsein auf. Adeptin in einer Magiergesellschaft zu sein ist nicht leicht, aber Luna ist es gelungen, dies in Kraft zu verwandeln: Es verschafft ihr eine andere Perspektive, und sie ist oft diejenige, die mit Ideen aufwartet, die dem Rest von uns nicht einfallen.

Anne, Variam und ich drehten uns zu Luna um und starrten sie an.

»Was?«, fragte Luna.

»Der Rat ist …«, setzte Anne an und verstummte wieder. Sie hatte sagen wollen: unser Feind. Der Rat hatte mir nicht viele Gründe geliefert, ihn zu mögen; und wie er Anne behandelt hatte, war noch schlimmer. »Es sind nicht unsere Freunde.«

»Ja, ach, kein Scheiß«, sagte Luna. »Ich mag sie auch nicht, aber wir können sie genauso gut benutzen.«

»Das tut sowieso nichts zur Sache«, sagte ich. »Wächter rekrutieren bei den Lehrlingen oder Weißmagiern. Um nichts in der Welt würden sie mich nehmen.«

»Na«, meinte Variam. »Irgendwie …«

Luna sah ihn an.

»Du wärest nicht wirklich ein Wächter«, fuhr Variam fort. »Nicht ohne lange Jahre darauf hinzuarbeiten. Aber du könntest gebilligt werden.«

»Was bedeutet das?«

»Das heißt, du zählst als Hilfskraft, und sie können dich für Aufträge rekrutieren. Manche von denen verbringen so viel Zeit in der Station wie die Wächter selbst … und das ist die halbe Miete, schätze ich. Das macht dich nicht zum Clubmitglied, aber es kommt der Sache am nächsten.«

»Welcher Orden?«

»Vermutlich der Sternenorden. Der Schildorden nimmt nur Kampfmagier, und der Mantelorden kümmert sich immer um normale Menschen.«

»Ich weiß nicht, das könnte klappen, wenn …«

»Hey«, unterbrach ich sie. »Könnt ihr beide mal aufhören, so zu tun, als hätte ich dem hier zugestimmt?«

»Du hast uns im Grunde gesagt, dass wir früher oder später gegen Richard antreten werden«, sagte Luna. »Wenn du in den Rat eingebunden bist, dann wird das für ihn schwieriger, richtig?«

»Das ist egal. Der Rat mag mich nicht. Hast du Levistus vergessen?«

»Wenn Levistus uns erwischen will, hat er es leichter, wenn wir vom Rat abgeschnitten sind und keine Freunde bei den Wächtern haben«, sagte Luna. »Nicht schwerer.«

Mir gefiel die Idee nicht. Es stimmte, es war kein allzu großer Schritt, was Luna und Variam da vorschlugen. Ich hatte dem Rat schon zuvor bei Ermittlungen und Polizeiarbeit geholfen – wenn ich ehrlich war, würde der Schritt, zur anerkannten Hilfskraft zu werden, nur offiziell machen, was ich sowieso schon leistete. Doch es bedeutete, diese Beziehung öffentlich zu machen, und das war zwar vielleicht kein großer Schritt in der Realität, doch für mich fühlte es sich so an.

Im Grunde lief es einfach auf die Tatsache hinaus, dass ich den Rat nicht mag. Vielleicht sind nicht alle Mitglieder schlecht – und ich gebe zu, dass ich jetzt mehr von den besseren kenne als früher –, aber ich hegte zu viel alten Groll, um das alles so mir nichts, dir nichts zu vergessen. Jedes Mal, wenn ich in meinem Leben wirklich Hilfe gebraucht hatte, hatte der Rat mich hängen lassen, und mehr als einmal war er auch noch der Grund dafür gewesen, dass ich überhaupt erst Hilfe benötigt hatte.

»Sieh mal«, sagte Luna, als ich beharrlich schwieg. »Wir hängen jetzt wie lange in der Sache drin? Sechs Monate? Vielleicht etwas länger. Und wir haben nur immer auf das reagiert, was Richard tut. Okay, wir haben herausgefunden, was wir konnten, aber im Grunde tut er etwas, und wir spionieren ihn dann aus. So kommen wir nicht voran.«

»Das weiß ich«, sagte ich. »Aber wir sind hier die Außenseiter. Du kennst die Mittel, auf die Richard zugreifen kann. Wir können uns nicht direkt gegen ihn stellen.«

»Heißt das dann nicht, dass wir mehr Freunde brauchen?«, fragte Variam mit gerunzelter Stirn. »Was passiert sonst, wenn er zu uns kommt?«

»Ich möchte mich immer noch nicht mit den Wächtern einlassen.«

»Das habe ich ja gemeint«, betonte Variam. »Du hattest mir gesagt, ich soll mich ihnen trotzdem anschließen. Erinnerst du dich?«

Das ließ mich stutzen. Als ich Variam vor ein paar Jahren kennenlernte, war er den Wächtern gegenüber so feindlich eingestellt wie ich. Sogar noch mehr. Aber mir war es gelungen, ihn zu überzeugen, mit …

… mit so ziemlich den gleichen Argumenten, die Luna und Variam jetzt anführten.

Die beiden sahen mich an. Ich sah Anne an. Und Luna und Vari ebenso.

»Äh«, sagte Anne. Sie wirkte ein wenig beunruhigt. »Das ist nicht wirklich meine Entscheidung.«

»Aber was denkst du?«, fragte Luna.

»Ich …« Anne sah mich an, zögerte. Ich sagte nichts. Irgendwie hoffte ich, dass Anne mir einen Grund liefern würde, Nein zu sagen.

»Ich vertraue den Wächtern nicht«, sagte Anne endlich. Ich spürte, wie mein Herz ein wenig leichter wurde, aber dann fuhr Anne fort: »Besonders dem Sternenorden. Also würde ich es dir nicht vorhalten, wenn du Nein sagst. Aber … für Vari hat es funktioniert. Wenn es dich und Luna am Leben hält … vielleicht ist es das dann wert.«

»Wir wissen immer noch nicht, ob sie zustimmen würden«, erwiderte ich.

»Dann versuchst du es?«, fragte Luna.

»Das habe ich nicht gesagt.«

»Du hast aber auch nicht gesagt, dass du es nicht versuchst.«

Ich verdrehte die Augen, schwieg aber. Alle drei sahen mich an. »Was?«

»Und?«, fragte Luna.

»Mal langsam«, sagte ich. »Selbst wenn ich einwillige – was ich nicht getan habe –, haben wir keinen Einstieg. Ich kann ja nicht einfach da auftauchen und nach einem Bewerbungsformular fragen.«

»Das ist leicht«, sagte Luna. »Geh einfach zu Caldera. Du hast oft genug mit ihr gearbeitet, richtig?«

»Wir sind nicht gerade beste Freunde.«

»Ja, aber sie hasst dich nicht oder so«, meinte Variam. »Sie mag dich sogar.«

»Und du musst nur fragen«, sagte Luna. »Ich meine, was hast du zu verlieren?«

Ich versuchte, mir darauf eine gute Antwort einfallen zu lassen, aber ich hatte keine. Sie alle beobachteten mich immer noch, und ich fühlte mich merkwürdig eingeengt.

»Also wirst du …?«, fragte Luna.

»In Ordnung! Ich frage sie.«

Weshalb ich mich eine Woche später vor dem Hauptquartier der Wächter in Westminster wiederfand.

Das Hauptquartier für ganz Britannien liegt direkt südlich der Victoria Street, in einer der kleinen Seitengassen. Dieser besondere Bezirk Londons kommt mir immer so vor, als wäre er dermaßen voller Vergangenheit, dass er schon wieder banal wirkt – man kann nicht einmal die Straße überqueren, ohne an einer historischen oder architektonischen Besonderheit vorbeizukommen. Das eigentliche Hauptquartier befindet sich in einem dieser prächtigen viktorianischen Gebäude, mit Säulen und Schnitzwerk und Statuen von Göttinnen und ein paar fotogeneren Raubtieren.

Wie viele alte Gebäude in London ist das Innere des Wächterquartiers sehr viel weniger beeindruckend als das Äußere. Von den Wänden blättert die Farbe ab, die gammeligem Kaffee ähnelt, und die Treppen und Stockwerke sind mit diesem besonders schrecklichen Linoleum ausgestattet, wie es Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts populär war und das aus irgendeinem Grund nie ganz verschwunden ist. Ich meldete mich an der Rezeption, und man sagte mir, ich solle warten. Ein halbes Dutzend Leute saßen auf Stühlen entlang der Wand, und keiner schien besonders froh darüber, hier zu sein. Ich setzte mich und schlug die Beine übereinander.

Während ich darüber nachdachte, fiel mir auf, dass es wohl das erste Mal war, dass ich mich freiwillig in einer Einrichtung der Wächter aufhielt. All die anderen Male, die ich hier oder in einer der anderen Stationen war, hatte man mich dazu gezwungen. Ich war nie offiziell festgenommen worden, aber praktisch gesehen gibt es keinen großen Unterschied zwischen »Sie sind festgenommen« und »Sie kommen her und beantworten unsere Fragen, sonst zwingen wir Sie dazu«. So etwas färbt die Erinnerungen an einen Ort. Ich hatte keine guten Assoziationen mit diesem Gebäude, und ich freute mich auch nicht wirklich darauf, mit Caldera zu reden. Ein kleiner, aber entschlossener Teil meiner selbst hoffte, dass sie Nein sagen und mir so einen Grund zum Gehen liefern würde.

Nach fünfzehn Minuten kam ein Lehrling und begleitete mich nach oben.

Hat man den Empfang hinter sich gelassen, wird es im Hauptquartier sehr viel geschäftiger, es ist erfüllt von Lärm und Menschen. Die Treppen und Flure sind schmal, es quetschen sich andauernd Leute vorbei, und der Geräuschpegel von Tippen und Gesprächen bildet den Hintergrund. Wüsste man nicht, wo man ist, würde man vermutlich denken, man wäre in einem beliebigen Gebäude des öffentlichen Dienstes. Wächter tragen keine Uniformen oder Waffen (die brauchen sie nicht), und für die meisten sehen sie völlig normal aus. Aber wenn man weiß, worauf man achten muss, dann erkennt man sie leicht. Wächter bewegen sich anders als normale Menschen; ihrer Haltung sind eine unbewusste Macht und Arroganz zu eigen. Sie sehen einen auch anders an – ein rasches Mustern, um dich einzuschätzen, ob du verdächtig bist. Ich achtete darauf, keine Anspannung zu zeigen, aber ich müsste lügen, wenn ich behauptete, dass ich mich wohlgefühlt hätte. Ich war vielleicht kein Verdächtiger, aber ich gehörte nicht hierher.

Calderas Büro lag im zweiten Stock. Es war von mittlerer Größe, mit zwei Schreibtischen, zwei Computern und einigem Papierkram von Caldera und einem weiteren Wächter, den ich nicht kannte. Caldera warf mir einen Blick zu, hob die Hand, dann wandte sie sich an den anderen. »Ich weiß, was darauf steht«, sagte sie. »Das ist kein Absatz drei.«

»Was möchtest du dann machen?«, fragte der andere Wächter. Er war groß und sah sportlich aus, hatte blonde Haare. »Den Typ einfach gehen lassen?«

»Wir haben nichts, womit wir ihn anklagen können.«

»Das wird Karla nicht freuen.«

»Scheiß auf Karla«, sagte Caldera. »Wenn sie den Kerl so dringend will, kann sie es selbst machen.«

»Oder sie lässt es einfach an uns aus«, erwiderte der Mann, dann hob er die Hand, um Calderas Antwort abzuwürgen. »Schon gut, schon gut. Ich versuche, ihr das zu verkaufen.« Er ging hinaus und warf mir im Vorbeigehen einen neugierigen Blick zu.

»Hey, Verus.« Caldera tippte etwas in ihren Computer und sperrte den Bildschirm, dann winkte sie mich zu sich. »Setz dich.«

Caldera ist ein Mitglied des Sternenordens, der Abteilung der Wächter, die die Konkordia und die nationalen Gesetze bei Adepten und Magiern durchsetzt. Sie ist Engländerin, um die dreißig, kleiner als ich und eine Ecke schwerer, breit und stämmig.

Caldera hatte ich vor anderthalb Jahren kennengelernt. Ein Haufen Adepten hatte mich durch London gejagt. Sie hatten mich für etwas töten wollen, das ich während meiner Zeit als Lehrling getan hatte, und Caldera hatte sich wegen der Verbindung zu Richard eingemischt. Für praktisch alle hatte die Sache böse geendet, aber wenn es einen Lichtblick aus meiner Sicht gab, dann die Geschäftsbeziehung, die sich daraus mit Caldera entwickelt hatte. Seither hatte ich sie ein paarmal gesehen, normalerweise unter ähnlichen (wenn auch etwas weniger gefährlichen) Umständen – ich brauchte einen Gefallen oder eine Information, sie wollte etwas, das ich mithilfe meiner Fähigkeit herausfinden konnte, also schlossen wir einen Handel, der uns beiden das gab, was wir wollten. Wir tranken sogar gelegentlich mal was zusammen. Die Hürde von Bekannten zu Freunden hatten wir jedoch nie genommen, und um ehrlich zu sein, lag das vermutlich an mir – ich konnte nie ganz ausblenden, für welche Organisation sie arbeitete.

Wenn ich das hier schon tat, dann sollte ich es vermutlich hinter mich bringen.

»Gut«, sagte Caldera, nachdem wir das ganze »Wie geht’s so« hinter uns gebracht hatten. »Du möchtest also als Hilfskraft gebilligt werden.«

»Das ist die Idee.«

»Warum?«

»Was meinst du?«

»Das ist keine schwierige Frage«, sagte Caldera. »Warum möchtest du dich uns anschließen?«

»Die Aufregung und der Glamour?«

Caldera warf mir einen Blick zu.

»Na, wir haben schon ein paarmal zusammengearbeitet, und es hat mehr oder weniger funktioniert, richtig? Ich dachte einfach, es wäre einen Versuch wert.«

»Ähm, ja«, sagte Caldera. »Die Male, die wir zusammengearbeitet haben, hast du das nur gemacht, weil du die Hilfe brauchtest.«

»Hey«, erwiderte ich. »Was war vergangenen April? Anne war diejenige, die in Schwierigkeiten steckte, nicht ich.«

»Und du hast jeden einzelnen Befehl missachtet, den ich dir gegeben habe.«

»Was ist mit mildernden Umständen?«

Ungerührt sah Caldera mich an.

»Okay, okay«, erwiderte ich. »Ich weiß, dass es da Spannungen gab, aber ich hoffe, meine Beziehung zum Rat wieder in Ordnung zu bringen, und das hier scheint mir ein guter Anfang. Außerdem bin ich ein guter Wahrsager, und ich weiß, dass die knapp sind bei euch.«

»Es geht nicht darum, ob du ein guter Wahrsager bist«, sagte Caldera. »Die Arbeit als Hilfskraft unterscheidet sich von einem Selbstständigen. Du musst eine Sicherheitsüberprüfung überstehen.«

»Okay, und wie mache ich das?«

»Das machst du nicht. Sie untersuchen dich.«

»Wie lange dauert das?«

»Deine ist fertig.«

»Das ging ja schnell.«

»Du verstehst das nicht ganz, glaube ich«, sagte Caldera. »Die Überprüfungen durch die Ratssicherheit laufen zwei Jahre. Sie haben keine durchgeführt, weil du mich angerufen hast. Sie hatten dich bereits durchleuchtet, weil sie dich sowieso untersucht haben.«

»Warum?«

»Muss ich dir das wirklich beantworten?«

»Ich bin nur neugierig, was mir vorgeworfen wird.«

»Na, ganz oben auf der Liste steht, dass du einer der drei Menschen bist, die als verantwortlich für die Vernichtung der Nightstalker im vorletzten Sommer gelten.«

Das wischte mir glatt das Lächeln aus dem Gesicht. »In Ordnung«, sagte ich. »Soweit ich weiß, waren es die Nightstalker, die das Gesetz gebrochen haben, nicht ich.«

»Und du und deine Verbündeten waren in die Sache mit den Lehrlingen involviert, die während des White-Stone-Turniers verschwunden sind.«

»Oh, komm schon. Da habe ich für den Rat gearbeitet. Das steht in den Akten. Und ich war derjenige, der herausgefunden hat, was mit diesen Lehrlingen passiert ist.«

»Dann war da der Einbruch in …«

»Okay, hör mal, ich habe bereits erklärt, dass das nicht meine Schuld war. Und ich habe Hilfe angeboten; es war nicht so, als wärest du …«

»Und«, fuhr Caldera fort, »die Tode der Magier Griff und Belthas vor drei Jahren.«

Ich hielt den Mund.

»Möchtest du dich deshalb nicht rechtfertigen?«, fragte Caldera.

»Ich habe keinen von beiden getötet«, sagte ich mit ruhiger Stimme.

Caldera beobachtete mich, anscheinend locker, und ich bemerkte, dass ihr Blick auf mir ruhte, während ich antwortete. Polizisten können sehr gut wahrnehmen, wenn jemand sie anlügt, und ich hatte das Gefühl, dass Caldera meiner Antwort auf diese Frage sehr aufmerksam lauschte. Ich hatte nicht ganz gelogen. Genau genommen hatte ich keinen von beiden getötet; so als würde man jemanden in einen Tigerkäfig locken, dann töten auf gewisse Weise die Tiger denjenigen.

Unglücklicherweise waren sowohl Griff als auch Belthas Weißmagier gewesen und hatten einen guten Stand beim Rat gehabt. Der Rat mag die Kämpfe unter den Schwarzmagiern ja wissentlich ignorieren, und ihn kümmert wirklich nicht besonders, was mit Adepten oder Waisen geschieht, aber das gilt nicht, wenn die Opfer selbst Ratsmagier sind. Und um es noch schlimmer zu machen, hatten Griff und Belthas für ein Junior-Ratsmitglied namens Levistus gearbeitet. Sie kaltzumachen (und dabei seinen Plan zu durchkreuzen), hatte mich fix auf seine Liste gebracht. Levistus jagte mich nicht persönlich – das ist nicht sein Stil –, aber seither hatte er mehrere Gelegenheiten genutzt, mich auf bürokratische Art aufs Kreuz zu legen und einige Male davon beinahe tödlich.

Meine Vorgeschichte mit Levistus war einer der Gründe, aus dem ich mich hier nicht wohlfühlte. Logischerweise wusste ich, dass es für Levistus nicht komplizierter werden würde, mir reinzupfuschen, wenn ich mich von den Wächtern fernhielt – wenn er mich wirklich ans Kreuz nageln wollte, dann konnte er das tun, ganz gleich, wo ich war. Aber mir gefiel der Gedanke immer noch nicht, ihm näher zu sein, als es unbedingt sein musste.

Gleichzeitig war mir klar, dass Luna recht hatte. Wir hatten jetzt zu lange einfach nur auf Richard reagiert, hatten Informationsschnipsel gesammelt und darauf gewartet, dass er seinen Zug machte. Ich wusste nicht, wie wir ihn schlagen sollten, aber ich wusste, dass wir etwas unternehmen mussten. Der Versuch, Freundschaften bei den Wächtern zu schließen, wäre immerhin ein Anfang.

»Okay«, sagte ich. »Karten auf den Tisch. Sagst du, du willst mich nicht?«

»Nein«, sagte Caldera.

Ich schwieg. »Nein, du willst mich nicht, oder nein, du willst mich nicht nicht?«

»Weißt du, wer die letzte Entscheidung bei einer Sicherheitsüberprüfung trifft?«, fragte Caldera.

Ich schüttelte den Kopf.

»Nach dem Anruf letzte Woche habe ich deinen Antrag auf einen Status als Hilfskraft ausgefüllt und bei der Personalabteilung eingereicht«, sagte Caldera. »Sie haben ihn an die Wächter geschickt, die für deine Fälle zuständig sind. Diese Wächter haben schon ein Dutzend aktiver Fälle, und sie hatten nicht die Zeit, deinen neu zu öffnen, also haben sie den Antrag an Rain weitergegeben. Und Rain gab ihn an mich.«

Ich versuchte, dem allem zu folgen. »Und …?«

Caldera sah mich an. »Im Moment hat genau ein Mensch den Auftrag, zu entscheiden, ob man dich nimmt oder nicht. Ich.«

»Oh. Ist das jetzt also ein Ja oder ein Nein?«

»War es ein Ja oder Nein?«, fragte Luna.

Wir waren in dem Fitnessstudio in Islington, das wir zum Trainieren nutzten. Luna steckte in Übungsklamotten, weißes Shirt und Jogginghose, und balancierte ein Buch auf dem Kopf. Meine Kleidung war Lunas ähnlich, aber statt eines Buchs hielt ich eine Waffe: ein einfaches, aber funktional aussehendes Katana.

»Sie hat nicht Nein gesagt«, sagte ich. Ich trat vor und zielte mit einem beidhändigen Schlag auf Lunas Kopf. In dem Schwung steckten etwa siebzig Prozent Geschwindigkeit, und ich hielt das Katana so, dass es mit der flachen Seite treffen würde und nicht mit der Kante. Das würde sie nicht verletzen, aber wehtun. Luna trat zurück, gerade aufgerichtet und mit einer geschmeidigen Bewegung, damit das Buch nicht herunterfiel, und ich setzte nach.

»Also hat sie Ja gesagt?«, fragte Luna. Sie änderte ihre Position auf den Matten ein wenig, brachte gerade genug Distanz zwischen uns, dass ich mich bewegen musste, um in ihre Reichweite zu gelangen.

Ich führte noch ein paar weitere Schläge auf Kopfhöhe aus; Luna blieb nach wie vor außerhalb meiner Reichweite. »Das hat sie auch nicht gerade gesagt.«

»Was hat sie denn dann gesagt?«

Ich setzte zu einem weiteren Schritt an, dann duckte ich mich ein wenig und stach auf Taillenhöhe zu. Ich erwischte Luna im Schwung. Sie musste die Klinge mit der Hand abwehren, und die flache Seite traf mit einem Klatschen auf ihre Handfläche. Die Bewegung brachte mich in ihre Reichweite, und sie musste noch zwei weitere Male abblocken, bevor sie wieder ein Stück von mir wegkam. »Auf die Liste mit gebilligten Hilfskräften zu gelangen ist raus«, sagte ich und blickte auf die Klinge. Die Farbe hatte sich nicht verändert. »Zumindest nicht direkt.«

»Das klingt nach einem Nein.«

»So in etwa.« Wieder überbrückte ich die Distanz zwischen uns und setzte zu einer Reihe von Angriffen an, wohl überlegt und gleichbleibend, zielte mit fließenden Schlägen abwechselnd auf Taille, Schulter und Schenkel. Luna musste immer wieder blocken, bekam jedes Mal die Klinge gegen die Hand. Sie konnte sich nicht zu abrupt bewegen, ohne dass das Buch herunterfiel. »Sie hat mir eine Mitgliedschaft auf Probe angeboten. Das bedeutet, ich bin keine Hilfskraft, aber für einen Zeitraum auf Probe würde ich wie eine behandelt werden, solange sie die Aufsicht hat.«

»Dann ist das was – ein Test?«

»So ziemlich. Ich mache das, was ein Helfer der Wächter tun würde, es ist nur nicht offiziell.«

»Wie …?«

Ich unterbrach das Muster, stach mit dem Schwert blitzschnell nach oben und nach Lunas Gesicht. Luna musste zurückspringen, hob instinktiv beide Hände, um die Klinge zu blocken. Das Buch wackelte, und sie musste es mit einer Hand auffangen, während sie zurücktaumelte. Ich hielt inne, um die Klinge zu untersuchen. Da, wo Luna sie berührt hatte, war ein blasser Fleck auf dem Metall zu sehen. »Du hast ein wenig durchgelassen.«

»Ach, komm schon«, sagte Luna. »Davon würdest du nicht mal Nasenbluten bekommen.«

Der Nebel, der um Luna herumwirbelt, ist die Manifestation ihres Fluchs, ein Glücksmagiezauber, und die Tatsache, dass Luna bei ihren Zaubern ihren Fluch anwendet statt etwas, das sie selbst bewirkt, klassifiziert sie als Adeptin und nicht als Magierin. Lunas Fluch ist sehr schwer zu erkennen, unsichtbar für normale Blicke und sogar mit Magiersicht kaum auszumachen, und er bringt ihr Glück und allem anderen Pech, wenn es mit dem Nebel in Berührung kommt. Dieses »Pech« bedeutet in geringen Dosen, dass man stolpert oder sich einen Nagel abbricht, aber in hohen Dosen kann es alles bewirken, wie etwa, dass das Haus über einem einstürzt bis hin zu einem Serienkiller, der in deine Nachbarschaft gelotst wird und dir mal Hallo sagt. Er wirkt außerdem kumulativ, das heißt, je mehr man davon abbekommt, desto schlimmer wird es.

Die Übung war einfach: Luna musste dem Schwert ausweichen, ohne dass ihr Fluch es berührte. Das Schwert ist ein einfacher Fokus, dazu gemacht, sichtbar auf Magie zu reagieren. Früher einmal hätte Lunas Berührung die ganze Klinge innerhalb von Sekunden weiß werden lassen, aber sie hat viel Zeit und Mühe darauf verwendet, ihren Fluch kontrollieren zu lernen, und mittlerweile kann sie etwas ungefähr eine Sekunde lang berühren, ohne dass der tödliche Nebel daran haften bleibt – was ausreicht, damit man ihn wegschieben kann. Dieses Spiel hier betrieben wir jetzt seit etwa sechs Monaten, und Luna war sehr gut darin geworden, was der Grund für die Unterhaltung und das Buch auf ihrem Kopf war – ich hatte den Schwierigkeitsgrad steigern müssen.

In diesem Fall war es mir gelungen, ihre Konzentration zu erschüttern, wenn auch nicht viel. »Rede weiter«, sagte ich und trat erneut vor. »Und lass das Buch los.«

Luna verdrehte die Augen und gehorchte, zog sich in sichere Entfernung zurück. »Wie lange dauert dieses Probedings?«

»Das hat Caldera nicht gesagt.« Ich zielte wieder auf Lunas Augen, aber dieses Mal war sie darauf vorbereitet. Die Klinge klatschte weniger als dreißig Zentimeter von ihrem Gesicht entfernt gegen ihre Handfläche. »Aber ich schätze, bis sie sich entschieden hat.«

»Wie, du darfst sie also viele Wochen lang nicht ärgern, bis sie beschließt, dass sie dir vertrauen kann?«

»Lass uns keine Wunder erwarten.«

Wir machten noch fünf Minuten weiter, aber mir gelang es nicht, Lunas Konzentration erneut zu stören. »In Ordnung«, sagte ich schließlich und senkte das Schwert. »Freies Sparring.«

Luna merkte sofort erfreut auf und ließ das Buch in eine Hand hinabrutschen, während sie zu ihrer Tasche ging. Mit einem Kurzschwert in der einen und einem elfenbeinfarbenen Stab in der anderen Hand kam sie zurück.

»Bereit?«, fragte ich.

Luna nahm Kampfhaltung ein. »Bereit.«

Ich griff an, führte einen Hieb von oben nach unten, und diesmal nutzte ich nicht die flache Seite der Klinge. Luna wich zurück, und ich folgte ihr.

Dieser besondere Teil unseres Trainings ist der Grund, aus dem wir ein leeres Fitnessstudio nutzen. Letztes Jahr sah jemand einen meiner Kämpfe mit Luna und dachte, ich wolle sie umbringen, was zu einer äußerst unangenehmen Unterhaltung mit zwei Polizisten führte. Luna fand die ganze Sache absolut großartig, aber wegen ihr machte ich mir nun die Mühe, unsere Einheiten in einem Studio zu planen, das dem Rat gehört.

Gerade jetzt waren wir allein, was ganz gut war. Meine Arme sind länger als Lunas, und zusammen mit der größeren Reichweite meiner Waffe konnte ich sie bedrängen und zurücktreiben. Lunas Miene war konzentriert, während sie sich gegen meine Angriffe verteidigte, den meisten auswich und gelegentlich einen mit einem Klirren von Metall parierte. Für einen Zuschauer musste es vermutlich aussehen, als stünde Lunas Leben auf dem Spiel … aber wenn es um Magie geht, kann der Schein trügen. Luna war nicht in echter Gefahr. Ihr Fluch macht es einem schon im besten Fall schwer, ihr wehzutun, und ich versuchte zwar, ihre Verteidigung zu durchdringen, aber nicht, sie zu treffen. Mithilfe der Divination kann ich leicht erkennen, ob ein Hieb möglicherweise trifft, und diese halbe Sekunde Vorwarnung reicht vollkommen, einen Schlag zurückzuziehen.

Derjenige, der wirklich in Gefahr war, war ich. Lunas Fluch ist eng mit ihren Gefühlen und Instinkten verbunden. Sie hat gelernt, ihn die meiste Zeit bewusst unter Kontrolle zu halten, aber wenn sie sich ernsthaft bedroht fühlt, kann alles passieren. Bedrohe ich sie jedoch nicht, zwinge ich sie nicht, sich wirklich Mühe zu geben, und dann bekommt sie nie die Übung, die sie braucht, um den Fluch im Ernstfall zu kontrollieren. Ich spielte mit dem Feuer, wenn ich Luna so in Bedrängnis brachte, dass es funktionierte, aber nicht so sehr, dass es einen Rückschlag auslöste.

Die einzigen Geräusche in dem leeren Studio waren das Klirren von Metall auf Metall und das Klatschen unserer nackten Füße auf den Matten. Für gewöhnlich hat Luna Probleme, mich in diesen Kämpfen auf Abstand zu halten, aber diesmal merkte ich zu meiner Überraschung, dass sie sich zur Wehr setzte. Sie konnte nicht wirklich zurückschlagen, aber solange sie zurückwich, konnte sie meine Angriffe abwehren. Die ganzen Duelle, die sie ausgefochten hatte, hatten einen Unterschied gemacht.

Natürlich versuchte ich nicht wirklich, sie zu treffen. Zwischen einem Übungsmatch und einem echten Kampf besteht ein großer Unterschied, und ich wollte es nicht zu weit treiben.

Wenn ich sie aber im Training nicht antrieb, tat ich ihr auch keinen Gefallen.

Na, dann los.

Ich wechselte zu vollem Tempo, und zum ersten Mal hatte ich das Ziel, zu töten. Statt Zukünfte herauszusuchen, in denen ich Lunas Verteidigung fast durchdrang, suchte ich nach denen, in denen die Klinge ihr Ziel fand. Lunas Augen wurden groß, als der erste Schlag vorbeizischte, und sie sprang zurück. Den zweiten Schlag parierte sie, dem dritten wich sie aus – und stolperte. In dem Augenblick, in dem sie aus dem Gleichgewicht geriet, lenkte ich den Hieb um und zielte abwärts auf ihren Hals.

Mit meiner Magiersicht sah ich, wie der Stab in Lunas Hand zum Leben erwachte. Eine Peitsche aus silbernem Nebel sprang heraus, und nur für einen Augenblick zeigten mir alle Visionen der Zukunft, wie dieser silberne Nebel in meinen Körper eindrang, während das Schwert in Lunas Haut schnitt.

Ich ließ das Schwert fallen, verwandelte den Angriff in eine Flugrolle. Als ich auf die Matte auftraf, hörte ich ein Keuchen und einen dumpfen Aufprall – dann Stille.

Ich kam hoch, plötzlich war mir übel, weil ich überzeugt war, dass ich gerade einen wirklich schrecklichen Fehler gemacht hatte. Luna hatte ihr eigenes Schwert fallen gelassen, die Hand an den Hals gepresst, und einen Moment lang rebellierte mein Magen … dann nahm sie die Hand weg. Die Haut war gerötet, aber unverletzt.

Ich schloss kurz die Augen, holte Luft. Zu nah dran.

»Wow«, sagte Luna. Ihre Augen waren ein wenig größer. »Das war krass.«

Ich antwortete nicht. Rasch sah ich nach und erkannte nichts von der tödlichen grauen Aura an mir; wir hatten unsere Angriffe beide im allerletzten Moment zurückgezogen. »Für heute sind wir fertig. Wir sehen uns oben auf dem Dach.«

»Das funktioniert nicht«, sagte ich zwanzig Minuten später zu Luna.

Auf dem Dach des Fitnessstudios war es kalt, aber nicht eisig, die Luft war gerade so frisch, dass unsere Ohren und Nasenspitzen taub wurden. Das Studio lag ein Stück weit von der Straße zurückgesetzt, sodass wir keine Autos oder Straßen sahen, aber eine gute Aussicht auf die Gebäude um uns herum hatten. TV-Antennen und Schornsteine ragten von den kiesbestreuten Dächern auf wie ein merkwürdiger urbaner Wald, und zu unserer Linken reihten sich ein paar Dachgärten, die sich grün von den Backsteinen und dem Beton abhoben. Ungefähr dreißig Meter entfernt unterhielten sich ein paar junge Männer in Anzügen angeregt auf einem Balkon, und auf der anderen Seite putzte sich eine Katze auf einer Balustrade. Die Brise zerzauste mir das Haar und trug den Geruch nach Autoabgasen heran; im Süden glänzte die Sonne auf den Hochhäusern der Innenstadt, und hoch über uns hingen feine Wölkchen am klaren blauen Himmel. Ein ganz normaler Londoner Wintertag.

»Moment mal«, sagte Luna. »Wir haben jetzt nicht wieder diese ›Deshalb ist es für dich gefährlich, Martial Arts zu lernen‹-Unterhaltung, oder? Denn du hast eingewilligt …«

»Das ist es nicht. Ich glaube einfach nicht, dass unsere Lektionen genug bringen.«

Das ließ Luna innehalten. Die Brise wehte ihr die Haarsträhnen über das Gesicht, und sie strich sie gedankenverloren beiseite. »Aber ich mag sie.«

»Du magst den gefährlichen Teil«, erwiderte ich trocken. »Wir waren ungefähr zehn Sekunden von einem wirklich üblen Zwischenfall entfernt.«

»Ich kann ihn besser kontrollieren …«

Ich schüttelte den Kopf. »Deine Kontrolle ist gut. Nicht perfekt, aber gut. Das Problem bin ich, nicht du. Seit einer Weile sind all diese Lektionen ohne Berührung. Ich lehre dich nicht, wie man Magie nutzt; ich präsentiere dir nur ein Problem und lasse dich eine Lösung finden.«

»Ich dachte, das wäre die einzige Möglichkeit?«, fragte Luna. »Du kannst ja nicht einfach mal so Glücksmagie erlernen.«

»Und das ist das Problem. Du bist gut darin geworden, deinen Fluch zu leiten, aber es ist eine ganze Weile her, seit wir wirkliche Fortschritte gemacht haben. Wenn Glücksmagie ein akademisches Fach wäre, dann wäre ich qualifiziert, es bis zur Highschool zu unterrichten. Du brauchst einen Professor für dein Studium.«

Luna zögerte. »Bin ich noch dein Lehrling?«

Überrascht sah ich sie an. »Natürlich.«

»Oh.« Luna entspannte sich ein wenig. »Okay.«

»Warte, dachtest du, es geht darum?«

»Na ja, ich habe mich gefragt …«

»Ich werfe dich nicht raus oder so. Wir müssen nur einen Teilzeitlehrer finden. Du bist immer noch mein Lehrling, und das bleibst du, bis du dich entscheidest, zu gehen, oder deine Gesellenprüfungen bestehst. Okay?«

»Okay«, sagte Luna mit einem Lächeln. »Also suchst du einen Glücksmagier?«

»Das mache ich. Wir können aber ein wenig herumfragen.«

Luna und ich gingen zurück zur Treppe. »Das wird aber nicht so laufen, wie einen Meister für Anne und Vari zu finden, oder?«, fragte Luna.

»Lass uns hoffen, dass es diesmal etwas glatter geht.«

»Du bekommst also einen neuen Job und ich einen neuen Lehrer.«

»So in etwa.« Ich hielt Luna die Tür auf und folgte ihr hindurch. »Sollten ein paar spannende Wochen werden.«

2

Seit ich von Richard weggelaufen war, war mein Leben zyklisch verlaufen. Ein kurzes Aufflammen von Chaos und Gefahr, dann längere Phasen, in denen es relativ ruhig zuging. Der Monat, der auf die Unterhaltung mit Caldera folgte, war einer der ruhigeren.

Nur weil es ruhig war, bedeutete es aber nicht, dass es ungefährlich war. Richard war immer noch irgendwo da draußen, zusammen mit all meinen anderen Feinden. Aber es gab keine weiteren Missionen, und von ein paar kurzen Nachfragen abgesehen, kontaktierte Talisid uns nicht mehr. Ich nutzte die Atempause, um jemanden zu suchen, der die Notizen lesen konnte, die Variam mitgebracht hatte. Keiner der Leute, die ich fragte, waren dazu in der Lage, aber ein Bekannter sagte, er hätte einen Freund, der bald vom Land zurückkehren würde und mir helfen könnte. Während ich auf ihn wartete, schnüffelte ich weiter herum, aber als der Januar in den Februar überging, ohne dass sich auf Richards Seite etwas tat, schien es, als hätte mein alter Meister seine Operationen vorübergehend auf Eis gelegt.

Richards plötzliche Inaktivität hatte vermutlich etwas mit den Ereignissen in der politischen Welt zu tun. Der Rat würde bald über Mordens Antrag abstimmen, und während er an Aufmerksamkeit gewann, wurden alte Diskussionen wieder hervorgeholt. Die Anti-Schwarzmagier-Fraktion grub jedes Verbrechen und jede Gräueltat aus, die Großbritanniens Schwarzmagier innerhalb der vergangenen hundert Jahre begangen hatten, während die Pro-Seite sie der Hexenjagd anklagte und alles hervorhob, was der Rat in dieser Zeit falsch gemacht hatte. Keiner Seite fehlte es an Material, und als der Termin näher rückte, wurden die Auseinandersetzungen immer fieser. Für die meisten Mitglieder der magischen Gesellschaft waren die Ereignisse im Rat zu weit von ihrem gewohnten Horizont entfernt, doch man brauchte nicht viel über Magierpolitik zu wissen, um zu verstehen, dass hier Gefechtslinien gezogen wurden.

In der Zwischenzeit suchte ich weiter nach einem Lehrer für Luna. Ich machte nicht sofort Fortschritte, was ich mehr oder weniger erwartet hatte. Glücksmagier sind im Rat unterrepräsentiert, und die ein oder zwei, die ich fand und die mir passend schienen, nahmen keine neuen Schüler an. Ich streckte die Fühler aus, ließ meine Kontakte wissen, dass ich nach einem Lehrer für Glücksmagie suchte, die Bezahlung verhandelbar, und hörte mich weiter um.

Größtenteils aber hielt mich mein neuer Job bei Caldera auf Trab.

»Das ist so unsagbar dumm«, sagte ich zu Caldera.

Caldera sah nicht von ihrem Bildschirm auf. Wir waren in ihrem Büro, und sie hatte die letzten zehn Minuten auf der Tastatur herumgetippt.

Angewidert lehnte ich mich in meinem Stuhl zurück. »Wir hätten diesen Kerl vor zwei Tagen schnappen können. Wir wussten, wo er war und wo er hingehen würde. Jetzt ist er Gott weiß wo, und wir haben null Chancen, ihn zu finden.«

»Wir hatten keine Genehmigung für eine Verhaftung.«

»Du meinst ›haben‹. Wir haben immer noch keine Genehmigung, obwohl wir vorgestern gefragt haben und gestern wieder und heute wieder. Deine Vorgesetzten sind uns nach wie vor eine Antwort schuldig, die sie gerade mal zehn Sekunden kosten würde …«

»Würdest du mal aufhören zu jammern?«

»Wie kannst du so ruhig bleiben?«

Der Gegenstand unserer Unterhaltung war ein Schwarzmagier, der unter dem Namen Torvald bekannt war. Er hatte die Aufmerksamkeit des Rats erregt, indem er eine Adeptenbar zusammengeschossen hatte. Laut den Berichten hatte ein Mädchen, auf das er ein Auge geworfen hatte, ihm eine Abfuhr erteilt, und während er noch darunter litt, machte ein Adept den Fehler, dasselbe Mädchen anzusprechen und Erfolg zu haben, wo Torvald versagt hatte. Torvald, der ein Nein sichtlich nicht gut abkonnte, hatte seinem Unmut über diese Ereigniswende Luft gemacht, indem er Blitze auf den Adepten, das Mädchen, die Bar und mehrere andere Menschen in der Nähe abgeschossen hatte. Die Opferzahl betrug am Ende des Abends sechs Verletzte (zwei ernsthaft), und der größte Teil der Bar war zerstört – glücklicherweise verschwand Torvald, bevor die Polizei und die Feuerwehr auftauchten, sonst wären sie vermutlich tot. Caldera war bei einem anderen Fall in Shepherd’s Bush gewesen, also hatte sie mich hingeschickt.

Bedachte man, dass Torvald die Diskretion und den Scharfsinn eines panischen Elefanten gezeigt hatte, war es nicht schwer, seiner Spur zu folgen. Ich hatte eine Stunde gebraucht, um seinen Namen zu erfahren, einen Tag, um ihn aufzuspüren. Ich berichtete an Caldera, sie meldete es ihrem Captain, wir bekamen gesagt, wir sollten auf die Genehmigung warten, bevor wir etwas unternahmen … und seit achtundvierzig Stunden saßen wir herum, ohne irgendetwas zu hören.

Und Torvald hatte währenddessen herausgefunden, dass man ihn aufgespürt hatte, und war prompt verschwunden.

»Wir wissen, was der Typ getan hat«, sagte ich. »Wir wissen, wo er wohnt. Oder zumindest, wo er wohnte – Gott weiß, wo er jetzt ist. Was hat es gebracht, die Sache zu verfolgen, wenn wir nichts unternehmen können?«

»Er hat die Konkordia nicht gebrochen.«

»Ach, Blödsinn. Vielleicht hat er keine Magier verletzt, aber das war ein offener Bruch der Geheimhaltungsklausel der Magie. Und selbst wenn er die Konkordia nicht gebrochen hat, so muss er ein halbes Dutzend innerstaatliche Rechte verletzt haben.«

»Vermutlich.«

»Hast du ihnen das gesagt?«

»Nein, ich habe einen leeren Bericht eingereicht. – Was denkst du wohl?«

»Warum haben sie dann noch nicht genehmigt, dass wir etwas unternehmen?«